Rede von Bürgermeister Kessler anlässlich des Fastenbrechens am 10.06.2016 um 21:00 Uhr in der Braunschweiger Straße __________________________________________________________ Sehr geehrte Herren Imame, sehr geehrte Herren Vorsitzende, ich freue mich, dass hier alle drei Moscheen zusammengefunden haben und ich danke für die Einladung zum Fastenbrechen. Vor wenigen Wochen wurde Mutherem Aras als erste Landtagspräsidentin eines Bundeslandes in Baden-Württemberg mit türkisch/kurdischer Abstammung in Deutschland gewählt. Ein Zeichen für Weltoffenheit, für Toleranz und für gelungene Integration in unserem Land. In einem kleinen anatolischen Dorf aufgewachsen, war sie als Zwölfjährige in Stuttgart mit ihrer Familie gelandet. Die Familie staunte über die Verhältnisse in Deutschland, war aber ehrgeizig und die junge Frau machte Mittlere Reife, Abitur und studierte anschließend Wirtschaftswissenschaften. Im Kleinen gibt es das hier in Peine auch: seit wir die Integration in Peine vorangetrieben haben, seitdem wir vor allem die Bildung gefördert haben, seitdem sehen wir immer mehr junge Frauen als Kassiererinnen, als Arzthelferinnen oder als Erzieherinnen. Seite 1 Von den Männern sind mir viele vertraut, die ihren Weg gemacht haben – die Gebrüder Tatli, beides alte Silberkämper, sind als Ingenieur und Arzt ein Paradebeispiel dafür. Natürlich registriere ich es mit Sorge, wenn ich höre, dass sich aktuell junge Migranten in der vierten Generation von dieser Gesellschaft noch nicht aufgenommen fühlen, dass sie Schwierigkeiten haben, sich als Deutsche zu fühlen, obwohl sie vielleicht längst den deutschen Pass haben, aber ich weiß auch, dass Integration nicht immer gradlinig verläuft. Wir setzen weiterhin auf Bildung, auf Familienzentren, auf Kreise der Begegnungen. Integration ist eine Schnecke, aber Schnecken lassen sich nicht beirren: sie gehen zwar langsam, aber immer geradeaus, auch wenn es ein langer Weg ist. Als ich mir vor 10 Jahren zu Amtsbeginn die Integration auf die Fahne geschrieben hatte, war das Thema vorher nur stiefmütterlich behandelt worden. Es gab allenfalls einmal im Jahr ein kulturelles Essen, aber keine Systematik, keine politische Vorgabe und wenig Erkenntnisse, die man benötigt. Zum Beispiel, dass Migranten natürlich auf diesem nicht leichten Weg mitgenommen werden müssen: Seite 2 Ich erinnere mich an meine ersten Worte als Bürgermeister in einer Moschee ( die damals noch übersetzt wurden ): es waren drei Hauptaussagen: 1. Sie müssen alle Deutsch lernen, denn sonst können wir nicht miteinander reden und lachen. 2. Sie können Ihre Kultur behalten – ich habe vollstes Verständnis dafür, dass Sie gerade in einer neuen Heimat diese pflegen wollen. 3. In unserem Land besteht Religionsfreiheit – das ist für mich selbstverständlich. Diesen Ansatz müssen wir – auch in turbulenten Zeiten – beibehalten. Langsam wächst dann zusammen, was ursprünglich nicht zusammen gehört und es können ja auch Unterschiede bleiben – wir sind heute vielfältiger denn je in Deutschland. Wir müssen nicht alle gleich werden, solange wir uns alle an das Grundgesetz und die wichtigen Normen dieser Gesellschaft halten. Ich verstehe auch gut Ihren Wunsch nach einem eigenen Friedhof – es ist mir offen gesprochen viel lieber, wenn Sie sich hier begraben lassen als in der Türkei. Ich habe mich persönlich in Ihrer Umgebung immer wohlgefühlt und ich will das auch gerne konkret begründen. Ihre Jugend hat mich immer ungemein nett auf der Straße gegrüßt – das ist jetzt bitte keine Eitelkeit, es ist einfach eine Feststellung. Seite 3 Vielleicht hat es damit zu tun, dass der Respekt gegenüber politischen Größen in Ihrer Kultur ausgeprägter ist, aber das Grüßen war nicht ehrerbietig, sondern locker und durchaus selbstbewusst. Ich werde nicht vergessen, wie ich an einem Sommertag mit meinem Wagen an der Ampel stand, Fenster war offen und dann hielt zufällig ein türkisch besetztes Auto neben mir, in dem fröhliche Jugendliche saßen: „Hallo Bürgermeister, wir fahren zu Hochzeit – willst du mitkommen ?“ Und wir können von Ihnen auch noch mehr lernen: Der familiäre Zusammenhalt und der Respekt vor dem Alter – das geht bei uns verloren und da sind Sie in meinen Augen vorbildlich. Mit anderen Worten: wir lernen voneinander! Abschließend: wir dürfen uns durch die großen Konflikte, insbesondere durch die extremistischen Bewegungen in beiden Lagern (IS auf der einen Seite und Rechtsradikale/Ausländerfeindliche auf der anderen Seite) nicht auseinanderdividieren lassen. Das ist sehr wichtig, denn wir erleben derzeit ein Europa in Turbulenzen und eine Türkei, die auch nicht mehr stabil ist. Wir sollten hier in Peine den begonnenen Weg in eine gute, gemeinsame Zukunft konsequent weitergehen, weil wir uns mittlerweile kennen und uns vertrauen. Schönen Dank. Seite 4
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