WORKSHOP GESCHICHTE LATENZ ZUKUNFT Zur narrativen Modellierung von Zeit im neueren Generationenroman 9. - 10. Juni 2016 Ernst-Bloch Zentrum, Ludwigshafen Organisation: · Dr. phil. Anna-Katharina Gisbertz, Universität Mannheim PD Dr. phil. Michael Ostheimer, Technische Universität Chemnitz, Mitglied des Schwerpunktprogramms der Deutschen Forschungsgemeinschaft „Ästhetische Eigenzeiten. Zeit und Darstellung in der polychronen Moderne“ Dr. Klaus Kufeld, Ernst Bloch Zentrum In Kooperation mit dem DFG-Schwerpunktprogramm 1688 „Ästhetische Eigenzeiten“ Gefördert durch die Otto Mann-Stiftung sowie DO. 9.6.2016 13.00-13.30 Begrüßung durch Klaus Kufeld, Ernst-Bloch Zentrum Einführung von Anna-Katharina Gisbertz und Michael Ostheimer 13.30-14.15 Ines Detmers „Zur Rolle der Latenz im Konzept des temporalen Imaginären“ 14.15-15.00 Michael Ostheimer „‘Uns gehört die Zeit.‘ Latenzen in Saša Stanišićs ‚Vor dem Fest‘“ 15.30-16.15 Johann Kreuzer „Vom Möglichen her denken. Zum Begriff der Latenz bei Bloch“ 16.15-17.00 Anne Fuchs „Geschichtlichkeit und Zeiterfahrung in Lutz Seilers ‚Kruso‘“ 19.00 „Autoren bei Bloch“ Lesung aus „Kruso“ und Gespräch mit Lutz Seiler FR. 10.06.2016 9.00-9.45 Daniel Fulda „Familiengeschichte als ‚Vorausahnung‘ der Zukunft. Stephan Wackwitz‘ ‚Die Bilder meiner Mutter‘“ 10.15-11.00 Anna-Katharina Gisbertz „Vom Möglichen und Vergeblichen in den Generationenromanen von Arno Geiger und Eugen Ruge“ 11.30-12.15 Johannes Pause „Der Sohn ist aus den Fugen. Zeitwahrnehmung und Generationenkonflikt in deutschsprachigen Romanen des 21. Jahrhunderts“ 12.15-13.00 Abschlussdiskussion Familien- und Generationenromane befinden sich seit der Jahrtausendwende im Aufschwung. Im Mikrokosmos der Familie überlagern sich Autobiographie und Geschichte, die individuelle Erinnerung wird mit Empfindungen und Fakten in Form von historischen Dokumenten konfrontiert. Der Blick zurück stellt sich in den deutschsprachigen Generationenromanen den unausgesprochenen Seiten der Vergangenheit, setzt sich mit Schuld und Scham auseinander und das Erzählte füllt die Leerstellen mit Fragen und Wünschen. Die Zeitgeschichte wird von der nationalsozialistischen Diktatur über die deutsche Teilung bis zum Mauerfall und der Wiedervereinigung reflektiert. Der Fokus auf zurückliegende Ereignisse gilt aber nicht nur der Vergangenheit, sondern führt auch zu der Frage nach den literarischen Transformationsprozessen von Fakten und Fiktionen. Er hat einen innovativen Zug. Die Rezeption des Vergangenen geht mit alternativen Geschichtsdeutungen, mit der Interpretation von Möglichkeiten und unterlassenen Handlungen einher. Die narrativen Gestaltungsweisen von Zeit, deren Produktivität Paul Ricœur in Zeit und Erzählung als Verbindung der drei Komponenten „präfigurierte Zeit“, „konfigurierte Zeit“ und „refigurierte Zeit“ konzipiert hat, stellen Ordnungen in Frage, sind selbstreflexiv und auf Varianten historischer Ereignisse gerichtet. Durch die Beschäftigung mit dem Vergangenen werden nicht zuletzt Latenzen eruiert, also Zustände, in denen Bloch zufolge der „objektiv-objekthafte[] Möglichkeitsraum“ der Geschichte aufscheint. Blochs Begriff der Latenz beschreibt einen Ermöglichungsstatus, in dem die objektive Tendenz und die subjektive Intention so miteinander vermittelt werden, dass die Latenz objektiv die Tendenz und subjektiv die Intention fundiert. Während nach Bloch die Wissenschaft für die „begriffliche[] Abbildung der Tendenz-, Latenzstruktur des Realen“ zuständig sei, so habe sich die Kunst der „bildhaften Abbildung eines realen Vorscheins“ zu widmen. Eben den literarischen Manifestationen dieser „bildhaften Abbildung“ von latent Neuem möchten wir in den zeitgenössischen Generationenromanen nachspüren. Mögen die Romane die Potentialität des Objekts und die Potenz des Subjekts beispielsweise als bildhafte Beschreibung oder als Psychodynamik literarisch gestalten, sie stellen damit auch die Frage nach neuen Mustern kultureller Identität. Sie richten sich auf eine projizierte Zukunft, die sich, wie Aleida Assmann unlängst in Ist die Zeit aus den Fugen? Aufstieg und Fall des Zeitregimes der Moderne zeigen konnte, aus affektiven Bindungen zum Vergangenen konstituiert und Themen wie Nachhaltigkeit oder das Nachleben in den Blick rückt. Die Verbindung von Geschichte und literarischer Imagination ist keineswegs neu. Schon die großen Generationenromane des 19. Jahrhunderts von Gustav Freytag, Adalbert Stifter oder Émile Zola verbanden die Rekonstruktion der Historie mit der Deutung ihrer Möglichkeiten. Der Workshop befasst sich vor dem Hintergrund der historischen Genese der Gattung mit den potentiellen Gegenwarten und Zukunftsentwürfen in neueren Generationenromanen. Dem Vorgehen liegt die Auffassung zugrunde, dass nicht mehr nur die erfahrene Vergangenheit in die Texte eingeht, sondern mit Zeit auch experimentiert wird, was zu produktiven narrativen Arrangements und nicht zuletzt zum Experimentieren mit unterschiedlichen Zeitregimen führt. Zu denken ist z. B. an Autoren wie Reinhard Jirgl, Eugen Ruge, Saša Stanišić und Uwe Timm. Aufschlussreich wäre überdies eine temporal fundierte Ost-West-Perspektive, die die unterschiedlichen Zeitregime zwischen BRD und (ehemaliger) DDR miteinander vergleicht.
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