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Nr. 05 – Mai 2016 – 182. Jahrgang
Herausgeber: Schweizerische Offiziersgesellschaft
Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift
Sicherheit Schweiz
Interview
Chef VBS
Qualität aus
Leidenschaft
Offene Grenzen
in Europa
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Editorial
3
Wirtschaft/Rüstung
Andreas Bölsterli
Peter Müller
37
Weniger Schadenfälle
Aktuelles
Luftwaffe
Andreas Bölsterli
4
10 Offene Grenzen in Europa
Ein grosses Departement
mit grossen Projekten
Olivier Savoy
40
Finanzierung der WEA:
Wo bleibt Blick in die Zukunft?
Sicherheitspolitik
Höhere Kaderausbildung
Andreas Bölsterli
8
Cyber: Wäre es nicht endlich
Zeit, dass…?
Michael Arnold
42
Walter Schilling
10
Offene Grenzen in Europa
und ihre Folgen
Daniel Keller
45
Marcel Serr
13
Israels Sicherheit – aktuelle
Bedrohungen und Trends
Zentralschule:
Qualität aus Leidenschaft
Forschung und Lehre
Marcel Berni
André Blattmann
15
Podestplatz für HKA:
Hohe Qualitätsauszeichnung
48
Das Wort des CdA
Indochina- und Vietnamkrieg
im Vergleich
Wolfgang Kopp
34 Vielschichtige
Herausforderungen
16
Überlegungen zur Struktur
des Deutschen Heeres
Henrique Schneider
20
Clans, Stämme und
andere Freunde
Internationale Nachrichten
50
Geschichte
Marco Sigg
Heinrich L. Wirz
21
Bericht aus dem Bundeshaus
54
Teilabzug russischer Truppen
56
Johann Ulrich Schlegel
26
Terror und Freiheit
54 Fernab und doch
mittendrin
Von Bewegungs- zu Entfaltungsformen der heutigen Infanterie
Vermischtes
Albert A. Stahel
28
Zentralschweiz im 1. Weltkrieg
Thomas Maurer
Jürgen Hübschen
22
Pascal Kohler, Henrique Schneider
60
Dieter Kläy
Militärische Lage in Europa
Bücher
Einsatz und Ausbildung
64
Andrea Grichting-Zelenka
Eugen Thomann
30
Unsere vitalen Interessen
Edgar Gwerder
32
Viertage-Marsch in Nijmegen
Peter Müller
34
Member of the European
Military Press Association
(EMPA) – ISSN 0002-5925
Titelbild
Vielschichtige
Herausforderungen
Bundesrat
Guy Parmelin
SOG Vorstand
Daniel Slongo
36
Foto: VBS
SOG Vorstand
neu zusammengesetzt
Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 05/2016
1
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Editorial
haben. Der persönlichen Selbstverwirklichung, dem
wirtschaftlichen Erfolg und der Steigerung des WohlKennen Sie Ihre persön- stands haben unsere Anstrengungen gegolten. Ich erinnere mich als ehemaliger Kommandant nur zu gut
liche Komfortzone?
Populärwissenschaftlich an alle Diskussionen um das Weitermachen, um die
ist sie wie folgt definiert: Verschiebungen von Dienstleistungen wegen berufli«Die persönliche Komfort- cher Fortbildung, persönlicher Anliegen oder bereits
zone ist jener Bereich, in gebuchter Ferien – und nun müssen wir diese Komdem wir uns sicher fühlen, fortzone verlassen.
uns wohlfühlen. Sie ist das
War nicht früher alles besser? War nicht früher auch
Umfeld, das wir kennen die Sicherheit einfacher zu haben? Man wusste wie
und gewohnt sind. Und sich ein Gegner präsentierte, man trainierte auf diese
sie endet dort, wo Überwindung und/oder Anstren- Risiken hin. Und heute? Wir wissen nicht mehr gegung beginnen und es nicht mehr bequem ist.»
nau wo und welche Gefahren lauern, die UnsicherEs gibt um uns herum immer mehr Bereiche und heit ist gross geworden. Und – wie lauten denn jetzt
Ereignisse die Einfluss auf unsere Komfortzone haben. die Antworten auf diese neuen Risiken? Auch hier
Wir sind mit Terroranschlägen – nun auch in Euro- müssen wir unsere gedankliche Komfortzone verpa-konfrontiert, wir stehen vor anschwellenden Mi- lassen. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass gute
grationsströmen, wirtschaftliche Veränderungen und und bewährte Rezepte und Armeekonzeptionen keine
Antworten auf heutige
Sparanstrengungen haben
Herausforderungen sind.
Einfluss auf uns und unWir müssen zur Kenntnis
sere Gesellschaft, die Ver«Freiheit ohne
nehmen, dass wir nicht
letzlichkeit unseres Alltags
Verantwortungsbewusstsein
mehr über die personellen
wird vielen immer mehr
und finanziellen Ressourbewusst.
wird zu einem Gefängnis.»
cen verfügen, um uns geUnd plötzlich wird nun
Ernst Ferstl
gen alles zu versichern.
darüber diskutiert – und
«Politik ist die Kunst des
ist bereits entschieden, in
Möglichen» (Otto von Biswelcher Form die Armee
das Grenzwachtkorps und die Kantone bei der Bewäl- marck) – auch bei Diskussionen um Armeegesetz und
tigung einer allfälligen massiven Zunahme von Flücht- Nachrichtendienstgesetz müssen wir – ob wir wollen
lingen unterstützen kann. Nun werden Einsätze der oder nicht – erkennen, dass nicht alles was wünschbar
Armee wirklich wahrscheinlicher und wir stellen fest, ist, auch umgesetzt werden kann.
dass diese möglichen Einsätze unsere Komfortzone
Liebe Leserin, lieber Leser, bei all diesen Fragen ist
verletzen könnten. Warum? Weil Flüchtlinge auch Ihr Verantwortungsbewusstsein als Bürgerin und Bürwährend den Sommerferien kommen, weil deshalb ger dieses Landes gefragt. Wir müssen uns diesen Hedie Dienstleistungspläne angepasst worden sind und rausforderungen stellen, damit das Mögliche möglich
nun plötzlich unsere Ferienpläne nicht mehr stim- gemacht werden kann und damit sicherstellen, dass
men oder sogar platzen könnten. So lauteten mindes- unsere Sicherheit auch in Zukunft mit unserer Komtens die Schlagzeilen gewisser Medien. Wir müssen fortzone kompatibel ist.
die Komfortzone verlassen!
Aber die Armee ist nun einmal die einzige strategische Reserve dieses Landes. Wenn am Beispiel der Migration alle Mittel der Behörden von Bund und KanAndreas Bölsterli, Chefredaktor
tonen ausgeschöpft sind, dann kann die Armee [email protected]
gesetzt werden – aber vielleicht haben wir diese neuen
potenziellen Armeeeinsätze nie so ganz ernst genommen, weil es uns ja eigentlich gut geht und wir uns lieber mit dem Ausbau unserer Komfortzone beschäftigt
Liebe Leserin, lieber Leser
Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 05/2016
3
Aktuelles
Ein grosses Departement
mit grossen Projekten
Das Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und
Sport (VBS) ist mit seinen knapp 12000 Mitarbeitenden eines der
grössten Departemente der Bundesverwaltung. Es ist – zwar
nicht alleine – aber in wichtiger Stellung für die Sicherheit zuständig.
Der neue Chef des VBS, Bundesrat Guy Parmelin hat die ASMZ
am 11. April 2016 für ein Interview empfangen.
Ich meine, dass mit der Einsetzung einer
Begleitgruppe für die Evaluation und Beschaffung eines neues Kampfflugzeuges
(die auch die bodengestützte Luftverteidigung berücksichtigen soll) gute Voraussetzungen für eine solche Gesamtsicht geschaffen sind.
Eine weitere Herausforderung sind Einsätze der Armee, insbesondere subsidiäre
Unterstützungseinsätze zur Bewältigung
von Problemen der Migration.
Das sind nur ein paar wenige, wenn
auch besonders grosse Herausforderun-
diese Reform den Ansprüchen an unsere
Sicherheit genügen wird und ob die ArBundesrat Parmelin, seit mehr als 100
mee ihren Auftrag erfüllen kann.
Tagen sind Sie Vorsteher des VBS. Wenn
Ich bin zum Schluss gekommen, dass
ich die Stichworte wie Ablösung Chef der
diese Reform für unsere Armee ein neuer
Armee, BODLUV, neues Kampfflugzeug
Start ist. Sie kann damit ein jahre-, ja jahrnenne, dann mangelt es Ihnen nicht an
zehntelanges Missverhältnis zwischen ResHerausforderungen. Welches ist aus Ihrer
sourcen und Aufgaben hinter sich lassen
persönlichen Sicht die Grösste Aufgabe,
und kommt wieder auf eine stabile Badie es jetzt anzugehen gilt?
sis. Das höre ich auch aus vielen GespräAls Chef VBS habe ich viele Herausforchen mit höheren Stabsoffizieren der Arderungen zu meistern; einige von ihnen
mee und zivilen Mitarbeitern. Man will
haben Sie in Ihrer Frage bereits erwähnt.
auf einer klaren Ausgangslage mit der
Die für mich grösste HeUmsetzung der Reform berausforderung ist die Umginnen.
setzung der WeiterentwickMit der Umsetzung der
«Eigentlich bedaure ich,
lung der Armee, allenfalls
WEA verfügen wir über
dass das Referendum durch Kreise
nach einem Ja des Volkes,
eine Armee, die modern
sofern das Referendum zuund vollständig ausgerüslanciert wurde, die selber
stande kommt. Diese Retet, gut ausgebildet, regioform ist wichtig. Sie wurde
nal verankert und besser
auch für mehr Sicherheit eintreten.»
vor mehr als fünf Jahren
mobilisierbar wird. Dafür
begonnen, und es wird weimüssen nachhaltig genütere drei bis vier Jahre brauchen, bis sie gen. Es gibt noch viele andere, von der gend finanzielle Mittel bereit gestellt werrealisiert ist. Die WEA besteht aus sehr Modernisierung und Verbesserung der den. Der Bundesrat ist bereit, den Entvielen Teilaspekten, die koordiniert um- bevölkerungsschutzrelevanten Telekom- scheiden des Parlaments zu folgen, wogesetzt werden müssen, denken sie zum munikation bis zu Fragen zu Aufgaben nach die Armee für die nächsten vier JahBeispiel an Organisation, Ausbildungs- und Ressourcenbedarf im Bundesamt für re 20 Milliarden Franken zur Verfügung
und Dienstleistungssystem. Reformen Sport.
haben soll. Das heisst – auch wegen des
und Weiterentwicklungen sehen auf dem
Stabilisierungsprogramms – allerdings
Papier fast immer gut aus, aber in der Die sicherheitspolitische Lage war in den nicht, dass damit eine finanzielle «carte
Umsetzung gibt es immer wieder Überra- letzten 25 Jahren noch nie so düster wie blanche» erteilt worden wäre; aber es gibt
heute – Ihre eigenen Worte an der Sicher- der Armee die Gewissheit, ihre Aufträge
schungen.
Daneben gibt es noch andere Heraus- heitskonferenz in München. Man soll- erfüllen und die WEA wie geplant umsetforderungen für die Armee, wie zum Bei- te nun endlich zugunsten der Sicherheit zen zu können.
spiel den Start des Prozesses für die Eva- unseres Landes das VBS von den SparanSollte sich die Lage weiter verschlechluation und allfällige Beschaffung eines strengungen befreien. Wie sehen Sie das?
tern, haben wir die Möglichkeit, die InEs ist tatsächlich so, dass mich in Mün- vestitionen weiter zu erhöhen. Gleiches
neuen Kampfflugzeuges. Man darf nicht
Kampfflugzeuge allein anschauen, son- chen der Pessimismus meiner Amtskolle- gilt grundsätzlich auch für die Bestände
dern muss mindestens die bodengestütz- gen, vor allem jener aus dem Norden Eu- der Armee.
te Luftverteidigung einbeziehen, weil sich ropas, betroffen gemacht hat. Das war Anihre Aufgaben stark überlappen. Es muss fang Februar. Die parlamentarische Be- Was unternimmt der Bundesrat, um sieine Gesamtsicht von bodengestützter und handlung der WEA war noch nicht abge- cher stellen zu können, dass die politiluftgestützter Luftverteidigung vorliegen. schlossen und ich stellte mir die Frage, ob schen Parteien der Schweiz die SicherAndreas Bölsterli, Chefredaktor
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Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 05/2016
Aktuelles
BR Parmelin im Gespräch
mit dem Chefredaktor.
Bilder: VBS
Schlagzeilen, unter anderem auch weil
Spezialisten fehlen und fehlen werden.
Wie kann das VBS diese Herausforderung meistern?
Das ist in der Tat eine grosse Herausforderung. Wir müssen – unter dauerndem Druck auf die Personalressourcen –
sicherstellen, dass wir für anspruchsvolle,
ja sogar sehr anspruchsvolle Projekte die
nötige Anzahl Angestellte mit den richtigen Qualifikationen haben. Wir müssen diesen Aspekt verstärkt und systematisch berücksichtigen – es macht keinen
Sinn, Projekte zu lancieren und sie wegen
Mangel an geeigneten Mitarbeitern abbrechen zu müssen oder einen Fehlschlag
zu riskieren.
Ich meine, dass das VBS auch für Projektmanager und Techniker immer noch
ein attraktiver Arbeitgeber ist. Die Armee
ist auf die Hochschulen zugegangen. Das
rausforderungen für eine Mitarbeit in Beschaffungsprojekten prüfen. Unter Umständen kann das auch ein neuer Ansatz für
ein Dienstleistungsmodell als Techniker
in spannenden Rüstungsprojekten sein.
heit unseres Landes wieder als gemeinsames und wichtiges Anliegen wahrnehmen und sich auch entsprechend dafür
einsetzen?
Eine dieser Herausforderungen ist die
Ich glaube die vier Bundesratsparteien,
Beschaffung von neuen Kampfflugzeudie Mehrheit des Parlaments, haben sich
gen. Es soll bis 2017 ein Grundlagenbeeinem sicherheitspolitischen Konsens anricht erstellt werden. Welche Planungsgenähert. So wurden zum Beispiel zueckwerte dienen der neu bezeichneten
sätzliche Stellen für den NachrichtenExpertengruppe für den Bericht und den
dienst rasch gesprochen und damit auch
Finanzleuten für die richtige Dotierung
ein Zeichen des Vertrauens gesetzt. Auch
des Projektierungs- und Entwicklungsdie Revision des Nachrichtendienstgesetkredits (PEB Kredit)? Zwei strategische
zes wurde breit befürwortet, auch durch
Stichworte dazu: Sonderfinanzierung
wichtige Exponenten der Sozialdemokraoder ordentliches Rüstungsbudget – und
tischen Partei. Das Referendum steht, die
damit verknüpft bereits jetzt die Frage
Debatte wird geführt, aber es besteht ein
des Einbezugs des Stimmvolkes.
Kompromiss, der auch auf Vertrauen baIch habe zwei Gruppen eingesetzt. Auf
der einen Seite eine interne Expertengrupsiert. Man kann immer sagen, das genüpe, auf der anderen Seite eine
ge noch nicht, aber über
mehr politische Begleitgrupalles gesehen, bin ich zupe. Beide befassen sich mit
versichtlich und glaube,
«Es gibt keine Lösungen, bei denen man
der Evaluation und Beschafso etwas wie einen Paraeinfach auf den Knopf drücken kann.
fung eines neuen Kampfflugdigmenwechsel zu erkenzeuges, aber auch mit dem
nen, und zwar über das
Die Leistungsbereitschaft muss dauernd
ganze Parlament: Man
Verhältnis von bodengestützwill vor allem gegen die
ter Luftverteidigung und
überprüft und optimiert werden.»
Bedrohungen durch den
Kampfflugzeugen. Alle FraTerrorismus gewappnet
gen sollen auf den Tisch komsein, und man ist bereit, dazu die Gesetze primäre Anliegen dabei war, den Nutzen men, auch die von Ihnen angesprochene
anzupassen und die nötigen Ressourcen einer militärischen Ausbildung deutlich zu Frage, wie die Beschaffungen finanziert
verfügbar zu machen.
machen. Aber vielleicht hat es auch dazu werden sollen. Der Auftrag ist sehr breit
beigetragen, Armee und VBS als mögli- formuliert, um alle Aspekte beurteilen zu
Das VBS muss Personal abbauen, steht che Arbeitgeber ins Blickfeld zu rücken.
können. Die Begleitgruppe wird mir ihre
aber gleichzeitig vor der Initiierung geVielleicht können wir die durch den Überlegungen und allfällige Empfehlunwichtiger Rüstungsvorhaben. Kritik zum Chef der Armee geschaffenen guten Kon- gen mitteilen; sie hat aber kein Veto über
Einsatz von externen Beratern und Kri- takte zu den Hochschulen weiter vertiefen die Ergebnisse der Arbeit der Expertentik an Rüstungsvorlagen dominierten die und für junge Ingenieure spannende He- gruppe. Es geht mir darum, zu Beginn dieAllgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 05/2016
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Aktuelles
ses Projekts so umsichtig wie irgend möglich zu handeln, durch Einbezug aller Fachleute, aber auch der politischen Kreise.
Die Weiterentwicklung der Armee (WEA)
steht im Gegenwind – armeefreundliche
Kreise drohen mit einem Referendum gegen die WEA. Wie kann verhindert werden, dass sich auf Abstimmungspodien
Armeebefürworter gegenseitig bekämpfen
und so den Armeeabschaffern in die Hände spielen. Was kann der Bundesrat noch
tun, um eine Niederlage zu Ungunsten
der Sicherheit zu verhindern?
Eigentlich bedaure ich, dass das Referendum durch Kreise lanciert wurde,
die selber auch für mehr Sicherheit eintreten. Nehmen wir einmal an, dass das
Referendum angenommen wird: Was geschieht dann? Wir können dann die WEA
nicht umsetzen, die Situation der Armee
XXI bleibt aber unverändert, man hat keinen einzigen zusätzlichen Soldaten, man
hat auch nicht mehr Geld, um mehr Soldaten auszurüsten – eigentlich wird die
Armee eher noch geschwächt.
Wenn diese Kreise – und ich habe deren Vertreter empfangen und angehört –
wirklich etwas Solides erreichen möchten,
wäre es besser gewesen, sie hätten eine
Volksinitiative lanciert, für eine grössere
Armee und ein höheres Armeebudget.
Jetzt haben wir die Situation, dass wir
wahrscheinlich noch einmal erklären müssen, wieso eine von Bundesrat und Parlament breit unterstützte Weiterentwicklung der Armee nötig und richtig ist. Wir
stellen uns dieser Diskussion, wir werden
auch gewinnen; aber den Aufwand einer
Referendumsabstimmung hätte man sich
sparen können.
Am Beispiel der Cyber-Gefahren zeigt es
sich, dass die Risiken der heutigen Zeit
nicht mehr mit den Gefahren des Kalten
Krieges verglichen werden können. Und
trotzdem hat man den Eindruck, dass
gerade im Bereich der Abwehr dieser
neuen Bedrohungen keine besonderen Anstrengungen erkennbar sind. Sind hier
die Kompetenzen innerhalb des Bundes
und zwischen dem Bund und der Wirtschaft richtig verteilt? Werden seitens
Bund die richtigen Anstrengungen unternommen und was unternimmt das
VBS konkret?
Der Bundesrat wird bis Ende dieses Jahres die Cyber-Strategie, die seit 2012 besteht, neu beurteilen. In diesem Bereich
hat die Schweiz verschiedene Eigenheiten, besonders wenn man sie mit einem
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stärker zentralisierten Staat wie Frankreich
vergleicht. Das Bewusstsein um die Risiken muss gestärkt werden, die Leute sind
oft naiv, und die Intensität der Angriffe
nimmt laufend zu. Man sollte sich aber
auch nicht täuschen: Im Hintergrund
läuft Vieles – nicht nur auf der Angriffsseite, sondern auch auf jener des Schutzes
und der Verteidigung. Wir wollen so lange es geht auf Eigenverantwortung setzen.
Subsidiarität und Föderalismus erwecken zwar den Eindruck, dass es an einer zentralen Strategie fehle, aber sie
sind auch Stärken: Die Schweiz kann
man nicht mit einem wohlgezielten
Schlag auf eine Zentrale lahmlegen.
Bundeskanzler Schmidt sagte
1986 vor dem deutschen
Bundestag: «Ein Staat
braucht eine Führung,
die das Management einer Krise beherrscht und
beherrschen will». Wie
beurteilen Sie die Führung auf Stufe Bund:
Wann muss oder soll
der Bund die Führung
übernehmen, haben
wir die richtigen Instrumente, funktioniert der Sicherheitsverbund Schweiz? Wie
und wann wird nach
der SVU 14 weiter geübt in diesem Rahmen?
Ich habe die Auswertung der SVU 14
zur Kenntnis genommen. Eine der Lehren besteht darin, dass die Beziehungen zwischen dem Bund und
den Kantonen optimiert werden müssen – eine weitere Verbesserung der Koordination
auf allen Stufen. Der Föderalismus hat seine Eigenheiten.
Wenn man nun auf Stufe Bund
die Herausforderung der Migration angeht, die uns diesen
Sommer sicher beschäftigen
wird, dann braucht es vor allem
eine funktionierende Koordination zwischen dem Staatssekretariat für Migration, dem
Grenzwachtkorps, der Armee,
dem Bevölkerungsschutz – und
vor allem den Kantonen. Allein
auf Stufe Bund gibt es also vier
verschiedene Bereiche zu koor-
Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 05/2016
dinieren. Es geht nicht darum, jetzt ein
Gremium zu bezeichnen, dass führt; die
Prozesse müssen bekannt sein, die Strukturen müssen handlungsfähig sein, um
koordinieren zu können. Gerade das Migrationsproblem wird die Schweiz mit
ihren föderalen Strukturen vor grosse
Aktuelles
Herausforderungen stellen. Und das wer- Eine konkrete Frage zum Thema Unter- Der Bundesrat wird den Bericht der Studen wir in nächster Zeit zu bewältigen stützung des Grenzwachtkorps. Welches diengruppe zur Kenntnis nehmen, allfälhaben. Das heisst aber nicht, dass wird Bild wollen Sie mit diesem Einsatz ver- lige Empfehlungen sich aber nicht unbein der Bewältigung sicherheitspolitischer mitteln – Soldaten die schützen, oder doch dingt zueigen machen. Das Parlament mit
Probleme aus diesem Grund schlechter eher helfen oder die allenfalls sogar kämp- seinen Kommissionen wird voraussichtwären als andere Staaten. Nehmen wir fen? Welches Bild der Armee soll der Be- lich eine Diskussion führen. Jede grundleFrankreich mit seinen zentralistischen völkerung mit diesem möglichen Einsatz gende Anpassung wäre aber nur mittel- bis
langfristig möglich. Bei der Armee kann
Strukturen: Auch dort ist nach den At- vermittelt werden?
Es geht nicht primär darum, ein Bild zu sich die Bestandesproblematik akzentuietentaten nicht alles fehlerfrei abgelaufen.
Aber wir wollen weiter üben, wir sind vermitteln, sondern die Armee muss in ren. Ich stelle nicht den Zivildienst als solaktuell daran, die Themen für die nächs- erster Linie die Aufgaben erfüllen, die im chen in Frage, aber für mich ist der Zivilten Übungen zu fixieren. Das kann zum Interesse des Landes und der Bevölkerung dienst für Personen vorbehalten, die echBeispiel ein terroristischer Angriff sein, sind und die ihr von den politischen Be- te Gewissensprobleme mit dem Militärkombiniert mit einem grossflächigen hörden zugewiesen werden. Wenn die Ar- dienst haben. Ich anerkenne ausdrücklich
solche Gründe. Aber dann
Stromausfall. Wir üben,
soll man einen Ersatzdienst
um zu erkennen, ob die
Führung funktioniert.
von vollen 18 Monaten leis«Ich führe viele Gespräche, auch um
Wenn nicht, wollen wir
ten, und zwar in jedem Fall,
die Ansichten zu Vorgehen
die Lehren daraus ziehen
auch wenn man bereits eiund besser werden.
nen Teil des Militärdienstes
und Umsetzung der WEA und zu weiteren
geleistet hat. Das ist derzeit
Die Armee hat ein Leisnicht das Gesetz, wohl aber
Herausforderungen kennen zu lernen.»
tungsprofil. Gibt es das
meine Meinung.
auch auf Stufe Department oder anders gefragt: Gibt es ein mee eingesetzt wird, dann muss sie die Zum Schluss noch eine praktische, feldLeistungsprofil Ihres Departementes – Aufträge effizient erfüllen können, sie taugliche Frage, Herr Bundesrat. Wie spüdamit meine ich alle Bereiche mit Aus- muss stabilisierend wirken und eine wirk- ren die Kader – aber auch die Angehörinahme des Bundesamtes für Sport – ins- same Unterstützung bieten. Die Aufga- gen der Armee – ihren neuen politischen
besondere auch im Hinblick auf die kom- ben müssen der Armee entsprechen. Ich Chef? Sehen Sie vor, die Truppe oft zu bemenden Herausforderungen der Migra- glaube «schützen» gehört immer dazu, suchen und damit den persönlichen Kon«helfen» hängt von der konkreten Situa- takt zu pflegen oder haben Sie andere
tion?
Ja, ich meine wir haben zumindest tion ab, aber persönlich verstehe ich un- Ideen, um Ihre Armee kennen zu lernen?
Am WEF habe ich die Soldaten vor
implizit ein Leistungsprofil des Depar- ter «helfen» nicht, dass Soldaten Tee austements. Das BABS hat unvermeidliche, schenken; das könnte eher z.B. der Zivil- Ort besucht und mit ihnen gesprochen.
klare Abhängigkeiten zur Armee. Aber schutz tun. Die Armee kann dem GWK Ich habe an diversen Rapporten teilgeauch im Bereich von Beschaffungen, von helfen, um an der Grenze dafür besorgt nommen und bei diesen Gelegenheiten
Ressourcen allgemein versuchen wir im- zu sein, dass sie Personen, welche die meine Positionen vorgestellt. Ich habe
mer möglichst viel Synergien nutzen zu Grenze heimlich überschreiten, anhält sehr viel Kontakt mit Kadern, aber biskönnen. Auch hier, was kann man ko- und an Orte geleitet, wo sie vom GWK lang weniger mit den Soldaten direkt. Ich
ordinieren, welche Abläufe im Depar- registriert werden. Das ist eine Aufgabe, führe viele Gespräche, auch um die Antement optimieren, das sind Fragen die die man der Armee als echte Unterstüt- sichten zu Vorgehen und Umsetzung der
WEA und zu weiteren Herausforderunwir uns immer stellen bei grossen Projek- zungsleistung zuweisen kann.
gen kennen zu lernen. Ich werde aber
ten. Die Koordination findet im Generalsekretariat statt, wo auch ein ent- Jedes Jahr verliert die Armee gegen 6000 nicht jede Woche Truppenbesuche masprechendes Reporting institutionalisiert Angehörige, weil sie den Zivildienst dem chen können, weil mir die Zeit dazu
ist. Wenn man den Überblick behalten Militärdienst vorziehen. Eine Gewissens- schlicht fehlt und weil die grossen Doswill, muss man diese Abläufe sehr eng prüfung ist heute faktisch inexistent. An siers im Moment meine ganze Aufmerkverfolgen. Auch die Armee muss ihre Leis- Orientierungstagen sagen Referenten den samkeit benötigen. Ich werde aber sicher
tungen laufend analysieren und über- jungen Stellungspflichtigen sogar, man im Rahmen von Übungen und besondeprüfen. Dies auch im Hinblick auf mög- könne wählen zwischen Militär/Bevöl- ren Anlässen die Truppe besuchen, um
liche Unterstützungsleistungen zuguns- kerungsschutz und Zivildienst. Was sind mir ein Bild vor Ort im Gelände machen
ten der Kantone im Fall der Migrations- Ihre Erwartungen oder Vorstellungen an zu können.
problematik. Praktisch gesprochen, wenn das künftige Dienstpflichtsystem? Was für
ich 500, 1000 oder mehr Soldaten ein- Resultate erwarten Sie aus den Arbeiten Herr Bundesrat Parmelin, im Namen der
setzen muss, woher kommen sie, wie wer- der entsprechenden Studiengruppe?
Leserinnen und Leser der ASMZ danke
Die Studiengruppe wird eine breite und ich Ihnen herzlich, dass Sie sich für dieses
den sie aufgeboten, ausgerüstet und in
den Einsatz gebracht. Es gibt keine Lö- gut fundierte Auslegeordnung vorlegen, Interview Zeit genommen haben und ich
sungen, bei denen man einfach auf den das wird ihre wichtigste Aufgabe sein. Sie wünsche Ihnen in Ihrem Amt weiterhin
Knopf drücken kann. Die Leistungsbe- wird auch einen Vorschlag machen, die- alles Gute, spannende Herausforderungen
reitschaft muss dauernd überprüft und ser dient aber in erster Line wohl dazu, und auch die nötige Portion Glück bei
eine öffentliche Diskussion auszulösen. Ihren Entscheiden.
■
optimiert werden.
Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 05/2016
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Sicherheitspolitik
Cyber: Wäre es nicht endlich Zeit,
dass ...?
Cyber? Der Begriff ist in aller Munde. Zu Recht, denn jeden Tag werden
neue Angriffsbeispiele bekannt. Jetzt geht es aber nicht mehr um
einfache Informatiksicherheit, sondern um eine dringend gewordene
sicherheitspolitische Herausforderung.
Andreas Bölsterli, Chefredaktor
Die Zeit, in der es sich bei obiger Frage
einfach um einen «Hype» handelt, ist definitiv vorbei. Welches ist aber nun die richtige Marschrichtung, um dieser Herausforderung die Stirn bieten zu können?
Das Cyber-Risiko und seine Trends
Im Bericht «The Global Risks Report
2016» des World Economic Forums werden die Kosten der Cyber-Kriminalität
im Jahr 2014 vorgestellt: 445 Milliarden
US$, … beinahe 1% des Bruttoinlandsproduktes (BIP) aller Nationen zusammen! Wenn diese Tatsache uns nicht wachrüttelt, was braucht es denn dann? Stellen
wir uns drei Fragen:
• Wer ist betroffen und wer bezahlt? Wir
alle! Dafür gibt es unzählige Beispiele:
Missbrauch von Bankkonten, böswillige Verschlüsselung der Daten einer Firma mit einer sogenannten Ransomware,
Veröffentlichung von gehackten Daten,
etc.; Die Liste ist unendlich. Ihre Firma
wurde noch nicht angegriffen? Wahrscheinlich wissen sie es ganz einfach
noch nicht …!
• Wieso ist es überhaupt möglich? Weil
es gemäss den Spezialisten rentabel, einfach und gefahrenlos für den Angreifer
ist! Zudem sind heute fast alle Bereiche
des täglichen Lebens mit nur schwach
gesicherten IKT-Technologien durchdrungen. Und mit dem «Internet of
Things» wird es nicht einfacher, wenn
wir mit Milliarden leicht angreifbarer
und vernetzter Objekte konfrontiert
werden!
• Kann es schlimmer werden? Ja! Und
der «Point of no Return» wurde längstens überschritten, weil es eine Gesellschaft ohne IKT nie mehr geben wird.
Und der Cyber-Raum ist vom Strom
abhängig, einer Ressource, welche selber auf viele Bedrohungsformen (inkl.
8
Cyber) anfällig ist. Was würde ein verlängerter Stromausfall bedeuten?
In den Medien geht es mehrheitlich
um Kriminalität, Vandalismus und Spionage. Die Entwicklung zeigt jedoch, dass
der Cyber-Raum zusätzlich zu den oben
geschilderten Problemen auch für terroristische und kriegerische Zwecke ein
durchaus lohnendes Instrument geworden ist. Die jüngsten Vorfälle zeigen sogar, dass die Anwendungsbarrieren, die-
«Ihre Firma wurde noch nicht
angegriffen? Wahrscheinlich
wissen sie es ganz einfach
noch nicht …!»
sen Raum als Mittel der Kriegführung
zu verwenden, verschwinden. Die Frage
eines wirklich schwerwiegenden Angriffs
lautet daher nicht «ob», sondern «wann».
Die neue Bedeutung
des Begriffs «Verteidigung»
Wie die letzten Jahre weltweit gezeigt
haben, ist der Krieg – leider – weder im
Mai 1945 noch nach dem Zerfall der Berliner Mauer ausgestorben! Ganz im Gegenteil; Neben den bisherigen Mitteln wie
Panzern und Kampfflugzeugen haben die
neuesten technologischen und taktischen
Entwicklungen weitere Elemente ins Spiel
gebracht. Wörter wie «hybrid» oder «cyber» zeugen davon. So können zum Beispiel Angriffe gegen den Cyber-Raum 1
und somit gegen die damit verbundenen
Prozesse in Wirtschaft und Gesellschaft
enormen Schaden verursachen.
Sollen wir hier auch von einem Verteidigungsfall sprechen? Ja, wegen der neuen
Definition des Begriffes «Verteidigung»
Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 05/2016
des Bundesrates: Ein «Verteidigungsfall»
ist dann gegeben, wenn die folgenden Argumente kumuliert zutreffen: a) konkrete Bedrohung der territorialen Integrität,
der gesamten Bevölkerung oder der Ausübung der Staatsgewalt; b) zeitlich anhaltende Bedrohung, die über eine punktuelle zeitliche Bedrohung hinausgeht; c) landesweite Bedrohung, die über eine örtliche oder regionale Bedrohungslage hinausgeht; d) Bedrohung, die eine solche Intensität erreicht, dass sie nur mit militärischen
Mitteln bekämpft werden kann. Somit
ist klar, dass ein grossangelegter CyberAngriff gegen die Schweiz rasch zu einer
«verteidigungsrelevanten Lage» eskalieren
könnte.
Welche strategische Ausrichtung
ist für die Schweiz angebracht?
Unsere Gesellschaft profitiert sehr von
den Fortschritten des Cyber-Raumes. Eine
Option «zurück ins Mittelalter» wäre, rein
aus wirtschaftlicher Sicht, ein Suizid! Damit aber unsere Gesellschaft und Wirtschaft nicht handlungsunfähig gemacht
wird, sind wir gezwungen, eine sichere,
vertrauenswürdige und resiliente CyberPlattform zu etablieren. Denn ohne sichere Nutzungsmöglichkeit des Cyber-Raumes würde es keine Schweiz mehr geben.
Eine cyber-sichere Nation zu sein, wie
es die Nationale Cyber-Strategie (NCS)
fordert, ist zwar ein Muss, doch zuerst ist
der gesellschaftliche Endzustand zu definieren. Dass heisst, vor der Erarbeitung
der NCS braucht es Antworten auf die
zwei Fragen, wie die strategische Ausrichtung des Landes in den Bereichen Industrie und Wirtschaft und wie eine dazugehörende Bildungs-, Forschungs- und Innovationsstrategie aussehen sollen. Denn
ohne Köpfe, deren Ideen und Prozesse
kommen wir nicht weiter – es geht hier
um die Souveränität und Zukunft des
Landes.
Sicherheitspolitik
The Internet of Things.
Welche «Instrumente»
braucht die Schweiz?
• Staatliche Governance: Wer Anschluss
zum Meer hat, braucht ein Marine-Ministerium! Wer versteht, dass der CyberRaum ein ähnliches Beispiel darstellt,
sieht sofort, dass der Staat seine Souveränität mittels einer entsprechenden
«Organisation für Digitale Affären» auf
strategischer Ebene ausüben muss. Ob
diese Organisation «Bundesamt für…»
oder «Staatssekretariat für …» heissen
soll, ist zum heutigen Zeitpunkt noch
nebensächlich. Sicher ist, dass wir uns
selber um unsere Governance, unsere
Standards, usw. kümmern müssen. Darüber entscheiden heute Dritte und wir
erleben im Bereich Cyber den massivsten Souveränitätsverlust unserer Geschichte;
• Effektive Kompetenzen: Wie viele Mittel braucht es, um die Gesellschaft auf
die Cyber-Herausforderungen vorzubereiten? Um diese Frage zu beantworten,
muss berücksichtigt werden, dass die
Schweiz die 19. Wirtschaftsmacht der
Welt ist, die über 580 000 Firmen
«hostet», welche wiederum 5 Millionen Arbeitsplätze offerieren, dass unser Kleinparadies über eine sehr dichte
Infrastruktur verfügt, welche fast vollständig von IKT abhängig ist. Der Bedarf an verantwortungsvollen Sicherheitsinvestitionen ist naheliegend. Der
heutige Zustand dagegen, bei dem wenige Dutzende Spezialisten in mehreren
kleinen Einheiten über die ganzen Bundesverwaltung verteilt sind, ist nicht
zielführend. Jeder sorgt für die eigene
Grundsicherheit und verriegelt seine
Haustür, aber bei besonderen Ereignissen, die ausserhalb unsere GrundKompetenzen und -Kapazitäten liegen,
kommt die Polizei, Feuerwehr, usw.
Das Gleiche gilt für die Cyber-Sicherheit; die Grundversorgung obliegt jedem und jeder, aber darüber hinaus
braucht es auf taktischer und technischer
Ebene ein «Digitales-Sicherheitslabor»
(D-Labor). Dieses D-Labor soll die
Anstrengungen koordinieren und zu
Händen der Schweiz eine Kompetenzplattform in der Form eines effizienten
PPP (Private Public Partnership) aufbauen;
• Wirksame Cyber-Verteidigung: Die
heutige zivile Organisation reicht kaum
für die heutigen kleinen Vorfälle aus 2.
Für die gefährlichste Lageentwicklung
ist sie überhaupt nicht gewappnet und
somit für die Verteidigung des Landes
völlig untauglich. Doch über die Kompetenzen und Fähigkeit zu verfügen, solche Aufgeben bewältigen zu können,
ist zwingend. Denn wie die Diskussion
zum Begriff «Verteidigung» zeigt, könnte sich die Schweiz extrem rasch in einer
schwerwiegenden Lage befinden. Jetzt
geht es einfach darum, der Armee klare
Bild: Microsoft Venture, June 2014
Aufgaben und Mittel zuzuweisen und
im Extremfall die Möglichkeit zu geben, die Mittel des D-Labors sowie ein
starkes Milizsystem zu mobilisieren.
Wie weiter?
Die WEA, die Entwicklung der globalen Sicherheitslage im Allgemeinen und
die des Cyber-Raumes im Speziellen, die
wirtschaftlichen Bedürfnisse und Opportunitäten sowie die Überarbeitung der
NCS und des SIPOL B 2016 stellen eine
Reihe von guten Gelegenheiten dar, um
das Thema Cyber endlich auf der richtigen Flughöhe zu behandeln.
Heute ist die Investition in die CyberVerteidigung des Landes zwingend. Das Argument der knappen Ressourcen, um damit die mangelnden materiellen und personellen Investitionen zu legitimieren (und
sich so mit dem heutigen Dispositiv zufrieden zu erklären) ist unzulässig und nicht
zu verantworten. Es ist zu hoffen, dass der
neue Chef VBS die Cyber-Herausforderung ernst nimmt und die Bereitstellung
der nötigen Instrumente möglichst rasch
einleitet.
■
1 Solche Angriffe können nicht mit dem Radar
entdeckt werden, erfolgen ohne Vorwarnzeit und
in den meisten Fällen weiss man nicht einmal,
wer die Täterschaft war.
2 Die Prozesse sind aber, beinahe vier Jahre nach
der Veröffentlichung der NCS, noch nicht definiert und nicht trainiert.
Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 05/2016
9
Sicherheitspolitik
Offene Grenzen in Europa und ihre Folgen
Selten wurden in der Europäischen Union Verträge, Regeln und Gesetze
so missachtet wie in den vergangenen acht Monaten. Es lässt sich
nicht bestreiten, dass vor allem die deutsche Bundeskanzlerin mit ihrer
weltweit gehörten «Willkommensadresse» vom 4. September 2015
an die zahlreichen Migranten und mit ihrer Politik der offenen Grenzen
nicht nur geltendes europäisches und deutsches Recht de facto ausser
Kraft gesetzt hat.
Walter Schilling
Mit ihrem eigenmächtigen Vorgehen
hat sie auch zentrale Prinzipien der Sicherheit und der Zugangskontrolle aufgegeben und ihrem eigenen Land sowie
den europäischen Partnerstaaten schweren
Schaden zugefügt. Allein im Jahre 2015
wurden fast 1,5 Millionen Menschen von
gut organisierten kriminellen Schlepperbanden über das Mittelmeer und über
die Balkan-Route nach Deutschland, aber
auch in andere europäische Länder geschleust und ein grosser Teil davon – etwa
300 000 – von den deutschen Sicherheitsbehörden überhaupt nicht registriert. In
ganz Europa wird die Zahl nicht-registrierter Zuwanderer auf 1,6 Millionen geschätzt. Niemand weiss genau, wer diese
Menschen sind und wo sie sich aufhalten.
Und dieser Migrantenstrom wird sich in
den nächsten Jahren fortsetzen. Mit ihm
kommen nachweislich auch zahlreiche
Kämpfer der Terrormiliz IS (Islamischer
Staat) nach Europa, die zum Teil mit
erbeuteten syrischen Pässen ausgestattet
sind und die offenen Grenzen mühelos
passieren.
Die Versuche der europäischen Regierungen, durch Absprachen mit einigen
afrikanischen Ländern und der Türkei
den Migrantenstrom zu reduzieren, sind
bislang erfolglos geblieben. Ebenso wenig
gelang es, die Verteilung der Zuwanderer
auf die 28 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union durchzusetzen. Sie wird
auch künftig nicht zustande kommen.
Die meisten EU-Länder lehnen es ab,
Migranten aufzunehmen. Sie sehen zu
Recht ihre nationale Identität gefährdet.
Nahezu alle Staaten der Europäischen
Union haben die Grenz- und Passkontrollen wieder eingeführt und ihre nationalen Einwanderungsgesetze deutlich
verschärft. Dort aber, wo die Staaten ihre
genuine Rolle nicht mehr wahrnehmen,
10
nationale Grenzen offen lassen und eher
nach den Prinzipien eines Wohlfahrtsverbandes handeln – wie z.B. in Deutschland, werden sich die Zuwanderer konzentrieren. Doch ist kaum zu übersehen,
dass die problematische Vorgehensweise
der deutschen Bundesregierung in Berlin
insbesondere für die an den Hauptrouten der Migranten liegenden Partnerländer Deutschlands vielfältige negative
Auswirkungen haben. Und selbst Länder
Migranten am Wiener Westbahnhof.
Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 05/2016
ausserhalb der Europäischen Union, wie
z.B. die Schweiz, dürften durch die deutsche Politik der offenen Grenzen gefährdet sein.
Gefährdung der Sicherheit
und der inneren Stabilität
Entgegen dem wiederholt von der deutschen Bundeskanzlerin verkündeten Slogan «Wir schaffen das» können wir täglich beobachten, dass die EU-Staaten offensichtlich überfordert sind, den enor-
Sicherheitspolitik
men Zustrom von Migranten mit Blick
auf die Versorgung, die soziale Betreuung
und die Integration zu verkraften. Dieser
Erkenntnis wird sich am Ende auch die
politische Führung der Bundesrepublik
Deutschland beugen müssen. Renom-
«In einigen EU-Ländern
entsteht wegen
der offenen Grenzen und der
Aufnahme weitgehend
unqualifizierter Migranten ein
industrielles Proletariat.»
mierte Ökonomen haben schon mehrfach darauf hingewiesen, dass die mit der
unbegrenzten Zuwanderung zwangsläufig
verbundenen finanziellen Lasten nicht zu
tragen sind und dazu führen, die soziale
Sicherheit zu gefährden.
Darüber hinaus wird mit der in einigen EU-Ländern – wie z.B. in Deutsch-
land – praktizierten Politik der offenen
Grenzen und der massenhaften Aufnahme weitgehend unqualifizierter Migranten ein industrielles Proletariat von zumeist jungen Menschen entstehen, für die
es angesichts der hohen Arbeitslosenquoten in Europa und der auf uns zukommenden Weltwirtschaftskrise keine Beschäftigung geben wird. Dies dürfte die
Brisanz der Konflikte einmal mehr verschärfen. Dabei ist es nicht nur die grosse Zahl der Menschen, die nach Europa
kommen und künftig dort leben wollen.
Vielmehr liegt ein weiteres gravierendes
Problem darin, dass der Grossteil der Migranten Muslime sind, die ihre religiösen
Überzeugungen, ihre damit eng verknüpften Traditionen und Lebensauffassungen
nicht ablegen werden, sondern ausserhalb
der in den EU-Staaten geltenden Verfassungen die schon bestehenden «Parallelgesellschaften» vergrössern werden.
Parallelgesellschaften
Bereits vor dem Einsetzen des gigantischen Zustroms von muslimischen Migranten nach Europa konnten wir die charakteristischen Probleme der «Parallelgesellschaften» in einzelnen europäischen
Ländern studieren. Man hat diese Entwicklung vor allem in Deutschland und
Frankreich weitgehend dem Selbstlauf
überlassen und muss nun erkennen, dass
es von Tag zu Tag schwieriger wird, eine
Lösung zu finden. Die dank der Politik
der deutschen Bundesregierung in Berlin
seit dem Herbst vergangenen Jahres offen gehaltenen Grenzen haben wesentlich dazu beigetragen, die innere Stabilität der betroffenen Gesellschaften zu gefährden. Zunehmende innergesellschaftliche Konflikte kennzeichnen die Szenerie. Es entstehen immer mehr «No-GoAreas» insbesondere in den städtischen
Ballungszentren, in die sich selbst die Polizei nicht so ohne weiteres hineintrauen
kann. Sie entwickeln sich immer stärker
zu «rechtsfreien Räumen», in denen die
Migranten nach ihren eigenen Regeln leben. Und an den dramatischen Ereignissen
im Zuge der Silvesternacht in Köln, Hamburg, Frankfurt, Düsseldorf und Stuttgart,
wo sich grosse Gruppen aus Nordafrika
und dem Nahen Osten stammende Migranten zusammenrotteten und schwere
Straftaten – von Raub bis zur Vergewaltigung – begangen haben, konnten wir ablesen, wie weit die Folgen offener Grenzen mittlerweile reichen. Dabei erweist es
sich als ein besonderes Problem, den Ab-
Grenze Griechenland zu Mazedonien.
lauf des Geschehens und dessen spezifische Hintergründe sachlich korrekt zu
beschreiben. Angesichts der in den deutschen Medien sowie bei den Repräsentanten einiger gesellschaftlicher Gruppen
und politischer Parteien vorherrschenden
Neigung, kritische Anmerkungen zur Po-
«Die offen gehaltenen
Grenzen tragen dazu bei,
die innere Stabilität der
betroffenen Gesellschaften
zu gefährden. Zunehmende
innergesellschaftliche
Konflikte sind die Folge.»
litik der offenen Grenzen und zur Migrantenfrage rasch zu verurteilen, ist die Angst
unter den Betroffenen vor Ort immer
noch gross, über das Geschehen wahrheitsgemäss und zeitnah zu berichten.
Zudem bilden die mit den Migranten vor
allem aus den nahöstlichen und afrikanischen Ländern kommenden zahlreichen
djihadistischen Kämpfer der Terrormiliz
IS eine ernste Gefahr für die Sicherheit
Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 05/2016
11
Sicherheitspolitik
der europäischen Staaten. Sie bewegen sich
dank der trotz des Trends mancher Staaten
zu häufigeren Pass-Kontrollen weitgehend
offenen Grenzen frei durch Europa und
sind ausserordentlich schwer zu identifizieren, wenn nicht das Glück oder der
Zufall zu Hilfe kommt. Die brutalen Terroranschläge von Islamisten des IS in Paris und in Brüssel sowie die wiederholt
erkannten Spuren zahlreicher weiterer
Djihadisten, die sich mit den zunehmend
chaotisch verlaufenden Migrantenströmen nach Europa begeben haben, belegen eindeutig, wie verwundbar die Europäische Union und wie gefährdet die Bevölkerung in den einzelnen Ländern ist.
Grenzschutz als Lösung?
Die von einigen EU-Ländern vertretene Politik der offenen Grenzen und die
ohne Not geschaffenen chaotischen Verhältnisse werden dazu führen, dass dem
Staatenverbund die Möglichkeiten entgleiten, das eigene Schicksal im nächsten
Jahrzehnt noch selbst zu bestimmen. Die
ausserordentlich riskante Strategie der Europäischen Union, die islamische Türkei
als Bollwerk gegen den Migrantenstrom
zu nutzen, um die Anzahl der Migranten
zu reduzieren, dürfte scheitern. Mit Blick
auf die wachsende Erkenntnis in Deutschland, dass die Politik der offenen Grenzen
enorme Gefahren für die Sicherheit und
die innere Stabilität mit sich bringen wird,
hat man sich in die Abhängigkeit des
nicht-demokratischen Erdogan-Regimes
begeben, ohne zu wissen, wie man aus
dieser prekären Situation wieder herauskommt.
Zudem deutet alles darauf hin, dass auch
die Absicht der EU-Kommission, einen
neuen Grenzschutz an den immer noch
durchlässigen Aussengrenzen der EU mit
«Die einzelnen EU-Länder
werden zunehmend
die Sicherheit in ihre eigene
Hand nehmen, um die
schwerwiegenden Folgen
der Politik offener Grenzen
zu konterkarieren.»
elf Auffangzentren in Griechenland und
Italien aufzubauen, nicht die nötige Wirksamkeit entfalten wird. So ist die Forderung der meisten Regierungen in der Europäischen Union, dass die Staaten die
Hoheit über ihre nationalen Grenzen zurückerhalten müssen, nur konsequent.
Die einzelnen EU-Länder werden daher
zunehmend die Sicherheit in ihre eigene
Hand nehmen, um die schwerwiegenden
Folgen der Politik offener Grenzen zu kon-
Grenzzaun Ungarn-Serbien. Bilder: Wikipedia
terkarieren. Die damit verbundenen tiefgreifenden Konflikte zwischen den Regierungen der europäischen Länder könnten
zusammen mit den ohnehin sehr stark
ausgeprägten Streitigkeiten auf anderen
wichtigen Feldern, z.B. im Rahmen der
höchst unterschiedlichen Vorgehensweisen zur Lösung der Staatsschuldenkrise,
dazu führen, dass die Europäische Union
schon recht bald zerbricht.
Was tun?
Realismus zwingt uns zu erkennen, dass
mit der nur vordergründig humanitär
erscheinenden Politik Deutschlands eine
gefährliche Entwicklung für ganz Europa
eingeleitet worden ist. In vielen Bereichen
der deutschen Gesellschaft fehlt die Bereitschaft, die damit verbundenen Folgen
zu sehen. Auch wird vielfach unterschätzt
oder gar geleugnet, wie bedeutsam die
Herrschaft des Rechts für die Sicherheit
und innere Stabilität der europäischen
Staaten ist. Es dürfte daher als erstes notwendig sein, dem von einigen Regierungen, gesellschaftlichen Gruppen und politischen Parteien ausgeübten Konformitätsdruck zu widerstehen und die mit der
Offenheit der Grenzen entstandenen Probleme klar anzusprechen. Zweitens muss
dem wichtigen Prinzip, Schaden von der
Bevölkerung abzuwenden und die Integrität der eigenen Gesellschaft nicht aufs
Spiel zu setzen, Vorrang eingeräumt werden. Daher wird man nicht umhin können, die Politik der offenen Grenzen zu
revidieren. Drittens wird es notwendig
sein, der ideologischen Legendenbildung
über die Ursachen und die Charakteristika der Migrationsbewegungen sowie des
Widerstands aus der Bevölkerung gegen
dieses Phänomen vor allem in den elektronischen Medien Deutschlands entschlossen entgegenzutreten. Viertens gilt es, die
Gesetzmässigkeit des politischen Handelns
einzufordern und die Herrschaft des Rechts
wiederherzustellen. Fünftens dürfte es unausweichlich sein, dass die einzelnen EUStaaten das Recht wieder in die eigene
Hand nehmen und nationale Massnahmen treffen müssen, um ihre vitalen Interessen zu wahren.
■
Oberst i Gst a D
Walter Schilling
Dr. phil.
Freier Publizist
I-39012 Meran (Bz)
12
Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 05/2016
Sicherheitspolitik
Israels Sicherheit –
aktuelle Bedrohungen und Trends
Die Sicherheitslage im Nahen Osten ist derzeit äusserst volatil. Der syrische
Bürgerkrieg hält die Region seit 2011 in Atem. Die Verstrickung von
regionalen und internationalen Akteuren führt zu einer schwer vorhersehbaren Dynamik. Israels Position im Nahen Osten ist daher durch eine
hohe Ungewissheit geprägt.
Marcel Serr
Die Schwächung der arabischen Nachbarstaaten Israels durch innere Konflikte
schuf ein Vakuum, das die nichtstaatlichen Akteure bereitwillig ausfüllen. Eine
Konsequenz dieses Prozesses ist die Verstärkung ethnischer und religiöser Identitäten auf Kosten des staatlich-nationalen Zugehörigkeitsgefühls. Die daraus
erwachsenden Bedrohungsszenarien für
Israel sind unübersichtlich. Auf der jährlichen Sicherheitskonferenz des israelischen Institute for National Security Studies (INSS) im Januar 2016 offenbarte
Israels Führung daher fundamental un-
terschiedliche Einschätzungen der gegenwärtigen Sicherheitsrisiken. Einigkeit
herrscht darüber, dass sich der Nahe Osten auch zukünftig unvorhersehbar verändern wird und dies Israel ein hohes
Mass an Flexibilität und Anpassungsvermögen abringen wird.
Die Hisbollah
und der syrische Bürgerkrieg
Gadi Eizenkot, der Stabschef der Israel
Defense Forces (IDF) sieht derzeit die
Hisbollah als die grösste Bedrohung. Die
schiitische Miliz ist tief im syrischen Bürgerkrieg verstrickt. Ganz im Sinne von
Menachem Begins Kommentar zum IrakIran-Krieg «Wir wünschen beiden Parteien Glück» ist der Konflikt zwischen dem
Assad-Block (unterstützt von der Hisbollah und dem Iran) und den Aufständischen (allen voran der IS) für Israel zwar
einerseits vorteilhaft, da er beide Parteien
bindet. Andererseits sammeln die Kämpfer wichtige Gefechtserfahrung, die sie
später auch gegen Israel einsetzen können. Mit Blick auf die Hisbollah besteht
zudem die Gefahr, dass sich die Orga-
Israels Marine wird zukünftig eine gewichtige Rolle im Schutz der Gasförderplattformen
zukommen.
Bild: IDF
Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 05/2016
13
Sicherheitspolitik
«Daesh [IS] ist bereits hier und beeinflusst die israelischen Araber.»
Israels Präsident Reuven Rivlin
auf der Sicherheitskonferenz des INSS
am 18. Januar 2016
«Die Bedrohung zu erkennen, ist die
eigentliche Herausforderung. Die Bedrohung ist alterslos und ohne Bindung an Organisationen. Wir haben
versucht es zu charakterisieren, aber
es gibt kein bestimmtes Alter, kein bestimmtes Geschlecht, keine bestimmte
Tageszeit. Jeder kann eine Bedrohung
darstellen.»
Oberstleutnant Nati Keren (34),
Kommandant des Duchifat Bataillons
(Kfir Brigade)
nisation aus dem Arsenal Assads bedient
und damit ihre militärischen Fähigkeiten deutlich ausweitet. «Wenn das passiert, handeln wir», machte Israels Verteidigungsminister Moshe Yaalon im Mai
2015 unmissverständlich klar. Tatsächlich
hat Israel bereits mehrfach mit Luftschlägen versucht, den Schmuggel von Waffen zu verhindern. Dennoch gelang es der
Hisbollah vermutlich, russische JachontCruise-Missiles einzuschleusen. Dies würde das Bedrohungspotenzial des Hisbollah-Raketenarsenals erheblich vergrössern.
Darüber hinaus stellen die Präsenz der
Hisbollah und der iranischen Revolutionsgarden an der Grenze zu Israel eine
akute Gefahr dar, die Jerusalem zu mehreren Luftangriffen veranlasste.
Die IDF gehen davon aus, dass die Hisbollah den Süd-Libanon in eine ausgeklügelte Kampfzone mit unterirdischen Gefechtsständen und Tunneln auf israelisches
Territorium ausgebaut hat. Ferner verfügt
die Terrororganisation über 100000 Kurzstreckenraketen und hunderte Raketen,
die ganz Israel erreichen können. Bei dem
nächsten Waffengang dürften auch die israelischen Gasförderplattformen im Mittelmeer ins Visier geraten, deren Schutz in
erster Linie in die Verantwortung der israelischen Marine fällt.
Der Islamische Staat
Mit dem IS ist Israel zudem eine neue
Bedrohung erwachsen. Israelische Analysten weisen darauf hin, dass es sich um eine
hybride Gruppierung handelt, die über
ein Territorium mit einer Bevölkerung
verfügt. Insofern liesse sich der IS einfacher bekämpfen als transnationale Terrororganisationen, die auf Zellenbasis und
ohne festes territoriales Refugium agieren.
Allerdings fällt die Ideologie des IS im islamistisch-sunnitischen Spektrum der Palästinenser bereits auf fruchtbaren Boden
und kann so eine ernsthafte Bedrohung
für Israel werden. Diese Gefahr betonte
Israels Präsident Reuven Rivlin in seiner
Rede auf der INSS-Konferenz: «Daesh [IS]
ist bereits hier und beeinflusst die israelischen Araber.»
Darüber hinaus besteht die akute Gefahr, dass der IS Jordanien destabilisieren
könnte. Bislang war das monarchische Regime in Amman ein Hort der Stabilität im
sogenannten Arabischen Frühling. Doch
die hunderttausenden Flüchtlinge aus Sy-
An der Grenze zum Gazastreifen: Anfang
Februar 2016 waren die IDF auf der Suche
nach neuen Tunneln der Hamas nach Israel.
Die Anwohner der Kibbuzim hatten nächtliche Bauarbeiten unter ihren Häusern
gemeldet.
Bild: Autor
Staatspräsident Reuven «Ruvi» Rivlin auf
der Sicherheitskonferenz des Institute for
National Security Studies (INSS) in Tel Aviv
im Januar 2016.
Bild: Autor
rien und dem Irak bringen Jordanien gegenwärtig an die Belastungsgrenze.
Im süd-syrischen Grenzgebiet operiert
die mit dem IS verbündete Jarmuk Märtyrer Brigade. Die rund 600 Kämpfer haben der Al-Nusra-Front schwer zugesetzt
und sich mittlerweile in Süd-Syrien etabliert. Die IDF rechnen damit, dass die
Miliz früher oder später auch Israel und
Jordanien ins Visier nehmen wird.
Auch das IS-Franchise auf der Sinaihalbinsel, Wilayat Sinai, das Kairo massiv
unter Druck setzt, könnte sich als sicherheitspolitisches Problem erweisen. Die
IDF gehen davon aus, dass sich die Gruppe auch Israel zuwenden wird. Zumal
IS-Führer Abu Bakr al-Baghdadi im Dezember 2015 Israel explizit gedroht hatte:
«Palästina wird nicht euer Land oder euer
Zuhause sein. […] Es wird euer Grab
sein.»
Die Hamas im Gazastreifen
Derzeit ist die Gaza-Front aussergewöhnlich ruhig. In 2015 kam es zu 44 Angriffen (davon 25 Raketen) auf Israel aus
dem Gazastreifen. Dabei kam es zu keinen Opfern auf israelischer Seite. Damit
war 2015 das «friedlichste» Jahr an der
Gaza-Front seit 2005.
Dennoch stellt die Hamas weiterhin
eine akute Bedrohung dar. Die Terrororganisation ging zwar geschwächt aus dem
letzten Konflikt mit Israel hervor. Denn
in der letzten Phase der israelischen Operation Protective Edge im Sommer 2014
gelang es Israels Luftwaffe, ranghohe Hamas-Funktionäre zu neutralisieren. Doch
die Hamas hatte ebenfalls Erfolge zu ver-
14
Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 05/2016
Sicherheitspolitik
buchen: Insbesondere die Infiltrationstunnel hatten eine erhebliche psychologische Wirkung. Mittlerweile arbeitet die
Hamas wieder intensiv am Wiederaufbau
des Tunnelnetzwerks. Die Anwohner der
an den Gazastreifen grenzenden Kibbuzim meldeten bereits nächtliche Klopfgeräusche im Untergrund an die israelischen Sicherheitsbehörden. Ein Besuch an
der Grenze im Februar 2016 zeigt, dass
die IDF mit Bohrvorrichtungen die Suche
nach den Tunneln aufgenommen haben.
Die nächste Eskalation am Gazastreifen
ist daher nur eine Frage der Zeit.
Lone-Wolf-Terrorismus in Israel
In 2015 verstärkten sich die Sicherheitsprobleme im Westjordanland und Jerusalem erheblich. Seit September kommt es
beinahe täglich zu Attentaten mit Messern, Schusswaffen und Autos auf Israelis.
Zwischen dem 13.09.2015 und 20.01.
2016 wurden in 170 Terroranschlägen 29
Strassenkämpfe zwischen Steine werfenden,
arabischen Jugendlichen und der IDF sind
zu einem alltäglichen Phänomen in OstJerusalem und der West Bank geworden.
Bild: Rosalie Niehaus
Israelis getötet (25 davon Zivilisten) und
289 verwundet. Die Attentate konzentrieren sich auf Gush Etzion, Hebron und Jerusalem. Bemerkenswert ist die Tatsache,
dass es sich fast ausschliesslich um Einzeltäter handelt, die sich kaum in ein einheitliches Profil bringen lassen. «Die Bedrohung zu erkennen, ist die eigentliche Herausforderung. Sie ist alterslos und
ohne Bindung an Organisationen. Wir
haben versucht es zu charakterisieren, aber
es gibt kein bestimmtes Alter, kein bestimmtes Geschlecht, keine bestimmte Tageszeit. Jeder kann eine Bedrohung darstellen», so Oberstleutnant Nati Keren
(34), Kommandant des Duchifat Bataillons, das derzeit in der West Bank stationiert ist. Gadi Eisenkot sprach von einer
«Intifada der Einzeltäter». Die israelischen
Sicherheitskräfte haben daher grosse Probleme, die Kontrolle zu behalten. Bislang
zeichnet sich noch keine Entspannung
der Lage ab (Stand: Ende Februar 2016).
Insbesondere zu den hohen jüdischen
Feiertagen (wie Pessah Ende März 2016),
wenn v.a. Jerusalem voll mit jüdischen Pilgern ist, ist zu erwarten, dass die Situation
weiter eskaliert.
Die staatliche Ausnahme:
der Iran
Teheran stellt derzeit die grösste staatliche Bedrohung für Israel dar. Das Regime unterstützt nicht nur massgeblich
Syriens Assad, die Hamas und Hisbollah,
sondern stellt mit seinem Atomprogramm
auch ein potenziell existenzgefährdendes
Risiko für Israel dar. Mit dem erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen und
dem Ende der Sanktionen im Januar 2016
werden dem Iran wieder erhebliche finanzielle Mittel zufliessen, die Teheran
zur Aufrüstung und Unterstützung seiner Verbündeten nutzen wird. Ein Vorgeschmack dessen war bereits Ende Februar
2016 zu spüren: Öffentlichkeitswirksam
liess Teheran verlauten, die Familien von
getöteten Palästinensern der derzeitigen
«Jerusalem Intifada» mit 7000 US-Dollar
zu unterstützen.
Das Appeasement gegenüber Teheran
hat auch eine regionale Dimension: Es besteht die Gefahr eines Rüstungswettlaufs
am Golf. Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate gelten schon jetzt
als die grössten Waffenimporteure. Israel
muss daher auf der Hut sein, im regionalen Kräftegleichgewicht nicht ins Hintertreffen zu geraten. Dennoch: Nichtstaatliche Gewaltakteure bleiben gegenwärtig
Israels primäre Sicherheitsbedrohung in
direkter Nachbarschaft bzw. in der eigenen Mitte.
■
Marcel Serr
Magister Artium
IL-Jerusalem/Israel
Das Wort des CdA
Geschätzte Leserinnen
und Leser der ASMZ,
geschätzte Kameraden
Wir haben gemeinsam
ein intensives erstes
Quartal 2016 hinter
uns. Besonders erfreulich war dabei die deutliche Zustimmung
des Parlamentes zur WEA und zum Finanzrahmen.
Bereits vor einiger Zeit zeichnete sich ab,
dass dieser Moment ideal sein würde,
um die Nachfolgeplanung für die künftige Armeeführung anzustossen. Die Planung der WEA ist abgeschlossen, die
Umsetzung kann an die Hand genommen werden.
Top-down beginnend, kann nun auf
01.01.2017 ein neuer CdA bestimmt
werden, bevor dann die weiteren Führungsfunktionen besetzt werden. Obwohl es noch fast ein Jahr dauert, bis ich
die Uniform ausziehen werde, möchte
ich Ihnen trotzdem an dieser Stelle bereits meinen persönlichen Dank für die
Zusammenarbeit aussprechen. Zu den
Höhepunkten als Chef der Armee gehört
zweifellos der Bezug und die Zusammenarbeit mit der Miliz. Sie als Kader unserer Armee und ganz speziell auch als
Mitglieder in den Offiziers- und Unteroffiziersgesellschaften haben dies in ganz
grossem Masse ermöglicht und damit in
vielen Bereichen zum wesentlichen Erfolg beigetragen. Sogar Misserfolge haben wir gemeinsam getragen. Beispielsweise beim Flugzeug.
Vor allem hatten wir aber Erfolge zu feiern. Immer dort, wo wir gemeinsam geschlossene Reihen erreicht haben. Und
diese sind auch künftig dringend nötig.
Weil mögliche Einsätze nach wie vor
näher rücken und wir vielleicht bald die
zivilen Behörden in verschiedenen Bereichen unterstützen müssen. Wenn dann
WKs verschoben oder – sofern die Anzahl Soldaten nicht ausreicht – sogar zusätzliche Bataillone aufgeboten werden
müssen, dann haben wir dies gemeinsam zu erklären. Den Soldaten, den Familien, den Arbeitgebern und unseren
Mitbürgern. Damit diejenigen, welche
ihre Bürgerpflicht erfüllen, deutlich merken, dass sie unterstützt werden. Dafür
braucht es uns alle. Und auch dafür danke ich Ihnen.
Korpskommandant André Blattmann
Chef der Armee
Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 05/2016
15
Sicherheitspolitik
Überlegungen zur Struktur des
Deutschen Heeres: Ausgangslage (1/2)
Mit grossem Interesse konnte man vor zwei Jahren die anspruchsvollen Ankündigungen von Ursula von der Leyen, Joachim Gauck und
Frank-Walter Steinmeier hören, dass Deutschland mehr sicherheitspolitische Verantwortung übernehmen solle.
Neben anderen Möglichkeiten der
Wahrnehmung von sicherheitspolitischer
Verantwortung wurde dabei die militärische ausdrücklich erwähnt. Da die Kanzlerin die Richtlinien der Politik bestimmt,
ist anzunehmen, dass diese Äusserungen
mit dem Kanzleramt abgestimmt waren.
Wie steht es also um die Fähigkeit des
Deutschen Heeres, einen nennenswerten
Beitrag im Rahmen der Bündnissolidarität zu leisten, wenn dies an der Ostgrenze des Bündnisgebiets notwendig werden sollte? Wie viele Divisionen könnte
Deutschland heute zur Bündnisverteidigung beisteuern oder als voll funktionsfähig ins Dispositiv der konventionellen Abschreckung einbringen? Hat die
Glaubwürdigkeit dieser Abschreckung in
der Ukrainekrise versagt? Glauben unsere Partner an der Ostgrenze des Bündnisses an einen wirksamen Beitrag Deutschlands zur Verteidigung des Bündnisgebiets?
Vor dieser Frage leuchtet im historischen Hintergrund das Modell der Vorneverteidigung auf, die sogenannte «Schichttorte». Hier standen an der innerdeutschen
Grenze neben drei deutschen Korps von
Norden nach Süden verbündete Korps
und Divisionen Schulter an Schulter.
ist auch die Schwelle zum Einsatz von
Atomwaffen an sich niedriger. Atomwaffen sind aber eher ein politisches Mittel
der Abschreckung, deren tatsächlicher Einsatz auf allen Seiten nicht gewollt ist. Die
entstehende Lücke ist ein sicherheitspolitisches Risiko.
Die Übernahme von mehr Verantwortung bedeutet im militärischen Aufgabenfeld folglich, einen wesentlichen Beitrag
zur Abschreckung im Rahmen der Bündnisverteidigung zu leisten.
Da Deutschland keine Atommacht ist
und auch nicht sein will, besteht unser
Beitrag daher ausschliesslich in der Bereitstellung konventioneller Streitkräfte, vor
allem von Landstreitkräften.
Die Lehren aus der Geschichte bis 1990
zeigen, dass im Westen Deutschlands zur
Verteidigung der Bundesrepublik mit der
sogenannten «Schichttorte» das Mass an
konventionellen Kräften bereit stand,
das nötig war, um das überlegene kon-
Die Friedensdividende
steuert die Bündnisbeiträge
Streitkräfte sind unverändert das äusserste Mittel, das die Politik einsetzen
Vorneverteidigung «Schichttorte».
Beitrag
zur Abschreckungsstrategie
Die Abschreckungsstrategie des Bündnisses besteht neben der grundsätzlichen
politischen Gesprächsbereitschaft im militärischen Teil noch immer aus dem atomaren und dem konventionellen Pfeiler
sowie der Eskalation, die beide verbindet.
Dabei gilt die Gesetzmässigkeit, dass die
Schwelle zum Einsatz atomarer Waffen
dann hoch ist, wenn die konventionellen
Fähigkeiten ausreichend hoch sind.1 Sind
letztere, wie heutzutage, nicht ausreichend,
16
ventionelle Potential des damaligen Warschauer Paktes ausreichend auszugleichen.
Deutschland profitierte von der Bündnissolidarität seiner Verbündeten, die von der
Präsenz konventioneller Kräfte im Inland
bis hin zur Einbeziehung der jeweiligen Territorien in die atomare Eskalation
reichte. Diese Beiträge und deren Umfang,
auch der damalige Umfang der Bundeswehr sind aus der Vergangenheit bekannt.
Der Warschauer Pakt ist mittlerweile
Geschichte. Wenn eine militärische Bedrohung in Europa überhaupt erkennbar
ist, so besteht sie in der seit Jahren betriebenen, aber unterschätzten Aufrüstung
Russlands. Unsere osteuropäischen Partner fühlen sich mit Blick auf ihre historischen Erfahrungen bedroht. Die Ukrainekrise hat sie in ihrer Gefühlslage bestätigt.
Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 05/2016
Bild: wikipedia
Wolfgang Kopp
Sicherheitspolitik
kann. Den politischen Willen vorausgesetzt, stellt sich die Frage nach der zweckmässigen Struktur des Mittels, damit gegenwärtige Verpflichtungen erfüllt und
zukünftige Herausforderungen gemeistert werden können.
Es ist daher zulässig, aus den konventionellen Fähigkeiten der Vergangenheit
Rückschlüsse zu ziehen auf das, was in
der gegenwärtigen Lage zur Verteidigung
an der Ostgrenze des heutigen Bündnisgebietes benötigt würde. Diese Betrachtung müsste natürlich die Fähigkeiten im
Bündnis insgesamt betrachten. Vor allem
aber vor dem Hintergrund des 2013 erhobenen politischen Anspruchs der Übernahme von mehr Verantwortung soll in
diesen Überlegungen besonders das Deutsche Heer und seine Fähigkeiten betrachtet werden. Diese Fähigkeiten sind dann
auch zu spiegeln an anderen Ideen, die in
jüngerer Vergangenheit sichtbar wurden.
Dazu gehören die Vorstellung, «Anlehnungspartner» für andere Nationen sein
zu wollen, ebenso wie der Ruf nach mehr
Multinationalität oder gar die Vision von
einer Europäischen Armee.
Dies erfordert Streitkräfte, die zum Gefecht hoher Intensität befähigt sind. Sind
sie dazu befähigt, so ist es auch kein Problem, daraus Kontingente für Einsatzgebiete aufzustellen, mit denen Aufgaben
unterhalb dieses Spektrums zu erfüllen
sind. Dazu gehören Einsätze zur Wiederherstellung des Friedens, zur Friedenssicherung oder im humanitären Aufgabenspektrum. Diese Aufgaben fallen vor allem
Landstreitkräften zu. Daher muss besonders das Heer über eine Struktur verfügen, welche die genannten Kriterien erfüllt und gleichzeitig auf mögliche Bedrohungen ausgerichtet ist, die sich aus dem
grossen Spektrum moderner technischer
Möglichkeiten ergeben.
Gegenwärtige Verpflichtungen ergeben
sich vor allem aus der Einbindung Deutschlands in das nordatlantische Bündnis und
die Europäische Union. Die Bündnisverteidigung richtet sich heute gegen einen
gegenwärtig nicht absehbaren Grossangriff
auf das Bündnisgebiet. Sie dient aber auch
zur Abwehr möglicher militärischer Übergriffe auf das Staatsgebiet von Bündnispartnern. Ausreichend dimensionierte Streitkräfte sind vor allem aber auch ein wichtiges Mittel glaubwürdiger Abschreckung
eines möglichen Gegners vor politischen
und militärischen Abenteuern. Dies war
bereits ihre Funktion im Kalten Krieg.
Die Ausrichtung der Bundeswehr folgte seit 1990 nicht mehr der Priorität zur
Bündnis- oder Landesverteidigung, sondern in erster Linie finanziellen Vorgaben zur Einsparung vor dem Hintergrund
der Gewinnung einer sogenannten Friedensdividende. Diese gründete sich in
Deutschland auf die Annahme, nur noch
von Freunden umgeben zu sein.
Seit 1990, verstärkt seit 2000 und erst
recht seit 2005, wurde die Fähigkeit der
Bundeswehr, einen nennenswerten Beitrag zur Bündnisverteidigung zu leisten,
immer weiter abgebaut. Dafür tragen alle
politischen Kräfte die Verantwortung. Das
heisst, dass die Auszahlung der Friedendividende nicht einmalig, sondern ein seit
1990 fortschreitender Prozess war, der bis
zur Ukrainekrise andauerte.
Mit der sogenannten Aussetzung der
Wehrpflicht im Jahr 2011 unter gleichzeitig erneut kräftiger Reduzierung des
personellen Umfangs hat der damalige Minister die Bundeswehr, besonders
im Bereich der Mannschaftsdienstgrade,
zumindest vorübergehend abgeschafft.
Dieser personelle Mangel, vor allem bei
qualifizierten Mannschaftsdienstgraden,
schränkt die Einsatzbereitschaft besonders des Heeres bis heute nachhaltig ein.
Zudem haben der ständige Um- und
Rückbau dazu geführt, dass beim Personal der Bundeswehr die Unzufriedenheit
zugenommen hat. So ist zum Beispiel die
Bereitschaft, sich um die 38 Prozent Pendleranteil der Armee auch nur annähernd
fürsorglich zu kümmern, nicht gerade ausgeprägt. Zu den personellen Problemen
kommen aber besonders Probleme der
Struktur und des Materials erschwerend
hinzu.
Die richtigen Fähigkeiten
verfügbar halten
Der vermeintliche Wegfall der Bedrohung, die Auslandseinsätze auf dem Balkan und vor allem der Einsatz in Afghanistan haben zu dem irrigen Glauben geführt, dass Streitkräfte nur noch auf solche Konflikte auszurichten wären. An die
Stelle der Fähigkeiten zur mechanisierten
Landkriegführung trat als Kriterium der
Einsatzbereitschaft, das materielle und personelle Zusammenstellen, sozusagen die
Montage von Kontingenten für Auslandseinsätze in den Vordergrund. Auch das
Rüstungs- und Beschaffungswesen wurde
einer grundsätzlichen Revision unterzogen, mit allen Konsequenzen, die bis heute nachwirken.
Der Abbau der Mechanisierung verband sich in geradezu idealer Weise mit
Mit seinem Aufsatz «Überlegungen zur
Struktur des deutschen Heeres» zeichnet der Autor schonungslos ein Bild
eines veränderten Heeres, das aufgrund
unklarer politischer Vorgaben seine Rolle sucht. Die Erkenntnisse erinnern an
aktuelle Diskussionen in der Schweiz,
wo es auch darum geht, die Rolle der
Armee im Sicherheitsverbund Schweiz
zu klären und wo letztlich die Politik
die Leistungsfähigkeit der Armee leider
ausschliesslich über das Bereitstellen
von Ressourcen steuert – und dies meistens zum Nachteil der Sicherheit des
Landes. Nach dem Aufzeigen der Ausgangslage folgt im zweiten Teil in der
nächsten ASMZ die Diskussion von Lösungsansätzen.
BOA
dem Bestreben, eine Friedensdividende zu
erzielen, weil Unterhalt und Betrieb mechanisierter Truppenteile teuer sind. Dies
führte zu drastischen Einsparungen in
Form des Abbaus mechanisierter Strukturen, der Auslagerung einsatzwichtiger
Komponenten in den zivilen Bereich und
der Einschränkung des Übungs- und Ausbildungsbetriebs. Leichte Strukturelemente schienen im Heer Struktur bestimmend
zu werden.
Dieses Sparprogramm fand im «Dynamischen Verfügbarkeitsmanagement» seine höchste Ausprägung. Diese wohlklingende begriffliche Nebelkerze dient der
Verschleierung einer Reduzierung der Ausstattung der Truppe mit kampfentscheidendem Grossgerät um etwa ein Drittel.
Das Dynamische Verfügbarkeitsmanagement, mit anderen Worten die Mangelverwaltung, wurde noch im Jahr 2014 von der
Führung des Heeres hoch gelobt.2 Man
lebte von der Substanz und wirtschaftete
die reduzierte Mechanisierung des Heeres über die Zeitachse soweit herunter,
dass man 2015 nur mit grosser Mühe ein
Panzergrenadierbataillon für die NATOSpeerspitze bereitstellen konnte.3 Rund
15000 Artikel mussten von über 50 anderen Truppenteilen ausgeliehen werden4.
Einsatzbereitschaft sieht anders aus.
War also der Einsatz in Afghanistan,
obwohl dies bestritten wurde, doch stillschweigend als Blaupause das Sparmodell
für die Struktur des Heeres? 5 Der Verzicht
auf Mechanisierung hat aber besonders
politische Entscheidungen und die Zustimmung des Bundestages für Einsätze
erheblich erleichtert. Dabei hatte sich spätestens im berühmten Karfreitagsgefecht
des Jahres 2010 gezeigt, dass die Mechanisierung, das heisst der Kampf aus ge-
Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 05/2016
17
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Sicherheitspolitik
Panzergrenadiere. Bild: Bundeswehr/Mandt
panzerten Fahrzeugen heraus, auch gegen
asymmetrisch operierende Kräfte ausserordentlich wirksam ist.
Nicht zuletzt durch diese bedauerlichen
Verluste reifte langsam die Erkenntnis,
welche Bedeutung der Schutz, oder besser
die Panzerung hat. Sie trägt vor allem dazu
bei, dass in gefährlichen Lagen nicht nur
die Soldaten selbst besser geschützt sind,
sondern auch die Durchsetzung des Auftrags im Gefecht erleichtert und damit das
Risiko insgesamt herabgesetzt wird. Weitere Erkenntnisgewinne aus Afghanistan
waren aus militärischer Sicht eher überraschend und banal: Dazu gehörte, dass
grössere Kaliber auch eine höhere Durchschlagskraft haben und gepanzerte Kampffahrzeuge mit entsprechender Bewaffnung
nicht nur den Schutz der eigenen Soldaten
verbessern, sondern auch den psychologischen Eindruck beim Gegner nachhaltig
verstärken.
Die richtigen Lehren ziehen
Diese eigentlich zeitlosen militärischen
Wahrheiten waren beileibe nicht neu für
Soldaten, sie mussten aber offenbar vor
allem in die Köpfe der Politiker Eingang
finden, die den Einsatz bis dahin zum
grossen Teil nicht so sehr als Krieg, sondern eher als humanitären Spaziergang
empfanden, Stichwort «Brunnenbohren».
Diese Befindlichkeiten bei der politischen
Willensbildung für militärische Einsätze drückten sich im Einfluss auf Ausrüstung und Bewaffnung6, aber besonders
auch auf nationale Einschränkungen
Eingreifbefugnisse (Rules of Engagement
ROE) für den Einsatz aus. So wurden die
auf NATO-Ebene abgestimmten ROE
durch nationale Regeln zusätzlich eingeschränkt.7
Der Einsatz in Afghanistan hat also den
Wert der Mechanisierung eher bewiesen.
Die Nachsteuerungen, wie der Einsatz der
Panzerhaubitze und des Schützenpanzers
Marder, aber auch zahlreiche Nachrüstungen zeigen, dass leichte Kräfte nicht der
Kern von Streitkräften sein können. Damit hat sich die Annahme, dass allein
leichte Stosstrupps mit entsprechender
Unterstützung das zukünftige Gefecht
erfolgreich führen könnten, als nicht
richtig erwiesen. Unter Panzerung und
im Schutz gepanzerter Kampffahrzeuge
sind neben dem Kampf auch Führung,
Aufklärung und die Versorgung besser
möglich, besonders auch die medizinische Rettung unter Beschuss. Mechanisierung und Panzerung sind also wichtige
und unverzichtbare Elemente moderner
Kriegführung.
Neben der Bedeutung mechanisierter
Truppen haben sich besonders Spezialkräfte und Automaten, sprich Drohnen,
auch bewaffnet, zu Lande und in der
Luft als unentbehrlich für alle zukünftigen Operationen erwiesen.
Hat uns also Afghanistan mit Blick auf
eine moderne Heeresstruktur weitergebracht? Eigentlich nicht! Erst die Krise in
der Ukraine und die Parade am 9. Mai 2015
in Moskau mit zahlreichen neuen Waffensystemen, nicht zuletzt neuen Kampf- und
Schützenpanzern, haben aufgeschreckt
und zu neuem Nachdenken geführt.
Deutschland fehlt eine grundsätzliche
sicherheitspolitische Orientierung und
ein sicherheitspolitisches Konzept, das
ressortübergreifend mitgetragen wird.
Ob das angekündigte Weissbuch diesen
strategischen Ansatz erfüllen kann, wird
mit Spannung zu beobachten sein. Ob
die vielgepriesene Vernetzung der politischen Ressorts über den Raum Berlin
hinaus auch in Einsatzgebieten wirksam
wird, darf bezweifelt werden. In Afghanistan war das Stückwerk.
Da diese strategische Grundlage fehlt,
fehlt auch eine nachhaltige Auslegung
der Struktur der Streitkräfte auf den politischen Handlungsrahmen. Die Ausrichtung auf Deutschland als Friedensmacht
kann dies nicht sein. Bündnisverteidigung
und, darin enthalten, Landesverteidigung
sind die Eckpfeiler für die Struktur der
Bundeswehr und besonders des Heeres.
Daher ist in einem weiteren Schritt zu
hinterfragen, ob die Struktur und die
Gliederung der deutschen Landstreitkräfte heute noch auf Bündnisverteidigung ausgerichtet sind und deren Anforderungen genügt.
■
1 Vgl. Helmut Schmidt, Strategie des Gleichgewichts, 4. Auflage, Stuttgart-Degerloch, 1969,
S. 73.
2 So der damalige Inspekteur des Heeres, Kasdorf,
in seiner Rede bei der Auflösung der 10. Panzerdivision in Sigmaringen am 05.06.14.
3 «Bild am Sonntag» am 09.08.15 u.a. mit einer
Stellungnahme des Wehrbeauftragten Bartels. Siehe u.a. auch Thomas Wiegold am 10.03.15 in
«Augen geradeaus».
4 Jahresbericht des Wehrbeauftragten 2015 v. 26.01.
16 Bundesdrucksache 18/7250 S.4, bes. aber S.11.
5 «Das militärische Denken ist zu 95 Prozent auf
Afghanistan bezogen – der Rest ist Oderhochwasser», sagt der Militärhistoriker Erwin Starke
(zitiert nach «Der Tagesspiegel» vom 06.10.2014).
6 Beispiele für solche deutschen Befindlichkeiten
sind, dass
- der aus deutscher Produktion stammende Leopard 2 in Afghanistan von Kanadiern genutzt
wird, aber nicht von der Bundeswehr;
- die Panzerhaubitze 2000 von den Niederlanden eingesetzt wurde, lange bevor die Deutschen dazu bereit waren, weil man in Deutschland nicht den Eindruck erwecken wollte, es
sei Krieg in Afghanistan.
7 Beispiele dafür sind,
- dass im Kosovo die Anwendung der Schusswaffe zur Verteidigung serbischer Klöster deutschem Polizeirecht unterlag;
- dass Jammer zum Auslösen von IED lange an
deutschen Fahrzeugen in Afghanistan nicht angebracht werden durften, weil beim Auslösen
die Gefahr von Kollateralschäden nicht auszuschliessen war;
- das deutsche Verhalten in der Frage der Beteiligung an AWACS-Einsätzen über Libyen und
Afghanistan.
Brigadegeneral a D
Wolfgang Kopp
D-72488 Sigmaringen
Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 05/2016
19
Sicherheitspolitik
Clans, Stämme und andere Freunde
Die Sicherheitspolitik tut sich schwer mit der segmentären, oder staatenlosen Gesellschaft. Zwischendurch gelingt es, «Deals» zu schliessen.
Doch viel öfters ist man perplex, wie widersprüchlich Stämme, Clans und
andere Netzwerke handeln. Dieses Erstaunen zeugt vielmehr vom
Unvermögen, solche Gesellschaften zu verstehen.
Henrique Schneider, Redaktor ASMZ
Ob die Piraten von Somalia, das Stammesgebiet im Afghanistan, die nordalbanischen und westkosovarischen Berge
oder die Gebiete der Kachin in Burma/
Myanmar: das sind alles segmentäre Gesellschaften. Dieser Ausdruck bezeichnet eine Gesellschaft, deren strukturelles
Grundprinzip die Aneinanderreihung unabhängiger, gleichartiger Einheiten ist.
Diese gleichartigen
Einheiten oder eben
Segmente können
Clans, Dörfer, Stämme, Lineages und anderes sein. Buchtitel
wie «Tribes Without
Rulers» (Middleton/
Tait 1958) oder «Regulierte Anarchie» Ein Dorf der Kachin.
(Sigrist 1967) verweisen auf das Hauptcharakteristikum segmentärer Gesellschaften: das Fehlen von
staatlicher Herrschaft.
So unterschiedlich segmentäre Gesellschaften untereinander sein können:
Die Nordamerikanische und Europäische
Sicherheitspolitik macht immer wieder
die gleichen drei Fehler im Umgang mit
ihnen. Und ist immer wieder erstaunt über
das eigene Unvermögen, das schnell in
eine Abschätzung verwandelt wird. Welches sind diese Fehler?
nämlich genauso ausgefeilt und sogar institutionalisierter als jene moderner Staaten sein.
Die albanische Stammesgesellschaft, beispielsweise, kennt (oder kannte) ein komplexes System von Abhängigkeiten innerhalb und zwischen ihren Untergruppen.
In grossen Stammesversammlungen wurde verhandelt, bis Konsens erreicht wur-
Bild: anonym
de. Ohne ihn gab es keine Entscheidung.
Ähnlich subtil funktionieren die GumsaKachin. Hier versuchen untereinander
wetteifernde «Dorffürsten», die jeweilige
Gunst der Stunde zu ihrem Nutzen einzusetzen. Diese Gunst kann sowohl Al-
«Drei Fehler sind typisch
im Umgang mit segmentären
Gesellschaften.»
Primitive Gesellschaft
Den ersten Fehler beging schon der Erfinder des Begriffes, Émile Durkheim. Er
stellte die segmentäre Gesellschaft als «primitiver» Typus der modernen, zentralisierten Gesellschaft gegenüber. Historisch ist
diese Rangfolge sogar noch möglich. Die
segmentäre Gesellschaft war vor dem Nationalstaat da. Aber die Idee des «Primitiven» führt zu einer Unterschätzung ihrer
politischen Mechanismen. Diese können
20
lianzen mit der burmesischen Zentralregierung als auch Abmachungen mit China
bedeuten. Für die Angehörigen des Dorfes ist das Handeln des «Fürsten» nicht nur
vorhersehbar, es ist auch erwünscht.
Der Fehler, segmentäre Gesellschaften
als namentlich politisch rückständig anzusehen, verleitet zu Fehleinschätzungen.
Oft wird dabei gedacht, ihre Gunst sei
durch das eine oder andere Geschenk zu
Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 05/2016
erkaufen. Oder man könne sie befrieden,
indem man sie «anerkennt». Damit unterschätzt man die politischen Abläufe der
segmentären Gesellschaften und vielmehr
noch ihr Eigenverständnis. Nur weil man
keinen Staat hat, heisst das nicht, man sei
apolitisch.
Alle sind gleich
Der zweite Fehler ist die Vorstellung,
alle segmentären Gesellschaften seien
gleich. Meist werden sie ohnehin als Stammesgesellschaften verstanden. Und weil
jeder Stamm einen Häuptling zu haben
hat, wird einseitig auf Verhandlungen mit
dem Häuptling gesetzt. Neben der Unterschätzung der politischen Komplexität,
ist dieses Unverständnis für Differenzierung eines der wichtigsten Gründe für das
Scheitern von Sicherheitspolitik an der segmentären Gesellschaft.
Ja, die Gumsa-Kachin haben einen
Stamm, doch viel wichtiger ist die Stellung des «Dorffürsten». Noch wichtiger
ist jedoch die Stellung jener Person, meist
eines Bruders von ihm, die bereit ist, auszuziehen und ein neues Dorf zu formieren. Und ja, die Yanomami-Indianer haben einen Häuptling; doch dieser darf
nie für oder über die Bruderschaft entscheiden – genauso wenig wie ein albanischer Dorfvorsteher. Und im afghanischen Waziristan haben die Stämme zwei
voneinander unabhängigen Organisationen, eine für den Frieden und eine für den
Krieg.
Den Fehler, segmentäre Gesellschaften
für einander gleich zu setzen, verleitet zur
Unterschätzung lokaler Gegebenheiten.
Und dieser Fehler hat sich in der Geschichte der Sicherheitspolitik perpetuiert. Genauso wie die Briten meinten,
Stämme in Afrika zu erkennen, meinte
die NATO, die politische Beschaffenheit
der Einsatzgebiete Kosovo und Bosnien
seien ähnlich. Nein, nur weil man eine
spezifische segmentäre Gesellschaft kennt,
kennt man noch lange nicht alle.
Sicherheitspolitik
schaft macht, ist sie erstaunt, wie schnell
diese Abmachungen in die Brüche gehen. Afghanistan ist ein gutes Beispiel dafür. Doch die Erklärung ist einfach: Wo
es Wettbewerb um Macht gibt und die
Macht nicht nur von der segmentären Organisation, sondern auch von – zum Beispiel – Religion abhängt, sorgt das Wettbewerbsprinzip für viel Dynamik. So etwa
wie das Wettbewerbsprinzip in den USA
dafür sorgt, etwa alle zwei Jahre neue
Machtkonstellationen zu haben. Nur weil
die segmentäre Gesellschaft länger besteht
als der Nationalstaat, heisst das nicht, sie
sei weniger dynamisch.
Was ist zu tun?
Pashtunen bei einer Stammesversammlung.
Bild: wikimedia
Stabile Ordnung
Der dritte Fehler ist zu meinen, die Ordnung in der segmentären Gesellschaft sei
stabil. Oft wird dieser Fehler begangen,
weil die segmentäre Gesellschaft als Fossil
längst vergangener Zeit angesehen wird.
Und weil Fossile bekanntlich unbeweglich
sind, so haben auch diese Gesellschaften
steinern zu sein.
Genauso wie es in den Nationalstaaten
zu Regierungswechseln kommen kann,
können sich in segmentären Gesellschaften politische Gegebenheiten ändern. Das
ist insbesondere in jenen Gesellschaften
der Fall, wo der Wettbewerb ähnlich wie
in den europäischen Demokratien ein politisches Prinzip ist. Das ist zum Beispiel
in Somalia und den südostasiatischen Inseln der Fall. Oft auch in vielen Lineages
in Zentralafrika. Die stabile Ordnung ist
«Wir wollen
die segmentäre Gesellschaft
nicht verstehen.»
auch dort nicht gegeben, wo die segmentäre Gesellschaft von verschiedenen anderen Loyalitätsnetzwerken überlagert ist,
beispielsweise im Kaukasus oder in Afghanistan.
Immer wieder, wenn die Sicherheitspolitik «Deals» mit der segmentären Gesell-
Es gibt aber zwei Charakteristika, die allen segmentären Gesellschaften – vielleicht
allen Gesellschaftsformen überhaupt – zukommt. Zunächst wachen sie eifersüchtig
über ihren eigenen Fortbestand. Die segmentäre Gesellschaft hält an ihrer Freiheit
vor dem Staat eisern fest. Und: Wenn immer Segmente die eigene Macht oder Freiheit ausdehnen können, werden sie es tun.
Damit ist die Antwort auf die Tun-Frage eigentlich einfach: Segmentäre Gesellschaften sind als politische Gemeinschaf-
«Ihre Freiheit – das ist der
segmentären Gesellschaft
am wichtigsten.»
ten eigenen Typs zu behandeln. Jede einzelne von ihnen ist ebenfalls dynamisch
und «sui generis» anzusehen. Das bedeutet: Wenn ein sicherheitspolitscher Einsatz
ansteht, der Nähe oder gar Zusammenarbeit mit segmentären Gesellschaften erfordert, ist jene sehr lokale Gesellschaft zu
analysieren. Und das muss völlig unabhängig von allem, was man bisher über andere
ähnliche Gesellschaften lernte, geschehen.
Doch das ist einfacher gesagt, als getan. Die Gründe dafür sind das fehlende Interesse für solche «theoretischen» Untersuchungen einerseits und die Dynamik der Sicherheitspolitik andererseits. Da
sie selbst «politisiert» ist, setzt sie oft auf
schnell-wirkende Hebel. Und das sind
zunächst einmal gute «Deals» mit den
scheinbaren Vertretern der segmentären
Gesellschaft. Diese institutionelle Perpetuierung von Fehlverhalten kann man getrost als vierten Fehler zählen.
■
Aus dem Bundeshaus
Sie lesen hier von
der dritten Woche
der Frühjahrssession 2016 der Eidgenössischen Räte
sowie über seitherige Geschehnisse
und Parlamentarische Vorstösse (PV).
Das Parlament verabschiedete am 18.
März die Vorlage «Weiterentwicklung der
Armee – Änderung der Rechtsgrundlagen» (14.069), insbesondere Militärgesetz (MG), Armeeorganisation (AO) und
«Bundesbeschluss zum Zahlungsrahmen der Armee 2017–2020» mit 20 Milliarden Franken. Die Gesetzesänderungen wurden im Bundesblatt Nr. 12 vom
29. März 2016 veröffentlicht, und die
Referendumsfrist läuft am 7. Juli 2016
ab. Nach dem Ständerat verwarf auch
der Nationalrat die Standesinitiative
Bern «Die zentrale Staatsaufgabe ‹Sicherheit› muss wieder ernst genommen
werden» (15.307; 72 :120 :1). Weitere PV
betreffen das Grenzwachtkorps (15.311),
Waffen der Zoll- und Polizeibehörden
(16.3236), Schengen-Dublin / Sicherheitslage Europa (16.3242), Waffenrecht EU / Schweiz (16.5052), Taschenmunition (16.5115), Arbeit der Offiziere
(16.5142) sowie Frischmilch für die Armee (14.4265).
Der Chef VBS ernannte erneut einen
militärischen Berater und sistierte vorläufig das Vorhaben BODLUV 2020. Er
setzte sowohl eine Findungskommission
für die Suche eines Nachfolgers des per
Ende 2016 abtretenden Chefs der Armee
als auch eine Begleitgruppe für die Evaluation und Beschaffung eines neuen
Kampfflugzeuges ein. In Erinnerung gerufen seien erstens die «Botschaft zur Legislaturplanung 2015 –2019» (16.016)
mit dem Ziel 15: «Die Schweiz kennt die
inneren und äusseren Bedrohungen ihrer
Sicherheit und verfügt über die notwendigen Instrumente, um diesen wirksam
entgegenzutreten.» Zweitens: Die erstmalige «Botschaft über den Zahlungsrahmen der Armee 2017–2020, das Rüstungsprogramm 2016 und das Immobilienprogramm VBS 2016» (Armeebotschaft 2016; 16.026). Drittens: «Bericht
des Bundesrates über die Sicherheitspolitik der Schweiz» (Entwurf vom 26. Oktober 2015).
Oberst a D Heinrich L.Wirz
Militärpublizist/Bundeshaus-Journalist
3047 Bremgarten BE
Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 05/2016
21
Sicherheitspolitik
Der Teilabzug russischer Truppen
aus Syrien – warum und warum jetzt?
Die Entscheidung des russischen Präsidenten, einen Teil seiner Truppen
aus Syrien abzuziehen, hat die internationale Staatengemeinschaft
ganz offensichtlich überrascht und es stellen sich natürlich auch ein
paar Fragen.
Jürgen Hübschen
In diesem Zusammenhang stellt sich
nicht nur die Frage, warum die westlichen
Geheimdienste einmal mehr eine ganz entscheidende Entwicklung nicht prognostiziert haben, sondern es lohnt sich auch
grundsätzlich zu hinterfragen, warum der
russische Präsident diese Entscheidung getroffen hat, aber sicherlich auch, warum er
diese Entscheidung exakt an dem Tag bekannt geben liess, an dem de facto in Genf
die Friedensgespräche wieder aufgenommen wurden.
Das militärische Engagement
Russlands in Syrien –
ein kurzer Rückblick
Im September 2015 begann Russland
Flugzeuge, Hubschrauber, Raketensysteme zur Flugabwehr, Artillerie, Panzer
und das notwendige militärische Personal nach Syrien zu verlegen. Neben dem
bereits vorhandenen Marinestützpunkt
Tartus wurde in Humaymin bei Latakia eine russische Luftwaffenbasis aufgebaut.
Am 30. September – zwei Tage nach der
Rede des russischen Präsidenten vor der
UNO – erfolgten die ersten Luftangriffe
auf Stellungen des IS, aber auch gegen bewaffnete oppositionelle Gruppen, die gegen die regulären syrischen Streitkräfte
mit dem Ziel kämpften, Präsident Assad
zu stürzen. Bereits nach einer Woche waren die russischen Luftstreitkräfte in der
Lage, die Einsätze von zunächst knapp 10
auf 90 zu steigern. Nach sehr kurzer Zeit
flogen Moskaus Piloten mehr Einsätze am
Tag als die westliche Allianz unter Führung der USA innerhalb eines Monats.
Die arabischen Mitglieder der Allianz flogen in 2016 fast gar keine Einsätze mehr,
weil sie den grössten Teil ihrer Kampfflugzeuge für Einsätze gegen die Huthi-Rebellen im Jemen benötigten.
22
Tartus in Syrien.
Die russischen Jets in Syrien wurden von
Bombern, die ausserhalb des Landes stationiert waren und sind, unterstützt. Anfangs kamen auch Cruise Missile zum Ein-
Russische Flugabwehrbatterie
bei Latakia.
Bilder: Wikipedia
Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 05/2016
satz, die von Schiffen aus dem Schwarzen
Meer abgefeuert wurden.
Mit Ausnahme des von der Türkei abgeschossenen Jagdbombers vom Typ SU-24
gab es nach westlichen Erkenntnissen keine Flugzeugverluste. Abgesehen von einem
Besatzungsmitglied der abgeschossenen
SU-24, das sich mit dem Schleudersitz zunächst gerettet hatte und dann noch am
Fallschirm hängend von Aufständischen
erschossen wurde, wurden auch keine Gefallenen bekannt.
Die syrischen Streitkräfte konnten mit
Unterstützung der russischen Luftwaffe
nach vorliegenden Erkenntnissen die Initiative am Boden zurückgewinnen und
grosse Regionen mit etwa 400 Dörfern
von Aufständischen und/oder dem IS befreien. Die Nachschublinien der bewaffneten Opposition in die Türkei wurden
unterbrochen und der Ölexport des IS in
die Türkei zum Erliegen gebracht.
Sicherheitspolitik
Bis zum Waffenstillstand am 27. Februar 2016 standen etwa 4000 russische Soldaten in Syrien, und die Zahl der Kampfflugzeuge betrug zwischen 50 und 60 der
verschiedenen grösstenteils modernsten
Typen.
Der von Präsident Putin
angeordnete Teilabzug
Am 14. März 2016 – zeitgleich mit dem
offiziellen Beginn einer neuen Runde der
Friedensgespräche in Genf gab Präsident
«Nach sehr kurzer Zeit
flogen Moskaus Piloten
mehr Einsätze am Tag
als die westliche Allianz
unter Führung
der USA innerhalb
eines Monats.»
Putin im Beisein seines Aussen- und
seines Verteidigungsministers den Befehl, den «wesentlichen Teil» («main parts»)
der Truppen aus Syrien abzuziehen. Die
Aufgaben der russischen Streitkräfte seien grösstenteils erfüllt.
Die Angriffe gegen die Al-Nusra-Front
und den IS, die ausdrücklich vom mit
den USA vereinbarten Cease Fire (Feuerunterbruch, aber Bewegungen weiter verfolgen) ausgenommen
sind, werden fortgesetzt.
Die westliche Allianz wurde von der
Entscheidung zu einem Teilabzug ebenso überrascht wie vom
Beginn des russischen
Militäreinsatzes in Syrien.
Es ist davon auszugehen, dass sich der
russische Präsident zu
diesem Teilabzug, mit
dem zu diesem Zeitpunkt auch in Russland wohl kaum jemand gerechnet hat,
nach sorgfältiger Beratung mit dem so ge-
nannten «inner circle» entschlossen hat.
Der ehemalige KGB-Mann Putin vertraut nur einem ganz bestimmten Kreis
von Geheimdienstlern. Dazu gehört Verteidigungsminister Sergei K. Shoigu, der
Leiter des Präsidentenbüros und ehemalige Verantwortliche für die Staatssicherheit, Sergej B. Ivanov, der Direktor des
Federal Security Service ( F.S.B.), Alexander V. Bortnikov und der Leiter des Security Council und ehemalige Direktor des
F.S.B. Nikolai P. Patrushev.
Diese Männer lieben den Überraschungsmoment und legen Wert darauf,
unkalkulierbar zu sein. Ekaterina Schulmann, eine Politikwissenschaftlerin stellte zu dieser Vorgehensweise fest: «A good
decision in today’s Russia should be swift
and surprising and take everyone unawares.
That is considered good political management.»
Aleexander Morozov, ebenfalls ein russischer politischer Analytiker ergänzte diese Aussage wie folgt: «The main goal is
to show that Russia acts completely independently. We expand our military presence
without any prior consultations and wrap it
up without any warning.»
Wie der Begriff schon beinhaltet, bleibt
bei einem solchen Abzug eben auch ein
Teil des Truppenkontingents, also Waffensysteme und auch Soldaten vor Ort.
Und es ist davon auszugehen, dass Moskau die abgezogenen Kräfte ebenso überraschend wieder zurückführen kann, sollte es aus Sicht des «inner circle» erforderlich sein.
• Durch den zwischen dem amerikanischen Aussenminister Kerry und seinem
russischen Kollegen Lawrov ausgehandelten und bislang weitgehend eingehaltenen Waffenstillstand hat Russland entscheidenden Anteil an der Wiederauf-
Karikatur: Umgang Putins mit den Medien.
Bild: Wikipedia/von Wellemann
•
Beurteilung
Die konkreten Pläne des russischen Präsidenten waren nicht bekannt und werden
es auch in Zukunft wohl nicht sein. Für
die aktuelle Situation zum Zeitpunkt des
Teilabzugs kann man aber objektiv folgendes festhalten:
• Durch die gesamte Syrien-Operation ist
Putin auf die Weltbühne zurückgekehrt
und hat die Aussage des amerikanischen
Präsidenten, dass Russland nur noch
eine Regionalmacht sei, nachdrücklich
widerlegt;
• Der Zeitpunkt der ersten Luftangriffe
zwei Tage nach seiner Rede vor den Vereinten Nationen ist, ebenso wie die Ankündigung des Teilabzugs am selben Tag
wie der Beginn der Friedensgespräche
in Genf, Beweis dafür, wie gekonnt der
russische Präsident auf dem Klavier der
Diplomatie und der Public Relation zu
spielen weiss;
•
•
•
•
nahme der Friedensgespräche in Genf
und damit an einer möglichen politischen Lösung des Konflikt;
Mit dem Teilabzug hat Putin der syrischen Opposition die massgeblichen Argumente genommen, nicht an den Verhandlungen teilzunehmen. Nicht nur,
aber auch deshalb sitzen jetzt Vertreter des «Hohen Verhandlungskomitee»
(HNC) in Genf mit am Tisch;
Russlands Verbündeten wurde durch
den Militäreinsatz bewiesen, dass sie
sich auf Putin verlassen können;
Mögliche Gegner mussten zur Kenntnis nehmen, dass Russland ausgesprochen schnell in der Lage ist, einen Militäreinsatz beeindruckend professionell
vorzubereiten und durchzuführen;
Russland konnte seine Waffensysteme in
einem Krieg erproben und gleichzeitig
der Welt zeigen, dass vor allem die russischen Kampfflugzeuge den amerikanischen Systemen durchaus gleichwertig sind. Das ist für mögliche Waffenexporte ein ausgesprochen überzeugendes Signal;
Durch die Intervention hat Putin militärisch wieder Augenhöhe mit den USA
erreicht. Mit Beginn der massiven Luftangriffe mussten Washington und die
Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 05/2016
23
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und es zu schwersten Verletzungen, Schäden
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sowie nicht zuletzt massiven Störungen im
Logistikablauf kommen kann. Abhilfe verspricht
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westliche Allianz zur Kenntnis nehmen,
dass es keine Lösung mehr ohne Russland geben konnte;
• Mit dem Waffenstillstand vom 27. Februar, ergänzt durch den Teilabzug, hat
Putin seine Aussage, eine politische Lö-
«Russland ist
ausgesprochen schnell
in der Lage,
einen Militäreinsatz
beeindruckend
professionell vorzubereiten
und durchzuführen.»
sung des Syrien-Konflikt zu verfolgen,
de facto bewiesen und sich damit auch
politisch wieder als gleichwertiger Partner der USA etabliert;
• Der russische Präsident hat den vom
Westen betriebenen «regime change» in
Syrien und damit eine vergleichbare Ka-
tastrophe wie im Irak nach dem Sturz
Saddam Husseins und in Libyen nach
der gewaltsamen Entmachtung von
Gaddafi verhindert;
• Präsident Assad ist es nicht gelungen,
Russland für seine Zwecke zu instrumentalisieren. Seinem Anspruch, so lange zu kämpfen bis ganz Syrien wieder
unter seiner Kontrolle ist, – Assad wörtlich in einem AFP-Interview: «Es ist nicht
logisch zu sagen, dass es einen Teil unseres
Landes gibt, auf den wir verzichten», – hat
Putin eine klare Absage erteilt und ihn
stattdessen gezwungen, für den 13. April
2016 Parlamentswahlen anzukündigen.
Damit hat der russische Präsident gezeigt, dass es ihm, so wie er immer wieder betont hat, bei der russischen Militäroperation nicht um Assad, sondern
um Syrien gegangen ist;
• Eine mögliche Isolation Moskaus durch
den Westen muss als gescheitert angesehen werden, und das wird dazu führen,
die Sanktionspolitik gegenüber Moskau
zu überdenken;
• Mit den beiden Stützpunkten in Tartus
und Humaymin und deren Ausbau hat
Russland seine Präsenz in der Region
entscheidend gestärkt und sich die
Möglichkeit geschaffen, jederzeit wieder Truppen, Waffensysteme und militärisches Gerät zusätzlich nach Syrien
zu verlegen;
• Dadurch, dass nur ein Teil der Truppen
und auch der Kampfflugzeuge und des
schweren Geräts abgezogen wird, kann
Moskau seinen Kampf gegen die Gegner
Assads fortsetzen und weiterhin Druck
auf den syrischen Präsidenten ausüben,
den politischen Vorgaben Russlands Folge zu leisten.
Putin ist (wieder), wie amerikanische
Experten es formulieren – ein «important
actor in the Middle East and a global problem solver». Das muss der Westen zur
Kenntnis nehmen und bei der Gestaltung seiner zukünftigen Politik nicht nur
in der Nahmittelost-Region berücksichtigen.
■
Oberst i Gst aD
Jürgen Hübschen
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Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 05/2016
25
Sicherheitspolitik
Terror und Freiheit: Donnerschlag
ins Antlitz unserer Moderne
Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 auf die USA
als Land und Nation griff der damalige Präsident George W. Bush
zum kämpferischen Schlagwort des sogenannten Krieges
gegen den Terror.
Johann Ulrich Schlegel
Unter diesem Schlagwort und diesem
Kampfruf begann Amerika im Besonderen den Afghanistankrieg und den Irakkrieg. Diese beiden auffallendsten Kriege reichten bald weit darüber hinaus. Sie
drangen ins ganze Weltsystem unseres Globus.
Das Ziel war, einer global verbreiteten
Aufstandsbewegung gegen die weltweiten Herrschaftsansprüche Amerikas Herr
zu werden. Mittel und Wege wurden er-
«Europa und
insbesondere sein Westen
sind heute auch
nicht mehr sicher.»
schlossen, um primär die USA und sekundär ihr weltumspannendes Herrschaftsnetz zu schützen und zu sichern. Diesem
System verbunden und am nächsten stehen die europäischen Länder. Die NATO
rief nach dem 11. September 2001 sofort
und zum ersten Mal in ihrer Geschichte den Bündnisfall an, was bedeutete,
dass der Grossteil der Länder Europas
nun ebenfalls in diesen Krieg verwickelt
wurde.
15 Jahre später –
was wurde erreicht?
Amerika hat alle Kriege – und denken
wir auch an den Libyenkrieg und den
Syrienkrieg – mindestens bisher mit auffälliger Regelmässigkeit und Offensichtlichkeit verloren.
Aber es kam noch schlimmer. Der Krieg
des Terrors mit seinen Anschlägen aus
dem Hinterhalt gelangte auch zu uns.
Das ist Kriegslist. Und Krieg hat noch im-
26
mer zentral und unumgänglich aus List
bestanden. Europa und insbesondere sein
Westen sind heute auch nicht mehr sicher.
Warum konnten wir alle, der
Westen, so auffallend verlieren?
Wenn es hart auf hart hinausläuft, wenn
es zur Aggression oder gar doch und erneut zum Krieg kommt, brechen alle diese angeblich neuen Errungenschaften von
Recht und Moral, Verständigung und gesellschaftlicher Verbesserung. Der reine
Schrecken kehrt zurück. Und schlimmer,
dieser Schrecken oder Terror beginnt selbst
bei uns sich wieder einzustellen. Warum
aber wieder?
Die Antwort lautet, weil wir schon immer dem Phänomen Terror begegneten.
Wir wollten es nur nicht mehr wahrhaben. Wir haben eine Welt geschaffen, in
welcher wir alles und jedes immer mehr
verbessern, vor allem auch Recht, Moral,
Korrektheit, Völkerverständigung, Frieden
Bei der Suche nach einer Antwort auf
diese Frage gelangen wir zu einer entscheidenden Diagnose:
Wir alle hier in der westlichen Welt verfügen über ein enormes technisches Wissen. Wir sind allen anderen überlegen. Keine andere Kultur übertrifft unsere kriegstechnische Perfektion. Umso brennender
spitzt sich die Frage zu, warum der Westen
angesichts solchen Fortschritts und solcher waffentechnischen Überlegenheit dennoch derart eklatant versagt. Es
ist unverzichtbar, die
noch wenig begangene
Spur zu verfolgen, was
uns vom muslimischen
Krieger vielleicht gerade
kriegsentscheidend abhebt. Warum ist dieser
erfolgreich, wir erfolglos? Es ist ein unverzeihlicher Fehlschluss, wenn
wir versuchen, technischen und gesellschaftlichen Fortschritt einander gleichzusetzen.
Wir kommen nicht
darum herum, jenen
Satz zu beherzigen, der 9/11 in New York als Beginn des Krieges gegen den Terror.
besagt, dass eine immer
gleiche Natur uns Menschen beseelt. Eine ohnehin. Wir verbessern die Verbesserung
rohe, menschliche Natur in uns über- der Verbesserungen. Wir haben in unserer
spielen wir in unendlich vielen und fein- immer abgehobeneren, immer künstlichemaschigen Nuancen, wohlmeinenden Ver- ren, immer theoretischeren Welt Aggresänderungen, auch Gefühlen neuer Über- sionen, und Kriege ohnehin, überwunden.
legenheit und neuen moralischen GeDie Verbesserung der Verbesserung
haltes.
des Guten wird immer höher hinaufge-
Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 05/2016
Sicherheitspolitik
schraubt. Aber kein Baum kann in den
Himmel wachsen. Es sei denn, dass er
bricht. Dann aber bleibt allenfalls nicht
einmal mehr ein Stummel. Der 11. September hat uns in die Wirklichkeit zurückgeholt.
Aber mit dem 11. September 2001 war
es bereits zu spät. Ein militärstrategischer
Satz lautet, dass, wer als erster schiesst, auf
dem Kampfplatz einen grossen Vorteil hat.
Das ist der eine Unterschied zwischen uns
und dem islamischen Krieger.
Die zusätzliche Dimension
des Absoluten
Wir können im Weiteren feststellen,
dass sich zusätzlich ein noch gravierenderer Unterschied bei unserem Gegner einstellt. Dieser Kämpfer ist erfüllt von einer
Dimension, die uns abhanden gekommen ist. Es ist die Dimension des Absoluten.
Der Muslim weiss um diese andere Dimension. Und sie ist es, die ihn derart erfüllt, dass er nebst unserer Technik, die er
sich ja auch aneignet, mit diesem zweiten
Element zweihundert Prozent aufrüstet.
Sie ist eine ganze zweite Welt, sie taucht
ihn ins Mystische, in eine zweite Welt des
Numinosen.
Brüssel est belle – stiller Protest gegen
den Terror.
Bilder: Wikipedia
jener Latino zu vergleichen, dem die USArmy die Niederlassung im Land anbietet, wenn er sich ihr vorher als GI anschliesse. Wir haben also primär nur diese eine Dimension.
Der Muslim – und damit ist stets der
kämpferische Muslim gemeint – hat zusätzlich die andere. Ja, er verachtet allenfalls sogar die erste Dimension, unser goldenes Kalb, um das herum wir so selbstverliebt, so ausschliesslich, ja rauschhaft
tanzen; er lehnt die ganze exzesshaft gewordene
Konsumwelt ab.
Das wollten und
wollen wir nicht mehr
wahrhaben. Was uns an
Mystik und der Welt des
Numinosen verblieb,
ist endloses Moralisieren, das Numinose ist
auf den Asphalt kalter
Vernünftelei geknallt.
Vernünftelei aber ist
bruchstückhaft. Sie erfasst nicht die Wahrheit. Diese ist erst das
Ganze. Dieses Ganze
bildet auch die Wirklichkeit ab. Und exakt
diese Wirklichkeit hat
der Muslim noch oder
Zeichen der Trauer am Eingang der Metro-Station Maelbeek.
wieder erfasst.
Wenn wir uns dieser
Unsere Soldaten sind mit Söldnern ver- Kombination, diesem Plus an gewongleichbar. Sie führen Krieg um Materielles, nener Kampfkraft verschliessen, können
primär z.B. um Sold. Um eine gute Posi- wir den anderen nicht erkennen. Insofern
tion. Um materielles Ansehen. Ein Händ- kämpfen unsere Soldaten mit verbunler opfert aber sein Leben nicht für Geld. denen Augen. Wir hielten und halten es
Und mit einem Söldner oder einem Kom- nach wir vor für unmöglich: Ein uns völmerzienten ist in diesem Sinn dann auch lig fremd gewordenes Phänomen kehrte
zurück. Die Rückkehr einer politischen
Theologie. Religion in dem Bereich, den
wir längst verloren haben.
Kenntnis der verlorenen
Dimension als Lösung
Demzufolge können wir aus dem Hier
und Jetzt den gegenwärtigen Terror so wenig verstehen wie dessen inhärente Religiosität. – Religion als amputierte, endlose
materialistische Moralisiererei ist zutiefst
Pseudoreligiosität, und insofern hat das
westliches Christentum oder was von diesem übrig blieb, Gott längst aus dem Glaubenskatalog gestrichen.
Unsere Kultur birgt nun allerdings die
Schätze, die uns genau diese uns verlorengegangene Dimension mindestens aufzeigen können. Wir mochten und mögen
dieses Phänomen nicht mehr wahrhaben.
Aber wenn wir die grossen Philosophen,
die grossen Theologen und religiösen Systeme nur schon unseres Westens wieder
konsultieren, können wir erkennen, worum es heute geht. Wir benötigen die Beispiele. Sie sind zugleich Erfahrung und
Wiedererkenntnis.
Wenn wir sie zur Kenntnis nehmen, haben wir eine Chance. Dazu bedarf es der
Verbindung sowohl mit den weltlichen
als auch den metaphysischen, also religiösen Elementen. Und jeder höhere Offizier
weiss, ein Feind ist nur zu besiegen, falls
man ihn auch kennt.
■
Johann Ulrich Schlegel
Dr. phil. et lic.iur.
Historiker und Jurist
Militärpublizist
8049 Zürich und
9475 Sevelen
Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 05/2016
27
Sicherheitspolitik
Beurteilung der militärischen Lage
in Europa
Aufgrund der Fehlleistungen im Krieg gegen Georgien von 2008
beschloss das Führungsgremium Russlands unter dem damaligen
Präsidenten Medwedew und dem damaligen Ministerpräsidenten
Putin, die Streitkräfte zu reformieren.
Albert A. Stahel
Mit dieser Reform unter der Bezeichnung Novy Oblik, New Look, in Anlehnung an das Reformprojekt des US-Präsidenten Eisenhower aus den 50er Jahren
des letzten Jahrhunderts, wurde der damalige Verteidigungsminister, Anatoly Serdyukow, beauftragt. Zu dieser Reform gehörte die konsequente Brigadisierung der
Streitkräfte, eine vereinfachte Führungsstruktur mit vier Militärbezirken – West,
Süd, Zentrum, Ost – , die Zusammenfassung der Luftstreitkräfte (VVS) und der
Luftverteidigungskräfte (VKO) zu den
Luftraumkräften (VKS), sowie eine massive Erhöhung des Anteils der Berufssoldaten und -unteroffizieren (die Kontrakti) um bis zu 2 ⁄3 des Gesamtbestandes der
Streitkräfte. Abgesehen von der vollständigen Brigadisierung werden die geplanten Reformmassnahmen heute unter dem
neuen Verteidigungsminister, Sergei Shogu, umgesetzt. Entgegen der ursprünglichen Planung zur vollständigen Brigadisierung sind die Armeestufe bei den Landstreitkräften wie auch die 2. motorisierte
Schützendivision und die 4. Panzerdivision beibehalten worden.
2016
Titelbild Military Balance 2016.
Quelle: Website ISS London
Modernisierung
und Aufrüstung
Noch unter Präsident Medwedew wurden 2010 als Ergänzung zum Novy Oblik
eine neue Militärdoktrin und ein Aufrüstungsprogramm in der Höhe von 19 400
Milliarden Rubel für die Periode 2011 bis
Potenzial an Waffensystemen Russische Föderation im Jahr 2020
interkontinentale ballistische Flugkörper (ICBMs)
400+
U-Boot-gestützte ballistische Flugkörper (SLBMs)
?
Militärische Satelliten
100+
Kampfflugzeuge
450
Kampfhelikopter
330
Drohnen (UAVs, Unmanned Air Vehicles)
4000+
Luftverteidigungssysteme S-400 (Divisionen)
56
nuklearangetriebene U-Boote mit SLBMs
8
nuklearangetriebene Angriffs-U-Boote
7
diesel-elektrisch angetriebene U-Boote
6 –10
Überwasserkriegsschiffe
50
Kampfpanzer
2300+
ballistische Kurzstreckenflugkörper Iskander (Brigaden)
10
28
Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 05/2016
2020 verabschiedet. Gemäss dieser Militärdoktrin, die in einem weiteren Bericht
2014 bestätigt wurde, sind für Russland
die NATO und das geplante Abwehrsystem der USA gegen ballistische Flugkörper in Osteuropa die grössten militärischen
Herausforderungen. Aufgrund der bisherigen Umsetzung wie auch der Ziele des
Aufrüstungsprogramms könnte die Russische Föderation 2020 über ein Arsenal an
wichtigen Waffensystemen verfügen, die
zu 70 – 80% neu und modern sein würden (Tabelle links).
Gemäss den Einschätzungen der NATO
betrugen 2015 die Verteidigungsausgaben
der Russischen Föderation 5,4 % des Bruttosozialproduktes. Angesichts der Stagnation der russischen Volkswirtschaft sind in
den nächsten Jahren einschneidende Kürzungen im Verteidigungsbudget denkbar.
Bis jetzt produziert die russische Rüstungsindustrie allerdings auf vollen Touren und
konnte bisher sogar die vom Verteidigungsministerium gestellten Vorgaben zahlenmässig übertreffen. So sind 2014 die verlangte Anzahl an modernisierten Kampfpanzern T-72 und Jagdbombern Su-34
vollumfänglich geliefert worden. 2014
konnte gegenüber dem Vorjahr die Rüs-
Sicherheitspolitik
tungsproduktion um 15,5 % gesteigert
werden, dies im Vergleich zur Produktionssteigerung von 1,7 % der gesamten russischen Industrie. Für die Periode
2016-25 ist die Produktion und Lieferung
von 2300 neuen Kampfpanzern T-14 Armata, die Lieferung der Kampfflugzeuge
T-50 der fünften Generation und des Luftverteidigungssystems S-500 an die russischen Streitkräfte zu erwarten.
Europa rüstet ab
te 2016 gar der Ernstfall eintreten, dann ist
aufgrund der bisherigen Erfahrungen mit
Obama im Krieg in Syrien vorstellbar, dass
er eine russische Aggression nur zögernd
mit militärischen Mitteln abwehren und
deshalb die Unterstützung der USA für die
Europäer mit Verspätung eintreffen würde.
Während Russland seit 2011 aufrüstet,
haben die wichtigsten Staaten Europas,
so Deutschland, Italien, Frankreich und
Grossbritannien, intensiv abgerüstet. Am
massivsten hat Deutschland abgerüstet.
Dieser Staat verfügte 1990 noch über Iskander Rakete auf Trägerfahrzeug MZKT 7930.
215 Kampfbataillone.
Heute sind es noch
34 Kampfbataillone.
Syrien-Konflikt
Vor allem bei den
dient der Erprobung von Neuem
Kampfpanzern, die
Dank der Umsetzung des Aufrüstungs- in einem zukünftiprogramms und der leistungsfähigen Rüs- gen Krieg wieder enttungsindustrie kann Russland auch an scheidend sein könnzwei geopolitisch sehr unterschiedlichen ten, haben alle diese
Orten gleichzeitig Krieg führen. In und Staaten massiv abgeüber Syrien testete die russische Führung rüstet. 1990 verfügbis anhin ihre Luftstreitkräfte (Luftraum- te Deutschland über
streitkräfte) aus, indem die Erdkampf- 74 Panzerabteilungen,
flugzeuge Su-25 und Jagdbomber Su-24 2015 sind es deren
und Su-34 sowie Mittelstreckenbom- 5. Italien hatte noch
ber Tu-22M über die syrische Oppositi- 1990 25 Panzerabteion Bombenteppiche von Freifall-Splitter- lungen, 2015 sind es
bomben hoher Explosivwirkung abwar- noch deren 3. Frankfen. Hin und wieder wurden durch stra- reich verfügte 1990
tegische Bomber Tu-95 und Tu-160 luft- noch über 16 Pangestützte Marschflugkörper (Kh-55/SM zerabteilungen, 2015
und Kh-102) und seegestützte Marsch- sind es noch 3. Bei
flugkörper Kalibr gegen Ziele in Syrien Grossbritannien waeingesetzt. Den Nachschub für die rus- ren es 1990 noch 14
Leopard 2A5 der Bundeswehr.
Bilder: wikipedia
sischen Kampfflugzeuge in Syrien leis- Panzerabteilungen.
ten Transportflugzeuge An-124 oder Heute sind es noch deIl-76 oder/und Transportschiffe über ren 3. Ein intensiver Abzug von KampfbaFazit
den Bosporus zum russischen Hafen Tar- taillonen erfolgte insbesondere durch das
tus in Syrien.
US-Kommando Europa (US EUCOM).
Der zunehmenden Instabilität der miDie Amerikaner hatten litärischen Lage in Europa als Folge der
1990 in Europa noch 25 europäischen und amerikanischen AbrüsPanzerabteilungen, heu- tung und des russischen Aufrüstungsprote verfügen sie in Europa gramms kann nur durch eine Wiederaufnoch über 1 1⁄3 Kampf- rüstung der mächtigsten Staaten Europas
panzerabteilungen.
sowie durch eine tatkräftige US-AdminisNach wie vor bilden die tration, die jene Obamas ablösen würde,
USA mit ihrem Potenti- begegnet werden. Tritt diese Entwicklung
al das Rückgrat der mili- nicht ein, dann könnten im nächsten Jahrtärischen Schlagkraft der zehnt die Staaten Europas durch die miliNATO, und nach wie vor tärische Schlagkraft Russlands erpressbar
sind die USA, was die Feu- werden.
■
erkraft ihrer Kampfflugzeuge betrifft, jener von Erstmals erschienen auf der Website
Eine russische Su-34 beim Abwurf einer KAB-500S-PräzisionsRussland überlegen. In «Strategische Studien».
bombe am 9. Oktober 2015 während des Einsatzes in Syrien.
einem Ernstfall müssten
allerdings die US-LuftAlbert A. Stahel
Was den hybriden Krieg in der Ost- streitkräfte zuerst nach Europa verlegt werProf. Dr. oec. publ.
Ukraine betrifft, so werden die eingesetz- den. Aufgrund der Auseinandersetzungen
Leiter Institut für
ten Panzerverbände und Eliteeinheiten zwischen der Administration und dem
Strategische Studien
(SPEZNAZ) immer noch vom russischen Kongress stagniert des Weiteren zum ge8820 Wädenswil
Territorium aus unterstützt und mit Waf- genwärtigen Zeitpunkt die Modernisierung der US-Streitkräfte weitgehend. Sollfen, Munition und Material versorgt.
Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 05/2016
29
Einsatz und Ausbildung
Unsere vitalen Interessen –
was tun wir für sie?
Von nationalen strategischen Interessen ist gelegentlich die Rede.
Was ist darunter zu verstehen? Wie sollten wir damit umgehen?
Der Offiziersgesellschaft Sarganserland nannte Peter Schneider
Antworten, die manchen überraschten.
Eugen Thomann, Redaktor ASMZ
Die heutige Schweiz stand Jahrhunderte lang im puren Überlebenskampf, wie
Oberst i Gst Peter Schneider darlegte,
bis vor kurzem Chefredaktor der ASMZ.
Noch im Zweiten Weltkrieg kam alles auf
erfolgreiche Dissuasion an; es galt, nach
aussen den Eindruck zu vermitteln, der
gewaltsame Griff nach der Schweiz lohne
nicht, sei militärisch zu kostspielig. Das
gelang General Henri Guisan mit einer
grossen Armee, mit massiven Geländeverstärkungen, mit der Strategie des Réduit.
Seither halten unsere Nachbarn zusammen, im Kalten Krieg gegen die Sowjetunion und den Warschauer Pakt, die man
als potenziellen Angreifer wahrnahm.
Derzeit droht uns kein Staat mit militärischer Gewalt. Dennoch erschüttern
Der Referent, Oberst i Gst Peter Schneider,
im Gespräch mit Major i Gst Michael
Lampert.
Bild: OG Sarganserland
30
weiterhin handfeste Konflikte Europa:
An den von 1996 bis 2000 blutig ausgetragenen Jugoslawienkrieg erinnert die
KFOR, eine internationale Friedenstruppe; zöge man sie ab, würde der Krieg
rasch wieder ausbrechen, und daran wird
sich noch auf Jahrzehnte hinaus nichts
ändern. – Als Estland sich 2007anschickte,
ein der Sowjetarmee gewidmetes Denkmal zu verschieben, legte eine Cyber-Attacke auf einen Schlag sämtliche staatlichen Computer lahm; wie durch Zauberhand verschwand der Spuk nach einer
Woche. – Seit 2014 herrscht Russland
auf der Halbinsel Krim, wider internationales Recht. Vorausgegangen waren das
Verteilen russischer Pässe, ein Propagandakrieg, Cyberwar, das Auftauchen von
Special Forces ohne nationales Kennzeichen und ein paar Todesfälle.
In Europas unmittelbarer Nachbarschaft
toben Bürgerkriege, seit 2001 in Libyen
und mit entsetzlichem Leiden seit 2012
in Syrien.
Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 05/2016
Was riskiert in dieser Lage die Schweiz?
Die Terrorgefahr gewiss, doch erreicht
sie bisher in unserer Umgebung nicht
eine strategische Dimension, trotz vieler
Opfer weder in Frankreich noch in Belgien. – Obwohl 1933 niemand Angriffsabsichten bekundete, sorgte Bundesrat
Rudolf Minger dafür, dass die schwächelnde Schweizer Armee hochgefahren wurde.
Das richtete sich gegen keinen Gegner; es
gab ja keinen. Die Verantwortlichen erkannten, es drohe Krieg. – Und heute?
Welche Wirtschaftsinteressen
stehen auf dem Spiel?
Die Schweizer Wirtschaft erschöpft sich
nicht im Finanzplatz und einer Pharmaindustrie, die ihresgleichen sucht. In unserem Land haben sich teils riesige Unternehmen niedergelassen, die wir gerne
«international» nennen, als ob das den engen Bezug zur Schweiz vermindern würde.
Dazu gehören die grössten Rohstoffhändler wie Vitol, xstrata,
Glencore.
An der Hochseeschifffahrt nimmt die
Schweiz scheinbar nur
mit 45 eigenen Frachtern teil. Wer weiss
schon, dass MSC, die
grösste Reederei, von
Genf aus 487 Containerriesen unter verschiedenen Flaggen
dirigiert? Für sie bedeuten Piraten eine
tödliche Gefahr. Wieviel schulden wir der
NATO, weil ihr gelang,
die Küste Ostafrikas
von Piraten zu säubern! Unterdessen zog
die Schweiz das Abseitsstehen vor. Das
EDA drängte 2009
Einsatz und Ausbildung
zwar, doch mochte offenbar das VBS nicht
so recht – und bald darauf das Parlament ebenso wenig, trotz Verfügbarkeit
von Sondereinsatzkräften des KSK, die zumindest europäisch jeden Vergleich aushalten.
Wie beizufügen wäre, entsinnt sich unsere Politik der von der Schweiz aus wirkenden internationalen Firmen nur, wenn
beispielsweise Militärunternehmen unserer Reputation schaden könnten. Das
«Bundesgesetz über die im Ausland erbrachten privaten Sicherheitsdienstleistungen» vom 27. September 2013 zeugt
davon. Wen kümmert indes, dass Indien
den für die Pharmabranche entscheidenden Patentschutz einfach ignoriert und
China Miene macht, Gleiches zu tun?
Die Zollfreiheit könnte für kein Land
wichtiger sein, da wir für 300 Milliarden
US-Dollar exportieren und für 260 Milliarden US-Dollar importieren. Erhöbe
die Europäische Gemeinschaft eines unschönen Tages 30 Prozent Exportzoll, so
wäre die Schweizer Wirtschaft nach sechs
«Wir sind schon lange
nicht mehr Kleinstaat.»
Monaten am Boden. Gegen die EU gäbe
es schon deswegen für die Schweiz schlicht
kein Überleben. «Schengen», das von manchen ernsthaft verabscheute, ja mitunter totgesagte Vertragswerk, ist und bleibt
für uns unentbehrlich, sorgt es doch für
einen europäischen Austausch von polizeilichen Informationen gegen den «Verzicht» auf systematische Grenzkontrollen. Die fanden in den Ballungsräumen
von Genf und Basel, ja selbst zwischen
Kreuzlingen und Konstanz, seit vielen Jahren nicht mehr statt und würden sofort
regionale wirtschaftliche Infarkte heraufbeschwören.
Profil der Schweiz
Dass unser Land nur vergleichsweise
wenig Quadratkilometer umfasst, bedeutet heutzutage so wenig eine Schwäche
wie das Fehlen vieler Rohstoffe – nicht
mitreden zu können im Kreise der «G20»,
schon eher. Der russische Präsident Putin
lud uns bisher als einziger der wechselnden Sprecher der zwanzig wichtigsten
Wirtschaftsnationen dazu ein. Frankreich
und China zogen uns immerhin für Vorgespräche bei.
Wo unsere Stärken liegen, deutet ein
Vergleich des Brutto-Inland-Produktes
(BIP) an. In absoluten Werten gemessen,
stehen wir auf der Rangliste zwischen Platz
17und 20. Misst man jedoch das BIP pro
Kopf und klammert man Kleinstaaten mit
Die Offiziersgesellschaft Sarganserland im «besten Alter»
Die Feier der 50-jährigen Selbständigkeit
ist Geschichte, die schöne Jubiläumsschrift des Chronisten Leo Coray samt vielen prominenten Beiträgen gedruckt, die
«Kampfgruppe Jubiläumsfeierlichkeiten»
der Herren René Achermann, Georg Egli
und Christian Nigg mit dem verdienten
Dank ins Glied zurückgetreten.
Der Schwung ist geblieben. Von ihm zeugen eindrückliche Jahresprogramme, vor
allem aber 23 Neu- und Wiedereintritte bei
einem für 2015 ausgewiesenen Mitgliederbestand von 217!
Oberstleutnant Rudolf Herzig gab 1964
einen wichtigen Anstoss; der Präsident der
KOG St.Gallen regte damals an, die ziem-
lich eingeschlafene Offiziersgesellschaft
Werdenberg-Sargans aufzuteilen. Er hoffte, die beiden Sektionen Werdenberg und
Sarganserland würden lebhafter wirken, –
und er behielt recht.
Oberstleutnant Axel Zimmermann durfte die jüngste Generalversammlung am
11. März 2016 in Walenstadt zuversichtlich mit der Losung schliessen «Einmal
Offizier, immer Offizier!». Dem Präsidenten und seiner OG Sarganserland scheint
zu glücken, die Veteranen nach dem immer früheren Ausscheiden aus der Armee bei der Stange zu halten. Dafür suchen viele seiner Kameraden noch das
Rezept.
ET
NATO-Verband beim Aufbringen von Piraten.
«Das geht uns mehr an, als wir meinen.»
Bild: P. Schneider
weniger als einer Million Einwohnern aus,
so rückt die Schweiz auf Platz 3 oder 4
vor, zu Dänemark und Katar. Wer die Öleinnahmen wegrechnet, findet die Schweiz
auf dem ersten Rang!
Neuerdings erzielen wir einen Aussenhandelsüberschuss wie wenige andere. – Nach dem Handelsplatz Singapur,
nach Belgien und den Niederlanden zählen wir zu den Exportweltmeistern.
Mit ins Profil gehört die – immerhin
bewaffnete – Neutralität. Sie geniesst den
Nimbus, uns drei Kriege erspart zu haben und ist politisch unerschütterlich verankert.
Ohne das verinnerlicht zu haben, sind
wir schon lange nicht mehr Kleinstaat,
sondern Mittelmacht. Das bedeutet mehr
Verantwortung, als wir gerne meinen –
und zuallerletzt Grund für Übermut oder
gar Überheblichkeit.
Konsequenzen
Uns täte mehr Rückgrat not, schliesst
Peter Schneider, wir sollten entschiedener auftreten, nicht leichthin klein beigeben, in Steuerkonflikten, in der Auseinandersetzung um den Flughafen BaselMulhouse oder um den Klotemer Fluglärm.
Unsere wichtigsten Partner bleiben dabei die EU und die NATO, das leistungsfähigste Militärbündnis, welches fast alle
Nachbarn vereint. Für Beitritt plädiert
Schneider in beiden Fällen nicht, wohl
aber für eine entspanntere, auch ehrlichere Zusammenarbeit, die gegenüber der
NATO ruhig ein Stück weiter gehen darf
als die «Partnerschaft für den Frieden». ■
Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 05/2016
31
Einsatz und Ausbildung
Wollen ist Können – Die Schweiz
am 100. Viertage-Marsch in Nijmegen
Rund 250 Angehörige der Armee werden vom 19. bis 22. Juli 2016
als Schweizer Armeedelegation bei der Jubiläumsausgabe am
100. Internationalen Viertage-Marsch in Nijmegen/NL an den Start
gehen. Der Viertage-Marsch von Nijmegen in Holland ist der
weltweit grösste Anlass dieser Art. 50000 Teilnehmer, davon mehr
als 6000 Militärpersonen nehmen daran teil. Die Marschgruppen
erbringen eine beachtenswerte sportliche Leistung in einem
begeisternden Rahmen. Das Spektakel zieht während dieser Woche
rund zwei Millionen Zuschauer an.
Edgar Gwerder
In der Schweiz und im Ausland werden viele Marschveranstaltungen durchgeführt. Die «Insider der Marschszene»
bezeichnen jedoch den Internationalen
Viertage-Marsch von Nijmegen in den
Niederlanden als die Krönung.
Geschichte
Der «Vierdaagse» hat eine lange Tradition – bereits 1909 fand der erste Marsch
statt. 1933 tauchten im Teilnehmerfeld
erstmals Schweizer Namen auf, und seit
1959 nimmt eine Schweizer Armeedelegation als Marschbataillon in ununterbrochener Reihenfolge an dieser ausser-
gewöhnlichen Veranstaltung teil. Das Bataillon wird von diversen Marschgruppen
aus verschiedenen Regionen der Schweiz
durch männliche und weibliche AdA
(FDA+RKD) auf freiwilliger Basis jedes
Jahr neu gebildet.
Als Vorbereitung müssen mindestens
300 km in den einzelnen Gruppen trainiert werden. Dabei wird der Körper gestählt, die Füsse geschunden und die Leistungsfähigkeit getestet. Selbstverständlich
wird dabei die Kameradschaft innerhalb
der Gruppen gefestigt.
Organisation
Organisiert wird der Marsch durch den
KNBLO (Königlich Niederländischen
Tagesziel: Möglichst schnell die mindestens 40 Marschkilometer absolvieren.
Gemeinsam über Land mit zivil Marschierenden unterwegs.
32
Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 05/2016
Bund für Leibeserziehung) in enger Zusammenarbeit mit der Niederländischen
Armee. Dabei gilt das Motto «Wollen ist
Können»!
Mehr als 6000 Militärpersonen aus über
50 Nationen sind im Camp Heumensoord
im Naherholungsgebiet von Nijmegen untergebracht. Das Zelt- und Barackenlager
wird jedes Jahr nur für diese Veranstaltung
auf- und anschliessend wieder abgebaut.
Hier findet der Teilnehmer seine einfache
Unterkunft. Übernachtet wird im Schlafsack auf den aus Zivilschutzanlagen bekannten Bettgestellen. Weitere Infrastrukturen wie das Essenszelt mit 4000 Sitzplätzen, ein Show-Zelt mit Live-Musik, Imbissstände, Souveniershop und Sanitäranlagen runden das Camping-Feeling ab.
Einsatz und Ausbildung
kategorie vier mal mindestens 40 km. Die
Streckenführung erfolgt in Rundkursen
sternförmig um die Stadt Nijmegen. Der
Marsch erfolgt in Uniform (Tarnanzug 90)
mit mindestens 10 kg Gepäck.
Die Schweizer Teilnehmer absolvieren
den Marsch im Rahmen der freiwilligen
ausserdienstlichen Tätigkeit, das heisst es
gibt weder Sold noch EO-Entschädigung.
Auch die Kosten für die Hin- und Rückreise sowie das Startgeld gehen zu Lasten
der Teilnehmenden.
Für die Betreuung der AdA’s steht ein
Miliz-Delegationsstab zur Verfügung. Er
wird tatkräftig unterstützt durch die SAT
(Schiesswesen und ausserdienstliche Tätigkeit) sowie durch Sanität, Militärpolizei und
Dienstpersonal.
Die Marschgruppen der SVMLT
(Schweizerischer Verband der Mechanisierten
und Leichten Truppen) in Formation.
Hervorragende Organisation
im Schweizer Marschbataillon
Als Teil einer «leading nation» geniesst
die Schweizer Armee einige besondere
Privilegien. Die bis jetzt gemeldeten 15
Schweizer Marschgruppen sind in einem
Marschbataillon zusammengefasst, daher
unter Schweizer Führung eigenständig
und eigenverantwortlich organisiert und
als Einheit in einem Zelt untergebracht.
Die Delegation setzt sich aus Marschgruppen mit mindestens elf Marschieren-
Musik
Das Marschbataillon
wird 2016 durch das
Spiel Berner Oberland
unter der Leitung des
in der Blasmusikszene
bekannten Dirigenten
Jakob Leuenberger begleitet. Verstärkt wird
das Spiel durch die sehr
Einmarsch in die Stadt auf der Via Gladiola vor ca.½ Million
gute Tambourengruppe
Zuschauern.
Bilder: Hans Walther
Houzzinoggle und die
Folkloregruppe Sabina,
den und einem Betreuer zusammen, wo- Melanie und Ruedi (SMR). Umrahmt
bei die Zusammensetzung (weibliche und wird das Ganze mit farbenprächtigen Fahmännliche Armeeangehörige) frei ist. Mar- nenträgern in historischen Uniformen und
schiert wird ausschliesslich in der Militär- Ehrendamen in Berner Sonntagstracht. Sie
geben Platzkonzerte, spielen an den Defilierpunkten an der Marschstrecke auf und
befeuern so die Volksfeststimmung. Beim
abschliessenden Einmarsch in die Stadt
integriert sich die Musik mit den Tambouren in das Marschbataillon und marschiert die letzten fünf Kilometer unter
dem tosenden Applaus von Tausenden von
Zuschauern.
■
Mehr Informationen unter:
- Marsch allgemein www.4daagse.NL
- Schweizer Delegation www.he.admin.ch
- Musik www.spiel-berneroberland.ch
Oberst
Edgar Gwerder
Delegationsleiter
Kreiskommandant Schwyz
6403 Küssnacht am Rigi
Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 05/2016
33
Einsatz und Ausbildung
Vielschichtige Herausforderungen
Die SOG FU blickt auf ein erfolgreiches Geschäftsjahr zurück;
allerdings drücken ein paar personelle Probleme. Der neue Präsident
der SOG nutzte seinen ersten Auftritt vor einer Sektion für eine
Standortbestimmung zur finanziellen und personellen Alimentierung
der Armee sowie zu künftigen Rüstungsprogrammen. Die SOG will
diese Themen mit der nötigen Konsequenz anpacken.
Peter Müller, Redaktor ASMZ
Die 10. Mitgliederversammlung der
Schweizerischen Offiziersgesellschaft Führungsunterstützung (SOG FU) fand am
2. April 2016 im Alten Zeughaus Uster
statt. Oberst Martin Bollinger, seit einem
Jahr Präsident, durfte 37 stimmberechtigte Mitglieder sowie eine stattliche Anzahl prominenter Gäste aus Politik, Wirtschaft und Armee begrüssen. Die für einen
Verein üblichen statutarischen Geschäfte
gaben zu keinen Diskussionen Anlass und
konnten so speditiv erledigt werden. Namentlich schloss die Rechnung 2015 mit
einem Gewinn von rund 6800 CHF ab,
das Budget 2016 ist ausgeglichen und der
Mitgliederbestand konnte mit rund 375
aktiven Mitgliedern auf hohem Stand gehalten werden. Im Vorstand sind keine
Änderungen zu verzeichnen.
heute noch miliztauglich?» (siehe ASMZ
Nr. 11/2015, S. 24 –27). Die Kosten von
über 100 000 CHF übersteigen das ordentliche Budget der SOG FU um das
Vierfache! Dank namhaften Sponsorenbeiträgen und nicht unbedeutenden Teilnahmegebühren konnte der Anlass selbsttragend durchgeführt werden. Doch auch
hier drückt der personelle Schuh: Bollinger teilte an der Mitgliederversammlung
mit, dass die Mehrfachbelastung als Präsident und Chef des OK kaum mehr
unter einen Hut zu bringen sei. Der Vor-
Präsident SOG, Oberst i Gst Stefan Holenstein (links), und Prasident SOG FU,
Oberst Martin Bollinger, an der Mitgliederversammlung.
Bild: Stephen Jones, SOG FU
Attraktives Tätigkeitsprogramm
Die SOG FU bietet ihren Mitgliedern
normalerweise fünf Anlässe pro Jahr an:
Nach dem Frühjahrshöck folgt im Sommer üblicherweise ein Fachvortrag bei
einer Unternehmung. Höhepunkt bildet
im Herbst entweder das dreitägige FUForum (alle zwei Jahre) oder ein Besuch
bei einer befreundeten Organisation (Beispiel 2016: Ehemaligentag LVb FU 30
vom 14.10.2016). Der Jahresschluss-Anlass umfasst neben dem gemütlichen Beisammensein üblicherweise eine Besichtigung. Die Mitgliederversammlung schliesslich beinhaltet ein interessantes Rahmenprogramm mit einem Gastreferat.Weitere
Anlässe würden gerne angeboten, doch
bedingte dies eine Verstärkung des EventTeams.
Höhepunkt und Prunkstück im Tätigkeitsprogramm der SOG FU bildet zweifellos das dreitägige FU-Forum. 2015 fand
es auf dem Stoos (SZ) statt; es ging der
Frage nach: «Sind vernetzte IKT-Systeme
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Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 05/2016
stand sucht deshalb intensiv nach einem
neuen OK-Präsidenten für das FU-Forum
2017.
Die Rückseite der Wohlfühlzone
Der Präsident der SOG FU streifte in
seinem Jahresrückblick auch kurz die wesentlichsten sicherheitspolitischen Ereignisse des vergangenen Jahres. Er stellte
fest, dass «das hohe Gut der Sicherheit
keine Selbstverständlichkeit sei und die
Sicherheit ihren Preis habe». Er gab deshalb seiner Hoffnung Ausdruck, dass
dies von rechts bis links begriffen und die
Sicherheitspolitik nicht wieder Gegenstand von parteipolitischen Machtspielchen werde.
Einsatz und Ausbildung
Die aktuelle «Wohlfühlzone Schweiz»
zeigt sich ausgeprägt in personellen Aspekten: Im Mittel nehmen nur rund 10 –15
Prozent der Mitglieder der SOG FU an
den verschiedenen Anlässen teil (Ausnahme: FU-Forum mit über 100 Teil-
«Die WEA ist der Reformund Entwicklungsschritt
der Armee, welcher
wirtschaftlich, politisch
und gesellschaftlich
tragfähig ist. Alle andern
Forderungen und Ideen
sind reine Utopie.»
Oberst i Gst Stefan Holenstein
Präsident SOG
nehmenden). Es ist ferner nicht einfach,
Vorstands- oder OK-Mitglieder für eine
freiwillige, ausserdienstliche und ehrenamtliche Tätigkeit zu gewinnen. Bollinger bezeugte denn auch Respekt: Es sei
nicht selbstverständlich, «dass Milizoffiziere ihre Abende und Wochenenden für
die Belange der Führungsunterstützung
opfern».
In dieses Bild passt auch die Tatsache,
dass der Rechnungsversand der Mitgliederbeiträge bei der SOG FU jeweils «eine
kleine Austrittswelle nach sich zieht» oder
die Beiträge einfach nicht bezahlt werden.
Der Vorstand entschloss sich deshalb 2015
zu einer Säuberung seines Mitgliederbestands: Er schloss insgesamt 29 Personen
aus, welche seit mehreren Jahren den Beitrag schuldig blieben. Die ordentlichen
Austritte (17 Personen) hielten sich auf vergleichsweise tiefem Niveau. Dank regen
Kontakten zu Schulen und Kursen konnten umgekehrt erfreulicherweise 53 Neuzugänge gewonnen werden. Die Säuberung schlug somit nicht negativ auf den
Mitgliederbestand durch.
WEA: Finanzierung sichern
Der neue Präsident der SOG, Oberst i
Gst Stefan Holenstein, hatte nach seiner
Wahl den ersten offiziellen Auftritt als
Gastreferent vor den Mitgliedern einer
Sektion. Er ging im Rahmen seines beachtenswerten Referats hauptsächlich auf
drei aktuelle Herausforderungen der SOG
und der Armee ein. Einleitend rief er einen
der Hauptzwecke der SOG in Erinnerung:
Der Dachverband der Schweizer Offiziere – 1833 gegründet – mit seinen rund
20 000 Mitgliedern setzt sich aktiv für die
sicherheitspolitische Meinungs- und Willensbildung sowie eine glaubwürdige Sicherheitspolitik ein.
Er stellte mit Befriedigung fest, dass die Stimme der SOG bei der Beratung der Weiterentwicklung der Armee (WEA)
gehört wurde; die meisten
Anliegen seien berücksichtigt worden. Es gehe nun
darum, die WEA endlich
starten zu lassen und das
Hauptaugenmerk auf die
Sicherstellung einer ausreichenden Finanzierung
zu richten. Mit der WEA
liege nun das vierte Reformprojekt der Armee innert kurzer Zeit auf dem
Tisch. Keines der vorhergehenden Projekte sei richtig umgesetzt worden; die
Hauptursache liege bei den
fehlenden Finanzen.
Der Präsident der SOG
rief
in Erinnerung (siehe
Grafik: SOG
Grafik), dass die Schweiz
immer erst dann ihr Verteidigungsbudget massiv erhöhte, wenn
die Weltlage brannte. Anschliessend wurde es massiv und stetig verkleinert, aus der
falschen Hoffnung heraus, dass so etwas
nie wieder passieren werde. Daraus leitete
er die Erkenntnis ab: «Wir waren immer
zu spät und nicht bereit». Das VBS sei das
einzige Departement, welches über die
letzten zwanzig Jahre real gespart habe
bzw. sparen musste: Die Kürzungen zwischen 1998 und 2018 beliefen sich auf
knapp 4 Mia. CHF. Das aktuell diskutierte Budget des VBS von 5,0 Mia. CHF pro
Jahr stelle einen Kompromiss dar und die
WEA sei bei weitem nicht perfekt. Ein
Herausforderungen der SOG
• Sicherstellen der finanziellen und personellen Alimentierung der Armee;
• Verbesserungen im Sicherheitspolitischen Bericht;
• Kritische Begleitung der Umsetzung der
WEA;
• Einsitznahme in der Begleitgruppe
«Neues Kampfflugzeug» (NKF);
• Weiterentwicklung des Dienstpflichtmodells;
• Nachhaltige Massnahmen zur Reduktion der Anzahl bewilligter Zivildienstgesuche;
• Effiziente Führungs- und Dienstleister-Rolle gegenüber den OG, KOG und
Fach-OG.
Quelle: SOG
Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 05/2016
35
Einsatz und Ausbildung
weiterer Marschhalt (Referendum) sei jedoch zu vermeiden: Höhere Bestände, die
nicht ausgerüstet sind und eine Armee,
welche finanziell nicht ausreichend alimentiert ist, seien keine Alternative. Die
SOG werde deshalb mit aller Kraft darauf hinwirken, dass das geplante Budget
– mithin der Schlüsselfaktor der WEA –
tatsächlich bewilligt und die geplanten
Gelder dann auch ausgegeben werden
(keine Kreditreste).
Zivildienst höhlt Armee aus
Eine weitere wichtige Herausforderung
sieht Oberst i Gst Stefan Holenstein in der
ausreichenden personellen Alimentierung
der Armee: Seit rund 10 Jahren finde im
«Die SOG fordert von
Bundesrat und Parlament,
die Anzahl Zulassungen
zum Zivildienst mit
einfachen und konkreten
Massnahmen
neu zu kalibrieren.»
Oberst i Gst Stefan Holenstein
Präsident SOG
Verborgenen eine langsame, unaufhaltsame Unterwanderung der Wehrpflicht
statt; dies gefährde die Armee in ihren
Grundfesten. Das Schweizer Stimmvolk
habe 2013 mit 73% sehr deutlich ja
gesagt zur allgemeinen Wehrpflicht und
damit zum Dienst der Schweizer in der
Armee. Heute müsse man ernüchtert feststellen, dass der Zivildienst nicht mehr
als Ersatz für den Militärdienst, sondern als gesellschaftliche Errungenschaft
betrachtet werde, die man frei wählen
könne.
Gefährdung Armeebestand
39 000 Rekrutierungsaufgebote
23 800 Militärdiensttaugliche
7 400 Abgänge nach Rekrutierung
16 400 Alimentierung der Armee (2015)
18 000 Jährlicher Bedarf der Armee
(mit der WEA)
Personallücke: rund 2 Bataillone pro Jahr
Quelle: SOG
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Die alarmierenden Zahlen redeten eine
deutliche Sprache: Jährlich werden rund
39 000 Schweizer zur Rekrutierung aufgeboten; davon sind rund 61% militärdiensttauglich (23800). Vor, während und
nach der Rekrutenschule scheiden über
7400 Dienstpflichtige aus der Armee aus,
der Grossteil davon wechselt in den Zivildienst. Dies und weitere Abgänge führten dazu, dass die Armee 2015 bloss mit
16 400 Angehörigen alimentiert wurde;
der jährliche Bedarf für die künftige Armee
auf der Basis der WEA liege jedoch bei
18000. Gehe diese Entwicklung weiter, so
fehlten der Armee ab 2018/19 jährlich rund
zwei Bataillone! Es wäre beschämend, wenn
die Armee dank hartnäckigem Kampf voraussichtlich die benötigten finanziellen
Ressourcen erhalte, sie dann aber personell nicht alimentieren könne, weil unter
anderem der Zivildienst sie ausblute.
Keine Fehlertoleranz
bei Rüstungsprogrammen
Die dritte grosse Herausforderung ortet der neue Präsident der SOG bei den
künftigen Rüstungsprogrammen: Hier
gehe es um die Ablösung wichtiger und
kostspieliger Systeme, welche alle für Diskussionen in der politischen Landschaft
sorgen dürften. Viele Vorhaben seien in
einem sehr engen Zeitraster geplant, welche keine Verzögerungen ertrügen. Die
Prozesse seien sehr komplex. Dabei dürfe es keine Fehler geben; es herrsche eine
Nulltoleranz. Andernfalls drohe ein Glaubwürdigkeitsverlust der Armee. Unter dieser Optik kann der Präsident der SOG den
Entscheid von Bundesrat Parmelin nachvollziehen, das Projekt BODLUV noch
einmal genauer unter die Lupe zu nehmen.
Die Kehrseite dieses Entscheids: Nun drohen 2017 wieder Kreditreste und es sei
schwierig, die hohen Investitionsausgaben
einem späteren Rüstungsprogramm aufzupfropfen.
Oberst i Gst Stefan Holenstein ruft deshalb die Mitglieder der SOG zu Geschlossenheit auf, um als Multiplikatoren in der
Gesellschaft «Verständnis für die komplexen Zusammenhänge zu schaffen, deren
Notwendigkeit zu erklären und das Vertrauen in die Beschaffung zu stärken».
Dazu müssten die Mitglieder jedoch von
der Richtigkeit und Notwendigkeit der
einzelnen Vorhaben überzeugt sein. Ein
Aufruf folglich an die Armee und an armasuisse, den Beschaffungsprozess transparent zu gestalten; andernfalls gerate man
in einen Teufelskreis.
■
Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 05/2016
SOG-Vorstand
neu zusammengesetzt
An der Delegiertenversammlung der SOG
vom 12. März 2016 in Chur wählten die
Delegierten sechs neue Vorstandsmitglieder.
Oberst i Gst André Kotoun ist ehemaliger Berufsoffizier und Geschäftsführer bei
bureau K. SA in Muri bei Bern. Milizmässig ist er beim Führungsstab der Armee,
FGG 7, Astt 270 eingeteilt. Seine Kandidatur erfolgte auf Vorschlag der Kantonal
Bernischen Offiziersgesellschaft.
Oberst Peter Balzer arbeitet als eigenständiger Immobilienunternehmer und lebt
in Eiken (AG). Der aktuelle Präsident der
Aargauischen Offiziersgesellschaft ist als
Chef Infra im Stab der Territorialregion 2
eingeteilt. Er wurde von der Aargauischen
Offiziersgesellschaft nominiert.
Oberst Jean-François Bertholet ist Direktor bei der LGT Bank (Suisse) SA und
stammt aus Courfaivre (JU). Als ZSO ist
er dem Kommandanten der Territorialregion 1 unterstellt. Er ist ehemaliger Präsident der Jurassischen Offiziersgesellschaft, welche ihn auch nominiert hat.
Oberst Yvan Demierre arbeitet als Projektleiter bei der Schweizerischen Post und
lebt in Villars-sur-Glâne. Milizmässig ist
er im Führungsgrundgebiet 5 des Heeresstabs eingeteilt. Auch er ist ehemaliger
KOG-Präsident und wurde von seiner Freiburgischen Offiziersgesellschaft vorgeschlagen.
Oberstleutnant i Gst Yannick Buttet ist
Walliser Nationalrat und amtet als Gemeindepräsident in Collombey-Muraz.
Er ist Kommandant des Bat Car 1. Seine
Nomination erfolgte auf Vorschlag der
Walliser Offiziersgesellschaft (Valais Romand). Nach seiner Wahl in den Vorstand
wurde Yannick Buttet zum Vizepräsidenten der SOG ernannt.
Major Patrick Mayer arbeitet als Generaldirektor bei Foncière du Léman und lebt
in Epeisses (Vully). Er ist im Stab der Panzerbrigade 1 eingeteilt. Seine Nomination erfolgte auf Vorschlag der Genfer Offiziersgesellschaft.
Verabschiedungen
Mit grossem, anerkennendem Applaus
aus dem Vorstand der SOG verabschiedet
wurden Präsident Br Denis Froidevaux,
Oberst i Gst Bernhard Schütz, Oberst JeanFrançois Gnaegi, Oberst Peter Tschantré,
Oberstleutnant i Gst Antonio Spadafora
und Major Christophe Chollet.
Wirtschaft / Rüstung
Weniger Schadenfälle
Das Schadenzentrum VBS blickt auf ein zufriedenstellendes Geschäftsjahr
2015 zurück. Erstmals war ein Grossereignis komplett im benachbarten
Ausland abzuwickeln. Unter Federführung von armasuisse Immobilien
wird in den nächsten Jahren mit der Desinvestition von Schiessplätzen ein
Generationenprojekt umgesetzt. Die bewährten Präventionsmassnahmen
sollen 2016 fortgeführt werden.
Peter Müller, Redaktor ASMZ
Unter der neuen Leitung von Peter
Studer (er trat am 1. September 2015 die
Nachfolge von Josef Leu an) führte das
Schadenzentrum VBS seinen traditionellen Jahresrapport am 31. März 2016 im
Rathaus Bern durch. Er zeigte sich zufrieden mit der Entwicklung im letzten Geschäftsjahr: Die Anzahl Schadenfälle ging
um rund 2% auf 7460 zurück. Die Gesamtkosten erhöhten sich zwar um 9%
auf 13,87 Mio. CHF. Diese Zunahme ist
jedoch einzig bedingt durch einen komplexen Personenschaden in den USA aus
dem Jahre 2011, welcher endlich abgeschlossen werden konnte. Ohne diesen
Einzelfall (1,28 Mio. CHF) hätte sich auch
die Schadensumme 2015 leicht zurückgebildet.
Unvorsichtigkeit am Steuer
Entgegen der landläufigen Meinung
(Land- und Holzschäden) entfielen 2015
die weitaus meisten Schadenfälle unverändert auf die zivilen und militärischen
Bundesfahrzeuge (77%). Entsprechend
verursachte diese Schadenart auch mit Abstand am meisten Kosten (58%). Die beiden deutlich häufigsten Unfallursachen
sind dabei die falsche Einschätzung der
Fahrzeugdimensionen und unvorsichtiges
Rückwärtsfahren. Bedenklich scheint, dass
diese Auslöser in den vergangenen Jahren stetig angestiegen sind; das Schadenzentrum VBS hat die entsprechenden Präventionsarbeiten verstärkt. Mit
Abstand an dritter Stelle folgt die mangelnde Aufmerksamkeit am Steuer. Weitere Unfallursachen wie Nichtanpassen
der Geschwindigkeit, zu nahes Aufschliessen, Übermüdung oder Alkohol/Drogen spielen dagegen eine unbedeutende
Rolle.
Das Schadenzentrum VBS konnte mit
Zahlenmaterial ein häufiges Vorurteil
Schadenzentrum VBS: Mengengerüst
Pro Jahr
7 500 Schadenfälle
5 500 Ereignisse
7 000 Zahlungen
15 500 Telefonanfragen
13 000 E-Mails
Pro Arbeitstag ø
35 Schadenfälle
25 Ereignisse
30 Zahlungen
70 Telefonanfragen
60 E-Mails
widerlegen: Die Armee legte mit rund
27500 Fahrzeugen im vergangenen Jahr
mehr als 39 Mio. Kilometer zurück. Dies
entspricht einer vergleichsweise eher bescheidenen Fahrleistung von etwas mehr
als 1400 Kilometer pro Fahrzeug. Anders gerechnet: Im militärischen Strassen-
verkehr tritt ein Schadenereignis durchschnittlich alle 17100 Kilometer ein. Gemessen an der Fahrleistung ist somit der
militärische Strassenverkehr nicht un-
Beispiel Altlastensanierung Schiessanlage
in Thun.
Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 05/2016
37
Wirtschaft / Rüstung
Flugzeugabsturz F/A-18
bei Glamondans (FRA)
• Krater von 15×14 m Fläche und7m Tiefe
• 1476 m3 verunreinigte Erde (Kerosin)
• 1928 m3 Auffüllung mit Kulturerde
• 2 Hektaren Rekultivierung (entspricht
ca. 3 Fussballfeldern)
(Quelle: Schadenzentrum VBS)
fallträchtiger oder teurer unterwegs als
der zivile.
Aussergewöhnliche
Schadenregulierung
Eine echte Premiere erlebten die Verantwortlichen des Schadenzentrums im
Herbst des letzten Jahres: Nach dem Absturz einer F/A-18 bei Glamondans im
französischen Jura (ca. 50 km nördlich
von Pontarlier) musste erstmals ein Schadenereignis komplett im grenznahen Ausland geregelt werden. Obwohl mit Frankreich – wie mit andern Anrainer-Staaten
der Schweiz – internationale Übereinkommen zu Luftwaffen-Übungsflügen bestehen, war die Zuständigkeitsfindung und
Hilfeleistung anfänglich «sehr verworren»
und es bedurfte zahlreicher Absprachen
vor Ort.
Zuerst mussten die französischen Fluguntersuchungsbehörden die Unfallstelle freigeben. Anschliessend erstellte die
Schweizer Armee ab einer kleinen Wald-
Unfälle mit zivilen Bundesfahrzeugen.
Bilder: VBS-DDPS
Unachtsamkeit am Steuer.
schneise eine Abrollstrasse zum Unglücksort auf einem offenen Weizenfeld. Nach
dem Abtransport der Wrackteile wurde
die mit Kerosin verunreinigte Erde ausgehoben, nach Vorgaben der französischen Behörden einer französischen Entsorgungsfirma zugeführt und dort nach
international anerkannten biologischen
Verfahren dekontaminiert. Schliesslich
musste der Krater aufgefüllt und die Umgebung rekultiviert werden (Details siehe
Kasten oben).
Erfolgsfaktor Empathie
Durch die stete Präsenz vor Ort, die Begleitung der Instandstellungsarbeiten und
die Funktion als kompetenter Ansprechpartner konnte das Schadenzentrum VBS
bei den betroffenen Grundeigentümern
ein effizientes, unkompliziertes Bild unserer Armee sowie der Schweiz vermitteln. Die beiden Landwirte und der Chef
Schadenzentrum VBS besiegelten die sogenannte Schlussabschatzung im November 2015 auf dem betroffenen Landabschnitt per Handschlag. Als die Grundeigentümer auch noch ein Soldatenmesser mit Aufschrift des Departementschefs
erhielten, kriegten sie in den Worten von
Peter Studer «feuchte Augen» und «die
Welt war, einen innigen Moment lang,
sanft sowie in Ordnung zugleich».
Der Unfall wird erst in der Schadenbilanz 2016 erscheinen, wenn die Schlussabrechnung vorliegt und überprüft ist,
dass zwischenzeitlich im ursprünglichen
Absturzkrater keine Bodenabsenkungen
erfolgten. Merke: Erfolgreiche Schadenregulierung hat sehr viel mit Empathie
und menschlichem Auftreten zu tun; der
eigentliche Schaden wird zweitrangig.
Generationenprojekt:
Desinvestition von Schiessplätzen
Das Schadenzentrum VBS erledigt
nicht nur Schadenfälle, sondern bringt
sein Fachwissen auch in die enge Zusammenarbeit mit andern Bundesstellen ein.
armasuisse Immobilien betreut gegenwärtig ein solches Projekt: Es geht darum,
Schiessplätze im sogenannten Dispositionsbestand des Bundes zu dekontaminie-
38
Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 05/2016
ren. Mit andern Worten: Zielgebiete auf eine tiefe Belastung keinen weiteren HandSchiessplätzen, welche künftig durch die lungsbedarf auslöst.
verkleinerte Armee nicht mehr benötigt
werden, sind zu sanieren und dem GrundKeine Sonderreglungen
eigentümer entgiftet zurückzugeben (Defür VBS
tails siehe Kasten). Die Vorarbeiten mit
der Inventaraufnahme (öffentlicher KaDas VBS geniesst im engen Korsett der
taster), welche 1998 begannen, konnten rechtlichen Vorschriften keine Sonder2009 abgeschlossen werden. 2010 setzten regelung und der Handlungsspielraum
die technischen Unist klein. Sanierungstersuchungen des Bobedürftige Standorte
dens und die eigentmüssen zwingend
«Das Gras wächst
lichen Sanierungsaraufgrund einer Vernicht schneller,
beiten ein. Das Profügung der Aufsichtsjekt dürfte in rund
behörde saniert werwenn man daran zieht.» den! Dazu ist eine
25 Jahren abgeschlossen sein und Kosten
Baubewilligung erAfrikanisches Sprichwort
von 200 –300 Mio.
forderlich; die SanieCHF auslösen. Es
rung ist juristisch ein
handelt sich folglich um ein eigentliches «Bauprojekt mit Schwerpunkt AbfallGenerationenvorhaben.
entsorgung und Rekultivierung». Die
Rolf Keiser, Leiter des Kompetenzzen- Schadstoffe (namentlich Blei) werden antrums Boden bei armasuisse Immobilien, schliessend vom Standort entfernt und in
gab am Jahresrapport des Schadenzen- spezialisierten Firmen behandelt, bis keitrums einen Einblick in die anspruchsvol- ne Gefährdung mehr besteht. Erst dann
len Arbeiten. Gestützt auf die Umwelt- kann das Zielgebiet wieder der üblichen
schutzgesetzgebung des Bundes (USG) Nutzung zugeführt und dem ursprüngliund namentlich auf die Altlastenverord- chen Eigentümer übergeben werden.
nung sind Gefährdungsabklärungen vorDas Hauptproblem liegt – neben den
zunehmen: Aufgrund einer historischen Kosten, welche durch armasuisse ImmoUntersuchung (bis 100 Jahre zurück) sind bilien zu tragen sind – bei der VollstänTeilgebiete mit starker Schiesstätigkeit im digkeit der Informationen: Viele Schiess«Kataster der belasteten Standorte des VBS plätze befinden sich nicht im Besitz des
(KbS)» einzutragen. Dieser Kataster wird Bundes, alte Verträge sind teilweise nicht
öffentlich geführt und kann durch jeder- mehr vorhanden und häufig bestehen gemann eingesehen werden (siehe www.kbs- mischte Nutzungen. Hauptziel des ganzen
vbs.ch). Pro Standort erfolgen anschlies- Projektes ist, die Rückgabe nicht mehr
send technische Untersuchungen: Bei benötigter Schiessplätze in einem rechtsÜberschreiten gewisser Grenzwerte ent- konformen Zustand vorzunehmen.
steht daraus zwingend ein Sanierungsprojekt. Möglich sind bei geringeren BeBewährte
lastungen Nutzungseinschränkungen mit
Präventionsmassnahmen
Entschädigungsfolge; diese werden in ZuDas Schadenzentrum VBS will seinen
sammenarbeit mit dem Schadenzentrum
VBS beurteilt. Denkbar ist aber auch, dass Auftritt und die bewährte Präventionsstrategie auch 2016 fortführen: Die Mitarbeitenden und Schadenexperten solDesinvestition Schiessplätze
len als kompetente, unbürokratische Problemlöser in der Öffentlichkeit wahrgeAktueller Bestand
nommen werden, welche aus der Region
• ca. 870 Schiessplätze
• ca. 2200 Zielgebiete
kommen und sich für die Region engagieren. Die Schulungs- und PräventionsKünftiger Bestand
arbeiten sollen weitergeführt werden; na• ca. 170 Schiessplätze
mentlich will man den Übungsleitern vor
• ca. 450 Zielgebiete
und während grösseren Übungen beraSchadstoffe auf Schiessplätzen (total)
tend zur Seite stehen. Und schliesslich
• ca. 10 000 t Blei
soll in den Worten von Peter Studer auch
• ca. 400 t Antimon
bei schwierigen Einsätzen und Dossiers
• ca. 300 t Kupfer
stets daran gedacht werden, dass «das Gras
(Quelle: Schadenzentrum VBS / armasuisse
nicht schneller wächst, wenn man daran
Immobilien)
zieht».
■
Luftwaffe
Finanzierung der WEA: Wo bleibt
der Blick in die Zukunft?
Organisierte Kriminalität, Terrorismus, internationale Krisen und
Kriege beherrschen die Schlagzeilen und beschäftigen Bevölkerung,
Politik und Behörden. Das grösste Risiko bleibt die Unbestimmtheit
der nächsten Jahre.
Olivier Savoy
Die WEA soll die Schweizer Armee für
diese sicherheitspolitischen Herausforderungen wieder fit machen. Doch droht
einmal mehr ein Scheitern einer Armeereform auf Grund einer ungenügenden
Ausfinanzierung.
Verteidigungsbudget:
ein finanzieller Steinbruch
Seit Ende des Kalten Kriegs nahmen
die Verteidigungsausgaben stetig ab. Das
Verteidigungsbudget mutierte zum finanziellen Steinbruch, gleichzeitig verlor
die Schweizer Landesverteidigung immer
mehr an Fähigkeiten.
Zu Beginn der 1990er Jahre standen
dem Verteidigungsbereich noch deutlich
mehr als 5 Mia. CHF zur Verfügung. Mit
Beginn der Armee XXI waren es noch
4 Mia. CHF. Bedenklich an diesem Rückgang ist die überproportionale Erhöhung
der Betriebskosten zu Lasten der Rüstungsausgaben. Von 1990 bis 1996 hielten
sich diese Ausgabenpositionen die Waage
mit leichtem Vorteil zu Gunsten der Rüstung. Dann kippte das Verhältnis zu Lasten der Rüstungsausgaben.
Diese Tendenz wurde mit den Entlastungsprogrammen 2003 und 2004 weitergeführt und der Armee dreistellige Millionenbeträge entzogen. Die Kürzungen
auf 3,8 Mia. CHF im Jahr 2006, bzw. 3,7
Mia. CHF im 2007 erfolgten einmal mehr
auf Kosten der Rüstungsausgaben. Erst mit
dem Ausgabenplafond von 12,285 Mia.
CHF für die Jahre 2009 –2011 konnte das
Verteidigungsbudget das heutige Niveau
von jährlich rund 4,5 Mia. CHF erreichen,
ohne jedoch den Anteil der Rüstungs- und
Investitionsausgaben zu erhöhen.
Es ist nicht nachvollziehbar, warum die
Betriebskosten der Armee seit zwanzig
Jahren unverändert auf einem überdurchschnittlich hohen Niveau liegen, obwohl
40
«Kann der eigentliche Finanzbedarf aufgrund übergeordneter finanzpolitischer
Prioritäten nicht vollumfänglich gedeckt
werden, so sind namentlich bei den Rüstungsmaterialbeschaffungen Abstriche
erforderlich. (…) Der Verzicht auf oder
die zeitliche Verschiebung von Beschaffungsvorhaben dürfte vorübergehend
nicht ohne Einschränkungen bei den
Leistungen der Armee realisierbar sein.»
Armeebotschaft 2016 in:
Bundesblatt 2016, S. 1590 und 1595
seither die Truppenbestände um mehr als
zwei Drittel verkleinert, Infrastrukturen
geschlossen, überzählige Waffensysteme
ausser Dienst gestellt und der Personalbestand im Verteidigungsbereich reduziert
wurden. Der Bundesrat wies in der Botschaft zur Armeereform XXI noch auf
erhebliche Restrukturierungskosten hin,
welche dem Einsparungspotential gegenüber stünden 2. Der Armeebericht 2010
hält dann aber fest: «Die Erwartungen
bezüglich der Einsparungen bei den Betriebsausgaben erwiesen sich deshalb als
zu optimistisch»3.
Beschaffungsplanung bis 2020
Mit rund 2 Mia. CHF jährlich bis ins
Jahr 2020 wird der durchschnittliche Anteil für Immobilien und Rüstungsbeschaffungen leicht erhöht. Mit der Beschaffung
von Mörsersystemen, schultergestützten
Mehrzweckwaffen, Komponenten der mobilen Kommunikation, Lastwagen und
Boden-Luft-Mitteln, dem Werterhalt von
Florako, Transporthelikopter 98 und Trainingsflugzeug PC-21 sowie der Nutzungsverlängerung F/A-18 plant der Bundesrat jedoch lediglich, Fähigkeitslücken zu
schliessen4.
Von diesen jährlichen 2 Mia. CHF stehen aber nur knapp 1 Mia. CHF tatsäch-
Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 05/2016
lich für Rüstungsmaterial zur Verfügung.
400 Mio. CHF sind für Immobilien reserviert, 600 Mio. CHF sind für Ausrüstungsund Erneuerungsbedarf, Projektierung,
Erprobung und Beschaffungsvorbereitung
sowie Munitionsbeschaffung erforderlich.
Mit diesen Vorhaben und Mitteln bis
2020 kann also nicht von Investitionen in
die Zukunft gesprochen werden, sondern
vom Nachholen dessen, was in den vergangenen Jahren aufgeschoben wurde. Und
entscheidend ist die Frage, ob das mit der
WEA verbundene jährliche Budget von
5 Mia. CHF überhaupt zukunftsträchtige
Investitionen erlaubt.
Beispiel Luftwaffe
Bei der Luftwaffe sind die Lücken am
offensichtlichsten erkennbar. Aufgrund offizieller Dokumente des Bundes5 sollen ihr
ab ca. 2030 55 Kampfjets für Luftpolizeidienst, beziehungsweise mindestens 70
Kampfjets für Luftverteidigung zur Verfügung stehen. Ebenso müssen die bodengestützte Luftverteidigung ersetzt sowie die Führungssysteme und Infrastrukturen angepasst werden.
Eine realistische Shoppingliste der Luftwaffe für die nächsten 15 Jahre käme auf
einen Investitionsbedarf von rund 13 Mia.
CHF. Diesem Investitionsvolumen stehen
nach WEA-Finanzplanung 1 Mia. CHF
Nutzungsverlängerung
F/A-18
0,6 Mia. CHF
Werterhalt Florako
0,25 Mia. CHF
Werterhalt
Transportheli 98
0,15 Mia. CHF
NKF
6 –10 Mia. CHF 6
BODLUV MR und KR
im Endausbau bis 2025 2,5 –3 Mia. CHF
Führungssysteme/
Infrastrukturen/Diverses 1–2 Mia. CHF
Luftwaffe
Anteil in % von Betriebs­ und Rüstungsaufwand der Schweizer Armee 1990 –20151
pro Jahr für die gesamten Rüstungsinvestitionen der Schweizer Armee gegenüber.
Mit anderen Worten: Ohne Sonderfinanzierungen flössen beinahe sämtliche Investitionen der Armee in den kommenden
15 Jahren in die Luftwaffe, um den bestehenden Investitionsstau abzubauen und
sie anschliessend zukunftstauglich zu machen. Eine wahrlich unrealistische Vorstellung!
Zeichen der Zeit erkennen!
Alleine das Beispiel Luftwaffe weist die
finanziellen Mittel zur Umsetzung der
WEA als unzureichend aus. Insbesondere
wird der zu tiefe Anteil für Rüstungsbeschaffungen dem in der WEA konzipierten Fähigkeitsansatz und Mittelbedarf
nicht gerecht. Und der Bundesrat droht
bereits damit, das Leistungsprofil der
Armee zu reduzieren. Es sind zwingend
Massnahmen zu treffen, die ein Scheitern
der WEA verhindern:
• Die Verteidigungsausgaben müssen in
der sich verschärfenden Bedrohungslage über die 0,7% des BIP erhöht werden. Diese Erhöhung muss den Rüstungsinvestitionen vorbehalten sein.
Oder aber, die noch nicht umgesetzte
WEA muss weiter reduziert werden;
• Im internationalen Vergleich können
Investitionen für Luftverteidigungsmittel bis zu 40 % der Investitionsbudgets
ausmachen 7. Ausgehend von diesem Anteil muss bis 2030 die von der Luftwaffe benötigte Investitionssumme von
rund 13 Mia. CHF in einem armeeweiten Rüstungsbudget von gegen 33
Mia. CHF stehen, die Armee also ab
heute jährlich über 2 – 2,5 Mia. CHF
für Investitionen verfügen. Ausgehend
von den aktuellen 5 Mia. CHF Gesamtbudget muss der Betriebsaufwand um
die Hälfte gekürzt werden;
• Das Verteidigungsbudget muss so ausgestattet sein, dass ordentliche Rüstungsprogramme mit einberechnet sind.
Das sich Durchhangeln von Restkredit
zu Sonderfinanzierung muss ein Ende
haben;
• Sicherheitspolitische Berichte und Konzepte der Armee dürfen nicht länger zu
akademischen Studien degradiert werden, weil deren beschlossene Absichten
in der konkreten Umsetzung nicht eingehalten werden. Analog dem australischen «2016 Defence White Paper»8
muss eine strategische Gesamtplanung
mit integriertem Investitionsprogramm
ausgearbeitet und konsequent umgesetzt werden;
• Die Schweizer Armee muss alle ihr von
der Bundesverfassung zugewiesenen
Aufgaben autonom wahrnehmen können, um so letztlich auch zum Schutz
Europas einen massgeblichen Beitrag zu
leisten.
■
1 Quelle: Finanzrechnung des Bundes. Neue Rechnungslegung: Ab Rechnungsjahr 2007 wurden die
Sach- und Betriebsaufwendungen sowie die Rüstungsaufwendungen nach einem neuen Rechnungslegungsmodell berechnet. So wurde die
Raummiete erstmalig direkt dem VBS zugeordnet, was alleine im 2007 CHF 1,3 Mia. ausmachte. Als Folge daraus verschieben sich die Prozentzahlen aufgrund der höheren Gesamtkosten.
2 Botschaft zur Armeereform XXI und zur Revision
der Militärgesetzgebung vom 24. Oktober 2001,
S. 891.
3 Armeebericht 2010 vom 1.Oktober 2010, S. 28 f.
4 Armeebotschaft 2016 vom 24. Februar 2016.
5 Konzept zur langfristigen Sicherung des Luftraumes, Bericht des Bundesrates in Erfüllung des Postulats Gallade 12.4130 vom 12. Dezember 2012,
27. August 2014. Bericht des Bundesrates über
die Sicherheitspolitik der Schweiz, Entwurf vom
26. Oktober 2015.
6 Finnland, das seine 62 F/A-18 gleichzeitig mit
der Schweiz beschaffte, plant deren Ersatz bis
2030 und rechnet mit Beschaffungskosten zwischen 6 –10 Mia. EUR.
7 Dr. Christian F. Anrig, The Quest for Relevant
Air Power, August 2011, S. 338 ff.
8 www.defence.gov.au/WhitePaper/
Oberst
Olivier Savoy
lic. iur.
4125 Riehen
Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 05/2016
41
Höhere Kaderausbildung
Podestplatz für HKA: Kaderausbildung
mit hoher Qualitätsauszeichnung
Seit 1996 unter Divisionär Alfred Roulier «Qualität» zum Thema wurde,
ist die Kaderschmiede der Armee dem Weg der ständigen Verbesserung
konsequent gefolgt. Zwanzig Jahre später kann Rouliers fünfter
Nachfolger die Früchte ernten: Die HKA ist Preisträgerin des ESPRIX Swiss
Award for Excellence 2016. Es war ein oft umstrittener, steiniger Weg –
der Erfolg belohnt nun den hohen Aufwand. Noch mehr aber verpflichtet er,
in guter Tradition das Beste aus der Kaderausbildung herauszuholen.
Michael Arnold, Stv. Chefredaktor ASMZ
Am 10. März 2016 war es soweit: Im
Kultur- und Kongresszentrum Luzern
konnte der Kommandant HKA, Divisionär Philippe Rebord, mit seinem Team
den begehrten Award in Empfang nehmen. Die Organisationseinheit HKA wurde explizit für ihre Führung ausgezeichnet, und zwar in der Sparte «Mit Vision,
Inspiration und Integrität führen». Uniformierte und zivile Mitarbeitende vertraten auf der Bühne nicht nur die HKA,
sondern sinnbildlich auch unsere Milizarmee. Dem anwesenden Chef der Armee
war die Freude ins Gesicht geschrieben,
hat er doch als Kommandant Zentralschule 2004 –2005 wesentliche Impulse gegeben und bis heute die HKA im Qualitätsmanagement sowie in der Anerkennung in
Wirtschaft und Bildungslandschaft kräf-
Bühne frei für die Preisträgerin HKA
im KKL Luzern.
Bild: ESPRIX Forum
42
tig unterstützt. Nicht ganz überraschend
hielt der Präsident des Schweizerischen
Arbeitgeberverbandes, Valentin Vogt, die
Laudatio auf die HKA. Dieser Schulterschluss zeigte allen Anwesenden eindrücklich auf, dass unsere Armee Kader ausbildet, deren Mehrwert für die zivile Arbeitswelt wieder geschätzt und gewürdigt wird.
Bekenntnis zur Qualität
Hohe Glaubwürdigkeit
Das Qualitätsmanagement, so wie es in
der Kaderschmiede der Armee seit 1996
verstanden wird, dient nach wie vor folgendem Zweck: Aus dem glaubwürdigen Bekenntnis zu hoher Qualität heraus
wird eine Anerkennung der militärischen
Ausbildungs- und Führungskompetenz in
Wirtschaft und Bildungslandschaft angestrebt und so über den errungenen Mehrwert auch der Boden für genügend Kadernachwuchs geebnet. Ausdrücken wie
«glaubwürdig und ehrlich», «Spitzenlehr-
Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 05/2016
gänge» oder «courage d’esprit» begegnet
man in der jüngsten Geschichte immer
wieder. Das wurde nicht einfach so daher
gesagt, sondern war und ist Ausdruck für
einen Paradigmenwechsel in der Ausbildung: Unter Beibehaltung des Bewährten sollen Ausbildung und Ausbildungsstätte an der Spitze des Fortschrittes stehen. Dazu braucht es nebst einwandfreien Produkten (Lehrgänge, Kurse, Simulationen) für Kunden – wie Lehrgangsteilnehmer und deren militärischen Verbände – auch Forschung, Entwicklung sowie
Marketing. Dies alles ist in der heutigen
HKA vorhanden.
Top-Lehrgänge und -Infrastruktur
Mit den Investitionen in den letzten
zwanzig Jahren ins Armee-Ausbildungszentrum Luzern, also in das «Mutterhaus»
HKA, die Zentralschule und die Generalstabsschule mit dem Führungssimulator in Kriens, wurde eine adäquate Ausbildungsinfrastruktur geschaffen. Hoch-
Höhere Kaderausbildung
rangige Besucher ausländischer Militärakademien sind regelmässig beeindruckt,
auf welchem Niveau in jeder Beziehung
ausgebildet wird. Dies gilt nebst der Milizoffiziersausbildung auch für die Ausbildung der Berufmilitärs an der Militärakademie an der ETH und der Berufsunteroffiziersschule der Armee in Herisau.
Ja die Ausbildung der Lehrer und deren
Schüler unter einem einzigen organisatorischen Dach begünstigt nebst der unité
de doctrine auch die unité d’instruction,
zwei Erfolgskriterien angesichts kurzer
Ausbildungszeiten der Milizoffiziere.
Besinnung auf Werte
Militärische Kaderausbildung ist weder
Selbstzweck, noch steht ihr Mehrwert für
die zivile Arbeitswelt im Zentrum. Kernpunkt ist die Befähigung der Milizkader,
im Einsatz- bzw. Ernstfall ihre Verbände
führen zu können und die übertragenen
Aufträge zu erfüllen. Das Dienstreglement
der Armee schreibt dazu den entsprechenden Wertekodex vor und kennt die ultimative Formulierung «auch unter Einsatz des Lebens». Es fordert Führen durch
Zielvorgabe (Auftragstaktik), Mitdenken
und Engagement, Verantwortung, Disziplin, Information, Kommunikation, Vorbild, Zusammenhalt und Leistung. Führung ist nebst dem methodisch-prozessualen Management letztlich immer Truppenführung, die Aufgabe also, mit Menschen Ziele zu erreichen. Das ist auch eine
Frage der militärischen Erziehung, die an
der HKA immer Teil der Lehrgänge ist.
Frage der Zertifizierung
Kontroverse Ansichten
Sollen Qualitätszertifikate ihren Zweck
erfüllen, müssen sie einem international
anerkannten Standard bzw. System entsprechen. Den ersten, sperrigen Prozesshandbüchern aus den 90er Jahren lag das
ISO-Qualitätsmanagement zu Grunde.
Um 2000 stellte man auf EFQM um,
nahm 2001 an einem Pilotversuch des
Heeres teil und wurde 2002 prompt ausgezeichnet: «Committed to Excellence in
Europe». Dieses Diplom hing mit Abstand
am längsten im AAL. Trotz dieses Erfolges
wurden Aufwand und Ertrag der erheblichen Bemühungen immer wieder kontrovers diskutiert, und es kam zu Verzögerungen. Personalknappheit, erhebliche
Kosten für Ausbildung und Expertise sowie die hohe Fluktuationsrate in Schlüsselchargen der HKA waren die wichtigsten Gründe dafür. Es wuchs die Erkennt-
Kompetenzzentrum für Führungsausbildung zu positionieren. Der Weg dazu
führte wie bis anhin über die Qualität von
Lehrgängen und Simulationen, neu aber
auch über Kooperationen mit Hochschulen und den Vergleich mit ausgewählten
zivilen Firmen und ausländischen Militärakademien. Quasi automatisch gelangte
die HKA in eine Art Vorreiterrolle, bestätigte jedoch 2007 trotz höherer Ambitionen nur das Drei-Sterne-Niveau – unter
erheblichen Nebengeräuschen. Sie überstand aber immerhin die schwierige Zeit
bis zum Armeebericht 2010 und wurde
von diesem indirekt legitimiert, zur Föderung des Kadernachwuchses Zertifizierung und Anerkennung in der Bildungslandschaft zu forcieren. 2013 wurde endlich das Vier-Sterne-Niveau erreicht.
Kurzpräsentation der HKA bei der Preisverleihung am 10. März 2016.
Grafik: HKA
nis, dass kontinuierliche Verbesserungsprozesse eben der Kontinuität bedürfen,
sowohl in der Projektleitung als auch bei
den Ansprechpersonen Stufe Direktunterstellte HKA – und überzeugte, tatkräftige
Chefs voraussetzen.
Durchbruch
Die HKA kennt seit 2004 in ihrem
Stab einen Bereich Unternehmensplanung. Dort wurden in der Ära Divisionär Zwygart die Weichen für das EFQMModell und die entsprechende Zertifizierung definitiv gestellt. Es ging darum, die
noch unbekannte HKA, ein vielversprechendes «Kind» der Armee XXI, als das
Meilenstein 2015
Eine Rezertifizierung bereits im Jahr
2015 wurde angestrebt, um den neuen
Schwung zu nutzen und optimale Voraussetzungen für den Übergang in die WEA
zu schaffen. In der Regel stellen Kaderschulen schon vor dem offiziellen Wechsel um und geben den Vorsprung an die
Kader weiter. Die HKA erreichte erstmals
eine Bewertung von über 500 Punkten
(Fünf-Sterne-Niveau) und kann den Vergleich mit sehr guten Firmen in der Wirtschaft antreten. Entscheidend dazu beigetragen haben Kriterien der Führung wie
klare Hierarchie, aber gegenseitige Wertschätzung, Durchgängigkeit und Offenheit für Ideen. Dazu kommen sichtbare
Erfolge im Bereich Kundenzufriedenheit,
im Verständnis der gesamten Wertschöpfungskette «Ausbildung» und im Umgang
der Mitarbeitenden mit Unsicherheit und
Verpflichtung zur Qualität – die Anfänge 19961
Immer wieder taucht in den Grundsatzpapieren des Kommandanten SKS 2 die Forderung nach Qualität auf. Es wird von hoher Ausbildungsqualität gesprochen, von
Auftraggebern und Kunden. Die drei unternehmerischen Bereiche Forschung und
Entwicklung, Produktion und Marketing
können dabei mühelos in die SKS übertragen werden. Da Qualität auch mit Gründlichkeit und ehrlichem Umgang mit Fehlern zu tun hat, sollte sie das «Gegengift»
im Kampf gegen die Bedrohungen der Miliz sein. Diese sahen die SKS darin, dass
die Elite der Gesellschaft die Miliz immer
weniger zu tragen begann, dass das Messen an der Einsatzrealität für eine Milizarmee ohne Kriegserfahrungen zunehmend
durch den Hang zum Vertrauten vernebelt
zu werden drohte, dass die vielen Einsätze der Armee für zivile Anlässe zu einer
Belastungsprobe für eine glaubwürdige
Ausrüstung und Ausbildung wurden. Daneben sollte der Forderung widerstanden
werden, in den Lehrgängen spezifische
Themen mit Sondernutzen für die Wirtschaft einzubauen. Die Policy SKS hielt
klipp und klar fest:
«Wir wollen Qualität, weil der militärische
Auftrag dies erfordert und sind überzeugt,
dass wir so die Akzeptanz der militärischen
Kaderausbildung am besten fördern. Wir
leben die TQM 3-Kultur nach dem EFQM-Modell und erreichen so Qualität und Professionalismus.»
Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 05/2016
43
Höhere Kaderausbildung
Belastung. Doch nach der Zertifizierung
ist vor der Zertifizierung: Es gibt Defizite
im Wissens- und Ideenmanagement, in
der Prozesseffizienz, in den Kennzahlen
und im Nutzen von E-Learning. Nebst
der laufenden Arbeit an der Strategie
HKA und der Definition der strategischen Geschäftsfelder wird daran ab sofort mit Schwergewicht gearbeitet.
Gedanken zu Weiterführung
Produkteorientierung
Was letztlich zählt ist das Produkt. Die
hohe Qualität von Lehrgängen, Kursen
und Simulationen basiert aber noch auf
anderen Voraussetzungen als auf exzellenter Führung einer Schule. Sorgfältige Kaderselektion, genügend praktische Führungserfahrung, aktuelle Lehrinhalte, eine
klare Doktrin, ein fähiger Lehrkörper, intelligente Ausbildungskonzepte, effiziente Lehrmethoden und Lehrmittel gehören mit dazu. Da braucht es also erhebliche Vorleistungen und Koordinationsmassnahmen über verschiedenste Schnittstellen hinweg. Die sehr guten Kundenfeedbacks verpflichten die HKA, im Hinblick auf die WEA das Maximum an Qua-
lität anzustreben, das noch machbar ist.
Das sind wir den Milizkadern schuldig.
Vision
Auch Visionen sind gefragt, echte Auseinandersetzungen mit dem Heute und
Morgen. Dies braucht Freiräume, Kraft,
Zeit und Intelligenz, aber auch Anregungen auf allen Stufen, auch der Stufe Armee. Die notwendige Weitsicht ist erst
recht gefragt, da die Kaderausbildung
an der HKA zur Grundbereitschaft der
Armee beiträgt, die solide sein muss und
nicht raschen Änderungen unterworfen
werden kann. Ein Qualitätsmanagementsystem ist kein Ersatz dafür, vielleicht aber
ein bewusster «Beichtspiegel», der Ehrlichkeit abverlangt – und ab und zu auch
ein «mea culpa», denn aus Fehlern lernt
man.
Humankapital
Und eines ist sicher: Unsere HKA wird
noch oft über die Bücher gehen und besser werden müssen. Dies nicht, weil wir
schlecht sind, sondern weil wir unseren
Auftrag optimal zu lösen haben, trotz teilweise schwierigen Rahmenbedingungen.
Nicht zuletzt geht es um all die Menschen,
die mit ihrer Arbeit den angestrebten Erfolg bewerkstelligen, die zivilen Mitarbeitenden und die Berufsmilitärs. Zu diesem
Kapital gilt es Sorge zu tragen und es zu
fördern, noch mehr als bisher. Eine Herausforderung, die schwer wiegt auf den
Schultern der Führung. Doch mit dem
«Vorbau» der letzten zwanzig Jahre ist ein
solider Stand erreicht, der uns etwas gelassener als sonst in die Zukunft blicken
lässt. Denn Qualität verpflichtet, nicht
nur zu hervorragender Arbeit an jedem
Platz, sondern auch zum Willen, das Beste
aus der Situation zu machen – und zum
Mut, erkannte Schwächen beim Namen
zu nennen und ihre Überwindung zu betreiben.
■
1 Auszug aus dem Buch «Führen lernen in der Armee – Geschichte der Höheren Kaderausbildung
der Armee» der Autoren Michael Arnold, Jacques
Lörtscher und Walter Troxler, Verlag Merker im
Effingerhof, Lenzburg, 2013, S. 275 –276.
2 SKS: Stabs- und Kommandantenschulen; lösten
1996 die Zentralschulen (1819 in Thun gegründet) bis 1999 ab. 2000 –2003 wurden alle Lehrgänge ins Kommando AAL zusammengefasst.
2004 wurde die Organisationsbezeichnung «Zentralschule» im Rahmen der neuen HKA wider
eingeführt.
3 TQM: Total-Quality-Management.
7. Schweizerisches Offiziersgolfturnier 2016
Datum & Zeit
Freitag, 10. Juni 2016, ab 1230
Teilnehmer
alle golfspielenden Offiziere
Durchführungsort
Golf Kyburg, Kemptthal (ZH)
Anmeldung & Info
www.sogt.ch
Einschreibetermin
31. Mai 2016
Kosten
CHF 195.- (all inclusive)
Veranstalter
Offiziersgesellschaft Rorschach
Patronat
Schweiz. Offiziersgesellschaft
www.sogt.ch
44
Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 05/2016
Höhere Kaderausbildung
Zentralschule: Qualität aus Leidenschaft!
Unsere Milizarmee benötigt erfolgreiche Führungskräfte: Männer und Frauen,
die Entscheidungen treffen und ihre Truppe zum festgelegten Ziel führen.
Zusammen mit der Generalstabsschule bleibt die Zentralschule die wichtigste
Ausbildungsstätte solcher Führungspersönlichkeiten für unsere Einheiten,
Truppenkörper sowie der grossen Verbände. Jedoch muss das Angebot an
Lehrgängen der Nachfrage entsprechen, ebenso wie die Inhalte den aktuellen
methodischen und taktischen Anforderungen gerecht werden. Parallel dazu
muss der Ressourceneinsatz optimiert werden, um auch langfristig die gleiche
Qualität zu gewährleisten.
Die Qualität einer Milizarmee bemisst
sich in erster Linie an derjenigen ihrer Kader. Die ersten Versuche zur Gründung
einer zentralen Militärschule in unserem
Land datieren in die Zeit der Helvetischen
Republik (1789 –1803). Die Niederlage
gegen die französischen Invasoren belegt einmal mehr die unzureichende Ausbildung von Offizieren und Stäben: Die
napoleonische Ära verleiht der Kunst der
Kriegsführung eine neue Dimension. Den
helvetischen Offizieren wurde bewusst,
welche entscheidende Rolle eine solide
militärische Ausbildung spielt 1.
Nachdem sie 1817 erstmals im Militärgesetz skizziert worden war, eröffnete
Oberst Rudolf von Luternau im Jahr 1819
die «Eidgenössische Central-Militärschule» in Thun2. Ziel war es dabei, das Verständnis der Taktik zu vereinheitlichen,
aus Bernern, Thurgauern, Genfern usw.
«Schweizer» zu machen und ihnen auf
natürliche Weise die Grundsätze des Gefechts der verbundenen Waffen zu vermitteln und dieses einzuüben.3 … Nun sind
fast zwei Jahrhunderte vergangen, in denen die Zentralschule mit ihren zahlreichen Organisationen und unter verschiedenen Namen die Kommandanten und
Stabsoffiziere formt, die unsere Armee
braucht. Echte Führungspersönlichkeiten,
tapfer und mutig, systematisch in ihrer
Entscheidungsfindung und beharrlich auf
dem Weg zum einmal festgelegten Ziel.
Wir sind stolz auf dieses Erbe und pflegen es mit Umsicht. Wenn die Zentralschule fast zwei Jahrhunderte später ihre
ursprüngliche Aufgabe immer noch erfolgreich weiterführt, dann deshalb, weil
sie sich stets an die veränderten Rahmenbedingungen anpassen konnte. Heute bietet sie beispielsweise erfolgreich Kommu-
nikations- und Managementkurse für zivile Führungskräfte an. Nun steht die Zentralschule wieder vor einer notwendigen
Anpassung.
In den folgenden Abschnitten möchten
wir Ihnen einen kurzen Überblick über
die wichtigsten Herausforderungen bieten,
auf die wir eine möglichst pragmatische
Antwort finden müssen, wobei wir ebenso die verfügbaren Ressourcen sowie den
abzudeckenden Bedarf berücksichtigen.
Auch wenn noch nicht alle Details geklärt
sind, lüften wir den Schleier über die zukünftige Gestaltung der Zentralschule.
Mehr und besser für unsere Miliz:
«Ansprüche» und «Realitäten»
in Einklang bringen
Unser Ausbildungsmodell ist heute in
mancher Hinsicht uneinheitlich. Damit
die Ausbildung einheitlich und in optimaler Form erfolgt, muss sie logisch vermittelt werden: Grundlagen, Technik und
Gesamtbild. Dies wollen wir zukünftig
systematisch gewährleisten. Dieses Modell kommt zudem in der ganzen Armee
zum Einsatz: Allgemeine Grundausbildung (AGA), dann Fachbezogene Grund-
Allgemeine Struktur der aktuellen
Ausbildung auf der Ebene Truppenkörper.
Daniel Keller
ausbildung (FGA) und schliesslich Verbandsausbildung (VBA).
Hinzu kommt, dass unser Angebot
quantitativ nicht mehr ausreicht. Bestimmte Lehrgänge werden lediglich einmal pro Jahr angeboten, sodass zu viele Offiziere ihre Funktion nicht ausüben, oder
nicht wie von den Kommandanten der
grossen Verbände geplant, befördert werden können, weil sie den in ihrer Laufbahn vorgesehenen Lehrgang nicht absolvieren konnten. Dadurch bleiben in den
Stäben Stellen vakant.
Schliesslich sorgt die heutige Aufteilung
zwischen den verschiedenen Lehrgängen
sowie ihrer Abfolge «fachlich  allgemein
 gesamt» für zu viele Überschneidungen.
Unser neuer Führungslehrgang Truppenkörper (FLG Trp Kö) wird daher die
bisherigen Führungslehrgänge II (FLG II),
die Stabslehrgänge I (SLG I) sowie die verschiedenen Technischen Lehrgänge A (TLG
A) ersetzen. Die Dauer beträgt 5 Wochen4
anstelle der bisherigen 6 beziehungsweise
5 –7Wochen; dies kommt auch der Privatwirtschaft und den öffentlichen Haushalten zugute. Zudem wird der FLG Trp Kö
mindestens drei Mal pro Jahr angeboten.
Nach der Grundausbildung ist eine Aufteilung (2 Wochen – 3 Wochen) möglich.
Entsprechend wird der Führungslehrgang I (FLG I) für zukünftige Einheits-
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Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 05/2016
45
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Höhere Kaderausbildung
Praxisbezug als
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Der neue einheitliche Lehrgang an der
Zentralschule, um auf die Stufe Truppenkörper zu gelangen.
Grafiken: Kdo ZS
kommandanten in FLG Einheit umbenannt. Die Dauer bleibt unverändert (4
Wochen). Er wird jedoch nicht mehr in
Bern, sondern in Luzern stattfinden.
Mit der WEA entfällt der zentrale Offizierslehrgang (Of LG). Die Gesamtverantwortung für die Grundausbildung der
Subalternoffiziere geht wieder an die Lehrverbände (LVb).
Die Zentralschule bündelt also ihre Aktivitäten am Armee-Ausbildungszentrum
in Luzern (AAL), wo durch den Aufbau
der neuen Lehrgänge Überschneidungen
vermieden und die Ergebnisse optimiert
werden können. Diese Umstellungen betreffen vor allem auch das Lehrpersonal.
Das Lehrpersonal:
Der Schlüssel zum Ganzen
Bereits in den Fünfzigerjahren stellte
der Kommandant der Zentralschule 5 fest,
«dass alle Schulen immer wieder vor dem
gleichen Problem stehen: Es fehlt an Lehrpersonal. Wenn die Zentralschule ein gewisses Niveau gewährleisten soll, muss der
Kommandant über eine ausreichende Anzahl an Gruppenchefs verfügen, die unter
den Besten ausgewählt werden.» 6 Daran
hat sich nichts geändert.
Die Ressourcen werden knapper, und
es ist keine Trendwende zu erkennen. Die
Zentralschule muss ihre Vollzeitäquivalente um rund 40% abbauen. Indem wir
Bern als Standort aufgeben (Of LG, FLG I,
MIKA), unsere Aktivitäten an einem Ort
bündeln und unsere Lehrgänge neu strukturieren, optimieren wir die Personalplanung und -führung. Zudem können in
Querschnittsbereichen erhebliche Synergien genutzt werden.
Durch die Schaffung eines Pools polyvalenter Gruppenchefs, die jeweils ihre
fachlichen (Waffen, Berufs- und Milizer-
46
fahrung) und persönlichen (Kultur, Sprache, persönliche Erfahrungen) Kenntnisse einbringen, werden wir in der Vermittlung der militärischen Führungsprozesse auf allen Stufen, für die wir zuständig
sind, eine einheitlichere Ausbildung gewährleisten können. Die Ausbildung eines
zukünftigen Unterstabschefs für den Nachrichtendienst einer Territorialdivision oder
einer Einsatzbrigade verlangt natürlich andere Kenntnisse als die Ausbildung eines
zukünftigen Einheitskommandanten. Der
Pool wird deshalb entsprechend dem Ausbildungsbedarf und den Qualitätsvorgaben gespeist. Die Gruppenchefs werden
in Luzern nach einem sorgfältig definierten Profil und Laufbahnplan verpflichtet,
nicht nach deren Verfügbarkeit. Dies ist
eine Frage der Loyalität gegenüber unseren
Berufsoffizieren. Diese Massnahmen müssen ein zahlenmässig ausreichendes und
qualitativ exzellentes Personal gewährleisten. Das sind wir unserer Miliz schuldig!
Den Erfolg konsolidieren:
Das Kommando MIKA als Referenz
Das Kommando Management-, Informations- und Kommunikationsausbildung (bekannt als MIKA) steht unter
der Leitung von Oberst i Gst Thomas
Keller. Auch zukünftig wird das Hauptaugenmerk darin liegen, den Miliz- und
Berufskadern die Kommunikationskompetenz zu vermitteln, die sie im Rahmen
ihrer Führungsaufgaben benötigen. Ob es
gilt, angehende Offiziere in den Grundlagen der interpersonellen Kommunikation, angehende Einheitskommandanten
im bewältigen schwieriger Gesprächssituationen oder angehende Schulkommandanten in der Krisenkommunikation zu
unterrichten – MIKA nimmt seinen Auftrag als Kompetenzzentrum ernst und gewährleistet weiterhin die gesamte Ausbildung (Methode, Inhalt und Organisation)
aus einer Hand – und zwar auf höchstem
Niveau!
Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 05/2016
Die Lehrer legen besonderen Wert auf
die praktische Anwendung; die Vermittlung der theoretischen Grundlagen beschränkt sich auf das Notwendigste. So
üben die Teilnehmer die Zusammenarbeit mit den Medien, indem sie sich beim
Kommando MIKA vor der Kamera – im
Scheinwerferlicht – beweisen und vor allem die Fragen echter Journalisten beantworten müssen. Da muss alles stimmen!
MIKA verfügt über einen spezialisierten
Milizstab. Bei den Ausbildern handelt es
sich um technisch versierte Kommunikationsexperten mit solider Methodenkenntnis. Für die Vermittlung spezifischer Inhalte verstärken wir unser Team bei Bedarf um externe Spezialisten aus Lehre
und Praxis.
Die Kommunikationsausbildung aller
Führungskräfte unserer Armee sowie der
internationalen Teilnehmer im Rahmen
des NATO-Programms «Partnerschaft
für den Frieden» und der Mitarbeitenden
des Bundesamts für Bevölkerungsschutz,
macht rund 75% unserer gesamten Aktivitäten aus.
Auch zukünftig werden wir unsere Methoden- und Fachkompetenz für die Kommunikationsausbildung externer Instanzen zur Verfügung stellen. Die sechs jährlichen Kurse «TRANSFER – Kommunikation und Führung» ermöglichen es den
Teilnehmern der Bundes- und Kantonsverwaltungen, den Geheimnissen der Krisenkommunikation auf den Grund zu gehen und sich entsprechende Fähigkeiten
anzueignen. Den Milizoffizieren steht es
weiterhin offen, dieselben Kurse im Rahmen der anrechenbaren Dienste zu belegen – eine einmalige Gelegenheit, an sich
zu arbeiten! Im Übrigen kann im Rahmen
der Kurse «TRANSFER – Kommunikation und Führung» ein CAS 7 in Krisenkommunikation (15 ECTS-Punkte) erworben werden. Die Qualität der militärischen Ausbildung wird somit in der gesamten schweizerischen Ausbildungslandschaft anerkannt. In diesem Zusammenhang arbeiten wir derzeit intensiv an einer
Ausweitung der Anerkennung auf allen
Bereichen der Lehrgänge und Kurse der
Zentralschule.
Die TRANSFER-Kurse zur Entscheidungsfindung bilden auch weiterhin das
dritte wichtige Produkt im Portfolio vom
Kommando MIKA. Führen in Krisensituationen bedeutet auch: Rechtzeitig
brauchbare Entscheidungen treffen und
Höhere Kaderausbildung
für deren Umsetzung sorgen können. Als
Kompetenzzentrum für die Führungsausbildung auf Stufe Truppenkörper fördert die Zentralschule diese Fähigkeit in
allen Lehrgängen auf praktische und möglichst realitätsnahe Weise. Das Kommando MIKA steht auch für Dritte offen. In
den drei angebotenen Kursen werden die
Teilnehmer systematisch und progressiv
darin geschult, Führungsaufgaben wahrzunehmen und Techniken der Stabsarbeit
anzuwenden, von der Lageverfolgung bis
hin zur Aktionsplanung. Natürlich werden die jeweiligen Übungsinhalte an den
Bedürfnissen des Kundenunternehmens
ausgerichtet. Bei den Kursteilnehmern
handelt es sich um Angehörige kleiner
und mittelgrosser Betriebe, grosser Unternehmen oder auch der Bundesverwaltung.
Das Kommando MIKA bietet Privatunternehmen ausserdem die Integration
von zwei- bis dreitägigen «massgeschneiderten» Kursen an. Nach Meinung der
Teilnehmer besteht der Höhepunkt der
Ausbildung in der Abschlussübung, bei
der die unternehmenseigenen Prozesse zur
Krisenbewältigung anhand eigens erstellter
Szenarien getestet werden. Da die Zentralschule über ein umfangreiches Know-how
verfügt, was die Gestaltung und Durchführung solcher Übungen angeht, kann
das Kommando MIKA dem Kunden ein
Ausbildungskonzept präsentieren, das vom
Erstgespräch bis zum Abschlussbriefing
methodisch zusammenhängt. Zahlreiche
Kunden wie die SWISSCOM, der Genfer
Flughafen oder FRANKE bestätigen regelmässig die Qualität der Methode wie
auch des militärischen Lehrpersonals.
In Zukunft wird das Kommando MIKA
sein Angebot konsolidiert und seine Anerkennung über den militärischen Mikrokosmos hinaus weiter ausgebaut haben.
Die Instruktion der Offiziersanwärter, die
von nun an in den Lehrverbänden dezentralisiert wird, erfordert eine sehr effiziente Verteilung der gemeinsamen Ressourcen (Personal, Material). Eines ist aber gewiss: Das Kommando MIKA wird stets
eine Ausbildung für Praktiker durch Praktiker anbieten.
Wissenschaftliche
Anerkennung der militärischen
Führungslehrgänge
Parallel zu den seit 1995 durchgeführten Reformen hat auch die Entwicklung
des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen
Gefüges dazu geführt, dass die einst so
enge Bindung zwischen Armee und Wirt-
schaft schwächer geworden ist. Die politischen Verantwortungsträger haben deshalb Massnahmen gefordert, um die Karriere in der Armee wieder attraktiver zu
machen. Ergebnis ist die Anerkennung bestimmter militärischer Führungslehrgänge in Form von ECTS-Punkten 8. Die unter der Ägide von Michael Arnold 9 vereinbarte Partnerschaft mit den Hochschulen
trägt ebenfalls dazu bei, die Vorurteile gegenüber der Armee abzubauen und ihren
Stellenwert als einziger anerkannter Anbieter praktischer Führungsausbildung zu
stärken. Andererseits können über diese
Partnerschaft gemeinsame Interessen verteidigt werden wie etwa bei der Talentsuche.
Seit 2007 besteht eine offizielle Zusammenarbeit zwischen der Höheren Kaderausbildung der Armee (HKA) und den
Hochschulen (Fachhochschulen und Universitäten). Anfangs beteiligten sich nur
praxis- und wirtschaftsorientierte Hochschulen an dieser Kooperation; inzwischen haben sich zahlreiche Universitäten
dem Programm angeschlossen. Darüber
hinaus können die Punkte nicht nur im
Bereich der Weiterbildung, sondern auch
im Grundstudium (Bachelor) angerechnet werden. Der Offizier beziehungsweise
Studierende legt der Studiengangleitung
die Bescheinigung über den militärischen
Führungslehrgang vor (Zeugnis, Schlussqualifikation usw.). Die Studiengangleitung entscheidet entsprechend der Vereinbarung mit der HKA über die Zahl der angerechneten ECTS-Punkte.
In der Westschweiz ist die Zusammenarbeit noch sehr begrenzt. Ganz im Gegensatz zur Deutschschweiz und zum
Tessin konnte mit Ausnahme der Universität Neuenburg noch keine Kooperationspartnerschaft abgeschlossen werden.
Bis 2017 soll das Angebot jedoch verbessert werden.
Fazit
Die Zukunft hält noch einige Überraschungen bereit. Wenn wir uns aber nicht
so rasch wie möglich an den aktuellen Bedarf und die absehbaren Realitäten anpassen, schaden wir in erheblicher und unverantwortlicher Weise denjenigen, die uns
nachfolgen.
• Wir werden deshalb die Struktur und
die Architektur der Lehrgänge anpassen, um einerseits den Bedürfnissen der
Teilnehmer und andererseits den methodischen beziehungsweise quantitativen Umständen Rechnung zu tragen;
• Wir werden deshalb unsere Ressourcen
bündeln, um die Qualität der Ausbildung zu steigern und die Dienstleistungsangebote auszubauen;
• Wir werden deshalb die erzielten Erfolge bewahren, sichern und weiterentwickeln;
• Wir werden deshalb unsere Bemühungen zur wissenschaftlichen Anerkennung der militärischen Führungslehrgänge verstärken.
Getreu unserem Motto – dem Kompass der Zentralschule – sind wir «Nahe
an der Zukunft». Dennoch bleiben wir
«Hart an der Realität»: Absolute Priorität
haben bei uns unverändert die Teilnehmer. Wir bieten auch in Zukunft «Qualität aus Leidenschaft»!
■
1 Beck, Roland. «Die Gründungszeit (1819 –
1874).» Kaderschmiede – Kaderschule, von der
Eidgenössischen Central-Militärschule zu den
Stabs- und Kommandantenschulen in Luzern
1819 –1995, Bern 1994.
2 Senn, Hans. «Militärische Schulen.» Historisches
Lexikon der Schweiz, 2012. http://www.hls-dhsdss.ch/textes/d/D24638.php (letzter Aufruf am
07.09.2015).
3 Lipp, Kurt. «Vorwort des Kommandanten der
Zentralschulen.» Kaderschmiede – Kaderschule,
von der Eidgenössischen Central-Militärschule
zu den Stabs- und Kommandantenschulen in Luzern 1819 –1995, Bern 1994.
4 Allgemein fünf Wochen. Bestimmte Funktionen
nehmen nur an den ersten beiden Wochen teil.
5 Oberst i Gst Jacques Boissier, 1956 zum Divisionär ernannt.
6 Haffner, Andreas. «Die Neuzeit (1945 –1994).»
Kaderschmiede – Kaderschule, von der Eidgenössischen Central-Militärschule zu den Stabsund Kommandantenschulen in Luzern 1819 –
1995, Bern 1994.
7 Certificate of advanced studies. Für weitere Informationen: http://www.vtg.admin.ch/internet/vtg/
fr/home/schweizerarmee/organisation/hkaneu/
zentralschule/mika.html
8 Das Europäische System zur Anrechnung von
Studienleistungen (ECTS) erleichtert die Anerkennung, Übertragung und Ansammlung von
Leistungen. Das System ist auf die einzelnen Studierenden ausgerichtet und stützt sich auf den
Arbeitsaufwand, der geleistet werden muss, um
die Ziele einer Lerneinheit zu erreichen.
9 Michael Arnold ist Leiter der Doktrinstelle bei
der Höheren Kaderausbildung der Armee (HKA).
Er ist verantwortlich für die Ausbildungssteuerung und leitet das Projekt «Anerkennung der
Führungsausbildung».
Brigadier
Daniel Keller
Kommandant
Zentralschule
6000 Luzern
Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 05/2016
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Forschung und Lehre
Gefangen im Déjà-vu: Indochina- und
Vietnamkrieg im Vergleich
Vor 60 Jahren übernahmen die amerikanischen Militärberater der
Military Assistance Advisory Group die Verantwortung für Ausbildung
und Training der südvietnamesischen Armee. Zehn Jahre später
war der Vietnamkrieg in vollem Gange. Der heisseste Krieg im Kalten
Krieg sollte erst 1975 mit dem Fall von Saigon und dem Sieg Nordvietnams enden. Eine vergleichbare Niederlage hatte die französische
Kolonialmacht in ihrer abtrünnigen Kolonie im Jahr 1954 ereilt.
Marcel Berni
Elf Jahre bevor die ersten amerikanischen Marines 1965 in Da Nang an Land
gingen und die Amerikanisierung des Bodenkrieges in Vietnam einleiteten, erlitt die
durch amerikanische Gelder und Waffen
unterstützte französische Kolonialmacht
eine ihrer vernichtendsten Niederlagen.
Im nordvietnamesischen Teil von Französisch-Indochina wurden die Truppen der
Grande Nation von den Vietminh eingekesselt und mit heftigem Artilleriefeuer
von den umliegenden Bergen beschossen.
Zwei Monate dauerte die Schlacht, ehe
das Französische Expeditionskorps am
7. Mai 1954 bei Dien Bien Phu kapitulieren musste. Frankreichs Soldaten, gefangen in der kolonialen Hybris der eigenen
Überlegenheit, unterschätzten die Verbände der Vietminh, denen es in mühsamster
Kleinstarbeit gelungen war, schweres Geschütz auf die Höhen um die französische Festung im Talgrund zu installieren.
Architekt dieses Erfolgs war der vietnamesische General Vo Nguyen Giap, der
noch zu künftigen Coups gegen eine weitere vermeintliche westliche Übermacht
fähig sein sollte.
Die Amerikanisierung des Krieges
oder «All the Way with LBJ»
Mit Dien Bien Phu waren die Tage
Frankreichs in Südostasien gezählt: Auf
der Genfer Indochinakonferenz einigte
man sich auf einen Waffenstillstand und
den endgültigen Rückzug Frankreichs. In
die Bresche des imperialen Interregnums
sprangen alsbald die USA, deren Militärberater die eigenen Interessen im Zuge des
sich verschärfenden Ost-West-Gegensatzes durchzusetzen suchten und die unpo-
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puläre Regierung unter Ngo Dinh Diem
stützten. Präsident Lyndon B. Johnson
hatte diese Bemühungen zur Schaffung
einer antikommunistischen Hochburg bereits unter seinen Amtsvorgängern Eisenhower und Kennedy unterstützt. Folglich
erstaunt es nicht, dass der Texaner seinem Botschafter Henry Cabot Lodge im
Herbst 1963 zu verstehen gab, er solle die
führenden südvietnamesischen Generäle
im Military Revolutionary Council (MRC)
orientieren, dass die USA einem kapitalistischen Süden weiter beistehen würden. Bereits zwei Tage nach seiner Vereidigung steckte Johnson gegenüber einer
kleinen Gruppe amerikanischer Diplomaten die Marschrichtung seiner aussenpolitischen Agenda in Südostasien ab: «Ich
werde Vietnam nicht verlieren. Ich werde
nicht der Präsident sein, der mit ansah,
wie Südostasien denselben Weg wie China
nahm.»1
Amerikas Vietnam
Schon Johnsons Vorgänger Eisenhower
und Kennedy hatten sich für ein amerikanisches Engagement in Südvietnam ausgesprochen. Freilich wurden die militärischen Anstrengungen erst unter Johnson
potenziert. Die 1954 vollzogene Teilung
Vietnams sollte aus amerikanischer Perspektive im Sinne eines neuen Koreas unbedingt erhalten werden. Das autoritäre
anti-kommunistische Regime im Süden
wurde deshalb von Washington grosszügig unterstützt; freie Wahlen fanden nicht
statt. Die Repressionen durch die Militärjunta schürten den blutigen Bürgerkrieg
in Südvietnam, der ab 1960 zu einem offenen Guerillakrieg verkam. In den Augen
vieler Amerikaner unternahm das MRC
nicht genügend, um die kommunistische
Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 05/2016
Aggression einzudämmen. Der Sieg Maos
im chinesischen Bürgerkrieg schürte die
Angst vor einem Verlust amerikanischer
Einflusszonen. Bis 1968 amerikanisierte
Johnson den Krieg in Südostasien weitgehend, seine Ängste vor fallenden Dominosteinen setzten sich durch. Ein vermeintlicher nordvietnamesischer Angriff
auf amerikanische Zerstörer im Golf von
Tonkin anfangs August 1964 lieferte Johnson den willkommenen Anlass, die USA
in einen Krieg zu führen, der mit der Wiedervereinigung Vietnams sowie der Polarisierung eines grossen Teils der amerikanischen Gesellschaft enden sollte.
Ein Déjà-vu?
Bei genauerer Betrachtung der beiden
Kriege manifestieren sich diverse Parallelen, weshalb gewisse Historiker im «Vietnamkrieg» einen kontinuierlichen Krieg
von 1945 bis 1975 sehen. Dieser «Dreissigjährige Krieg» war aus nordvietnamesischer Optik vor allem ein nationaler Befreiungskrieg um Selbstbestimmung und
Emanzipation. Paris und später Washington sahen darin aber Konflikte mit Signalwirkung; Frankreich fürchtete um den
Zerfall seines Kolonialreiches, die USA
waren bestrebt, den Kommunismus im
Kalten Krieg einzudämmen.
Das vietnamesische Territorium war
schon seit langem ein Spielball der Grossmächtepolitik. Diese Vergangenheit war
mit ein Grund, weshalb es sich Ho Chi
Minh zum Lebensziel machte, der Fremdbestimmung über seine Heimat ein Ende
zu setzen. Zusammen mit dem gewieften
General Giap gelang es ihm, zur Nemesis
nicht einer, sondern zweier Grossmächte
zu werden. Frankreich und die USA hatten trotz militärischer Überlegenheit im
Forschung und Lehre
Nach Aussen zeigte sich Johnson stets
optimistisch, so auch während eines
Truppenbesuches im südvietnamesischen
Cam Ranh Bay, 23.12.1967.
Bild: NARA
Dschungel Südostasiens mit ähnlichen
Problemen zu kämpfen: So standen die
soldatischen Klagen über die Unmöglichkeit einer präzisen Abgrenzung zwischen
Feind und Zivil als Sinnbild für beide
Kriege. Verstärkt wurden diese durch die
militärische Unzufriedenheit mit politischen Ränkespielen in der Heimat; durch
die stete Warnung vor einem Rückzug
und die Angst vor einer feigen Aufgabe
angesichts der bereits geopferten Leben;
durch die dickköpfige Versessenheit, dass
Verhandlungen mit der Gegenseite verhindert werden sollten; durch eine schlechte
Truppenmoral der westlichen Soldaten;
durch die zunehmende Opposition der
Zivilbevölkerung in der entfernten Heimat; und nicht zuletzt durch die Denkfehler in der angewandten Militärdoktrin
bei der Bekämpfung des Gegners. All diese Warnungen, die im Amerika der 1960er
Jahre von der Kriegsopposition vorgebracht wurden, können auch im Frankreich der späten 1940er Jahre ausgemacht
werden. Sie wurden jedoch lange vom Ver-
sprechen eines baldigen Triumphes übertüncht. In diesem Kontext gelang es der
militärischen und politischen Propaganda in beiden Ländern lange, das Bild vom
Licht am Ende des Tunnels zu zeichnen.
Schon die nächste militärische Operation
könne den endgültigen Durchbruch bringen, so das offizielle Argument. Erst spät
wurde der breiten Öffentlichkeit klar, dass
das vermeintliche Licht am Ende des Tunnels nur die Grubenlampe des kommunistischen Gegners war.2
Historische Parallelen
Der historische Vergleich offenbart eine
Reihe von Parallelen. Das hartnäckige
Festhalten an vermeintlichen Pfadabhängigkeiten, das dickköpfige Durchwursteln
und der Unwille zur Kurskorrektur führte die beiden westlichen Militärmaschinerien in eine ihrer schmerzhaftesten Niederlagen.
Dabei hatte es genügend Stimmen gegeben, die die USA vor einem solchen Ausgang gewarnt hatten. John F. Kennedy riet
bereits 1951 von einer militärischen Intervention in Indochina ab.3 Auch zehn
Jahre später als Präsident widerstand er den
Versuchungen, Bodentruppen nach Süd-
ostasien zu verlegen – obwohl er 16 000
neuen Militärberatern den Marschbefehl
ausstellte. Im Herbst 1961 meinte er gegenüber Arthur M. Schlesinger, dass die
Amerikaner einen Krieg in Vietnam verlieren würden, «genau wie ihn die Franzosen eine Dekade zuvor verloren.»4 Der
Preis, den die USA für die Ignorierung
dieser und ähnlicher prophetischer Warnungen bezahlten, war ein militärisches
Fiasko mit Hekatomben von Toten. ■
1 Zit. in: Arthur M. Schlesinger, Jr., Robert Kennedy and His Times, New York 1978, S. 726.
2 Bernd Greiner, Krieg ohne Fronten: Die USA in
Vietnam, Hamburg 2007, S. 258.
3 Robert Dallek, An Unfinished Life: John F. Kennedy, 1917–1963, Boston 2003, S. 166 –167;
Fredrik Logevall, Embers of War: The Fall of an
Empire and the Making of America’s Vietnam,
New York 2012, S. xi-xiv, 286.
4 Zit. in: Logevall, Embers of War, S. 704.
Marcel Berni
M.A.
Wiss. Assistent Dozentur
Strategische Studien
MILAK ETHZ
3098 Schliern
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Internationale Nachrichten
Vereinigtes Königreich
AJAX-Schützenpanzer
bringt neue
Arbeitsstellen
Der erste Beschaffungsblock
des in englischer Eigenproduktion durch General Dynamics
UK hergestellte Schützenpanzer des Typs AJAX wird definitiv ab 2018 an die British Army
ausgeliefert und soll danach
bis spätestens 2020 vollständig eingeführt werden. AJAX
basiert auf dem unter spanischösterreichischer Zusammenarbeit durch Steyr-Daimler-Puch
Spezialfahrzeuge und Santa
Barbara Sistemas, beides Tochterunternehmen von General
Dynamics Europe entwickelten Chassis des Schützenpanzer ULAN (Österreich), respektive PIZARRO (Spanien).
Das britische Heer entschied
sich 2010 gegen den von BAE
Systems produzierten CV-90 in Wales zum Endmontageund für das damals nur als Pro- werk und Testgelände für den
jekt bestehende Modell AJAX. neuen Panzer umfunktioniert
Dank eines 600 Mio. Euro und anfangs März unter BeiEntwicklungskredites konnte sein von Regierungsvertretern
2012 der erste Prototyp vorge- von Wales und des Vereinigten
stellt werden. Danach wurde die erste
Bestellung von insgesamt 1010 Stück
verschiedener Ausführungen (Aufklärungs-, Transport-,
Führungsunterstützungs- und Geniepanzer) auf 589
einer ersten von ge- Britische Eigenproduktion AJAX.
Bilder: General Dynamics
planten drei Beschaffungstranchen
angepasst. Ein wichtiger Ent- Königreichs eröffnet. Auf diescheid für den AJAX war, dass se Weise wurden 250 regionale
General Dynamics die Produk- Arbeitsplätze geschaffen. Total
tion in Grossbritannien garan- sind somit etwa 210 Zuliefetieren konnte. So wurde eine rer mit beinahe 3000 Stellen an
ehemalige Gabelstaplerfabrik diesem Rüstungsprojekt be-
Mali
MINUSMA erweitert
Strategic Airlift Capability
Anfangs März landete zum
ersten Mal eine Boeing C-17
Globemaster III in Gao im
Nordosten Malis. Die C-17
wurde auf Gesuch der Niederlande vom Strategic Airlift
Capability (SAC) Programm
zur Verfügung gestellt. SAC ist
ein gemeinsames und NATOunabhängiges multinationales
Projekt von zehn Allianz- und
zwei PfP-Ländern zur gegenseitigen Unterstützung mittels
Bündelung von Lufttransportkapazität. Holland, welches in
Gao derzeit hauptsächlich eine
ASIFU (All Sources Information Fusion Unit) genannte
ISR-Einheit zugunsten der
UN-Mission in Mali betreibt,
kann somit die Versorgung
seines Personals vereinfachen.
Bisher erfolgten sämtliche logistischen Leistungen auf dem
Landweg von der Hauptstadt
Bamako aus, wo bereits regelmässig SAC-Versorgungsflüge
50
quartier des östlichen Sektors
der MINUSMA dar. Den Niederlanden stehen seitens SAC
jährlich 500 Flugstunden mit
einer von drei C-17 zu, welche
nach dem Prinzip der «SmartDefense» gemeinsam von den
zwölf Mitgliederländern angeschafft
und unterhalten
werden. Die am
1. März 2016 von
einer US-amerikanischen, schwedischen und holländischen Crew gesteuerte C-17 GloMorgendliche Globemaster-Landung in Gao,
bemaster, gebaut
Mali.
Bild: sacprogram.org
um unter erschwerten Einsatzbedinderzeit als das gefährlichste gungen operieren zu können
aller UN-Einsatzgebiete. Die und mit modernen AbwehrMission erlitt in ihrem knapp systemen ausgerüstet, konndreijährigen Bestehen bereits te innert 600 Metern in den
über 80 tödliche Verluste. Die frühen Morgenstunden auf
nun durch den Heavy Airlift der Sandpiste in Gao lanWing der SAC erbrachte Leis- den, wurde schnell entladen
tung stellt deshalb eine signifi- und verliess den Standort alskante Verbesserung des Nach- dann mit einer riesigen Staubund Rückschubs für das Haupt- wolke.
auch für andere Nationen landen. Aber die 1200 km lange
Dreitagesreise in den Nordosten ist nicht ungefährlich und
die UN-Konvois stellen ein
lohnendes Ziel für (islamistische) Rebellen dar. Mali gilt
Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 05/2016
teiligt. Dazu meint der (militärische) Projektleiter, Generalmajor Robert Talbot-Rice:
«Dies stellt die grösste britische Rüstungsanschaffung gepanzerter Fahrzeuge seit drei
Jahrzehnten dar. Das Fahrzeugdesign beruht auf unseren Erfahrungen vergangener
Kampfeinsätze. AJAX wird
das erste gänzlich digitalisierte Kampffahrzeug des Heeres
sein und kann weltweit dank
seiner Widerstandsfähigkeit in
schwierigstem Gelände eingesetzt werden.» Dies mittels
hochmoderner ISR-Fähigkeit,
aktivem Eigenschutz, der Möglichkeit zur vernetzten Zielerfassung sowie einer in britischfranzösischer Zusammenarbeit
entwickelten 40-mm-Kanone.
Bis heute wurden für das gesamte Projekt etwa fünf Mia.
Euro gesprochen.
Türkei
Wie weiter mit dem ALTAY?
Die ehemals britische und
sich seit 1989 vollkommen in
türkischem (Privat-)Besitz befindende BMC Sanayi ve Ticaret A.Ş. (BMC) wird seine
Produktionsanlagen ausbauen. Der AKP-Minister für
Wissenschaft, Industrie und
Technologie, Fikri Işık teilte
Anfangs März mit, dass die türkische Regierung die BMCExpansion mit der Bereitstellung von etwa 220 Hektaren
Land nahe der Stadt Sakarya
in der Marmararegion unterstützen wird. Die Firma selbst
will auf diesem Grundstück für
ca. 390 Mio. Euro neue Fertigungshallen erstellen, in welchen bis 4000 Arbeiter tätig
sein sollen. BMC würde damit zusätzlich zur Produktionsstätte in Izmir seine Produktionskapazität verdoppeln.
Im Vergleich mit Tofaş, welche
jährlich ca. 300000 Kraftfahrzeuge in FIAT-Lizenz herstellt,
ist BMC jedoch mit seinen ca.
Internationale Nachrichten
22000 gefertigten Fahrzeugen
kein Hauptakteur im nationalen Autogeschäft. Das Unternehmen gilt aber als ein Vorzeige-Rüstungsunternehmen,
das sämtliche nach zertifizierten NATO-Produktionsstandards hergestellten Fahrzeuge
auch eigenständig entwickeln
kann. Die Firma, welche zu
49 % dem Staat Qatar und
zu 51% dem türkischen Geschäftsmann Ethem Sancak gehört, wird deshalb als möglicher Hersteller für etwa 1000
türkische ALTAY-Kampfpanzer gehandelt. Derzeit laufen die Ausschreibungen für
die Produktion des ursprünglich vom BMC-Konkurrenten
Zwei der vier ALTAY-Prototypen.
Otokar gefertigten Prototypen. Hier könnte Sancak seine Freundschaft zum türkischen Präsidenten Erdogan
dienlich sein, denn öfters
schon erklärte Sancak, welchem auch mehrere regie-
Bild: Otokar
rungsnahe Medienhäuser gehören, dass er «auf eine maskuline Weise seinen Präsidenten liebe». Derweil kämpft das
gesamte Projekt ALTAYjedoch
mit Verzögerungen und Unklarheiten, einerseits wurde be-
Russland
Territoriale
Konsolidierung
im Pazifik?
Der russische Verteidigungsminister im Range eines Viersternegenerals, Sergei Shoigu,
verkündete Ende März, dass
seine Marine eine dreimonatige Expedition auf die mehr als
1200 km lange Inselkette zwischen dem russischen Kamtschatka und japanischen Hokkaido, den Kurilen, starten werde. Erklärtes Ziel sei es, einen
Hafen für seine Pazifikflotte
anzulegen. Diese Meldung erfolgt, nachdem Shoigu bereits
vor einem halben Jahr die Erneuerung einer einfachen Militärbasis auf der südlichsten
Kurilen-Insel ankündigte. Nun
soll bereits in den nächsten
Wochen zusätzliche BAL und
BASTION-Küstenartillerie auf
die Inselgruppe verlegt werden. Beide radgestützten Systeme verfügen über Raketen
des Typs ONIKS/YAKHONT,
respektive URAN/Harpoonski, wurden für die Abwehr
von Schiffen entwickelt und
haben eine Reichweite von bis
zu 300 km. Diese Waffen ergänzen gemäss russischer Marine die bereits seit 2011 auf
den Kurilen stationierten Ver-
teidigungsanlagen. Neu soll
ISR-Unterstützung und NahAufklärung offenbar mittels
ELERON-3-Drohnen sichergestellt werden. Diese «short
range»-Drohnen sind allwettertauglich, erreichen eine
Höhe von 4000 Metern und
wurden zuletzt erfolgreich in
Syrien und auf der Krim eingesetzt. Die Kurilen, welche
den Riegel zwischen Pazifik
und Ochotskischem Meer bilden, werden seit dem Zweiten
Weltkrieg gleichzeitig von Japan und Russland beansprucht
und sind mitunter der Grund,
dass beide Länder bisher noch
keinen Friedensvertrag unterzeichneten. Erst im Januar
dieses Jahres erklärte der russische Aussenminister Lavrov,
dass dieser Friedensvertrag
nicht von territorialen Interessen abhängig gemacht werden
sollte und verwies auf die sowjetisch-japanische Friedensdeklaration von 1956, in welcher
zwar das Inselgebiet umschrieben, aber von beiden Parteien
unterschiedlich interpretiert
wird. Als Antwort auf Shoigus
Ankündigung äusserte sich der
japanische Aussenminister Tokuda Shuichi prompt: «Japan
sei sehr besorgt über die jüngsten russischen Pläne.»
reits 2012 seitens Otokar angekündigt, den Panzer mit einem
Elektromotor auszurüsten, was
aber spätestens mit der Vertragsunterzeichnung durch den
einheimischen DieselmotorZulieferer Tumosan ein Ende
gefunden hat. Andererseits hat
die Savunma Sanayii Müsteşarlığı (Staatssekretiariat für Verteidigungsindustrie) bis Redaktionsschluss noch keine Ausschreibung veröffentlicht. Der
ALTAY soll 2018 eingeführt
werden und ab dann die knapp
1700 Stück M48 und M60 Patton der Reserve, sowie zahlreiche der etwa 400 Leopard 1
ersetzen und die ca. 350 Leopard 2 verstärken.
USA
Erstmals eine Frau als
Regionalkommandantin
US-Präsident Barack Obama wird erstmals in der Geschichte der USA einer Frau
das Oberkommando über einen grossen Teil der US-Armee
General Lori Robinson.
Bild: US Air Force
übergeben. Die Luftwaffengeneralin Lori Robinson werde
künftig das Regionalkommandozentrum Northern Commands (NORTHCOM) in
Colorado Springs führen, sagte Verteidigungsminister Ashton Carter.
Robinson, deren Ernennung
noch vom US-Senat bewilligt
werden muss, würde damit einen der wichtigsten Teile des
Militärs befehligen. Die Generalin, die derzeit noch Luftwaffeneinheiten im Pazifik kommandiert – die erste Frau in
dieser Stellung –, wäre dann
für militärische Aktivitäten in
ganz Nordamerika zuständig.
Robinson hat ihre gesamte
Karriere bei der Luftwaffe verbracht.
Erst im Dezember 2015
hatte Carter sämtliche Kampftruppen für Frauen geöffnet.
Bei den Marines oder den Seals
durften bislang nur Männer
dienen. Die Marines hatten
sich gegen die Aufnahme von
Frauen ausgesprochen, weil sie
in den Einheiten sexuelle Spannungen verursachen und die
Kampffähigkeit beeinträchtigen könnten – Carter setzte
sich jedoch durch.
«Amerikas Streitkräfte der
Zukunft müssen die Fähigkeiten der Besten umfassen, die
Amerika zu bieten hat – das
schliesst Frauen ein», sagte
Carter im Dezember. «Es wird
keine Ausnahmen geben.» Dass
Frauen ihren männlichen Kollegen leistungsmässig nicht
nachstehen, hatten Soldatinnen bereits im August bewiesen: Damals bestanden erstmals Frauen die Prüfung für
die Eliteeinheit Rangers.
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Internationale Nachrichten
USA /Südkorea
USA und Südkorea üben –
Nordkorea reagiert
Mit 55 Kampfflugzeugen
und 30 Schiffen haben die USA
und Südkorea die Erstürmung
von Stränden geübt. Das sollte Nordkorea einschüchtern.
Doch Kims Regime reagierte.
Im Zuge ihres bislang grössten Militärmanövers haben die
USA und Südkorea eine Landungsoperation gegen das
kommunistische Nordkorea
simuliert. Beide Länder hätten eine Erstürmung der nordkoreanischen Strände geprobt,
teilte die US-Marines mit. Es
hätten sich 55 US-Marineflieger sowie 30 Schiffe aus den
USA und Südkorea an der
Übung in der Nähe der Stadt
Pohang beteiligt.
Laut Südkorea handelt es
sich bei dem achtwöchigen Manöver um die umfangreichste
Militärübung, die in der Region jemals stattfand. Insgesamt
seien 17000 US-amerikanische
und mehr als 300000 südkoreanische Soldaten beteiligt.
Nordkorea sieht in dem Militärmanöver eine Provokation
und drohte mit einer kompromisslosen Offensive. Ein «Blitzkrieg» sei möglich, erklärte die
nordkoreanische Armee. Zuvor
hatte Machthaber Kim Jong
Un die Atomstreitkräfte in Gefechtsbereitschaft versetzt.
Das Nachbarland Nordkorea fühlt sich von dem Manöver offenbar provoziert. Pjöngjang drohte mit einer Offensive. Das Kim-Regime schliesse
einen «präventiven Atoman-
griff im Namen der Gerechtigkeit», nicht aus, zitierte die
amtliche Nachrichtenagentur
KCNA aus einer Erklärung des
Oberkommandos der nordkoreanischen Streitkräfte. Bisher
sind aber keine Anzeichen für
ungewöhnliche Militärbewegungen ausgemacht worden.
Was aber stattfand: Nordkorea hat erneut mehrere Kurzstreckenraketen abgefeuert, die
vor der Ostküste ins japanische Meer stürzten. Die Raketen seien in der Nähe der
Stadt Hamhung abgeschossen
worden, teilten die südkoreanischen Streitkräfte mit.
Südkorea erklärte derweil,
es sei jederzeit auf einen neuen Atomtest Nordkoreas vorbereitet. «Wir glauben, dass ein
fünfter Atomtest jederzeit stattfinden kann. Die Regierung bereitet sich auf alle Möglichkeiten vor», sagte ein Sprecher des
Wiedervereinigungs-Ministeriums in Seoul. Die Regierung
gehe davon aus, dass Nordkorea bereit sei, eine weitere
Atombombe zu zünden, sobald
die Führung dies anordne.
Südkoreanische Aktivisten
kündigten unterdessen an, erneut Flugblätter über Nordkorea abwerfen zu wollen. Zehn
Millionen Flugblätter, in denen
die Verletzung der Menschenrechte durch den nordkoreanischen Machthaber Kim Jong
Un kritisiert würden, sollten
nahe der Grenzstadt Paju abgeworfen werden, sagte der Aktivist Park Sang Hak. Die Aktion
dürfte die Spannungen auf der
Halbinsel weiter verschärfen.
Israel
Mit dem Umbau von MERKAVA Mark II-Kampfpanzern
zu Schützenpanzern werden ab
Die auf dem Chassis des sofort, so das israelische VerMERKAVA-Kampfpanzer ba- teidigungsministerium, sämtsierenden Schützenpanzer des liche neuen MannschaftstransTyps NAMER werden mit porter mit dem Aktivschutz
dem aktiven Schutzsystem versehen. Für mögliche EinTROPHY HV ausgerüstet. satzszenarien im Gazastreifen
Bisher wurde TROPHY auf oder Südlibanon bringt das
den MERKAVA Mark IV ein- neue System einen signifikangesetzt und bewährte sich in ten Kampfvorteil, so der Leidiversen Konfliktszenarien, ter der Merkava Kampfpanzer
Direktion Brigadegeneral Baruch
Mathliah. Denn,
in einem von Panzerabwehrwaffen
und panzerbrechender Munition
verseuchten Einsatzraum sei es elementar, die TrupNAMER-Schützenpanzer mit TROPHY-System.
pe entsprechend
Bild: Israeli Defense Forces
schützen zu können. Auf diese
beispielweise in der Operati- Weise wird es im Einsatzveron «Protective Edge» im Gaza- fahren auch möglich sein,
krieg 2014. Das von Raphael Kampf- und Schützenpanzer
Advanced Defense Systems in gleichzeitig in einem nonperZusammenarbeit mit der is- missiven Umfeld einzusetzen,
raelischen Elta Gruppe konzi- erklärt Mathliah. Gemäss dem
pierte Abwehrsystem berech- israelischen Verteidigungsminet, basierend auf Radardaten, nisterium liegt in diesen Verden optimalen Zeitpunkt und fahren die Zukunft, denn die
Winkel, um mittels schrotla- altgedienten M113-Schützendungsähnlicher Munition ein panzer bieten keinen entspreoder mehrere sich annähern- chenden Schutz mehr auf
de (Panzerabwehr-)Geschosse dem Gefechtsfeld. Folge desneutralisieren zu können. In sen wurden gemäss der israden Anfangsmonaten dieses elischen Regierung auch die
Jahres sind nun die ersten Bestellungen für Kampf- und
NAMER umgerüstet worden. Schützenpanzer verdoppelt.
Eigenschutz
für Schützenpanzer
Brasilien
Kein erneuter
Militärputsch?
Marines bei Dogu Beach.
52
Bild: Lance Cpl. Carl King, US Marines
Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 05/2016
Die Regierung der brasilianischen Präsidentin Dilma
Roussef hat immense Probleme. Im Parlament wurde das
Amtsenthebungsverfahren gegen sie eingeleitet; auf der
Strasse skandiert das Volk.
Die Geister der Vergangenheit wurden heraufbeschwört:
Droht ein erneuter Militärputsch?
Angesichts des Machtkampfs
zwischen der Präsidentin und
der Opposition in Brasilien hat
das Militär der Bevölkerung
versprochen, die Stabilität im
Land zu sichern. «Unsere Aktionen werden allein davon getragen, was Recht und Gesetz
ist», erklärte Armeechef Eduardo Vilas Boas auf der Websei-
Internationale Nachrichten
te der Streitkräfte. «Wir werden
zur Aufrechterhaltung der Stabilität beitragen.»
Die Äusserungen des Armeechefs erfolgten, nachdem Rousseff die Amtsenthebungsbemühungen der Opposition gegen
sie als Versuch eines Staatsstreichs bezeichnet hatte. In
einem Rundschreiben an alle
Botschaften hatte das brasilianische Aussenministerium vor
einem möglichen Putsch im
fünftgrössten Land der Welt
gewarnt. Bestimmte Medienkonzerne und einflussreiche
Unternehmen versuchten, die
legal gewählte Regierung zu
Fall zu bringen, zitierte das
Portal «O Globo» aus dem
Brief an die Diplomaten. Das
Aussenministerium erklärte
Volk protestiert gegen Präsidentin in Brasilia.
daraufhin, das Schreiben sei
«nicht autorisiert» gewesen.
Die Präsidentin sieht sich
seit Monaten mit Massenprotesten konfrontiert, die immer stärker werden. Teilweise
wurde dabei bereits das Ein-
Bild: Wikimedia
schreiten des Militärs gefordert. Brasilien stand von 1964
bis 1985 unter Militärherrschaft. Rousseff wird von ihren
Gegnern unter anderem für
die schlimmste Rezession seit
Jahrzehnten verantwortlich
gemacht. Die Arbeitslosigkeit
nimmt weiter im Rekordtempo zu. Ende Januar waren nach
Angaben des Statistikamtes
IBGE 9,6 Millionen Einwohner ohne Job. Das ist ein Anstieg von über 40 Prozent binnen Jahresfrist. Die Erwerbslosenquote erreichte einen Wert
von 9,5 Prozent nach 6,8 Prozent vor einem Jahr.
Darüber hinaus gibt es weitreichende Korruptionsvorwürfe gegen die Regierung. Sie beziehen sich vor allem auf Geschäfte mit dem halbstaatlichen
Ölkonzern Petrobras. Die Präsidentin wehrt sich gegen Anschuldigungen, sie habe ihren
Wahlkampf illegal finanziert
und den Regierungshaushalt
geschönt.
NATO/Afghanistan
Neuer Oberbefehlshaber
der NATO in Afghanistan
Im Kampf gegen Taliban
und IS bekommen die NATOTruppen einen neuen Chef.
US-General John Nicholson ist
neuer Oberbefehlshaber und
führt die momentan 12 000
Soldaten in einem schwierigen Einsatz.
Auch fast 15 Jahre nach dem
Beginn der internationalen
Intervention in Afghanistan
kommt das Land am Hindukusch nicht zur Ruhe. Die Taliban sind so aktiv wie lange
nicht mehr und auch die Terrormiliz Islamischer Staat (IS)
breitet sich aus. Mitten in dieser schwierigen Phase gibt es
einen Führungswechsel bei den
westlichen Streitkräften: USGeneral John Nicholson löste
John Campbell als Oberbefehlshaber der NATO-Mission
Resolute Support und der amerikanischen Streitkräfte in Afghanistan ab.
Bei einer Übergabezeremonie in Kabul rief Nicholson die
radikalislamischen Taliban auf,
den Kampf zu beenden: «Ich
kenne euch. Ich habe gegen
euch gekämpft. Ihr habt dem
afghanischen Volk nur Not
und Leiden gebracht. Es ist
Zeit, dass das ein Ende hat und
dass ihr die Waffen niederlegt.»
Zudem zollte er den Afghanen
grossen Respekt. «Alle, die in
den afghanischen und den Koalitions-Streitkräften so tapfer
General John Nicholson.
Bild: US Army
gekämpft haben, sind für mich
Helden. Aber die wahren Helden sind jene afghanischen Anführer hier in der Hauptstadt,
die den harten Job haben, eine
Regierung zu schaffen und zu
führen – und jene Afghanen in
den Dörfern und Städten, deren Leben sich seit 2001 sicherlich verbessert hat, die aber
auch die Ungewissheit und die
Verluste dieses Konflikts ertragen müssen.»
Nicholson kennt sich in dem
Krisenland sehr gut aus. Zwischen 2006 und 2012 war er
drei Mal in Afghanistan stationiert. Er kommandierte
Truppen im Süden und im
Osten – wo heute die Terrormiliz IS Fuss fassen will und
nach Schätzungen 1000 bis
3000 Kämpfer hat. Später wurde Nicholson stellvertretender
Stabschef für die Operationen
der US-Soldaten sowie der damaligen NATO-Mission ISAF
im Hauptquartier in Kabul.
Ausserdem war er 14 Monate
lang Direktor der Koordinierungs-Abteilung für Pakistan
und Afghanistan im Pentagon.
Zuletzt kommandierte er die
NATO-Landstreitkräfte mit
Hauptquartier in der Türkei.
Wie weiter mit der Mission?
Eigentlich hatten die westlichen Alliierten gehofft, den
Afghanistan-Konflikt der dortigen Regierung zu überlassen. Allerdings flammt er immer stärker auf. Die Taliban
kontrollierten so viel Territorium wie seit 2001 nicht mehr,
hiess es jüngst in einem US-Bericht. Dutzende Bezirke sind
umkämpft. 2015 starben allein
mehr als 7000 Polizisten und
Soldaten – Tausende Zivilisten wurden getötet oder verwundet.
Derzeit kommandiert Nicholson rund 12000 in Afghanistan stationierte NATO-Soldaten. Weil ihr Kampfmandat
Ende 2014 zu Ende gegangen
war, konzentrieren sie sich vor
allem auf das Training der afghanischen Streitkräfte. Wie
viele Truppen Nicholson in
Zukunft zur Verfügung haben
wird, ist unklar. Die USA wollten zum Ende des Jahres ihre
knapp 10 000 Soldaten auf
5500 reduzieren. Aber erst am
Montag hatte der Vorsitzende
des Vereinigten Generalstabs
der US-Streitkräfte, Joseph
Dunford, laut Polit-Blog «The
Hill» in einem Pentagon-Briefing gesagt, dass das Verteidigungsministerium die zukünftige Truppenstärke in Afghanistan überdenke. Die Afghanen bräuchten mehr Hilfe als
erwartet.
Pascal Kohler,
Henrique Schneider
Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 05/2016
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Geschichte
Fernab und doch mittendrin –
Die Zentralschweiz im Ersten Weltkrieg
Aus Anlass des 100-jährigen Gedenkens an den Ersten Weltkrieg zeigt das
Museum Burg Zug von April bis Oktober 2016 die Wanderausstellung
«14/18 – Die Schweiz und der Grosse Krieg». In Vertiefungsschwerpunkten
werden die spezifischen Verhältnisse in der Zentralschweiz thematisiert.
Marco Sigg
Der Erste Weltkrieg forderte über 17
Millionen Tote und erschütterte die Welt
zu Beginn des 20. Jahrhunderts in ihren
Grundfesten. Als neutraler Staat blieb die
Schweiz von kriegerischen Auseinandersetzungen zwar verschont, die Auswirkungen des «Grossen Krieges» auf Politik, Wirtschaft und Gesellschaft waren
aber enorm.
Wie der Krieg
die Schweiz veränderte
Politik und Wirtschaft waren auf den
langen, industrialisierten Krieg nur ungenügend vorbereitet und reagierten mit improvisierten Lenkungsmassnahmen. Die
Innenpolitik war durch tiefe Spannungen
zwischen Romandie und Deutschschweiz
belastet. Eine Sozialpolitik fehlte gänzlich, die Löhne büssten an Kaufkraft ein.
Teuerung und Versorgungsschwierigkeiten führten dazu, dass im Sommer 1918
rund 700000 Menschen auf öffentliche Hilfe angewiesen waren. Die steigenden sozialen Spannungen entluden sich
schliesslich im November 1918 im Landesstreik.
Direkte und indirekte Folgen der Erfahrungen aus dem Weltkrieg waren z.B. die
Einführung der Alters- und Invalidenversicherung, der Erwerbsersatzverordnung,
des Proporzwahlrechts oder der 48-Stunden-Woche, den Frauen eröffneten sich
neue berufliche Perspektiven. Der Erste
Weltkrieg stellte zudem den entscheidenden Schritt vom liberalen zum Interventionsstaat dar, indem per Notrecht neue
Staatsaufgaben, Ämter und ein grösserer
Verwaltungsapparat geschaffen wurden.
Die vom Verein «Die Schweiz im Ersten
Weltkrieg» konzipierte und vom Museum
Burg Zug erweiterte Wanderausstellung
zeigt die enormen politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und militärischen Folgen des Ersten Weltkrieges auf
die Schweiz mit einer Vielzahl an Fotos,
Dokumenten, Filmen, Objekten und Hörstationen.
Museum Burg Zug
Kirchenstrasse 11, 6300 Zug
Öffnungszeiten
Di–Sa 14 –17 Uhr / So 10 –17 Uhr
www.burgzug.ch
des Kriegsgeschehens lag, sich von den
Auswirkungen her aber ebenfalls mittendrin befand.
Tourismus
Mit dem Kriegsausbruch brach der
blühende Tourismus und damit einer der
Hauptwirtschaftsfaktoren in der Zentralschweiz weg. In den leer stehenden Hotels
Blick in die Zentralschweiz
Ein Blick in die Zentralschweiz verdeutlicht, dass diese geographisch zwar fernab
54
Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 05/2016
wurden ab 1916 bis Kriegsende über 4500
internierte Kriegsgefangene – mehrheitlich
Deutsche, aber auch Österreicher, Franzosen, Briten und Belgier – untergebracht;
eine profitable neue Einkommensquelle
für den eingebrochenen Fremdenverkehr,
zahlten die ausländischen Staaten doch für
den Unterhalt ihrer internierten Soldaten.
Die anfänglich euphorische Haltung der
Bevölkerung wich mit zunehmender Anzahl immer mehr einer Reserviertheit gegenüber den Fremden.
Wirtschaft
Ansonsten wirkte sich der Krieg unterschiedlich auf die Zentralschweizer Wirtschaft aus: Einige Fabriken mussten ihre
Produktion wegen des plötzlichen Arbeitskräftemangels drosseln oder einstellen,
andere profitierten von neuen Möglichkeiten und Absatzmärkten. Die in Cham
produzierende Nestlé erhöhte die Export-
Ankunft deutscher Internierter in Flüelen
1916.
Bild: Staatsarchiv Uri
Geschichte
menge an Kondensmilch innert Jahresfrist
um 500% (u.a. an die britische Marine).
Auch Landis & Gyr steigerte die Herstellung von Stromzählern, die wegen der forcierten Elektrifizierung sehr gefragt waren.
Ähnlich profitierte die luzernische «Société de la Viscose Suisse», die Kunstgarn herstellte. Andere wie die Metallwarenfabrik
Zug oder die schwyzerische «Karl Elsener
Messerschmiede Werkstatt» (Victorinox)
orientierten sich um und produzierten
nach Kriegsausbruch für die Schweizer
Armee Gamellen, Feldflaschen, ab 1918
den neuen Stahlhelm bzw. Soldatenmesser und Bajonette. Die Hauptprobleme
blieben aber der Energie- und Arbeitskräftemangel. Mit neuen Energiequellen
versuchte man dem zu begegnen, etwa
mit dem intensivierten Abbau von inländischer Schieferkohle oder von Torf. Zu
wichtigen Arbeitskräften wurden dabei
die Kriegsinternierten, die auch bei Meliorationsarbeiten oder in verschiedenen
Werkstätten beschäftigt wurden.
Mangel und Not im Alltag
Obwohl sich die Zentralschweiz weit ab
vom Kriegsgeschehen befand, veränderte
sich auch hier der Alltag mit Kriegsbeginn. Die Stimmung war gedrückt, hörte man doch selbst in Zug immer wieder
Geschützdonner aus den Schlachten im
Elsass.1 Hinzu kam, dass durch die Mobilisierung die Männer am Arbeitsplatz,
auf dem Bauernhof und in den Familien
fehlten. Bahn- und Schiffsverkehr wur-
Theodor Real vor einem Doppeldecker.
Bild: Flieger Flab Museum Dübendorf
gung während des Marsches einem Hitzschlag erlag.
Auch Neues entstand: Dank der 1912
von der SOG lancierten nationalen «Flugspende» konnte die 1914 improvisiert geschaffene Luftwaffe weiter ausgebaut werden. Dies geschah
unter Führung des
Schwyzer Kavalleriehauptmanns Theodor Real, der 1916
seinen Posten aber
wegen fehlender Unterstützung durch die
Armeeführung frustriert räumte.
Zentralschweizer
Einheiten wurden
auch während des
Landesstreiks eingesetzt. General Wille
Entlebucher Kavalleristen mit verhafteten Jungburschen in Zürich.
hatte die bäuerlichen
Bild: Staatsarchiv Luzern
Truppen ganz bewusst ausgewählt,
richtet über das Vereinsleben sowie den um die Arbeiterstreiks niederzuschlagen.
bäuerlichen Alltag und schildert, wie die- Luzerner und Schwyzer Soldaten standen
ser durch die Lebensmittelknappheit und in Zürich im Ordnungsdiensteinsatz und
-verteuerung verändert wurde.2 Der Bun- bewachten – teils mit MG-Posten – wichdesrat reagierte darauf erst 1917 mit der tige Einrichtungen in der Stadt. In der
Rationierung der Grundnahrungsmittel ländlichen Zentralschweiz verhallte der
und mit dem Mehranbau von Kartoffeln Streikaufruf zwar weitgehend, nicht aber
und Getreide. Bereits ab 1916 hatte sich in Luzern, Zug und Uri, wo gestreikt oder
aber die Versorgungslage, besonders für demonstriert wurde. Auch in Luzern wurdie ärmere und die städtische Bevölke- den Luzerner und Unterwaldner Truppen
rung, verschlechtert. 1917 demonstrierten im Ordnungsdienst eingesetzt, in Zug bein Zug Arbeiter gegen die Teuerung, in wachten Zuger Einheiten die FabrikeinLuzern kam es zu einem grossen «Hunger- gänge und liessen Arbeitswillige passieren.
marsch». Selbst im ländlichen Uri wurde
ab diesem Zeitpunkt Frischmilch knapp,
Fazit
der Schwarzmarkt florierte. Bei Kriegsende waren ein Fünftel der Luzerner und
Insgesamt verursachte der Erste WeltZuger sowie ein Sechstel der Nidwaldner krieg in der Schweiz tiefgreifende Erschütund Urner Bevölkerung auf Notunter- terungen, die in ihren Auswirkungen gravierender waren als diejenigen des Zweiten
stützung angewiesen.
Weltkrieges und die Entwicklung unseres
Gemeinwesens teils bis heute prägen. ■
Aktivdienst und Landesstreik
den eingeschränkt, der Brotpreis begann
zu steigen. Eindrücklich beschreibt der
Beromünsterer Arzt Edmund Müller die
zunehmende Not und den Mangel in seinem Tagebuch. Akribisch notiert er zwischen 1914 und 1918 alle Todesfälle, be-
Den Aktivdienst erlebte das Gros der
Zentralschweizer Truppen als Grenzwache im Baselbiet, Jura und im Tessin oder
als Festungstruppe auf dem Gotthard.
Der Dienst war geprägt von bedrohlicher Kriegsnähe, aber auch von Drill und
Langeweile. Wie andernorts klagten die
Soldaten über das «leidige Exerzieren»
und die «tausend eingedrillten Gewehrgriffe» – «es ‹preusselte› mitunter».3 Dass
der Dienst mit Leid und Gefahren verbunden war, verdeutlicht das Schicksal
des 23-jährigen Zuger Korporals Karl
Spillmann, der kurz nach seiner Vereidi-
1 Z.B. am 25.12.1914. Tugium 30/2014, S. 109.
2 Handschriftliche «Chronik von Beromünster»
von Dr. Edmund Müller-Dolder, 4 Bde. Sammlung Haus zum Dolder, Beromünster.
3 Erinnerungs-Schrift an den Aktivdienst der Zugertruppen 1914 –1919, Zug 1924, S.29 und 119.
Major
Marco Sigg
Dr. phil.
Direktor Museum Burg Zug
6300 Zug
Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 05/2016
55
Geschichte
Von Bewegungs- zu Entfaltungsformen
der heutigen Infanterie
Die militärgeschichtliche Entwicklung von Schützenreihe,
Schützenkette und Schützenrudel – oder von den von Ernst Jünger
im Ersten Weltkrieg erprobten Bewegungsformen zu den
Entfaltungsformen der heutigen Infanterie.
Thomas Maurer*
Als erfahrener Frontoffizier wurde Ernst
Jünger nach dem Ersten Weltkrieg durch
den damaligen Inspekteur der Infanterie,
Generalmajor Friedrich von Taysen, in die
Vorschriftenkommission der Reichswehr
befohlen. Die taktischen Grundsätze, die
er seinen Aufzeichnungen und Erinnerungen entnahm, flossen 1922 in die Ausbildungsvorschrift für die Infanterie, die Heeresdienstvorschrift 130 ein. Seine im Juni
1917 in Nordfrankreich im Kampf gegen
britische Truppen erprobten Bewegungsformen Schützenreihe, Schützenkette und
Schützenrudel legte er dabei begrifflich als
die Grundformen der geöffneten Ordnung
einer Schützengruppe fest. Die militärgeschichtliche Entwicklung dieser Formen
lässt sich bis in heutige Dienstvorschiften
nachvollziehen. Der Begriff Schützenreihe ist in den heutigen Gefechtsdienstvorschriften der deutschen Bundeswehr und
des österreichischen Bundesheeres wiederzufinden. Jedoch fällt auf, dass der Begriff der Schützenkette in der deutschen,
das Schützenrudel in der österreichischen
Dienstvorschrift, keinen Bestand mehr haben. Anhand der Ausbildungsvorschriften
von Reichswehr und Wehrmacht soll der
folgende Aufsatz die militärgeschichtliDer Autor dieses Aufsatzes ist Absolvent
des Nationalen General- und Admiralstabsdienstlehrgangs an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg
(FüAkBw). Er untersucht basierend auf
Fronterfahrungen die Entwicklung von
Bewegungsformen hin zu den auch uns
bekannten Einsatzformen der Infanterie.
Dabei sind zwei Punkte interessant: Der
Ursprung der heutigen Gefechtsformen
– auch bei der Schweizer Armee – ist
mit kleinen Anpassungen auch heute
noch aktuell und die ASMZ weckt auch
an der FüAkBw Interesse und regt zum
Schreiben an.
BOA
56
che Entwicklung von Schützenreihe und
Schützenrudel skizzieren und eine Erklärung geben, warum sich die Begriffe nur
teilweise in den heutigen Gefechtsdienstvorschriften wiederfinden.
Unter dem Chef der Heeresleitung, Generalmajor Hans von Seeckt, wurde im
Oktober 1922 die Heeresdienstvorschrift
130 als grundlegende Dienstvorschrift der
Infanterie der Reichswehr erlassen. Sie
setzte damals mehrere Vorschriften, unter
anderem auch das Exerzierreglement für
die Infanterie von 1906, ausser Kraft. Zuerst bestand die Heeresdienstvorschrift aus
dem Heft1 mit den Vorbemerkungen, Leitsätzen, Grundlagen und Kommandos sowie dem Heft 2 mit Inhalten der Einzelausbildung, der Schützengruppe bis zur Infanteriekompanie. Aus den Aussagen von
Jünger geht hervor, dass er hauptverantwortlich für die Gestaltung und Ausarbeitung des Kapitels zur Schützengruppe war.
Die tiefe Bewegungsform:
Die Schützenreihe
Im Kapitel der Schützengruppe folgte
nach einleitenden und allgemeinen Punkten die Beschreibung der geschlossenen
und geöffneten Ordnung. Als Formen der
geschlossenen Ordnung waren dabei festgelegt: die Linie, die Doppelreihe und die
Reihe. Diese waren bereits vorhandene Begriffe des Exerzierreglements. Für die geöffnete Ordnung legte Jünger fest: «Wo
Lage und Gelände die Aufrechterhaltung
der geschlossenen Ordnung nicht mehr gestatten, wird zur geöffneten Ordnung übergegangen». Als Grundformen legte Jünger
dabei die Schützenreihe als tiefe Form
und die Schützenkette als breite Form der
geöffneten Ordnung fest. Beide Formen
waren im Exerzierreglement nicht niedergeschrieben und galten vermutlich bis dato
nicht als institutionalisierte taktische Einsatzformen. Gemäss dem Exerzierreglement formierten sich bisher aus der Kolonne heraus ganze Kompanien oder Züge
Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 05/2016
Heeresdienstvorschrift 130, Heft 2a (1937),
Bild 71, Anhalt Schützenrudel.
zu «schwärmenden» Schützenlinien und
stürmten in einer starren Linie mit vorgegebenen Abständen im Infanterieangriff
ihren Feind.
Die Schützenreihe wird im Kapitel der
Schützengruppe durch Jünger wie folgt
beschrieben: «Die Schützenreihe bildet
sich zwanglos hinter dem vorangehenden
Gruppenführer oder den in der befohlenen
Marschrichtung vorgehenden Mann. Der
befohlene Abstand gibt nur einen Anhalt.
Die Schützenreihe eignet sich besonders zur
Ausnutzung des Geländes bei schmalen Deckungen, zum Durchgehen von Artilleriefeuer und für Flankendeckungen. Von der
Seite gesehen, erscheint sie als Linie […].»
Jünger erläutert zusätzlich, dass die Abstände und Zwischenräume in Abhängigkeit von der Lage, dem Gelände, der Sicht
und der Feindeinwirkung zu wählen sind.
Die breite Form der geöffneten
Ordnung: Die Kette
Als breite Form der Schützengruppe definiert Jünger in der Heeresdienstvorschrift
die Schützenkette. Er erläuterte die An-
Geschichte
wendung der Schützenkette als Entwick- det wurde. Es kann also angenommen werlung zur breiten Form der geöffneten Ord- den, dass Jünger den taktischen Ansatz sonung, essentiell für den Feuerkampf der wie den Begriff Kette übernommen und
ganzen Schützengruppe und zum schnel- abgewandelt hat. Seinen Ursprung hat er
len Überwinden eingesehener Gelände- jedoch nachweislich nicht ergründet.
streifen. «Zur Schützenkette entwickelt sich
die Gruppe in der Regel zur Hälfte rechts,
Andere Formen der geöffneten
zur Hälfte links hinter dem GruppenfühOrdnung: Das Schützenrudel
rer, der einige Schritt in der angegebenen
Neben der Schützenreihe und SchütRichtung voraus springt.» Aufgrund ihrer
wesentlichen Bedeutung für das Feuerge- zenkette gab Jünger auch die Möglichfecht, wurde im Zweiten Weltkrieg für die keit, andere Formen der geöffneten OrdSchützenkette die sprachlich abgewandel- nung zu wählen: «Jede andere Form oder
te Bezeichnung der Feuerkette verwendet. die Anwendung verschiedener Formen für
Interessant ist grundsätzlich der Wort- die einzelnen Teile der Gruppe ist zulässig,
stamm der Kette. Im Handbuch Der In- wenn Gelände, Sicht oder feindliche Feufanterist von 1928 ist zu lesen: «Die Schüt- erwirkung es fordern.» Als weitere Form
zenkette ähnelt ihrer Form einer auffliegen- nannte er hierbei das Schützenrudel, eine
den Kette Rebhühner.» Bei einer genaueren unregelmässige, lose, tiefe oder breitere
etymologischen Analyse des Wortes Ket- Form von Schützenreihe und Schützente wird dessen waidmännischer Ursprung kette. Auch hier liegt die Namensgebung
noch deutlicher. Zu Beginn des Ersten aus der Waidmannsprache nahe, da die
Weltkrieges umfasste die Infanterie des Formation einem jagenden Wolfsrudel
deutschen Heeres insgesamt 217 Infante- ähnelt. Eine genaue Definition sah Jünger
rieregimenter zu je drei Bataillonen sowie nicht vor, sondern lehnte sie ab: «Sie zu
weitere 18 Jägerbataillone, die sich durch reglementieren würde ihrem Wesen wiedereine besondere Auswahl und intensivere sprechen». Er beschrieb jedoch sechs MögSchiessausbildung der Soldaten auszeich- lichkeiten zur Anwendung des Schützenneten. In diesen Verbänden wurde der Be- rudels: zur besseren Ausnutzung des Gegriff Jägerkette schon vor dem Ersten Welt- ländes, zur Abschwächung der Feindwirkrieg verwendet. Eine genaue Rückver- kung, bei Bewegungen in stark durchfolgung dieses Begriffs zeigt, dass bereits schnittenem Gelände, beim Vorbrechen
im Jahr 1829 ein Offizier im königlichen
bayerischen LinienInfanterie-Leib-Regiment seine Ideen zur
leichten Infanterie niederschrieb und dabei
die Einsatzformen der
sogenannten Tirailleur- und Jägerkette
darstellte: «Wir sehen
[…] eine Linie Streiter, aber nicht Arm in
Arm, sondern zwischen
einzelnen Streitern und
den Kettengliedern ansehnliche Zwischenräume, die mehr oder weniger gross sind, je nachdem es das hinter ihnen Heeresdienstvorschrift 130, Heft 2a (1942), Bild 19, Gruppe in
liegende Terrain, oder Schützenkette.
die Breite der Fronte
der hinter ihnen stehenden Truppen […]. aus Engen oder Drahthindernissen, zum
Die in einer Linie nun aufgelösten Rotten, Folgen der Feuerwalze der Artillerie sooder diese Ausdehnung der sich selbst decken- wie im Vorgehen mit Kampfwagen. In der
den Rotten nennt man eine Kette.»
Fortschreibung der Dienstvorschriften
So wird deutlich, dass der Begriff Ket- wurde das Schützenrudel ab 1936 dann
te bereits im 19. Jahrhundert im militä- doch festgelegt. Im Heft 3 zur Maschirisch-taktischen Sprachgebrauch verwen- nengewehrkompanie sowie im Heft 2a
«Am nächsten Abend bekam ich Befehl,
die Feldwache wieder zu besetzen. Da
sich der Gegner inzwischen dort eingenistet haben konnte, umfasste ich mit
zwei Abteilungen zangenförmig das Gehölz […]. Ich wandte hier zum ersten
Male eine besondere Art der Annäherung an einen gefährlichen Punkt an,
die darin bestand, Mann hinter Mann
in einem weiten Bogen darum herumzugehen. Stellte sich der Ort als besetzt heraus, so schaffte eine einfache
Rechts- oder Linksdrehung eine flankierende Feuerfront. Ich habe diese Ordnung nach dem Kriege unter dem Namen der Schützenreihe in die InfanterieGefechtsvorschrift eingeführt.»
In Stahlgewittern, Ein Kriegstagebuch von
Ernst Jünger, Hamburg 1933, S.173
wurde das Schützenrudel als Entfaltungsform zum Überwinden von offenem Gelände sowie zum Vorbrechen aus Deckungen einer schweren Maschinengewehrbedienung von mehreren Soldaten beschrieben. Hierbei war die Form klar reglementiert: «Solange nichts anderes befohlen ist,
[…] werden beim Schützenrudel durchschnittlich 5 Schritt Abstand und Zwischenraum genommen. Die Gesamtbreite des
Schützenrudels beträgt dann ohne besonderen Befehl nicht mehr als 15 Schritt.»
Im Sinne des taktischen Grundgedankens bezog sich die Ausrichtung des Schützenrudels, im Gegensatz zu Schützenreihe
und Schützenkette, auf den Richtschützen, der das Maschinengewehr 08 trug und
das Zentrum der Formation bildete. Dies
stellte sicher, dass alle Soldaten der Bedienung zügig beim Richtschützen sammeln
konnten, um durch Zusammenführen
der Baugruppen des Maschinengewehrs,
der Munition und des Kühlwassers eine
schnelle Feuerbereitschaft sicherzustellen.
In der breiten Schützenkette oder der tiefen Schützenreihe wäre diese Feuerbereitschaft erheblich verzögert worden. Beim
Schützenrudel handelt es sich somit um
einen Kompromiss zwischen Auflockerung und Zusammenhalt der Maschinengewehrbedienung zur schnellen Feuereröffnung.
Zusammenfassend kann belegt und festgehalten werden, dass im Jahr 1936 alle
drei Formen der geöffneten Ordnung der
Schützengruppe – Schützenreihe, Schützenkette und Schützenrudel – als Einsatzgrundsätze der Infanterie definiert. Sie
hatten dabei bis zum Ende des Zweiten
Weltkriegs ihre Gültigkeit und galten als
Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 05/2016
57
Wirtschaftsnotiz
ASMZ
auf Facebook
Die ehemalige Facebookgruppe «ASMZ – Forum junge
Offiziere» wurde überarbeitet und heisst nun «ASMZ –
Sicherheit Schweiz». Um dem Puls der Leser näher zu
sein, werden in dieser Gruppe Diskussionsanregungen,
aktuelle Informationen, die wichtigsten Artikel usw. gepostet und zwar neu in allen Bereichen, die die Armee,
die Landessicherheit und das Offizierskorps betreffen.
Einerseits sollen Informationen schneller als mit der
monatlichen Publikation an die Leser gelangen, andererseits sollen die Leser die Möglichkeit erhalten, Anregungen an die Zeitschrift (beispielsweise Fragen für Interviews, gewünschte Artikel) anzubringen oder Publiziertes zu kommentieren. Die Mitglieder der Gruppe
können selber ebenfalls posten und weitere Mitglieder
einladen. Die ersten Wochen haben sich als Teilerfolg
erwiesen, den wir nun ausbauen wollen.
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Wirtschaftsnotiz
Der Gotthard-Basistunnel, ein Projekt der Superlative
Versicherung von Bauprojekten – für Private und Unternehmen
Im Juni wird der GotthardBasistunnel eröffnet. Er ist mit
57 Kilometern der längste Eisenbahntunnel der Welt und bildet
zusammen mit dem 15,4 km langen Ceneri-Basistunnel das Herzstück der Neuen Eisenbahn-Alpentransversale (NEAT). Die NEAT
zählt zu den imposantesten baulichen Projekten des 21. Jahrhunderts und ist damit auch eines der
herausforderndsten Versicherungsprojekte dieser Zeit. Helvetia ist
eine von zwei Versicherungsgesellschaften, die für die Bauplatzversicherungen der Bauherrin AlpTransit Gotthard AG verantwortlich sind, wobei die Vertragsführung Helvetia obliegt.
Ähnliche Risiken
Private und Unternehmen bewegen sich bei Bauprojekten in
einer ganz anderen Grössenord-
58
nung. Trotzdem ist der GotthardBasistunnel ein gutes Beispiel dafür, worauf beim Bau und dessen
Versicherung zu achten ist. So gibt
es bei Bauprojekten vielfach ähnliche Risiken. Die Versicherungsverträge für die NEAT-Bauplätze
decken Haftpflicht- sowie Bauund Montagerisiken. Die gleichen Risiken gibt es auch auf
einer normalen Baustelle. Eine
Haftpflichtdeckung übernimmt
Schäden des Bauherrn, die durch
die Bautätigkeit zum Beispiel auf
dem Grundstück des Nachbarn
entstehen. Für solche Schäden
kann der Bauherr haftbar gemacht werden, selbst wenn ihn
direkt keine Schuld trifft. Beim
Bau des Gotthard-Basistunnels
ging es in diesem Zusammenhang
auch um die Frage, welchen Einfluss dieser zum Beispiel auf höher gelegene Bauwerke wie etwa
Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 05/2016
Staumauern hat. Weiter ist jemand, der ein Bauwerk erstellt
oder erstellen lässt, immer mit
der Gefahr konfrontiert, dass die
bereits erstellten Sachen beschädigt oder zerstört werden können, bevor die Nutzung beginnt.
Hier bietet die Bauwesenversicherung Schutz vor den finanziellen
Folgen.
Der Bau des Gotthard-Basistunnels zeigt auch: Viele Risiken
lassen sich durch ein qualifiziertes Risikomanagement minimieren, so dass auch die Anzahl der
Schäden tief gehalten werden
kann. Das Risiko von Bränden
lässt sich zum Beispiel mit möglichst aufgeräumten und ordentlichen Baustellen reduzieren.
Beim Bau des Gotthard-Basistunnels haben Experten von Helvetia mit regelmässigen Baustellenbegehungen die Umsetzung des
Risikomanagements vor Ort beurteilt. Ein gutes Risikomanagement hilft auch auf kleineren Baustellen, Schäden zu vermeiden.
Am Gotthard ist es bisher zu
keinen bösen Überraschungen
gekommen und der NEAT-Bau
ist für die Bauherrin und auch
Helvetia als Versicherer eine Erfolgsgeschichte. Umfassende Versicherungspolicen und ein gutes
Risiko-Management haben hierzu einen Beitrag geleistet. Auch
Private und Unternehmen sollten bei Bauprojekten diese beiden Aspekte nicht ausser Acht
lassen.
Weitere Informationen:
helvetia.ch/alpentransit
Geschichte
bewährte Einsatzgrundsätze der Infanterie.
Übernahme der Entfaltungsformen in die Dienstvorschriften
Bundeswehr und Bundesheer
Die Entfaltungsform Schützenreihe
wurde in ihrer taktischen Grundidee vollkommen in die Gefechtsdienstvorschrift
der Bundeswehr überführt. Teilweise wörtlich aus der Heeresdienstvorschrift übernommen, steht in der heutigen DienstA2-226/0-0-4710, Bild 97, Einnehmen des
Schützenrudels aus der Schützenreihe.
Dienstvorschrift Allgemeiner Gefechtsdienst, Bild 76, Einnehmen der Schützenkette aus der Schützenreihe.
vorschrift für den Gefechtsdienst aller
Truppen zu Lande A2-226/0-0-4710,
geschrieben: «Die Schützenreihe ist die
schmale und tiefe Form der Entfaltung. Sie
erlaubt es der Gruppe, sich dem Gelände
anzupassen und auch Deckungen in Bewegungsrichtung auszunutzen. Sie bietet von
vorn nur ein schmales Ziel. Alle Soldaten
können das Feuer in ihrer Beobachtungsrich-
tung schnell eröffnen, vor allem gegen Feind, Bewegungsform, nirgends zu finden ist.
der überraschend in der Flanke auftritt.» Der Dies resultiert womöglich aus Gründen
Begriff Schützenreihe kann somit militär- der Vereinfachung oder gar Ablehnung
geschichtlich als taktische Bewegungsform einer eigenständigen Gefechtsform für
bis zu den Tagebuchaufzeichnungen von die Schwerpunktwaffen der Infanterie.
Jünger zurückverfolgt
werden.
Neben der selbigen
Schützenreihe findet
sich in der österreichischen Dienstvorschrift, mit leicht geänderter Definition,
auch die Schützenkette als breite Gefechtsform wieder: «Die
Schützenkette ist die
breite Gefechtsform, bei
der Soldaten nebeneinander, jedoch unregelmässig höchstens so weit
wie der Seitenabstand
beträgt in die Tiefe ge- Panzergrenadiere im Vorgehen mit dem Schützenpanzer Marder.
Grafiken/Bilder: Bundeswehr
staffelt gehen, dass sie
sich beim Feuerkampf
nach vorne nicht gegenseitig behindern.» Dabei wäre das Schützenrudel, wie es das
In der Gefechtsdienstvorschrift der Bun- Heft 3 der Heeresdienstvorschrift für die
deswehr ist die Schützenkette jedoch nicht schweren Maschinengewehrkompanien
wiederzufinden. Interessanterweise wird vorsah, eine taktisch logische Entfaltungshierbei zwar die taktische Grundidee der form, welche auch von heutigen SchwerSchützenkette von 1922 als breite Form punktwaffen der Infanterie zweckmässig
der Entfaltung dargestellt und umschrie- genutzt werden könnte. Für Granatmaben, allerdings mit dem Begriff Schützen- schinenwaffen- und Panzerabwehrgruprudel betitelt. Mit Aufstellung der Bundes- pen, schwere Feldlafettentrupps oder leichwehr und dem damit verbundenen Studi- te Mörserbedienungen könnte mit der
um der Wehrmachtsvorschriften sind wo- ursprünglichen Idee des Schützenrudels
möglich die Begriffe vertauscht worden. unter Wahrung der Auflockerung eine
Dies ist auch daran zu erkennen, dass schnelle Feuereröffnung hervorragend
das Bild 97, Einnehmen des Schützenrudels umgesetzt werden. Gleichzeitig ist die
aus der Schützenreihe dem Bild 19, Grup- von Jünger skizzierte Anwendungsmögpe in Schützenkette des Heftes 2a von 1942 lichkeit des Schützenrudels im Vorgehen
sehr deutlich angelehnt ist. Gleichzeitig mit Kampfwagen bei der heutigen Trupbeschreibt die österreichische Dienstvor- penausbildung der Panzergrenadiere mit
schrift zum allgemeinen Gefechtsdienst dem Schützenpanzer teilweise wiederzurichtigerweise in das Einnehmen der finden.
Schützenkette aus der Schützenreihe. SoAufgrund der taktisch zweckmässigen
mit verdichtet sich der Verdacht, dass Anwendung sollte der Verstoss erlaubt und
der Begriff Schützenrudel schlicht falsch, gewagt werden, diese neue «alte» Entvon den Autoren der ersten Gefechtsvor- wicklungsform wieder in die Kampfweise
schrift für die Bundeswehr, übernommen der Infanterie zu etablieren – die Vorteile
der Wirkungsüberlegenheit sind unbewurde.
stechlich und unbestreitbar. Kurzfristig ist
dem versierten militärischen Führer die
Eine neue «alte» EntwicklungsAnwendung bereits möglich, getreu dem
form der heutigen Infanterie
Grundsatz: Wer die Form kennt, kann sie
Bei der Betrachtung der heutigen Ge- brechen!
■
fechtsdienstvorschriften der Bundeswehr
und des Bundesheeres, fällt zusätzlich be*Major, Diplom-Kaufmann (Univ.), Lehrgang Gesonders auf, dass der Begriff Schützenneral-/Admiralstabsdienst National (LGAN) 2015,
rudel in seiner ursprünglichen taktischen
Führungsakademie der Bundeswehr, 22765 HamIdee, einer losen, tiefen und breiten
burg.
Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 05/2016
59
Vermischtes
Echo aus der Leserschaft
Armeereform rasch und konsequent umsetzen
Die Diskussionen um die Weiterentwicklung der Armee WEA
sind geführt, das Parlament
hat nach einigem hin und her
entschieden und den Rahmen
abgesteckt. Für jeden verantwortungs- und pflichtbewussten Armeebefürworter heisst
es nun «verstanden» und «Auftrag ausführen». Wie üblich,
bewegen sich die für die Auftragserfüllung zur Verfügung
stehenden Ressourcen am
untersten Limit. Trotz der verschärften Sicherheitslage ist es
jedoch eine Illusion zu glauben, im jetzigen politischen
und finanziellen Umfeld mehr
herausholen zu können. Deshalb gilt es auch in diesem Falle, die Probleme mit den vorhandenen Mitteln bestmöglich zu lösen und nicht zu bekämpfen. Hauptziel der WEA ist
bekanntlich die Eliminierung
der gravierendsten Fehler der
vorangegangenen Reformen
mit einer zwar verkleinerten,
jedoch modernen, vollständig
ausgerüsteten, gut ausgebildeten und rasch einsetzbaren
Armee. Wer jetzt noch Fundamentalopposition betreibt,
setzt die Sicherheit und die
Glaubwürdigkeit des Landes
grobfahrlässig aufs Spiel. Mit
einem «Nein» zur WEA würde
nur ein irreparabler Scherbenhaufen produziert, dringend
notwendige Verbesserungen
verhindert und den Armeeabschaffern in die Hände gespielt. Deshalb sind alle Armeebefürworter im Interesse
der Sache zu Vernunft und Geschlossenheit aufgerufen!
Willy Gerber, 9436 Balgach
Div Philippe Rebord – Stellvertreter Chef der Armee
Per 1. April hat der Bundesrat Divisionär Philippe Rebord
zum Stellvertreter
Chef der Armee
ernannt. Er übernimmt diese Funktion zusätzlich zu
seiner angestammten Funktion als
Kommandant Höhere Kaderausbildung / Chef Stab
Operative Schulung.
Der 58-jährige Philippe Rebord hat an der Universität
Lausanne Geschichte, Geographie und Französisch stu-
diert und mit dem Licence
ès lettres abgeschlossen. Am
1. Januar 1985 ist
er in das Instruktionskorps der Infanterie eingetreten. Als Einheitsinstruktor war er
in den Infanterieschulen Colombier
und in den Panzerabwehrschulen
Chamblon tätig.
Zudem war er
Klassenlehrer in der Infanterieoffiziersschule in Chamblon.
1995 und 1996 war Divisionär
Rebord in der Instruktorene-
quipe der Zentralschulen und
Generalstabskursen eingesetzt.
Nach einem Studienaufenthalt am Collège interarmées
de défense in Paris wurde Rebord Stabschef der Generalstabsschulen und im Jahre
2000 Kommandant der Panzerabwehrschule in Chamblon.
Nach dem Einsatz als Kommandant der Infanterieoffiziersschule in Chamblon im
Jahre 2001 wurde er Projektleiter «Rekrutierung Armee
XXI». Von 2004 bis 2008 war
er Kommandant Rekrutierung
innerhalb des Personellen der
Armee.
Auf den 1. Januar 2009 hat
ihn der Bundesrat zum Kommandant der Infanteriebrigade 2 ernannt und zum Brigadier befördert. Per 1. Januar 2014 wurde er durch den
Bundesrat unter gleichzeitiger
Beförderung zum Divisionär
zum Kommandant Höhere
Kaderausbildung der Armee
ernannt.
Divisionär Rebord folgt auf
den bisherigen Stellvertreter
Chef der Armee, Korpskommandant Dominique Andrey,
der per 1. April 2016 zum Militärischen Berater Chef VBS
ernannt wurde.
dk
Im Gedenken an einen «Helden der Lüfte»
Rund um den Pfäffikersee
stehen vier Gedenksteine für
abgestürzte Piloten unserer
Luftwaffe während des Zweiten Weltkriegs. Der letzte wurde am Samstag, 5. März 2016,
für Militärpilot Lt Francis Marious Pilloud aus Rossinière
(VD) an der Absturzstelle in
Mettlen in Anwesenheit seiner Angehörigen eingeweiht.
Er stürzte 1941 nach einer
Schiessübung bei Rutschberg,
zwischen Pfäffikon und Seegräben, auf der Wiese Mettlen anlässlich einer versuchten
Notlandung vom Himmel und
60
starb den Fliegertod. «Mir ist
wichtig, dass die Piloten von
damals niemals vergessen werden», sagte der mittlerweile 82jährige Paul Burri, ein Zeitzeuge von damals.
Die Historikerin Esther
Martinet verlas den Unfallbericht in deutscher und französischer Sprache. Dazu schrieb
Malte Aeberli im Zürcher
Oberländer «Immer wieder zitterte ihre Stimme. In den Gesichtern der Angehörigen der
Familie Pilloud stand grimmiger Stolz, die Augen starr nach
vorn gerichtet». «Endlich ha-
Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 05/2016
ben wir erfahren, was mit unserem Vorfahren geschehen ist»,
sagte Olivier Pilloud, stellvertretend für die Angehörigen.
Pilloud war ein «Held der
Lüfte», meinte der ehemalige
Kommandant der Luftwaffe
Markus Gygax in seiner Rede.
«Er war jung, dynamisch und
er hatte kaum Aussicht auf
Erfolg.» Die jungen Männer
standen damals gewaltig unter Druck. Es herrschte Krieg.
Der Erfolgsdruck sei immens
gewesen. Hinzu kam, dass sich
Misserfolge bei Schiessübungen nicht mit dem Selbstbild
des Helden vereinbaren liessen. Genau dies sei dem damals 25-Jährigen wohl zum
Verhängnis geworden, erzählte Gygax. Am Tag vor seinem
Absturz soll Pilloud bei einer
Schiessübung auf im See markierte Bodenziele versagt haben.
Bei seinem verhängnisvollen
Flug am 13. November 1941
wollte Pilloud wohl zu viel und
bezahlte mit seinem Leben.
Das Projekt wurde von Toni
Hagnauer (selig) initiiert. Er
war mit Herzblut ein engagierter Verfechter einer wehrhaften Schweiz und ein grosser
Vermischtes
Verehrer unseres damaligen
«Landesvaters» General Henri
Guisan. Der Erhalt des Militärflugplatzes Dübendorf lag
ihm immer am Herzen. Der
andauernde Abbau unserer Armee bereitete ihm grosse Sorgen. Leider war es ihm nicht
mehr vergönnt bei der Einweihung des Gedenksteines
«Mettlen» noch selber dabei
zu sein.
Ein herzliches «Vergelt’s
Gott» gebührt dem Initianten
(vertreten durch Ursula Hagnauer und Eva Raths-Hagnauer) für die Projektidee und das
Finanzierungskonzept des Gedenksteins, dem Bericht des
Zeitzeugen Paul Burri, dem
Fachbeitrag von Ester Martinet, dem Grusswort von Bruno Erni (Gemeindepräsident
von Pfäffikon), der emotiona-
Gruppenbild mit Angehörigen des 1941 verunglückten Piloten
Francis Pilloud, dem Augenzeugen, den Projektbeteiligten und
Vertretern von Politik und Luftwaffe.
Bild: Christian Merz
len Ansprache von Markus Gygax und der Fahnenwache des
KUOV ZH+SH.
Noch prägen lebendige und
dankbare Volksverbundenheit
und immerwährender Kameradschaftsgeist unsere geschichtsträchtige Luftwaffe.
Bilanz des Sozialdienstes
der Armee 2015
2015 hat der Sozialdienst
der Armee (SDA) insgesamt
1,53 Millionen Franken an
Angehörige der Armee in Rekrutenschulen und Wiederholungskursen sowie an Militärpatienten und Hinterbliebene
ausbezahlt. Dies sind 130000
Franken mehr als 2014, wie
dem Jahresbericht 2015 des
SDA zu entnehmen ist. Zwar
sind die Ausgaben 2015 wieder gestiegen, hingegen ist die
Gesamtzahl der Ratsuchenden zurückgegangen. Die vier
hauptamtlichen Sozialberater
des SDA haben nebst vielen
Auskünften insgesamt 1740
Dossiers (2014: 1767) bearbeitet. Dabei wurden sie von
25 Milizsozialberatern unterstützt. In 767 Fällen (2014:
741) wurde eine materielle
Hilfe gewährt. In den anderen
973 Fällen (2014: 1026) hat
allein die Beratung und Betreuung weitergeholfen. 1,176
Mio. Franken wurden zur finanziellen Unterstützung an
Absolventen von Rekruten-
schulen und Wiederholungskursen ausbezahlt. Die Unterstützungsmittel stammen aus
Zuwendungen von Stiftungen
(Zinsgelder aus Stiftungskapitalien). Im letzten Jahr gingen
4100 Anrufe (2014: 4300) auf
die Telefonnummer des Sozialdienstes der Armee (0800 855
844) ein.
Der SDA hilft Angehörigen der Armee, des Rotkreuzdienstes und des Zivilschutzes, die aufgrund ihrer besoldeten Dienstpflicht (zum
Beispiel Rekrutenschule, Wiederholungskurs) in ihren persönlichen, beruflichen oder
familiären Verhältnissen auf
Schwierigkeiten stossen. Er
hilft auch Personen, die Friedensförderungsdienst und Assistenzdienst im Ausland leisten
und aufgrund dieser Dienstleistung in Not geraten sowie
ergänzend zur Militärversicherung Militärpatienten, die infolge Unfalls oder Krankheit
im Militär in Schwierigkeiten
geraten.
dk
Ehrgeiz und hohe Motivation
aller Beteiligten sind und bleiben die Grundpfeiler des Erfolgs. Das Zusammengehörigkeitsgefühl, der Stolz auf die
Truppengattung und die Verankerung in der Zivilbevölkerung sind das Fundament
einer glaubwürdigen Wehrbereitschaft und Kampfkraft
unserer Milizarmee. Sie schaffen gegenseitiges Vertrauen,
geben uns Kraft, Mut, Zuversicht und Hoffnung auch in
schwierigen Zeiten.
Eine solide und einfache
Struktur, eine klar ausgerichtete Strategie zur Auftragserfüllung als Truppe der ersten
Stunde geht mit der WEA nun
leider verloren und wird durch
eine sogenannte «Luftkomponente» ersetzt.
Julius Jeisy, 4148 Pfeffingen
Quellen:
- Gedenkschrift «Flugzeugabsturz
Francis Marius Pilloud am 1. November 1941/Einweihung Gedenkstein
5. März 2016.
- Bericht von Malte Aeberli im Zürcher Oberländer (Bezirk Hinwil).
Echo aus der Leserschaft
Ständeratsbeschluss März 2016
zur WEA
Die Weiterentwicklung der Armee, mit dem teilweisen «weiterentwickelten» Zurück zu Bewährtem der TO61, ist politisch unter Dach und Fach.
Nur, mit einem Sollbestand
von 100 000 Mann habe ich
meine Zweifel, ob die Armee
in einer Krisensituation ihre
breitgefächerten Aufgaben und
insbesondere den Primärauftrag – die Verteidigung – tatsächlich wahrnehmen kann,
wie stets beteuert wird. Was
zudem im Krisenfall unter dem
angedenkten Begriff «Kooperation» zu verstehen ist, zeigt
uns die (solidarische) EU wiederholt drastisch auf. Der Bericht über den Zustand der
Deutschen Bundeswehr (NATOPartner) in der ASMZ 03/16,
fällt dahingehend nicht besser aus.
Allein nach dem Charlie Hebdo-Anschlag in Paris anfangs
2015, brachte Frankreich vergleichsweise gegen 90 000 Sicherheitskräfte (Polizei, Gen-
darmerie und Armee) zum Einsatz. Gegenwärtig sollen noch
6000 Armeeangehörige in der
Pariser-Cité für Sicherheit sorgen. Einen nächsten, handstreichartigen Anschlag werden diese wohl kaum verhindern können (vergleiche Israel). Dazu braucht es mehr spezialisierte Mittel (Polizei, ND).
Diese sind aber erst zu rekrutieren und auszubilden,
braucht also Zeit und Geld.
Da ist die Politik gefordert,
sofern sie Willens ist.
Trotz Parlamentsbeschluss:
Wer garantiert nach der Zerreissprobe, dass später nicht
erneut an der WEA-Finanzierung (beso. Ausrüstung) geschraubt wird? Mit dem Spatz
in der Hand lässt sich nicht
besser schlafen, denn gespart
auf dem Buckel der Armee und
der Sicherheit wurde schon
zu oft.
Oberstlt aD Ronald Weber,
Bonstetten
Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 05/2016
61
Vermischtes
Gründungsversammlung der Alumni Of@UniSG
Am Mittwoch 23. März
fand die Gründungsversammlung von Alumni Of@UniSG
statt. Gleichzeitig stellte der
Anlass den 5. Alumni-Event
von Of@UniSG dar. Als diesjährigen Referenten durfte der
Verein der Alumni Offiziere
der Universität St.Gallen Dr.
Christoph Blocher begrüssen.
Als Altbundesrat, Unternehmer und Oberst a D legte er
dar, weshalb das Milizsystem
massgeblich für den Erfolg der
Schweiz verantwortlich ist.
Seit dem 23. März sind die
Alumni der HSG Offiziere
unter der Leitung von Patrick
Vock, dem neu gewählten Vereinspräsidenten in einem eigenständigen Verein organisiert. Damit soll insbesondere
die finanzielle Selbständigkeit
des Vereins untermauert und
eine nun auch rechtlich unabhängige Plattform für Offiziere, die ein Studium an
der Universität St.Gallen ab-
geschlossen haben, geschaffen
werden. Dementsprechend trafen sich bei der Gründungs-
Christoph Blocher als Referent
an der Gründungsversammlung.
Bild: Of@Uni SG
generalversammlung Vertreter
aus verschiedensten Branchen
und Altersgruppen. Die noch
studierenden Mitglieder von
Of@UniSG nehmen, trotz des
neuen Alumni Vereines, weiterhin am Event teil.
Höhepunkt der Generalversammlung war das Referat von
Dr. Christoph Blocher. Der erfolgreiche Unternehmer war
sowohl als Offizier als auch als
Politiker im Milizsystem sehr
engagiert. Bei seinem Referat zum Thema «Das Milizprinzip – Basis des schweizerischen Erfolgs?» stellte er gleich
zu Beginn klar, dass dies keine
Frage, sondern eine Tatsache
sei. Der Erfolg der Schweiz beruhe auf dem persönlichen Engagement der Bürger und Bürgerinnen und dem Willen, gemeinsam für die Gemeinschaft
einzustehen. Natürlich seien
solche Tätigkeiten eine Mehrbelastung, weshalb ein ausgeprägtes Zeitmanagement für
Miliztätigkeiten zwingend ist.
Dies wird vor allem in der Armee gelehrt. Weiter generiere
das Milizsystem zusätzliches
Wissen, welches im Zusammenspiel mit den technisch
versierten Professionellen eine
für die verschiedenen Institutionen einzigartige Kombination darstellt. Dank seiner
parallelen Einbindung in der
Wirtschaft, der Politik und der
Armee, konnte Blocher in allen
Bereichen Erfahrungen sammeln und diese wiederum in
seine späteren Tätigkeiten einbringen. Genau dies mache
das Schweizer Milizprinzip
zu einem Erfolgsmodell. Zum
Schluss stellte Blocher fest, dass
insbesondere die zunehmende Professionalisierung in der
Armeeführung und Verwaltung eine schlechte Entwicklung seien. Untergräbt doch
eben jene Professionalisierung
die Selbständigkeit des Bürgers und gefährdet damit den
einmaligen Erfolgsfaktor der
Schweiz.
Of@UniSG
Luzerner Offiziere feierlich verabschiedet
Im Rahmen einer würdigen Feier wurden am 15. März
2016 im Luzerner Kantonsratssaal 39 Offiziere und Höhere Unteroffiziere offiziell
aus ihrer militärischen Dienstpflicht entlassen. Gleichzeitig
begrüsste Regierungsrat und
Sicherheitsdirektor Paul Winiker zahlreiche neu brevetierte
Offiziere und Höhere Unteroffiziere.
Unter den entlassenen Offizieren waren auch Regierungsrat Marcel Schwerzmann, Vorsteher des Finanzdepartementes, der in der Armee zuletzt
den Grad des Majors bekleidet
hatte sowie Marius Wiegandt,
Präsident des Kantonsgerichts,
der als Major der Militärjustiz angehörte. Winiker durfte
zudem seinen engsten Mitarbeiter, Departementssekretär
Vincenz Blaser, von den militärischen Pflichten entlassen.
62
Er war als Major Kommandant Stellverterter der Panzer
Abteilung 8. Verabschiedet
wurde auch ein General: Willy
Siegenthaler, der zuletzt den
Lehrverband Führungsunterstützung 30 leitete.
Als Wertschätzung ihrer
Dienstleistung erhielten die
abtretenden Offiziere und Hö-
Regierungsrat Paul Winiker entlässt seinen Amtskollegen
Regierungsrat Marcel Schwerzmann offiziell aus der militärischen
Dienstpflicht.
Bild: pd
Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 05/2016
here Unteroffiziere ein kleines
Präsent des Kantons Luzern.
Im Rahmen der Feier begrüsste Winiker auch junge
Offiziere und Höhere Unteroffiziere aus dem Kanton Luzern, welche im vergangenen
Jahr brevetiert worden sind.
Den jungen Kadermitglieder
legte er ans Herzen, überlegt,
ausgewogen, fair und verantwortungsvoll zu führen: «Begegnen Sie den Menschen immer auf gleicher Augenhöhe.
Führen Sie vorbildlich – Sie
sind das Vorbild – nicht nur
im Militär, sondern auch als
Zivilperson in unserer Gesellschaft.»
An der Feier in Luzern nahmen unter anderem auch Divisionär Hans-Peter Walser,
Kdt Ter Reg 2, und Brigadier
Daniel Keller, Kdt ZS, teil.
Peter Soland
Vermischtes
Echo aus der Leserschaft
ASMZ 04/2016:
Truppenkörperkommandant
Ein wichtiges Element fehlt in
der sonst sehr wertvollen Auslegeordnung von Maj i Gst Lorenz Amiet zur Rekrutierung
von Miliz-Truppenkörperkommandanten: die finanzielle Abgeltung. Wenn die Armee bereit wäre, den Arbeitgebern
die finanzielle Einbusse durch
Abwesenheit des Kadermitglieds adäquat zu entgelten,
würde das die Bereitschaft für
den Einsatz als Kdt in manchem
KMU und bei manchem Selbständigerwerbenden deutlich
erhöhen bzw. erst möglich machen. Die heutigen finanziellen Abgeltungen sind meiner
Meinung und Erfahrung nach
ungenügend und nicht mehr
zeitgemäss. Ein Minimum wäre
der Ersatz des ganzen Salärs
inkl. Sozialabgaben und Versicherungsbeiträge von Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Ein
guter Miliz-Truppenkörperkommandant muss in Zukunft diesen Preis wert sein. Zu überlegen wäre ferner, künftig einem
Truppenkörperkommandanten
pro Instruktionsdienst ein Kostenbudget zur Verfügung zu
stellen, damit er einen Teil seines Zeitaufwands zu einem bescheidenen Stundensatz der
Armee in Rechnung stellen
kann.
Major aD Harald Jenny
Alt Präsident KOG Schaffhausen
8214 Gächlingen
GMS in Interlaken
Der Präsident der GMS –
Gesellschaft für militärhistorische Studienreisen – Div aD
Eugen Hofmeister konnte an
der Generalversammlung in
Interlaken eine grosse Anzahl
von Mitgliedern und Gästen
begrüssen. Seitens des Gemeinderates überbrachte Hans Rudolf Burkhard, Vizegemeindepräsident, die Grussadresse. Er
erinnerte an die Bedeutung Interlakens während des Zweiten
Weltkrieges, als General Henri
Guisan zwischen 1. April 1941
und 8. Oktober 1944 im Gemeindehaus das Hauptquartier
aufgeschlagen hatte.
Im vergangenen Geschäftsjahr konnte die GMS 45 Neumitglieder begrüssen. An der
Universität Zürich fanden zwei
Tagungen mit je ca. 150 Teilnehmenden zu Morgarten
(1315), Marignano (1515) und
zum Wiener Kongress (1815)
statt. Hauptzweck der Gesellschaft ist die Organisation und
Durchführung von Reisen. Insgesamt 26 Reisen mit 661 Teilnehmenden wurden erfolgreich
durchgeführt. Für 2017 sind
10 kürzere und 13 längere Reisen geplant.
Die Generalversammlung
wählte Peter Zbinden und
Andreas Blank als neue Rechnungsrevisoren. Sie ersetzen
die zurückgetretenen Revisoren Rudolf Wicki und Peter
Engelhard.
In seinem Tagesreferat verwies Brigadier Sergio Stoller,
Projektleiter Weiterentwicklung der Armee (WEA), auf
die Kernpunkte der WEA.
Ziel sind eine höhere Bereitschaft der Armee, 18 Wochen
Rekrutenschule, sechs Wiederholungskurse zu drei Wochen
und wieder mehr praktische
Führungserfahrung für die Kader. Künftig müssen die Grade wieder abverdient werden.
Weitere Ziele sind vollständige Ausrüstung aller Truppen
und eine regionale Verankerung der vier Territorialdivisionen. Die Umsetzung ist per
1. Januar 2018 geplant. dk
www.gms-reisen.ch
Berufskader der Armee
unter Spardruck
Der Präsident der Sektion
militärische Berufskader der
Vereinigung der Kader des
Bundes (VKB), Div aD Daniel
Roubaty, konnte an der Generalversammlung 2016 wiederum zahlreiche Gäste und Mitglieder begrüssen. Er erwähnte, dass das vergangene Jahr
für das militärische Berufskader stark unter dem Zeichen
der Weiterentwicklung der Armee (WEA) stand, welche sich
zum Zeitpunkt der GV kurz
vor der Schlussabstimmung im
Parlament befinde. Diese sei
darum auch Hauptthema der
Präsentationen der aktuellen
GV. Er betonte, dass das kommende Jahr im Zeichen der
Sparanstrengungen des Bundes stehen werde und auch die
militärischen Berufskader der
Armee, beispielsweise mit der
Festsetzung der individuellen
Lohnentwicklung auf das Minimum (1% bei Beurteilung 3)
wiederum Opfer bringen müsse. Damit sei der Attraktivität
des Berufsbildes sicher nicht
gedient. Der Zentralvizepräsident der VKB, M. Bolliger,
knüpfte mit seiner Grussbotschaft nahtlos an das Thema
Sparen an. Die Finanzpolitik
der nächsten Jahre werde im
Zeichen des Sparens stehen,
die Bundesverwaltung müsse
sich auf eine Diät gefasst machen. Ein Stellenabbau von
einigen hundert Stellen beim
Bundespersonal werde auch im
Bereich Verteidigung Spuren
hinterlassen, zusätzlicher Stellenbedarf müsse mit interner
Umverteilung abgedeckt werden.
Nach der zügigen Abwicklung des statutarischen Teils
stellte der Leiter Kommunikation und Ausbildung bei
der Militärversicherung (MV),
Marc Heimann, die geplante
Revision des Militärversicherungsgesetzes (MVG) vor, welche eine Prämienerhöhung von
14% und Kürzungen der In-
tegritätsleistungen beinhalten
solle. Dies lehne die MV in
ihrer Stellungnahme klar als
unnötig ab, da sie kostendeckend arbeite und er bitte die
betroffenen Personalverbände
um Unterstützung. Anschliessend vermochten zwei hochkarätige Redner mit interessanten Vorträgen die Versammelten in den Bann zu ziehen.
Zuerst referierte der Zugeteilte Höhere Stabsoffizier/WEA
Ausbildung und designierte
Kdt Heer, Div Daniel Baum-
Div aD Roubaty führt durch die
Generalversammlung.
Bild: Beat Schild, VKB
gartner, über die zukünftige
Ausbildung in der WEA. Ausgehend von den aktuellen Gefahren und Risiken erläuterte
er die Ausbildungsgrundsätze
der WEA, welche nicht zuletzt auch die Attraktivität der
Miliz- und Profikader steigern
werde. Zum Schluss präsentierte der Direktor der Militärakademie an der ETH Zürich
(MILAK) seine Akademie und
stellte dabei Ausbildungsziele,
Leitprinzipien und Herausforderungen der Ausbildung der
Berufsoffiziere heute und mit
der WEA vor.
Jürg Studer
Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 05/2016
63
Bücher
100 Schlachten
Kriege, die unsere Welt verändert haben
Köln: Parragon, o. J., ISBN 978-1-4454-8735-9
Die hundert Schlachten
werden in drei Kapitel unterteilt, beginnend mit der Antike und 2008 in Georgien
endend. Dabei werden die
reich bebilderten Fakten pro
Schlacht auf ein bis vier Seiten
dargestellt, so dass in jedem
Fall eine schnelle Übersicht
gewährleistet ist. Zusätzlich
wird jede Schlacht in einem separaten Kasten mit den wichtigsten Daten und Fakten und
einem Kartenausschnitt zusammengefasst. Oftmals wird eine
Schlachtordnung mit der entsprechenden Kriegstaktik farbig eingefügt und eine Beson-
derheit der Schlacht in einem
weiteren, andersfarbigen Kasten hervorgehoben. So werden verschiedene Geschütze,
Ritter wie Soldaten, Ausrüstungen, Kampfflugzeuge oder
Flugzeugträger kurz beschrieben oder Kurzbiografien zu
Feldherren eingefügt. Die so
gewonnenen Informationen
erlauben keine detaillierten Erkenntnisse, liefern aber eine
gute Übersicht und ermöglichen schnelle Vergleiche.
Andrea Grichting
Leonhard Neidhart
Politik und Parlament der Schweiz
Zürich: Verlag Neue Zürcher Zeitung, 2013, ISBN 978-3-03823-786-0
Leonhard Neidhart nimmt
uns mit auf eine Zeitreise ins
20. Jahrhundert. Mit einer
chronologischen Darstellung
durchstreift er dabei die Debatten der eidgenössischen Räte
anhand des Stenographischen
Bulletins (Protokolle der Ratsdebatten). Es entsteht so ein
monumentales Bild des politischen Lebens unter der Bundeskuppel. Der Autor schätzt
die beiden Eidg. Räte, den Stände- und den Nationalrat, ähnlich wie den Bundesrat, als
«hochstabile institutionelle Kerne der ‹Willensnation Schweiz›»
ein. Das System funktioniert
denn auch wirklich seit 1849
und sein Ende ist nicht abzusehen. Die Beständigkeit entbehrt jedoch nicht des Wandels: die direkte Demokratie
wird zwar im Laufe ihrer Geschichte temporär und teilweise ausser Kraft gesetzt, erweist
sich aber mittels Volksabstimmungen, Volksinitiativen und
Gesetzesreferenden als dauerhaft stabile Plattform, um viele Reformen zwar nicht unbedingt zeitgerecht, dafür aber
über gesicherte Mehrheiten bei
Volk und Ständen durchzuführen.
Ein Beispiel. Im Herbst 1918,
nach Kriegsende, als Not und
Entbehrung der Arbeiterschaft
zu Forderungen nach Versammlungsfreiheit, besserer Vertei-
64
lung von Kohle und Lebensmitteln, höheren Löhnen bei
reduzierten Arbeitszeiten und
Förderung des kommunalen
Wohnungsbaus führten, die der
Bundesrat mit dem Aufgebot
von Militär beantwortete, kam
es zum grossen Streik. Es war
«dieses gewaltigste Ereignis
in der bisherigen Geschichte
der schweizerischen Arbeiterschaft» (Friedrich Heeb), welches auch und gerade im Parlament zu dramatischen Szenen führte, wie man nun bei
Neidhart nachlesen kann.
Als der Generalstreik am
10. November ausbrach, traten
die eidgenössischen Räte am
12. November zu einer ausserordentlichen Session zusammen, in welcher die vom Bundesrat erlassenen notrechtlichen
«Massnahmen gegen Angriffe
auf die innere Sicherheit der
Eidgenossenschaft» genehmigt
werden sollten. In Zürich und
in weiteren Orten war aber bereits scharf geschossen worden.
Unter den vierzig Rednern befand sich auch Nationalrat Herman Greulich. Er berichtete unter anderem, wie er selbst den
Übergriff des Militärs auf eine
Demonstration von Sozialdemokraten und Gewerkschaftern auf dem Zürcher Fraumünsterplatz erlebt hatte: «Der
junge Leutnant … verliert den
Kopf und kommandiert Feuer.
Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 05/2016
Ich war, als jene Schüsse fielen, höchstens 200 Meter davon entfernt. … Die zweite Abteilung ist offenbar, so wurde
mir gesagt, mit gefälltem Bajonett gegen die Masse zugelaufen. Dann sei wieder geschossen worden.» Greulich erklärte sich solidarisch mit den
Streikenden: «Wenn die ins
Loch kommen, dann soll man
mich auch hineinstecken»,
schloss der 76-jährige Zürcher
Sozialdemokrat sein Votum
unter starkem Beifall «bei den
Sozialdemokraten und auf der
Tribüne». Für Bundespräsident
Felix Calonder (GR, FDP) hatten die gefährlichen Umtriebe
nicht mit friedlichen Sozialisten zu tun, sondern waren das
Werk von «skrupellosen Hetzern … Vertretern des bolschewistischen Terrors» und es waren in seinen Augen «aufrührerische Bewegungen, … revolutionäre, anarchistische Wühlereien». Diese «frechen» Aktivitäten hätten die Zürcher Bevölkerung «nach und nach …
in hochgradige Aufregung» versetzt und der Kanton habe deshalb den Bundesrat um den
Einsatz der Armee gebeten.
Am 14. November um 08.30
Uhr konnte der Bundesrat dem
Parlament den bedingungslosen Abbruch des Generalstreiks
feierlich und siegesbewusst bekannt geben: «Der Alpdruck ist
gewichen. Frei und stolz erhebt
die schweizerische Demokratie
ihr Haupt. … Dank und Gruss
dem Schweizervolk, das in seiner erdrückenden Mehrheit
treu zum Bundesrat gestanden ist.» Viele Forderungen
der Streikenden wurden jedoch
allzu spät erfüllt: so etwa die
AHV 30 Jahre und die politische Gleichstellung der Frau
sogar erst 55 Jahre danach.
Das Fenster, in dem die parlamentarische Behandlung der
Diskussion über den Landesgeneralstreik, eines die moderne Schweiz prägenden Ereignisses, ersichtlich wird und das
sich zusammen mit unzähligen anderen Fenstern und Lukarnen im Parlamentsgebäude
durch Neidharts neuestes Werk
öffnet, ist nur eines von vielen
Beispielen einer faszinierenden
episodischen Illustration der
politischen Geschichte der
Schweiz. Das Substrat sind
die stenographischen Aufzeichnungen unermüdlicher Bundesbeamter. Zugleich aber ist
«Politik und Parlament der
Schweiz» eine würdige, wenn
auch nicht direkte und systematische Fortsetzung der hagiographischen Darstellung
«Die Schweizerische Bundesversammlung 1848 –1920» von
Erich Gruner aus dem Jahr
1966.
Oswald Sigg
Bücher
Ulrich Pfister
Konfessionskirchen
Glaubenspraxis und Konflikt in Graubünden, 16. –18. Jahrhundert
Nr. 05 – Mai 2016
Wer sich im Rahmen einer
historisch fundierten Abhandlung mit den konfessionellen
Rahmenbedingungen im Freistaat der Drei Bünde und mit
den Verhältnissen in den südlichen Untertanenländern auseinandersetzen will, greift mit
Gewinn zum oben genannten
Werk, das klar strukturiert ist
und einen guten Überblick
über die schier undurchsichti-
gen Verhältnisse liefert. Der
Autor, eine Autorität auf dem
Gebiet der Konfessionalisierungsgeschichte und Dozent
an der Universität in Münster, bestätigt im Abschnitt
«Kirchliche Geographie» klar
die Beschränkung auf Graubünden.
Anlässlich eines Konflikts
um die Zulässigkeit des protestantischen Bekenntnisses im
Veltlin stemmte sich die erboste reformierte Geistlichkeit
Berns gegen jegliche Hilfeleistung an Graubünden. Der bernische Rat erwog, dass es auf
alle Fälle ein Vorteil sei, dass
das Veltlin, gleichviel unter
welchem Glauben, den Habsburgern entrissen werde und
an Bünden zurückkehre.
Felix Bendel
Schweizer Armee
Militärische Ehren
Bern: ZEM, 2014, Dokumentation 51.341 d (keine ISBN)
Die Welt, wie sie sein sollte,
ist nicht immer die Welt, wie sie
ist. Ob es in unseren postmodernen Zeiten wirklich «unverhandelbare» Dinge gibt, wie
der EDA-Protokollchef Lorenzo Schnyder von Wartensee
in seinem Vorwort zur neuen
Dokumentation «Militärische
Ehren» schreibt, wagt dieser
Rezensent aufgrund einiger
Erfahrung zu bezweifeln. Um-
so willkommener ist es, dass
Schnyder von Wartensee und
sein Amtskollege, der Chef
des Militärprotokolls Reto P.
Senn, hier kraftvoll dazu beitragen, dass die Usanzen im
internationalen Verkehr auch
im heutigen Helvetien beachtet werden. Die zweckmässig
illustrierte willkommene Dokumentation macht sichtbar,
was selbst unser nüchternes
182. Jahrgang
Impressum
Würzburg: Ergon Verlag, 2013, ISBN 978-3-89913-838-2
und bescheidenes Vaterland
heute wem an militärischen
Ehren bietet. Das zivile wie
das militärische Protokoll tragen dazu bei, die Souveränität
der Heimat in würdiger Weise sichtbar zu machen und die
Stellung der Schweiz unter den
unabhängigen Nationen deutlich zu behaupten.
Jürg Stüssi-Lauterburg
Präsident Kommission ASMZ
Christoph Grossmann, Oberst i Gst a D,
Dr. oec. HSG
Chefredaktor
Divisionär Andreas Bölsterli (BOA)
Redaktionssekretariat
ASMZ c/o Verlag Equi-Media AG
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Stellvertreter des Chefredaktors
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Redaktion
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Major Markus Schuler (M.S.)
Oberstlt Jürg Studer (St)
Oberstlt Eugen Thomann, lic. iur. (ET)
Major Walter Troxler, Dr. phil. (Tr)
Herausgeber
Schweizerische Offiziersgesellschaft
Verlag
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Verleger: Christian Jaques
Geschäftsführung
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Anzeigen/Beilagen
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Das vergessene Vokabular der Strategie
Abonnemente
Silvia Riccio, Telefon +41 44 908 45 65
E-Mail: [email protected]
Adressänderungen bitte mit Abonummer (s. Adressetikette) angeben.
Handbuch der strategischen Prinzipien
Layout: Stefan Sonderegger
Gunter Maier
Norderstedt: Books on demand, 2015, ISBN 978-3-734-77550-5
Die Fülle der Literatur von
und über Strategie und zu strategischen Fragen ruft nach dem
Werk von Gunter Maier. Es ist
das Verdienst des Autors, welcher sich in verschiedenen beruflichen Funktionen seit Jahren mit strategischen Fragen befasst, Ordnung und Verständnis in die Herausforderung der
Strategie zu schaffen. Das umfassende Buch (über 600 Seiten) bietet einerseits eine Einführung in die Werke der wichtigsten Denker der Strategie
und fokussiert auf die wich-
tigsten strategischen Prinzipien.
Diese werden theoretisch behandelt, aber mit praktischen
Beispielen verdeutlicht. Der
Hauptteil des Werkes widmet
sich dann einem umfassenden
Katalog der strategischen Prinzipien, welche einheitlich präsentiert werden. Jedes Prinzip
wird nach den Stichworten Ziele, Potentielle Gegenprinzipien,
ähnliches Prinzip und Kategorien stichwortartig beschrieben.
Eine Sammlung der Quellen
rundet jede Beschreibung ab.
So kommt das Buch als sehr
nützliche Hilfe beim Studium
von strategischen Fragen und
Literatur daher. Es erleichtert
die meist mühevolle Befassung
mit den Klassikern der Strategie, aber auch mit der Fülle von
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schafft das Werk, was es zum
Ziel hat: es reduziert die Komplexität des Themas und lernt,
wie man strategisch denkt und
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Jahresabo Inland Fr. 78.– /
Ausland Fr. 98.–
Probeabo Schweiz (3 Ausgaben) Fr. 20.–
Auflage: Druckauflage 19500
Druck: galledia ag, 9230 Flawil
© Copyright
Nachdruck nur mit Bewilligung
der Redaktion und Quellenangabe
www.asmz.ch
Nächste Ausgabe: 1. Juni 2016
Schwergewicht:
• Ausbildung FIS HE an der HKA
• Rüstungsprogramm 2016
• Bodenseekonferenz
• Swiss Mission to NATO
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Infos: helvetia.ch/alpentransit
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Vom Sportgerät bis zum Basistunnel: Wir versichern Privatpersonen und Unternehmen vollumfänglich
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Jahrhundertbauwerk professionell begleitet und versichert. Dank langjähriger Kompetenz und
Erfahrung werden wir den höchsten Ansprüchen unserer Kunden gerecht. Was immer Sie vorhaben.
Wir sind für Sie da.
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