In fünf bis zehn Jahren könnten wir 70 Prozent des Marktes - i-net

Urs Hunkeler
«In fünf bis zehn Jahren könnten wir 70 Prozent des
Marktes abdecken»
Das Start-up Geosatis beschäftigt in Le Noirmont im Kanton Jura mittlerweile über zehn
Personen.
Das
EPFL-Spin-Off
stellt
eine
elektronische
Fussfessel
zur
Aufenthaltsüberwachung einer verurteilten Person her. Urs Hunkeler ist Chief Technical
Officer und verantwortlich für die technische Weiterentwicklung der Fussfesseln von
Geosatis.
In unserem Interview erklärt er, warum der Kanton Jura für Geosatis der ideale Standort ist
und was ihr Produkt von der Konkurrenz abhebt.
Geosatis stellt elektronische Fussfesseln her – wie kam es dazu?
Mein Geschäftspartner, CEO José Demetrio, hat vor rund zehn Jahren bei einer SecurityFirma gearbeitet. Für diese Firma hat er einen Prototyp für Mobiltelefonüberwachung in
einem Gefängnis in Genf installiert. Bei einem Gespräch mit dem Gefängnisdirektor meinte
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dieser, viel zu viele Häftlinge würden den regulären Betrieb stören, weil sie nicht ins
Gefängnis gehören. Er wünschte sich ein Produkt, mit dem ungefährliche Häftlinge ihre
Strafe ausserhalb des Gefängnisses verbüssen könnten. José Demetrio zeigte ihm daraufhin
ein asiatisches Produkt, doch der Gefängnisdirektor war mit der Qualität nicht zufrieden.
Unseren CEO hat die Idee nicht mehr losgelassen, bis er 2010 an der EPFL Partner für sein
Projekt suchte. Einer meiner Freunde sollte die Hardware entwickeln und fragte mich, ob
ich bei der Software mitmachen wollte. Daraus entstand schliesslich Geosatis.
Die Firma ist nicht der einzige Fussfessel-Hersteller. Was macht Geosatis anders als die
Konkurrenz?
Unser Produkt fällt natürlich durch die Hardware auf. Wir sind die einzige Firma weltweit,
welche die gesamte Elektronik rund um den Fuss verteilt. Unsere Konkurrenz baut
zweiteilige Geräte mit einer Fussfessel und einem Zusatzgerät, das man mittragen muss.
Und weil die Elektronik um den Fuss herum verteilt ist, kann man die Fessel auch nicht so
leicht aufbrechen oder durchschneiden – und das, obwohl man für das Anbringen und
Entfernen der Fussfesseln keine Werkzeuge benötigt. Unser Produkt hat ein mobiles
Ladegerät, während der Gefangene bei Produkten der Konkurrenz ein Kabel einstecken und
zwei Stunden laden lassen muss. Ausserdem ist unsere Fussfessel bis mindestens 30 Meter
wasserdicht – da haben wir uns an der Schweizer Uhrenindustrie orientiert.
Das klingt, als wäre die Software zweitrangig.
Nein, aber wir vermarkten sie weniger. Im Wesentlichen definiert man durch die Software,
wie häufig die Fessel Daten übermittelt, man legt Zonen fest und Zeiten. Typisch ist zum
Beispiel, dass eine Person mit Fussfessel nachts zuhause sein, aber tagsüber die Wohnung
verlassen muss, weil sozialer Kontakt wichtig ist. Ausserdem legt man die Eskalationsstufen
fest, die durchgespielt werden, wenn sich ein Gefangener nicht an die Regeln hält. Als
Erstes wird der Träger meist durch eine Vibration darüber informiert, dass eine Bedingung
nicht erfüllt ist. Wenn die Situation nicht geklärt wird, kann in einem zweiten Schritt zum
Beispiel der Bewährungshelfer durch eine SMS oder Email informiert werden und den
Träger direkt kontaktieren. Wir erhalten oft Rückmeldungen, dass unsere Software viel
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einfacher
zu
bedienen
ist
als
die
der
Konkurrenz.
Dazu
trägt
auch
unsere
Industriedesignerin bei.
Der Sitz von Geosatis ist in Le Noirmont im Jura. Was ist der Vorteil, hier zu sein?
Ursprünglich sind wir ein Spin-Off der EPFL und haben nach wie vor Büros in Lausanne.
Wir haben für die Firmengründung mehrere Standorte geprüft. Wichtig waren uns
mechanische Kompetenzen in der Nähe – zum Beispiel aus der Uhrenindustrie. Der
Austausch mit den verschiedenen kantonalen Wirtschaftsförderungs-Institutionen war
spannend. Doch bei keinem anderen Kanton wurden wir so unkompliziert und kompetent
empfangen, wie im Kanton Jura. Bis heute steht uns bei Anliegen immer eine Türe offen.
Diese unkomplizierte Art ist in meinen Augen etwas sehr Jurassisches. Schon oft erlebten
wir hier Situationen, in denen eine einfache, schnelle und kreative Lösung für ein Problem
gefunden werden konnte.
Sie haben viele gutausgebildete, junge Mitarbeiter, auch viele Doktoren – was lockt
diese nach Le Noirmont?
Generell ist unsere Auswahl vielleicht etwas geringer als in Zürich oder Lausanne. Dafür
sind diejenigen, die sich bei uns bewerben, hochmotiviert und interessieren sich sehr für
die Firma. Hinzu kommt, dass unsere Angestellten begeistert sind von ihrer Arbeit. In der
Zwischenzeit erhalten wir deshalb oft Bewerbungen von Freunden oder Bekannten unserer
Mitarbeiter. Wer nicht bereits aus der Region stammt, ist bei der Einstellung meist
Studienabgänger ohne familiäre Verpflichtungen – also sehr flexibel. Dass man hier zum
Preis für eine Wohnung in Lausanne ein ganzes Haus mieten kann, ist auch ein Pluspunkt.
Wir haben wirklich weniger Probleme, die richtigen Leute für unser Unternehmen zu finden,
als man es in einer Region wie dem Jura glauben könnte.
Die Firma hat bereits mehrere Finanzierungsrunden hinter sich. Wer investiert in
Geosatis?
Wir haben uns entschieden, zum jetzigen Zeitpunkt kein Venture Capital aufzunehmen,
denn wir wollen die Kontrolle über das Unternehmen behalten. Geosatis war von Beginn
an als eigenständige Firma geplant und wir zeigten zum Beispiel durch das Schaffen einer
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Lehrstelle, dass wir langfristig planen. Dadurch haben wir heute primär Privatinvestoren.
Das sind in der Regel wohlhabende Persönlichkeiten aus der Region, die unsere Firma
spannend und das Produkt überzeugend finden. Weil wir in der Schweiz produzieren und
die Firmentätigkeit im Land behalten wollen, schaffen wir Stellen für hochqualifizierte
Personen – auch das ist für einige Investoren ein guter Grund. Es ist ein bisschen wie
Crowdfunding auf höherem Niveau.
Und was können Sie ihre Investoren versprechen? Wird der Einsatz von Fussfesseln
exponentiell wachsen?
Für Fussfesseln gibt es unterschiedliche Einsatzbereiche, ein gängiges Mittel sind sie bei
Untersuchungshaft, als Ersatz oder Teilersatz von Gefängnis und nach der Bewährung.
Tatsächlich nimmt der Anteil an Fussfesseln zu, doch in vielen Ländern – auch in der Schweiz
– fehlen noch die gesetzlichen Bestimmungen für ihren Einsatz. Generell stehen die
Regierungen unter grossem Kostendruck. In der Schweiz kostet ein Häftling im Gefängnis
rund 8000 Franken pro Monat. Folgekosten wie Arbeitsausfall, Hilfe bei der Jobsuche oder
psychologische Betreuung sind da noch gar nicht eingerechnet. Mit der Fussfessel kostet
ein Häftling rund 1000 Franken pro Monat. Unser Markt wächst ausserdem auf mehreren
Ebenen: Es leben immer mehr Menschen auf der Welt, es gibt immer mehr Fälle, in denen
eine Geldbusse als Strafe nichts bringt und immer mehr Möglichkeiten für Häftlinge, ihre
Strafe mit einer Fussfessel zu verbüssen. In entwickelten Ländern könnten rund 10 Prozent
der Häftlinge eine Fussfessel tragen. Dieser Wert kann in unseren Augen bis auf 30 Prozent
gesteigert werden, denn solang ein Häftling nicht gefährlich ist, gibt es keinen Grund, der
gegen den Einsatz einer Fussfessel spricht. Rund 70 Prozent der Gefängnisinsassen in
entwickelten Ländern ist nicht gefährlich – vorsichtig gerechnet sind also 30 Prozent
realistisch.
Ist es denn eine Strafe, wenn man daheim sein kann?
Die Fussfessel ist definitiv eine Strafe, denn man kann abends nicht einfach ins Kino oder
wegfahren. Der Häftling hat ganz klare Richtlinien, wo er wann sein muss. In den aktuellen
Pilotprojekten der Schweiz kann sich eine Person für die Fussfessel melden. Es gab bereits
Häftlinge, die nach ein paar Tagen lieber zurück ins Gefängnis gingen. Sie konnten mit dem
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psychologischen Druck der andauernden Überwachung nicht umgehen. Man wird sofort
angerufen, wenn man vergisst, die Fussfessel zu laden – und es kann das Gefühl entstehen,
ständig überwacht zu werden.
Wie finden Sie Käufer für Ihre Fussfesseln?
Wir vermieten unser Produkt in erster Linie an die Regierungen. Weil die Daten aus der
Fussfessel sehr sensibel sind und die Regierungen gern die Kontrolle darüber behalten,
bieten wir unser Produkt meist durch einen lokalen Partner im jeweiligen Land an. So stehen
die Server im entsprechenden Land und damit unter der Kontrolle der Regierung. Unsere
Aufträge erhalten wir meist durch Ausschreibungen, für die wir persönlich eingeladen
werden. Wir sind seit eineinhalb Jahren in Südafrika tätig und momentan wird abgeklärt,
ob und wie das Land mit unseren Fussfesseln weiterfahren möchte. Die Signale bisher sind
aber positiv und auch andere Länder interessieren sich vermehrt für unser Produkt.
Von welchen Ländern sprechen Sie? Von den USA?
In den USA werden schon lange Fussfesseln eingesetzt. Viele Firmen buhlen dort um
Aufträge, der Preisdruck ist gross und es gibt auf diesem Markt bereits sehr spezialisierte
Produkte. In Europa sind die Vorstellungen, was eine Fussfessel können soll, sehr konkret.
Das macht es teilweise schwierig, unser Produkt zu verbreiten. Im asiatischen Markt ist der
Preis extrem tief und man setzt auf asiatische Produkte. Übrig bleiben die Schwellenländer,
wo
unser
Produkt
super
zu
den
Bedürfnissen
passt.
Wir
koppeln
unsere
Weiterentwicklungen stark an die Bedürfnisse der Länder und versuchen, nach Möglichkeit
ihre Anforderungen zu erfüllen.
Wie sieht der Markt in der Schweiz aus?
Es gab bisher Ausschreibungen für Pilotprojekte. Nun scheint es, als ob die gesamte
Schweiz ein einziges System einführen möchte. Diese Ausschreibung soll voraussichtlich
2018 lanciert werden und wir machen bestimmt mit.
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Was möchten Sie erreichen? Welche Geschäftsziele visieren sie mit Geosatis an?
Unser Hauptkonkurrent und internationaler Marktführer ist 3M. Unser Ziel ist es, weltweiter
Marktführer zu werden. Wir sind noch in der Aufbauphase, haben in Südafrika rund 300, in
anderen Ländern 200 Fussfesseln in Gebrauch. Doch man kann plötzlich an die Spitze
schnellen, denn die Länder sind unterschiedlich gross und der Gewinn eines Auftrages mit
10'000 Fussfesseln bedeutet dann schon einen Riesenschritt. Wenn wir grosse Aufträge
erhalten, müssen wir natürlich unsere Firma entsprechend ausbauen. In fünf bis zehn Jahren
könnten wir 70 Prozent des Marktes abdecken.
Was macht Sie da so sicher?
Wir sind die neue Generation von Fussfesseln und bisher hat unsere Konkurrenz nichts
Vergleichbares vorgebracht. Wenn der politische Druck für sichere Fussfesseln wächst, dann
hat Geosatis in meinen Augen das beste Angebot: Eine qualitativ hochwertige Fussfessel
mit langer Lebensdauer zu einem fairen Preis. Bei Geosatis denken wir gerne einen Schritt
voraus und wir spielen die verschiedensten Fälle durch. Das macht unser Produkt in vielen
Details besser als andere.
Interview: Thomas Brenzikofer und Nadine Nikulski, i-net/BaselArea.swiss
Urs Hunkeler verfügt über ein Doktorat in Telekommunikation EPFL und ist Autor mehrerer
wissenschaftlicher Publikationen und Patente. Vor dem Studium hat er als Programmierer
und Software-Berater gearbeitet. Für seine Doktorarbeit hat er im IBM Forschungslabor in
Rüschlikon an kabellosen Sensornetzwerken geforscht.
Geosatis ist das zweite Unternehmen, an dessen Gründung er massgeblich beteiligt ist. Im
Gründerteam ist er vorwiegend für die Technologie zuständig. Urs Hunkeler setzt sich für
eine nachhaltige Unternehmensentwicklung und für innovative Produkte mit hoher Qualität
ein und hat die ursprüngliche Version der Software entwickelt. Heute begleitet er die
Produktentwicklung
und
stellt
sicher,
dass
Geosatis
auch
Überraschungen bereithält.
Urs Hunkeler ist Mitglied der IEEE und bei Electrosuisse.
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in
Zukunft
weitere