Vier Tage Krieg REUTERS/STAFF Nach der jüngsten Eskalation kommen aus dem Südkaukasus wi dersprüchliche Signale der verfein deten Staaten Armenien und Aser baidschan – eine vorläufige Lösung des Konflikts könnte aber derzeit möglich sein. Von David X. Noack SEITEN 12/13 GEGRÜNDET 1947 · DONNERSTAG, 2. JUNI 2016 · NR. 126 · 1,50 EURO (DE), 1,70 EURO (AT), 2,20 CHF (CH) · PVST A11002 · ENTGELT BEZAHLT WWW.JUNGEWELT.DE Feindschema Klartext Rachejustiz Bremsklotz 2 5 6 9 Geht es nach der CSU, sollen Geflüchtete nicht nur Deutsch, sondern gleich Bayerisch lernen Unschuldig in US-Haft: Bürgerrechtskämpfer Leonard Peltier hat wenig Hoffnung auf Freilassung Energiewende verlangsamt: Bundesregierung moniert Kosten bei der Umstellung der Stromproduktion Bibbern vor Erdogan Völkermordresolution: Deutsche Regierungsvertreter drücken sich um Abstimmung im Bundestag. Von Nick Brauns und Michael Merz D Brüssel. Die EU-Kommission hat im Streit um die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien in Polen am Mittwoch angekündigt, eine offizielle Verwarnung an Warschau zu verschicken. Brüssel hatte im Falle Polens Mitte Januar erstmals überhaupt eine Überprüfung der Rechtsstaatlichkeit in einem Mitgliedstaat eingeleitet. Warschau wird vorgeworfen, rechtswidrig die Ernennung mehrerer Verfassungsrichter rückgängig gemacht und Beschlüsse des Gerichts miss achtet zu haben. Die Kommission kritisiert zudem, dass die Chefs der öffentlich-rechtlichen Sender künftig direkt von der Regierung ernannt oder abberufen werden können. Nach der Stellungnahme der Kommission hat Warschau nun zwei Wochen Zeit für eine Reaktion. Nächste Stufe wäre dann eine Empfehlung Brüssels, die kritisierten Mängel abzustellen. Erfolgt auch das nicht, könnte die EU Sanktionen gegen Polen verhängen. (AFP/jW) STEFAN BONESS/IPON ie türkische Regierung empörte sich am Mittwoch erneut über die für den heutigen Donnerstag geplante Verabschiedung der Völkermordresolution im Bundestag. Bei den Massenmorden unter Verantwortung der jungtürkischen Regierung waren mit Billigung des deutschen Kriegspartners zwischen 1915 und 1916 bis zu 1,5 Millionen Armenier sowie Aramäer und Angehörige weiterer christlicher Minderheiten ums Leben gekommen. Der Genozid wird von der türkischen Regierung nach wie vor vehement bestritten. Unionsfraktionsvize Franz Josef Jung (CDU) warnte gestern: »Ich hoffe, dass es nicht zu irgendwelchen Überreaktionen der Türkei kommt.« Die parlamentarische Geschäftsführerin der SPD, Christine Lambrecht, pflichtete ihm bei: »Es geht nicht darum, eine aktuelle Regierung zu kritisieren, an den Pranger zu stellen.« Trotz dieser Beschwichtigungen bezeichnete der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim die Abstimmung als »absurd« und »lächerlich«. »Man sollte die Geschichte den Historikern überlassen«, sagte er weiter. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan prophezeite wegen der Einstufung als Völkermord bereits eine Verschlechterung der deutsch-türkischen Beziehungen. Yildirim sprach zwar ebenfalls von »negativen Auswirkungen« auf das bilaterale Verhältnis zur BRD, der Flüchtlingsdeal zwischen der EU und der Türkei werde deswegen aber nicht scheitern. Der Präsident Armeniens, Sersch Sargsjan, bezeichnete die Resolution wiederum als »sehr wichtig« für sein Land. Er habe »kein Verständnis« für die Furcht deutscher Politiker vor einer scharfen Reaktion Erdogans, sagte Sargsjan gegenüber Bild (Mittwoch- Protest für die Anerkennung des Genozids an den Armeniern (Berlin, April 2015) ausgabe). Nach anfänglicher Unterstützung der Resolution wird Vizekanzler Sigmar Gabriel sich offenbar vor der Abstimmung drücken. Frühzeitig und demonstrativ hatte sich der SPD-Chef festgelegt, für das Papier zu votieren. Nun erfuhr die Nachrichtenagentur dpa am Mittwoch, dass der Bundeswirtschaftsminister am heutigen Donnerstag parallel zur Entscheidung im Parlament vor 1.000 Teilnehmern beim Tag der Bauindustrie reden müsse. Auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) wird fehlen. Er besucht Argentinien und Mexiko. Ursprünglich hatte er den Beschluss verhindern wollen. Vizeregierungssprecherin Christiane Wirtz sagte am Mittwoch in Berlin, Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sei für die Resolution. An der Abstimmung im Bundestag werde sie aber aus Termingründen »nach derzeitigem Stand« nicht teilnehmen. Unterdessen wurde gegen den früheren Linke-Bundestagsabgeordneten Hakki Keskin ein Parteiausschlussverfahren eingeleitet. Ein entsprechender Antrag sei bei der Landesschiedskommission der Berliner Linkspartei gestellt worden, erfuhr junge Welt am Mittwoch aus dem Parteivorstand. Grund dafür ist Keskins Rolle als Leugner des Genozids sowie seine Mitgliedschaft in der ultranationalistischen Heimatpar- tei (Vatan Partisi) der Türkei. Letztere gilt als äußerst militärnah, ihrer Führung gehören Generäle im Ruhestand an, und die Partei begrüßt ausdrücklich den Krieg gegen die Kurden. Zuletzt war Keskin am Sonnabend in Berlin als Redner auf einer Kundgebung türkischer Nationalisten einschließlich Verbänden aus dem Spektrum der faschistischen Grauen Wölfe aufgetreten. Am Dienstag hatte Keskin als LinkeMitglied in einem Debattenbeitrag der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung die Vernichtung der Armenier erneut als kriegsbedingte Zwangsumsiedlungen verharmlost. Siehe Seite 3 Streiks ausgeweitet Frankreichs Eisenbahner legen Arbeit nieder. Weitere Berufsgruppen wollen sich anschließen D er Streik der Angestellten der französischen Staatsbahn SNCF hat zu Einschränkungen im Schienenverkehr geführt. Am Mittwoch sollten nach Angaben der SNCF nur ein Drittel der Intercity-Züge, jeder zweite Regionalexpress und 60 Prozent der TGV-Schnellzüge fahren. Betroffen waren auch viele Pendlerzüge im Großraum Paris. Die wenigen Züge, die fuhren, waren häufig überfüllt. Der unbefristete Ausstand hatte am Dienstag abend begonnen und richtet sich gegen Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen. Bei den TGV- und ICE-Verbin- dungen nach Deutschland waren keine Behinderungen registriert worden, gleiches gilt für die Eurostar-Züge nach Großbritannien. Bei den Verbindungen nach Belgien, wo am Dienstag gestreikt worden war, Italien, Spanien und in die Schweiz wurden dagegen viele Züge gestrichen. Außerdem kämpfen die Beschäftigen gegen das von der französischen Regierung geplante neue Arbeitsrecht. Damit sollen die Rechte der Lohnabhängigen geschleift werden. Seit über drei Monaten mobilisieren die Gewerkschaften, Parteien und linke Gruppen gegen das Vorhaben des Kabinetts von Manuel Valls. »Diese Woche wird die Woche mit der stärksten Mobilisierung«, warnte der Chef der Gewerkschaft CGT, Philippe Martinez, der die Proteste gegen die Arbeitsmarktreform anführt. Ein neuer Protesttag gegen Hollandes Pläne ist zudem am 14. Juni geplant. Die CGT hatte mit Streiks und Blockaden von Treibstofflagern und Ölraffinerien in der vergangenen Woche für Benzin- und Dieselknappheit gesorgt. Die Lage hat sich inzwischen zwar wieder entspannt, nach wie vor sind aber sechs der acht französischen Raffineri- Brüssel verschickt Verwarnung an Polen LESZEK SZYMANSKI/DPA-BILDFUNK Enttarnung einer verdeckten Ermittlerin in Hamburg wirft noch immer viele Fragen auf. Interview en von den Protesten betroffen. Am heutigen Donnerstag ist ein Streik bei den Pariser Nahverkehrsbetrieben RATP geplant, der aber nur geringe Auswirkungen haben dürfte. Arbeitsniederlegungen könnte es ab Freitag auch bei den Fluglotsen geben. Die Gewerkschaften wollen damit gegen Stellenstreichungen bei der zivilen Luftfahrtbehörde protestieren, derzeit wird aber noch verhandelt. Außerdem drohen im Juni Pilotenstreiks bei der Fluggesellschaft Air France aus Protest gegen Lohnkürzungen.(AFP/dpa/jW) Siehe Seite 7 Neue Regeln für Leiharbeit und Werkverträge Berlin. Das Bundeskabinett hat am Mittwoch neue Regeln für Leiharbeit und Werkverträge beschlossen. Der Gesetzentwurf von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) sieht u. a. vor, dass Leiharbeiter spätestens nach neun Monaten wie die Stammbelegschaft bezahlt werden und nach maximal 18 Monaten übernommen werden müssen. Die Neuregelungen sorgten dafür, dass dem Missbrauch ein Riegel vorgeschoben werde, sagte Nahles. Die Grünen-Politikerin Beate Müller-Gemmeke kritisierte den Entwurf als »große Mogelpackung«. Gleichen Lohn für gleiche Arbeit gebe es frühestens nach neun Monaten – dabei endeten zwei Drittel der Leiharbeitsverhältnisse nach sechs Monaten. Die Linken-Politikerin Jutta Krellmann kritisierte die Neuregelungen als »Murks, der allein den Arbeitgebern hilft«. (AFP/jW) wird herausgegeben von 1.832 Genossinnen und Genossen (Stand 29.4.2016) n www.jungewelt.de/lpg
© Copyright 2025 ExpyDoc