31.05.2016, Das Leiden der CDU an der AfD - Streit um

Manuskript
Beitrag: Das Leiden der CDU an der AfD –
Streit um Abgrenzung oder Annäherung
Sendung vom 31. Mai 2016
von Anne Herzlieb und Hilke Petersen
Anmoderation:
Nachbarn auf der Stadion-Tribüne. Einträchtig nebeneinander:
deutsche Jungs in deutschen Trikots. Zu solcher Nachbarschaft
hat AfD-Vize Alexander Gauland was zu sagen. Die Leute, so
zitiert ihn die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“, wollen
einen Boateng nicht als Nachbarn haben. War keine Beleidigung,
meinte Gauland hinterher, war nur eine Beschreibung, quasi
wertneutral. Das Herumgerede um Rassismus macht es für die
CDU/CSU nicht einfacher. Und das hat auch wieder was mit
Nachbarschaft zu tun. Denn die AfD, anfangs unterschätzt als
vorübergehendes Phänomen, richtet sich rechts von der Union
wohnlich ein. Wie umgehen mit der AfD? Anne Herzlieb und Hilke
Petersen zeigen die Union im Dilemma.
Text:
Volle Breitseite. So geht es jetzt schon länger im Wahlkreisbüro
von Herrn Zimmermann – von der CDU.
O-Ton Karl Zimmermann, CDU, MdL Baden-Württemberg:
Es kamen in letzter Zeit immer mal wieder erboste Leute
herein, ohne große Begrüßung: Herr Zimmermann, am
Frühstückstisch wollte ich Sie noch wählen. Und als ich dann
die Zeitung aufschlage und ich sehe da so ein Bild von
Ihnen, wie Sie der Bundeskanzlerin die Hand geben – wissen
Sie, was ich dann gemacht habe? Dann habe ich meine
Wahlbenachrichtigung verrissen.
„Hatte keinen Bock mehr“ - andere warfen ihre
Wahlbenachrichtigung so in Zimmermanns Briefkasten.
In Kirchheim/Teck, Baden-Württemberg, waren er und seine CDU
traditionell die Wahlsieger – eigentlich immer. Minus zwölf
Prozentpunkte sind es diesmal, bei der Wahl vor zwei Monaten.
Das tut weh.
O-Ton Karl Zimmermann, CDU, MdL Baden-Württemberg:
Unsere große Wählerschaft waren und sind gewesen – leider
gewesen - die etwas Älteren, Reiferen, Vernünftigen der über
60-Jährigen. Also sprich, die man durchaus als
wertkonservativ bezeichnen kann. Und diese
Wertkonservativen, die haben sich von der CDU nicht mehr
vertreten gefühlt oder haben Ängste. Und sie meinen, sie
wären zum Beispiel bei der AfD besser aufgehoben.
Einem wie ihm ist es mit Merkel früher mal besser gegangen. Das
ist jetzt anders.
Der Historiker sagt: Viele CDU-Anhänger haben sich wegen
Merkels Mitte-Kurs von der Partei abgewendet.
O-Ton Prof. Frank Bösch, Direktor Zentrum für
Zeithistorische Forschung Potsdam:
Den Ausstieg aus der Atomenergie, die Reform der
Bundeswehr, auch die Öffnung für berufstätige Frauen und
die Förderung von Kitaplätzen. Aber es gab vor allen Dingen
zwei Punkte, bei denen die konservativen Wähler immer
wieder zusammenzuckten. Das eine war die Rolle von
Migranten und des Islams, insbesondere in Deutschland.
Und das andere war die Gleichberechtigung von
homosexuellen Beziehungen.
Ihm ging das auch zu weit. Alexander Gauland war lange Jahre
CDU-Mann, war Vorzeige-Konservativer, war sogar mal Chef der
hessischen Staatskanzlei. Jetzt gehört er zur AfD-Spitze, verließ
die Merkel-Partei.
O-Ton Alexander Gauland, AfD, Bundesparteivorstand:
Die Art von Politikmanagement, die Leute nicht
mitzunehmen, eine Diskussion nicht zu führen, sondern zu
sagen: Das machen wir jetzt so, das ist alternativlos. Das hat
mich dann endgültig aus der CDU vertrieben.
Jetzt, Ende April, ist Gauland auf dem Weg, AfD-Höhenflüge zu
feiern. Bundesparteitag vor vier Wochen in Stuttgart. Sie
verstehen sich als die wahren Konservativen – das eint. Endlich
wieder Politik ohne vermeintliche Denkverbote. Die AfD stillt die
Sehnsucht nach alten Zeiten, die viele hier für die besseren
halten.
O-Ton Werner Zoerner, AfD, Fraktionsvorstand
Hochsauerlandkreis:
Ich finde, die AfD selber, die nimmt heute die Position der
alten CDU ein.
O-Ton Wilhelm Seefried, AfD, Kreisverband FreisingPfaffenhofen:
Nach Kohl eigentlich, hat die CDU ja den Konservatismus
aufgegeben. Und diese Lücke füllt jetzt momentan die AfD.
Wir zum Beispiel, wir sind über Generationen hinweg eine
alte CSU-Wähler-Familie. Katholisch, konservativ,
urbayerisch.
Die Publizistin Liane Bednarz beobachtet die AfD von Anfang an von der Anti-Euro- zur Anti-Islam-Partei. Die Grenzen zur PegidaBewegung inzwischen fließend.
O-Ton Hans-Thomas Tillschneider, AfD, Sprecher
Patriotische Plattform AfD:
Wir wenden uns ja zu recht gegen eine Islamisierung des
Abendlandes. Wenn wir aber konsequent und gerecht
argumentieren wollen und gegen die Islamisierung des
Abendlandes sind, da dürfen wir nicht für die Verwestlichung
des Islams eintreten.
Völkisch-neurechtes Gedankengut setze sich in der AfD
zunehmend durch, sagt Bednarz. Mit Konservativ-Sein habe das
nichts zu tun.
O-Ton Liane Bednarz, Publizistin:
Die AfD ist keine konservative Partei, sie ist eine
rechtspopulistische Protestpartei. Und dieser Gestus zeigt
sich vor allem in der Agitation gegen „die da oben“ und
gegen das Establishment. Das ist etwas, was das
konservative Denken eigentlich nicht kennt. Dort versteht
man sich eher als Elite im besten Sinne und Frauke Petry hat
beim Parteitag in Stuttgart auch gesagt, man wolle ein
Gegenentwurf zum politischen Establishment sein und kein
Teil davon.
Aufstieg zu einer echten Volkspartei – die Macht ist das Ziel. Alle
anderen Großen – viel zu klein für die AfD.
O-Ton Hans-Jörg Müller, AfD, Bundesvorsitzender AfDMittelstandsforum:
Die anderen müssen an sich arbeiten, damit sie sich
qualifizieren, auf unserem Niveau arbeiten zu können.
O-Ton Martin Sichert, AfD, Vorsitzender Kreisverband
Nürnberg:
Bei der momentanen Aufstellung ist die Union momentan nur
eine weitere linke Partei in diesem Land und damit leider kein
Koalitionspartner von uns.
Elbe-Elster in Brandenburg, CDU-Land. Den einzigen AfD-Mann
hier im Kreistag hat die CDU-Fraktion in ihre Reihen
aufgenommen. Bundesweit die erste Zusammenarbeit. Koalition
will man das hier zwar nicht nennen, aber immerhin: eine Stimme
mehr für die CDU.
O-Ton Rainer Genilke, CDU, Fraktionsvorsitzender Kreistag
Elbe-Elster:
Wir haben keine CDU-/AfD-Fraktion gegründet, sondern er
hat sich voll und ganz den Werten der Union unterworfen.
Und deshalb verlangen wir übrigens auch, dass er genau
dies befolgt und hier nicht ausschert und hier, sag ich mal,
sein eigenes Süppchen kocht.
In der Provinz machen sie Regionalpolitik. Da fallen
unterschiedliche Werte nicht so auf – also, kein Streit über
Euroaustritt oder wegen des Islams.
O-Ton Andreas Franke, AfD, Mitglied Kreistag Elbe-Elster:
Wir werden nicht solche Fragen entscheiden. Nur ist es aus
meiner Sachkenntnis derzeit bedenklich, wenn man sehr
schnell sagt, der Islam gehört zu Deutschland. Das ist sehr
bedenklich. Und ich finde es auch sehr bedenklich, dass man
den Islam ohne weitere Prüfung dann als Religion auch
akzeptieren wird.
CDU im Dilemma. Die AfD „entzaubern“, indem man sich
„inhaltlich auseinandersetzt“ - schwierig. Schwierig aber auch, die
Partei zu ignorieren. Denn in Umfragen liegt die AfD in
Brandenburg jetzt bei 20 Prozent.
Stark bleiben in Baden-Württemberg. Das will die geschwächte
CDU, seit die AfD zur mächtigen Konkurrenz aufstieg und mehr
als 15 Prozent bei der Landtagswahl holte. CDU-Stimmen gingen
verloren an Grüne und AfD.
O-Ton Guido Wolf, CDU, ehemaliger Spitzenkandidat Landtag
Baden-Württemberg:
Wer sich in einer vorschnellen Wahlanalyse darauf
zurückzieht, dass unser Problem nicht auch rechts von der
Union entstanden sein könnte, sondern nur in Richtung
Grünen, dem könnten am Wahlabend der bevorstehenden
Bundestagswahl die Augen geöffnet werden.
Gefahr von rechts – die soll Merkel endlich bannen. Aufhören mit
ihrer Art von Flüchtlingspolitik. CSU-Chef Seehofer will sie dazu
zwingen. Bisher ohne Erfolg. Denn nur um Wähler zu halten, will
Merkel ihre Prinzipien nicht aufgeben.
O-Ton Anti-Merkel-Demo:
Merkel muss weg, Merkel muss weg.
Zurück im brandenburgischen Elbe-Elster, zurück bei Herrn
Genilke von der CDU. Der hat jetzt ein Problem. Die AfD, die er in
seine CDU-Fraktion ließ, macht Stimmung.
O-Ton Anti-Merkel-Demo:
Gute Reise, Frau Merkel. Suchen Sie sich ein anderes Volk!
Diese Anti-Merkel-Demo hat ausgerechnet der AfDler in Genilkes
CDU-Reihen mitorganisiert. Nicht die erste. Und die nächste ist
schon übermorgen. Absagen kommt für die AfD nicht in Frage.
AfDler Franke soll deshalb aus der Fraktion fliegen.
O-Ton Rainer Genilke, CDU, Fraktionsvorsitzender Kreistag
Elbe-Elster:
Wir haben ja immer die Diskussion, dass wir angeblich
irgendjemanden dämonisieren, die Leute nicht ernst nehmen.
Wir haben sie ernst genommen und insofern glaube ich,
haben wir es ernsthaft versucht. Ich muss aber feststellen,
dass es hier auch leider ernsthaft gescheitert ist, weil es
offensichtlich gar nicht darauf ankommt mit der Union
zusammenzuarbeiten, sondern im Gegenteil die Union zu
dämonisieren.
Jetzt aber wird Genilke den Geist nicht los, den er rief. Denn die
CDU Elbe-Elster ist gespalten in der Frage: Wie halten wir es mit
der AfD. Die Hälfte will trotz allem am AfD-Kollegen festhalten.
Merkel zu beschimpfen - tut hier wohl nicht jedem so richtig weh.
Es bröckelt in der Merkel-CDU. Immer rasanter - seit die AfD da
ist.
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