Was können wir für Flüchtlinge tun? - Gemeinnützige Hertie

Thüringen extra
TCTH
Leserbriefe als
Spiegel der
Gesellschaft
„Angekommen – und
willkommen!?“, so lautet
der Titel eines bundesweiten Pilotprojektes zur
Situation junger Flüchtlinge in Deutschland, an
dem sich auch das Evangelische Ratsgymnasium
Erfurt beteiligte. 20
Schüler der Klassenstufen
neun bis elf wirkten
außerunterrichtlich an
diesem Projekt mit, das
vom medienpädagogischen Izop-Institut
Aachen und der gemeinnützigen Hertie-Stiftung
initiiert wurde. Ziel soll
sein, Jugendliche für die
Flüchtlingsproblematik zu
sensibilisieren. Erreicht
werden soll dies durch
eigene Recherchen und
Interviews sowie durch die
Auseinandersetzung mit
Artikeln, wie zum Beispiel
Leserbriefen der Thüringer
Allgemeinen.
Schüler untersuchen
unsere Zeitung
Theodora Rudolph, Antonia Besel, Carlotta Trunk, Ha Than Vu und Thu Ha Ngac (von links) aus der Klasse E des Evangelischen Ratsgymnasiums Erfurt haben
Sachspenden für Flüchtlingsfamilien gesammelt.
Foto: Carolin Fischer
Diese Schüler
haben
mitgemacht
Das Projekt lief
von Januar bis Mai
Lucca Marie Beckmann, Emma
Charlotte Böger, Liz Brendel,
Henriette Büch, David Dao, Florentin Diemar, Maximilian
Franke, Leonie Frauendorf,
Paul Hacker, Dorothea Kahl,
Helena Köhler, Anna Kossack,
Frieda Milentz, Shanice Mortaretto, Yasmin Müller, Stefan
Schmidt, Karl Schönemann,
Emma Schröder, Justin Seebald,
Lina Steinmetz, Xenia von Roda, Hannah von Schmettau,
Charlotte Weidemann, Judith
Wippern, Anna Lena Zimmermann, Hauke Zimmermann,
Denys Forshayt, Phillip Scheitz,
Justus Oberländer, Magdalena
Dokter, Hannah Fuchs, Noah
Glebe, Marius Trappe und Ulrich von Weizsäcker sowie die
Lehrer Daniela Hitzner, Carolin
Fischer und Christian Luthardt
aus dem Evangelischen Ratsgymnasium Erfurt.
a Redaktion dieser Seite:
Ingo Glase
Patenschaft und Kuchenbasar:
Erfurter Schüler helfen Syrern
Während eine 9. Klasse Spenden sammelte, übernahm eine 7. Klasse die Patenschaft über ein syrisches Mädchen
Erfurt. Was können wir für
Flüchtlinge tun? Diese Frage
stellten sich die Schülerinnen
und Schüler des Evangelischen
Ratsgymnasiums in Erfurt. Und
hatten viele Ideen: So hat sich
die Klasse 9E im Rahmen des
„Wirtschaft und Recht“-Unterrichts und im Bezug auf das Thema Nachhaltigkeit mit ihrer
Lehrerin Frau Fischer dazu entschlossen, eine Sammelaktion
durchzuführen.
Durch Plakate, Aufrufe auf
der Schul-Homepage und den
direkten Kontakt zu den Eltern
wollten die Schüler für möglichst viele Spenden sorgen. Diese konnten dann vier Wochen
lang in der Schule abgeben werden, wo sie die 9E entgegennahm.
Anschließend wurden die gesammelten Spenden von der Caritas an die Flüchtlingsfamilien
weitergeleitet und erfüllen somit
einen guten und nachhaltigen
Zweck. Darunter befanden sich
nicht nur Kleidung, Spiele, Lernhilfen und Bücher, sogar ein
Fahrrad konnte weitergereicht
werden.
Steckbriefe und
selbst gebastelte Collagen
Neben diesem Projekt gab es
noch viele weitere Überlegungen zur Flüchtlingshilfe. So entschied sich die Klasse 6E mit
ihrer Klassenlehrerin Kerstin
Samaan dafür, eine Kooperation mit einer Flüchtlingsklasse
aufzunehmen.
Nach einigen Schwierigkeiten
konnten die Sechstklässler die
Anfängergruppe des Deutschkurses in der Riethschule besuchen. Ende März fand das erste
Kennenlernen statt. Die Kinder
des Ratsgymnasiums brachten
als Gastgeschenke Steckbriefe
mit, um sich vorzustellen. Damit
die gegenseitigen Interessen ausgetauscht werden konnten, bastelten die Kinder nun gemeinsam Ich-Collagen aus mitgebrachten Zeitschriften. Auch erzählten die Kinder, von denen
viele aus Syrien stammen, ihre
Geschichten in gemeinsamen
Gesprächen.
Hierbei stellten sie fest, dass
viele der geflüchteten Kinder
durchaus ähnliche Interessen
haben wie deutsche Kinder:
zum Beispiel Fernseh-Serien,
Einhörner oder – eher bei den
Jungs – die Vorliebe für Autos.
Nach einem Gruppenfoto zur
Erinnerung gab es zum Abschluss noch ein gemeinsames
Frühstück mit deutschen und
arabischen Lebensmitteln. Beide Schulen wollen den Kontakt
auch weiter pflegen und die
Gymnasiasten des Ratsgymnasiums haben schon eine Einladung zum Gegenbesuch ausge-
sprochen. Dann wollen die
Schüler gemeinsam Waffeln backen und spielen.
Bei diesem Projekt soll ebenfalls die Nachhaltigkeit im Vordergrund stehen: bei einem Kuchenbasar wurde Geld gesammelt, um Spiele zu kaufen, die
beim Deutschlernen helfen.
Fußball und
Hausaufgaben
In regelmäßigen Abständen
sind Treffen geplant, um den
Kontakt zu intensivieren. Vielleicht entwickeln sich daraus sogar langanhaltende Freundschaften.
Freundschaftliche Beziehungen sind ebenfalls schon entstanden bei der Flüchtlingshilfe
der Klasse 6L3. Die Klasse betreut jede Woche einen aus Syrien stammenden Jungen. Zwei-
mal wöchentlich kommt er in
den Deutschunterricht der Klasse. Anschließend spielen die
Sechstklässler mit ihm Fußball,
aber auch Wort-und Sprachspiele, um ihm beim Deutschlernen
zu unterstützen, ebenso wie bei
den Hausaufgaben.
Ein ähnliches Projekt führt
auch die Klasse 7E durch. Die
Schüler sind Paten eines Flüchtlingsmädchens aus Syrien, die
jeden Freitag von Schülern der
Klasse Unterstützung beim
Deutschlernen bekommt.
Unsere Schule möchte weitere Projekte zur Flüchtlingshilfe
unterstützen, um möglichst viele
Personen in unsere Gesellschaft
zu integrieren und Kontakte und
Freundschaften aufzubauen.
So wird es demnächst von den
Theaterschülern eine eigene
Präsentation des aktuellen Stückes „Der kleine Prinz“ geben,
um den Flüchtlingen die deutsche Kultur näherzubringen.
Flüchtlinge lernen am Ratsgymnasium
Wie geht es Menschen auf der Flucht? Diese und weitere Fragen stellten Erfurter Schüler Männern und Frauen, die in Sicherheit sind
Erfurt. Seit Anfang Januar findet
ein Integrationskurs am Evangelischen Ratsgymnasium Erfurt
statt. In diesem Kurs lernen 16
geflüchtete Menschen im Alter
von 20 bis 47 Jahren aus den
Herkunftsländern Syrien und
Irak Deutsch.
Ihr Lehrer ist Husam Albudi.
Er stammt selber aus Syrien – ist
aber bereits seit 10 Jahren in
Deutschland, wo er auch Germanistik als Fremdsprache studierte.
Die Schüler des Erfurter Ratsgymnasiums tauschen sich täglich über neue Schlagzeilen in
den Nachrichten zu den Themen Flucht und Migration aus:
„Das Thema ist uns sehr wichtig
und wir möchten deshalb den direkten Kontakt zu Flüchtlingen,
um eigene Erfahrungen zu sammeln“, so die Schüler.
So luden sie die Teilnehmer
des Integrationskurses zu einer
Gesprächsrunde ein und erfuhren deren Fluchtmotive und ihre
bisherigen
Erfahrungen
in
Deutschland.
Bei den Jugendlichen sind dabei zwei Schicksale besonders in
Erinnerung geblieben. So waren
sie emotional sehr berührt, als
ein syrischer Rechtsanwalt berichtet, wie er mit seinem Bruder
nach Deutschland kam, wo er
jetzt seit Sommer 2015 lebt. Er
flüchtete, wie es oft im Fernsehen gezeigt wurde, über die Bal-
Sonnabend,.Mai
kanroute – überwiegend zu Fuß.
Die Situation in den einzelnen
Ländern war zur Fluchtzeit zum
Teil menschenunwürdig und er
hat sehr viel Elend und Leid auf
seinem Weg gesehen.
Nur zwei Kästen Wasser
für 300 Flüchtlinge
So erzählt er, dass zum Beispiel in Griechenland rund 300
Menschen, unter ihnen viele
Kinder, für zwei Tage nur zwei
Kästen Wasser erhielten, aber
kein Essen. Erst in München
empfand er ein Willkommen
und konnte alle Strapazen der
Flucht vergessen. Hier bekamen
sie sofort neue Kleidung, Essen,
Trinken und ärztliche Versorgung.
Sein Fluchtmotiv ist eindeutig. Er floh mit seinem Bruder
aus dem Krieg, um eine bessere
Zukunft für die Familien in
Deutschland zu gestalten. Zu
Hause sind noch beider Frauen
und Kinder. Ihnen wollten sie
die beschwerliche Flucht nicht
zumuten. Der Anwalt, der in seiner Heimat schon über 20 Jahre
gearbeitet hat, ist jetzt bestrebt,
sehr schnell die deutsche Sprache zu lernen und beruflich tätig
zu werden.
In der Diskussion über sein
Studium in der Heimat stellten
Jeden Nachmittag lernen Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak am Evangelischen Ratsgymnasium in Erfurt Deutsch – und neue Freunde kennen.
Foto: Daniela Hitzner
die Schüler fest, dass das syrische Bildungssystem dem deutschen sehr ähnelt und dadurch
die beruflichen Perspektiven in
Deutschland für die Teilnehmer
des Integrationskurses danach
positiv sind.
Der befragte syrische Rechtsanwalt ist sehr traurig, dass er
seine Familie aufgrund der derzeitigen gesetzlichen Bestimmungen zeitnah nicht nach
Deutschland holen kann. Er hat
ständige Angst um sie. Aber er
betont, dass er in Deutschland
bleiben möchte, weil er Demo-
kratie, Rechtsstaatlichkeit und
Menschenrechte in diesem
Land als besondere Errungenschaften anerkennt und er die
damit verbundene Sicherheit
auch für seine Familienangehörigen anstrebt.
Mit Elektroschockern
misshandelt
Er liebt schon jetzt Deutschland und fühlt sich willkommen.
Interessiert hörten die Schüler
zu, als ein junger Iraker berichtete, dass er mit seiner Mutter und
einer Schwester wegen politischer Verfolgung aus seinem
Land geflüchtet ist. Sein Vater
wird vermisst, eine seiner
Schwestern wurde 2012 getötet.
Die Flucht war nach seinen Erzählungen nicht nur anstrengend, sondern auch gefährlich,
weil sie beispielsweise in Bulgarien sogar 12 Tage im Gefängnis
eingesperrt und mit Elektroschockern misshandelt wurden.
Er wurde in Deutschland gut
aufgenommen und ist froh, im
Integrationskurs am Erfurter
Ratsgymnasiums zu sein. Er
hofft im Anschluss auf eine
Arbeit in Deutschland, um eine
Existenz in Deutschland aufbauen und seine Familie eigenständig versorgen zu können.
Das Resümee aus den Gesprächen mit allen Integrationskursteilnehmern ist, dass sie sich bereits in Deutschland willkommen und angekommen fühlen.
Zum größten Teil besuchen ihre
Kinder die Schulen in Erfurt, es
enstanden erste Freundschaften
mit deutschen Nachbarn, gemeinsame Freizeitaktivitäten
folgten und auf beiden Seiten
existiert der Wunsch, diese auszubauen.
Viele Flüchtlinge besitzen bereits verwertbare Berufsabschlüsse wie Friseurin, Bankkaufmann, Krankenschwester
oder hatten ein Studium begonnen.
Deutschland bietet ihnen die
Möglichkeit, ihren beruflichen
Werdegang fortzuführen. Während der Recherchen der Schüler des Erfurter Ratsgymnasiums
für das Projekt der Hertie-Stiftung sind auch Freundschaften
zwischen ihnen und den Flüchtlingen entstanden.
So wird gemeinsam gekocht
und es sind weitere gemeinsame
Aktivitäten, wie zum Beispiel im
Sommer zu grillen und Ausflüge
durchzuführen, geplant.
Erfurt. Blättert man durch die
Tageszeitung, stößt man irgendwann auf die Seite mit den Leserbriefen. Nirgendwo spiegelt
sich die aktuelle Stimmungslage
der Leser so unmittelbar wider
wie in dieser Rubrik.
In eben jenen Zusendungen
und Wortmeldungen zeigt die
Leserschaft, welche Themen ihr
besonders am Herzen liegen
und wo es ihrer Meinung nach
not tut, das Wort zu ergreifen
und Zustimmung oder Kritik
zum Ausdruck zu bringen. Das
gilt umso mehr bei dem Thema
Flüchtlinge, das seit Monaten im
Fokus des öffentlichen Interesses steht.
Dabei subsumiert das genannte Thema eine ganze Menge an
verschiedenen Aspekten, die die
TA-Leser zum Briefeschreiben
bewegen. So gibt es in zahlreichen Wortmeldungen von Lesern zu Ausgangsthemen wie
Terrorismus, innere Sicherheit,
Arbeitsmarkt oder Islam Verweise auf das Thema Flüchtlinge. Schnell und quasi im Vorübergehen werden hier Themen
miteinander verbunden, die
nicht zwangsläufig etwas miteinander zu tun haben.
Bei alldem tauchen nur einzelne Stimmen auf, die sich erst einmal darum bemühen, zu fragen,
was es überhaupt heißt, ein
Flüchtling und auf die Hilfe anderer angewiesen zu sein. Wer
sich dann aber die Mühe gemacht hat, dem gelingt es auch,
Terroristen und Flüchtlinge
nicht gleich in einen Topf zu
werfen und nicht Angst vor
Überfremdung zu schüren. Viele
der Leser betonen, wie wichtig
es ist, eben jenen zu helfen, die
Hilfe benötigen, wissen aber
auch zu differenzieren, dass
nicht alle von den Vielen, die
nach Deutschland und Europa
kommen, Kriegsflüchtlinge und
Verfolgte sind.
In diesem Zusammenhang
wurde gelegentlich auch auf die
Kriminalität verwiesen, die mit
den Flüchtlingen ins Land
kommt. Generell ließ sich erkennen, dass das Thema Flüchtlinge für die Leserbriefschreiber
besonders wichtig wurde, wenn
von verschiedenen Formen von
Kriminalität oder vom Terrorismus her der Bogen zu den
Flüchtlingen beziehungsweise
zu Menschen mit Migrationshintergrund geschlagen werden
konnte.
So gab es nach den Anschlägen von Paris im November,
nach den Übergriffen in der Kölner Silvesternacht oder nach
den Anschlägen von Brüssel erkennbar mehr Wortmeldungen,
in denen es um Flüchtlinge ging
als in den Tagen und Wochen
vorher.
Ein ähnlicher Zusammenhang ließ sich zwischen der
Menge an Leserbriefen und dem
monatlichen Auf und Ab der
Flüchtlingszahlen ausmachen:
stiegen Flüchtlingszahlen, stiegen auch die (kritischen) Zusendungen.
In diesem hier aus Platzgründen nur angedeuteten Gang
durch die Leserbriefecke, zeigt
sich schon recht deutlich, dass
eben jene Ecke mit den Leserbriefen ein gutes Abbild der aktuellen öffentlichen Diskussion
wiedergibt, ganz so wie sie es
schon im 18. Jahrhundert bei
ihrer Ersteinrichtung tat.
Henriette Büch und andere Schüler untersuchten in
der Schul-Bibliothek die
Leserbriefe in der TA.
Foto: Christian Luthardt