Das Manuskript zum Beitrag

Manuskript
Beitrag: Neue Anti-Terror-Einheit der Polizei –
Mehr Schein als Sein
Sendung vom 31. Mai 2016
von Marc Lindemann
Anmoderation:
Zum Glück kein Ernstfall: Attentäter eröffnen das Feuer auf
Passanten an einem Bahnhofsvorplatz. Schwer bewaffnete
Polizisten greifen ein, geben den Verletzten Deckung, jagen die
flüchtenden Terroristen, stellen sie. Zehn Minuten dauert der
Schusswechsel. Dann ist die Übung vorbei und die neue Truppe
der Bundespolizei hat allen gezeigt, was sie – zumindest
theoretisch - drauf hat. BFE+, heißt sie. Das „Plus“ soll der
Bevölkerung wohl suggerieren, ein Plus an Sicherheit. Marc
Lindemann fragt, ob die neue Anti-Terror-Einheit in der Praxis
halten kann, was der Bundesinnenminister verspricht.
Text:
[Paris, 07.01.2015]
Angriff auf die Satirezeitschrift Charlie Hebdo. Das Vorgehen der
Täter: zielstrebig, ihr Umgang mit Waffen geübt. Die
Kalaschnikows führen sie wie Profis. Sie exekutieren zwölf
Menschen.
[Paris, 13.11.2015]
Der nächste Anschlag, mit Sprengstoff und schweren Waffen,
zeitgleich an sechs Orten der Stadt, 130 Menschen sterben. Mehr
als 350 werden verletzt. Die professionelle Brutalität verbreitet
Angst und Schrecken – über Paris hinaus.
O-Ton Thomas de Maizière, CDU, Bundesinnenminister, am
16.12.2015:
Die Gefahrenlage in Deutschland durch den internationalen
Terrorismus, ebenso wie in Europa, ist hoch. Sie war hoch,
sie ist hoch und sie wird auf absehbare Zeit hoch bleiben.
[Blumberg bei Berlin, 16.12.2015]
Der deutsche Innenminister präsentiert seine Antwort auf die
Toten von Paris: eine neue Anti-Terror-Einheit. Ihr Name: BFE+,
Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit Plus.
Bei der Vorführung für Minister und Presse: Um sich schießende
Terrorschauspieler, Verletzte am Boden und Sekunden später zur
Stelle - die Männer der neuen BFE+.
Für die neue BFE+ sollen ganz normale Bereitschaftspolizisten
zu Anti-Terror-Kämpfern trainiert werden. In einem gerade mal
achtwöchigen Kurs wurden die ersten 50 ausgebildet. Ihre
Aufgabe bisher: Demonstrationen schützen, Castor-Transporte
bewachen oder Fußballfans in Schach halten.
Doch für einen Einsatz gegen Terroristen reiche die achtwöchige
Weiterbildung nicht aus, kritisieren Experten.
O-Ton Rolf Tophoven, Terrorismus-Experte:
Der Terror von heute operiert kriegsmäßig. Er setzt
Sprengmittel ein von höchster Effizienz. Er arbeitet mit
Kriegswaffen, mit der Kalaschnikow, und er arbeitet absolut
in der Koordination des Vorgehens der terroristischen
Kommandos wie Profis.
Beim Pressetermin fuhren die neuen Anti-Terror-Kämpfer mit
einem handelsüblichen VW-Bus vor. Der würde keinen Schutz
bieten, wenn Terroristen mit Kalaschnikows und Handgranaten
angreifen.
Dabei sind Einsatzfahrzeuge, die Schutz vor Beschuss mit
Kriegswaffen bieten, längst zu haben. Das ist zwar teuer, kann
aber Leben retten.
Nachfrage beim Innenministerium: Ist die BFE+ ausreichend
ausgestattet? Das Bundespolizeipräsidium teilt mit, die BFE+
verfüge über:
„… zivile Fahrzeuge …“
und
„… Fahrzeuge mit polizeilicher Ausstattung.“
Einzige Bewaffnung:
„… dienstliche Pistole …“
sowie das
„… Gewehr G36c.“
Bernd Kahnert war 40 Jahre Polizeioffizier beim
Bundesgrenzschutz, Vorgänger der Bundespolizei. Sein Urteil zu
Bewaffnung und Ausstattung der BFE+ ist eindeutig:
O-Ton Bernd Kahnert, ehemaliger Polizeidirektor
Bundesgrenzschutz:
Das reicht meiner Meinung nach überhaupt nicht aus. Wir
brauchen schwere Waffen, schwere Maschinenwaffen, wir
brauchen Scharfschützengewehre, wir brauchen sogenannte
Deckungsbrecher und wir brauchen geschützte Fahrzeuge,
damit die eigenen Kräfte geschützt an dieses Objekt, an
diese Terroristen herangeführt werden können.
Die BFE+ im Kölner Hauptbahnhof. Ein Imagefilm über die neuen
Einsatzkräfte. Deren Aufgaben sind erstaunlich umfangreich. So
soll die BFE+:
- Verletzte versorgen und evakuieren
- schwer bewaffnete Terroristen bekämpfen
und sogar
- Zugriffsoperationen durchführen.
Doch die waffenstrotzende Action im Werbefilm ist weit entfernt
von der Realität.
An vielen Flughäfen und Bahnhöfen des Landes geht weiter der
bürgernahe Schutzmann mit Warnweste Streife – auch in Zukunft.
Bei Terrorangriffen soll die BFE+ unterstützen. Es bestehen
Zweifel, ob sie das tatsächlich kann.
Im Werbevideo präsentiert sich die neue Anti-Terror-Einheit heute
schon schlagkräftig. Tatsächlich aber wird es noch mindestens
zwei Jahre dauern, bis gerade einmal 250 Mann an fünf
Standorten stationiert sein werden.
Außerdem soll die BFE+ den Anti-Terror-Kampf offenbar ganz
nebenbei erledigen. Denn die neu gebildeten Einheiten sollen
hauptsächlich im normalen Polizeidienst eingesetzt werden. Will
der Innenminister etwa Personal sparen?
Auf Nachfrage teilt die Bundespolizei mit,
Zitat:
„Die Angehörigen der BFE+ sind als Teil […] der
Bundesbereitschaftspolizei auch weiterhin in deren
Aufgabenwahrnehmung eingebunden.“
Und weiter:
„Bei einem möglichen Aufruf […] als BFE+ nehmen die
Beamten lediglich andere Aufgaben wahr.“
Kann das im Ernstfall funktionieren? Die Grüne-Innenpolitikerin
Irene Mihalic glaubt nicht daran. Sie hat 20 Jahre Erfahrung im
Polizeidienst.
O-Ton Irene Mihalic, B‘90/GRÜNE, MdB, Fraktionssprecherin
für Innere Sicherheit:
Wir haben da ein gutes Beispiel, denke ich, und zwar in der
Silvesternacht im letzten Jahr. Da war die eine Einheit BFE+,
die wir hatten, bei den Einsatzmaßnahmen hier rund ums
Brandenburger Tor in Berlin eingesetzt und gleichzeitig
hatten wir aber eine Terrorwarnung in München. Es war Gott
sei Dank kein Anschlag, aber es hätte ja theoretisch einer
sein können. Da hätte man ja dann diese BFE+ aus Berlin
herauslösen müssen, nach München bringen müssen, damit
sie dort den Anti-Terror-Einsatz wahrnimmt. Und wer hätte
denn dann deren Aufgaben hier in Berlin übernommen?
Also, das kann ich mir irgendwie nicht so richtig vorstellen,
dass das wirklich bis in die letzte Faser durchdacht ist.
Kann das sein, Bereitschaftspolizisten mit Weiterbildung zum
Anti-Terror-Kämpfer - und das Ganze als Nebenjob?
Nachfrage beim Innenminister. Die Bundespolizei teilt schriftlich
mit:
Zitat:
„Die BFE+ ist keine Spezialeinheit und hat somit auch keine
gesondert geregelte Einsatzbereitschaft.“
Genau diese gesonderte Einsatzbereitschaft wird im Ernstfall
aber gebraucht.
[Brüssel, 22.03.2016]
Brüssel am 22. März. Der dritte koordinierte Terror-Anschlag.
Selbstmordattentäter sprengen sich am Flughafen und in der
Metro in die Luft. 32 Menschen sterben, mehr als 300 werden
verletzt.
Die Terroristen feiern den Anschlag im Internet und drohen auch
Deutschland mit Gewalt. Nach dem Anschlag verstärkt die
Bundespolizei die Grenzkontrollen an der belgisch-deutschen
Grenze. Drei Wochen dauert die Fahndung nach flüchtigen
Terroristen.
Ausgerechnet nicht dabei: die neue BFE+. Stattdessen im
Einsatz: normale Bereitschaftspolizisten mit unzureichender
Ausrüstung. Daran wird auch die neue BFE+ nichts ändern,
kritisiert die Gewerkschaft der Polizei.
O-Ton Jörg Radek, stellvertretender Bundesvorsitzender
Gewerkschaft der Polizei:
Zuerst vor Ort ist mit Sicherheit der ganz normale
Streifenbeamte mit seiner ganz normalen Ausstattung, die er
hat. Er wird als erster sein, der dort gefordert ist. Ihn müssen
wir auch stärken in seiner persönlichen Ausstattung.
Statt Polizisten besser auszustatten und Ausbildung und
Einsatzkonzepte der BFE+ zu überdenken, fordern Minister den
Einsatz der Bundeswehr im Innern - mal wieder.
Verteidigungsministerin von der Leyen bietet die Truppe zur
Terrorabwehr an.
Das Vertrauen in die Anti-Terror-Kämpfer von der neuen BFE+
kann nicht allzu groß sein.
O-Ton Jörg Radek, stellvertretender Bundesvorsitzender
Gewerkschaft der Polizei:
Die Bundeswehr im Inneren einsetzen zu wollen, ist das
Eingeständnis, dass wir in den letzten Jahren sowohl bei der
Bundespolizei, als auch bei den Landespolizeien massiv
Personal abgebaut haben. Die richtige Antwort wäre, dass
die Bundespolizei und die Polizeien der Länder verstärkt
Personal bekommen müssen.
O-Ton Irene Mihalic, B‘90/GRÜNE, MdB, Fraktionssprecherin
für Innere Sicherheit:
Wir brauchen die Bundeswehr nicht im Innern, weil die
Bundeswehr für diese Aufgaben, was
Terrorismusbekämpfung angeht, weder ausgebildet noch
vorgesehen ist. Das ist originäre Ausgabe der Polizei.
Mit den neuen Anti-Terror-Kämpfern von der BFE+ hat die Politik
mehr Sicherheit im Kampf gegen den Terror versprochen. Ein
Werbevideo wird dafür nicht reichen.
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