26.07.2016, Politik lässt Polizisten im Stich - Bedingt

Manuskript
Beitrag: Politik lässt Polizisten im Stich –
Bedingt einsatzbereit
Sendung vom 26. Juli 2016
von Marc Lindemann und Ulrich Stoll
Anmoderation:
Trauer, Fassungslosigkeit, auch Angst. München, Würzburg,
Ansbach. Wer schützt uns vor der Gefahr? Eine verunsicherte
Bevölkerung sucht nach Antworten. Eine Antwort hatte der
Bundesinnenminister schon vor über einem halben Jahr parat.
BFE+ lautet sie. Hinter diesem Kürzel stehen Spezialisten der
Bundespolizei, bestens auf- und ausgerüstet für den Anti-TerrorKampf - so das Versprechen. Ein Versprechen, das gleich
mehrfach gebrochen wurde, sagen Insider. Polizisten, die sich
bereit erklärten, ihr Leben zu riskieren für mehr Sicherheit und die
sich jetzt von der Politik im Stich gelassen fühlen. Marc
Lindemann und Ulrich Stoll berichten.
Text:
Der Amoklauf in München. Die Polizei war mit über 2.000
Beamten im Einsatz. Lange ging man von mehreren
schwerbewaffneten Tätern aus. Um die zu stoppen, sind
Spezialeinheiten der Polizei nötig.
Terror und Amoklauf - genau dafür haben Spezialisten der
Bundespolizei trainiert. Innenminister de Maizière präsentierte vor
acht Monaten stolz die neue Anti-Terror-Truppe: BFE+. Doch
beim Amoklauf in München kam sie gar nicht zum Einsatz.
Warum nicht?
O-Ton Thomas de Maizière, CDU, Bundesinnenminister:
Es sind dann die Beweis- und Festnahmeeinheiten „plus“,
also die neuen Einheiten, von denen Sie sprechen, davon
sind zwei betriebsbereit, in Bereitschaft versetzt worden,
allerdings bewusst nicht nach München verlagert worden,
weil angesichts der denkbaren Terrorlage die
Einsatzbereitschaft auch außerhalb Münchens durch uns
gewährleistet werden sollte und wollte.
An zwei Standorten, in Blumberg und St. Augustin, soll die BFE+
also einsatzbereit sein, sagt der Minister. Doch sein eigenes
Ministerium sagt etwas anderes und teilt nach dem Amoklauf mit:
Die BFE+ in St. Augustin habe noch nicht die nötige
Spezialausrüstung.
Zitat:
„In der BFE plus St. Augustin fehlen aktuell noch die
vorgesehen Schutzhelme. (…) Nach Auslieferung der
erforderlichen Führungs- und Einsatzmittel ist die BFE plus
St. Augustin einsatzbereit.“
Also doch noch nicht einsatzbereit. Das bestätigt ein Beamter der
BFE+ exklusiv gegenüber Frontal 21. Er will nicht erkannt
werden, fürchtet dienstrechtliche Konsequenzen.
O-Ton Angehöriger Bundespolizei, BFE+:
Schon am ersten Tag bei der Ausgabe der Waffen merkten
wir, dass etwas nicht stimmt. Die Visiere der Gewehre waren
kaputt. Es waren nur Schutzwesten in XXL-Größen da. Die
Schutzbrillen waren zerkratzt. Am ersten Tag hat man
gemerkt, dass da alles noch am Holpern war. Man hat uns
immer gesagt, dass seien Anfangsschwierigkeiten, das wird
sich alles legen.
Im Werbevideo wird die BFE+ gerne als gut ausgerüstete Truppe
präsentiert. Doch in der achtwöchigen Ausbildung fehlte es, so
der Zeuge, durchgängig am Nötigsten für den Anti-Terror-Kampf.
O-Ton Angehöriger Bundespolizei, BFE+:
Die Trainingshelme waren so zerkratzt, dass wir im Licht, bei
Sonnenschein, nicht weiter als drei Meter gucken konnten.
Die Helme waren sofort beschlagen. Man hätte sich auch
gleich ein Goldfischglas über den Kopf setzen können, das
wäre noch besser gewesen. Daher mussten wir uns die
Helme selbst kaufen.
Dagegen waren die bayerischen Polizisten beim Amoklauf in
München gut gerüstet - auch mit Schutzwesten, die einem
Kalaschnikow-Sturmgewehr standhalten.
Diese Ausrüstung hat, nach Aussage des BFE+-Beamten, die
Einheit in St. Augustin bis heute nicht. Demnach ist sie, anders
als der Minister behauptet, nicht einsatzbereit.
O-Ton Angehöriger Bundespolizei, BFE+:
Wir haben aktuell nur Schutzwesten der Klasse 2. Für die
vorgesehene Klasse 4 haben wir die leeren Hüllen
bekommen, ohne Platten. Die seien im Moment nicht
lieferbar, hieß es.
Auf Nachfrage bestreitet das Innenministerium den Mangel an
sicheren Schutzwesten.
In der neuen Anti-Terror-Truppe rumort es. Die Männer seien
nicht nur unzureichend ausgerüstet, sie fühlten sich im Stich
gelassen. Denn als Anti-Terror-Polizist zahlen sie drauf. Weil der
Dienst in der BFE+ besonders gefährlich ist, sind Unfall- und
Lebensversicherung für die BFE+-Beamten teurer. Der Insider
zeigt uns seinen neuen Versicherungsbescheid. Die Beiträge zu
seiner privaten Unfallversicherung seien um 100 Prozent
gestiegen, seit er Angehöriger der BFE+ ist.
O-Ton Angehöriger Bundespolizei, BFE+:
Alle Polizisten bekommen das gleiche Gehalt und wir
müssen dann aus der eigenen Tasche die
Zusatzversicherungen zahlen. Somit sind wir 100 bis 150
Euro im Monat schlechter gestellt. Obwohl wir freiwillig die
Gefahr auf uns nehmen. In beiden Einheiten sind deshalb
Leute wieder abgesprungen. Die waren finanziell nicht in der
Lage, in der Einheit zu bleiben, obwohl sie das gewollt
hätten.
Wir zeigen Bernd Kahnert, dem ehemaligen
Abteilungskommandeur des Bundesgrenzschutzes, also der
späteren Bundespolizei, die Aussagen des BFE+-Beamten. Sein
Urteil – eindeutig:
O-Ton Bernd Kahnert, ehemaliger Polizeidirektor
Bundesgrenzschutz:
Es ist höchst bedauerlich, dass, wenn Beamte so motiviert
sind, sie dann solche Enttäuschungen erleben müssen und
letztlich auch die Einsatzfähigkeit dieser Einheit ja nicht in
dem Maße gegeben wird, wie man es erwarten muss,
insbesondere bei dieser terroristischen Lage, die wir jetzt ja
auch in der Bundesrepublik Deutschland haben.
O-Ton Angehöriger Bundespolizei, BFE+:
Man wird unter diesen Voraussetzungen nicht viel von uns
erwarten können. Da kommt auch die Frage auf, ob im
Ernstfall die Behörde hinter uns steht. Die Stimmung ist
aktuell nicht gut.
Dabei hatte Thomas de Maizière vor acht Monaten etwas
versprochen:
O-Ton Thomas de Maizière, CDU, Bundesinnenminister:
Mit der Errichtung der sogenannten BFE+ ist hier ein
wichtiger Schritt getan, die öffentliche Sicherheit für unser
Land zu erhöhen.
Würzburg, München, Ansbach. Terror und Tote in Deutschland.
Ein Minister, der mehr Sicherheit verspricht, sollte das auch
halten.
Abmoderation:
Ehe Politiker jetzt aber gleich wieder nach dem Einsatz der
Bundeswehr im Innern rufen, sollten sie erstmal die Polizei
stärken.
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