Von Lazarus, dem reichen Mann und von der Liebe Predigt über Lukas 16,19-31 Pastorin Dr. Kirstin Faupel-Drevs Liebe Gemeinde, kennen Sie diese kleine Geschichte von Wilhelm Busch? Es ist eine Liebesgeschichte der besonderen Art: Miezel, eine schlaue Katze, Molly, ein begabter Hund, wohnhaft an demselben Platze, haßten sich aus Herzensgrund. Einst zur Jagd ging Miezel wieder auf das Feld, Da geht es bumm. Der Herr Förster schoss sie nieder. Ihre Lebenszeit ist um. Oh, wie jämmerlich miauen die drei Kinderchen daheim. Molly eilt, sie zu beschauen, und ihr Herz geht aus dem Leim. Und sie trägt sie kurz entschlossen zu der eignen Lagerstatt, wo sie nunmehr fünf Genossen an der Brust zu Gaste hat. Mensch mit traurigem Gesichte, spricht nicht nur von Leid und Streit. Selbst in Brehms Naturgeschichte findet sich Barmherzigkeit. Die Hündin versorgt die Katzenbabys ihrer ehemaligen Feindin, weil „ihr das Herz aus dem Leim geht“. Ich meine, darum geht es auch in dieser biblischen Geschichte: dass uns das Herz aus dem Leim gehen möge. Aber wie kommen wir dahin? Und wie kann uns diese offensichtlich so moralische Geschichte vom reichen Mann und dem armen Lazarus einen Fingerzeig dazu geben, der mehr als nur die Zunge kühlt? Wer in Billstedt wohnt, muss nicht lange schauen, bis er Lazarus findet. Manchmal schaut er sogar persönlich im Kirchenbüro vorbei. So wie neulich, da steht eine kleine Familie, drei Frauen, eine kleiner als die andere. Die älteste schiebt den Kinderwagen, darin liegt ein Büblein, gerade mal ein dreiviertel Jahr alt. Neben ihm – so vermute ich - die beiden älteren Schwestern, die eine etwa 16, die andere halb so alt. Sie halten sich aneinander fest. Dass sie etwas wollen, ist sofort zu sehen. Sie könnten alles brauchen, das sehe ich auch. Nicht nur zu essen, sondern auch etwas Neues anzuziehen. Oder einen Zahnarzt. Sie seien Schwägerinnen, erklärt die alte, die den Kinderwagen schiebt und der schon ein paar Schneidezähne fehlen. Die 16jährige sei nämlich die Mutter des Bübleins in dem Wagen, die gerade bei ihr wohnen würde. Wo solle sie schließlich sonst auch hin? Schule? Nein – abgebrochen. 1 Zur Hebammensprechstunde? Nicht so gerne – da gibt es Ärger, die Roma mögen das nicht. Aber Geld für Windeln bräuchten sie dringend. Und als ich ihnen den Hinweis auf unsere Kleiderkammer geben und auch noch ansagen kann, dass gerade heute die „Tafel“ hier stattfindet, fühle ich mich mindestens so erleichtert wie die kleinen Frauen über diese Perspektive. Billstedt – Lazarus lebt hier in vielerlei Gestalten und rückt oft ganz nah; und natürlich bin ich froh, in einer Kirchengemeinde sein zu dürfen, wo ihm die Türen nicht verschlossen sind. Manchmal geh ich ihm aber auch aus dem Weg, wenn er zu einfach viel will, und immer wieder anklopft, wenn es mir zeitlich gerade nicht passt oder ich mich einfach überfordert fühle. Dann werde ich schnell zum reichen Mann, der sich in den Garten seines Hauses zurückzieht, wo es sonnig und ruhiger ist als auf der Straße. Ihn, diesen reichen Mann, den kenne ich nämlich ebenso gut, das gebe ich zu. Ihn, der sorglos mit den eigenen Kindern in der Europa-Passage flanieren geht und ein Eis ißt. Vielleicht bin ich nicht ganz so reich wie er, der in Eppendorf wohnt und in Geschäften mit 77 Kaffeesorten die eine Lieblingsbohne herausfindet und sie dann noch mit der neuesten Schokokreation variieren läßt, aber ich kann auch einfach zu einem Geldautomaten gehen und mir das nötige Bargeld ziehen, wenn das Portemonnaie leer ist, ich kann meinen Kindern ein Sommercamp finanzieren und ich muss auch nicht auf den Cent achten, wenn ich meiner Familie zum saisonalen Lieblingsmittagessen mit Spargel, Schinken, Butter und Grauen Burgunder dazu versorge. Manchmal wird mir plötzlich bewusst, was für ein Privileg es ist, so abgesichert zu sein. Ich erschrecke, wenn ich Zeitung lese oder Nachrichten gucke, denn dort steht in unendlich vielen Varianten, dass nur ein Bruchteil der Menschen finanziell abgesichert, versorgt mit Bildung und Perspektive, Gesundheitssystem und regelmäßigen Sommerurlaub leben kann. Das macht mir manchmal auch ein schlechtes Gewissen. Nein, ich weiß nicht, wie ich das gutmachen oder ausgleichen kann. Muss ich dafür einmal „bezahlen“, frag ich mich? Und wenn ja, wird die Rechnung nicht ziemlich hoch sein, gemessen am Maß dessen, was anderen zu gleicher Zeit gefehlt hat oder was sie haben erdulden müssen im Vergleich zu mir? Wie sieht es in der biblischen Geschichte aus, die ihren Ursprung übrigens im damals reichen Ägypten hat? Sie ist ja sehr einfach in ihrer Botschaft: Der Reiche hat sein Leben gehabt. Nun ist es vorbei, Schluß! Aus! Feierabend! Seine Lebenszeit ist um. Er 2 landet in der Hölle und erkennt, was er sein Leben lang verdrängt hat, konkret: er sieht den, der vor seiner Tür im Dreck lag, und der jetzt im „Schoße“ Abrahams, des Urvaters, ruht. Auf alten Bildern tragen Engel die Seele des Lazarus direkt dorthin; Lazarus sitzt wie auf einem Ehrenthron, ein Platz, der sonst nur dem Jesuskind auf dem Schoß Marias vergönnt ist. Nun – in der Ewigkeit - ist alles umgekehrt: Der Arme, der weniger zu essen hatte als die Straßenköter, der ist jetzt glückselig und der ehemals Reiche ist der letzte Wurm, der auch noch in der Hölle braten muss. Das Besondere dabei: sie sehen einander, sie können sogar miteinander reden, aber der Graben zwischen ihnen ist absolut unüberwindbar. Über diesen Graben nun ruft der ehemalige Reiche den Stammvater Abraham an wie den lieben Gott: Bitte, Vater Abraham, erbarme dich meiner und sende Lazarus, damit er die Spitze seines Fingers ins Wasser tauche und mir die Zunge kühle; denn ich leide Pein in diesen Flammen. Die Antwort, die der Urvater gibt, ist wie eine Keule: Du hast deins gehabt, beklag dich nicht. Wie entstehen solche Geschichten? Und warum erzählen die Menschen sie einander weiter, so dass sie von Ägypten nach Israel und schließlich über viele hundert Jahre zu uns gelangen? Vermutlich deshalb, weil die Vorstellung unerträglich ist, dass es auf Erden offensichtlich keine Gerechtigkeit gibt, keinerlei Ausgleich zwischen reich und arm, verschont und ausgeliefert. Da ist die Vision eines Jenseits naheliegend, in der nicht nur die Guten belohnt und die Bösen bestraft werden, sondern in der ein allmächtiger Gott einen Ausgleich schafft und damit alles wieder in gute, weil menschlich nachvollziehbare Ordnung verwandelt. In diesem Weltbild haben die Reichen allerdings keine Chance auf Erlösung, auch nicht die fünf übrigen Brüder, für die der Mann bittet. Anders Lazarus. Er ist gerechtfertigt und im Himmel, sein Name hält, was ihm versprochen wurde; Lazarus heißt nämlich: „Gott hilft“. Ist es das, was wir glauben? Ist dies ein Gottesbild, das trösten kann? Warum erzählt Jesus diese Geschichte? Damit wir uns bessern? Damit wir abgeben lernen? Sicher, das auch. Aber nicht nur. Es gibt ein paar wertvolle Details darin, für die es sich lohnt, noch einmal genauer hinzuschauen: Zunächst die Erfahrung der Angst vor Tod und Abgrund danach. Wer schon mal einen Sterbenden begleitet hat, weiß, was für Fragen plötzlich im Raum stehen können: War mein Leben ein gutes Leben? Was habe ich versäumt an denen, die ich geliebt habe und auch an vielen anderen? Wieviel hab ich falsch gemacht, O Gott. Und wenn irgendwann kein Essen und Trinken mehr geht und nur noch ein Wattestäbchen mit Wasser die Zunge erfrischt. Das ist ganz real. In ihrem Sterben 3 werden Arme und Reiche einander gleich. Das ist eine Wahrheit des Lebens, mit der wir uns nur demütig abfinden können. Die Geschichte macht sie deutlich. Was noch? Die Geschichte zeigt auch: die eigentliche Hölle ist im Hier und Jetzt, in dieser Welt. Während wir in unseren Gärten sitzen und Spargel essen, fallen in Syrien immer noch Bomben. Immer und überall gibt es Menschen, die wie Lazarus und wie der arme Reiche in seiner Hölle verzweifelt fragen: Warum? Wo soll das hinführen? Wie lange noch? Gott, hilf doch bitte endlich! Und schließlich: Die Geschichte weist nicht nur hin auf Hunger und Durst nach einer gerechteren Welt, sondern auf eine Bedürftigkeit anderer Art: nämlich auf den unstillbaren Durst nach einer Lebensquelle, die Sinn und Erfüllung schenkt, und die das menschliche Herz zum Besseren verwandeln kann. Auch der Reiche erfährt in der Geschichte noch so etwas wie „Umkehr“; immerhin interessiert er sich für das Schicksal seiner fünf Brüder. Vielleicht ist das Szenario darum auch eher als eine Art Vorhölle zu verstehen, die den Blick auf das Dahinterliegende, eben auf die Quelle selbst, versperrt. Schauen wir die Geschichte im Gesamten an, wirkt sie wie ein Theaterstück, bei dem die Rollen gut verteilt sind. Bis auf eine. Die Stimme Gottes fehlt. Dies ist vielleicht das wichtigste der Details, die sich entdecken lassen. In der Geschichte antwortet nur der Altvater Abraham auf das Rufen des reichen Mannes. Die Stimme Gottes kommt gar nicht vor. Wo hören wir sie? Wir haben vorhin nicht nur das Evangelium, sondern auch die Epistel des Sonntags gehört. Sie ist so etwas wie die verborgene Stimme Gottes, die Jesus uns auch ans Herz legen will. Da heißt es nämlich im 1. Johannesbrief: Gott ist die Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm… Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus. Und in der alttestamentlichen Lesung für heute steht: Höre, Israel, der Herr ist unser Gott, der Herr allein. Und du sollst den Herrn, deinen Gott, liebhaben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit aller deiner Kraft. Und diese Worte, die ich dir heute gebiete, sollst du zu Herzen nehmen und sollst sie deinen Kindern einschärfen und davon reden, wenn du in deinem Hause sitzt oder unterwegs bist, wenn du dich niederlegst oder aufstehst (5. Mose 6,4-7). Das ist das Urbekenntnis Israels und die Liebe zu Gott ist das einzige Gebot, das Jesus den Seinen immer und immer wieder ans Herz legen möchte, damals wie heute. Vielleicht hat Jesus so geredet, nachdem er in die über die Lazarus-Geschichte betroffenen Gesichter geblickt hat. Vielleicht hat er so zu ihnen gesagt: Wenn du den 4 Mut hast, dich der Liebe Gottes ganz und gar anzuvertrauen, dann wird sie in dir alles klären und versöhnen und neu ausrichten. Diese Liebe wird dir eingeben, das Rechte zu tun; in ihr erkennst du, dass der vor deiner Tür dein Bruder ist. Und du wirst erkennen, dass nicht nur deine Kinder dich brauchen, sondern auch andere Kinder. Du wirst große Freude und die Fülle des Lebens finden, wenn du mit anderen dein Leben teilst. Hab also keine Angst, wenn dein Herz aus dem Leim geht, wenn alles anfängt zu wackeln; ich bin da und ich bin dein Gott. Und du bist mein geliebtes Kind und ich will, dass du lebst in Ewigkeit. Amen. 5
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