K. Vester: A Taste of Power 2016-2-131 Vester - H-Soz-Kult

K. Vester: A Taste of Power
Vester, Katharina: A Taste of Power. Food and
American Identities. Oakland: University of California Press 2015. ISBN: 978-0-52028-498-2;
283 S.
Rezensiert von: Caroline Rosenthal, Institut
für Anglistik/Amerikanistik, Universität Jena
Katharina Vesters Buch beschäftigt sich mit
den symbolischen Implikationen des Essens
in der amerikanischen Kultur. Wie bereits im
Titel ersichtlich, geht es ihr dabei vor allem
um gesellschaftliche Machstrukturen, die sich
in und durch Essordnungen manifestieren.
Das Essen, so die Grundthese des Buches,
macht uns zu bestimmten Subjekten. Essensdiskurse laden uns ein, uns als männliche
oder weibliche, als heterosexuelle oder homosexuelle, als amerikanische oder britische
Subjekte zu verstehen. Vester greift in ihrer
Analyse auf eine Vielzahl von Quellen zurück: auf Kochbücher und Kochkolumnen in
Zeitschriften, auf Hauswirtschaftsbücher, auf
literarische Texte, aber auch auf andere Medien wie TV-Kochshows oder Blogs ebenso wie
auf Stillleben in der Malerei.
In der Einleitung benennt die Autorin die
theoretischen Paten ihrer Arbeit: „This book
owes its underlying understanding of how
American culture employed food discourses
in the production of subjectivities to the theoretical frameworks of Norbert Elias, Pierre
Bourdieu, and, most prominently Michel Foucault.“ (S. 5) Von Foucault entlehnt Vester vor allem die Annahme, dass nationale
wie geschlechtliche Identitäten diskursiv verfasst und umkämpft sind und es hegemoniale ebenso wie widerständige Wissensdiskurse gibt. Elias’ theoretisches Werk erlaubt es
ihr, die sozialen Auswirkungen des Essens zu
betrachten. Anweisungen zu Essmanieren etwa definieren Klassenzugehörigkeiten ebenso
wie bestimmte Gerichte Indikatoren für regionale und ethnische Zugehörigkeit sind. Bourdieu wird aufgerufen, um das kulturelle Kapital des Essens zu bestimmen, denn der Habitus, der Essen und Essordnungen innewohnt,
schafft Differenzen. Rezepte und Anweisungen zur Zubereitung und zum Verzehr von
Essen etwa statten das Subjekt mit einer kulturellen Kompetenz aus, welche die Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe markiert.
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Im ersten Analysekapitel, „‘For all Grades
of Life’: The Making of a Republican Cuisine“,
stellt Vester sich der Frage, wie die Semiotisierung des Essens sich in der frühen amerikanischen Republik auf die Formation nationaler Subjekte ausgewirkt hat. Von der amerikanischen Revolution bis etwa 1840, bildete sich in Neuengland eine „republican cuisine“ (S. 11) heraus, die sich bewusst von europäischen Werten abgrenzte. Während diese mit Dekadenz und britischem Imperialismus assoziiert waren, machte die neue amerikanische Küche sich tugendhafte Einfachheit
als genuinen Marker amerikanischer Identität
zu eigen. Die einfache Küche wurde gleichgesetzt mit Gesundheit, Mäßigung, Bescheidenheit, Disziplin und Selbstbeherrschung, mit
Werten, die zu den Grundpfeilern eines amerikanischen demokratischen Selbstverständnisses avancierten. Obwohl diese „republican
cuisine“ sich als gesamtamerikanische gerierte, war sie, so Vester, keineswegs frei von Ausgrenzungsmechanismen, sondern verschleierte diese geschickt. Für Vester etablierte sich
so eine weiße amerikanische Mittelklasse, die
sich selbst als unmarkierten Standard begriff
und die neuenglische als hegemoniale Identität gegenüber anderen Regionen und Ethnien der USA behauptete. Ab den 1820er-Jahren
gesellten sich zum neuengländischen Essensdiskurs Kochpraktiken, die entweder regionale Exotik oder kosmopolitische Raffinesse favorisierten, die der republikanischen Einfachheit widersprachen.
Das zweite Analysekapitel, „‘Wolf in Chef’s
Clothing’: Manly Cooking and Negotiations
of Ideal Masculinity“, widmet sich Konstruktionen von Männlichkeit im Zusammenhang
mit Essen. Untersucht wird der Zeitraum
von 1890–1970 in Kochbüchern und Literatur. Während im 19. Jahrhundert Frauen
sich eine Expertise in Kochbüchern erwarben,
drängten ab dem 20. Jahrhundert Bücher auf
den Markt, die „manly cooking“ propagierten
und sich vehement gegen den Verdacht der
Verweichlichung und Verweiblichung abzusetzen suchten. Vester zeigt eindrücklich, wie
hierfür auf etablierte Bilder und Symboliken
von Männlichkeit zurückgegriffen wurde, etwa auf den „lonesome cowboy“, der am Lagerfeuer seine flapjacks und Bohnen zubereitet, oder den „hardboiled detective“, dessen
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Männlichkeit sich unter anderem darin zeigt,
dass er allein von Leberwurstbroten lebt. In
den 1950er- und 1960er-Jahren gab die symbolische Konstruktion des Gourmet Männern
einen Platz in der Küche, der sie von Frauen
unterschied, denn der einfachen Alltagsküche
der Frauen konnte er etwas Exotisches, Genialisches und Geheimnisvolles entgegensetzen. Männermagazine wie Esquire oder Playboy versuchten ebenfalls, die private Sphäre zu maskulinisieren. Die von Playboygründer Hugh Hefner moderierte TV Show „Playboy’s Penthouse“ (1959–1960) etwa etablierte
die „kitchenless kitchen“, in der Männer im
Wohnzimmer auf einem Chafing-Dish über
offener Flamme kochten und sich so aus der
weiblich konnotierten Sphäre der Küche entfernten.
Ähnlich wie im ersten Kapitel will Vester diesem hegemonialen Diskurs der weißen männlichen Mittelklasseschicht andere
Diskurse entgegensetzen. Sie untersucht dazu Kochbücher afroamerikanischer Männer
aus den 1960er-Jahren, die durch die Aneignung von „southern soul food“ eine schwarze Mittelklasse etablierten. Gerichte und Zutaten wie etwa Schweineinnereien, die ehemals mit Sklaverei, Armut und südstaatlicher
Provinzialität assoziiert waren, wurden durch
„racial pride“ (S. 129) neu semiotisiert und salonfähig.
Im letzten Analysekapitel, „‘The Difference
is Spreading’: Recipes for Lesbian Living“,
wird der Zusammenhang von Essen und Sexualität untersucht, insbesondere wie lesbische Frauen sich in Kochdiskurse einschreiben. Den Auftakt macht Gertrude Stein’s Text
„Tender Buttons“ von 1914, der weibliche Autorität unter Rückbezug auf Haushalts- und
Kochbücher herstellt und zugleich in Frage
stellt, indem die dort gesetzten Normen zugunsten einer anderen „Ökonomie des Begehrens“ unterlaufen werden. Auch das von
Steins Lebensgefährtin 1954 veröffentlichte
„The Alice B. Toklas Cook Book“ unterminiert laut Vester die Heteronormativität von
Kochbüchern, so dass Kochen für Vester zur
Trope der Differenz wird (S. 139). Während
lesbische Kochbücher im 20. Jahrhundert oft
Rezepte mit autobiographischen Erzählungen
des coming out oder der sexuellen Selbstfindung verknüpften, lässt diese Tendenz im
21. Jahrhundert nach zugunsten eines affirmativen lustvollen Kochens von Frauen mitund füreinander. Zudem werden, wie etwa
in der TV-Show „Cooking with Lesbians“, Erwartungen an Kochen und Weiblichkeit sowie
an Homosexualität bewusst unterlaufen und
parodiert.
Vesters Buch ist ein Gewinn für jeden, Akademiker wie Laien, der sich für die literarischen, gesellschaftlichen, historischen, anthropologischen oder medialen Bedeutungen
von Essen interessiert. Die geringe Theorielastigkeit der Arbeit hat den Vorteil, dass Vesters Buch sich durch eine hohe Lesbarkeit
auszeichnet. Dennoch hätte die Leserin sich
an einigen Stellen mehr theoretische Reflexion gewünscht. Was beispielsweise sind das
„American project“ (S. 3), „normative masculinities“ (S. 14) oder „hegemonic femininity (S. 66)? Judith Butler hätte hier durchaus
kurz angeführt werden können, ebenso wie
Louis Althusser oder Antonio Gramsci, um
die Formation des Subjektes in hegemonialen
Diskursen und die Subversion derselben besser verständlich zu machen. Denn oft erscheinen die anderen Diskurse, die in Kapitel eins
und zwei zusammengefasst und den hegemonialen entgegengestellt werden, gar nicht
als Gegendiskurse, sondern einfach als solche,
die gleichzeitig existierten, sich aber in keiner Weise in den hegemonialen Diskurs einer
weißen Mittelklasse einschrieben.
Die Studie hätte zudem durch einen klareren Fokus nur auf Geschlecht und Essen gewonnen. Das stärkste und ausgereifteste Kapitel der Studie ist das zweite Kapitel zu Maskulinität und Essen. Hier gelingt es Vester
im Rückgriff auf Essenspraktiken im frühen
20. Jahrhundert überzeugend zu zeigen, dass
Männlichkeit sich nicht mehr in Abgrenzung
zu „boyhood“ (S. 104), sondern zu Weiblichkeit konstatierte. Die untersuchten Kochbücher strotzen vor Frauenfeindlichkeit und Sexismus, um den kochenden Mann nur ja nicht
effeminiert oder gar homoerotisch interessiert
erscheinen zu lassen. Viele der vorgestellten
Rezepte aus den 1950er-Jahren etwa zeigen,
wie Mann sich den Weg ins Bett einer Frau
erkocht. Das dritte Kapitel ist das am wenigsten einheitliche, aber es präsentiert interessante neue Quellen und beschreitet neues Terrain. In einer ersten Suchbewegung, mehr als
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K. Vester: A Taste of Power
einer kohärenten Analyse, spürt Vester hier
gewinnbringend Erzählungen, Strategien, Bildern und Symboliken nach, die sich einer heterosexuellen Norm widersetzen und über die
Repräsentation und den Verzehr von Essen
ein anderes Begehren und einen anderen sexualisierten Körper in die Kultur einschreiben.
HistLit 2016-2-131 / Caroline Rosenthal über
Vester, Katharina: A Taste of Power. Food and
American Identities. Oakland 2015, in: H-SozKult 27.05.2016.
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