taz.die tageszeitung

Bayer will Monsanto kaufen
Zusammen wären die Firmen der weltweit wichtigste Saatgut- und Pestizidhersteller ▶ Seite 4
AUSGABE BERLIN | NR. 11025 | 21. WOCHE | 38. JAHRGANG
DIENSTAG, 24. MAI 2016 | WWW.TAZ.DE
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H EUTE I N DER TAZ
Jöööö!
FILM Die deutsche
Regisseurin Maren Ade
hat in Cannes den internationalen Kritikerpreis
geholt ▶ SEITE 15
ÖSTERREICH Der grüne
GEWALT 22.960 rechts-
Professor Alexander
Van der Bellen gewinnt
die Stichwahl zum
Bundespräsidenten –
mit 31.026 Stimmen
Vorsprung ▶ SEITE 2, 3, 12
extreme Straftaten
notierten die Sicherheitsbehörden im vergangenen Jahr ▶ SEITE 6
FERIENWOHNUNGEN
Berliner Zweckentfremdungsverbot kommt
ins Stocken ▶ SEITE 21
Fotos: dpa
VERBOTEN
Geh, bitte, meine gnädigen
Damen und verehrten Herren!
Uroarg, da ist es sich ums
Oasch­lecken noch mal aus­
gangen. Da dachte schon die
hoibate Wöt, dei hohe Zeit
wär lang vorüber, liebes Aus­
tria. Aber der greane Xandi hat
den Hofer Norbi erfolgreich
abbeidelt. Gscheit eine ange­
taucht hat er ihm, abgfotzt,
den oiden Deppen. Da wird er
gachzornig werden, der Un­
gustl, der dalkerte. Ein Wapler
sondergleichen. Oder? Wo er
doch so dermaßen reüssiert
hat beim sogenannten anfa­
chen Volk. Da wird er jetzt aber
dasig sein. Dös gschieht ihm
gescheit recht! Und wenn ihr
woits, sagts ganz allaa
I am from Austria.
Ein Murmeltier in den österreichischen Alpen grüßt den Sonnenaufgang Foto: Blickwinkel/picture alliance
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20621
4 190254 801600
KOMMENTAR VON ANDREAS FANIZADEH ZU VAN DER BELLENS WAHLSIEG IN ÖSTERREICH
D
er FPÖ-Politiker Norbert Hofer sah
schon wie der sichere Sieger aus.
Doch dann konnte ihn sein Kontrahent Alexander Van der Bellen auf
der Zielgerade gerade noch abfangen.
Nicht der Rechtspopulist zieht nun als
neuer österreichischer Präsident in die
Wiener Hofburg ein, sondern der grüne
Wirtschaftsprofessor. Mit hauchdünnem
Vorsprung entschied der die Stichwahl
für sich. Europa kann aufatmen.
Groß war die Sorge vor einem
Rechtspopulisten in der Wiener Hofburg.
Hofer hatte im Wahlkampf angedeutet,
dass er als Präsident das Parlament auflösen würde, sofern es seiner Partei, der
FPÖ, nützen würde. Die punktet seit Jah-
Europa atmet auf
ren als vermeintliche Stimme des „kleinen Mannes“ mit Ausländerfeindlichkeit. Besonders in den Vorstädten und
ländlichen Regionen verfangen die Botschaften der Rechtspopulisten. Deren
Feindbild ist in Österreich nicht nur die
Europäische Union. In unverschämter
Weise provozieren FPÖ-Politiker immer
wieder mit Anleihen beim historischen
Nazismus. Ein FPÖ-Präsident in der Hofburg hätte sich weiterhin als Opposition
zum „System“ und der Europäischen
Union verstanden.
Die spannende Frage in Österreich
bleibt nun, wie die früheren Staatsparteien, also die sozialdemokratische SPÖ
und die christlich-konservative ÖVP, auf
ihre jüngsten Niederlagen reagieren. Der
Grüne Van der Bellen lag jetzt in fast allen Städten vorn, aber nur in einem einzigen Flächenbundesland, in Vorarlberg.
Dort regiert eine Koalition aus ÖVP und
Grünen. Bei Schwarz-Grün in Vorarlberg
und Rot-Grün in der Wiener Landesregierung lassen sich Modelle für eine erfolgreiche Modernisierung der ehemaligen
Großparteien SPÖ und ÖVP finden.
Demokraten müssen näher
ran an die Ängstlichen und
schlecht Gelaunten
Die Schwäche von Christ- und Sozialdemokraten bildet den Ausgangspunkt
für den Höhenflug der FPÖ. Wenn sich
das Beinahewahldesaster nicht wiederholen soll, dann müssen die österreichischen Demokraten näher an die Bevölkerung heran. Sie müssen die Ängstlichen
und die schlecht Gelaunten in der wohlhabenden Alpenrepublik dabei an ihre
Eigenverantwortung erinnern und zur
Teilhabe an den gesellschaftlichen Vorgängen ermuntern.
Ein Einknicken vor Sozialdarwinisten
und den Feinden einer offenen Gesellschaft wird dabei nicht helfen. Kämpfen
lohnt sich – wie der Wahlsieg Van der Bellens zeigt.
02
TAZ.DI E TAGESZEITU NG
PORTRAIT
NACH RICHTEN
ERBSCHAFTSTEUER
WOH NUNGSEI N BRÜCH E
Schäuble hofft noch auf Koalitionseinigung
Versicherer fordern
Bauvorschriften
BERLIN | Bundesfinanzminister
Muna Duzdar, österreichische
Staatssekretärin der SPÖ F.: reuters
Fachfrau für
Integration
N
orbert Hofer, wäre er Präsident geworden, hätte sie
nicht vereidigt, wenn sie
mit Kopftuch erschienen wäre.
Muna Duzdar, neue Staatssekretärin der SPÖ im Bundeskanzleramt, war die meistdiskutierte
Personalentscheidung des SPÖBundeskanzlers Christian Kern.
„Religion ist Privatsache“, versicherte die 1978 in Wien geborene
Tochter palästinensischer Einwanderer in einem Interview.
„Mir wäre gar nicht in den Sinn
gekommen, ein Kopftuch zu tragen. Dass er überhaupt auf so
eine Idee kommt, ist merkwürdig“. Arabisch spricht Duzdar genauso fließend wie Wienerisch,
ihre Heimatstadt lobt sie als die
schönste Stadt der Welt.
Dass die studierte Juristin
und erfolgreiche Anwältin sich
auch für Integration einsetzen
will, ergibt sich schon aus ihrem
Lebenslauf. Ohne Deutschförderkurs in der Volksschule und
Förderung im Gymnasium hätte
sie es nicht geschafft, ist Duzdar
überzeugt. In der ÖVP sehen das
manche als Kampfansage an
Außenminister Sebastian Kurz,
der auch für Integration zuständig ist. Auch was die Kenntnis
des arabischen Raums betrifft,
dürfte sie dem Minister, der
sein Studium nicht abgeschlossen hat, einiges voraushaben.
An der Pariser Sorbonne hat sie
ein Masterstudium, Internationales Recht, absolviert.
Sie muss sich verteidigen
Duzdar hat sich schon verteidigen müssen: gegen den Vorwurf,
zu links zu sein, unterschwellig
gegen ihre Religionszugehörigkeit und für ihre Position als
Vorsitzende der PalästinensischÖsterreichischen Gesellschaft.
So wird ihr immer wieder ein
Bekenntnis zum Existenzrecht
des Staates Israel abverlangt.
„Meine Vorgängerin hat sicher
nie zu Israel Stellung nehmen
müssen“, beschied sie dem Kurier. Ihr Engagement für Friedenscamps mit israelischen und
palästinensischen Jugendlichen
ist aber unbestritten.
In der FPÖ wollte man die
junge Staatssekretärin für die
Einladung der einstigen Aktivistin der palästinensischen
Gruppe Abu Nidal, Leila Khaled,
zu einem Vortrag in Wien verantwortlich machen. Die Frau,
die nach einer Flugzeugentführung die Hälfte ihres Lebens im
Gefängnis verbracht hat, war im
April in Wien – auf Einladung
des Österreichisch-Arabischen
Kulturzentrums. RALF LEONHARD
Der Tag
DI ENSTAG, 24. MAI 2016
Wolfgang Schäuble (CDU) hat
vor einem Scheitern der Erbschaftsteuer-Reform gewarnt.
Es wäre kein Ruhmesblatt, sollte
die Besteuerung von Firmenerben nicht, wie vom Bundesverfassungsgericht verlangt, bis
zum 30. Juni neu geregelt sein.
„Ich hoffe immer noch, dass der
Gesetzgeber dazu in der Lage
ist“, sagte Schäuble am Montag .
Das Bundesverfassungsgericht hatte der Politik eineinhalb Jahre Zeit gegeben, um die
bisherige Begünstigung von
Firmenerben bei der Erbschaftund Schenkungsteuer bis Ende
Juni 2016 neu zu regeln. Es hatte
einige Privilegien für Firmenerben gekippt. Ihn ärgere, dass die
Novelle in der großzügig bemessenen Zeit noch nicht beschlossen sei: „Eigentlich sind die Arbeiten fertig. Jetzt müssten sich
nur noch die Parteivorsitzenden
irgendwie einigen“, so Schäuble.
CDU, CSU und SPD im Bundestag hatten sich im Februar
auf ein Modell für die künftige
steuerliche Behandlung von Firmenerben verständigt. Bayern
und die CSU pochen aber auf
weitergehendere Begünstigungen und Korrekturen zugunsten
der Wirtschaft. (dpa)
BERLIN | Wegen der Zunahme
von Wohnungseinbrüchen hat
der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft
(GDV) neue Bauvorschriften gefordert. Diese sollten die Mindestanforderungen für neu
eingebaute Fenster und Türen
festsetzen, um bundesweit einen besseren Schutz gegen Einbruch zu schaffen, sagte der Vorsitzende der GDV-Geschäftsführung, Jörg von Fürstenwerth, der
Neuen Osnabrücker Zeitung gestern. Nach Ansicht des Verbandes sollte der Staat diese Maßnahmen fördern. (epd)
TH EM EN-SCHWERPU N KTE
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NATIONALSPI ELER I N MEKKA
Özil veröffentlicht
Pilgerfoto
| Fußball-Nationalspieler Mesut Özil (27) hat sich
in Pilgerkleidung vor dem islamischen Heiligtum in Mekka
ablichten lassen und das Foto
online veröffentlicht. Nur 15
Stunden nachdem das Bild
auf Facebook online gegangen
war, hatten es bereits 1,5 Millionen Nutzer mit „Gefällt mir“
markiert. Das Foto zeigt Özil
ganz in Weiß gekleidet vor der
Kaa­ba im Zentrum der Großen
Moschee in Mekka. Viele Nutzer
sahen darin einen Aufruf zur Toleranz, wie sich in den Kommentaren widerspiegelte. (dpa)
LONDON
Die schier unglaubliche Aufholjagd
ÖSTERREICH Nach einem Schulterschluss gegen rechts in letzter Minute gewinnt Alexander Van der Bellen
hauchdünn die Wahl zum Bundespräsidenten. Entscheidend sind dabei die Briefwahlstimmen
AUS WIEN RALF LEONHARD
Der von den Grünen unterstützte Alexander Van der Bellen
hat mit 50,3 Prozent der Stimmen das Kopf-an-Kopf-Rennen
um die österreichische Bundespräsidentschaft gewonnen.
Gegenkandidat Norbert Hofer
von der rechtsnationalen FPÖ
erkannte am späten Montagnachmittag seine Niederlage
an, noch bevor die offiziellen
Zahlen des Innenministeriums
als vorläufiges Endergebnis verkündet wurden.
Nach der Auszählung der
Briefwahlstimmen liegt Van
der Bellen um 31.026 Stimmen
vorn. Gäbe es diese Stimmen
nicht, hätte Hofer mit 51,9 Prozent klar gewonnen. Christoph
Hofinger vom Umfrageinstitut Sora erklärt den Vorteil für
den ehemaligen Grünen-Chef
damit, dass Briefwähler eher
urban, mobil und überdurchschnittlich gebildet sind.
Hofers Parteichef HeinzChristian Strache misstraut
den Briefwählern und sagte, er
wolle die Wahl anfechten. Robert Stein, der Leiter der Wahlbehörde im Innenministerium,
versicherte aber, ihm seien
„keine Rechtswidrigkeiten“ bei
Stimmabgabe oder Auszählung
zu Ohren gekommen.
Schon am Sonntagabend bei
seiner Wahlfeier im Wiener Prater hatte Hofer seine Fans auf
eine Niederlage eingestimmt.
„Wir haben heute Geschichte geschrieben“, verkündete er mehreren Hundert Fans. Schließlich habe jeder zweite Bürger
die FPÖ gewählt. Entweder er sei
am Montag Bundespräsident,
oder „in zwei Jahren ist HeinzChristian Strache Bundeskanzler und vier Jahre später bin ich
noch dazu Staatsoberhaupt.“
Van der Bellen will sich bemühen, die Gräben, die während des langen und oft zermürbenden Wahlkampfs aufgerissen
wurden,
wieder
zuzuschütten. Die Bruchlinien
im Land verlaufen entlang der
Stadt-Land-Grenzen. Was Hofer in den ­kleinen Gemeinden
an Vorsprung aufbauen konnte,
machte der Grüne in den Städten und deren Umland wieder
wett. Die Wahlentscheidung ist
aber genauso eine Frage des Bildungsniveaus.
Die unglaubliche Aufholjagd
Van der Bellens, der nach Hofers deutlichem Sieg in der ersten Runde als Außenseiter in
die Stichwahl ging, ist einem
Schulterschluss gegen rechts
zu verdanken. Seine Strategie,
die Wähler der ausgeschiedenen Kandidaten ins Boot zu ho-
len, ist voll aufgegangen. Wählerstromanalysen zeigen, dass
der Wirtschaftsprofessor zwei
Drittel der Anhängerschaft einer unabhängigen Richterin
und drei Viertel der SPÖ-Wähler aus dem ersten Durchgang
für sich gewinnen konnte.
Die prominentesten Sozialdemokraten legten ihre Stimme
offen, allen voran der neue Bundeskanzler Christian Kern und
Wiens Bürgermeister Michael
Häupl. In Wien mobilisierte
die SPÖ sogar ihr Fußvolk und
stellte ihre Plakatflächen zur
Verfügung. So konnte Alexander Van der Bellen in der Bundeshauptstadt den entscheidenden Vorsprung holen und sogar
FPÖ-Hochburgen wie den 10. Bezirk, den Arbeiterbezirk „Favoriten“, gewinnen.
Von den ÖVP-Wählern entschied sich eine knappe Mehrheit für den Grünen, obwohl offene Unterstützung vor allem
von nicht mehr aktiven Politikern kam. Viele folgten der Empfehlung von Exwirtschaftsminister Martin Bartenstein, weiß,
also ungültig zu wählen. Auch
bei den Nichtwählern hatte Ho-
Letzten Endes verdankt Van der Bellen
sein Ergebnis den
jungen Frauen
fer das Nachsehen. Van der Bellen konnte 50 Prozent mehr von
ihnen mobilisieren.
Van der Bellen hat seinen Sieg
vielleicht auch einem durchgeknallten Neonazi zu verdanken, der in der Nacht auf Sonntag beim Fest eines Motorradclubs in Vorarlberg in die Menge
schoss und zwei Männer tötete,
bevor er sich selbst eine Kugel
in den Kopf jagte. „Man stelle
sich vor, das wäre ein traumatisierter Flüchtling gewesen“,
seufzte ein Grünen-Aktivist im
Palais Auers­perg. Ein paar Tausend Stimmen wären leicht auf
die andere Seite gewandert. Vorarlberg ist heute neben Wien
das einzige mehrheitlich grüne
Bundesland (siehe Seite 3).
Letzten Endes verdankt der
72-jährige Professor sein Ergebnis den jungen Frauen. Frauen
unter 30 haben zu 67 Prozent
Van der Bellen gewählt. Und ihre
Wahlbeteiligung lag mit 80 Prozent deutlich über dem Durchschnitt von 72 Prozent. Nur die
Wählergruppe mit Hochschul-
Heul doch: Norbert Hofer ist nicht Bundespräsident geworden Foto: Hetfleisch/getty
abschluss war mit 81 Prozent
noch aktiver. Auch Angestellte,
öffentlich Bedienstete und
Selbstständige votierten deutlich für ihn.
Dass Hofer bei Arbeitern unglaubliche 86 Prozent erzielte,
zeigt, dass die Klassenfrage wieder im politischen Diskurs angekommen ist. Pensionisten,
die letzte solide Bastion von
SPÖ und ÖVP, konnte er immerhin zu 53 Prozent überzeugen.
Frauen über 60 finden sich aber
zu 56 Prozent bei Van der Bellen.
Schwerpunkt
Österreich
DI ENSTAG, 24. MAI 2016
TAZ.DI E TAGESZEITU NG
03
Es gibt nichts daran zu deuteln: Die Hälfte der Österreicher
haben einen Mann gewählt, der rechtsextreme Ideen pflegt
Jubeln? Das lässt sich nicht mehr schönreden
ESSAY Die österreichische
Fahndungslisten stehen. Aber
mal ehrlich, wer einen Rechtspopulisten wählt, der mehrmals
gesagt hat, dass er gegen den EUBeitritt stimmen würde, jemanden, der die Bevölkerung „gegen
die neue Völkerwanderung verteidigen“ will und im Parlament
gemeinsam mit seiner Fraktion
mit einer Kornblume im Knopfloch auftaucht, die als ein Ersatzzeichen für verbotene Symbole
und Zeichen der NSDAP gilt,
nein, der ist vielleicht nicht automatisch ein Nazi. Aber er ist
schon mal eindeutig nicht links
und hat auch mit der Mitte nicht
mehr viel zu tun.
Rund 50 Prozent der Wahlberechtigten haben sich geweigert, einen ehemaligen Grünen
zu wählen, einen Hochschulprofessor mit wirtschaftlichem Know-how, einen Vertreter, der die Republik internatio-
taz-Redakteurin Saskia Hödl läuft
durch das sonnenbeschienene Wien –
und graust sich darüber, was diese
Wahltage über ihre Heimat verraten
AUS WIEN SASKIA HÖDL
Nach sieben Wochen Wahlkampf, zwei Wahlgängen und
zwei „Tagen der großen Entscheidung“ hat Österreich am
Montag, dem dritten „Tag der
großen Entscheidung“, einen
Wahlkater.
Im Fernsehen spricht man
nach der Stichwahl von einem
„Wahlthriller“ und dem „längsten Wahlsonntag aller Zeiten“.
Ich habe mich aber eher gefühlt,
als hätte meine Lieblingsfußballmannschaft kurz vor dem
Finale entschieden, unter die
Synchronschwimmer zu gehen.
Ich war perplex und fassungslos über den Stimmverlust an
die Rechten.
Es war einfach zu viel. In den
Wochen zuvor wurden im ganzen Land Großeltern bekehrt,
Freunde in die Wüste geschickt
und um die Ungültigwähler aus
der ersten Runde des Präsidentschaftswahlkampfes am 24. April gebuhlt. Im realen Leben und
in den sozialen Medien wütete
ein zermürbender Lagerwahlkampf.
Da hat es kurz, aber laut
in der Seele geschnalzt
Am Sonntagabend, nach mehreren Stunden des Abwartens und
Mitfieberns mit rund Tausend
Unterstützern auf dem Wahlfest
der Grünen in Wien, mit strapazierten Mobilfunknetzen und
Menschen, die letztendlich ein
Ergebnis bejubeln, das einem
die Zehennägel aufrollen lässt,
wollte ich mich schlicht nur
noch verstecken.
Schließlich war klar, dass
das Ergebnis erst Montagabend
kommen würde; dass das ganze
Land noch einen weiteren Tag
darauf warten musste, endlich
zu erfahren, ob es jetzt denn,
verdammt noch einmal, einen
ehemaligen Grünen und Volkswirtschaftsprofessor oder einen
Rechtspopulisten aus der FPÖ
als Besetzung für das höchste
Amt in der geschichtsschwangeren Hofburg auserkoren hat.
Noch während ich diese Information für mich verarbeitete, hat es irgendwo in meiner
Seele kurz, aber laut geschnalzt,
als wäre eine Sehne gerissen. Etwas später, auf dem Heimweg,
fragte ich mich, ob meine Verstimmung nun Politikverdrossenheit oder Nationalismus sei.
Ich musste mir irgendwo Patriotismus eingefangen haben.
Der deutsche Satiriker Jan
Böhmermann stellte unterdessen auf Twitter die Frage, ob Österreich nun halb voll oder halb
leer sei und die österreichische
Twitteria antwortete beinahe
geschlossen, man werde sich
nun erst einmal gepflegt betrinken.
Ich musterte die sonnengeküssten Frauen und Männer mit
ihren Skateboards und Kinderwagen in der U-Bahn, und mir
wurde klar, dass die Hälfte dieser Menschen einen Rechten gewählt hat.
Ja, ich weiß, es waren natürlich nicht diese Menschen. Und
es waren nicht alle Österreicher:
Von 8,7 Millionen Einwohnern
waren nur 6,3 Millionen wahlberechtigt, die Wahlbeteiligung
lag wohl irgendwo zwischen 60
und 70 Prozent. Und ja, Wien ist
sowieso immer weniger rechts.
Aber genau das ist ja das Problem: Es geht nur noch darum,
wer weniger rechts ist. Österreich kann sich dieses Wahlergebnis diesmal leider nicht
schönreden. Denn auch wenn
der Stimmenanteil für Van der
Bellen im eigenen Wahlbezirk
hoch war, ist es anderswo genau
umgekehrt, sonst ergäbe sich ja
nicht diese Pattsituation, sonst
hätte man nicht so einen Wahlkater.
In fünf Gemeinden gab es
übrigens wohl tatsächlich eine
exakte 50-zu-50-Situation. Das
knappe Ergebnis bedeutet seit
Sonntag für die ganze Welt,
dass man sich in Österreich offenbar irgendwo auf die Straße
setzen kann, einen Stein werfen und mit einer 50-prozentigen Wahrscheinlichkeit einen
Rechten treffen kann.
Jetzt ist das, was man schon
befürchtet hatte, offiziell. Und
natürlich sind nicht alle Wähler
von Norbert Hofer automatisch
Stiernackennazis, wie sie auf
Ich musste mir
irgendwo
Patriotismus
eingefangen
haben
nal repräsentieren könnte. Laut
Wählermotivbefragung, weil
Norbert Hofer die Sorgen der
Menschen verstehe und sympathisch sei.
Das Land ist polarisiert – und
auch wenn mir gleich alle mit
dem Phrasenschwein hinterherlaufen werden, es ist gespalten:
Frauen gegen Männer, alt gegen
jung, Stadt gegen Land, links gegen rechts und international gegen national.
Nun geht der FPÖ-Chef
Strache als Underdog
in die Nationalratswahl
Österreichs künftiger Bundespräsident Alexander Van der Bellen. Ein knapper Sieg Foto: Lisi Niesner/dpa
Diese Gräben zu überwinden
wird nun die Aufgabe aller Österreicher und ihrer neuen Regierung sein. Vonseiten der FPÖ
ist schon seit Sonntag präventiv
von falscher Stimmenauszählung die Rede.
Kein unkluger Schachzug,
denn FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache geht so als verhinderter Underdog in die Nationalratswahl 2018. Er will Bundeskanzler werden. Das knappe
Wahlergebnis, das Van der Bellen schließlich gerade noch so
zum österreichischen Präsidenten macht, hat Strache nur weiter bestätigt.
Käse, Festspiele – und ein liberaler Trend
VORARLBERG
Das Bundesland am Bodensee ist eine Ausnahme: Anders als alle anderen ländlichen Regionen Österreichs stimmte es für Van der Bellen
WIEN taz | Fast 57 Prozent der
Vorarlberger haben Alexander
Van der Bellen ihre Stimme gegeben. Nur im Kaunertal in Tirol, der Heimat des grünen Präsidentschaftskandidaten, und in
der grünen Hochburg Wien waren die Zahlen besser.
Das Vorarlberger Ergebnis
hat viele überrascht. Das 2.600
Quadratkilometer kleine Bundesland jenseits des Arlbergs ist
bekannt für seine Wintersportparadiese und den Käse aus dem
Bregenzer Wald. Feinspitze waren vielleicht schon einmal bei
den Bregenzer Festspielen auf
der Bodenseebühne. Aber darüber hinaus wird das „Ländle“
auch im Osten Österreichs kaum
Das Leben zwischen
zwei oder drei Staaten ist in dieser
­offenen Region viel
selbstverständlicher
wahrgenommen. Für die Einheimischen ist das Wahlergebnis aber nicht so erstaunlich.
„Vorarlberg ist deutlich urbaner und liberaler, als es im Osten wahrgenommen wird“, sagt
Harald Walser, Bildungssprecher und Abgeordneter der Grünen zum Nationalrat: „Die Wahlergebnisse der letzten Jahre waren immer sehr ähnlich wie in
Wien.“ Vorarlberg „ist wie eine
Stadt“, sagt der Kleinunternehmer Andreas Teltschner: „Das
Rheintal von Bregenz bis Feldkirch, ein Drittel der Landesfläche, wo zwei Drittel der Bevölkerung leben, ist wie ein großes bewohntes Gebiet.“
Der Anteil der gut ausgebildeten Facharbeiter ist hoch.
Viele arbeiten in Deutschland
oder der Schweiz. Das Leben
zwischen zwei oder drei Staaten ist in dieser offenen Region
viel selbstverständlicher. „Es
ist das Normalste, hier zu leben
und woanders zu arbeiten“, sagt
Teltschner.
Gegen Restösterreich ist Vorarlberg durch ein über 2.500
Meter hohes Bergmassiv abgeriegelt. Zur Schweiz und nach
Deutschland ist das Bundesland
offen. Vor der Eröffnung des 14
Kilometer langen Arlbergtunnels im Jahre 1978 führte der
schnellste Weg ins benachbarte
Tirol über Deutschland.
Im Rheintal sind große Firmen angesiedelt, die auf gut
ausgebildete Fachkräfte Wert legen. Kaum jemand kommt auf
die Idee, die EU infrage zu stellen, wie es die FPÖ tut. Van der
Bellens klares Bekenntnis zu einer starken EU kam also gut an.
Vorarlberg hat nach Wien auch
den höchsten Zuwandereranteil.
Der Islam ist die zweitstärkste
Religionsgemeinschaft und die
jüdische Gemeinde von Hohen­
ems ist eine der größten im alpinen Gebiet.
Mit dem Biobauern Kaspanaze Simma zog 1984 der erste
Grüne in einen österreichischen Landtag ein. Er kam, wie
viele Grüne, aus der konservativen ÖVP und findet seine ehemalige Partei auch heute noch
zu links. Seit der jüngsten Landtagswahl im Vorjahr sitzen die
Grünen auch mit der ÖVP in der
Landesregierung. Die Konservativen haben ihre Berührungsängste abgelegt. „Wenn es um
rassistische Äußerungen oder
EU-feindliche Politik geht, dann
machen die nicht mit“, sagt Harald Walser.
Die Vorarlberger Grünen
seien eher konservativ und die
ÖVP sei eher aufgeschlossen,
meint der Kleinunternehmer
Teltschner. Deswegen funktioniere die Zusammenarbeit.
Nicht zufällig will die Vorarlberger ÖVP gegen die Parteilinie die Ganztagsschule flächendeckend einführen. Denn solide
Ausbildung sei besonders wichtig. Der grüne Bildungssprecher
Walser bestätigt, dass die ÖVP
im Ländle „etwas offener, weniger dogmatisch“ sei. Die Vorarlberger sind sogar die einzige
Parteifraktion, die die Gleichstellung Homosexueller ins Regierungsprogramm hineinverhandeln konnte. RALF LEONHARD