NS-Dok.-z. der Stadt Köln - H-Soz-Kult

NS-Dok.-z. der Stadt Köln (Hrsg.): August Sanders unbeugsamer Sohn
NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
(Hrsg.): August Sanders unbeugsamer Sohn.
Erich Sander als Häftling und Gefängnisfotograf
im Zuchthaus Siegburg 1935–1944. Berlin: Metropol Verlag 2015. ISBN: 978-3-86331-262-6;
288 S.
Rezensiert von: Lukas Meissel, Historiker
im Archiv der Israelitischen Kultusgemeinde
Wien
Die Geschichte von Erich Sander (1903–1944)
steht im Schatten des berühmten Vaters August, der als Fotograf vor allem durch seine Gesellschaftsporträts Berühmtheit erlangte. Der vorliegende Sammelband, ein Katalog zur gleichnamigen Ausstellung des NSDokumentationszentrums der Stadt Köln, die
vom 23. Oktober 2015 bis 31. Januar 2016 gezeigt wurde, stellt nun das Leben und Werk
von Erich Sander in den Mittelpunkt, der
ebenfalls als Fotograf tätig war und als Kommunist von den Nationalsozialisten verfolgt
und im Zuchthaus Siegburg eingesperrt wurde. Dort wurde er als Häftling – in dieser Position sicherlich eher ein Ausnahmefall – zum
Gefängnisfotograf und war in der Lage, Aufnahmen aus der Strafanstalt zu schmuggeln.
Erich Sander wurde 1903 in eine bürgerliche Familie geboren, sein Vater August und
seine Mutter Anna führten in Köln ein Fotogeschäft. August Sander war sehr erfolgreich,
insbesondere durch seinen Bildband „Antlitz der Zeit. Sechzig Aufnahmen deutscher
Menschen des 20. Jahrhunderts“, der erstmals
1929 erschien. So wie der Vater war auch
Erich begeisterter Fotograf. In seiner Jugend
war er in freigeistigen und linken Jugendorganisationen aktiv und ab 1924 Mitglied der
KPD, in der er als Funktionär tätig war. Aus
Protest gegen den anti-sozialdemokratischen
Kurs seiner Partei war er 1928 Mitbegründer der Kommunistischen Partei Deutschlands (Opposition) KPO, 1932 wechselte er
an der Spitze einer Gruppe Kölner KPOMitglieder zur Sozialistischen Arbeiterpartei
Deutschlands (SAPD).
Am 11. September 1934 wurde Erich Sander von Gestapobeamten verhaftet und 1935
in einem Hochverratsprozess zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt. Als Häftling in der
Strafanstalt Siegburg musste er Zwangsarbeit
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leisten, mit Unterbrechungen wurde ihm ab
1936 von der Gefängnisverwaltung der verhältnismäßig privilegierte Posten als Fotograf zugewiesen. So arbeitete er im Fotolabor der Haftanstalt und konnte über Mitgefangene und die Gefängnisgeistlichen Kontakt mit seinen Eltern aufrechterhalten. Zwischen 1935 und 1944 gelang es Erich, rund
80 Briefe geheim an seine Eltern zu schreiben, in denen er unter anderem den Haftalltag beschrieb. Zusätzlich vermochte er heimlich Negative und Abzüge von Aufnahmen
aus der Siegburg zu schmuggeln, darunter
erkennungsdienstliche Aufnahmen und Porträts. Im März 1944 starb Erich Sander in Haft,
vermutlich an der Fehldiagnose einer Blinddarmentzündung und unterbliebener Hilfeleistung.
Die erste Hälfte der vorliegenden Publikation folgt der gleichnamigen Ausstellung
und beschreibt das Leben Erich Sanders. Kurze Einführungstexte zu wichtigen Lebensstationen und Biografien von Familienmitgliedern, politischen Mitstreiter/innen und anderen für Erich Sander bedeutenden Personen
stellen die Grundstruktur dar. Zahlreiche Dokumente und Fotografien zur Familie und Jugendzeit, seinen politischen Tätigkeiten und
schließlich seiner Zeit im Gefängnis illustrieren Facetten des Lebensweges und werden
durch Zitate von ihm bzw. über ihn ergänzt.
Der zweite Teil des Bandes umfasst vier
vertiefende Aufsätze. Im ersten beschäftigt
sich der Kölner Historiker Fritz Bilz mit der
Biografie Erich Sanders und erweitert die in
der ersten Hälfte behandelten Aspekte, fokussiert dabei vor allem seine Tätigkeiten als
Fotograf und Widerstandskämpfer. Bilz betont die starke Prägung durch August Sander, sowohl politisch als auch künstlerischfotografisch.
Ulrich Eumann, der unter anderem zur
Sozialgeschichte der KPD in Köln geforscht
hat und am NS-Dokumentationszentrum der
Stadt Köln tätig ist, geht in seinem Beitrag auf
die Geschichte der Strafanstalt Siegburg ein,
die im Nationalsozialismus das zentrale Gefängnis für Widerständler in Köln wurde. Er
betont die Bedeutung der von Erich Sander
aus der Haft geschmuggelten Briefe als Quellen für die Lebensbedingungen der Gefangenen und die Sozialstruktur in der Strafanstalt.
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Eumanns auf Gefangenenberichten und den
Briefen von Erich Sander basierender Aufsatz
liefert eine detaillierte Beschreibung der Entwicklung der Belegungsstärke und der Gruppen an Häftlingen, der Verpflegung, der Bewachung und Restriktionen, des Gefängnisalltags und Formen von Zwangsarbeit sowie
deren Wandel mit Kriegsbeginn; er behandelt überdies die „kriminalbiologische Forschung“ in der Strafanstalt einschließlich der
Gefangenenfotografie.
Der Fotohistoriker Jens Jäger schließlich
setzt sich mit der Fotografie im Gefängnis
auseinander und analysiert die ungewöhnliche Rolle, die Erich Sander als Fotograf in
der Strafanstalt Siegburg einnahm. Nach einer Einführung in die Geschichte von Erkennungsdiensten und der sogenannten Kriminalbiologie, beides Grundlagen für die spezifische Rolle von Fotografie in Gefängnissen,
beschäftigt sich Jäger mit der ambivalenten
Rolle von Sander als Häftlingsfunktionär: Aus
der Sicht der Gefängnisleitung schien es sinnvoll, den in Zuchthaft befindlichen Fotografen auch an diesem Ort als solchen einzusetzen. Eigentlich war Dr. med. Moritz Hohn
für die „Kriminalbiologie“ in der Siegburg zuständig, dieser delegierte seine Aufgabe aber
an einen Wachtmeister, der die Arbeit wiederum Erich Sander übertrug. So entstand eine
atypische Situation beim Erstellen der erkennungsdienstlichen Porträtaufnahmen, da der
Fotograf selbst Häftling war. Jäger schreibt,
dass bei den von Sander aus der Siegburg
geschmuggelten Porträtbildern von Gefangenen „ein asymmetrisches Element in der Aufnahmesituation“ (S. 271) fehle und dass man
dies an den Bildern der – im Vergleich zu
anderen Erkennungsdienstfotos – verhältnismäßig entspannt wirkend fotografierten Häftlingen ablesen könne. Trotzdem entsprächen
die Aufnahmen formal erkennungsdienstlicher Praxis. Sanders Briefe zeigen laut Jäger
keine kritische Distanz zu seiner Arbeit, die
eher „ein hoher Grad an professionellem Willen“ auszeichne (S. 275).
Der Band wird durch einen persönlichen
Text von Gerd Sander, einem Enkel von August und Neffen von Erich, abgeschlossen.
Seines Zeichens Gründer der August Sander
Stiftung, Bonn, ist Gerd Sander als Sammler
und Händler im Bereich Fotografie tätig und
fungiert überdies als Herausgeber der Werke
seines Großvaters. In seinem Beitrag berichtet
er über den Nachlass von August und Erich
Sander und seine Annäherungen an die Geschichte seiner Familie.
Die im zweiten Teil des Bandes abgedruckten Aufsätze bilden offensichtlich die
Grundlagen der Ausstellungstexte. Dies führt
zu einigen Wiederholungen von Argumenten
und Beschreibungen. Zusätzlich überschneiden sich auch die Aufsätze selbst thematisch,
zitieren mitunter aus den gleichen Dokumenten, bisweilen verwenden sie identische direkte Zitate. Ein stringenterer Aufbau der Publikation wäre hier wünschenswert gewesen.
Der Titel weist außerdem auf eine grundsätzliche Ausrichtung des Sammelbandes hin:
den Einfluss des berühmten Vaters August
Sander auf seinen Sohn. Dies scheint aber der
Person Erich Sander nur teilweise gerecht zu
werden. So wirkt etwa ein Vergleich der Tätigkeiten von Erich als Funktionär kommunistischer Organisationen mit der sozialkritischen
Porträtfotografie des Vaters August eher konstruiert als erhellend. Wie stark die Prägung
des Vaters auf den Sohn im Verhältnis zu anderen Einflüssen tatsächlich war, bleibt unklar. Die Rolle der Mutter Anna, die das Fotogeschäft der Familie alleine betrieb, während August als Soldat im Ersten Weltkrieg
kämpfte, wird etwa kaum thematisiert, obwohl Erich während der Abwesenheit seines
Vaters sein Interesse an der Fotografie zu entwickeln schien. Der im Sammelband oft betonte starke Einfluss des Vaters scheint wohl
auch auf dessen Berühmtheit zurückzuführen
sein; insofern verwundert es nicht, dass der
Name August Sander im Titel der Publikation vor dem seines Sohnes genannt wird.
Der Sammelband bietet insgesamt aufschlussreiche, erhellende Einblicke in die
Lebensgeschichte des Widerstandskämpfers
und Fotografen Erich Sander. Insbesondere
seine Tätigkeiten als Gefängnisfotograf und
die von ihm aus der Siegburg geschmuggelten Dokumente und Fotografien bieten Stoff
für eine vertiefende Beschäftigung. Mit Spannung kann etwa einer geplanten Edition der
über 80 Gefängnisbriefe Erich Sanders entgegengesehen werden.
HistLit 2016-2-132 / Lukas Meissel über
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NS-Dok.-z. der Stadt Köln (Hrsg.): August Sanders unbeugsamer Sohn
NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
(Hrsg.): August Sanders unbeugsamer Sohn.
Erich Sander als Häftling und Gefängnisfotograf
im Zuchthaus Siegburg 1935–1944. Berlin 2015,
in: H-Soz-Kult 27.05.2016.
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2016-2-132