Glencoe - Fern der Heimat

Isabelle Vannier
Glencoe –
Fern
der Heimat
Roman
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Impressum
Copyright: © 2016 Isabelle Vannier
www.facebook.com/IsabelleVannierAuthor
Druck und Verlag:
Epubli GmbH Berlin
www.epubli.de
Coverfotos lizenziert durch Shutterstock.com
Vorn: © Künstler/Urheberrecht Luis Louro
Hinten: © Urheberrecht HorenkO
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Vorwort der Autorin
Mit diesem Buch möchte ich meiner Leserschaft historische
Themen fantasievoll und sinnlich verpackt nahebringen, abgerundet durch abenteuerliche und spannende Ereignisse.
Im Anhang finden sich Worterklärungen, sowie Informationen zur Entstehung des Werkes und zu geschichtlichen Hintergründen.
Diese Erzählung habe ich bereits vor drei Jahren in verschiedenen Online-Foren kostenlos veröffentlicht, um sie von unabhängigen Lesern testen zu lassen. Dort erfreute sie sich
reger Beliebtheit, und gelangte bei BookRix, einem Portal des
Bastei-Lübbe-Verlags, auf Platz Eins der bestbewerteten Bücher in der Kategorie Historie. Nun ist sie generalüberholt
worden und erstmals als Kaufbuch zu haben.
Natürlich ist das Thema Schottland in Verbindung mit Zeitreise- und Mystery-Aspekten keineswegs neu in der Welt der
Literatur. Dennoch wartet hier ein Leseerlebnis ganz eigener
Art, zumal ich meine Begeisterung für die Antike miteinfließen ließ, und als Geschichtsinteressierte selbst sehr viel Recherchearbeit zum historischen Hintergrund betrieben habe.
Ich wünsche viel Freude beim Lesen!
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Prolog
Eine alte schottische Legende erzählt davon, dass die Kultplätze des Feenvolkes, auf nebligen Hügeln oder in verwunschenen Höhlen, unter bestimmten Voraussetzungen als
Durchgang in andere Welten fungierten, welchen nur sie allein kontrollieren konnten. Sie hatten diese magischen Orte
mit warnenden Zeichnungen markiert, von denen wissende
Menschen sich fern hielten.
Nachdem die Feen irgendwann verschwunden waren, hatten
die meisten dieser Portale im Lauf der Jahrtausende ihre
Macht verloren, und die Funktion der Symbole als Warnung
wurde vergessen.
Nichtsdestotrotz hielten sich, gerade im mythenreichen Land
der Kaledonier, nach wie vor die Geschichten um verschollene arme Seelen, die unfreiwillig in einen solchen Durchgang
geraten waren.
Doch vielleicht hat auch jede unverhoffte Reise durch ein solches Portal ihren ganz eigenen, schicksalhaften Grund, gelenkt durch die Fügung höherer Mächte? Diese Frage müssen
sich in folgender Erzählung zwei Menschen stellen, die mittels mysteriöser Ereignisse zusammengeführt werden, welche
sie sich in ihren kühnsten Träumen nicht hätten ausmalen
können.
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Kapitel 1 : Quintus
Im Osten Caledoniums (heutiges Schottland),
um das Jahr 130 unserer Zeitrechnung
Mit einem kehligen Kampflaut und der geballten Kraft seines Schwertarms stürzte sich der behelmte römische Soldat
auf den Pikten, der ihn hatte angreifen wollen. Seine Waffe
spaltete dessen Schädel, und sein Gegner sackte zusammen.
Bei Jupiter, sagte der Legionär sich insgeheim, manchmal
überwältigte es ihn nahezu, wie sehr er den Triumph in solchen Momenten genoss. Es war seine Berufung, sein Leben,
das, worin er gut war. Vivere militare est, wie es so schön
hieß. Zu leben bedeutete zu kämpfen, und kaum einer nahm
das so wörtlich wie er.
Ihm blieb jedoch weder Zeit noch Grund, das Hochgefühl
auszukosten. Der Feind war in der Überzahl und daher wurde
seine ihm unterstellte Legion langsam in die Enge gedrängt,
obwohl die Männer entschlossen und gewohnt organisiert
vorgingen. Ihre Lage wurde zu seinem Missmut durch den zähen, kaltfeuchten Nebel erschwert, der zwischen den Bäumen
hing und sich nicht auflösen wollte. Die Strahlen der Mittagssonne drangen daher nur diffus auf die große Waldlichtung,
die Schauplatz der Schlacht war.
In dem erbitterten Gefecht verlor ein Römer nach dem anderen sein Leben durch die Hand der Pikten, die mit Gelände
und Witterungslage vertraut waren. Immer wieder wussten
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die Wilden perfekt den Schutz der umliegenden Bäume und
des Nebels zu nutzen, um dann aus der Deckung heraus
noch härter zuzuschlagen. Dass ihnen nicht beizukommen
war, ließ ihn fast aus der Haut fahren vor unbändigem Zorn.
Trotzdem, aber vielleicht auch gerade deswegen, war sein
Kampfgeist ungebrochen. Immer wieder brüllte er seinen Soldaten Schlachtparolen zu, um ihnen Mut zu machen.
»Centurio, gebt acht!«, warnte ihn soeben einer seiner Legionäre.
Blitzschnell wirbelte er herum und wurde eines grobschlächtigen Pikten gewahr, der die Streitaxt gegen ihn erhob. Bevor
dieser zuschlagen konnte, durchtrennte er ihm mit einem einzigen gewaltvollen Schwerthieb die Kehle. Dann stieß er dessen Körper mit einem kräftigen Fußtritt von sich, bevor das
hervorspritzende Blut ihn allzusehr besudelte. Doch im
Grunde war das sein geringstes Problem. Wichtiger war, sich
einen Überblick bezüglich ihrer Lage zu verschaffen, was er
innerhalb eines Wimpernschlags auch tat.
Bitternis erfüllte ihn. Es war jetzt nicht mehr zu leugnen, dass
ihre Gegner in Kürze endgültig die Oberhand gewinnen würden. Er und seine Männer würden jedoch nicht klein beigeben
und nötigenfalls bis zum Tod ehrenhaft weiterkämpfen,
schwor er sich grimmig, als er sich den nächsten Wilden vornahm.
In diesem Moment verfluchte er das römische Imperium und
Kaiser Hadrianus, der ihn und seine Legion ohne Verstärkung
in Feindesland, in den Osten Caledoniums, entsandt hatte, um
die Grenzen des Reiches zu sichern. Dabei war allseits bekannt, wie zahlreich die wilden Ureinwohner waren, und wie
grausam sie kämpften.
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Der oberste Befehlshaber war im letzten Monat bei einer
Schlacht weiter südlich getötet worden und daraufhin war er
selbst, Quintus Cornelius Priscus, Sohn eines angesehenen römischen Senators, Anführer der ruhmreichen Legio VIIII Hispania geworden. Er war der primus pilus, Centurio der ersten
Zenturie innerhalb der ersten Kohorte der Legion, und der
letzte noch Überlebende unter den Ranghöheren. Nach nunmehr zehn Jahren Kampferfahrung mit der neunten Legion
kannten ihn seine Kameraden gut und hatten ihn vertrauensvoll als neuen Kommandanten akzeptiert, trotz seines für diesen Posten vergleichsweise jungen Alters von
achtundzwanzig Sommern. Seine Körpergröße, die etwas
über dem Durchschnitt seiner ihm Untergebenen lag, und sein
bestimmendes Auftreten, das keine Widerrede zuließ, halfen
ihm zusätzlich, sich Respekt zu verschaffen. Die Soldaten
würden ihm bis in den Tod folgen. Daher schmerzte es ihn
umso mehr, dass sie wohl tatsächlich alle ihr Leben lassen
mussten. Sein eigenes Ende, ebenso unvermeidlich, schien
ihm da fast nebensächlicher als das der ihm anvertrauten Legionäre. Es waren inzwischen nur noch rund zwanzig von ursprünglich dreitausend, die aber schon bei den Kämpfen
im vergangenen Monat auf etwa tausend Mann dezimiert
worden waren. Jetzt schien ihr Schicksal besiegelt.
Einer nach dem anderen fiel dem Gemetzel zum Opfer, bis
schließlich nur noch Quintus selbst und zwei weitere Römer
übrig waren. Sie bluteten aus vielen Wunden und waren von
ihren Gegnern umringt, die sich finsteren Blickes anschickten, auch den restlichen Fremden, die in ihr Land eingedrungen waren, den Garaus zu machen.
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Der Centurio stand mit beidhändig erhobenem Schwert da
und sah den Pikten nacheinander wild entschlossen in die Augen, in der Gewissheit, dass sein Leben verwirkt war. Noch
nicht einmal die germanischen Stämme hatten ihr Territorium
so erbittert verteidigt wie diese blau bemalten, in Felle gehüllten Krieger. Er hatte versagt in seiner Aufgabe, Roms Nordgrenzen vor diesen zu schützen. Die Schmach darüber war
übermächtig in ihm.
Dank des Reichtums seines Vaters hatte er vor seinem Militärdienst eine recht gute Bildung genossen, die ihm unter anderem einen tiefen Einblick in die Entstehung des römischen
Reiches gewährt hatte. Ihm war daher klar, dass dieses ohne
Expansion, wie der Kaiser seine Eroberungen gerne nannte,
nie das geworden wäre, was es war: Ein mächtiges Imperium,
das von den assimilierten Ländern in vielerlei Hinsicht genauso profitierte wie umgekehrt. Nur war das eben manchen
Völkern nicht bewusst, wahrscheinlich deshalb, weil Rom
seine Ansprüche nötigenfalls mit Gewalt durchzusetzen
pflegte. Es lag nicht an ihm, als Soldat des Imperators, das in
Frage zu stellen. Er führte Befehle aus, wissend, dass dies jederzeit sein eigenes Ende bedeuten konnte. Da es jetzt soweit
war, zwang er sich, die unterschwellige Furcht, welche ihn
beschämenderweise erfasste, mit dem ihm eigenen, entschlossenen Auftreten niederzukämpfen. Ihn überkam das Verlangen, den Wilden noch ein paar letzte Worte in deren Sprache
entgegenzubrüllen. Selbige hatte er sich während der Jahre,
die er jetzt schon in diesem verfluchten Land stationiert war,
zwangsläufig angeeignet.
Mit einigen Siedlungen bereits eroberter piktischer Stämme
wurde Handel getrieben. Da deren Bewohner aber kein Latein
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sprachen, im Gegensatz zu vielen Südbritanniern, war es für
einen ranghöheren römischen Soldaten wie ihn unumgänglich, piktisch zu lernen. Außerdem beherrschte er ferner die
Sprache der Britannier, sowie die der Stämme jenseits des
Meeres westlich des britannisch-caledonischen Eilands, welche Scotii genannt wurden. Mit letzteren wurden ebenfalls
Handelsbeziehungen gepflegt, obwohl einige von ihnen immer wieder Raubzüge an Britanniens Westküste durchführten.
»Kommt doch und kämpft, wir haben keine Angst, wir sind
Römer!«, grollte er also auf Piktisch, schwang sein Schwert
und riss herausfordernd seinen Helm herunter, den er achtlos
auf den blutgetränkten Waldboden schmetterte. Sein Kopfschutz würde ihm angesichts der feindlichen Übermacht ohnehin nicht mehr dienlich sein, und hatte während der hitzigen
Schlacht schon längst den quergestrahlten roten Federbusch
verloren, die cresta transversa, eines der Zeichen seines Ranges.
Offenbar beeindruckte es die Pikten, dass er ihrer Sprache
mächtig war, zumindest verrieten das deren Mienen. Einige
begannen allerdings spöttisch zu grinsen, wie Quintus zornbebend bemerkte. Sie kamen näher, von allen Seiten, und er
machte sich bereit.
Jupiter, betete er insgeheim, gib mir die Kraft, stolz und aufrecht zu sterben.
Plötzlich spürte er einen wuchtigen Schlag auf den Hinterkopf.
Im nächsten Moment fühlte er nichts mehr.
Wie ein Stein stürzte der Römer ohnmächtig zu Boden, nachdem ihm ein kräftiger Pikte seinen Axtstiel über den Schädel
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gezogen hatte. So bekam er nicht mehr mit, wie er und seine
beiden letzten Legionäre, die ebenfalls bewusstlos geschlagen
wurden, auf überlebende römische Pferde geladen und fortgebracht wurden.
Ein paar Stunden später kam Quintus stöhnend wieder zu
sich. Sein Kopf dröhnte und schmerzte gewaltig. Als er sich
an Selbigen fassen wollte, realisierte er dass es nicht möglich
war, weil seine Arme bewegungsunfähig waren. Mühsam
straffte er sich, wandte sich um und erkannte, dass diese rücklings an einen dicken Pfahl geschnürt waren. An diesem
lehnte er in sitzender Position wie ein nasser Sack, die Beine
von sich gestreckt. Er befand sich in der Mitte eines großen
Platzes und um ihn herum standen ein paar einfache, kleine
Steinhäuser, sowie ein großes Langhaus. Ein Blick gen Himmel zeigte ihm, dass der Nebel sich verzogen hatte. Welch
grausame Ironie der Götter! Nun schien die Sicht nicht länger
getrübt, da die Schlacht vorbei war. Aber wer wusste schon,
wo die Wilden ihn hingebracht hatten, und wie weit es von
hier zum Schauplatz des Kampfes war. Dem Sonnenstand zufolge neigte sich der Tag fast seinem Ende entgegen.
Der Römer schloss die Augen, atmete tief ein, und konzentrierte sich auf seinen Geruchssinn, sowie auf sein Gehör,
um sich zu orientieren. Das würzige Aroma, das in der Luft
lag, kannte er. Es war Kiefernduft, gepaart mit dem salzigen
Odem des Meeres. Das erklärte auch das stetige, entfernte
Rauschen, das an seine Ohren drang. Sie mussten sich also in
der Nähe der Ostküste des Landes befinden, denn die West-
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küste war mehr als einen Tagesritt vom Ort der Schlacht entfernt, und er konnte nur wenige Stunden bewusstlos gewesen
sein.
Er öffnete die Augen wieder, sah sich um und stellte fest, dass
seine Kameraden rechts und links neben ihm ebenfalls an
Pfähle gefesselt waren. Beide saßen scheinbar leblos mit dem
Kopf vornübergebeugt da, halbnackt und übersät mit frischen,
tiefen Wunden. Offenbar waren sie brutal misshandelt worden, wenn nicht sogar bereits getötet. Bitterkeit machte sich
in ihm breit und er schnaubte wütend. Er sah an sich selbst
herunter. Die Wilden hatten auch ihm die Rüstung, den Waffengurt und die Tunika ausgezogen, so dass er nur noch mit
seinen feminaliae, den knielangen Hosen aus verblichener
Wolle, bekleidet war. Die Ledersandalen hatten sie ihm gelassen. Immerhin, sagte er sich zynisch. Sollte ihm die Flucht
gelingen, konnte er damit wenigstens rasch vorankommen. Er
versuchte seine Fesseln zu lösen, doch es war vergebens. Das
Seil war zu fest.
In diesem Moment kamen drei der Pikten aus dem Langhaus
und näherten sich ihm. Was hatten diese mit ihm vor? Noch
nie hatte er gehört, dass die Wilden Gefangene machten. Er
schob sich an dem Pfahl nach oben, weil er sich nicht vor
ihnen erniedrigen wollte, indem er zu ihnen aufsehen musste.
Es bereitete ihm einige Mühe, weil er sich noch leicht benommen fühlte, doch er ließ es sich nicht anmerken. Zu seiner vollen Größe aufgerichtet und hoch erhobenen Hauptes blickte
er den Männern entgegen. Einer von ihnen trat vor und musterte ihn mit eisiger Miene. Quintus fiel auf, dass dieser einen
langen Dolch vorn im Gürtel trug.
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»So«, begann der Pikte. »Du sprichst also unsere Sprache.
Das könnte uns sehr nützlich sein. Ich mache dir einen Vorschlag. Du verrätst uns alles über die römischen Festungen,
was wir wissen wollen, und wir schenken dir einen schnellen
Tod. Wenn nicht, leidest du wie deine Freunde, die ihr Leben
qualvoll aushauchen mussten.«
Der Angesprochene runzelte grimmig die dunklen Brauen
und knurrte auf Piktisch: »Ein Soldat Roms verrät seine Leute
nicht.«
»So ehrenhaft, Römer«, entgegnete der Wilde mit beißendem
Spott. »Wir wollen sehen ob dir deine Ehre noch etwas gilt,
wenn wir angefangen haben.«
Mit diesen Worten zückte den Dolch, setzte diesen
an die bloße Brust des Römers und zog ihn mit einem kräftigen Ruck quer durch sein festes Fleisch. Der Legionär zwang
sich, keine Schwäche zu zeigen. Er spannte alle Muskeln an
und unterdrückte mit Mühe ein Stöhnen, indem er die Zähne
fest zusammenbiss. Dabei entwich ihm lediglich ein schmerzverzerrtes Knurren. Warmes Blut strömte aus der klaffenden,
brennenden Wunde über seinen Bauch. Ein Gefühl, das ihm
nicht fremd war, als kampferprobtem Soldaten. Er hatte schon
schlimmere Verletzungen überstanden, und dabei so manche
Narbe davongetragen. Alles was jetzt zählte war, ehrenvoll zu
sterben. Er hoffte bei den Göttern, dass es ihm gelang.
»Und, immer noch standhaft?«, fragte der Pikte bissig und
fuhr fort: »Du bist groß für einen deines Volkes. Ein würdiger
Gegner. Dein gestählter Leib und deine eiserne Selbstbeherrschung werden dich vielleicht länger durchhalten lassen als
die beiden anderen, aber umso härter wird es für dich, Mann.
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Sag uns, wo sich die Lager der Römer befinden und wie viele
noch da sind.«
Der Centurio blitzte ihn aus seinen hellbraunen Augen kalt an
und grollte: »Das tue ich nicht.«
Sein Feind näherte sich erneut, und ehe Quintus es sich versah, stieß ihm dieser unvermittelt so kräftig das Knie ins Gemächt, dass er vor Schmerz stöhnend zusammensackte.
Darauf war er nicht vorbereitet gewesen. Übelkeit drohte ihn
zu übermannen, doch als er gewahr wurde, dass der Wilde ihn
losschnitt, riss er sich zusammen. Ein Plan reifte in ihm.
»Vielleicht wirst du gesprächiger, nachdem wir deinen Kopf
in ein Fass voll Pisse gesteckt haben«, verhöhnte ihn der
Pikte.
Der Legionär schnaubte unwirsch. Ihm waren derlei Foltermethoden nicht unbekannt. Er hatte sie schließlich selbst
schon oft genug an seinen Feinden oder an Fahnenflüchtigen
erprobt. Allerdings legte er keinen Wert darauf, seinerseits in
den fragwürdigen Genuss zu kommen, in einen Gerbbottich
getaucht zu werden. Er gab sich schwächer als er war, und tat
so, als ob er kraftlos vor Schmerzen wäre, was nicht schwer
zu mimen war. Sobald seine Arme frei waren, ließ er sich ächzend auf alle Viere fallen. Aus den Augenwinkeln erkannte
er, dass die beiden anderen Wilden zu ihm kamen, wohl, um
ihn aufzuheben. Er atmete tief ein, straffte sich und sprang mit
einem Satz auf. Die sichtlich überraschten Männer hatten damit nicht gerechnet, ebenso wenig wie mit seinem Angriff,
der daraufhin folgte. Blitzschnell entwand er dem ersten Pikten das Messer und rammte es diesem in den Hals, so dass
ihm dessen Blut fast tröstlich warm über Hände und Arme
strömte. Der Zweite kam nicht mehr dazu, seinen eigenen
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Dolch zu ziehen und keuchte verblüfft auf, als Quintus die
Stichwaffe mit einer geübten Bewegung in seinem Herz versenkte. Der Dritte war etwas schwerer zu überwinden. Er
führte eine Streitaxt mit sich, mittels derer er den Römer brüllend angriff. Dieser wich im letzten Moment aus, indem er
sich auf die Knie fallen ließ. Aus dieser Position heraus stieß
er dem Angreifer den langen Dolch in den Bauch und zog ihn
quer durch dessen Gedärme, die hervorquollen, bevor
der Totgeweihte neben seinen gemeuchelten Gefährten stöhnend zu Boden stürzte.
Quintus, noch immer auf Knien, atmete schwer. All das war
innerhalb weniger Augenblicke geschehen, trotzdem fühlte er
sich, als hätte er abermals stundenlang gekämpft. Der tiefe
Schnitt auf seiner Brust blutete durch die Anstrengung jetzt
stärker. Doch er schüttelte die Schwäche ab. Er musste einen
klaren Kopf behalten und so schnell wie möglich fliehen,
denn es würde nur eine Frage der Zeit sein, bis die übrigen
Wilden erspähten, was er getan hatte.
Ächzend richtete er sich auf und nahm einem der Toten rasch
dessen Waffengürtel ab, den er sich selbst um die Hüften
schnallte. In diesen steckte er den langen Dolch und schlich
dann vorsichtig am Langhaus vorbei, aus dem viele fröhlich
gröhlende Stimmen drangen. Offenbar feierten die Pikten ihren Sieg über die Römer, sagte er sich voll Ingrimm. Dadurch,
so hoffte er, würde seine Flucht zumindest länger unbemerkt
bleiben. Das Piktendorf stand westlich eines kleinen Kiefernwäldchens. Als er dieses erreicht hatte, begann er in östlicher
Richtung hindurchzulaufen, so schnell er konnte. Die Bäume
würden ihm auf seiner Flucht einen vorläufigen Schutz bieten.
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Trotzdem hielt er auch dann nicht an, als er an einem kleinen Teich vorbeikam. Er hatte zwar furchtbaren Durst, aber
es war zu gefährlich hier.
Er drehte sich nicht um, bis er das Wäldchen nach etwa mille
passus, einer römischen Meile, hinter sich gelassen hatte. Vor
sich sah er jetzt einen stattlichen, ausgedehnten Hügel, den er
erklomm. Anhand des gewaltigen Rauschens, das die Luft erfüllte, vermutete er dahinter die See.
Und tatsächlich, auf der Anhöhe stehend sah er das weite
Meer vor sich, an dessen flache, aber steinige Küste raue, geräuschvolle Wellen schlugen, welche auf den wenigen sandigen Abschnitten landeinwärts drängten. Erst jetzt wagte der
Legionär einen Blick zurück. Zu seiner Erleichterung wurde
er nicht verfolgt. Er sollte schnellstens versuchen, sich nach
Süden bis zum Hadrianswall durchzuschlagen, wo sich die
nächstgelegene römische Garnison befand. Doch zuerst
musste er einen Moment innehalten, um Kraft zu schöpfen.
Quintus blickte auf die endlose Weite des Wassers und dachte
mit Bitterkeit an die vielen Soldaten, die ihr Leben für eine im
Grunde von vorneherein aussichts- und sinnlose Sache hingeben mussten. In Anbetracht dessen kümmerte ihn nicht einmal
mehr, dass die Standarte, der Legionsadler, verloren war, obwohl es unter anderem die Pflicht seiner Kohorte gewesen
war, dieses Sinnbild Roms mit allen Mitteln zu verteidigen.
Was war schon ein Stück Metall gegen das Leben von dreitausend Mann? Zuletzt hatte er es irgendwo auf dem Schlachtfeld im Schlamm liegen sehen, besudelt mit dem Blut seines
niedergemetzelten Trägers, des Aquilifers. Er stieß resigniert
die Luft aus und machte sich kurzentschlossen auf den Weg
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zum steinigen Meeresufer, um die tiefe Brustwunde auszuwaschen. Das war alles, was er im Moment tun konnte, um die
Verletzung zu versorgen, bevor er sich auf den Weg machen
musste. Zwar hatte er sich durch die heutige Schlacht noch
einige andere Wunden zugezogen, aber diese waren nicht viel
mehr als Kratzer.
Nachdem er sich einen Weg durch die mit Strandhafer bewachsene Dünung gebahnt hatte, watete er ein Stück
ins Wasser und schöpfte das kühle Nass über seine Brust. Das
Salz brannte höllisch in seiner Wunde, doch er biss die Zähne
zusammen und unterdrückte ein Stöhnen. Der Schnitt war
wirklich tief, und er hatte viel Blut verloren. Konnte er es
ohne die Hilfe eines erfahrenen medicus mit einer solchen
Verletzung überhaupt schaffen, einen derart weiten Weg zurückzulegen? Zu Fuß würde er mindestens fünf Tage für diese
Strecke benötigen, abhängig davon, wo genau er von den Wilden hingebracht worden war. Bald würde es außerdem dunkel
werden und er brauchte zuallererst Schutz für die Nacht. Fieberhaft dachte er darüber nach, wie es jetzt weitergehen sollte,
und sah sich sinnierend um.
Da fiel ihm plötzlich auf, dass sich am Fuße der grasbewachsenen Anhöhe, auf der er zuvor noch gestanden hatte, zur
Meerseite hin einige kleine Höhlenöffnungen befanden, die
offenbar irgendwann einmal von den Gezeiten aus dem Gestein herausgewaschen worden sein mussten. Vom Strandhafer halb überwuchert, hatte er diese zuvor nicht bemerkt.
Hoffnung überkam ihn. Sollten ihm die Götter am heutigen
Tage ausnahmsweise einmal gewogen sein und seine stumme
Bitte erhört haben? Zügig lief er über den unebenen Strand,
um dorthin zu gelangen.
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Als er angekommen war, bemerkte er die verschlungenen
fremdartigen Symbole, die das Gestein an den Eingängen der
Höhlen bedeckten. Einige waren nur gemeißelt, und andere
zusätzlich mit der blauen Farbe der Pikten ausgemalt worden.
Dem Wenigen zufolge, was er über die Bewohner dieses Landes und deren Gebräuche gelernt hatte, wusste er, dass sie sich
von Stätten, die so gekennzeichnet waren fernhielten. Es ging
das Gerücht, dass es nur ihren Göttern gestattet war, diese zu
betreten. Weil es nicht seine Götter waren, kümmerte ihn das
im Moment nur soweit, als dass es ihm eine Zuflucht bot.
Wenn er Glück hatte, würden sie es aus diesem Grund nicht
wagen, ihn dort drin zu suchen, sobald sie die Verfolgung aufgenommen hatten.
Er bog den Strandhafer zur Seite und betrat die größte der
cavernae, welche aber immer noch nahezu winzig war, gerade
hoch genug, dass er darin stehen konnte, wenn er leicht den
Kopf neigte. Auch der Durchmesser betrug nur etwa das Doppelte seiner Körperlänge, wie er schätzte. Am gegenüberliegenden Ende konnte er im diffusen Licht erkennen, dass ein
schmaler Gang offenbar weiter hinein in den Fels führte. Da
er sicher gehen wollte nicht entdeckt zu werden, und ihm die
Wahrscheinlichkeit dafür geringer erschien, wenn er sich tiefer in die Höhlen zurückzog, folgte er diesem Gang, der ihn
in eine caverna von etwa gleicher Größe führte.
Quintus konnte gerade noch erfassen, dass bei dieser die
Wände über und über mit seltsamen weißen Symbolen bedeckt waren, dann brach das Chaos über ihn herein. Plötzlich
hatte er das Gefühl, alles würde sich um ihn herum drehen,
sein Körper würde sich verflüssigen, und von einem Strudel
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aus tiefster Schwärze verschluckt werden, dem er trotz größter Kraftanstrengung nicht entfliehen konnte. Er war bewegungsunfähig und nahm nichts mehr um sich herum wahr.
Dafür war die Empfindung, sich selbst in seine Bestandteile
aufzulösen so präsent und furchtbar wie nichts, was er je zuvor erlebt hatte, nicht einmal in den schrecklichsten Schlachten. Fast sehnte er eine gnädige Ohnmacht herbei, um dem
Gefühl zu entkommen. Etwas, das er von sich nicht kannte,
stellte er sich doch stets heldenhaft jeder Gefahr.
Nach einer unendlich erscheinenden Weile in diesem grauenhaften Erlebnis gefangen, fiel er plötzlich bäuchlings hart auf
die Erde. Das Drehen hatte aufgehört, dieses schwarze Nichts
war verschwunden, doch sein ganzer Körper schmerzte. Er
fühlte sich wie ausgebeint und es fiel ihm schwer, sich zu rühren. Fassungslos fragte er sich, was mit ihm passiert war.
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Kapitel 2 : Bonnie
Kirkcaldy, schottische Ostküste,
ein Sommertag im Jahr 2014
»Mama, ich fahre jetzt los! Du hast sturmfreie Bude!«,
rief die junge Frau schalkhaft die Treppe hinauf.
»Gut zu wissen, Bonnie«, schallte es amüsiert vom oberen
Stockwerk herunter. »Aber denk daran, dass wir nachher bei
deinen Großeltern zum Abendessen eingeladen sind. Bye!«
»Ich bleibe nicht lange weg! Bis nachher!«, erwiderte die Angesprochene gutgelaunt, nahm ihr Handy, ihr Portemonnaie, die Autoschlüssel, und machte sich auf den Weg.
Bonnies Ziel war die Ruine des Castle MacDuff, welche sie
schon seit Kindertagen faszinierte. Diese lag nur zwanzig Autominuten entfernt von Kirkcaldy, wo sie derzeit mit ihrer
Mutter aufgrund eines Kurzurlaubs weilte, welchen sie mit einem Besuch bei ihren Großeltern verband, die hier lebten.
Sie hatte mit ihren Eltern früher oft die Ferien verbracht, wo
ihr Vater geboren war, und es geliebt. Die ruhige Atmosphäre
des Hafenörtchens am Firth of Forth, ein Fjord nördlich von
Edinburgh, war der genaue Gegensatz zu ihrer vergleichsweise quirligen Heimatstadt, der Studentenhochburg Oxford.
Für die junge Frau waren die Aufenthalte stets erholsam gewesen, und sie liebte die einzigartige Natur der vom Tourismus unberührten Küste, die einen unverwechselbaren, rauen
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Charme hatte. Dem tat die rege industrielle Tätigkeit im Landesinneren keinen Abbruch, dennoch hatte es ihr Leben geprägt, dass ihr auf diese Weise schon früh die Folgen des
Raubbaus der Menschen an der Natur von Augen geführt wurden.
Seit ihr Vater vor zwölf Jahren bei einem Autounfall gestorben war, kamen sie allerdings aus finanziellen Gründen nicht
mehr so oft hierher. Ihre Mutter hatte zunächst ihrer beider
Lebensunterhalt allein bestreiten müssen, bis Bonnie neben
Schule und Studium durch die Arbeit in einem Naturkostladen etwas beisteuerte. Von diesem Verdienst hatte sie sich
schließlich die Miete für ein kleines Appartement in Oxford
leisten können, in dem sie seit drei Jahren wohnte. Allerdings
nicht mehr lange, denn mit einem neuen Job würde schon
bald ein anderes Leben für sie beginnen.
Im letzten Monat hatte sie ihr vierjähriges Biologiestudium an
der University of Oxford beendet, samt Diplomabschluss. Sie
hatte sich schon lange zuvor bemüht, einen Platz im Renaturierungsprogramm des hiesigen Kohletagebaus zu ergattern,
das von Scottish Natural Heritage, der schottischen Naturschutzbehörde, ins Leben gerufen worden war. Zu ihrer
Freude war es ihr gelungen.
Einst, lang vor ihrer Geburt, war das Landesinnere der Gegend eine Hochburg der Braunkohleförderung gewesen.
Diese war jedoch mit wachsendem Umweltbewusstsein nach
und nach zurückgebaut, und im Zuge der Energiewende
schließlich nahezu komplett eingestellt worden. Jetzt sollten
artenreiche Feuchtbiotope den hässlichen Kratern weichen,
die der Tagebau in die Landschaft gerissen hatte, und gemeinsam mit weitläufigen Windparks das neue Gesicht der Region
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prägen. Ersteres war eine Aufgabe, welche die schottische
Regierung in die Hände eines Teams junger, motivierter Biologen legte, zu denen Bonnie gehören würde.
Sie konnte es kaum erwarten, dieser Gegend, in der sie viele
unvergessliche Momente verlebt hatte, etwas zurückzugeben,
indem sie hier einen Beitrag zum Umweltschutz leistete. Bis
sie eine Wohnung gefunden hatte, würde sie im Haus ihrer
Großeltern leben. Aber zunächst würde sie ihren Urlaub mit
ihrer Mutter auskosten.
Die beiden hatten sich ein kleines, zweistöckiges Ferienhäuschen am Rande von Kirkcaldy gemietet und genossen es, endlich einmal wieder etwas gemeinsam zu unternehmen. Bonnie
liebte ihre Mutter sehr, zumal die Bindung zu ihr durch den
schmerzlichen Verlust ihres Vaters noch enger geworden war.
Sie hatten in den letzten Tagen bereits das vielfältige kulturelle Angebot der Kleinstadt genossen, in Form von Theaterund Museumsbesuchen. Außerdem hatten sie entspannende
Shoppingtouren hinter sich, denn die Einkaufsmeile von
Kirkcaldy nahe des Hafens war deutlich weniger überlaufen
als ihr Pendant in Oxford, was die beiden sehr schätzten.
Heute würde sie jedoch alleine losziehen, denn ihre Mutter
interessierte sich nicht sehr für alte Ruinen. Im Gegensatz
dazu war Bonnie jedesmal aufs Neue begeistert von den alten
Gemäuern des ehemaligen Macduff-Clansitzes bei East
Wemyss, die sagenumwoben waren und eine eigene Geschichte zu erzählen schienen, ebenso wie die Höhlen unter
der Burgruine, in die geheimnisvolle piktische Schriftzeichen
eingemeißelt waren, sowie Bildnisse von nordischen Gottheiten der Wikinger.
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Historisches und Natur, vor allem Pflanzen, hatten sie schon
immer interessiert, so dass ihr seinerzeit die Entscheidung
schwer gefallen war, welchen Studiengang sie wählen sollte.
Da die Arbeit als Biologin in ihren Augen reizvollere Zukunftsaussichten und Einsatzmöglichkeiten bot, entschied sie
sich letztendlich für diese Fachrichtung. Sie hatte sich auf den
Bereich Biodiversität und Umweltschutz spezialisiert, welcher ihr sehr am Herzen lag. Seit sie denken konnte, hatte es
sie erschreckt, wie rücksichtslos die Menschen mit diesem
kostbaren Planeten umgingen. Durch die Arbeit für SNH
wollte sie etwas daran ändern und bewirken.
Aber Geschichte blieb ihr Hobby und so vergrub sie sich in
ihrer Freizeit mit Freuden in Bergen von Geschichtsbüchern
und, ihrer heimlichen Leidenschaft, historischen Romanen.
Ihre Mutter rügte sie deswegen oft, sagte, sie verpasse das
wirkliche Leben, wenn sie sich nur um die Vergangenheit
kümmere, lieber solle sie mehr unter Leute gehen. Doch Bonnie ließ sich nicht beirren. So vernunftorientiert sie in allen
übrigen Lebenslagen war, liebte sie es dennoch, in romantische, abenteuerliche Erzählungen einzutauchen, war sich aber
bewusst, dass ihre Mutter vielleicht recht hatte. War sie zu
verwöhnt durch die starken, ritterlichen Helden in den Romanen, die ihre angebeteten Damen nicht nur sprichwörtlich auf
Händen trugen und aus allerlei Gefahren retteten? Hatte aus
diesem Grund kein Mann, mit dem sie bisher ausgegangen
war, ihre Erwartungen erfüllt, so dass sie mit ihren vierundzwanzig Jahren noch, beziehungsweise wieder, Single war?
Dass sie vor ein paar Jahren eine herbe Enttäuschung erleben
musste mit dem Mann, an den sie ihre Jungfräulichkeit verlor,
hatte sie zudem vorsichtiger gemacht. Sie hatte geglaubt, es
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wäre die große Liebe, doch ihr Ex-Freund hatte sich nicht fest
binden wollen. Ja, sie waren jung gewesen, beide, aber trotzdem war sie davon ausgegangen, dass eine Partnerschaft eine
Art von tiefer Verbundenheit beinhalten sollte. Sie war nicht
der Typ Frau für ein rein sexuelles Verhältnis. Im Nachhinein
war ihr jedoch ohnehin klargeworden, dass ihr bei ihm von
Anfang an etwas gefehlt hatte, vor allem die vielgerühmten
"Schmetterlinge im Bauch", und alles, was dazugehörte. Das
war es, was sie wollte. Zwar war sie ein besonnener Mensch,
erhoffte sich aber von einer Beziehung in jeder Hinsicht deutlich mehr Leidenschaft und Hingabe, als sie bisher erlebt
hatte. Die beiden Männer, die sie in den letzten Jahren gedatet
hatte, hatten das ebenfalls vermissen lassen, so dass es über
Essenseinladungen und Kinobesuche nie hinausgegangen
war. In ihr Bett und ihr Herz ließ sie keinen mehr. War sie zu
wählerisch? Wartete sie auf etwas, das sie nie bekommen
würde?
Bonnie haderte mit sich, als ihr diese Dinge auf der Fahrt mit
dem alten, roten Mini-Cooper ihrer Mutter durch den Kopf
gingen. Doch es war ja zwecklos, darüber nachzudenken, befand sie. Bald würde sie sich ohnehin erst einmal auf ihre Arbeit konzentrieren müssen. Sie stellte die Musik des
nachträglich eingebauten CD-Players lauter und sang leicht
schief, aber inbrünstig, den Herzschmerz-Song "Wings" der
britischen Sängerin Birdy mit. Das traute sie sich aber nur,
wenn sie allein war, denn im Beisein anderer war ihr das viel
zu peinlich. Sie liebte dieses Lied und hörte es zur Zeit nahezu
in Dauerschleife, obwohl es schon ein paar Monate alt war.
Die Melodie in Verbindung mit der Stimme der Künstlerin war so kraftvoll wie schmerzlich, und der Text drückte
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viel von dem aus, was sie auch verspürte. Vom sich verloren
fühlen, und dem Sehnen nach etwas, von dem sie selbst nicht
wusste, was es war.
Nach zwanzigminütiger Fahrt nordwärts, vorbei an weitläufigen Feldern und den spärlichen Resten der Kohlegruben, war
sie in East Wemyss angekommen. Sie steuerte den Wagen auf
den Parkplatz des kleinen Friedhofs, an dessen hinterem Ende
die Ruine nahe des Meeresstrandes auf einer Anhöhe thronte.
Die Burg war im elften Jahrhundert vom Clanchief der
Macduffs erbaut und im vierzehnten Jahrhundert von seinen
Nachfahren, der Adelsfamilie Wemyss übernommen worden.
Letztere fungierten als Namensgeber der Ortschaft, welche
erst im achtzehnten Jahrhundert entstanden war. Da der Clan
Duff sich seinerzeit dem schottischen Freiheitskämpfer Robert the Bruce angeschlossen hatte, war von dessen Widersacher, dem damaligen englischen König Edward, die
Zerstörung von deren Heimstatt befohlen worden. Sie wurde
zwar etwa zweihundert Jahre später weitgehend wieder aufgebaut, doch da der Clan in der Zwischenzeit bereits einen
neuen, prunkvolleren Herrschaftssitz weiter südlich in West
Wemyss erbaut hatte, verlor die alte Burg an Bedeutung. Außerdem waren die Besitzer des Gemäuers von einer Gespenstergeschichte abgeschreckt worden. Es ging das Gerücht, dort
spuke der Geist einer "Lady in Grey", welche ein in der verlassenen Burg zu Tode gekommenes Bauernmädchen gewesen sein soll. Dieses hatte sich verzweifelt aus Furcht vor
Strafe dorthin geflüchtet, weil es unschuldig des Diebstahls
eines kleinen Laibs Käse aus der Küche des herrschaftlichen
Schlosses Wemyss verdächtigt worden war, und ward fortan
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nie mehr gesehen. Eine typische Geistergeschichte, wie die
Schotten sie liebten, aber insgeheim auch abergläubisch
fürchteten, wusste Bonnie, die dergleichen nicht ernst
nahm, obwohl es ihr natürlich um das Mädchen leid tat, was
immer diesem auch zugestoßen war.
Die leerstehende Burg war dem Verfall anheim gegeben worden, weil viele deren Nähe fürchteten, und somit lange Jahre
fast völlig in Vergessenheit geraten. Die Gegend um das alte
Gemäuer war erst im Zuge der Industrialisierung besiedelt
worden, etwa ab dem achtzehnten Jahrhundert, als die Braunkohleförderung und der Handel damit in alle Welt auf Hochtouren lief.
Die Zeichnungen der Pikten in den Höhlen unter der Burg
hatten ebenfalls ihren Teil dazu beigetragen, dass das Areal
lange gemieden worden war, denn auch zu diesen gab es eine
mysteriöse Erzählung. Einst, zu den Glanzzeiten des Castle
MacDuff, soll ein Dudelsackspieler musizierend tief in die
Kavernen hineingegangen sein, plötzlich sei sein Instrument
abrupt verstummt, und obwohl man alles abgesucht hatte,
hatte man weder ihn noch den Dudelsack je wiedergefunden.
So kam das Gerücht auf, dass möglicherweise das Feenvolk
ihn in die Anderwelt entführt hatte. Es hieß damals hinter vorgehaltener Hand gar, dass der Clan Duff mit diesen gemeinsamen Sache machte, weil man sich erzählte, dass es in der
Burg einen Geheimgang gab, der direkt in die Höhlen führte.
Bonnie dachte sehr pragmatisch und glaubte nicht an derlei
Mysterien. Sie vertraute darauf, dass es für alles eine logische
Erklärung geben musste. Die Schotten waren außerdem bekannt dafür, oft zu Übertreibungen zu neigen, so dass man
solche Geschichten nicht für bare Münze nehmen musste.
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Viel interessanter war für sie das, was greifbar war. Das, was
historisch belegt war, machte für sie den Reiz dieser Gemäuer
aus, und der Gedanke daran, wie die Menschen wohl gewesen
waren, die hier früher gelebt hatten. So hatte der damalige Erbauer des Herrschersitzes dem großen William Shakespeare
als Vorbild für seinen Helden Macduff in Macbeth gedient,
dessen Bühnencharakter sie schon immer beeindruckt hatte.
Wenn man die Ruine heute sah, konnte man sich nicht vorstellen, dass der einstige Besitzer die Aufmerksamkeit eines
so berühmten Literaten auf sich gezogen hatte, fand sie.
Wenngleich das, was davon übrig war, auf sie eine stetige
Faszination ausübte. Der verfallene Turm und die weitläufigen Mauerreste zeugten noch immer von der einstigen Größe
und Wehrhaftigkeit des Clansitzes.
Sie lief den schmalen Weg am Friedhof entlang, bis sie die
steile Treppe erreicht hatte, welche nach oben zum Ruinenareal führte. Während ihres Aufstieges verwünschte sie die
Tatsache, eine Jeans und feste Wanderstiefel angezogen zu
haben, denn sie kam dadurch ziemlich ins Schwitzen. Es war
ein warmer Spätsommer-Nachmittag, von denen es in Schottland wenige gab. Deswegen genoss sie es im Grunde, und anstatt innerlich über die Strapaze zu klagen, streifte sie ihre
beigefarbene Strickjacke ab, unter der sie eine schmalgeschnittene weiße Bluse, sowie ein schwarzes Top trug, und
schlang sie sich um die Hüften.
Sie passierte die wehrhaft wirkende, vergleichsweise gut erhaltene Außenmauer der Burg, um zunächst einen Blick auf
das Meer zu erhaschen.
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Die Aussicht, die sie von der Anhöhe hatte, auf deren Grasnarbe sie nun stand, entschädigte sie schließlich für alle Mühen. Es war immer wieder ein überwältigendes Gefühl, von
dort hinab auf die weite, glitzernde See zu blicken, deren Wellen sich rauschend und ungestüm am steinigen Strandabschnitt brachen. Ein Bohlenweg schlängelte sich malerisch
durch die schilfbewachsene Dünung nach unten. In der Ferne
konnte sie in südlicher Richtung Kirkcaldy erkennen, das
größte Städtchen hier in der Gegend, und im Norden, unweit
von Wemyss, das Örtchen Buckhaven, welches ebenfalls erst
durch die Industrialisierung im achtzehnten Jahrhundert entstanden war. Vor dessen Küste wurde derzeit ein riesiger
Offshore-Windpark errichtet. Ein paar der großen TurbinenWindräder drehten dort schon fleißig ihre Kreise. Zufrieden
betrachtete sie diese Szenerie, die ein wichtiger Beitrag für
eine bessere Zukunft war. Erneuerbare, alternative Energien
waren die einzige Möglichkeit, der Umweltzerstörung entgegenzusteuern, welche der Raubbau der Menschen verursachte, sinnierte sie. Dann wandte sie sich innerlich wieder
dem Hier und Jetzt zu.
Direkt unter ihr befanden sich die Wemyss Caves, deren Inneres samt Höhlenzeichnungen sie bereits oft bestaunt hatte,
ebenso wie die äußerst gut erhaltenen Skelette längst ausgestorbener Tiere, die man dort mysteriöserweise, einfach auf
dem nackten Boden liegend, gefunden hatte und nun in einem
Schaukasten ausstellte. Irgendwann in den achtziger Jahren
hatte es wohl einen großen Aufruhr um die Kavernen gegeben, weil ein paar betrunkene Vandalen mit einem gestohlenen Auto hineingeprescht waren, welches daraufhin in
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Flammen aufgegangen war, einen Teil der Höhlen zum Einsturz gebracht hatte, und einige Felsmalereien unwiederbringlich zerstört hatte. Seither wurden die Kavernen lediglich an
den Wochenenden der Öffentlichkeit zugänglich gemacht,
wenn sich ein Aufseher dort befand. Jetzt waren sie mit Gittertüren verschlossen. Bonnie hatte jedoch absichtlich einen
Wochentag für ihren Besuch hier gewählt, weil sie so die Gewissheit hatte, auf diese Weise ungestört die Ruhe dieses besonderen Ortes genießen zu können. Hierher verirrte sich an
Werktagen selten jemand, und die Touristen wurden sonntäglich per Rundreisebus angekarrt. Die Einheimischen schienen
die Höhlen und das Gemäuer darüber merkwürdigerweise immer noch zu meiden, selbst in der heutigen, aufgeklärten Zeit,
in der man wusste, dass es keine Geister gab und kein "Feenvolk" existierte, das Menschen entführte.
Nachdem sie einige Minuten lang andächtig dem Geräusch
der Wellen gelauscht hatte, begab sie sich zum Innenhof der
Ruine. Sie war seit ein paar Jahren nicht mehr hier gewesen,
doch es war noch genauso, wie sie es in Erinnerung gehabt
hatte. Ehrfürchtig berührte sie die Steine, bevor sie umherging, Fotos mit ihrem Smartphone schoss, und die vielen
Winkel bewunderte. Jedesmal wenn sie hierherkam war es,
als würde sie immer neue Seiten an diesem Areal wahrnehmen. Leider war der Aufgang zum Turm mit einem Gitter verschlossen, da Einsturzgefahr bestand. Sie bedauerte es
zutiefst, dass es den zuständigen Behörden wohl nicht der
Mühe wert war, ihn stattdessen zu restaurieren.
Gerade hatte sie wieder eine Entdeckung gemacht, welche ihr
vorher noch nie aufgefallen war. Es war eine niedrige Öffnung im unteren Bereich des Turmes, die vermuten ließ, dass
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sich dort einmal eine weitere Tür befunden hatte. Der Sand
der Zeit hatte wohl dafür gesorgt, dass deren Durchgang nur
noch halb zu sehen war. Bisher war die Stelle offenbar von
einem Gebüsch verdeckt gewesen, das durch die Sommersonne kläglich vertrocknet war. Neugierig näherte sie sich
dem Spalt, um hineinzuspähen, als sie plötzlich ein geräuschvolles Knacken unter sich vernahm, das sie erschrocken innehalten ließ. Im nächsten Moment wusste sie kaum, wie ihr
geschah, als sich unter ihr wortwörtlich der Boden auftat und
sie den Halt verlor. Splitterndes Holz knirschte unter ihren
Füßen und brach weg, so dass sie in den leeren Raum, der
offenbar darunterlag, zu fallen drohte, wie sie in ihrem Schrecken noch wahrnahm. Sie keuchte angstvoll, klammerte sich
geistesgegenwärtig an einen der unter der Grasnarbe verborgenen morschen Balken und stemmte ihren Oberkörper darauf, während ihre Beine hilflos im Leeren baumelten.
Panisch realisierte sie, dass auch dieser Balken nicht halten
würde, denn er bröckelte förmlich unter ihr weg. Verzweifelt
versuchte sie, einen anderen Halt zu finden, an dem sie sich
hochziehen konnte, doch es war zu spät. Mit einem Aufschrei
fiel sie hinab. Unsanft schlug sie einen Sekundenbruchteil
später auf dem Boden auf und konnte sich gerade noch seitlich abfangen, um ihren Kopf vor dem Aufprall zu bewahren.
In diesem Moment war sie froh, über ein ausgeprägtes Gesäßpolster zu verfügen, das ihren Sturz abgefedert hatte. Dennoch tat ihr alles weh.
Sie sah sich um und konnte im Zwielicht erkennen, dass die
felsigen Wände um sie herum nahezu vollständig mit fremdartigen Symbolen in weißer Farbe bedeckt waren. Ein Blick
nach oben verriet ihr, dass das mit den morschen, gesplitterten
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Balken bedeckte, kreisrunde Loch im Gestein, durch das sie
gefallen war, etwa sechs Fuß, also gut mannshoch über ihr
lag. Ächzend und mit schmerzverzerrtem Gesicht wollte sie
sich aufrichten und eine Bestandsaufnahme möglicher Verletzungen machen, als die Wände um sie herum sich scheinbar
zu drehen begannen und eine schwarze Finsternis sie förmlich
zu verschlucken drohte. Voller Entsetzen versuchte sie noch,
dagegen anzukämpfen, doch dann war sie plötzlich zu keinem
klaren Gedanken und zu keiner Bewegung mehr fähig. Sie
fühlte sich, als würde sie sich auflösen und schweben, ein
gleichermaßen schreckliches wie tröstliches Gefühl, als wäre
nichts mehr wichtig. Dann verlor sie das Bewusstsein.
~
Quintus war fassungslos und traute seinen Augen kaum, als
eine junge Frau vor ihm auf dem Höhlenboden auftauchte,
aus dem Nichts heraus, kurz nachdem er dieses grauenvolle
Erlebnis der gefühlten Verflüssigung gehabt hatte. Sie lag auf
dem Rücken und war offensichtlich bewusstlos. Ihr Kopf war
von ihm abgewandt, doch er konnte erkennen, dass ihre Augen geschlossen waren.
Nachdem er seine erste Verwirrung überwunden hatte, näherte er sich ihr vorsichtig. Inzwischen war es ihm gelungen,
seine Kraft wiederzufinden um aufzustehen. Er ging neben ihr
auf die Knie, drehte ihr Gesicht zu sich, indem er zwei Finger
an ihr Kinn legte, und betrachtete sie nachdenklich. Sie war
ausgesprochen ansehnlich, soweit er im Zwielicht der caverna
erkennen konnte, und hatte feine Gesichtzüge. Ihr langes Haar war etwas heller als sein eigenes, und ergoss sich in
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sanften Wellen über ihre Schultern. Er sah an ihr herunter und
ihm fiel auf, dass sie sehr seltsam gekleidet war. Ihre Beine
steckten in langen Hosen, was er noch nie bei einer Frau gesehen hatte, aber ihm in aufregender Weise die Konturen ihrer
wohlgeformten Schenkel bis zum Ansatz offenbarte. Doch
jetzt war nicht die Zeit für solche Gedanken, ermahnte er sich.
Er musste herausfinden, was hier vor sich ging. Wer war sie?
Eine Zauberin etwa, weil sie aus dem Nichts aufzutauchen
vermochte? Aber wenn sie diese Macht hatte, warum war sie
dann bewusstlos? Eine Piktin konnte sie nicht sein, dazu war
sie zu sauber und roch zu gut. Sie roch sogar besser als die
reichen Römerinnen, wunderte er sich, sie musste also aus gutem Hause stammen. Aber was machte sie dann in dieser unwirtlichen Gegend?
Plötzlich riss ihn Hufgetrappel aus seinen Überlegungen. Er
ließ den Kopf der jungen Frau wieder zur Seite sinken, sah
auf und erkannte, dass sich soeben ein Fremder zu Pferd den
Höhlen näherte. Der Mann konnte sie beide allerdings nicht
gesehen haben, denn durch das Halbdunkel der hinteren
caverna und den vorgelagerten schmalen Gang waren sie vor
Blicken geschützt. Trotzdem warf er sich flach auf den Boden, mit seinem Oberkörper halb über dem der Frau. Dabei
fühlte er, obwohl er sich in diesem Moment eher auf den
Fremden konzentrieren sollte, ihre weiblichen Rundungen erregend deutlich an seiner Brust, und nahm ihren dezenten,
köstlichen Duft zur Gänze wahr. Dieser erinnerte ihn zu seiner Verblüffung an die Früchte und Blüten seiner Heimat, was
kurz so etwas wie eine aberwitzige Sehnsucht in ihm aufkeimen ließ. Quintus schluckte, schüttelte die unwillkommenen
Gedanken abermals ab, und richtete seinen Blick, sowie seine
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volle Konzentration auf den Mann, der sich zu seinem Unmut
nun in der vorderen Höhle zu schaffen machte. Dieser war eigenartig gewandet und trug eine seltsame Kopfbedeckung.
Das war kein Pikte und auch kein Römer, da war er sich sicher. Doch wer war er dann? Besser, er hielt sich erst einmal
vor ihm verborgen, beschloss er. Er tastete nach dem Messer
in seinem Waffengürtel. Es war noch da. In diesem Moment
begann sich die junge Frau zu regen.
Bonnie öffnete benommen die Augen und spürte verwundert
ein unerklärliches Gewicht auf ihrer Brust. Sie drehte den
Kopf zur Seite und blickte schockiert in die Augen eines fremden Mannes, der mit seinem freien Oberkörper halb auf ihr
lag. Als sie zu einem Hilfeschrei ansetzen wollte, legte ihr
dieser zu ihrem Entsetzen eine kräftige Hand auf den Mund,
warf sich der Länge nach auf sie, und drückte sie mit seinem
Leib fest auf den Boden. Sie versuchte verzweifelt, sich zu
befreien, indem sie sich mit beiden Händen gegen seine breiten Schultern stemmte. Doch er war stark, und er hatte offenbar nicht vor sie gehenzulassen, so sehr sie sich auch wand.
Eine nie gekannte panische Angst erfasste sie. Außerdem
schmerzte ihr ganzer Körper nach wie vor von dem Sturz, und
vielleicht auch davon, was darauf gefolgt war. Sein Gewicht
auf ihr machte das nicht besser. Eben noch hatte sie das
furchtbare Gefühl gehabt sich aufzulösen oder gar zu sterben,
und jetzt lag ein Fremder auf ihr, der wer weiß was mit ihr
vorhatte! »Schscht«, machte dieser leise, aber sie wehrte sich
weiter.
Quintus hielt die sich unter ihm windende junge Frau mühelos
fest. Er hatte ihr den Mund zuhalten müssen, damit sie den
Fremden, den er ständig im Auge behielt, nicht auf sie beide
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aufmerksam machte. Immerhin wusste er ja nicht, ob dieser
Freund oder Feind war. Endlich hatte der Mann beendet, was
immer er auch getan haben mochte, stieg vor der caverna wieder auf sein Pferd und ritt langsam davon.
Bonnie hatte das Hufklappern gehört und schöpfte Hoffnung.
Sie sah, dass der Fremde über ihr einen Moment lang nicht
auf sie achtete, sondern in Richtung des Ursprungs der Geräusche blickte. Seine Hüften kippten sogar ein wenig zur Seite,
so dass sie ein Bein wieder bewegen konnte. Sie nutzte ihren
Überraschungsmoment und rammte ihm mit all ihrer Kraft ihr
Knie in die Hoden. Augenblicklich krümmte er sich vor
Schmerzen stöhnend zusammen, und sie konnte sich befreien.
Hastig kam sie auf die Beine und unterdrückte den Schmerz
in ihren Gliedern. So schnell sie konnte floh sie durch den
Gang in die vordere Höhle und ins Freie, wo das Hufgetrappel noch zu hören war. Im Hinterkopf wunderte sie sich kurz
darüber, warum die Kavernen heute doch nicht verschlossen
waren, aber das war jetzt zweitrangig. Vielleicht war da jemand, der ihr helfen konnte. Außerdem wollte sie nach all
diesen verstörenden Ereignissen jetzt nur noch ins Auto steigen und weg von hier. Vielleicht sollte sie nach diesem Sturz
sicherheitshalber einen Arzt aufsuchen. Sie glaubte zwar
nicht, dass etwas gebrochen war, jedoch vielleicht geprellt.
»Hilfe!« rief sie, als sie den Hufgeräuschen näher kam. Selbige verstummten augenblicklich, offenbar hatte also der Reiter auf ihren Ruf hin angehalten. Dieser parierte soeben sein
Pferd auf der Anhöhe, wie sie nun sah, als sie den Kopf hob.
Ihre Augen weiteten sich bei seinem Anblick in ungläubigem
Staunen. Der Mann trug verschlissene graue Kniebundhosen
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und ein ebenso abgetragen wirkendes Hemd mit weiten Ärmeln, das einmal weiß gewesen sein musste. Seine Haare waren lang, ungepflegt, und bedeckt mit einem speckigen,
karierten Bonnet, der traditionellen schottischen Kopfbedeckung, welche er asymmetrisch in die Stirn gezogen hatte.
Natürlich, schoss es ihr durch den Kopf, sie war wahrscheinlich in eins dieser Highland-Rollenspiele geraten.
»Sir, ich bin angegriffen worden!«, rief sie ihm zu. »Bitte helfen Sie mir!«
Sie lief ihm entgegen, indem sie die Anhöhe erklomm, und
war jetzt nur noch wenige Meter von ihm entfernt. Er sah mit
spöttischer Miene wortwörtlich von seinem hohen Ross auf
sie herunter und stieg dann ab.
»Na das ist ja kein Wunder«, entgegnete er flapsig mit einem
kaum verständlichen schottischen Dialekt und einem deutlich
anzüglichen Grinsen. »Wenn Ihr mutterseelenallein und derart schamlos gewandet hier herumlauft. Dabei klingt Ihr ganz
und gar nicht wie eine schottische Dirne, sondern wie eine
feine englische Lady.«
Bonnie musterte ihn verblüfft. Offenbar nahm dieser sein Rollenspiel wirklich ernst und glaubte ihr außerdem nicht.
»Ich mache keine Witze«, fuhr sie mit sich überschlagender
Stimme fort. »Da hinten in der Höhle hat mich wirklich ein
Mann angegriffen. Bleiben Sie bitte in der Nähe, bis ich bei
meinem Auto bin? Es steht gleich dort vorne auf dem Parkplatz des Friedhofs.«
Der Mann sah sie mit einem merkwürdigen Blick an. Offenbar war er etwas minderbemittelt, fürchtete sie, denn er
machte den Eindruck, als hätte er nichts von dem, was sie ge-
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sagt hatte, verstanden. Seine Antwort verstärkte diese Annahme noch: »Bei Eurem was? Aoto?« Er sprach das letzte
Wort seltsam fremdartig aus und fuhr dann in zotiger
Weise fort: »Also hört einmal, Weib, im Grunde hätte ich eigentlich gar keine Zeit, mich mit einer verdammten Engländerin zu befassen, aber da Ihr ein hübsches Mädel, mit diesen
Hosen wirklich aufreizend angezogen seid, und es darauf anzulegen scheint, werde ich mir an Euch geschwind meinen
Stecken polieren.«
Mit diesen Worten näherte er sich ihr wölfisch grinsend und
wollte nach ihrem Arm greifen, doch sie begriff in diesem
Moment, dass der Mann nicht nur ein Rollenspiel-Fan, sondern auch noch ein perverser Verrückter sein musste. Sie wich
etwas zurück. Dann rannte sie in weitem Bogen an ihm vorbei
und hoffte, dass sie ihr Auto erreichte bevor er sie einholte,
wenn er sie denn verfolgte. Und das tat er, wie sie panisch
beobachten konnte, als sie kurz den Kopf umwandte. Mein
Gott, flehte sie innerlich, waren denn heute alle Männer verrückt geworden? Das hatte sie nun davon, alleine hier in die
menschenleere Einöde zu kommen, schalt sie sich insgeheim.
Sie hastete panisch an der großen Außenmauer der Burg vorbei, ohne ein Auge dafür zu haben, und erreichte dann die
Stelle, an der sich die Treppe hinunter zum Friedhof befand.
Zumindest befinden sollte.
Bonnie bekam einen Schock als sie realisierte, dass dort weder eine Treppe war, noch der Friedhof, auf dessen Parkplatz
sie das Auto abgestellt hatte. Sie sah es nicht mehr, obwohl
sie es von ihrer Position aus hätte erkennen müssen. Verschwunden war auch die Straße, auf der sie hergefahren war,
und das Örtchen East Wemyss. Stattdessen befand sich dort
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eine ausgedehnte Graslandschaft, soweit das Auge blicken
konnte, lediglich unterbrochen von einem kleinen, nahen Wäldchen. Ihre Beine versagten ihr den Dienst und sie
sank auf die Knie. Fassungslos starrte sie den Abhang hinunter, so als erwarte sie, dass der Friedhof, der Parkplatz und die
Straße bald wieder auftauchen würden. Aber das taten sie
nicht. Sie befürchtete, verrückt geworden zu sein. Was war
hier nur los? Was war in dieser Höhle mit ihr passiert?
Doch Zeit zum Nachdenken blieb ihr nicht, denn ihr Verfolger hatte sie jetzt erreicht. Fast verschwommen nahm sie
wahr, wie er den Hut abnahm, sie zu rüde Boden warf und
über ihr war, bevor sie wusste, wie ihr geschah. Da kam wieder Leben in sie. Verdammt, nicht schon wieder, fluchte sie
innerlich, und versuchte sich ihm zu entwinden, aber der
Mann war von grobschlächtiger Statur, so dass sie keine
Chance hatte.
Er grinste nur gierig und knurrte: »Wehr dich nicht, Dirne, so
haben wir vielleicht beide was davon.«
Doch sie dachte gar nicht daran, seinen Worten Folge zu leisten, sondern stemmte sich mit einem Laut der Verzweiflung
energisch gegen ihn, und rief noch einmal um Hilfe. Auch
wenn sie nicht glaubte, dass ihr in dieser verlassenen Gegend
jemand helfen würde.
Daraufhin fluchte er und schlug ihr unvermittelt kräftig ins
Gesicht. Sie fuhr geschockt zusammen und war erschrocken
über seine plötzliche Brutalität. Er schlug noch einmal zu und
sie spürte, wie ihr die Sinne schwanden. Sie war benommen,
aber Ekel und Abscheu brachten sie wieder zu sich, als er seinen Unterleib an ihr rieb. Währenddessen blies er ihr sichtlich
erregt seinen übelriechenden Atem ins Gesicht. Es war klar,
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was er beabsichtigte. Das durfte sie nicht zulassen. Sie riss
sich zusammen und bot noch einmal ihre letzten Kräfte auf,
um ihn von sich zu stoßen. Doch ihr Peiniger hielt sie fest und
zückte einen kurzen Dolch aus seinem Gürtel, dessen Spitze
er ihr mit einem gefährlichen Blick an den Hals setzte. Angstvoll hielt sie die Luft an und wagte kaum zu atmen, mit der
Klinge an der Kehle.
»Ich stopfe dir jetzt das Maul mit meinem Knüppel, bevor ich
dich stoße, bis dir Hören und Sehen vergeht. Und du wirst
schön mitmachen, wenn dir dein Leben lieb ist«,
zischte er und fingerte am Verschluss seiner Hose herum.
Dafür musste er mit einer Hand von ihr ablassen, doch mit der
Messerspitze an ihrem Hals und seinen kräftigen Schenkeln
seitlich ihrer Hüften, die sie an Ort und Stelle hielten, hatte sie
trotzdem keine Chance, ihm zu entkommen. Sie umklammerte jetzt zwar panisch seinen Arm, mit dem er den Dolch
hielt, um ihn von ihr wegzuschieben, aber sie erreichte das
Gegenteil. Er drückte die Klinge derart fest an ihre Haut, dass
es empfindlich schmerzte, und sie jetzt Todesangst bekam,
auch wegen seiner Worte. Warum sollte ihr Peiniger sie am
Leben lassen, nachdem er ihr das Unsägliche angetan hatte?
Würde das ihr Ende sein?
Der Mann richtete sich auf, um seine Hose herunterzulassen,
und musterte sie dabei mit gierigem Blick, ohne das Messer
von ihrem Hals zu nehmen. Sie schloss die Augen und überlegte mit fieberhafter Verzweiflung, ob sie nicht lieber sterben würde, bevor sie vergewaltigt wurde.
Da spürte sie plötzlich einen warmen, feuchten Strom, der
ihre Bluse durchnässte, und hörte ihn stöhnen. Er würde doch
nicht …?
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Bonnie öffnete die Augen, denen sich ein grauenerregendes
Bild bot. Ein Schnitt verlief quer über die Kehle ihres Peinigers, aus dem das Blut auf sie herabspritzte, während er mit
einem erstickten Gurgeln sein Leben aushauchte. Ihr entfuhr
ein schockierter Laut, und ein starker Würgereiz überkam sie,
den sie nur mit Mühe unterdrücken konnte. Es gelang ihr jedoch, weil ihr in beunruhigender Weise klar war, dass die Gefahr noch nicht gebannt war.
In jeder Hinsicht überfordert und verängstigt blickte sie auf
und sah den fremden Mann aus der Höhle, der ein blutiges
Messer in der einen Hand hielt und mit der anderen soeben
den schlaffen, toten Körper ihres Peinigers kraftvoll zur Seite
wuchtete, so dass sie frei war. Dabei zeigte sich auf seinem
Gesicht ein derart eisiger Ausdruck, dass es ihr kalt den Rücken hinunterlief. Sie richtete sich halb auf, wich vor ihm zurück, und musterte ihn mit einem beklemmenden Gefühl der
absoluten Hilflosigkeit. Er hatte sie vor diesem Verrückten
gerettet, doch was würde er mit ihr machen? Würde er beenden, was der andere begonnen hatte?
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Kapitel 3 : Fieber
Quintus erwiderte den sichtlich verängstigten Blick der jungen Frau zunächst mit frostiger, distanzierter Miene.
Nach ihrem Tritt in sein Gemächt war er ausgesprochen zornig auf sie gewesen. Das war schon das zweite Mal heute,
dass ihm das widerfuhr, und er konnte froh sein, wenn er
künftig überhaupt noch fähig sein würde, seinen Mann zu stehen. Doch als er wieder imstande gewesen war zu laufen,
hatte er trotz seines Grolls auf sie beschlossen, ihr zu folgen.
Vor allem, nachdem er zu seiner Verblüffung registriert hatte,
dass sich in der vorderen Höhle, die bei seinem Eintreten leer
gewesen war, nun eine große Anzahl Holzfässer befand.
Diese konnte der Kerl in so kurzer Zeit nicht hierhergeschafft
haben, noch dazu ohne Fuhrwerk. Das zusammen mit der
merkwürdigen Gewandung der Frau und des Mannes gab ihm
ein seltsames Gefühl. Etwas stimmte nicht. Irgendeine Zauberei war hier im Gange und vielleicht war sie der Schlüssel
dazu. Er hatte beschlossen sie zu finden und zur Rede zu stellen, auch wenn das bedeutete, den Schutz der Höhle aufzugeben und möglicherweise doch noch den Pikten in die Hände
zu geraten, in deren Fänge die junge Frau wahrscheinlich geradewegs lief. Und er hatte ja auch noch nicht gewusst, was
es mit dem fremden Reiter auf sich hatte. Zu seiner Schande
hatte er sich allerdings eingestehen müssen, dass ihm wohler
sein würde, aus den cavernae herauszukommen. Ihm stellten
sich nämlich in beunruhigender Weise die Nackenhärchen
auf, wenn er an das grauenhafte Gefühl dachte, das er dort
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drin gehabt hatte - womit er nicht an die unsanfte Behandlung
seines Gemächts dachte. Nachdem er dann aus der Höhle getreten war und den Blick gehoben hatte, war ihm fast die Luft
weggeblieben. Auf der Anhöhe oberhalb der cavernae, die zuvor unbebaut gewesen war, thronte jetzt ein beeindruckendes
Gebäude mit einem hohen Turm. Diese Bauweise war ihm
völlig fremd, trotzdem erkannte er mit dem geübten Blick eines Soldaten, dass es unter dem Gesichtspunkt der Wehrhaftigkeit errichtet worden war, ähnlich wie ein burgus, eines der
römischen Kleinkastelle, welche als Wachposten genutzt
wurden. Er hatte kaum seinen Augen getraut. War er doch
eben erst von dort oben herabgestiegen, und zu diesem Zeitpunkt hatte da noch kein Gemäuer gestanden. Das war unmöglich!
Doch er durfte keine Zeit mit Rätselraten verlieren, hatte er
sich ermahnt, denn er hatte sie schreien hören. Er konnte nicht
verstehen, was sie gerufen hatte, aber es hatte verzweifelt geklungen. Also war er in geduckter Haltung an der äußeren
Mauer entlang geschlichen, in Richtung der Schreie. Dort war
er erst des gemächlich grasenden Pferdes ansichtig geworden,
dann sah er sie. Sie hatte auf dem Boden gelegen und der Kerl
lag in eindeutiger Absicht auf ihr. Die junge Frau hatte sich
verzweifelt gewehrt, hatte gegen den kräftigen, mit einem
Dolch bewaffneten Mann aber keine Chance. Er musste ihr
helfen, das stand außer Frage. Es war nicht nur die Tatsache,
dass er sie wegen der seltsamen Ereignisse zur Rede stellen
wollte. Zudem war er immer ein Gegner davon gewesen,
Frauen gegen ihren Willen zu nehmen und gar Gewalt anzutun. In seinen Augen war es ein erbärmliches Zeichen von
Schwäche, und nicht von Macht oder Stärke, seinen Trieben
auf diese Weise nachzugeben. Ein Standpunkt, den er auch
bei seinen Legionären stets mit Nachdruck durchgesetzt hatte.
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Somit war es ihm zuwider, das zuzulassen, was sich da vor
ihm abspielte. Wer sie auch sein mochte.
Kurzentschlossen hatte er sein Messer gezückt und sich angeschlichen, ohne dass der Kerl ihn bemerkte. Als dieser sich
aufgerichtet hatte, war er blitzschnell hinter ihm gewesen und
hatte ihm die Kehle durchgeschnitten.
Und jetzt stand er da und betrachtete die zitternde Frau, die
mit dem Blut des Mannes befleckt ängstlich vor ihm auf dem
Boden kauerte, und von der er sich irgendwie nicht vorstellen
konnte, dass sie eine Hexe oder Zauberin sein sollte, so hilflos
wie sie schien. Zudem war sie wirklich von außergewöhnlicher Anmut. Trotzdem wollte er Antworten von ihr.
Er legte den blutverschmierten Dolch auf den Boden, und näherte sich ihr mit beruhigend ausgebreiteten Armen. Zumindest hoffte er, dass sie trotz seines halbnackten Aufzuges
seine Absicht erkennen würde, ihr nichts antun zu wollen.
Quintus entschied, sie zuerst auf piktisch anzusprechen, obwohl er eigentlich sicher war, dass sie keine Piktin sein
konnte. Aber die Frau eines Römers würde hier, so weit im
gefährlichen Osten Caledoniums, niemals anzutreffen sein.
»Ich tue dir nichts zuleide, sag mir jedoch, wer du bist und
was du hier machst«, begann er in seinem, wie er annahm, mildesten Tonfall. Es war schließlich nicht so, dass er
viel Erfahrung darin hatte, so mitfühlend zu sprechen.
Sie blickte ihn mit großen Augen an. Nun erkannte er, dass
sie von einem klaren Blau waren, fast wie die Farbe des Meeres. Ihm fiel deren faszinierender Kontrast zu ihrem Haar auf,
dessen schimmerndes Goldbraun ihn an wilden Honig erinnerte.
Die junge Frau zuckte hilflos mit den Achseln und antwortete
in einer ihm fremden Sprache. Ihr Gebaren verriet ihm, dass
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sie ihn nicht verstanden hatte. Jetzt schüttelte er den Kopf um
seinerseits anzuzeigen, dass er ihre Worte nicht verstand, und
versuchte es probehalber mit der Sprechweise der Scotii von
den Inseln jenseits des Meeres westlich Caledoniums. Möglicherweise war sie von dort irgendwie hierher gelangt und
ihre Wortart ein Dialekt. Doch auch dieser Versuch schlug
fehl. Schließlich beschloss er, ihr die selbe Frage in der lingua
latina zu stellen, hatte allerdings wenig Hoffnung, dass sie das
verstehen würde. Doch zu seinem Erstaunen erhellte sich ihre
Miene daraufhin.
Bonnie war verblüfft, dass der Mann in Latein mit ihr kommunizierte, nachdem er es zunächst in einer Sprache versucht hatte, die ähnlich wie Gälisch klang, was sie einige
Male ihren Großvater mit seinen Freunden im Pub hatte sprechen hören. Offenbar hatte der Fremde nicht vor, ihr das Gleiche antun zu wollen wie der Reiter, vor dem er sie gerettet
hatte. Das beruhigte sie aber nur mäßig, weil er sie zuvor in
der Höhle hatte festhalten wollen. Merkwürdig war, dass er
offenbar kein Englisch beherrschte. Sie verstand Latein, doch
die Version, die der Mann sprach, unterschied sich deutlich von der, die sie seinerzeit in der Oberstufe gelernt hatte.
Es erinnerte entfernt an Italienisch, war aber doch wieder
ganz anders. Wer war er bloß und wo kam er her? Aber zuerst
wollte sie versuchen, auf seine Frage zu antworten. Das war
nicht eben einfach, denn bisher hatte sie ihre Latein-Kenntnisse schließlich nie wirklich im Alltagsgespräch einsetzen
müssen. Wie war das noch gleich? Nomen mihi est …
Sie kramte gedanklich das große Latinum aus ihrer Schulzeit
zusammen, setzte sich auf, atmete tief ein und brachte nach
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einem nervösen Blick auf den Toten neben sich stockend hervor: »Mein Name ist Bonnie, und ich wollte mir nur die Ruinen ansehen. Dann bin ich gefallen und hatte ein grauenhaftes
Auflösegefühl in der Höhle. Anschließend waren mein Mini
Cooper und die Straße weg.«
Bei den letzten Worten begann sie wieder heftiger zu zittern
und ahnte, dass sie einen Schock haben musste. Außerdem
fürchtete sie, dass ihre Sätze im Vergleich zu ihm, der recht
flüssig geredet hatte, simpel und abgehackt geklungen haben
mussten. Sie hätte sich wohl im Lateinunterricht mehr ins
Zeug legen müssen, schalt sie sich. Wer hätte auch gedacht,
dass sie diese tote Sprache je würde praktisch anwenden
müssen?
Quintus hatte nicht alles verstanden, was die Frau gesagt
hatte. Das Wort "Mini Cooper" kannte er nicht. Sie hatte außerdem ein wenig verwirrt geklungen, doch immerhin beherrschte sie seine Sprache, wenn auch eine sehr seltsame
Version. Es klang so, wie die Gelehrten es in ihren Schriften
niederschrieben, nicht, wie man normalerweise redete. Wie es
auch sei, warum war sie so plötzlich aus dem Nichts aufgetaucht? Zumindest war er sich nun sicher, dass sie diese seltsamen Ereignisse nicht verursacht hatte und weder Hexe noch
Zauberin war, angesichts dessen, dass dieses Erlebnis in der
caverna für sie mindestens ebenso furchtbar gewesen war wie
für ihn. Er wusste nicht wieso, doch er hatte mit einem
Mal das Gefühl, diese fremde, wie Espenlaub zitternde junge
Frau trösten zu müssen. Also ging er neben ihr in die Hocke,
legte ihr die Hand auf die Schulter und sagte mit beruhigender
Stimme: »Wir werden schon herausfinden, was hier im Gange
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ist.« Obwohl er sich nicht sicher war, dass ihnen das wirklich
gelingen würde.
Bonnie hob den Kopf und sah ihn an. Seine warme Hand auf
ihrer Schulter war nicht unangenehm, obwohl sie normalerweise nicht gerne unvermittelt berührt wurde. Aber seine vertrauenerweckende Miene vertrieb ihre Befangenheit, und
seltsamerweise auch ihre Bedenken ihm gegenüber. Er sah
unbestreitbar gut aus, wie ihr jetzt auffiel. Wenn er so mitfühlend blickte, nahm das seinen markant männlichen Gesichtszügen die Strenge. Schätzungsweise musste er einige Jahre
älter als sie selbst sein. Er hatte hellbraune Augen, kurzes,
dunkles Haar, und unter anderen Umständen hätte sie für einen Mann seines Aussehens mehr als einen Blick riskiert.
Nun ja, aufgrund ihres zurückhaltenden Wesens wahrscheinlich nur dann, wenn er auf einem Magazincover von "Men`s
Health" oder dergleichen abgebildet gewesen wäre, wohin er
gut gepasst hätte. In natura hatte sie noch nie ein männliches
Individuum mit einem derart durchtrainierten Körper gesehen. Nicht dieser aufgepumpte Schwarzenegger-Stil, sondern
eher ästhetisch-athletisch. Am Rande fiel ihr noch auf, dass
seine Brust durch eine Wunde verunziert wurde. Sie vermied
es jedoch, ihn allzu ausführlich zu mustern. Immerhin war er
ein völlig Fremder, und sie musste die Erfahrung einer Beinahe-Vergewaltigung verarbeiten.
Verlegen räusperte sie sich und erklärte dann mit ernster
Miene: »Ich danke dir, dass du mir geholfen hast.«
Das Lateinische kannte keine Höflichkeits-Anrede, genau wie
das moderne Englisch. Ihn sozusagen duzen zu können, nahm
ihr einen weiteren Teil der Befangenheit ihm gegenüber. Im
Französischen zum Beispiel, das sie ebenfalls beherrschte,
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wäre das anders gewesen. Offensichtlich war er aber kein
Franzose.
Er winkte in laxer Weise ab, so als wäre es für ihn alltäglich,
zu töten, um hilfsbedürftige Frauen zu retten. Zumindest
machte er auf sie diesen Eindruck. Warum? War er ein Soldat
auf Urlaub? Ein Polizist? Ein ausländischer Tourist, der zufälligerweise Spezialist im Umgang mit Stichwaffen war?
Warum zur Hölle war er halbnackt? So brütend heiß waren
die Temperaturen heute auch wieder nicht. Die Sonne hatte
sich inzwischen hinter die Wolken verzogen, während sie in
der Kaverne gewesen war. Es fröstelte sie.
Zaghaft wollte sie jetzt ihrerseits von ihm wissen: »Und wer
bist du? Was hast du in der Höhle gemacht?«
Sie hatte noch viel mehr Fragen an ihn, doch dies waren die
ersten, die ihr in den Sinn kamen.
»Mein Name ist Quintus Cornelius Priscus, Centurio der gefallenen neunten Legion des römischen Imperiums«, antwortete er mit lässiger Routine auf die Frage der jungen Frau.
Quintus wollte noch fortfahren, als er aber ihren Gesichtsausdruck sah, nachdem er seinen Namen und seinen Rang genannt hatte, hielt er inne und beobachtete sie besorgt. Sie
wurde leichenblass und sank so schnell bewusstlos zur Seite,
dass er sie gerade noch auffangen konnte.
Es war wohl alles ein bisschen viel für sie gewesen, vermutete
er, während er sie kurz darauf mühelos auf seinen Armen zum
Gemäuer des burgus trug und dabei bestrebt war, sie nicht genau anzusehen. Grund war, dass die vom inzwischen geronnenen Blut des Toten durchtränkte Vorderseite ihres
Gewandes an ihrem Körper klebte, und sich darunter deutlich
ihr sanft gerundeter Busen abzeichnete, welcher seitlich an
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seiner bloßen Brust ruhte. Sein letzter coitus war zwar schon
so lange her, dass allein dieser Anblick das Verlangen seiner
Lenden entfachte, er hatte jedoch gewiss nicht vor, eine hilfund bewusstlose Frau zu schänden, so ansehnlich sie auch
war. Wichtig war nur, eine noch genauere Antwort von ihr zu
bekommen darüber, was denn mit ihr geschehen war. Nun
würde er ihr allerdings zunächst etwas Ruhe gönnen, und
währenddessen auch seine Gedanken ordnen.
Behutsam legte er sie in eine geschützte Ecke innerhalb des
komplett leerstehenden Gebäudes, welche die Kühle der bald
hereinbrechenden Nacht etwas abhalten würde. Wenngleich
das riesige Eingangstor des Raumes derart geborsten war,
dass es recht zugig werden würde. Der Wildwuchs, der hier
überall herrschte, und die beiden offenen, ramponierten
Holztore, die das Gemäuer eigentlich schützen sollten, verrieten ihm, dass es schon seit langer Zeit unbewohnt sein musste.
Das konnte Vor-, sowie Nachteile haben, sagte er sich. Etwaige Bewohner, so es denn Römer wären, hätten ihn unterstützen können, die Pikten abzuwehren, wenn diese ihn hier
finden würden. Doch so musste er auf seine Götter und auf
sich selbst vertrauen. In die Höhlen wagte er sich vorerst nicht
mehr, denn die fremden Götter hatten ihm deutlich gezeigt,
dass sie seine Anwesenheit dort nicht wünschten. Nur so
konnte er sich das mysteriöse Geschehen in der caverna erklären. Trotzdem blieben noch genug Fragen offen.
Wenig später hatte er mittels trockener Äste und zweier Feuersteine ein wärmendes Feuer auf dem Boden des Raumes
entfacht. Er saß, in das zu seinem Missmut vor Dreck starrende und blutbesudelte Obergewand des Toten gekleidet, der
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immer noch bewusstlosen, oder schlafenden, gleichmäßig atmenden jungen Frau gegenüber. Nachdenklich sah er dem
Rauch zu, wie er sich in der einzigen, länglich-schmalen
Fensteröffnung des großen Gewölbes kräuselte. Was auch immer hier Seltsames im Gange war, er hoffte, es gemeinsam
mit der Frau herauszufinden, für die er einen Mann getötet
hatte. Nicht, dass ihn das berührte, der Kerl hatte es verdient,
dafür, was er im Begriff gewesen war zu tun.
Quintus hatte dem Toten zuvor emotionslos eine letzte Ruhestätte im Meer beschert, damit die Leiche keine Wölfe oder
unliebsame Fragesteller anlockte. Dessen Dolch hatte er natürlich an sich genommen. So war er, zusammen mit dem piktischen Messer, jetzt zumindest wieder notdürftig bewaffnet.
Trotzdem wäre ihm wohler gewesen, sein Schwert an der
Seite zu haben.
Er blickte durch die großen Löcher im Eingangstor zu dem
kräftigen Pferd, das er vom Sattel befreit und im dichtbewachsenen Innenhof angebunden hatte. Es schien völlig zufrieden
zu sein, obwohl es gerade seinen Besitzer verloren hatte. Sicher würde es ihm noch nützlich sein wenn er wusste, was er
als nächstes tun würde, und vor allem, was hier los war.
Nun endlich fiel die ganze Anspannung dieses mehr als ereignisreichen Tages von ihm ab, und er spürte, wie sein Leib zunehmend schwächer wurde. Der tiefe Schnitt auf seiner Brust
brannte jetzt wie Feuer und pochte. Der Römer wusste, dass
das kein gutes Zeichen war. Er hätte ihn zumindest irgendwie
verbinden müssen. Doch das würde er morgen machen. Morgen war auch noch ein Tag, sagte er sich ermattet.
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Krampfhaft versuchte er, sich Morpheus` Armen zu entziehen
und sich wach zu halten, um etwaige drohende Gefahren abzuwehren. Er lehnte an der Wand, seine Waffen lagen in
Reichweite. Immer schwerer fiel es ihm, die Augen offen zuhalten, bis er schließlich, übermannt von Müdigkeit und geschwächt durch den Blutverlust, zur Seite sank.
Nach einem langen, gnädigerweise traumlosen Schlaf erwachte Bonnie am nächsten Morgen bei Sonnenaufgang
durch ein ungeheures Kältegefühl. Sie öffnete die Augen und
ihr wurde schlagartig klar, was gestern geschehen war, denn
sie lag nicht in ihrem weichen, gemütlichen Bett, sondern auf
hartem, kaltem Boden. Hastig fuhr sie auf und erblickte den
fremden Mann, der ihr schlafend gegenüberlag. Zwischen
ihnen befand sich eine Feuerstelle, in der noch die letzte Glut
glomm. Außerdem realisierte sie, dass sie sich in einer riesigen, steinerbauten Halle befand, die nur durch eine schmale
Schießscharte und die Tatsache erhellt wurde, dass das große
Holztor am Eingang geborsten war. Wo war sie hier?
Vage konnte sie sich entsinnen, dass sie nach den Worten des
Fremden ohnmächtig geworden war, wahrscheinlich durch
den Schock der Ereignisse, und rätselte fieberhaft, wo er sie
hingebracht haben mochte.
Sie sah an sich herunter. Abgesehen von ein paar Schrammen
an den Armen, die sie sich gestern bei ihrem Sturz zugezogen
hatte, war sie äußerlich unversehrt, wenn auch ihre Seite
noch schmerzte. Auf ihrer weißen Bluse prangte ein riesiger,
getrockneter Blutfleck. Das war ekelerregend. Ihr war zudem
mulmig angesichts der Tatsache, dass sie dem Fremden durch
ihre Bewusstlosigkeit völlig ausgeliefert gewesen war. Sie
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hatte noch nie in ihrem Leben einen kompletten Blackout gehabt, auch nicht durch Alkoholkonsum. Stets hatte sie darauf
geachtet, die Kontrolle zu behalten, und war ohnehin nie eine
große Partygängerin gewesen. Gestern war sie gleich zweimal in Folge ohnmächtig geworden. Dass sie noch vollständig
angezogen war beruhigte sie, denn es gab ihr die Gewissheit,
dass er ihre hilflose Lage nicht ausgenutzt hatte. Anhand seines Gebarens hatte sie wirklich das Gefühl gehabt, ihm vertrauen zu können. Wenngleich sie nach den gestrigen
Ereignissen nicht sicher war, ob sie sich noch im Vollbesitz
ihrer geistigen Kräfte befand. Nervös betrachtete sie ihn und
erinnerte sich an das, was er zu ihr gesagt hatte, bevor sie das
Bewusstsein verloren hatte. Glaubte er wirklich, ein römischer Soldat zu sein? Seine Vorstellung war jedenfalls sehr
überzeugend gewesen. Er kam ihr eigentlich nicht wie ein
Verrückter vor, in der Art "Ich bin Julius Cäsar", oder dergleichen. Und eine immer lauter werdende Stimme in ihr
sagte, dass es vielleicht tatsächlich möglich war. Vielleicht
war sie in irgendeinem absurden Paralleluniversum gelandet,
fürchtete sie, und spürte, wie sich Panik in ihr breit machte.
Oder vielleicht wurde sie selbst ja verrückt und hatte sich gestern nur eingebildet, dass das Auto und die Straße verschwunden waren? Sie musste Gewissheit haben.
Bonnie sprang auf und lief zur gesplitterten Tür, die sich nur
mit Mühe öffnen ließ, weil sie schief in den Angeln hing und
massiv konstruiert war. Nachdem sie es schließlich geschafft
hatte, huschte sie nach draußen, wo sie vom leisen Wiehern
des braunen Pferdes begrüßt wurde. Als sie sich umsah und
ihr klar wurde, wo sie sich befand, wurde sie kurz von einem
Schwindelgefühl erfasst.
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Das war die Macduff Burg. Und zwar nicht die verfallene Ruine, die sie kannte, sondern ein stolzes, quadratisches Gebäude mit mächtigen, intakten Mauern und vollständig
erhaltenem Turm, der sich seitlich an das Gemäuer schmiegte.
Wie war das möglich? Es musste mit dem Erlebnis in der
Höhle zusammenhängen.
Ihr Blick fiel zu der Stelle am Turm, an der sie gestern durchgebrochen und nach unten gestürzt war. Diese war unversehrt.
Sie wurde sich bewusst, dass sie gestern auf ihrer Flucht vor
dem potentiellen Vergewaltiger kein Auge mehr für die Burg
gehabt hatte. Nun gut, die breite Außenmauer schien unverändert, aber der Rest? Wie hatte es ihr bloß nicht auffallen
könne, dass das Gemäuer keine Ruine mehr war? Oder noch
nicht? War sie doch dem Wahnsinn anheim gefallen und fantasierte?
Bonnie stürzte zum Rand des Abhangs. Wieder wurden ihre
Knie weich bei dem Anblick, der sich ihr bot.
Weder East Wemyss, noch der Friedhof, der Mini oder die
Straße waren dort zu sehen. Anstelle der Hafenstadt
Kirkcaldy erblickte sie in der Ferne, in südlicher Richtung, im
weichen Licht der ersten Sonnenstrahlen lediglich ein kleines
pittoreskes Dörfchen. Nordwärts, wo eigentlich Buckhaven
und der Offshore-Windpark sein sollten, befand sich gar
nichts. Ihr Atem stockte und sie fuhr sich verzweifelt durch
ihr Haar. Sie konnte das nicht begreifen. Was war hier los?
Was sollte sie nun tun?
Mit zittrigen Beinen lief sie zurück zur Burg. Der Fremde, der
sich als römischer Centurio vorgestellt hatte, hatte gestern
auch nicht den Anschein gemacht, als wisse er, was hier vor
sich ging. Würde er ihr trotzdem weiterhelfen können?
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Ihr war unvermindert kalt, als sie das Gewölbe betrat, und sie
schlüpfte in die Ärmel ihrer Strickjacke, die über ihren Schultern gelegen hatte. Der Mann musste sie gestern damit zugedeckt haben, nachdem er sie in diese geschützte Ecke gebettet
hatte. Er lag noch immer schlafend da, und sie bemerkte, dass
sein Atem merkwürdig rasselte. Sie näherte sich ihm, ging neben ihm in die Hocke und legt ihre kühle Hand auf seine Stirn.
Diese schien zu glühen. Bei ihrer Berührung stöhnte er auf
und murmelte etwas Unverständliches. Dann fiel ihr die
Wunde ein, die sie am vergangenen Tag auf seiner Brust bemerkt hatte. In ihrer Panik und Verwirrung hatte sie sich gestern aber keine weiteren Gedanken darum gemacht, und es
schließlich vermieden, seinen Körper genauer anzusehen.
Vorsichtig schob sie sein Hemd auseinander, eine Art Tunika,
mit einem Schlitz in der oberen Hälfte, die mit Bändern zugebunden wurde. Diese war blutbefleckt und starrte vor Dreck,
offensichtlich das Gewand des Toten, das er sich übergezogen hatte. Scharf sog sie die Luft ein, als sie die klaffende
Wunde sah, die einen schrecklichen Anblick bot: Rot, geschwollen und deutlich entzündet. Wie hatte er sich so eine
üble Verletzung zugezogen? Vergessen war der Schock über
die merkwürdigen Dinge, die hier vorgingen. Wichtig war
jetzt erst einmal, dass der Mann versorgt wurde. Sie musste
irgendwie Hilfe holen, er gehörte ins Krankenhaus. Doch die
Stimme in ihrem Hinterkopf sagte ihr, dass es hier, wo sie
jetzt war, keine Krankenhäuser gab. Alles wirkte, als wäre es
weit hinter der Zeit zurück.
Aber sie wollte es nicht wahrhaben und zückte das Handy aus
ihrer Gesäßtasche. Noch bevor sie daraufschaute, wusste sie,
dass sie keinen Empfang haben würde, obwohl ihr gestern
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beim Fotografieren noch die volle Balkenzahl aufgefallen
war. Jetzt war da nichts mehr. Diese unmittelbare Tatsache
machte ihr ihre Lage endgültig, brutal und mit aller Deutlichkeit bewusst. Sie begriff, dass sie sehr, sehr weit weg von zuhause war. Kraftlos sank sie auf die Knie, weil ihr die Beine
angesichts dieser Erkenntnis den Dienst versagten.
Ihre Bewegungen neben sich hatten Quintus geweckt. Er öffnete die Augen, sah sich erstaunt um und brauchte eine Weile
bis er begriff, wo er war. Dann spürte er das Glühen in seinem
Körper und wusste, was das bedeutete. Er hatte schon einige
Male Wundbrand nach schweren Verletzungen gehabt, aber
bisher war immer ein erfahrener medicus des Heeres zur
Stelle gewesen, der ihn mit den richtigen Kräutern behandelt
hatte, so dass es es stets unbeschadet überstanden hatte. Hier
jedoch, mitten in Feindesland und mit niemandem als einer
hilflosen, fremden Frau an seiner Seite, war er dem Tode geweiht. Er hoffte, dass es zumindest ein schneller Tod sein
würde.
Mühevoll murmelte er: »Warum siehst du so verzweifelt aus?
Immerhin liege ich hier im Sterben.«
Er hatte versucht, sarkastisch zu klingen, was ihm aber nicht
ganz gelungen war.
Bonnie sah ihn an und überlegte angestrengt. Sie musste ihm
helfen, das war klar. Aber wie, mit den begrenzten Mitteln,
die ihr hier in der Wildnis zur Verfügung standen? Sie hatte
ihr Studium aufgrund ihres Interesses an Naturheilkunde seinerzeit zwar auch um das Fach pharmazeutische Biologie erweitert, aber ließe sich ihr Wissen um die Wirkung von
Heilkräutern in primitiver Umgebung wirklich praktisch anwenden? Ihr blieb nichts anders übrig, als es zu versuchen,
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befand sie. Der Mann war auf sie angewiesen. Außer ihr war
hier niemand sonst.
Die junge Frau stand auf und Quintus vernahm erstaunt, dass
sie, die er für hilflos gehalten hatte, in sanftem, aber entschlossenen Ton verlauten ließ: »Ich werde tun was ich kann,
um dir zu helfen.«
Trotz seiner düsteren Befürchtungen machte sich eine Art
wahnwitziger Hoffnung in ihm breit. Da durchzuckte ihn ein
einziger klarer Gedanke in einem Meer von Trübsinn. Gestern
auf seiner Flucht hatte er doch aus den Augenwinkeln heraus
den kleinen See im Wald gesehen, an dem er vorbeigestürmt
war. »Wasser … Teich im Pinienwald«, raunte er matt.
Es erschien ihm in seinem benebelten, fiebernden Zustand geradezu elysisch, seinen glühenden Körper jetzt mit dem kühlen Nass benetzen zu können. Aber dorthin zu gehen war
gefährlich für sie, fiel ihm dann ein, dort waren die Pikten. Vielleicht wusste sie nichts davon. Bevor er sie warnen
konnte, verlor er jedoch das Bewusstsein.
Ohne Zögern lief Bonnie energischen Schrittes zu dem angebundenen Pferd, das friedlich grasend offenbar seine Auszeit
genoss, und durchsuchte die Packtaschen des Sattels, welcher
neben dem Tier lag. Der Reiter musste doch irgendwo ein Behältnis für Wasser oder sogar einen kleinen Kochtopf haben,
wenn er hier in der Wildnis umher ritt. Und wirklich, sie
wurde fündig. Sie entdeckte einen großen Lederschlauch, wie
er früher für den Transport von Getränken auf Reisen verwendet wurde, eine muffig riechende alte Decke mit verblichenem Karomuster, die sie waschen würde, und tatsächlich auch
einen kleinen zerbeulten Blechtopf. In Letzterem konnte sie
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einen Kräuterabsud für heilende Umschläge herstellen - vorausgesetzt, sie hatte Feuer, wie ihr siedendheiß einfiel. Sie
wandte sich zu der kleinen Glutstelle um und stellte entsetzt
fest, dass sie nur noch schwach glomm. Wie auch immer er
das Feuer gemacht hatte, sie wäre nicht imstande dazu, ein
neues zu entzünden, musste also versuchen, es wieder in Gang
zu bringen. Hastig suchte sie draußen einige Äste sowie trockenes Gras zusammen, kniete sich vor die Glut und blies
vorsichtig hinein. Erleichtert beobachtete sie, wie neue kleine
Flammen aufzüngelten. Sie legte die Äste darauf und hoffte,
dass sie Erfolg haben würde. Anschließend beeilte sie sich,
um zu dem Teich im Wäldchen zu kommen, den der Mann
erwähnt hatte, denn Wasser war das Wichtigste, das sie jetzt
besorgen musste. Vielleicht fand sie dort auch Heilkräuter
und Nahrung, denn es gab hier offensichtlich in weitem Umkreis kein Haus, wo sie um Hilfe oder Essen hätte bitten können. Sie war des Reitens nicht mächtig und Kirkcaldy war zu
Fuß gute zwei Stunden entfernt, also vier Stunden hin und zurück. Das war Zeit, die sie nicht hatte. Er musste jetzt sofort versorgt werden.
Sie konnte sich nicht erinnern, dass es in East Wemyss je nennenswerten Baumbestand gegeben hatte, doch sie hatte das
Wäldchen ja selbst gesehen. Es war nicht weit weg und lag
etwa an der Stelle, wo sich eigentlich der nördliche Ortsrand
des Städtchens befinden sollte.
Zur Sicherheit war sie mit einem der Messer bewaffnet, obwohl ihr bewusst war, dass sie höchstwahrscheinlich nicht
dazu in der Lage sein würde, es zu ihrer Verteidigung einzusetzen. Sie war weder sportlich, noch athletisch oder großgewachsen, wie offensichtlich ihr Retter. Außerdem könnte sie
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wahrscheinlich niemals einen Menschen absichtlich verletzen, selbst wenn es ein wirklich übler Kerl war. Mit Grausen
dachte sie an die gestrigen Ereignisse und den blutigen Tod
ihres Peinigers.
Nach einem kurzen Fußmarsch durch die Graslandschaft war
sie am kleinen Wäldchen angelangt und sah den Teich durch
die Bäume hindurchschimmern. Als sie sich ihm näherte registrierte sie, dass er von einem kleinen Bachlauf gespeist
wurde. Am Ufer entdeckte sie zu ihrer Freude eine Weide und
brach ein paar der zarten, dünnen Zweige ab. Deren Rinde
enthiehlt Acetylsalicylsäure, ein gutes Mittel gegen Schmerzen und Entzündungen.
Seufzend sah sie an ihrer mit bretthart getrocknetem Blut behafteten weißen Bluse herunter. Sie war ohnehin ruiniert, so
würde sie als Verbandmaterial herhalten müssen, in Ermangelung anderer Möglichkeiten. Immerhin hatte sie ja noch
ihre warme Strickjacke, sowie darunter das schwarze Trägertop und den BH. Sie streifte das Oberteil ab, sah sich um, zog
hastig die Bluse aus, warf sich wieder ihre schmalgeschnittene Strickjacke über und knöpfte diese bis obenhin zu. Dann
legte sie das besudelte Kleidungsstück zum Einweichen ins
Wasser und wusch zwischenzeitlich die muffige Decke. Anschließend füllte sie den Schlauch mit Wasser.
Weil sie mittlerweile großen Hunger hatte und ihr Patient
auch etwas essen musste, begab sie sich nun im Wald auf
Nahrungssuche und fühlte sich dabei in archaische Zeiten zurückversetzt. In ihrem Unterbewusstsein machte sich zudem
langsam die schreckliche Befürchtung breit, dass es womöglich tatsächlich so war. Entschieden verdrängte sie diese Gedanken und lenkte sich damit ab die Pilze zu inspizieren, die
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sie auf dem feuchten Waldboden entdeckt hatte. Sie war
dankbar, dass sie Biologie studiert hatte und daher einen giftigen Pilz von einem essbaren unterscheiden konnte, im Gegensatz zu den meisten anderen Stadtkindern. Zufrieden
sammelte sie ein paar schöne Kiefern-Steinpilze ein, dankbar
dafür, dass diese Gattung bereits im Sommer wuchs, und nicht
erst ab Herbst, wie die meisten anderen ihrer Art. Es konnte
zwar nur eine vorübergehende Notlösung sein, sich davon zu
ernähren, aber was blieb ihr anderes übrig?
Sie sammelte ihre essbare Ausbeute gemeinsam mit der Weidenrinde in dem kleinen Topf und gab auf dem Rückweg noch
ein paar Brombeeren hinein, die sie am Waldrand fand.
Schließlich machte sie sich auf den Rückweg zur Burg, die
noch nasse Decke und die leidlich ausgewaschene Bluse im
Gepäck. Bonnie war erstaunt über sich selbst, dass sie in ihrer
jetzigen, anscheinend ausweglosen Lage so konzentriert bleiben konnte bei Dingen, die für sie nicht alltäglich waren. Sie
vermutete, dass die Gedanken um die Versorgung ihres Patienten und alles, was damit zusammenhing, sie bei Verstand
hielten. Andernfalls wäre sie wahrscheinlich hysterisch zusammengebrochen, befürchtete sie.
Wieder bei ihm angekommen sah sie, dass er noch bewusstlos
war, das Feuer aber glücklicherweise emsig brannte. Sie legte
die feuchte Decke zum Trocknen draußen über eine Steinmauer, und nahm ihre Essensausbeute einstweilen aus dem
Topf. Vorrangig war jetzt die Wundversorgung ihres Patienten. Fieberhaft überlegte sie, wie sie es anstellen sollte, eine
Art Herd zu errichten, um Wasser abzukochen. Sollte eine
Burg nicht auch über eine Kochstelle verfügen? Sie sah sich
um und konnte nichts dergleichen entdecken. Der Kamin in
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der Ecke sah auch nicht vertrauenerweckend aus. Mit Sicherheit war außerdem dessen Abzug verstopft, so verwahrlost,
wie hier alles wirkte. Weil sie aber keine Zeit zu verlieren
hatte, stellte sie den mit Wasser aus dem Schlauch gefüllten
Topf kurzerhand dicht neben das Feuer. Während das Wasser
heiß wurde, schnitt sie mit dem Messer, das sie im Teich vom
Blut des Toten gesäubert hatte, schweren Herzens ihre Bluse
zurecht, um für Verbandmaterial zu sorgen. Der Topfinhalt
blubberte inzwischen eher, als sie gedacht hätte. Sie zog den
heißen Topf etwas vom Feuer weg, indem sie ein Stück Stoff
um den Griff wand, warf einen Stoffstreifen hinein und wartete etwas, bis es eine gerade noch erträgliche Temperatur
hatte. Anschließend machte sie sich daran, seine schmutzund blutverkrustete Wunde gründlich zu reinigen. Er stöhnte
währenddessen, kam aber nicht wirklich zu sich. Nachdem sie
damit fertig war, leerte sie den Topf draußen aus, füllte ihn
mit frischem Wasser, stellte ihn wieder ans Feuer und gab die
eingekerbten, entlaubten Weidenzweige hinein. Auf diese
Weise würden die Wirkstoffe der grünen Kambriumschicht
unter der Außenrinde herausgelöst werden, und konnten ihre
heilenden Eigenschaften entfalten. Bonnie war dankbar, dass
sie in dem Kurs für pharmazeutische Biologie nicht nur die
Heilkräuter und deren Wirkung kennengelernt hatte, sondern
dort auch vorgeführt worden war, wie in früherer Zeit heilende Umschläge hergestellt worden waren. Jetzt musste es
ihn nur noch gesund machen, flehte sie innerlich hoffnungsvoll.
An diesem und dem folgenden Tag hatte sie jedoch meist
nicht das Gefühl, dass es funktionierte. Der Mann fieberte so
stark, dass sie wirklich nicht wusste, ob er durchkommen
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würde. Er kam nur einige wenige Male zu sich, um zu erbrechen, was leider eine Nebenwirkung der Weidenrinde war,
wie sie wusste, oder neben sich zu urinieren, wobei es ihm nur
mit Mühe gelang, seine Hose zu öffnen und sich zum Wasserlassen zur Seite zu drehen. Sie wandte sich bei Letzterem jedesmal diskret, aber auch voller Verlegenheit, ab oder ging
nach draußen. Nun, er war immerhin ein Fremder und sie
keine geübte Krankenpflegerin. Selbst eine Frau mit geringerer Schamhaftigkeit als sie wäre in einer solchen Lage befangen gewesen, sagte sie sich. Schließlich war es für sie nicht
gerade alltäglich, die Genitalien von wildfremden Männern
zu Gesicht zu bekommen, und sie hatte nicht vor, daran etwas
zu ändern, auch wenn sie ihn durchaus attraktiv fand.
Sobald er fertig war, bedeckte sie stets seinen Urin und das
Erbrochene mit Sand, den sie vom Strand holte. Sie empfand
keinen Ekel, denn durch ihr Biologiestudium war sie einiges
gewohnt. Aber trotzdem geriet sie in Verzweiflung. Was hatte
sie sich dabei gedacht? Immerhin war sie keine Ärztin und
ihre Mittel waren begrenzt. Hatte es überhaupt einen Sinn,
was sie tat? Würde er das überleben?
Nichtsdestotrotz war sie unablässig damit beschäftigt, seine
Umschläge und Verbände zu erneuern und ihm kühle Lappen
auf die Stirn zu legen. Zwischendurch holte sie immer wieder
frisches Wasser, tränkte das Pferd am See, achtete darauf,
dass das Feuer nicht erlosch und sorgte für Essen. Sie flößte
ihrem Patienten mit einem kleinen Holzlöffel, den sie in der
Satteltasche des Pferdes gefunden hatte, regelmäßig Weidenrindensud und Pilzsuppe ein. Außerdem hatte sie sich eine
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wärmende Schlaf-Unterlage aus Dünengras gemacht, wohingegen sie ihm mit einiger Anstrengung die saubere, trockene Decke untergeschoben hatte.
Er war wirklich schwer, hatte sie dabei ächzend festgestellt.
Zwar hatte er offensichtlich kaum ein Gramm Fett an sich,
besaß aber viel Muskelmasse. Er war derart gut gebaut, dass
sich sein ausgeprägter Bizeps durch den Stoff des Hemdes abzeichnete, und sich seine definierten Brust- und Bauchmuskeln deutlich hervorwölbten. Natürlich hatte sie aber
momentan beileibe andere Gedanken im Kopf, als ihn zu bewundern. Während dieser ganzen Zeit war sie sich ständig der
Absurdität dieser Situation bewusst. Sie versuchte, mitten in
der Ödnis das Leben eines Fremden zu retten und hatte keine
Ahnung ob es ihr gelingen würde, oder ob sie je wieder nach
Hause zu ihrer Familie kommen würde. Doch trotz allem
stellte sich ihr kein einziges Mal die Frage, zurück zur Höhle
zu gehen.
Inzwischen war sie zu dem Schluss gekommen, dass der Sturz
in den möglicherweise bis dahin unentdeckten Kavernenabschnitt der Grund dafür sein musste, dass sie an einem völlig
anderen Ort wieder herausgekommen sein musste, oder vielmehr in einer anderen Zeit. Auch wenn die Vorstellung unfassbar war.
So schwierig und seltsam ihre Lage auch war, sie konnte den
Mann nicht seinem Schicksal und dem sicheren Tod überlassen, selbst wenn er sie nicht vor einer Vergewaltigung bewahrt hätte. Er brauchte Hilfe und wie es aussah, konnte nur
sie ihm diese geben. Es stand daher für sie außer Frage, genau
das zu tun, auch wenn sie sich bisher nie für so mutig und
selbstlos gehalten hatte.
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Abends kamen ihr dann die Tränen, als der Druck ihrer selbstauferlegten Verpflichtung von ihr abfiel. Sie weinte sich an
beiden Abenden stumm in den Schlaf. Es war gar nicht so sehr
die Einsamkeit, die ihr zu schaffen machte, denn sie war ohnehin ein eher introvertierter Mensch und hatte nie viele Kontakte gepflegt. Sie dachte nur daran, dass ihre Mutter sich
wahnsinnige Sorgen machen würde, weil sie spurlos verschwunden war, und außerdem hatte sie Angst. Nicht vor den
nächtlichen Tiergeräusche, wie zum Beispiel dem Gurren einer Eule oder dem Flattern der Fledermäuse im Turmgewölbe, was sie als Biologin sehr gut zuzuordnen wusste. Nein,
sie fürchtete sich davor, was sie hier, in einer offensichtlich
fremden Umgebung, erwarten würde. War das Erlebnis mit
dem potentiellen Vergewaltiger ein furchtbarer Vorgeschmack darauf? Und was war diese namenlose, unheimliche
Macht, die in der Höhle wirkte?
Außerdem fror sie erbärmlich, trotz des Feuers und der vergleichsweise milden Nachttemperaturen. Die Kälte schien
bis in ihr Innerstes gekrochen zu sein. Das, ebenso wie
der ständige Hunger, hielt sie davon ab, schnell Schlaf zu finden. Nie hätte sie gedacht, je einmal das Leben einer Obdachlosen führen zu müssen. Es war der blanke Horror und sie
hatte keine Ahnung, wie sie dem entkommen sollte, in einer
höchstwahrscheinlich längst vergangenen Zeit, in der sie niemanden kannte. Mit einem ungeheuren Gefühl der Hilflosigkeit rollte sie sich in einer Schutzhaltung eng zusammen, und
ergab sich ihrer Verzweiflung.
Endlich, am Morgen des dritten Tages, ging es dem
Mann besser. Als Bonnie nach dem Aufwachen seine Stirn
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befühlte spürte sie, dass sein Fieber deutlich gesunken war. Er
öffnete die Augen, nachdem sie ihre kühle Hand auf seine
Haut gelegt hatte, und sah sie an. Sie hob leicht die Mundwinkel und fragte mit sanfter Stimme: »Wie fühlst du dich?«
Quintus versuchte sich aufzurichten, doch es gelang ihm
nicht. Zumindest war er wieder in der Lage, einigermaßen
klar zu denken, stellte er fest. Der erste Gedanke, der ihm
kam, erinnerte ihn an die drohende Gefahr. Mühsam, aber
alarmiert, brachte er heiser heraus: »Die Pikten, hast du sie
gesehen?«
Die junge Frau schüttelte mit fragender Miene den Kopf.
»Ich fühle mich wie all meiner Kräfte beraubt, aber besser«,
antwortete er auf ihre vorherige Frage und wollte mit unvermindert rauer Stimme wissen: »Wie lange war ich im Fieber?«
»Zwei Tage«, antwortete sie, nahm den mit frischem Wasser
gefüllten Trinkschlauch, öffnete den Verschluss und hielt ihm
diesen an den Mund.
Er versuchte den Arm zu heben, um ihr das Gefäß abzunehmen und selbst zu trinken, doch er war noch zu schwach. Aber
er spürte, dass er langsam wieder gesund wurde. Er kannte
seine Körper gut und fühlte deutlich, dass die Heilung eingesetzt hatte. Der Römer wusste, dass er das nur ihr zu verdanken hatte. Während des Fiebers hatte er zwar nicht allzuviel
mitbekommen, aber dass sie sich aufopferungsvoll um ihn gekümmert hatte, war ihm nicht entgangen. Nur warum, war
ihm schleierhaft. Weil sie nicht wusste wohin? Aus Dankbarkeit, weil er sie vor einer Vergewaltigung bewahrt hatte? Oder
weil er wie sie in dieser verdammten Höhle gewesen war und
sie sich erhoffte, von ihm mehr darüber zu erfahren? Doch er
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hatte ja selbst keine Erklärung dafür. Warum auch immer sie
ihm half, er rechnete es ihr hoch an.
»Danke für alles«, sagte er, und sah sie prüfend an.
Bonnie lächelte befangen und widmete sich angelegentlich
der Aufgabe, frischen Weidenrindensud herzustellen. Es
machte sie immer verlegen, gemustert zu werden, auch wenn
sein Blick völlig neutral erschien, und er so fremd inzwischen
auch nicht mehr war.
»Bonnie war dein Name, nicht?«, fragte er. Sie nickte, ohne
ihn anzusehen.
»Und du bist … Quintus?«, entgegnete sie zögerlich, während
sie ihm wieder den Kopf zuwandte. Sie wagte nicht, seinen
vollen Namen zu auszusprechen, den er ihr genannt hatte und
der sich seltsamerweise in ihr Gedächtnis eingebrannt hatte.
Sie befürchtete, hysterisch zu werden, wenn sie diesen eindeutig römischen Namen noch einmal hören würde.
»Ja«, antwortete er und fuhr fort: »"Bonnie", das ist doch ein
Wort aus der Sprache der Scotii aber du verstehst besagte
Sprache nicht. Und du sprichst ein anderes Latein als eine römische Bürgerin. Wo kommst du also her?« Er sah sie neugierig an.
»Scotii?«, wisperte sie panisch, ohne auf seine Frage einzugehen. Ihr Kopf dröhnte und ihr wurde klar, dass dieser Mann
weder verrückt war, noch ein Rollenspiel spielte. Er war ein
römischer Soldat. Sie war fassungslos. Der Sud war fertig und
sie machte sich mit bebenden Händen daran, seine Wundauflage zu wechseln, obwohl sie innerlich fast zusammenbrach.
Doch sie riss sich zusammen. Nur das Zittern konnte sie nicht
abstellen.
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Quintus bemerkte ihren inneren Aufruhr, griff nach ihren
Händen und hielt diese fest, um sie zu beruhigen. Er fragte
sich, was plötzlich mit ihr los war. Irgendetwas, was er gesagt
hatte, schien sie sehr verstört zu haben.
Er sah ihr fest in die Augen und wollte wissen: »Warum zitterst du?«
Bonnie holte tief Luft und stellte eine Gegenfrage: »Unter
welchem Imperator dienst du?«
Sie musste es einfach wissen, obwohl sie keine Ahnung hatte,
wie sie auf seine Antwort reagieren sollte. Außerdem machte
es sie zusätzlich nervös, dass er ihre bebenden Finger fest in
seinen kräftigen Händen hielt, doch seltsamerweise war es ihr
nicht unangenehm. Normalerweise hasste sie es, wenn jemand in ihre Komfortzone eindrang und sie derart unmittelbar
berührte. Bei ihm war es merkwürdigerweise anders. Das fiel
ihr jetzt schon zum zweiten Mal auf. Sie schob es darauf, dass
sie ihm schließlich in den vergangenen beiden Tagen zwangsläufig ziemlich nah gewesen war. Das hatte nichts weiter zu
bedeuten.
Quintus sah sie verständnislos an und antwortete: »Unter
Hadrianus natürlich, unter wem denn sonst?«
Die junge Frau wurde leichenblass und fast befürchtete er, sie
würde wieder ohnmächtig werden.
Doch sie fing sich offenbar wieder und fragte ihn stockend:
»Und welches … Regierungsjahr haben wir deiner Meinung
nach zur Zeit?«
Nun zweifelte er an ihrem Verstand. Vielleicht hatte ihr auch
das Erlebnis in der Höhle so sehr zugesetzt, dass sie ihr Gedächtnis verloren hatte, und die Jahreszahl nicht mehr wusste.
Er hatte schon von so etwas gehört.
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Daher sah er sie mitleidig an und antwortete geduldig: »Wir
schreiben das dreizehnte Jahr unter seiner Regentschaft.«
Ihr Gesichtsausdruck bereitete ihm jetzt wirklich Sorgen.
Aber sie machte nicht den Eindruck, schwachsinnig zu sein,
sondern aufs Äußerste schockiert. Sie war ihm jetzt dringend
ein paar Antworten schuldig, fand er.
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Kapitel 4 : Antworten
Bonnies Kopf dröhnte nach den Informationen ihres Gegenübers so sehr, dass sie glaubte er müsse zerspringen. Sie
wollte ihm ihre Hände entziehen, doch der Römer hielt sie mit
starkem Griff fest.
»Sag mir, was mit dir los ist«, wollte er in einem nahezu
schroffen Tonfall wissen. »Warum stellst du mir all diese seltsamen Fragen, hast aber bisher meine noch nicht beantwortet?«
Sein Blick war ebenso unerbittlich wie seine Stimme. Obwohl
er immer noch vom Fieber geschwächt auf dem Boden lag
hatte sie, die neben ihm kniete, mit einem Mal einen Heidenrespekt vor seiner finsteren, nahezu drohenden Miene. Aber
sie verstand ihn. Ebenso wie er wollte auch sie das Puzzle zusammensetzen, das die Erklärung für die seltsamen Vorkommnisse lieferte. Sie schluckte und antwortete leicht
überfordert: »Ich weiß nicht, wo ich beginnen soll. Es ist alles
so abwegig, du wirst mir sicher nicht glauben.«
»Das lass meine Sorge sein«, entgegnete er trocken und fuhr
etwas versöhnlicher fort: »Sage mir einfach, was dich umtreibt.«
»Halte mich bitte nicht für verrückt, aber wenn es stimmt, was
du mir erzählt hast, bin ich fast eintausendneunhundert Jahre
nach dir geboren worden«, erklärte sie und senkte den Kopf,
weil sie seine Reaktion fürchtete, die sie nicht einschätzen
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konnte. Die Tatsache, dass er offenbar aus dem Jahr hundertdreißig stammte, wie sie anhand seiner Angaben durch ihre
Geschichtskenntnisse gefolgert hatte, brachte ja auch sie fast
um den Verstand.
»Sieh mich an!«, forderte er sie jetzt auf.
Bang hob sie den Kopf wieder. Er blickte ihr derart durchdringend in die Augen, als könne er auf diese Weise ihre Gedanken lesen. Dann raunte er beherrscht: »Ich halte dich nicht
für verrückt, aber du wirst verstehen, dass das schwer zu begreifen ist.«
Anschließend gab er ihre Hände frei, sank nach hinten und
schloss erschöpft die Augen. Sie saß eine Weile unschlüssig
da und war sich nicht sicher, ob er wieder eingeschlafen war,
oder ob er das Ganze erst einmal sacken ließ.
Gerade als sie aufstehen wollte, öffnete er die Augen erneut
und fragte sie: »Was bedeutet das deiner Meinung nach? Bin
ich durch irgendeinen Zauber in deiner Zeit gelandet?«
Er sprach aus, was sie in ihrem Unterbewusstsein schon vermutet hatte, es aber bis jetzt vehement verdrängt hatte. Allerdings konnte sie mit Bestimmtheit behaupten, dass sie sich
nicht mehr im Jahr 2014 befand. In seiner Zeit konnten sie
natürlich auch nicht sein, denn damals hatte es die Burg noch
nicht gegeben. Es musste sich um eine völlig andere Epoche
handeln.
Weil das Örtchen East Wemyss erst im achtzehnten Jahrhundert gegründet worden war, und anhand des Zustandes des
Gemäuers schätzte sie, dass es das späte siebzehnte Jahrhundert sein musste. Um 1650 war es nach der damaligen völligen Zerstörung teilrestauriert und kurzzeitig wieder bewohnt
worden, wie sie wusste, wurde jedoch später aufgrund der
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Spukgeschichte wieder aufgegeben und verfiel erneut. Ein
Schaudern überkam sie bei dem Gedanken, dass an den Erzählungen über die spurlos verschwundenen Menschen
durchaus etwas dran war, wie sie wohl am eigenen Leib erfahren hatte. Auch die Kleidung, die der Reiter getragen hatte,
festigte ihre Annahme über die Zeitspanne, in der sie sich befanden. Es war so absurd, aber die einzige Erklärung.
Bonnie blickte ihren Patienten verzweifelt an und antwortete:
»Nein, in meiner Zeit sind wir nicht, da bin ich leider sicher.
Ich kenne mich etwas in Geschichte aus und glaube, wir sind
etwas über dreihundert Jahre vor meiner Zeit gelandet, und
eintausendsechshundert nach deiner, der Kleidung des Fremden nach zu urteilen. Aber ich habe keine Ahnung, wie das
geschehen ist.«
Sie konnte kaum glauben, dass sie das ausgesprochen hatte.
Verzweifelt blickte sie zu Boden, als ihr mit aller Deutlichkeit
bewusst wurde, was sie nicht hatte wahrhaben wollen.
»Ja«, sagte er tonlos, »das wäre meine zweite Vermutung gewesen. Hast du mir deswegen geholfen? Weil du nicht wusstest, wo du hingehen solltest? Weil du dir von mir eine
Antwort erhofft hattest, so wie ich von dir?«
Die junge Frau hob den Kopf und erwiderte mit ernster
Miene: »Wo ich herkomme lassen wir verletzte Menschen
nicht hilflos zurück, auch keine Fremden. Es stimmt, ich habe
keine Ahnung wohin ich jetzt gehen und was ich tun soll, aber
ich hätte dich in deinem Zustand ohnehin nicht allein gelassen. Mich um dich zu kümmern, so gut ich konnte, war selbstverständlich für mich und hat mich glaube ich bei Verstand
gehalten. Du musst wissen, ich lebe … lebte in einer Stadt im
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Süden Englands … Britanniens und bin es eigentlich überhaupt nicht gewohnt, in der Wildnis zurechtzukommen. Es
hat meine ganze Konzentration erfordert. Möglicherweise bin
ich nur deswegen nicht völlig in Verzweiflung versunken.«
Nach diesen Worten hielt sie ihm einen Löffel voll Weidenrindensud an die Lippen, um ihre Verlegenheit zu überspielen, die sie unter seinem unergründlichen Blick erneut
überkam, und forderte ihn auf: »Du solltest noch etwas davon
zu dir nehmen.«
Während ihm die bittere Flüssigkeit die Kehle hinunterrann,
betrachtete Quintus ihre Finger, die so zart und feingliedrig
aussahen, wie sie sich in seinen Händen angefühlt hatten.
Nein, diese Frau war definitiv nicht für harte Arbeit gemacht,
sagte er sich. Sie musste aus einer guten Familie stammen.
Aber woher dann dieses Wissen über Heilmethoden? Sie war
ihm teilweise noch immer ein Rätsel, aber das war kein Wunder, wenn sie aus einer unvorstellbar weit entfernten Zukunft
kam. Obwohl es ihm schwerfiel, glaubte er ihr, denn ihr ehrlicher Blick hatte es ihm verraten. In seiner Stellung als römischer Centurio hatte er schon viele Verhöre durchgeführt, so
dass er es vermochte, Menschen sehr gut einzuschätzen. Bei
ihr fiel es ihm seltsamerweise besonders leicht, auch wenn
ihre Befangenheit ihr tieferes, innerstes Wesen vor ihm verbarg, wie er spürte. Doch ihm war es nur recht. Er wusste zu
schätzen, dass er nicht an eine Xanthippe oder ein hysterisches Weibsbild geraten war, die ihm eine Situation wie diese
deutlich erschwert hätte. Die junge Frau war ruhig, und trug
ihre entwurzelte Lage angesichts der Umstände mit Fassung,
was ihn beeindruckte.
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»Nun gut«, befand er mit einem angedeuteten Schmunzeln,
»lass mich erst einmal zu Kräften kommen und dann sehen
wir weiter … Bonnie.«
Sie lächelte ihn jetzt zum erstenmal direkt an, wenn auch
sichtlich etwas scheu, und ihm fiel einmal mehr auf, wie überaus ansehnlich sie war. Er bemühte sich, nicht auf ihre Schenkel zu starren, die in diesen aufreizenden Hosen steckten und
sich auf seiner Augenhöhe befanden, weil sie noch vor ihm
kniete. Da wo sie herkam war das wahrscheinlich die normale
Gewandung für eine Frau, aber ihn erfüllte es auf eine gewisse
Weise mit Unruhe, und das, wo er doch gerade erst aus dem
Fieberschlaf erwacht war.
»Das mit dem "zu Kräften kommen" war mein Stichwort«, erwiderte Bonnie mit leicht hochgezogenen Mundwinkeln. »Ich
besorge uns Pilze und frisches Wasser. Tut mir leid, es gibt
nichts anderes, denn ich habe keine Ahnung, wie man Kaninchen oder so etwas fängt.« Sie zuckte entschuldigend mit den
Achseln.
Quintus schmunzelte abermals und antwortete: »Soweit ich
mich erinnern kann war die Nahrung, die du mir bisher eingeflößt hast, wirklich annehmbar, also mach dir keine Sorgen.
Wenn ich wieder laufen kann, dann fange ich dir ein ganzes
Reh.«
Er zwinkerte, um ihr die Befangenheit zu nehmen, die er bei
ihr überdeutlich verspürte. Wahrlich eine unergründliche
Frau. Auf der einen Seite so tatkräftig, wenn es um
seine Pflege ging, und dann wiederum von einer fast rührenden Schüchternheit. Aber es war schließlich nicht so, dass er
sonderlich viele Erfahrungen im Umgang mit dem weiblichen
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Geschlecht hatte, welcher sich im Grunde nur auf Legionsdirnen beschränkt hatte, und in den vergangenen Monaten ganz
zum Erliegen gekommen war, mangels Gelegenheit, aufgrund
der anhaltenden, erbitterten Kämpfe gegen die Pikten.
Der Römer bemerkte erstaunt, dass sie nach seinen Worten
leicht errötete, bevor sie den Topf und den Trinkschlauch an
sich nahm und wie angekündigt hinaus lief.
Sein Blick blieb fassungslos an ihrem wohlgeformten Gesäß
hängen, da er zum ersten Mal bemerkte, wie reizvoll es sich
in ihrer Hose abzeichnete. Aber das war weder der richtige
Ort, noch die richtige Zeit für solche Betrachtungen und Begehrlichkeiten, mahnte er sich zynisch. Im wahrsten Sinne des
Wortes. Er sollte eher alles daran setzen einen Weg zurück in
seine Epoche zu finden, wo er hingehörte.
Bonnies Herz klopfte schnell, während sie zum Wald lief. Irgendwie hatte seine Bemerkung mit dem Reh mächtig Eindruck auf sie gemacht. Natürlich hatte so etwas noch nie
jemand zu ihr gesagt. Für ihn war es wahrscheinlich nur ein
beiläufiger Spruch gewesen, aber für sie war es aufregend archaisch, fast romantisch. Sie war vielleicht doch verrückt geworden, fürchtete sie. Wie konnte sie denn angesichts ihrer
Lage nur in diesen Dimensionen denken? Aber ihr wurde bewusst dass, wohl dadurch, dass sie ihn gepflegt hatte, eine
seltsam vertraute Bindung zu ihm entstanden war, zumindest
von ihrer Seite. Immerhin war es eine sehr intime Erfahrung,
die Brust eines Mannes zu verbinden, sowie seinen Urin und
das Erbrochene zu bedecken. Zum Glück war sie in der Hinsicht nicht zartbesaitet. Ihr Problem war eher, dass sie mit
fremden Menschen nur langsam warm wurde. Bei ihm hatte
sie erstmals das Gefühl, dass es anders sein könnte.
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Zurück in der Burg sah sie, dass er wieder eingeschlafen war.
Ihr Patient war eben doch noch sehr kraftlos, folgerte sie. Sie
bereitete die Mahlzeit zu und weckte ihn danach behutsam,
damit er etwas aß. Es gelang ihm, sich zum Sitzen aufzurichten, und essen konnte er zum ersten Mal selbst.
»Du hast aus deiner Tunika einen Verband für mich gemacht«, bemerkte Quintus erstaunt, als er an sich herunterblickte.
»Tunika?«, fragte sie verwundert. Dann verstand sie. »Ach
ja«, sagte sie lächelnd und winkte beiläufig ab. »Ich hatte
nichts anderes.«
Er musterte sie nachdenklich. Es war wirklich schon eine
Ewigkeit her, dass er mit einer Frau soviel Zeit verbracht
hatte. In den letzten beiden Tagen hatte er durch den Nebel
des Fiebers hindurch ständig ihre beruhigende, angenehme,
weibliche Präsenz um sich herum verspürt. Doch er tat diesen
Empfindungen als Sentimentalität ab. Bald würden sich ihre
Wege ohnehin wieder trennen. Sobald er zu Kräften gekommen war, mussten sie noch einmal zu den Höhlen hinuntergehen, und es versuchen, beschloss er. Nach dem Essen legte er
sich wieder hin und war kurze Zeit später eingeschlafen.
Bonnie warf ihm verstohlen einen kurzen Blick zu. Er sah
wirklich unverschämt gut aus. Inzwischen waren seine Bartstoppeln zu einem Dreitagebart geworden, was seine männliche Ausstrahlung noch verstärkte. Augenblicklich schalt sie
sich für ihre Gedanken. Lieber sollte sie sich überlegen, wie
es jetzt weitergehen sollte. Sie musste versuchen, nach Hause
zu ihrer Mutter zu kommen, die sicher krank vor Sorge war.
Aber was, wenn es nicht gelang?
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Inzwischen machte es ihr immer mehr zu schaffen, dass sie
hier nicht die hygienischen Bedingungen vorfand, die sie gewohnt war. Die Verwendung weicher Blätter von wildwachsenden Sträuchern nach der Notduft war auf lange Sicht nur
eine unbefriedigende Säuberungsmethode. Und was sollte sie
tun, wenn sie ihre Tage bekam, ohne Tampons und Binden?
Sie hatte einmal gelesen, dass die Frauen in früheren Epochen
noch nicht einmal Unterwäsche trugen, und das Blut während
der Menstruation einfach an sich herunterlaufen ließen.
Wahrscheinlich kam so der mittelalterliche Volksglaube auf,
dass weibliche Wesen in dieser Zeit die Ernte verdarben. Eine
schauderhafte Vorstellung. Zum Glück blieb ihr diesbezüglich noch etwas Zeit, sich eine Lösung zu überlegen. Drängender war momentan die Frage, wie man sich mitten in der
Wildnis wusch. Auch ein Achtundvierzigstunden-Deo kam
irgendwann an seine Grenzen. Ihr stand, mit einigem Aufwand, zwar warmes Wasser zur Verfügung und sie hatte, außer einem zu ihrer Überraschung gut gefüllten Geldbeutel,
sogar auch ein Stück Seife in den Satteltaschen des Pferdes
gefunden. Letzteres hatte sie sehr verblüfft angesichts der Tatsache, dass dessen Besitzer vor Dreck gestarrt hatte. Doch sie
konnte sich schließlich nicht hier ausziehen, wo ein fremder
Mann zugegen war und jeden Augenblick andere Fremde auftauchen konnten. Das würde also warten müssen, bis ihr etwas
einfiel. Vielleicht war sie auch schon bald wieder in ihrer
Zeit und konnte sich dort duschen.
Wenigstens hatte sie sich einstweilen etwas ausgedacht, um
ihre Zähne sauber zu halten. Hierzu hatte sie einen kleinen
weichen Zweig mit dem Messer ausgefranst und abgekocht,
so dass sie mit diesem ihr Kauwerkzeug putzen konnte.
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Den Rest des Tages verbrachte sie damit, noch einmal seinen
Verband zu wechseln, wieder frisches Wasser, Pilze und
Brombeeren zu holen, sowie sich um das Feuer und um das
Pferd zu kümmern. Als es langsam Abend wurde spürte sie,
dass diese Nacht noch kälter werden würde als die vorangegangenen, da Nebel vom Meer heraufkroch. Sie fröstelte bereits jetzt, obwohl sie nah beim Feuer saß, und schlang sich
leicht zitternd die Arme um den Körper.
Der Römer war inzwischen wieder aufgewacht und saß, mit
dem Rücken an die Steinmauer gelehnt, auf der Decke des
Toten, die sie vorgestern unter ihn geschoben hatte, damit er
nicht auf dem harten Boden liegen musste.
Er spähte nun zu ihr herüber und bemerkte anhand ihres bibbernden Leibes, dass ihr kalt war.
»Komm um Jupiters Willen her«, forderte er sie mit ernstem
Blick auf.
Sie sah ihn fragend und erstaunt an.
»Wie es aussieht haben wir nur eine Decke«, erklärte er geduldig. »Es wird kalt heute Nacht und wenn wir uns nicht den
Tod holen wollen, müssen wir zwei uns gemeinsam damit zudecken. Du hast selbst gesagt, dass du das Leben im Freien
nicht gewohnt bist. Die Kälte wird dir sehr zusetzen.«
Die junge Frau wirkte sichtlich überrumpelt.
»Du musst keine Angst haben, dass ich dir zu nahe trete. Ich
tue dir nichts, immerhin verdanke ich dir mein Leben«, beteuerte er mit unvermindert ernster Miene und bemühte sich, ein
harmloses Gesicht zu machen.
Doch er meinte es auch so. Er würde sie respektvoll behandeln. Immerhin stand er tief in ihrer Schuld und sie war offensichlich eine ehrbare Frau.
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Bonnie überlegte. Ihr war schon jetzt wirklich sehr kalt, wie
würde es erst im Laufe der Nacht werden? Nachdenklich sah
sie ihn an. Irgendetwas sagte ihr, dass sie ihm vertrauen
konnte, also stand sie auf, legte noch etwas Holz nach, und
ging mit dem Schilfbündel von ihrem Lager im Arm zu ihm
herüber. Zögernd breitete sie das Schilf neben ihm aus und
setzte sich darauf. Seine Nähe machte sie nervös, stellte
sie erneut fest.
Quintus zog die Decke unter sich hervor und legte sich auf
den kalten Steinboden. Doch ihm machte das nichts aus, er
hatte schon oft auf der bloßen Erde geschlafen. Er drehte sich
auf die Seite und stützte sich ächzend auf seinem Unterarm ab
und sagte: »Leg dich hin, dann decke ich uns zu. Ich sehe
doch, dass dir kalt ist. Meinen Gestank wirst du allerdings
wohl leider ertragen müssen.«
Der Römer zwinkerte, was Bonnie, gepaart mit seiner Bemerkung ein kleines, zaghaftes Schmunzeln entlockte. Tatsächlich zitterte sie jetzt stärker, doch sie hatte das Gefühl, dass es
nicht nur aufgrund der Kälte war. Diese surreale Situation
passte in die Reihe der absurden Ereignisse der vergangenen
Tage. Ergeben legte sie sich neben ihn auf den Rücken, ohne
ihn zu berühren, und er warf die Decke über sie beide. Blitzschnell griff sie danach und zog sie sich bis unters Kinn.
Offenbar war ihr die Anspannung anzusehen, denn er bemerkte milde: »Entspann dich, sonst wird dir nie warm.«
Sie atmete tief ein, versuchte, seinem Rat zu folgen, und
schloss die Augen. Er roch gar nicht so schlimm, sogar im
Gegenteil sehr gut, würzig, nach Moos und Wald, dachte sie
noch, dann fiel alle Anspannung von ihr ab und sie schlief ein,
zum ersten Mal seit zwei Nächten ohne Tränen.
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Quintus betrachtete, noch immer seitlich abgestützt, einen
Moment lang im Feuerschein nachdenklich ihr im Schlaf so
friedliches, sanftes Gesicht, und legte sich dann auch zum
Schlafen hin.
Am Morgen darauf, bei Sonnenaufgang, wachte er mit einem
Ziehen zwischen seinen Lenden auf, das es ihm eng in seiner
Wollhose werden ließ. Ein untrügliches, typisch morgendliches Zeichen dafür, dass er wieder bei Kräften war, folgerte
er zynisch. Ja, er fühlte sich wirklich fast wie neugeboren. Das
Fieber schien verschwunden und die Wunde schmerzte kaum
noch. Gähnend streckte er sich und wurde sich dabei der Nähe
der jungen Frau bewusst. Er setzte sich auf und betrachtete sie
wieder. Bei Jupiter, die Götter unterzogen ihn wirklich einer
harten Prüfung, was die Zügelung seiner Triebe anging. Dieses anmutige Antlitz und die wohlgeformten Rundungen, und
das so dicht neben sich, stellten eine wahre Versuchung dar.
Eine weiche Haarsträhne war ihr ins Gesicht gefallen und er
strich sie ihr sanft aus der Stirn, selbst erstaunt darüber, warum er das tat. Bei dieser Berührung begann sie sich zu räkeln
und öffnete die Augen. Als sie realisierte, wie nah sie bei ihm
lag, errötete sie und rückte hastig von ihm ab. Er lächelte über
ihre Reaktion. Ihre sichtliche Befangenheit fand er irgendwie
rührend.
»Guten Morgen«, raunte er mit leicht hochgezogenen Mundwinkeln und sie sah zu ihm auf.
»Guten Morgen«, antwortete sie leise. Es war nicht viel mehr
als ein Hauch, doch das warme Timbre darin weckte in ihm
allerlei Begehrlichkeiten, die das Ziehen zwischen seinen
Lenden verstärkte. Innerlich verfluchte er seinen Körper, den
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er in dieser Beziehung nicht zu kontrollieren vermochte. Es
lag ihm fern, sie mit dem Anblick der ausgeprägten Wölbung in seiner Hose zu verschrecken, nachdem sie vor drei
Tagen beinahe vergewaltigt worden wäre. Soviel wusste er
nun doch von Frauen, um sich vorstellen zu können, dass sie
in ihrer Lage keinen Wert darauf legte, mit seinen Gelüsten
konfrontiert zu werden. Auch wenn er dafür überhaupt nichts
konnte. Zu seiner Erleichterung bemerkte sie nichts. Zumindest ließ sie sich nichts dergleichen anmerken, als sie die Decke zurückschlug und aufstand.
»Ich bin gleich zurück«, informierte sie ihn fast schüchtern.
Dann drehte sie sich um und ging nach draußen.
Rasch senkte er den Blick, denn die Aussicht auf ihr rundes
Gesäß hätte sein Verlangen nur noch weiter entfacht. Das
konnte er in seiner derzeitigen Lage jedoch nicht gebrauchen.
Bonnie war mehr als aufgewühlt. Dass sie hatte austreten
müssen war nur ein Grund gewesen, warum sie praktisch vor
seiner Nähe geflüchtet war. Vor allem musste sie einen klaren
Gedanken fassen.
Neben ihm aufzuwachen hatte sich besser angefühlt, als es gut
für sie sein konnte. Zum ersten Mal seit zwei Nächten hatte
sie durchgeschlafen, ihr war nicht kalt gewesen, und sie war
sich so geborgen vorgekommen wie noch nie in ihrem Leben. Obwohl noch durch die Krankheit geschwächt, strahlten seine selbstsichere Art und sein athletischer Körper eine
derart ausgeprägte Beschützerfunktion aus, dass sie sich endlich wieder fallen lassen konnte. War das der Grund, warum
sie sich plötzlich viel verletzlicher, aber auch weiblicher vor-
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kam? Waren das die rudimentären Eigenschaften, die Instinkte der Urzeit, die ein Mann in einer Frau auszulösen vermochte, bei dem sie sicher sein konnte dass er in der Lage
war, sie vor jeder Gefahr zu bewahren und ihr ein ausgewachsenes Mammut zu fangen? Sie musste sich eingestehen, dass
diese Empfindungen all ihre Sinne in Aufruhr versetzten.
Nachdem Bonnie zurückgekommen war, sicher hatte sie ihre
Notdurft verrichtet, wie er annahm, stand Quintus zum ersten
Mal seit drei Tagen auf. Seine Beine trugen ihn besser, als er
gehofft hatte. Sie hatte wirklich wahre Wunder bei ihm bewirkt mit ihrer Heilkunst, fand er. Er fragte sich erneut, wieso
eine junge Frau aus gutem Haus diese Fähigkeiten hatte. Ihre
Epoche musste sich wirklich sehr von seiner unterscheiden,
denn wo er herkam gab es ausschließlich männliche Heiler.
Wie dem auch sei, es verlangte ihn jetzt brennend nach herzhafter Nahrung. So dankbar er ihr war für die Kost, die sie
ihm im Rahmen ihrer Möglichkeiten zubereitet hatte, benötigte er endlich Fleisch, um weiter zu Kräften zu kommen.
Er streckte sich und erklärte: »Ich besorge uns etwas zu essen.«
Sie sah ihn überrascht an und entgegnete: »Bist du sicher?
Solltest du dich nicht noch schonen?«
Ihn amüsierte die Tatsache, dass sie wie ein echter medicus
gesprochen hatte. Er schmunzelte und erwiderte: »Dank deiner heilenden Hände bin ich dazu durchaus in der Lage.«
Bonnie zuckte bescheiden mit den Achseln und entgegnete:
»Gut, ich mache in der Zwischenzeit einen neuen Sud für deinen Verband. Ich sollte ihn trotzdem noch ein paarmal erneuern.«
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Er nickte zustimmend, nahm den kleinen Dolch des toten Reiters, hielt ihr das andere Messer hin und warnte sie mit ernster
Miene: »Wenn sich irgendwelche Fremden dem burgus nähern, dann versteckst du dich.«
Sie schluckte, und nahm ihm zögernd das Messer ab. Ihr war
bang bei dem Gedanken, dass hier wieder ein potentieller
Vergewaltiger auftauchen könnte, und sie ohne Quintus`
Schutz war. In den letzten Tagen, während sie mit seiner
Pflege beschäftigt war, hatte sie das größtenteils verdrängt,
aber jetzt, da er fast genesen und sie quasi wieder ohne Beschäftigung war, kamen ihr die möglichen drohenden Gefahren wieder ins Bewusstsein.
Während der Römer durch die noch nebelverhangene, mit
Tau benetzte Graslandschaft zum Wäldchen lief, kamen ihm
bruchstückhaft die Erinnerungen der vergangenen Tage in
den Sinn. Es war im Grunde unfassbar. Die junge Frau hatte
sich darauf eingelassen, ihn, einen völlig wildfremden Mann
zu pflegen, von dem sie ja gar nicht wissen konnte ob sie ihm,
wenn er durchkam, überhaupt vertrauen konnte und ob er ihr
etwas antun würde. Er bewunderte ihren Mut, gleichzeitig
zeigte es ihm aber auch, wie verzweifelt sie sein musste.
Quintus ging zunächst zum Teich, spülte seinen Mund aus,
wusch sich das Gesicht und stutzte sich mit dem kleinen
scharfen Messer rasch und mit geübten Bewegungen seine
Bartstoppeln. Erst dann wurde er sich bewusst, dass diese
Routine, die ihm in Fleisch und Blut übergegangen war, noch
ein Überbleibsel aus seiner Zeit als Befehlshaber war. Als
solcher hatte er laut Heeresverordnung stets eine akkurate Erscheinung abzugeben. Aber was würde ihn erwarten, selbst
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wenn es ihm gelang, in seine Zeit zurückzukehren? Mit hoher
Wahrscheinlichkeit würde er seinen Rang verlieren und geächtet werden, nach dem Ende der neunten Legion. Trotzdem
kein Grund, sich in Sachen Körperhygiene gehen zu lassen,
befand er zynisch. Und so zog er sich aus, entfernte den Verband und stieg ins Wasser. Es war kalt, aber er genoss es, sich
endlich wieder sauber zu fühlen. Immerhin musste er im Fieber ordentlich geschwitzt haben. Er tauchte unter und rubbelte
sich kräftig durch sein kurzes Haar. Anschließend rieb er sich
gründlich überall ab. Als er aus dem Wasser kam, schüttelte
er sich und schlüpfte wieder in seine verdreckte Kleidung.
Diese hätte er eigentlich auch dringend waschen müssen, aber
jetzt hatte er wirklich Hunger. Und so konzentrierte er sich
ganz auf sein vor ihm liegendes Vorhaben, ein Tier zu erlegen, um endlich wieder ein Stück Fleisch zwischen die Zähne
zu bekommen.
Eine Bewegung unter Wasser brachte ihn auf eine Idee. Rasch
band er den Dolch mit einem biegsamen Weidenzweig an einem Ast fest, den er auf dem Waldboden fand, welcher ihm
als Speer geeignet schien.
Anschließend erforderte es seine ganze Geduld, zweier stattlicher Fische habhaft zu werden. Doch weil er diese Methode
in seiner Kindheit und Jugend zum Zeitvertreib an den
Uferauen des Tiber erprobt und perfektioniert hatte, gelang es
ihm. Später, in der Legion, hatten sie zu diesem Zweck Reusen gehabt, aber diese Art des Fischfangs bedurfte noch mehr
Zeit.
Wenig später war er mit seiner Ausbeute wieder in der Burg
angekommen und grüßte die junge Frau mit den lässigen
Worten: »Da bin ich wieder.«
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»Da bist du«, antwortete sie und lächelte ihm zaghaft zu.
Mühsam verdrängend, dass ihm ihr freundliches Lächeln ausgesprochen gut gefiel, begann er angelegentlich, die Fische
aufzuschneiden und auszunehmen.
Bonnie beobachtete ihn dabei.
Es war seltsam für sie zu begreifen, dass man in dieser Welt,
wenn man Fleisch, oder Fisch, haben wollte, ein Tier töten
musste, anstatt in den Supermarkt zu gehen. Natürlich war ihr
immer klar gewesen, dass für ihren Fleischkonsum Lebewesen hatten sterben müssen, aber dies nun so direkt vor Augen
zu haben war gewöhnungsbedürftig.
Sie musste ein bestürztes Gesicht gemacht haben, vermutete
sie, denn er musterte sie verwundert.
»Was?«, fragte der Römer mit leichtem Spott in der Stimme,
und fügte an: »Nach allem Ekelhaften, was du in den letzten
Tagen durch mich gesehen hast, wirst du doch kein Problem
mit rohem Fleisch oder Fisch haben, oder? Aber sicher haben
bei euch die Sklaven für gewöhnlich die Mahlzeiten zubereitet?«
»Nein«, entgegnete sie kopfschüttelnd. »Mit rohem Fleisch
habe ich kein Problem und Sklaven gibt es in dem Kulturkreis
nicht, aus dem ich komme. Aber das mit den Fischen … Nun,
es ist schwer zu erklären.«
Quintus sah sie neugierig an, fragte aber nicht weiter nach.
Ihre Epoche, für ihn die ferne Zukunft, war überaus rätselhaft
für ihn. Er wunderte sich darüber, dass es keine Sklaven
gab in einem ehrbaren, wohlhabenden Haus, wie das ihre es
offenbar sein musste. Ihr Duft, ihr feiner Teint, ihre weiche
Haut, und die Tatsache, dass sie als Frau die Sprache der Ge-
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lehrten beherrschte, verrieten ihm ihre gutsituierte Herkunft. Doch wo sie herkam, das musste eine völlig andere
Welt sein. Gerne hätte er sie so Vieles gefragt, über das Leben
dort und die Menschen, aber es gab Wichtigeres, über das er
nach dem Essen mit ihr sprechen musste.
Nachdem sie die Fische auf Stöcke gespießt, seiner Anweisung nach über dem Feuer gegrillt, und gegessen hatten, legte
Bonnie ihm noch einmal einen neuen, mit Weidenrindensud
getränkten Verband an. Er dankte ihr, sah sie ernst an und
sprach aus, was sie beide dachten: »Ich denke wir sind einer
Meinung darüber, dass die caverna Schuld an unserer unfreiwilligen Zeitreise ist. Wenn wir wieder in unsere jeweiligen
Epochen zurückkehren wollen, sollten wir es dort versuchen.
Am Besten sofort.«
Ihr lief ein Schauer über den Rücken. Natürlich wollte sie
wieder zu ihrer Mutter und in die Zeit, in der sie sich auskannte, aber sie erinnerte sich mit einem Mal an das grausige
Gefühl in der Höhle. So musste es sein, wenn man stirbt, befürchtete sie. Doch sie nickte, weil ihr nichts anders übrig
blieb, als es zu wagen.
Bevor sie aufbrachen, banden sie das Pferd los, damit es seiner Wege gehen konnte.
Während sie zu den cavernae liefen, war Quintus in Gedanken
bereits bei dem Leben, in das er zurückkehren würde, wenn
es funktionierte. Er würde noch immer auf der Flucht vor den
Pictii sein und für den Fall, dass er es schaffte, musste er erst
einmal die ganze Strecke zum nächsten Kastell am großen
Wall im Süden Caledoniums zu Fuß bewältigen. Und was
dann? Die neunte Legion gab es nicht mehr, wie ihm wieder
schmerzlich bewusst wurde. Diese Schmach würde auf die
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Familie des letzten befehlshabenden Offiziers, also auf seine,
zurückfallen. Er wusste dass sein anspruchsvoller Vater, ein
einflussreicher Senator, imstande war ihn deswegen zu verstoßen, auch wenn es im Grunde nicht seine Schuld gewesen
war. Sie waren einfach zuwenige gewesen und hätten Verstärkung gebraucht, die der Senat nicht gewährt hatte. Somit war
sein Vater sogar mit Schuld am Untergang der Legion. Natürlich tat es ihm vorrangig um seine gefallenen Kameraden leid,
aber die Aussichten, wenn er zurückkommen würde, waren
nicht rosig. Doch es war nun einmal die Zeit, in die er gehörte,
also musste er zurück. Wie sollte er hier leben, wo die Menschen wahrscheinlich nicht einmal seine Sprache sprachen?
Die beiden verließen das Burggelände, liefen den Abhang
hinunter zum Strand, und von dort aus zu den Höhlen.
In der vorderen Kaverne fielen Bonnie erstmals bewusst die
unzähligen Fässer auf, die dort übereinandergestapelt waren.
Als sie vor vier Tagen hinausgestürmt war, hatte sie dafür
kein Auge gehabt. Ihr kam der Verdacht, dass ihr Peiniger
womöglich ein Schmuggler gewesen war. Es war zu vermuten, wenn er sich an den Fässern zu schaffen gemacht hatte an
einem Ort, der ein derart sicheres Versteck bot wie kaum
ein Zweiter an Schottlands Ostküste. Diese war unter
Schmugglern ohnehin sehr beliebt gewesen, wie sie wusste.
Auch sein, trotz der abgetragenen Kleidung, gut gefüllter
Geldbeutel erklärte sich damit. Womöglich hatte er seine Bezahlung abgeholt. Doch all das war jetzt zweitrangig. Bang
und mit klopfendem Herzen musterte sie den schmalen Gang,
der in das Dunkel der hinteren Höhle führte, die sie irgendwie
ihrer Zeit entrissen hatte. Sie erinnerte sich einmal gelesen zu
haben, dass es genau dieser Gang gewesen war, der damals in
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den achtziger Jahren durch das hineinpreschende Auto eingestürzt war. Daher war ihr die Kaverne unbekannt gewesen.
Doch welche Kräfte wirkten darin? Sie konnte es sich mit ihrem rationalen, gesunden Menschenverstand nicht erklären.
Dass Quintus es etwas anders sah, offenbarten seine Worte:
»Mögen uns die Götter sicher dorthin geleiten, wohin wir gehören«, erklärte er in fast feierlichem Tonfall und sie ahnte,
dass für ihn das Erlebnis in der Höhle ein Werk himmlischer
Mächte gewesen sein musste. Trotz ihrer Vernunftbezogenheit fand sie das nicht lächerlich. Sie respektierte den Glauben
anderer Menschen. In gewisser Weise war auch sie gläubig,
da sie als Protestantin erzogen worden war. Wenngleich sie
nicht alles für bare Münze nahm, was in der Bibel stand und
ihr Weltbild in den letzten Tagen gehörig ins Wanken geraten
war. Sie erwiderte seinen Ausspruch mit einem kleinen, zaghaften Lächeln, bevor er sich anschickte, als Erster den Gang
zu betreten.
Kurz vorher hielt der Römer jedoch inne, wandte sich um,
blickte ihr in die Augen und erklärte mit ernster Miene: »Ich
möchte dir noch einmal danken. Du hast mir das Leben gerettet und ich stehe tief in deiner Schuld. Egal was jetzt passiert,
wisse, dass ich dir das nie vergessen werde.«
Anschließend musterte er sie nachdenklich und wurde sich
bewusst, dass darüber hinaus die Erinnerung an ihre anmutige
weibliche Erscheinung in kommenden einsamen Nächten
durchaus seine Fantasien beflügeln könnte, wenn ihn das Verlangen seiner Lenden plagte und er sich Erleichterung verschaffen musste. Das war alles, was ihm von ihr bleiben
würde. Er war ihr wirklich dankbar, aber jetzt musste er sich
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auf das Wesentliche konzentrieren, und in seine Zeit zurückkehren.
Bonnie entgegnete ebenso ernst: »Wärst du nicht gewesen,
wäre ich vergewaltigt worden. Das werde ich dir nie vergessen.«
Insgeheim war ihr klar, dass sie ihn selbst als Mensch wohl
nie vergessen würde, sollten sich ihr Wege nun trennen, abgesehen davon, was er für sie getan hatte. Nicht nur wegen
der merkwürdigen Umstände, unter denen sie aufeinandergetroffen waren, und weil sie die Intimität eines gemeinsamen
Nacht- und Krankenpflegelagers geteilt hatten. Ein Mann wie
er war ihr noch nie begegnet und würde ihr auch nie wieder
begegnen. Er strahlte eine solch maskuline, authentische,
selbstsichere, und dennoch nicht überhebliche Präsenz aus,
wie sie sie wohl bei keinem männlichen Individuum in ihrer
Zeit finden würde, ganz abgesehen von seinem in jeder Hinsicht ansprechenden Äußeren. Kurz zweifelte sie wieder an
ihrer geistigen Zurechnungsfähigkeit, weil sie in dieser entscheidenden Situation solch abgedrehte Gedanken hatte, und
schalt sich dafür, bevor sie sie beiseite drängte.
Sie nickten sich noch ein letztes Mal zu, beide gleichermaßen
angespannt, bevor Quintus den Gang zur hinteren Höhle
durchquerte.
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Kapitel 5 : Das Kleinod
Nichts geschah, auch nicht, als Quintus direkt in die Mitte
der Höhle getreten war. Dann kam er heraus, durch den Gang
nach vorne, und zuckte ratlos mit den Achseln.
Nun begab sich Bonnie in die hintere Kaverne, doch auch bei
ihr tat sich nichts. Es funktionierte einfach nicht. Fieberhaft
versuchte sie zu ergründen, wie sie in diese fremde Epoche
gelangt waren. Gab es vielleicht irgendeinen Auslöser? Sie
blickte sich um, aber alles was sie im Zwielicht sah, waren
lediglich die unzähligen fremdartigen, gezackten Schriftzeichen in weißer Farbe, die die glatten Felsen nahezu komplett
bedeckten. Waren diese überhaupt piktischen Ursprungs? Deren Symbole wiesen eigentlich meist eher verschlungene,
weiche Linien auf.
Die junge Frau hob den Kopf und beäugte rätselnd das kreisrunde Loch über sich, durch das sie in ihrer Zeit gestürzt war.
Jetzt war es mit unversehrten Holzbalken bedeckt. Was hatte
das bloß zu bedeuten? Es sah aus wie von Menschenhand geschaffen, so, dass eine Person von dort oben hier herunter gelangen könnte, mit einer Leiter oder ähnlichem. War das der
"Geheimgang" der Burg, von dem die alten Legenden erzählten? Hatten die Erbauer des Gemäuers von der Macht der
Höhle gewusst? Wer würde sich dieser denn freiwillig aussetzen wollen? Offenbar hatte aber irgendwann jemand beschlossen, den Durchgang mit den Planken zu verbergen.
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»Ist dir irgendetwas aufgefallen, bevor du durch die Zeit gereist bist?«, rief sie dem Römer zu, der in der vorderen Kaverne wartete.
»Nein«, entgegnete er, kam ihr wieder durch den Gang entgegen und fuhr mit zynischem Spott fort: »Ehrlich gesagt war
ich ein klein wenig durch die Flucht vor den Pikten abgelenkt,
und habe nicht unbedingt damit gerechnet, dass mich fremde
Götter meiner Zeit entreißen.«
Überrascht sah sie ihn an und fragte: »Hattest du von ihnen
diese Verletzung?«
»Ja«, antwortete er kurz.
Sie bohrte nicht weiter nach. Im Moment schossen ihr so viele
andere Gedanken durch den Kopf. Was, wenn sie nie mehr in
ihre Zeit zurückkehren konnte? Wie sollte sie hier überleben?
Wo sollte sie hin? Wie würde ihre Mutter das verkraften, nach
ihrem Mann auch ihre Tochter zu verlieren? All diese Überlegungen brachen niederschmetternd über sie herein. Ihre
Beine waren plötzlich kraftlos, und sie sank in eine sitzende
Position auf den Boden, an die Höhlenwand gelehnt.
Quintus stieß die Luft aus und fuhr sich nachdenklich über
den Kopf. Das Verrückte war, dass er nicht wusste, ob er verzweifelt oder erleichtert sein sollte, dass es nicht gelang, zurückzukehren, wo er herkam. Abgesehen von den düsteren
Zukunftsaussichten für ihn in seiner Epoche war ihm auch der
Sog noch unangenehm im Gedächtnis geblieben. Er hatte gedacht, er würde in der caverna sterben. Wer wusste schon, ob
er ein zweites Mal überhaupt überlebt hätte. Geschweige denn
eine so zarte Frau wie Bonnie. Doch er hätte ihr gewünscht,
dass sie in ihre Zeit hätte zurückkehren können, denn er vermutete, dass sie dort viel mehr zurücklassen würde als er in
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seiner. Sicher hatte sie eine Familie und einen Mann, der bisher gut für sie gesorgt hatte, sagte er sich, denn sie war wohlgenährt - ohne jedoch das füllige, fleischige Äußere zu
besitzen, das vielen reichen, dekadenten Römerinnen eigen
war, welche nie einen Finger krümmten.
Er sah zu ihr herüber und sprach das Unausweichliche an:
»Ich fürchte wir müssen uns damit abfinden, in dieser Epoche
gefangen zu sein.«
Sie hob den Kopf und er sah, dass sich ihre Augen mit Tränen
füllten. Verdammt, fluchte er innerlich, was sollte er ihr jetzt
sagen, um sie zu trösten. In dieser Situation gab es keinen
Trost.
Dennoch ließ er sich neben ihr nieder und nahm sie schweigend in seine Arme, während sie an seine Brust gelehnt
stumm weinte. Das war das Einzige, was er im Moment für
sie tun konnte, wenngleich wenn es seltsam surreal für ihn
war. Zum einen, weil er so etwas noch nie zuvor getan hatte,
aber auch, weil er körperlich unbestreitbar von ihr angezogen
wurde. Er versuchte das gedanklich mit aller Macht auszublenden. Immerhin hatte sie ihm das Leben gerettet, und war
in diesem Augenblick voller Verzweiflung. Er schuldete es
ihr, dass er ihr beistand, so gut er konnte.
Bonnie war zutiefst verstört. Seine Worte hatten ihr die Ausweglosigkeit ihrer Situation in unbarmherziger Klarheit vor
Augen geführt. Also war sie tatsächlich dazu verdammt, ihre
Mutter nie wieder zu sehen und hier in dieser Zeit zu bleiben.
Wie sollte sie das überstehen? Wie sollte sie sich zurechtfinden? Sie teilte ihr Schicksal mit einem Mann, der ein Fremder
für sie war und von dem sie kaum etwas wusste, außer dass er
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ein römischer Soldat gewesen war. Plötzlich machte sich wieder Befangenheit in ihr breit und sie wurde sich der Intimität
dieses Moments bewusst, was durch ihren Kummer zunächst
nicht der Fall gewesen war. Mit aller Deutlichkeit nahm sie
jetzt seine definierte Brust an ihrer Wange und seine starken
Arme wahr, die er um sie gelegt hatte. Ein Wirrwarr der Empfindungen tobte in ihr. Die Befangenheit wich mit einem Mal
dem Bewusstsein, dass sie sich behütet und sicher vorkam. Er
war warm und fühlte sich einfach gut an. Dabei war sie gar
nicht der Typ Frau, die üblicherweise schnell Nähe zuließ. Sie
ermahnte sich aber, nicht zuviel in seine Fürsorge hineinzuinterpretieren, denn das Einzige, was sie verband, war diese vermaledeite Zeitreise. Er wollte sie bloß trösten, und das
rechnete sie ihm hoch an.
Sie wischte sich die Tränen ab, löste sich leicht von ihm und
erklärte mit belegter Stimme: »Danke für … das hier.«
Er räusperte sich und erwiderte ernst: »Schon gut. Ich kann
nur erahnen, wie das für dich sein muss.«
Die junge Frau schluckte und brachte heraus: »Ja, es ist … ein
ziemlicher Schock. Aber es ist wohl gut, dass ich nicht allein
bin.«
Sie zögerte kurz und fügte dann leicht verlegen an: »Und,
Quintus, es tut mir leid, dass ich dich bei unserer ersten Begegnung getreten habe.«
Nun brummte er, gab sie frei und stand auf. Es rührte ihn, dass
sie so verlegen reagierte und sich sogar für die unsanfte Behandlung seines Gemächts entschuldigte, doch diese emotionale Situation überforderte ihn zusehends. Derlei war ihm
völlig fremd und er wusste nicht, wie er damit umgehen sollte.
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Ende der Leseprobe von:
Glencoe - Fern der Heimat
Isabelle Vannier
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