SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Zeitwort 21.05.1938: Brechts "Furcht und Elend des Dritten Reichs" wird uraufgeführt Von Winfried Roesner Sendung: 21.05.2016 Redaktion: Ursula Wegener Produktion: SWR 2016 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Zeitwort können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/zeitwort.xml Autor: "Ich plane fortwährend Schläge gegen die Verbrecher, die im Süden hausen". Das schreibt Bert Brecht 1934 aus dem dänischen Exil. Vier Jahre später, am 21. Mai 1938, kann er einen dieser Schläge austeilen. Es ist die Uraufführung des Stückes, das wir heute unter dem Titel "Furcht und Elend des Dritten Reiches" kennen. Es ist eine Szenenfolge aus dem Nazideutschland der Jahre 33 bis 38, also noch ohne die endgültigen Gräuel von Krieg und Judenvernichtung. Brecht sammelt: Zeitungsausschnitte, Augenzeugenberichte. Daraus gestaltet er Dialoge faschistischen Alltags: Kommentar von Brecht: Nacht des 30. Januar 1933. Zwei SS-Offiziere torkeln die Straße herunter. DER ERSTE Nu sind wir oben. Imposant der Fackelzug! Jestern noch pleite, heut schon in die Reichskanzlei. Jestern Pleitejeier, heute Reichsadler. Sie lassen ihr Wasser DER ZWEITE Und nu kommt die Volksjemeinschaft. Ick erwarte mir een seelischem Uffschwung des deutschen Volkes in allerjrösten Maßstab. Autor: "Volksgemeinschaft."In der Szene "Der Verrat" hört der Lauscher an der Tür, wie der Nachbar abgeführt wird, den er denunziert hat. Eine "Jüdische Frau" verlässt ihren Mann, um ihm zu ersparen, sie eines Tages verleugnen zu müssen. Brecht ist in den Jahren des Exils immer wieder mal in Paris. Er redet auf internationalen Schriftstellerkongressen. Nach Paris hatte sich Slatan Dudow geflüchtet, den Brecht als bulgarischen Film Studenten kennengelernt hatte. Dudow wollte eine Szenenfolge mit emigrierten deutschen Schauspielern aufführen. Als Titel waren "Deutschland - ein Gräuelmärchen" im Gespräch wie auch "Deutsche Heerschau". Am Ende wurde "99%" daraus, was Brecht "etwas klein" schien und "eigentlich etwas anderes verspricht". Lange weiß er nicht einmal, welche Szenen Dudow auswählen will. Und dann die Schauspieler! Brecht: Kommentar von Brecht: Wenn Sie die unbedingt nötigen Kräfte nicht zusammenbringen können, würde ich trotz aller Bedenken... immer noch lieber den Herbst abwarten, wo, soviel ich weiß, die Züricher deutschen Schauspieler ohne Arbeit sind. Das ist eine Gruppe hochqualifizierter Charakterspieler, mit denen man eine sensationelle Aufführung zustande bringen kann, die bis nach Amerika wirken könnte. Autor: An Amerika denkt Brecht schon jetzt. Aber Piscator, dem er "Furcht und Elend" auch schickt, reagiert nicht. Und bei Dudow in Paris fürchtet Brecht ein Fiasko. Sicher ist er nur bei Szenen wie "Die jüdische Frau", in denen Helene Weigel mitspielt. Die soll allerdings erst im letzten Augenblick zu den Proben kommen, damit den Brechts der Parisaufenthalt nicht so teuer wird. Für die Endproben stößt auch Brecht selber dazu. Die Uraufführung von acht der insgesamt 24 Szenen findet in der Salle d'Iena statt. Paul Dessau hatte unter Pseudonym eine Musik dazugeschrieben, und offenbar war es Dudow und Brecht gelungen, das bittere Thema "trotz allem nicht deprimierend" abzuhandeln. Das Premierenpublikum hatte viel zu lachen und klatschte nach jeder Szene begeistert. 1 Walter Benjamin schrieb eine positive Besprechung in der "Neuen Weltbühne", und sogar die SS-Zeitschrift "Das schwarze Korps" reagierte und erklärte das Lachen des Publikums mit Belustigung über Brechts Unvermögen zu begreifen, was in Deutschland geschah. Die wirkliche Katastrophe mit dem Stück erlebt Brecht 1945 in New York. Jetzt sind es 9 Szenen unter dem Titel "The Private Life of the Master Race" (Das Privatleben der Herrenrasse). Brecht hat selber die Übersetzung überwacht, aber mit Piscator als Regisseur verkracht er sich schon nach einer Woche. Die Schauspieler kommen ihm wie "Schulkinder" vor, und der berühmte Albert Bassermann, 78 Jahre alt, spricht ein Englisch, das er selber nicht versteht. Brecht, führt so Regie, als wolle er sein eigenes Stück ruinieren. Die Kritiken sind verheerend und finden alles "unglaublich langweilig". Den Durchfall am Broadway hat Brecht lange nicht verschmerzt und keine Aufführung mehr dort zugelassen. 2
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