18 1TITELTHEMA Sie klingen pessimistisch. Zum Glück können islamische Theologen in Deutschland liberales Gedankengut entwickeln, ohne der Häresie angeklagt zu werden. Eigentlich gibt es eine große Chance, dass sich hier ein humanistischer, demokratischer, toleranter Islam herausbilden kann. Aber solche Ansätze sind noch fragil. Es gibt gerade einen harten Kampf der Ideen, und daran müssen sich Muslime wie Nichtmuslime gleichermaßen beteiligen. Ich wünsche m ir viel mehr Begeisterung, wenn es darum geht, d ie Idee von Freiheit, Demokratie und Pluralität zu vertreten. Ein Problem ist, dass Imame häufig aus dem Ausland kommen. Kann der Staat dagegen vorgehen? Muslime beim Fastenbrechen in Frankfurt Foto Sebastian Cunitz "DER ISLAM IN DEUTSCHLAND WIRD STRENGER" Ethnologin Susanne Schröter über das Verhältnis von Religion und Demokratie, Imame aus dem Ausland und den Einfluss des türkischen Staats. Frau Professor Schröter, Sie plädieren für einen "deutschen Islam'~ Wie sieht der aus? Deutschland hat spezielle Rahmenbedingungen für eine Weiterentwicklung des Islams. Unser Staat gibt Religionen Raum. Das gilt auch für den Islam, wie die Fortschritte beim Religionsunterricht, den Lehrstühlen an Universitäten und dem Aufbau einer islamischen Diakonie zeigen. Muss sich der Islam ändern? Der Islam in Deutschland wird sehr heterogen gelebt. Das gilt auch fü r die Auslegung des Korans und der Überlieferungen. Allerdings dominiert noch im mer eine konservative Lesart. Weltweit gesehen, ist ein fundamentalistischer Islam sogar auf dem Vormarsch. Hat das Einfluss auf die Entwicklung in Deutschland? Deutschland ist keine Insel. Schon wegen der Migranten, d ie d iese Strömungen in ihren Herkunftsländern mitbekommen und sich zum Teil von ih nen beeind rucken lassen. Zum Beispiel beeinflusst die derzeitige religiöse Entwicklung in der Tü rkei die türkischen Muslime hier. Das heißt, dass es in vielfacher Hinsicht strenger werden wird. FRANKFURTER ALLGEMEINE WOCHE 2112016 Rechtlich kann man deren Tätigkeit hier nicht verbieten. Auch kann man Deutsch als Moscheesprache nicht verordnen. Wir haben viele christliche Gemeinden, in denen in einer nichtdeutschen Sprache gepredigt wird, m it Priestern aus dem Ausland. Was fü r die einen gilt, muss den anderen auch erlaubt sein. Kritik gibt es derzeit wieder am türkischen Ditib-Verband. Nun beteuern die Imame, dass sie keine Marionetten des türkischen Staates seien. Ja, wenn das denn stimmen würde. Der Ditib-Bundesverband und die Landesverbände stehen unter der Kontrolle der türkischen Religionsbehö rde, und ihre Funktionäre bekämpfen liberale Strömungen innerhalb des Islams vehement. Die Politik sollte daher nicht den Fehler begehen, den Verband, der nur einen kleinen Teil der Muslime vertritt, zum wichtigsten Ansprechpartner zu küren. Ist die Fundamentalkritik der AfD am Islam unberechtigt? Die AfD hat ein verkürztes Weltbild und jongliert mit Ängsten. Die Meinung, dass der Islam mit dem Grundgesetz nicht vereinbar sei, ist völliger Unfug. Intoleranz findet man auch in jüdischen und christlichen Quellen. Die Frage ist doch, wie man diese Quellen heute deutet. Wie kann man das Zusammenleben verbessern? Indem man Debatten öffentlich und ehrlich führt, auch von Seiten muslim ischer Verbände. Zum Beispiel hat sich Aiman Mazyek, der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, vor kurzem dazu bekannt, dass Muslim e ihre Religion verlassen können. Solche klaren Signale würde ich mir häufiger wünschen. Dann könnte man Bedenken zerstreuen, der Islam sei im Grunde totalitär. Hinzu kommt, dass die meisten Deutschen wenig über den Islam wissen und die Muslime wenig über das Christentum. Hier ist Aufklärung gefragt. Das Gespräch führte Siefan Toepfer. Susanne Schröter ist Professorin für Ethnologie im Exzellenzcluster "Normative [ Ordnungen" an der Goethe-Universität ~ Frankfurt und leitet das Frankfurter ! Forschungszentrum Globaler Islam. j •1
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