Freude an Forschung vermitteln

Süddeutsche Zeitung
WIRTSCHAFT
Montag, 23. Mai 2016
Bayern, Deutschland, München Seite 18
FORUM
M
athematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik, also die
sogenannten Mint-Fächer, gehören zu den wichtigen Disziplinen, die
Deutschland innovativ und wettbewerbsfähig halten sollen. Umso entscheidender ist
hier qualifizierter Nachwuchs. Doch immer noch interessieren sich nicht genügend junge Menschen für diese Bereiche.
Politik, Unternehmen, Bildungseinrichtungen und Eltern müssen daher noch stärker
als bisher an einem Strang ziehen, um naturwissenschaftliche Bildung in Deutschland zu fördern. Dazu gehört auch, das Interesse und den Entdeckergeist von Kindern möglichst früh zu wecken.
„Die Neugierde der Kinder ist der Wissensdurst nach Erkenntnis, darum sollte
man diese in ihnen fördern und ermutigen“: Davon war bereits vor rund 350 Jahren der englische Philosoph John Locke
überzeugt, der geniale Universalgelehrte,
der sich für Logik und Ethik genauso interessierte wie für Medizin und Naturwissenschaften. Frühzeitig den Drang der jungen
Menschen nach Wissen zu fördern – diese
Aufgabe ist immer noch hochaktuell und
für mich eines der wichtigsten Bildungsziele, um qualifizierten Nachwuchs in
Deutschland zu entwickeln. Leider finden
aber immer noch zu wenige Talente, und
besonders Frauen, den Weg in die Naturwissenschaften.
Freude an Forschung vermitteln
Wenn Deutschland im globalen Wettbewerb mithalten will, muss es mehr
tun, um bei Schülern die Neugierde zu wecken. Von Simone Bagel-Trah
Um Kinder und Jugendliche nachhaltig
für diese Fächer zu begeistern, müssen wir
ihnen früh einen Zugang zur naturwissenschaftlichen Forschung ermöglichen, ihnen zeigen, was den Beruf eines Forschers
wirklich ausmacht und ein authentisches
Erlebnis der Naturwissenschaften vermitteln. Denn häufig sind Forscher in ihrer
Vorstellung langweilige, eigenbrötlerische
Einzelgänger – und das entspricht natürlich nicht der Realität. Dass die Arbeit eines Forschers spannend und abwechslungsreich ist, lernen Kinder zum Beispiel
in der „Henkel-Forscherwelt“ – einer internationalen Bildungsinitiative, die unser
Unternehmen vor fünf Jahren ins Leben gerufen hat. Das didaktische Konzept wurde
in Kooperation mit der Ruhr-Universität
Bochum entwickelt und umgesetzt. Unter
dem Motto „Wie ein Forscher sein“, lernen
Grundschulkinder die Welt der Forschung
kennen. Dabei ist Neugierde gefragt und
Spaß erlaubt. In Düsseldorf etwa, erfahren
die Kinder in Unterrichtsreihen und Ferien-
kursen hautnah, was es heißt, ein Forscher
zu sein. In eigens für sie entwickelten Versuchen experimentieren sie selbständig in
Gruppen und entdecken die Geheimnisse
der Naturwissenschaften. Zwischen den
Experimenten bleibt Zeit für Austausch,
Entspannung und Bewegung. In dem bunt
gestalteten Erlebnisraum können die Kin-
Junge Menschen in
Naturwissenschaft und Technik
zu fördern, ist existenziell
der kreativ werden, selbst tüfteln und sich
wohl fühlen. Was am Ende der aufregenden Forschertage bleibt, sind die glänzenden Augen der kleinen Entdecker, spätestens wenn sie ihr „Forscherdiplom“ in den
Händen halten. Und vor allem viele spannende Erfahrungen. Die Initiative ist mittlerweile auch in anderen Ländern aktiv, beispielsweise in Moskau mit einem Wissenschaftsmuseum für Kinder, oder in Argen-
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tinien, der Türkei und in Irland mit Schulprojekten.
Die Förderung junger Menschen in den
Mint-Berufen ist für die Industrienation
Deutschland und ihre Innovationskraft
existenziell. „Invented in Germany“ ist ein
Qualitätsbegriff – und das soll auch so bleiben. Immer wieder warnen Wirtschaftsinstitute davor, dass der Fachkräftemangel
in diesen Disziplinen das „Geschäftsmodell Deutschland“ bedrohe. Das Interesse
an den natur- und ingenieurwissenschaftlichen Fachrichtungen ist in den vergangenen Jahren zwar gestiegen. Doch insgesamt finden immer noch zu wenige junge
Menschen den Weg in einen solchen Beruf.
Das hat verschiedene Gründe. Zum einen verlassen viele der internationalen Studierenden Deutschland schon auf dem
Weg von der Hochschule in den Beruf. Und
das, obwohl es hier viele Chancen auf einen guten, qualifizierten Arbeitsplatz gibt.
Zum anderen sind die Abbruchquoten viel
zu hoch. Nach Angaben der Bundesagen-
tur für Arbeit beenden in den Disziplinen
Mathematik und Naturwissenschaften
nur etwa 70 Prozent der Studierenden an
Fachhochschulen ihr Studium. Die Erfolgsquote an Universitäten liegt sogar nur bei
61 Prozent.
Auch der Frauenanteil ist viel zu gering.
Der Bundesagentur für Arbeit zufolge sind
nur 15 Prozent der 7,5 Millionen Mint-Beschäftigten Frauen. Der Anteil steigt zwar
langsam, ist aber immer noch sehr unterdurchschnittlich. Und das fängt schon in
der Ausbildung an: Unter den Mint-Auszubildenden sind derzeit nur zwölf Prozent
weiblich, und nur knapp ein Drittel der Studienanfängerinnen entscheidet sich für
diese Disziplinen.
Diese Zahlen sind erschreckend. In PisaTests im Bereich der Naturwissenschaften
sind die Leistungen beider Geschlechter
ähnlich. Manche Kritiker vermuten daher,
dass das angeblich geringere Interesse von
Mädchen für technische und naturwissenschaftliche Berufe durch Rollenbilder in
der frühkindlichen Erziehung beeinflusst
wird. Mint-Bildung ist daher eine Aufgabe,
die viele angeht, und deshalb müssen wir
schon in der Kindheit und Jugend ansetzen. Wirtschaft und Bildungseinrichtungen müssen noch enger zusammenarbeiten. Wir müssen uns dafür einsetzen, diese
vorgefertigten Rollenbilder, die Mädchen
und Jungen früh prägen, zu entkräften.
Kinder sollten noch stärker darin unterstützt werden, ihre Talente und Interessen
zu entdecken. Gerade bei jungen Schülerinnen muss es besser gelingen, ihre Freude
am Ausprobieren und Erkennen zu wecken; das muss unser aller Ziel sein.
Forschung und Entwicklung brauchen
nämlich Vielfalt. Denn Vielfalt ist für die
Entfaltung von Innovation enorm wichtig.
Wir erleben das bei Henkel täglich in der
Praxis: Teams mit unterschiedlichen Erfahrungswelten und Kenntnissen sind besser in der Lage, intelligente und nachhaltige Lösungen zu entwickeln. Doch in der
deutschen Wissenschaft ist die Zusammenstellung oft eher homogen: Dem Stifterverband zufolge sind 81 Prozent des wissenschaftlichen Forschungspersonals männlich, mehr als 95 Prozent haben die deutsche Staatsangehörigkeit. Diversity sieht
anders aus.
Dr. Simone Bagel-Trah,
Vorsitzende des Aufsichtsrats und des Gesellschafterausschusses von
Henkel und Schirmherrin
Forscherwelt.
FOTO: CLAUDIA KEMPF
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