18 www.kg-koeniz.ch | MAI 2016 Sucherin mit grossem Wissensdurst Jedes Alter sucht Gott anders IRENE LIECHTI IST PRIMARLEHRERIN und interessierte sich schon früh für Bewegung, innere und äussere Haltung und Körperbewusstsein. Sie schult und berät in ihrem Praxisraum im Liebefeld Kinder, Jugendliche und Erwachsene. SOZIALDIAKON MARKUS DOLDER und die eine Generation ältere reformiert.-Mitarbeiterin ROMI GYGAX (82) ergründen gemeinsam, ob die spirituelle Entwicklung bei ihnen unterschiedlich verlief. Wie suchten sie nach Gott in der Kindheit, der Jugendzeit und im Erwachsenenleben? Markus Dolder und Romi Gygax: «Da warst du weiter als ich im Jungmädchenalter.» Kindheit: Elternhaus und Pfarrer sind prägend Markus Dolder: Ich wuchs als jüngstes von vier Geschwistern in einem Pfarrhaus auf und lernte viel beim Beobachten. Ich erlebte mit wachem Sinn, wie viel Zeit meine Eltern für ihre «Schäflein» aufwendeten. Für mich blieb kaum Zeit. Ich hatte viele Fragen, die mich beschäftigten, auch in Bezug auf Gott, akzeptierte aber, dass anderes Vorrang hatte. Dabei gingen gute Ansätze verloren. Ich löste mich enttäuscht vom Zuhause, flüchtete in den Jugendtreff und führte eine Art Doppelleben. Es kam zum Bruch, ich musste mich vom Glauben meiner Eltern trennen und einen eigenen Zugang zu finden. Romi Gygax: In meinem Dorf war der Pfarrer die Person, die immer Recht hatte. Ich war ein neugieriges Kind mit vielen Fragen, Antworten bekam ich aber nur auf solche die ich nicht gestellt hatte. Den Religionsunterricht empfand ich als vorwiegend schrecklich, eine einzige Dro- «Als Erwachsener fühlte ich, dass ich angekommen bin, auch wenn ich immer noch unterwegs bin.» Markus Dolder IMPRESSUM «Reformiert.» kann schriftlich abbestellt werden: Verlag reformiert., Abos, Gaswerkstrasse 56, 4900 Langenthal. [email protected] ADRESSEN KIRCHGEMEINDE KÖNIZ Präsident Kirchgemeinderat Bruno Sigrist, 031 978 03 30, [email protected] Ev.-ref. Kirchgemeinde Köniz Tel. 031 971 30 30, Fax: 031 971 30 35 Ritterhuus Schloss Köniz, Muhlernstrasse 5, Postfach 589, 3098 Köniz [email protected], www.kg-koeniz.ch Redaktion «reformiert.» Köniz (S. 13–18): Alfred Arm,Tel. 031 974 19 74 E-Mail: [email protected] Redaktionsschluss allg. Teil Juni-Nr: Mi. 27. April. Redaktionsschluss Kreise Juni-Nr: Di. 3. Mai, 12 Uhr. hung mit dem Jenseits. Das band mich ans Diesseits. Eine positive Geisteshaltung wurde dabei nicht gefördert. Jugendzeit: Ahnungen und Gottessuche Markus Dolder: Als junger Mann fand ich Zugang zur Musik und zum eigenen Denken. Ich erkannte: Um zu Gott zu finden braucht es keine Religion. Es hilft aber beim Suchen und Verstehen, sich in der Gemeinschaft auszutauschen. Mein persönlicher Glaube wuchs. Zufriedenheit und Gelassenheit nahmen zu, ich ahnte, woher die neue Kraft und Tiefe kamen. Romi Gygax: Da warst du weiter als ich im Jungmädchenalter. In dieser Zeit hatte ich die Kirche im Verdacht, sie halte stur an einem untauglichen System fest. Eine Gewissheit war für mich aber unumstösslich: Gott ist unverzichtbar. Ich wollte ihn finden, an etwas glauben, das Halt bot in dieser Sturm- und Drangzeit. Das Mysterium wollte ich aber in mir selbst finden und nicht vorgekaut bekommen. Erwachsenenzeit: Liebe und Glauben Markus Dolder: Als Erwachsener wollte ich Dinge besser machen, Zeit für die Familie haben, die Kinder begleiten. Liebesfähigkeit und Achtsamkeit wuchsen. Ich fühlte, dass ich angekommen bin, auch wenn ich immer noch unterwegs bin. Romi Gygax: Als junge Ehefrau und Mutter war ich hungrig und wusste nicht wonach. Erst als die Kinder grösser wurden und nach Auseinandersetzung verlangten, gelang es mir, im Glauben Fuss zu fassen. Ich wollte, dass meine Kinder mit einem Glauben aufwuchsen. Mit jungen Menschen wurden Glaubensdinge freudig ausgetauscht. Offen diskutieren, auch «einfache» Fragen stellen dürfen, eine andere Meinung vertreten, das weiter greifendere Wissen anwenden, das mit der modernen Zeit aufkam, eher nach Gewissheiten zu fragen als 1000 Jahre alten Glauben anzunehmen, das half mir. In der Natur, im guten Umgang, in der Begegnungen mit ein paar menschlichen «Leuchtfeuern» habe ich entdeckt,das Gottes Wesen in allen Dingen zu finden ist. Markus Dolder: Heute wünsche ich mir, kleine Spuren bei Menschen zu hinterlassen, die ich ermutigen konnte. Romi Gygax: Mein Wunsch ist,besser zu erkennen, dass ein vertieftes Leben sinnvoller ist als ein verlängertes. Das Leben, wie auch der Glaube, sind wohl nicht ganz gelebt, wenn nicht darüber nachgedacht wird. Text: Romi Gygax Bild: Cornelia Matthews Reformiert: Was ist für Sie Spiritualität? Irene Liechti: Schon als Kind erlebte ich Spiritualität als etwas ganz Natürliches. Mit unserer Mutter besuchten meine Brüder und ich jeden Sonntag den katholischen Gottesdienst. Besonders beeindruckt war ich, wenn wir im Wallis, wo meine Mutter herkam, dem Gottesdienst beiwohnten. Diese sind hier noch traditionell gestaltet und dadurch noch ein Stück mystischer geblieben.Wenn ich auf Reisen bin, gehört es für mich auch heute noch dazu, eine Kirche zu besuchen und eine Kerze anzuzünden. Als Kind habe ich stundenlang im Wald mit Moos und Zweigen gespielt und die Wolken-Figuren am Himmel bestaunt – die Natur war und ist für mich beseelt. Meine Mutter betete mit mir jeden Abend am offenen Fenster während die Sterne funkelten. Es war für mich immer selbstverständlich, dass es etwas Höheres gibt. Mein Vater ist reformiert und gleichzeitig ein grosser Freidenker. Er war immer an Para-Psychologie und an alten Kulturen interessiert, den Mayas, Azteken, Ägypten. Er hat uns ein weites, offenes GlaubensBild vermittelt. Wie würden Sie Ihre spirituelle Entwicklung zusammenfassen? Mit 15 Jahren trat ich ins Lehrer-Seminar ein. Dort sind viele Sinn-Fragen aufgetaucht. Ich überlegte mir auch, aus der «Ich möchte Menschen den Blick für den Reichtum öffnen, den sie in sich tragen.» Irene Liechti Kirche auszutreten. Immer mehr befasste ich mich mit Themen wie entspannte Bewegung, innere und äussere Haltung, Körperbewusstsein und Zentrierung. Deshalb absolvierte ich ein heilpädagogisches Grundstudium mit Spezialisierung in PsychomotorikTherapie. Später begegnete ich der BewegungsMeditation Tai Ji und liess mich auch da zur Lehrerin ausbilden. Dank meinem Ur-Vertrauen und meiner Neugier gehe ich bis heute Schritt für Schritt vorwärts, hinterfrage Traditionen und entwickle Neues. Ich bin eine Sucherin mit grossem Wissensdurst und tauche immer wieder unter die Oberfläche des Seins. Was möchten Sie Menschen mitgeben, Irene Liechti: «Als Kind beeindruckte mich im Wallis die zu Ihnen in die der traditionelle, fast mystische Gottesdienst.» Beratung kommen? Ich möchte ihnen den Blick für den Reichtum öffnen, den sie in sich keiten zu günstigen Konditionen zur Verfütragen. Ein grosser Teil davon ist nicht gung. So ist es möglich, Kurse anzubieten, sicht- und abrufbar. Ich begleite die Men- die auch für Menschen mit einem kleinen schen bei der Entdeckung dieses Schatzes Budget bezahlbar sind. Da können z.B. Kinund helfe, Zugang zu ihrem Potenzial zu der im Malatelier für drei Franken einen finden. Es ist mir wichtig, die Menschen in ganzen Nachmittag lang malen oder Sedie Freiheit ihrer Eigenverantwortung zu nioren können einen Qi Gong-Kurs besuführen. chen (z. B. in der Kirchgemeinde Johannes Bern). Diese Angebote gelten für alle, Haben sich durch die vielen unabhängig welcher Konfession die Menspirituellen Angebote die Aufgaben schen angehören und stellen eine wichtige der Kirche verändert? und wertvolle Brücke zwischen Menschen Die Kirche bietet im Bereich der Sozialdia- unterschiedlicher Religionen dar, die bei konie viele wunderbare Möglichkeiten für uns eine Heimat gefunden haben. Jung und Alt. Dazu stellt sie oft RäumlichText und Bild: Barbara Bürki Spiritualität: «Existenzielle Sinnsuche» RELIGIOSITÄT UND SPIRITUALITÄT / Mitunter klingen Worte abstrakt und abgehoben. Zweifel kommen auf, ob wir alle das Gleiche darunter verstehen. «Spiritualität» und «Religiosität» sind solche Worte. Eine Begriffsklärung. Marc Steinmann hat sich in seinem Buch «Spiritualität – die vierte Dimension der Gesundheit» mit einer Abgrenzung der beiden Begriffe beschäftigt. Spiritualität ist gemäss ihm u.a. «existenzielle Sinnsuche», die Suche nach Antworten auf existenzielle Fragen. Weiter stehe sie für einen inneren Wachstumsprozess und finde ihren Ausdruck in einer ethisch bewussten Lebensweise. Denn: Spiritualität bedeutet laut Steinmann auch eine ausgeprägte Entwicklung zu mehr Bewusstheit. Sie ist Leben, Lebendigkeit und Lebenskraft. Und schliesslich sei ein wei- «Spiritualität entspringt der Sehnsucht des Menschen, mehr zu sein als das Sichtbare und Greifbare.» Pfarrerin Melanie Pollmeier terer wichtiger Bestandteil von Spiritualität eine Verbindung zu etwas, das grösser ist als wir selbst: «Spiritualität verbindet das Ich mit einer transzendierenden, letzten Wirklichkeit». Wo liegt der Unterschied? Tatsächlich ist der Spiritualität und der Religiosität gemeinsam, dass man sich bei beiden als Teil eines allumfassenden, grossen Ganzen empfindet. Religionen haben laut Steinmann einen spirituellen Kern. Der Aspekt der kirchlichen Religion fehlt jedoch bei vielen Menschen, die sich als «spirituell» bezeichnen. Spirituell kann demnach auch jemand sein, der sich keiner religiösen Institution zugehörig fühlt. Auch Pfarrerin Melanie Pollmeier (Spiegel) sagt, Spiritualität könne losgelöst von religiösen Gemeinschaften gelebt werden. Spiritualität ist gemäss ihr die Fähigkeit, über sich selbst hinauszuwachsen und die Verbindung zu etwas zu suchen, das unser eigenes Leben übersteigt. «Sie entspringt vielleicht der Sehnsucht des Menschen, einem ‹Mehr› anzugehören, also mehr zu sein als das Sichtbare und Greifbare, mehr als die Summe der eigenen Taten und Worte.» Spiritualität ist demnach «das Bewusstsein, dass das eigene Leben in etwas anderem wurzelt als nur dem biologischen Elternhaus und dass es woanders hinzielt als nur in den Tod.» Religiosität sei gelebte Spiritualität innerhalb einer Religionsgemeinschaft, wobei hier eine religionsstiftende Person verehrt werde. Pfarrerin Pollmeier sagt weiter: «Der lateinische Begriff religio bedeutet, sich an etwas anbinden und sich mit etwas verbinden, also eigentlich nichts anderes, als das, was Steinmann als Spiritualität definiert. In der Religion geht es aber um den konkreten Glauben an Gott oder Jesus.» Bild und Text: Meret Hasler Buch zum Thema Ralph Marc Steinmann: Spiritualität – die vierte Dimension der Gesundheit. Eine Einführung aus der Sicht von Gesundheitsförderung und Prävention. 2015. 208 Seiten. LIT VERLAG GmbH & Co. KG Worte des Lebens Bibelgesprächskreis. Do. 19. Mai, 19 bis 20.30 Uhr, Kirchgemeindehaus Spiegel. Pfrn. M. Pollmeier, Tel. 031 971 30 74.
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