Der Tagesspiegel

SONNTAG
Mit Stil: Susanne Mayer
übers Älterwerden
– Literatur, Seite 29
Mit Reise:
Samy Deluxe: Ein
Zu Hofe in Gespräch mit dem
Südengland Rapper – Sonntag
BERLIN, SONNTAG, 15. MAI 2016 / 72. JAHRGANG / NR. 22 758
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Am Ende der Saison
BUNDESLIGA
Bayern München – Hannover 96
FC Augsburg – Hamburger SV
SV Darmstadt 98 – M’gladbach
Borussia Dortmund – 1. FC Köln
1. FSV Mainz 05 – Hertha BSC
VfL Wolfsburg – VfB Stuttgart
Bayer Leverkusen – FC Ingolstadt
TSG Hoffenheim – Schalke 04
Werder Bremen – Eintracht Frankfurt
Sommerkultur
3:1
1:3
0:2
2:2
0:0
3:1
3:2
1:4
1:0
Mit Geld
und Gefühl
Die besten
Kulturevents
in Berlin, den neuen
Ländern und Polen
– Beilage
Von Lorenz Maroldt
D
Hertha auf Platz 7 –
Stuttgart steigt ab
Foto: Andreas Lander/MDR
Berlin - Hertha BSC beendet die Bundesliga-Saison 2015/2016 auf Rang 7. Nach
einem 0:0 in Mainz stehen damit für die
Berliner in der kommenden Saison schon
Ende Juli die ersten Qualifikationsspiele
auf europäischer Ebene an. Abgestiegen
sind Hannover 96 (1:3 in München) und
der VfB Stuttgart (1:3 in Wolfsburg). Eintracht Frankfurt muss nach der 0:1-Niederlage in Bremen in der Relegation am
Donnerstag gegen den 1. FC Nürnberg
antreten.
Tsp
— Seiten 17 bis 19
„Keiner hat sich um die SPD so verdient gemacht“
SPD-Krise: Außenminister Steinmeier lobt Partei-Chef Gabriel – der will „Wut der Menschen“ eine Stimme geben
Berlin – Außenminister Frank-Walter
Steinmeier (SPD) hat SPD-Chef Sigmar
Gabriel vor wachsender Kritik in den eigenen Reihen in Schutz genommen. Leider
werde von manchen in der SPD vergessen, was Gabriel für die Sozialdemokratie
geleistet habe, sagte Steinmeier dem Tagesspiegel. „Keiner hat sich um die Partei
so verdient gemacht wie Sigmar Gabriel.
Keiner hat mehr Rücksicht auf die Partei
genommen und sie so gestärkt.“
Steinmeier reagierte damit auf die
schwelende Debatte über einen möglichen Rückzug Gabriels vom Amt des
SPD-Vorsitzenden. In der SPD herrscht
angesichts sinkender Umfragewerte erhebliche Unruhe. Bis in die Parteiführung hinein wird die Frage diskutiert, ob
Gabriel noch über die nötige Autorität
und Glaubwürdigkeit verfügt, um die Sozialdemokratie aus der Krise zu führen.
Ein Wechsel an der Spitze noch vor der
Sommerpause wird in SPD-Kreisen inzwischen nicht mehr ausgeschlossen. Als
wahrscheinlichster Nachfolger im Amt
des SPD-Vorsitzenden gilt der Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz. Ambitionen werden in SPD-Kreisen aber auch
dem Präsidenten des Europaparlaments,
Martin Schulz, nachgesagt. Schulz wird
außerdem in der SPD immer wieder als
möglicher Kanzlerkandidat gehandelt.
Steinmeier wies derartige Überlegungen zurück. Zwar seien „Debatten über
Personen“ in einer für die SPD schwierigen Lage normal. Die Frage, ob Scholz
oder Schulz den SPD-Vorsitz nach einem
Rückzug Gabriels übernehmen solle,
Woidke warnt vor
überstürztem Kohleausstieg
Berlin/Potsdam - Mehr als 1000 KlimaAktivisten haben einen Braunkohletagebau bei Proschim und das Kraftwerk
Schwarze Pumpe blockiert. Die Aktivisten der Gruppe „Ende Gelände“ sehen
sich als Teil der weltweiten Klimabewegung. Brandenburgs Ministerpräsident
Dietmar Woidke (SPD) sagte dem Tagesspiegel am Samstag: „Ich bin in Sorge wegen der Betriebsbesetzung in Proschim.
Erstmals ist ein laufender Tagebau besetzt
worden.“ Er warnte vor einem zu schnellen Ausstieg aus der Braunkohleförderung und -verstromung. „Zuerst müssen
wir aus den unzuverlässigen erneuerbaren Energien zuverlässige Energien machen,erstdann könnenwirüberKohleausstieg reden.“
deh/thm
— Seiten 12 und 23
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HINWEIS
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Liebe Leserinnen und Leser,
wegen des Pfingstwochenendes
erscheint die nächste Ausgabe des
Tagesspiegels am Dienstag, dem 17. Mai
stelle sich aber nicht. Gabriel habe auf der
SPD-Gerechtigkeitskonferenz am vergangenen Montag bewiesen, dass er der Partei „Orientierung geben“ könne. Bei der
Veranstaltung hatte Gabriel unter anderem erklärt, die SPD müsse die „Hoheit in
Gerechtigkeitsfragen zurückerobern“.
Ähnlich äußerte sich der SPD-Chef am
Wochenende auch in einem Interview
mit dem „Spiegel“. Die Sozialdemokraten
müssten deutlich machen, „dass jetzt ein
für alle Mal Schluss ist mit der Herrschaft
des Neoliberalismus“. So müsse die SPD
beispielsweise dagegen vorgehen, dass
sich Unternehmensvorstände wie etwa
von VW mitten in einer Krise millionenschwere Boni genehmigten und zugleich
die Entlassung tausender Leiharbeiter
vorgeschlagen werde. „Die Wut der Menschen über solche Praktiken ist riesengroß, und die SPD muss bereit sein, dieser Wut eine Stimme zu geben.“
Mit Blick auf SPD-Umfragewerte an
der 20-Prozent-Grenze und die Debatte
um seine Person sagte Gabriel, es sei
nicht verboten, in schwierigen Zeiten zu
fragen, ob ein Wechsel in einer Führungsfunktion nötig sei. „Das muss sich übrigens jeder, der in einer solchen Funktion
ist, immer auch selbst fragen.“ Er fügte
hinzu: „Wer sich selbst für unersetzbar
hält oder – was noch schlimmer wäre –
Es lebe die Wahrheit!
Von Harald Martenstein
I
nzwischen ist ziemlich klar, dass in
den USA Donald Trump Präsidentschaftskandidat der Republikaner
wird. Für die Medien, die sowieso mit
einer Glaubwürdigkeitskrise zu kämpfen haben, stellt diese Tatsache einen
weiteren Glaubwürdigkeitsunfall dar,
vergleichbar mit dem Schweigen der
Lämmer nach der Silvesternacht von
Köln. Seit Monaten lese und
höre ich über Trump fast immer das Gleiche, nämlich,
dass dieser Typ ein Vollidiot
ist. Vielleicht ist es so, ich bin
ja kein Trump-Kenner. Allerdings macht es mich misstrauisch, dass dieser Vollidiot in
der Lage war, ein Dutzend Polit-Profis in seinem Wahlkampf geradezu zu demütigen. Die häufigste Begründung, die ich
gefunden habe: Die Wähler von Trump
seien ebenfalls Vollidioten.
Es gibt Hunderte von Spezialisten
für die US-Politik. So gut wie niemand von ihnen war kompetent genug, Trump auch nur Siegeschancen
einzuräumen. Die Experten, übrigens
auch die in den USA, hatten keine
Ahnung von der Zahl der Vollidioten,
die in ihrem Spezialgebiet herumlaufen. Als Trump Staat auf Staat gewonnen hat, wiederholten sie, bis zum
Schluss, immer nur ihr Mantra – bald
komme die Wende. Diese Experten
erinnern stark an den Pressesprecher
von Saddam Hussein, der im Fernseher noch von dem kurz bevorstehenden Sieg der Iraker faselte, als hinter
ihm schon die US-Panzer durchs Bild
rollten. Jetzt schwören die gleichen
Experten natürlich, dass Trump keine
Chance gegen Hillary Clinton habe.
Na klar.
Was würde man mit Meteorologen
tun, die, weil sie Sonne besser finden
als Regen, täglich immer nur Sonne voraussagen? Der Hintergrund dieses Versagens besteht nämlich darin, dass so
gut wie jeder Journalist Trump furchtbar findet, ähnlich wie fast jeder
schlechtes
Wetter
schlecht findet. Das ist auch
ihr gutes Recht. Es lebe die
Meinungsfreiheit! Aber kann
man nicht trotzdem cool bleiben und eine sachlich korrekte Analyse abliefern statt
Wunschdenken? Es lebe die
Wahrheit!
Weil ich alt genug bin, kann
ich mich an einen ähnlichen Fall erinnern, an den Kandidaten Ronald Reagan. In den deutschen Medien wurde
Reagan durchweg als geistig unterbelichtet, unberechenbar und nahezu faschistisch dargestellt. Er gilt in den USA
heute als einer der besten Präsidenten
seines Jahrhunderts, natürlich nur in
den Meinungsumfragen.
Vermutlich ist Trump noch schlimmer als Reagan, er hat weniger Erfahrung und schlechtere Manieren. Aber
an welchen Experten kann man sich in
puncto Trump überhaupt noch halten?
Carla Bruni hat Trump eine Zeit lang
sehr gemocht. 2008 widmete sie ihren
bis dahin 30 Liebhabern ein Album.
Ein Song, für einen Ungenannten, enthält den Vers „Du bist mein Rauschgift,
tödlicher als Heroin“ – damit kann eigentlich nur einer gemeint sein.
sein eigenes Selbstwertgefühl nur aus einem Amt bezieht, ist eigentlich schon deshalb nicht geeignet. Viele Leute in meiner Umgebung wissen, dass ich ein glückliches Familienleben habe und meine persönliche Zufriedenheit nicht an einem
Dienstwagen hängt.“
Erneut sprach sich Gabriel für eine Urwahl des Kanzlerkandidaten mit mehreren Bewerbern aus. „Es wäre hervorragend, wenn es im nächsten Jahr zwei oder
drei Leute aus der Führungsspitze der
SPD gäbe, die sagen: Ich traue mir das zu.“
Ob er selbst zu einer Kandidatur bereit ist,
ließ Gabriel offen. Steinmeier sagte dazu,
Gabriel habe als SPD-Chef das Recht des
ersten Zugriffs. Er selbst helfe der SPD am
besten als Außenminister.
— Seite 3
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INDEX
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ZURÜCK ZU MAO? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
Vor 50 Jahren begann in China
die Kulturrevolution. Nicht nur die
Methoden jener Zeit kehren wieder.
WETTER . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2
Am Pfingstsonntag bleibt das Wetter
in Berlin und Umgebung
äußerst wechselhaft:
Dichte Wolken, wenig Sonne,
13 /7
immer wieder gibt es Schauer.
Aussichten: Es bleibt recht kühl.
TAGESTIPPS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 + 15
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Kunst
und
Flüchtlinge –
wem bringt’s
was?
Seite 25
Fotos: Thilo Rückeis, dpa, Lara Huck
Von S. Haselberger und H. Monath
ISSN 1865-2263
70019
4 190662 202907
ie beste Nachricht für die Bundesliga in dieser Saison – abgesehen
davon, dass diese etwas zähe Angelegenheit jetzt vorbei ist – war der Aufstieg von RB Leipzig. Spannung bot am
Ende gerade noch die Frage, welcher von
drei sogenannten Traditionsvereinen direkt absteigt und wer in die Relegation
muss gegen einen anderen Traditionsverein, der den direkten Aufstieg verpasst
hat. Dass Bayern Meister wird, stand eigentlich seit dem 1. Spieltag fest (5:0 gegen den HSV), Dortmunds Vizemeisterschaft auch (4:0 gegen Mönchengladbach). Fast zwanzig Punkte trennen den
Dritten (Leverkusen) am Ende vom Zweiten, fast dreißig Punkte vom Ersten. Nur
ein einziges Mal, als Dortmund im direkten Spiel gegen Bayern vor ein paar Wochen noch mal auf zwei Punkte hätte herankommen können, schien es kurz zu
knistern in Fußball-Deutschland – es endete 0:0, so wie alles in dieser Saison etwas lahm und unentschlossen wirkte, ja:
unvollendet, wie Bayerns Triple-Traum.
Zu diesem Bild passt auch die Saison
von Hertha, die als eine der erfolgreichsten des Vereins gelten kann – und zugleich ein schales Gefühl hinterlässt, angesichts des lustlosen Endes mit einer
Niederlagenserie und der deshalb verpassten
Champions-League-Chance.
Und Wolfsburg erst: als Mitfavorit gestartet, beinahe über Real Madrid ins europäische Halbfinale eingezogen, aber in der
Liga ins Mittelmaß gestürzt. Und reden
wir hier lieber nicht über Schalke.
Aber jetzt kommt ja Leipzig: endlich
Konkurrenz für die Bayern! Nicht sportlich, jedenfalls noch nicht; aber als Mitbewerber um den Titel des Vereins, über
dessen Niederlagen sich die meisten Fans
anderer Vereine freuen und der – vom jeweiligen Derbygegner mal abgesehen –
den meisten Hass auf sich zieht. Und das
hat vor allem mit Geld zu tun, nach allgemeiner Überzeugung und aufgrund von
Erfahrung die Basis von Erfolg.
Fußball braucht Feindbilder, um Leidenschaft zu entfachen, jedenfalls dort,
wo der Erfolg nicht zu Hause ist – oder
starke Gegner. Wohl auch deshalb fiel es
den Bayern leichter, Meister zu werden,
als sich darüber zu freuen. Es fehlte die
emotionale Entladung, wie es sie nur
nach einem großen Moment gibt, am besten mit einem Tor in der Nachspielzeit.
Das haben die Bayern seit 15 Jahren nicht
mehr erlebt, nicht mehr seit der denkwürdigen Meisterschaft 2001, als in Gelsenkirchen schon gefeiert wurde – bis Andersson in Hamburg traf.
Verdient haben sich die Bayern die Ablehnung und gelegentliche Schadenfreude abseits ihrer beachtlichen,
deutschlandweiten
(Erfolgs-)Fan-Gemeinde eigentlich nicht. Kein Scheich
pumpt einen Teil seiner Öl-Milliarden in
den Verein, auch kein russischer Oligarch, und als Symbol der Arrogantia Bavaria taugt nicht mal mehr Uli Hoeneß.
Es ist so, wie Tote-Hosen-Sänger Campino vor Jahren der „SZ“ sagte: „Man
kann mit Bayern München nur ordentlich
als Feind umgehen, wenn man unsachlich bleibt. Sobald man sich an Fakten
hält, wird es schwierig.“ Das Dortmunder Geheule über Mats Hummels’ Wechsel in seine Vereinsheimatstadt München
hat deshalb auch etwas Gefühlig-Wohlgefälliges: Sie lieben es, zu hassen – und kaufen dabei die Konkurrenz ganz unromantisch selbst gerne klein.
Die Rolle, die nun RB Leipzig in der
kommenden Saison übernimmt, hatte
vor ein paar Jahren Hoffenheim inne: Als
künstlich aufgeblähtes Spielzeug eines
Milliardärs gab der Verein die perfekte
Projektionsfläche ab für das Märchen, es
gebe guten Fußball und bösen – dabei
gibt es nur guten und schlechten. Der
gute muss dabei nicht einmal Meister
werden, um Leidenschaft zu entfachen,
aber kann sogar ohne das meiste Geld
Meister werden, wie in England der Überraschungsfall Leicester zeigt. So wird
Leipzig die Liga in jedem Fall bereichern:
regional, weil es – neben Hertha – endlich
wieder einen Erstliga-Verein im Osten
Deutschlands gibt, emotional, weil sich
das bei der Klub-Geschichte eben einfach
anbietet, und wahrscheinlich sogar sportlich. – Ach, übrigens: Prima Saison vom
1. FC Köln. War ja nicht alles schlecht.