Die Morgenandacht Montag bis Samstag, 5.55 Uhr (NDR Info) und

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Die Morgenandacht
Montag bis Samstag, 5.55 Uhr (NDR Info) und 7.50 Uhr (NDR Kultur)
9. – 14. Mai 2016: „Pfingsten “
Margrit Wegner, Lübeck
Das, was Kirche ausmacht und was wir zu Pfingsten feiern, ist der Geist, sagt Margrit
Wegner. Der Heilige Geist, der am ersten Pfingstfest zum ersten Mal spürbar war, verbindet Menschen untereinander und mit Gott – und er macht frei.
Redaktion: Claudia Aue
Evangelische Kirche im NDR
Redaktion Kiel
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Montag, 9. Mai 2016
„Zu Pfingsten sind Geschenke am geringsten“, hieß es früher bei uns in der Familie. Zu
Weihnachten gibt es liebevoll verpackte Geschenke, zu Ostern Schokoladeneier. Was
aber schenkt man zu Pfingsten? „Eventmäßig hat die Kirche Pfingsten voll verpennt“, witzelte vor Jahren die Kultserie „Frühstück bei Stefanie“. Stefanie und ihre Gäste fantasierten von einem Pfingstochsen aus Schokolade. Früher wurde zu Pfingsten das Vieh wieder
auf die Weide getrieben, manchmal verbunden mit einer Prozession durch den Ort. Das
kräftigste Tier führte die Herde an - mit Blumen, Stroh und Bändern dekoriert. Es war „geschmückt wie ein Pfingstochse“. In manchen Gegenden bezeichnet „Pfingstochse“ die
Person, die am Pfingstsonntag am längsten schläft.
Keine Schoko-Ochsen, keine Geschenke, vielleicht weil das Fest schwierig ist. Weihnachten und Ostern lassen sich leichter erklären: Weihnachten kam Jesus zur Welt. Als Kind
im Stall wird Gott Mensch unter Menschen. Ostern erinnern wir uns, wie dieser Mensch
Jesus Christus am Kreuz starb und doch nicht im Grab geblieben ist. Zwei große Hoffnungsfeste. Zwei große Lebensthemen. Geburt und Tod. Ein Hoffen, das Leben und Tod
übersteigt.
50 Tage nach der Kreuzigung geht es wieder um das Thema Hoffnung. Die Jünger erleben Jesus als Auferstandenen. Er wird vor ihren Augen in den Himmel gehoben. Nun sitzen sie hinter verschlossenen Türen, wollen unter sich bleiben und versuchen, das alles
zu verstehen. Ein weiteres Wunder geschieht: Heilige Begeisterung erfasst sie, Feuerflammen tanzen über ihren Köpfen. Sie verlassen das Haus, es drängt sie unter die Leute,
und sie reden plötzlich so, dass Ägypter, Araber, Griechen – alle sie verstehen. Sie müssen betrunken sein, vermuten manche – aber so früh am Tag? Die begeisterten Reden
stecken an. 3000 Menschen ließen sich taufen an diesem Tag, sagt die Bibel.
Pfingsten feiern wir den Geburtstag der Kirche. Das Geschenk des Heiligen Geistes. Wir
erinnern uns an eine Begeisterung, die Menschen so ergreift, dass sie nicht unter sich
bleiben. Sie verharren nicht im Gewesenen. Wir hoffen seither, dass es eine Sprache und
eine gemeinsame Vision gibt, die Menschen verbindet. Zu Pfingsten sind Geschenke am
geringsten? Ich finde das nicht!
Dienstag, 10. Mai 2016
Zum Geburtstag gibt es Geschenke. Das weiß jedes Kind. Pfingsten feiern wir Geburtstag
- den Geburtstag der Kirche. Vor einigen Jahren kam pünktlich zum Fest ein besonderes
Geschenk auf den Markt. Bei uns zuhause steht es auch: Eine Kirche zum Spielen, eine
Kirche fürs Kinderzimmer. Passend zum Piratenschiff, Ponyhof und Prinzessinnenschloss
des gleichen Herstellers. Jedes Kind erkennt, dass das eine Kirche ist. Es ist ja alles da:
Turm, bunte Fenster, Kerzen und Blumen, das Brautpaar und ein Pastor. Glocken und
Altar, Kirchturm und Buntglasfenster. Großartig finde ich: Zum Spielen wurden Wände und
ein Teil des Daches weggelassen. Diese Kirche ist offen, transparent. Niemand schottet
sich hinter dicken Mauern ab. Hier kann man direkt von der Straße aus hineingehen. Man
kann den Himmel sehen. So wünsche ich mir Kirche, mit freiem Blick. Aber man muss
aufpassen, dass sie sich nicht nach allen Seiten zu weit öffnet, denn dann ist sie irgendwann nicht mehr ganz dicht. Bei Kirche muss erkennbar sein, wofür sie steht.
Das aber fehlt dieser Kirche. Bei der Innenausstattung hat die Spielzeugfirma gespart. Jesus kommt in dieser Kirche nicht vor: Kein gekreuzigter, kein auferstandener Christus.
Wenn man nicht erinnert an den Kreuzestod, nicht Auferstehung feiert, dann ist Kirche
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nicht Kirche. Sie lebt nur da, wo Menschen diesen Grund feiern. Und Kirche braucht Gemeinde, Gemeinschaft. Wie Menschen Mitglied dieser Kirche werden, bleibt offen. Es gibt
kein Taufbecken. Das Abendmahl ist auch nicht vorgesehen, aber das lässt sich mit Kelchen und goldenen Tellern aus dem Ritter- und Burgensortiment ergänzen.
Als wir die Kirche aufbauten, dachte ich: Das wichtigste Kennzeichen von Kirche lässt sich
nicht in im Spielzeugkarton verkaufen. Das, was Kirche ausmacht und was wir zu Pfingsten feiern, ist der Geist. Der Geist Gottes, „der fährt, wohin er will und mag“, wie es im Lied
heißt (EG 184). Der Heilige Geist, der am ersten Pfingstfest zum ersten Mal spürbar war,
verbindet Menschen untereinander und mit Gott – und er macht frei. Wer genau hinschaut,
entdeckt in einem der bunten Fenster eine angedeutete Taube, das Symbol des Heiligen
Geistes. Wer Kinder im Spiel mit dieser Kirche sieht, der ahnt: Sie erleben Gemeinschaft,
sie spielen nach, was sie in ihren Kirchen erleben.
Mittwoch, 11. Mai 2016
Ich kann nicht mehr, sagt Mose zu Gott. Ich bin am Ende meiner Kräfte. Du über-forderst
mich mit der Verantwortung. Ich habe für die Sache gebrannt und für dich, meinen Gott.
Jetzt bin ich ausgebrannt, sagt Mose. Da bekommt er von Gott einen ganz konkreten Auftrag: Der Herr sprach zu Mose: Sammle mir 70 Männer unter den Ältesten Israels und
bringe sie vor die Stiftshütte und stelle sie dort vor dich, so will ich herniederkommen und
dort mit dir reden und von deinem Geist, der auf dir ist, nehmen und auf sie legen, damit
sie mit dir die Last des Volks tragen und du nicht allein tragen musst.
Göttliche Krisenintervention: Er verteilt die Last auf viele Schultern. Gott hilft Mose, sich
selbst zu helfen, und der Funke springt über: Mose ging heraus und sagte dem Volk die
Worte des Herrn und versammelte 70 Männer. Da kam der Herr hernieder in der Wolke
und redete mit ihm und nahm von dem Geist, der auf ihm war, und legte ihn auf die 70
Ältesten. Und als der Geist auf ihnen ruhte, gerieten sie in Verzückung wie Propheten und
hörten nicht auf.
Ein Rezept gegen Burnout, passend zu Pfingsten, dem Fest der Ausgießung des Heiligen
Geistes? Aber wieso werden die Männer mit prophetischem Geist ausgestattet, der sie in
Verzückung geraten lässt? Nicht mit gesundem Menschenverstand? Wäre der viel nötiger,
um das ganze Unternehmen zu organisieren? Wenig später sagt Mose seinem Nachfolger
Josua: Wollte Gott, dass alle im Volk des Herr Propheten wären und der Herr seinen Geist
über sie kommen ließe!
Gottes Geist für alle: Was Mose erhofft, scheint in der Apostelgeschichte (Apg. 2) erfüllt:
Pfingsten wird Gottes Geist spürbar. Nicht nur für Auserwählte, sondern für alle. Pfingsten
ist das Ende geistloser Zustände. Daran erinnert dieses Fest. Denn es braucht Geist, um
Menschen mitzureißen – und nicht, um nur den Laden am Laufen zu halten. Mose und
seine 70 Helfer zeigen: Menschen lassen sich begeistern! Mutig und voll Vertrauen setzen
sie ganz auf Gott. Auch wenn andere meckern und resignieren, erleben die Begeisterten:
Sie können andere stärken, trösten und ermutigen auf dem gemeinsamen Weg. Vor allem
aber merken sie und Mose auch: Stark ist, wer nicht alles alleine schaffen will. Stark ist,
wer etwas aus der Hand geben kann.
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Donnerstag, 12. Mai 2016
Sie sind auf der Suche nach ihrem Platz im Leben. Sie stehen zwischen Kindheit und Erwachsensein, zwischen Vergangenheit und Zukunft. Eine Zwischenzeit, eine Zwischenwelt. Zwischen den Stühlen. „In between“: Elf junge Schauspieler auf der Bühne, alle
weiß gekleidet. Elf weiße Plastikstühle, eine schwarze Wand, mehr braucht es nicht in
dem Stück In between. Eine Frau zeigt auf ihren leeren Stuhl. Sie fragt: „Ein Platz. Was ist
ein Platz?“ Es gibt so viele Plätze. Einer unterbricht: „Und was, wenn man keinen Platz
hat? Was ist, wenn etwas passiert, was wir nicht geplant haben?“ Die elf Suchenden stellen weitere Fragen: „Ist Mittelmaß immer in der Mitte von etwas? Bin ich nur eine von vielen? Oder keiner von allen?“ Sie suchen Antworten auf die unstillbare Sehnsucht nach
Sinn, nach Trost. „Wann ist man eigentlich erwachsen?“, fragen sie. „Wenn man Auto fahren kann? Wenn man eine Familie gründet? Was, wenn ich das gar nicht will?“
Menschen im Zwischenraum: Kurz vor seinem Tod sagt Jesus zu den Jüngern: Jetzt gehe
ich hin zu dem, der mich gesandt hat; und niemand von euch fragt mich: Wo gehst du hin?
Doch weil ich das zu euch geredet habe, ist euer Herz voll Trauer. Aber ich sage euch die
Wahrheit: Es ist gut für euch, dass ich weggehe. Denn wenn ich nicht weggehe, kommt
der Tröster nicht zu euch. Da stehen die Jünger in ihrer Zwischenzeit – zwischen Vergangenheit und Zukunft. Alles ist offen. Sie fragen nicht, wohin Jesus geht. So trostlos ist das
alles. Da geht der, der ihr ganzes bisheriges Leben ausmacht. Da soll ein anderer kommen, dem die Zukunft gehört. Dabei können sie es sich eigentlich gar nicht vorstellen. Jesus spürt das. Wenn ich aber gehe, will ich ihn zu euch senden, sagt er über den, der
kommt, über den Tröster, den Heiligen Geist. Ich kann nicht für immer bei euch sein, erklärt er. Ihr müsst euren Weg alleine gehen. Ihr könnt nur selbst euren Platz finden, ihr
müsst erwachsen werden, müsst herausfinden, wie es weitergeht. Aber dass es weitergeht, das verspreche ich euch. Und auch das: Dass es nicht allein weitergeht, dass ihr
nicht allein weitergeht. Dass es nicht trostlos weiter geht, denn den Heiligen Geist, den
Tröster, den sende ich euch. In dem erkennt ihr, was wichtig und entscheidend ist. In dem
findet ihr Antworten auf die Sehnsucht und die Fragen, die euch umtreiben. Lasst andere
sich im Hier und Jetzt verlieren – im Zwischenraum –, aber ihr sollt wissen: Es gibt eine
Zukunft. Ich habe mehr mit euch vor.
Freitag, 13. Mai 2016
Im Lübecker Dom gibt es wunderbare Orte und Momente, um über Zukunft nachzudenken. Beim Abendmahl etwa in dem großen, hellen Kirchenraum, wenn alle sich in der Mitte
um Brot und Wein sammeln. Wie wird es sein, wenn alle Tränen abgewischt sind, wenn es
keinen Tod und kein Leid mehr gibt?
Dagegen stehen die Gedanken des italienischen Philosophen Remo Bodei. Es beschäftigt
mich seit einer Weile, was er schreibt: „Das Vermögen, eine kollektive Zukunft zu denken,
nimmt in drastischer Weise ab.“ Über Jahrhunderte hat die Vorstellung vom besseren Leben, der besseren Welt, dem Jenseits Gesellschaften zusammengehalten, so der Philosoph. Doch der Gedanke einer Zukunft, die allen Menschen bevorsteht, schwindet. „Die
Idee einer einzigen, zielgerichteten Geschichte ist gefallen“, schreibt der Italiener. Die Folge, so Bodei: Wir nehmen die Zukunft radikal anders wahr. Wir leben ganz im Hier und
Jetzt. Wir können uns kaum vorstellen, dass unser Leben an diesem Ort und in dieser Zeit
nur ein vorbereitendes Moment ist auf das andere, das eigentliche Leben. Wir genießen
jetzt Liebe, Freundschaft, Lust und Wohlergehen, und zwar unmittelbar. Wir nehmen sie
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als unwiederholbare Geschenke im Moment des Seins. Dies führe, sagt Bodei, zu einer
Verödung der Zukunft. Jeder lebe sein eigenes Leben und suche sein eigenes Glück, jeder fabriziere seine passgenau hausgemachte Utopie und erfinde seine private Zukunftshoffnung. Doch, wenn man nichts mehr gemeinsam erwartet, wird die Gegenwart leer und
verflacht. Ich glaube: Gerade weil spüren, dass da etwas fehlt, weil wir ahnen, dass das
doch nicht alles sein kann, brauchen wir die pfingstlichen Worte der Bibel. Wir brauchen
Jesu Vision einer Zukunft, in der ein Trost für alle liegt: Ich sage euch die Wahrheit: Es ist
gut für euch, dass ich weggehe. Denn wenn ich nicht weggehe, kommt der Tröster nicht
zu euch. Wenn aber der Geist der Wahrheit, kommen wird, wird er euch in alle Wahrheit
leiten (Joh. 16,13). Der Geist ist kein oberflächlicher Zeitgeist, sondern spricht im Namen
dessen, von dem er ausgeht: Er wird nicht aus sich selber reden; sondern was er hören
wird, das wird er reden, und was zukünftig ist, wird er euch verkündigen (ebd). Alles ist
offen. Alles ist möglich. Es braucht Mut, auf Gott zu vertrauen, mehr als auf sich selbst.
Aber nur so ist der pfingstliche Trost zu haben: Mutig sein. Aufbrechen. Gottes Geist der
Wahrheit wird „in alle Wahrheit leiten“.
Samstag, 14. Mai 2016
„Ich kann mit dem Geist nichts anfangen“, sagt eine Frau zu mir. „Jesus kann ich mir als
Vorbild nehmen. Ich kann mir auch vorstellen, dass Gott irgendwie die Welt geschaffen
hat. Aber mit dem Heiligen Geist, damit komme ich nicht klar. Was hat der mit meinem
Leben zu tun?“
Wovon leben wir? Was brauchen wir? Manche Menschen spüren, dass ihnen etwas fehlt.
Was ist der tiefere Sinn hinter all der Arbeit? Erleben wir in der knappen Zeit das, was
wirklich wichtig ist?
Den Theologen und Seelsorger Eduard Thurneysen trieben diese Fragen ebenfalls um.
Als junger Mann litt er darunter, dass er Gott nicht erfahren hatte. Er hätte so gern Klarheit
gehabt – wie jeder Mensch wohl. Er wandte sich an seinen Lehrer Christoph Blumhardt.
Dessen Antwort verblüfft. „Sei froh!“ sagte Blumhardt. „Sei froh, dass du den lieben Gott
überhaupt noch nicht richtig erfahren hast, sonst könntest du wahrscheinlich so wenig weiterstudieren, wie Amos hinter dem Pflug bleiben konnte.“ Wenn Gott einen Menschen ruft,
krempelt dies das Leben des Gerufenen radikal um. Dafür gibt es viele Beispiele in der
Bibel. Aber mit dem jungen Thurneysen frage ich trotzdem: Ist das alles? Muss ich ohne
Gotteserfahrung die Leere in meinem Leben füllen?
Blumhardts Antwort darauf ist eine Frage: Was gibt es Schönes in deinem Leben, wofür
kannst du dich begeistern? Natürlich hat der Student Thurneysen darauf Antworten. Was
ihn richtig glücklich macht und erfüllt? Schillers Dramen. Musik. Die Natur. Darauf antwortet sein schwäbischer Lehrer: „Dann isch des dei Gott!“
Blumhardt sagt nicht: Die Natur ist Gott, oder die Musik oder die schöne Sprache. Aber er
deutet an: Damit beginnt es. Sich zu begeistern. Leidenschaftlich zu leben. Mit dem Gefühl, ganz und gar in etwas aufzugehen. Darin ist Gott schon näher, als wir manchmal ahnen. Da können wir auf die Suche gehen und die Geistes-Gegenwart erspüren. Manchmal
liegen in den Fragen die Antworten schon verborgen – und der Geist vielleicht auch.
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