ARBEITSZEITERFASSUNG Der Arbeitgeber ist bis auf wenige Ausnahmen (bspw. Top Kader) verpflichtet, die Dauer und die Lage der Arbeitszeit sämtlicher Mitarbeitenden zu erfassen. Aufgrund einer Weisung des Staatssekretariates für Wirtschaft (Seco) gelten ab dem 1. Januar 2014 erleichterte Anforderungen an die Arbeitszeiterfassung für Arbeitnehmende, die eine besondere Verantwortung wahrnehmen und die in der Bewältigung ihrer Arbeit einen grossen Ermessensspielraum haben. Der KV Schweiz begrüsst die Praxisänderung des Seco. Bei der Erfassung der Arbeitszeit soll auf flexible Arbeitsformen Rücksicht genommen werden können, sie bleibt jedoch ein unverzichtbares Element des Gesundheitsschutzes. Die Arbeitszeiterfassung ist heute für Arbeitnehmende ohne grossen Aufwand möglich, es gibt eine Vielzahl an technischen Möglichkeiten. Unentbehrlich ist die Verantwortung der Führungskräfte bei der Kontrolle der Arbeitszeit und deren Erfassung. 1. Weshalb die Arbeitszeit erfassen? Gemäss einer Gesundheitsbefragung des Bundesamtes für Statistik für das Jahr 2012 erlebt beinahe jeder fünfte Erwerbstätige meistens oder immer Stress bei der Arbeit1. Stress kann zu physischen und psychischen Gesundheitsproblemen führen. Gemäss einer Stress-Studie des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco)2 begünstigen unter anderem die folgenden zwei Faktoren das Stressempfinden: Arbeit in der Freizeit sowie überlange Arbeitstage. Dem Faktor Zeit, respektive der Abgrenzung zwischen Arbeits-, Ruhe- und Freizeit kommt bei der Stressbewältigung und somit beim Gesundheitsschutz eine entscheidende Rolle zu. Die bundesgesetzlichen Vorgaben (Arbeitsgesetz und dazugehörige Umsetzungsverordnungen)3 legen die verbindlichen Anforderungen an die Arbeits- und Ruhezeiten fest. Darunter fallen u. a. Bestimmungen über die wöchentliche Höchstarbeitszeit, Pausen, tägliche Ruhezeiten sowie über das Nacht- und Sonntagsarbeitsverbot. 1 Schweizerische Gesundheitsbefragung 2012, Bundesamt für Statistik, 2014, Neuenburg. Stressstudie 2010 – Stress bei Schweizer Erwerbstätigen, Staatssekretariat für Wirtschaft / Fachhochschule Nordwestschweiz, 2011, Bern. 3 Bundesgesetz über die Arbeit in Industrie, Gewerbe und Handel (Arbeitsgesetz, ArG; SR 822.11) 2 1 Mit der Arbeitszeiterfassung verfügt der Arbeitgeber über ein Instrumentarium, um die Einhaltung der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit zu überprüfen sowie um die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben zur Arbeits- und Ruhezeit zu kontrollieren. Dem Arbeitnehmenden wird mit einer lückenlosen Arbeitszeiterfassung die Möglichkeit gegeben, gegenüber dem Arbeitgeber potentiell gesundheitsschädigende und gesetzeswidrige Arbeitsbelastungen aufzuzeigen. Aufgrund zahlreicher technischer Hilfsmittel (Excel-Tabellen, Smartphone Apps, Arbeitszeiterfassung bei PC-Login/Logout, etc.) ist die Arbeitserfassung durch den Arbeitnehmenden und deren Auswertung durch den Arbeitgeber keine Hexerei mehr und relativ einfach handhabbar. Dies gilt insbesondere auch für flexiblere Arbeitsformen wie bspw. Home Office. Unentbehrlich ist jedoch, dass die Führungskräfte ihre Verantwortung wahrnehmen, sprich die Plausibilität der erfassten Arbeitszeiten überprüfen und sicherstellen, dass die arbeitsrechtlichen Anforderungen an die Arbeitszeit eingehalten werden. Dies bedingt eine entsprechende Schulung der Führungskräfte wie auch der Mitarbeitenden durch die Unternehmen. 2. Gesetzliche Verpflichtung – Grundsatz und Ausnahmen Das Arbeitsgesetz und die diesbezüglichen Ausführungsverordnungen verpflichten den Arbeitgeber zu einer lückenlosen Arbeitszeiterfassung für sämtliche Mitarbeitenden, die dem Arbeitsgesetz unterstellt sind. Die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung umfasst dabei sowohl die: geleistete (tägliche und wöchentliche) Arbeitszeit inkl. Ausgleichs- und Überzeit; Lage der Arbeitszeit (Beginn und Ende der Arbeits- und Ruhezeiten; Zeit und Datum). Nicht dem Arbeitsgesetz und damit der Pflicht zur detaillierten Arbeitszeiterfassung unterstellt, sind im Bereich der kaufmännischen Berufe: Mitarbeitende, die eine höhere leitende Tätigkeit4 ausüben; Aussendienstmitarbeitende (bzw. Handelsreisende). Für alle übrigen Mitarbeitenden gilt die Pflicht zur detaillierten Arbeitszeiterfassung. 4 In Art. 9 ArGV 1 wird der Begriff «höhere leitende Tätigkeit» dahingehend konkretisiert, dass eine solche nur inne hat, wer «aufgrund seiner Stellung und Verantwortung sowie in Abhängigkeit von der Grösse des Betriebes über weitreichende Entscheidungsbefugnisse verfügt oder Entscheide von grosser Tragweite massgeblich beeinflussen und dadurch auf die Struktur, den Geschäftsgang und die Entwicklung eines Betriebes oder Betriebsteils einen nachhaltigen Einfluss nehmen kann». 2 3. NEU: Teilweise Vereinfachung der Arbeitszeiterfassung; Weisung des Seco vom 19. Dezember 2013 In seiner Weisung vom 19. Dezember 2013 legt das Seco fest, dass für einen Teil der Arbeitnehmenden, die bislang zu einer lückenlosen Arbeitszeiterfassung gemäss Abschnitt 2 oben verpflichtet waren, unter bestimmten Voraussetzungen eine vereinfachte Arbeitszeiterfassung ausreichend ist, um den gesetzlichen Vorgaben an den Gesundheitsschutz zu entsprechen. Vereinfachte Arbeitszeiterfassung bedeutet, dass nur noch die Anzahl der geleisteten Arbeitsstunden pro Tag und Woche, nicht jedoch deren Lage (sprich Beginn und Ende der Arbeits- resp. Ruhezeit) dokumentiert werden muss. Es gibt keine Vorschrift, in welcher Form diese Aufzeichnung zu erfolgen hat (sie kann bspw. auch mittels einer Excel-Tabelle erfolgen). Die Angaben müssen der Realität entsprechen und täglich aufgezeichnet werden. a. Wer profitiert von der vereinfachte Arbeitszeiterfassung? Von einer vereinfachten Arbeitszeiterfassung profitieren Arbeitnehmende, wenn: sie ein Pflichtenheft haben, das ihnen einen grossen Ermessungsspielraum bei der Bewältigung der Aufgaben lässt (d. h. die Arbeitnehmenden können die Arbeit selber planen und organisieren, sie verfügen über einen grossen inhaltlichen Handlungsspielraum) und sie weitgehend selber bestimmen können, wann sie arbeiten (Hoheit über die zeitliche Gestaltung) und sie: - Kaderpersonen mit Weisungsrecht (d.h. mit Führungsaufgaben gegenüber unterstellten Mitarbeitenden) sind; - vollamtliche Projektleiter/innen sind (die im Rahmen des Arbeitsverhältnisses ausschliesslich Projekte leiten, d.h. Meilensteine festlegen, Arbeiten organisieren, Projektmitarbeitenden Aufträge erteilen und in der Organisation und Abwicklung grossen Handlungsspielraum geniessen); oder - andere Mandatsträger mit Ergebnisverantwortung sind (d.h. die im Rahmen ihres Arbeitsverhältnisses bestimmte Aufträge zu erledigen haben und in der Organisation und Abwicklung keiner Weisungspflicht unterliegen und grossen Handlungsspielraum geniessen) und sie nicht regelmässig Nacht- oder Sonntagsarbeit leisten (regelmässig heisst: 25 und mehr Nächte pro Kalenderjahr, mehr als 6 Sonntage im Jahr). 3 b. Welche Vorgaben sind bei einer vereinfachten Arbeitszeiterfassung einzuhalten? Der Verzicht auf die vollständige Arbeitszeiterfassung muss zwischen dem Arbeitgeber und dem betroffenen Arbeitnehmenden vereinbart werden. Dabei sind die folgenden Punkte zu beachten: Es braucht eine schriftliche, d.h. den Mitarbeitenden unterzeichnete Vereinbarung, in welcher sie auf die detaillierte Arbeitszeiterfassung verzichtet; In dieser Vereinbarung muss erwähnt sein, wie die gesetzlichen Ruhezeiten und Pausen einzuhalten sind; In der Vereinbarung muss auch festgehalten sein, dass Nacht- und Sonntagsarbeit verboten sind (es sei denn, es liegt eine behördliche Bewilligung vor oder der Betrieb ist gemäss Art. 27 ArG bzw. ArGV 2 bewilligungsbefreit); Es müssen Endjahresgespräche durchgeführt und vom Arbeitgeber dokumentiert werden, in welchen das Thema der zeitlichen Arbeitsbelastung besprochen wird. Die Dokumentation über die Endjahresgespräche muss den Arbeitsinspektoren vorgelegt werden können. Haltung des KV Schweiz Die Arbeitszeiterfassung ist ein wichtiges Element des Arbeitnehmerschutzes. Die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung muss für einen überwiegenden Teil der dem Arbeitsgesetz unterstellten Arbeitnehmenden weiterhin gelten. Es gibt heute eine Vielzahl an technischen Hilfsmitteln für eine unkomplizierte und schnelle Erfassung der Arbeitszeit. Diese ermöglichen die Arbeitszeiterfassung auch bei flexiblen Arbeitsformen (bspw. Home Office). Eine lückenlose Dokumentierung der Arbeitszeit (insbesondere deren Lage) ist aufgrund neuer, flexibler Arbeitsweisen nicht mehr in jedem Fall sinnvoll. Die Erfassung der Arbeitszeit und deren Einhaltung ist eine wichtige Führungsaufgabe und bedarf einer entsprechenden Schulung. Die vorgelegte Weisung des Seco vom 19. Dezember 2013 stellt einen pragmatischen Weg dar, um einerseits den geänderten Bedürfnissen auf Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite nach einer Flexibilisierung der Arbeitszeiterfassung zumindest teilweise zu entsprechen und andererseits, um den wichtigen Anforderungen an den Gesundheitsschutz gerecht zu werden. Aus Sicht des KV Schweiz ist es vordringlich, dass die Weisung des Seco schnellstmöglich auf Verordnungsstufe umgesetzt wird. Bei dieser Gelegenheit ist zu überprüfen, ob die Möglichkeit besteht, zusätzlich zum Top Management weitere Mitarbeitende oberhalb einer bestimmten Lohngrenze von der Arbeitszeiterfassung zu befreien. 19. März 2014/mke 4
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