Dr. Matthias Leist Verwertungsverbote bei rechtswidriger Sachverhaltsermittlung Mitunter erlangt ein Außenprüfer seine Kenntnisse auf rechtswidrige Art und Weise. Dies ist immer dann der Fall, wenn seine Ermittlungsmaßnahmen gegen ein Gesetz verstoßen. Rechtsbrecherische Absicht muss dabei nicht vorliegen, z.B. mag es in der Hektik des Prüfungsgeschäfts durchaus vorkommen, daß der Außenprüfer vergisst, Angehörige, die er befragt, über ihr Auskunftsverweigerungsrecht zu belehren (§ 101 Abs. 1 S. 2 AO). In diesen Fällen stellt sich die Frage, ob die Kenntnisse, die durch rechtswidrige Sachverhaltsermittlung erlangt wurden, verwertet werden dürfen. Die Rechtswidrigkeit kann aber auch durch eine fehlerhafte Prüfungsanordnung gegeben sein. Hier stellt sich ebenfalls die Frage nach einem Verwertungsverbot der bei der Außenprüfung gewonnenen Erkenntnisse. Bei der Beantwortung dieser Frage stehen zwei vertretbare Ansichten gegeneinander: Zum einen läßt sich die Ansicht vertreten, jeder Rechtsfehler, den der Prüfer bei der Sachverhaltsermittlung begeht, führe zu einem Verwertungsverbot, da der Bürger nur rechtmäßige Eingriffe in seine Privatsphäre dulden müsse. Die Gegenmeinung, die ein Verwertungsverbot generell ablehnt, stellt dagegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung in den Vordergrund, der es verbiete, trotz rechtswidriger Sachverhaltsermittlung von der gesetzesgemäßen Besteuerung abzusehen. Da es keine speziell steuerrechtliche Norm zur Frage des Verwertungsverbotes gibt, kann eine Lösung wie folgt aussehen: Eine Sachaufklärung um jeden Preis ist nicht zulässig. Schwierig ist es jedoch, die Grenze festzustellen, bei deren Überschreitung ein Verwertungsverbot eintritt. Verletzungen von Form- und Verfahrensfehlern, führen im Regelfall nicht zu einem Verwertungsverbot. Beispiele: Der Prüfer vergisst, sich zu Prüfungsbeginn auszuweisen (§ 198 AO), die Schlussbesprechung wird nicht abgehalten (§ 201 Abs. 1 AO), der Prüfungsbericht wird dem Steuerpflichtigen nicht zugesendet (§ 202 Abs. 1 AO) oder die Verwaltung kommt ihren Belehrungspflichten nicht nach. Für Tatsachen, die unter Verletzung dieser Verfahrensvorschriften ermittelt werden, besteht kein Ver1 wertungsverbot . Schwerwiegende Verstöße gegen materielles Recht können dagegen zu einem Verwertungsverbot führen. Die gängigen Lehrbuchbeispiele, wie das Verbot der Anwendung von Lügendetektoren oder das Verbot heimlicher Tonbandaufnahmen, dürften im Rahmen der Außenprüfung kaum Relevanz haben. Im Einzelfall wird eine Abwägung der Interessenlagen unter Heranziehung des Zweckes einer Außenprüfung geboten sein. Grundsätzlich führen jedenfalls die Verletzung von Grundrechten oder die Anwendung strafbarer Handlungen zu einem Verwertungsverbot. Im Rahmen der Außenprüfung ist dies beispielsweise zu bejahen, wenn Auskunftsverweigerungsrechte, die als Ausfluss von Grundrechten anzusehen sind, missachtet werden. Denn damit wird zugleich die Freiheit der Willensentschließung des um Auskunft Gebetenen unterlaufen. Von besonderer praktischer Bedeutung sind die Folgen, wenn eine Prüfungsanordnung entweder nach Durchführung der Außenprüfung durch ein Gericht als rechtswidrig aufgehoben wird oder wenn der Prüfer auch Vorgänge ermittelt, die außerhalb des durch die Prüfungsanordnung festgelegten Umfanges liegen. Die zu dieser Problematik ergangene Rechtsprechung ist kaum zu überblicken. Gleichwohl ist zumindest eine Abstufung in Abhängigkeit des Verfahrensstandes zu erkennen: Betrifft der Fehler einen Sachverhalt, für den ein Steuerbescheid noch nicht ergangen ist, kann sich das Finanzamt auf die allgemeinen Ermittlungsgrundsätze der §§ 88 ff. AO berufen. Vor Erlaß eines Erstbescheids hindert eine fehlerhafte Prüfungsanordnung oder Prüfermaßnahme die Verwertung der 2 durch den Prüfer gefundenen Tatsachen daher nicht . Ist der Erstbescheid bereits ergangen, ist weiter zu unterscheiden, ob der Steuerbescheid unter dem Vorbehalt der Nachprüfung steht oder nicht, § 164 Abs. 1 AO. Ist die Nebenbestimmung beigefügt, wird ein Verwertungsverbot für Verfah3 rensfehler verneint . Steht der Bescheid nicht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung, ist weiter zu 1 2 3 BFH, BStBl II 2002, 328. BFH, BStBl II 1991, 825. BFH, BStBl II 1998, 461. Dr. Matthias Leist unterscheiden, ob der Steuerpflichtige gegen die Prüfungsanordnung Einspruch eingelegt hat. Nur bei erfolgreichem Einspruch dürfen die Prüferfeststellungen nicht verwertet werden. Dieses Etappenziel hilft dem Steuerpflichtigen aber nur wenig. Denn das Finanzamt ist trotz Verwertungsverbot nicht gehindert, eine bereits abgeschlossene Prüfung aufgrund einer fehlerfreien erneuten Prüfungsanord4 nung zu wiederholen . Allenfalls kann dem Steuerpflichtigen der Verjährungseintritt oder eine Änderungssperre (§ 173 Abs. 2 AO) dienlich sein. Berücksichtigt das Finanzamt die Prüferfeststellungen trotz Verwertungsverbot im Steuerbescheid, muß auch dieser Bescheid angefochten werden. Ist die Prüfungsanordnung nicht angefochten worden, kann eine fehlerhafte Prüfungsanordnung die Verwertung in dem Steuerbescheid nicht verhindern. 4 BFH, BStBl II 1986, 435.
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