Manuskript

SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE
SWR2 Aula
Afrikawissenschaften
Der Studienkompass (4/11)
Von Andreas Eckert
Sendung: Sonntag, 8. Mai 2016, 8.30 Uhr
Redaktion: Ralf Caspary
Produktion: SWR 2016
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Ansage:
Mit dem Thema: "Der Studienkompass 4: Afrikawissenschaft oder Area Studies".
Wir bringen in der SWR2 Aula eine Reihe, gedacht für Schülerinnen und Schüler, die
das Abitur hinter sich haben und die sich nun fragen: Was kommt jetzt? Was soll ich,
wenn es auf die Universität geht studieren?
Wir wollen bei der Beantwortung dieser Frage helfen. Elf AULA-Autorinnen und
-Autoren geben jeweils Auskunft über ihr Fach, zeigen, was man mitbringen muss,
um es zu studieren, was man mit dem Bachelor oder Master anfangen kann, wie das
Studium genau aufgebaut ist. Es geht um Grundlagenfächer, um Chemie,
Mathematik, Germanistik oder Physik.
Alle Vorträge sind seit Ende April auch online erhältlich. Infos dazu finden Sie der
Internetseite www.swr2.de/studienkompass.
Heute also geht es um Afrikawissenschaft, Autor ist Professor Andreas Eckert von
der Humboldt-Universität zu Berlin.
Andreas Eckert:
Ein Studium mit dem Schwerpunkt Afrika? Und dann in Afrika studieren? Ist das nicht
eine absurde Idee? Das war jedenfalls die Reaktion vieler Freunde und Verwandter,
als ich vor ziemlich genau dreißig Jahren beschloss, nach zwei Semestern
Geschichtsstudium in Hamburg mein Studium für ein Jahr an der Universität
Yaoundé im westafrikanischen Kamerun fortzusetzen und mich fortan auf den
sogenannten "schwarzen Kontinent" zu konzentrieren. Afrika, in den Augen vieler,
damals wie vielleicht auch noch heute, war ein Kontinent der Krisen, Kriege und
Krankheiten, bestenfalls ein Ort für Menschen mit Helfersyndrom oder für
Waffenhändler, aber weder geeignet als Sprungbrett für eine universitäre Karriere
noch für Berufe jenseits der akademischen Mauern.
Ich hatte mich, offen gesagt, relativ spontan dafür entschieden, mich stärker mit
Afrika auseinanderzusetzen und dort ein Teil meines Studiums zu verbringen. In
meiner Schulzeit war mir der Kontinent völlig fern und als ich mein Magisterstudium
der Geschichte anfing, blieb Afrika zunächst außerhalb meiner Interessen. In meinem
zweiten Semester allerdings besuchte ich eine Vorlesung zur Geschichte Südafrikas.
Südafrika war in den 80er-Jahren durchaus von Interesse, denn der Kampf der
schwarzen Bevölkerung gegen die Apartheid war etwas, mit dem sich viele, auch in
Deutschland, solidarisiert haben. Ich dachte mir, in der Vorlesung erfahre ich
vielleicht mehr über die politischen historischen Hintergründe dieses Widerstands.
Der Dozent machte gleich in der ersten Sitzung engagiert Werbung für ein
Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes für ein Studium in
Kamerun – und irgendwie hat es Klick gemacht, ich dachte, das ist doch mal eine
originelle Perspektive. Ich las mich über die Geschichte Afrikas und speziell
Kameruns ein, machte die notwendigen Sprachtests in Englisch und Französisch –
Kamerun ist aufgrund seiner speziellen kolonialen Vergangenheit zweisprachig –,
bewarb mich und bekam zu meiner Überraschung (wohl auch angesichts nicht allzu
großer Konkurrenz) das Stipendium. Einige Monate später saß ich sehr aufgeregt im
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Flugzeug nach Yaoundé, erlebte ein sehr aufregendes und sehr anstrengendes,
manchmal auch frustrierendes Studienjahr, und beschloss, Afrika zum Schwerpunkt
meines Studiums zu machen. Und zu meinem Beruf. Dass ich Professor für die
Geschichte Afrikas geworden bin – eine von nur sieben oder acht Professuren für
dieses Fach im deutschsprachigen Raum –, hatte viel mit Glück und Zufall zu tun.
Lange Zeit hatte ich eher eine journalistische Karriere im Auge, hätte mir aber auch
eine Tätigkeit im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit oder bei einer politischen
Stiftung vorstellen können.
Ich lehre jetzt zwar an einem Seminar für Afrikawissenschaften, habe aber nie das
Fach Afrikawissenschaften studiert, sondern im Hauptfach Geschichte, in den
Nebenfächern Romanistik und Journalistik. Und hatte an der Universität Hamburg
das Glück, vor allem in meinem Hauptfach Geschichte Lehrveranstaltungen mit
einem Fokus auf Afrika belegen zu können. Das ist die erste wichtige Information: Es
gibt eine Reihe von Studienfächern und Studiengängen, auf denen zwar nicht
unbedingt Afrika draufsteht, wo aber viel Afrika drin ist. Dies gilt in besonderem Maße
für das Fach Ethnologie, das an vielen Universitäten in Deutschland einen regionalen
Schwerpunkt auf Afrika anbietet, etwa in Bayreuth, Mainz, Frankfurt am Main, Köln
oder der Freien Universität Berlin. Die Ethnologie wird oft als "Wissenschaft von den
Anderen" bezeichnet. Sie befasst sich mit der Vielfalt menschlicher Lebensweisen
und beschreibt ihre Ähnlichkeiten und Unterschiede. Die Ethnologie begreift die von
ihr untersuchten Gesellschaften, sozialen Gruppen und Alltagswelten aber nicht als
isolierte oder gar exotische Phänomene. Sie stellt die Gesellschaften in den
Zusammenhang politischer, wirtschaftlicher und kultureller Strukturen und
Netzwerke, die auch durch globale Prozesse geprägt werden.
Die Ethnologie, auch jene mit Schwerpunkt Afrika, untersucht keineswegs nur
ländliche, schriftlose oder nicht-industrielle Gesellschaften, sondern afrikanische
Geschäftsleute, Arbeitsmigranten und global vernetzte städtische Eliten.
Dies sind Gruppen, die auch zunehmend wichtige Untersuchungsgegenstände der
Afrikawissenschaften darstellen. Die Afrikawissenschaften sind ein relativ kleines
Fach, das im Gegensatz zur Ethnologie nur an einigen deutschsprachigen
Universitäten studiert werden kann. Manchmal heißt das Fach auch Afrikanistik oder
Afrika-Studien oder es gibt auch kombinierte Studiengänge, etwa afrikanische
Sprachen, Kulturen und Archäologie. Die Bezeichnung Afrikanistik steht für den
älteren Ansatz, sehr stark mit philologischen, sprachwissenschaftlichen Methoden
und Perspektiven auf Afrika zu schauen. Afrikawissenschaften oder auch AfrikaStudien sind breiter und interdisziplinärer angelegt. Sie schließen neben sprachlichen
auch historische, soziale, kulturelle, wirtschaftliche und politische Dynamiken Afrikas
ein. Und sie analysieren diese Dynamiken nicht isoliert, sondern immer auch in ihren
regionalen und globalen Verflechtungen.
Afrikaner leben überall auf der Welt, nicht nur in Afrika, und die Tatsache, dass es
afrikanische Migranten gibt, dass es ein sehr intensives Hin und Her zwischen Afrika
und anderen Orten der Welt gibt – von Menschen, von Handelsgütern, das ist etwas,
was die Afrikawissenschaften verstärkt mit einbeziehen. Die Afrikawissenschaften
versucht, sehr dezidiert gegen verbreitete Stereotypen und Vorurteile anzugehen. Es
ist ein Fach, das versucht, Differenz und Anderssein nicht zu exotisieren oder zu
verdammen, sondern ernst zu nehmen und zu analysieren. Das geschieht zu einem
Zeitpunkt, zu dem die wachsende Welt jenseits des Nordatlantiks immer deutlicher
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wird, indem die Welt zunehmend verflochten ist (Globalisierung) und wo Konflikte
auch immer vor einer globalen Ebene ablaufen. Die sogenannte
"Flüchtlingsproblematik" ist ein gutes Beispiel dafür, dass man viele Räume in den
Blick nehmen muss.
Natürlich denkt man im Zusammenhang mit globalen Akteuren an China, an den
Nahen Osten – aber gerade Afrika ist in den letzten Jahren zunehmend von einem
Kontinent des Hungers und der Armut zu einem Kontinent geworden, der auch
politisch und nicht zuletzt ökonomisch von immer größeren Interesse wird.
Die Afrikawissenschaften gehören zu einer Fächergruppe, die man
"Regionalwissenschaften" oder auch "Area Studies" nennt, Fächer, die sich auf einen
Großraum oder Kontinent, aber auch auf einen größeren Sprach- oder Kulturraum
beziehen. Das sind also Fächer wie Sinologie (beschäftigt sich mit China),
Japanologie, Islamwissenschaften, Südasienwissenschaften,
Südostasienwissenschaften, aber auch Osteuropastudien. Zunehmend nehmen die
Area Studies auch andere Fächer in den Blick bzw. viele finden es attraktiv, sich
selbst als Area Studies zu bezeichnen: Großbritannien-Studien oder selbst die
Landesgeschichte versuchen verstärkt, unter der Fahne der Area Studies zu segeln.
Historisch sind die Area Studies Kinder des Kalten Krieges, selbst wenn es Vorläufer
gab. Im Kalten Krieg schien es immer wichtiger zu sein, auch etwas von den anderen
zu wissen. Gerade in den USA, wo die Area Studies zum ersten Mal institutionalisiert
worden sind seit den späten 40er-Jahren, stand sehr stark das Interesse dahinter,
potentielle Verbündete in der damals genannten Dritten Welt auch gegen die
Sowjetunion und gegen die kommunistische Hegemonie – aus Sicht der USA
jedenfalls – für sich zu vereinnahmen, aber natürlich auch besser verstehen zu
können, wie diese Gesellschaften vermeintlich ticken, mehr über sie zu erfahren und
entsprechend die Politik auszurichten.
Area Studies oder Regionalwissenschaft ist keine besonders trennscharfe
Bezeichnung. Es lassen sich grob drei Richtungen unterscheiden, die ich kurz
skizzieren möchte:
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Eine erste, in vielen Hinsichten die gleichsam klassische, Ausrichtung ist jene,
die aus philologischen Ansätzen hervorgegangen ist und die sich weitgehend
vorwiegend mit Sprache, dazu mit Literatur und partiell auch mit der
Geschichte der jeweiligen Regionen befasst. Ihr Methodenarsenal stammt aus
den genannten Fächern, also vor allem philologischen Fachern, ein wenig
auch der Geschichte, es gibt aber die Tendenz, eine positiv konnotierte
"Andersartigkeit", ja Einzigartigkeit des zu traktierenden "Kulturraumes" zu
behaupten. Diese Ausrichtung findet sich besonders stark von der BolognaReform marginalisiert und ist mit Stellenabbau konfrontiert. Das heißt, es gab
früher eine ganze Reihe kleiner Fächer, Sanskrit-Studien etwa, die in der
neuen Form Bachelor-Studien nicht mehr unterkommen können, die oft auch
nur sehr wenig Studierende hatten und deswegen entweder in größeren
allgemeineren Studiengängen aufgegangen sind oder die Stellen wurden nach
der Pensionierung des Lehrstuhl-Inhabers abgeschafft.
-
Eine zweite Richtung ist als stärker sozialwissenschaftlich zu charakterisieren
und analysiert auf der Grundlage einer weitgehend funktionalistisch geprägten
Methode nahezu ausschließlich gegenwartsbezogen gesellschaftliche und
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politische Wirkungszusammenhänge. Diese Richtung ist am deutlichsten das
Kind der Kalte Kriegs-Gründungen im Bereich der area studies, stark von
politischen Vorgaben und unter gewichtiger Beteiligung der Politikwissenschaft
und der internationalen Beziehungen geprägt. Zwischen der ersten und der
zweiten Richtung bestehen Gräben, die zuweilen innig gepflegt werden. Mit
diesen Gräben werden manchmal auch Studierende konfrontiert. Das hat viel
mit dem Druck auf Ressourcen zu tun. Heutzutage ist die Zahl der
Studierenden für ein Fach immer auch ein wichtiger Indikator, ob ein Fach
erfolgreich ist oder nicht und ob es entsprechend finanziert wird oder nicht.
Während die eher philologisch geprägte Richtung an die
sozialwissenschaftliche Richtung den Vorwurf erhebt, "alles über einen Kamm
zu scheren", lokale Sprachen zu ignorieren und zur Hilfswissenschaft
westlicher Politiker und Geschäftsleute degeneriert zu sein, wird von
sozialwissenschaftlicher Seite an die Adresse der philologisch orientierten
Vertreter der Vorwurf gerichtet, ihre über die rein philologische Textpflege
hinausgehenden Aussagen seien irrelevant für die Erfassung gegenwärtiger
Zusammenhänge; letztlich sei ihr Feld ein Rückzugsgebiet für Feingeister, das
sich eine Universität heute nicht mehr leisten kann. Nach den Anschlägen vom
11. September ist diese Debatte z. B. aufgekommen im Bereich
Islamwissenschaften, wo auf einmal ein großer Bedarf bestand, den Islam zu
verstehen und dann viele feststellten, dass eigentlich die meisten Vertreter
des Faches eher philologisch orientiert sind und wenig zu sagen hatten zu
aktuellen Problemen.
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Die dritte Richtung ist die jüngste und stärker kulturwissenschaftlich
ausgerichtet, bemüht, interdisziplinäre Ansätze zu koordinieren, fragt nach
Wahrnehmungen und Repräsentationen. Diese Richtung leidet unter der
Schwierigkeit, ihren Gegenstand sinnvoll abzugrenzen, ohne dabei in die alten
Definitionen von homogenen Kulturen, das heißt in nationale oder im weiteren
Sinne rein räumliche oder sprachliche Kategorisierungen zurückzufallen.
Beliebt bei den Studierenden sind vor allem die letzten beiden Richtungen. Viele
Studierende interessieren sich für die aktuellen Fragen, wollen die aktuellen
Probleme besser verstehen. Das ist verständlich, aber sie übersehen dabei, dass es
trotzdem große Mühen in der Ebene gibt. Wer Islamwissenschaften studiert, wird
über ein Studium des Arabischen nicht hinwegkommen. Wer Sinologie studiert, muss
Chinesisch lernen. Das ist nicht einfach und kostet viel Zeit und Energie, aber man
kann dieses Studium und man kann bestimmte Einsichten, selbst über die aktuellen
Entwicklungen in diesen Ländern nicht haben, ohne die Mühen des Sparchelernens
in Kauf zu nehmen. Das ist eine große Anstrengung. Oft bedarf es auch mehrerer
Sprachen. Viele Sinologen insistieren zu Recht darauf, dass man eigentlich auch des
Japanischen mächtig sein müsste, um China, auch das aktuelle China gut zu
verstehen. Und natürlich gibt es auch in der islamischen Welt mehr als das
Arabische, und das Arabische ist ja nun eine sehr vielfältige Sprache. Das sind
Herausforderungen, die viele Studierende dann auch rasch scheitern lassen. Es gibt
immer noch einen großen Run etwa auf Islamwissenschaften oder Sinologie. Aber
viele Studierende stellen dann fest, dass das doch Anforderungen sind, die sie nicht
so gerne eingehen wollen. Das sollte man wissen.
Grundlegend für Area Studies war lange die Vorstellungen von einer Kongruenz
zwischen Kultur und Raum: Die Vorstellung also, alle Bewohner Afrikas teilen eine
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gemeinsame Kultur. Von diesen Vorstellungen ist man inzwischen weitgehend
abgekommen. "Afrika gibt es nicht", hat der langjährige Afrika-Korrespondent der
Neuen Züricher Zeitung, Georg Brunold eines seiner Bücher betitelt. Afrika ist so
viefältig, Afrika lebt auch in der Diaspora in der Fremde etc. Man geht inzwischen
davon aus, dass Kultur nicht mehr nach vorgegebenen räumlichen Strukturen
definiert werden kann, sondern einzelne "Weltregionen" oder Kontinente wie Afrika
selbst als Resultate kultureller Markierungsprozesse verstanden werden müssen.
"Was ist an Afrika eigentlich afrikanisch?" ist die wichtige Frage! Die Idee, dass es so
etwas wie Afrika gibt, ist in der nordamerikanischen Diaspora entstanden. Das ist
eine Idee, die ehemalige Sklaven und Afroamerikaner entwickelt haben. Viele
Menschen, die aus Afrika in die Amerikas im Zuge der Sklaven verschleppt wurden,
hatten gar keine Idee davon, dass sie Afrikaner sind oder aus Afrika stammen,
sondern sie haben sich sehr stark in ihrer jeweiligen Region verortet.
Area Studies wie sie Afrikawissenschaften sind immer multidisziplinär, kombinieren
also die Wissensbestände vieler Disziplinen. Auch das ist eine Herausforderung für
Studierende, die sich rasch mit vielfältigsten Methoden verschiedener Fächer
auseinandersetzen und diese, zumindest einigermaßen, beherrschen müssen. Area
Studies waren niemals eine Alternative zu disziplinären Praktiken, aber immer eine
wertvolle Ergänzung, indem sie eine intellektuelle Gemeinschaft von Lehrenden und
Studierenden geformt haben, die darauf insistiert, dass Studierende und
Wissenschaftler etwas über einen Ort wissen müssen. "To know something about
someplace" ist eine entscheidende Formel und bedeutet, dass es fundierte
Kenntnisse über eine Region geben muss, dass diese fundiert notwendig sind, um
diese Region zu verstehen. Diese Kenntnisse müssen mit soliden Sprachkenntnissen
verbunden sein. Viele von uns kennen das: Das Schwadronieren über Afrika oder
den Islam in 1:30 Minuten in irgendwelchen Nachrichtensendungen von Leuten, die
selten, wenn überhaupt, in Afrika waren, die die Sprache nicht sprechen, die die
Kultur nicht kennen – das ist etwas, gegen das die Area Studies und die
Afrikawissenschaften stehen.
Man könnte, sollte überdies die Möglichkeit in Erwägung ziehen, dass das Wissen
über eine Region dazu führen könnte, die Theorien, Epistemologien oder Grenzen
einer Disziplin bzw. scheinbar universelle Definitionen (etwa von "Arbeit") in Frage zu
stellen. Die verbreitete Tendenz, den nordatlantischen Raum als die Regel und Norm
und den Rest als erklärungsbedürftige Abweichung zu sehen, gerät verstärkt in die
Kritik.
Das klingt alles ziemlich kompliziert und anspruchsvoll. Und ja, Afrikawissenschaften
sind ein sehr anspruchsvolles Studium. Wer sich allein für wilde Tiere oder scheinbar
exotische Völker interessiert, wird nicht weit kommen. Anspruchsvoll sind alle Area
Studies.
Persönliche Voraussetzungen für das Studium ein ausgeprägtes Interesse an
kulturell unterschiedlichen Lebenswelten und ihrem gesellschaftlichen Kontext. Und
die Bereitschaft, die eigenen kulturell geprägten Annahmen und
Selbstverständlichkeiten zu erkennen und kritisch zu hinterfragen.
Afrikawissenchaften besteht nicht nur aus aufregenden Exkursionen, sondern wie bei
allen geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächern vor allem aus intensiver Lektüre.
Das heißt, eine Lust am Lesen ist unabdingbar, ebenso gute Englischkenntnisse,
weil die meiste Fachliteratur auf Englisch verfasst ist, und eigentlich auch solides
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Kenntnisse des Französischen, weil Frankreich als die wichtige Kolonialmacht in
Afrika und immer noch ein Land, das sehr viele Interessen in Afrika verfolgt, viel
Literatur produziert hat, die man berücksichtigen sollte. Schließlich bedarf es der
Bereitschaft, mindestens eine afrikanische Sprache zu lernen und bereits im
Bachelor mindestens ein Semester entweder an einer afrikanischen Universität zu
studieren – alle Universitäten mit einem afrikawissenschaftlichen Angebot haben
Partnerschaften zu afrikanischen Universitäten, die einen Studienaufenthalt
erleichtern – und/oder ein Praktikum in Afrika zu absolvieren.
Afrikawissenschaften können in der Regel an einer Reihe von Universitäten als Kern
– oder Beifach in Kombination mit anderen sozial-, kultur- oder
sprachwissenschaftlichen Bachelorstudiengängen gewählt werden. Einige
Universitäten – etwa Leipzig, die HU Berlin oder Bayreuth (das größte Zentrum der
Afrikaforschung und -lehre in Deutschland) – bieten entsprechende
Masterstudiengänge an.
In der Regel ist in einem Studium nicht der ganze Kontinent Thema, sondern es gibt
regionale Schwerpunkte, meist sind die Studiengänge multidisziplinär, die drei bis
vier fachliche Schwerpunkte umfassen. Oft sind das Geschichte,
Sprachwissenschaften und je nach Universität Politik, Literatur; Ethnologie, auch
Islamwissenschaften. Viele vergessen es, der Islam ist nicht nur im Nahen Osten
zuhause, sondern auch in vielen Teilen Afrikas eine immer wichtiger werdende
Ideologie und Religion. Besonders schwierig sind die afrikanischen Sprachen. Es
existieren rund 2.000 Sprachen. Die kann man nicht alle lernen. Gelehrt werden in
der Regel die großen Verkehrssprachen: Swahili (wird vor allem in Ostafrika,
Tansania, Kenia gesprochen), Hausa (Westafrika, u. a. im Norden Nigerias). Einige
Universitäten bieten noch spezielle Sprachen an wie Bambara, was in Westafrika
gesprochen wird, und natürlich ist auch Arabisch in vielen Hinsichten eine
afrikanische Sprache.
Das Studium der Afrikawissenschaften ist also anspruchsvoll und es ist
multidisziplinär. Aber einer der wichtigsten Sätze, die ich in meinem Studium selbst
erfahren habe, lautet: Der Fachsimpel ist auch in seinem Fach ein Simpel. Das kann
Ihnen in den Afrikawissenschaften und auch in den anderen Area Studies nicht
eigentlich nicht passieren, weil Sie immer wieder gezwungen sind, verschiedene
Fachkulturen kennenzulernen und zu kombinieren, sich mit verschiedenen Methoden
und Disziplinen vertraut zu machen.
Keine klare Berufsorientierung, aber vielfältige Qualifikationen, u.a. Sprachen,
Auslandserfahrung, Zurechtkommen in einem komplizierten Umfeld; Wissen über
den Kontinent wird zunehmend für alle möglichen Bereiche wichtig; Afrika nicht mehr
"nur" der Krisenkontinent; auch Unternehmen interessieren sich zunehmend für
Leute, die fundierte Kenntnisse über den Kontinent mitbringen.
An den Universitäten machen wir die Erfahrung, dass die Studierenden, und das
kann man ihnen ja auch nicht verdenken, nicht nur an den Inhalten eines Faches
interessiert sind, sondern auch daran, was man damit eigentlich machen kann. Das
Wort, das inzwischen in den Bürokratien der Wissenschaft benutzt wird, heißt
"Employability", also es ist ein Fach, was den Studierenden die Möglichkeit gibt,
einen vernünftigen Beruf zu finden.
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Natürlich gibt es im Fach Afrikawissenschaften keine klare Berufsorientierung in dem
Sinne, dass es ein, zwei Berufe gibt, auf die man hin studiert. Aber AbsolventenErhebungen zeigen, dass AfrikawissenschafterInnen in einer ganzen Reihe von
Berufen unterkommen und dass sie Qualifikationen mitbringen, die auch jenseits der
Universität von großer Bedeutung sind. Sie können, wenn Sie das Studium ernsthaft
betrieben haben, zwei Fremdsprachen und eine afrikanische Sprache, Sie haben
Auslandserfahrung gesammelt, nicht nur in Afrika, sondern oft in den großen anderen
Zentren der Afrikaforschung, etwa in Frankreich, Großbritannien oder in den
Vereinigten Staaten. Und Sie haben gezeigt, dass Sie in einem komplizierten,
komplexen Umfeld gut zurechtkommen und sich organisieren können. Außerdem
wird das Wissen über den Kontinent zunehmend für andere Bereiche wichtig. Afrika
ist eben nicht mehr nur der Krisenkontinent, wo man Hilfsgüter hinschickt und
Entwicklungshelfer gebraucht werden. Afrika ist politisch zunehmend von Bedeutung,
aber eben auch ökonomisch. Das heißt, viele Unternehmen, Handelshäuser, aber
auch politische Stiftungen etc. suchen Leute mit Kenntnissen und Erfahrungen über
den Kontinent.
Trotzdem möchten viele, die dieses Studium auf sich genommen haben, gerne
akademisch weiterarbeiten und an der Universität bleiben. Eine akademische
Karriere ist eine ziemliche Ochsentour und man braucht nicht nur viel Können,
sondern auch viel Glück. Die Stellensituation in den Afrikawissenschaften ist nicht
besonders gut, hat sich auch, obwohl das Interesse an dieser Region und an diesem
Fach gewachsen ist, in den letzten Jahren, jedenfalls im Bezug auf Dauerstellen,
nicht grundsätzlich verbessert. Und es gibt weiterhin einen starken Fokus auf die
Disziplin, d. h. man sucht selten Afrikawissenschaftler, die etwa Geschichte und
Politik können, sondern Historiker oder Politikwissenschaftler, die auch Afrika
können.
Afrikawissenschaften werden sicherlich immer ein kleines Fach bleiben, kleiner auch
als andere Regional-Wissenschaften, die vielleicht auf den ersten Blick politisch und
wirtschaftlich relevanter erscheinen wie die Sinologie oder die Islamwissenschaften.
Aber Afrikawissenschaften sind keineswegs ein Orchideenfach, das man nur studiert,
wenn man weltfremd ist, sondern ein Fach, was fundiertes Wissen über eine
komplexe Weltregion vermittelt und darüber hinaus viele Fertigkeiten, die "jenseits
von Afrika" von Relevanz sind.
Von daher kann man Studierende nur ermutigen, diese Fächer mit in Betracht zu
ziehen, wenn sie sich für ein Studium entscheiden, sei es als Hauptfach oder als
Nebenfach, weil es eine Fachgruppe ist, die dazu einlädt, über den Tellerrand zu
schauen, viele verschiedene Disziplinen und Methoden kennenzulernen und – das
gilt nicht nur für Afrika, sondern für alle anderen Weltregionen – stärker
mitzubekommen, zu sehen und zu analysieren, wie stark die Welt zusammenwächst
und was die Welt auch immer noch trennt. Wenn Sie sich also für solch ein Studium
entscheiden, kann ich Sie nur ermutigen.
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Andreas Eckert, geb. 1964, Studium der Geschichte, Journalistik und Romanistik;
1995 Promotion im Fach Mittlere und Neuere Geschichte der Universität Hamburg.
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Von 2002 bis 2007 war Andreas Eckert Professor für Neuere Geschichte,
Schwerpunkt Geschichte Afrikas an der Universität Hamburg. 2005 hatte er eine
Gastprofessur an der Indiana University, Bloomington. Im Jahre 2006 war er
"Directeur d'Etudes" an der Maison des Sciences de l'Homme, Paris, 2007
Gastprofessor im Department of History, Harvard University. Seit 1.4. 2007:
Professor für die Geschichte Afrikas an der Humboldt Universität zu Berlin, 2008 2009 Geschäftsführender Direktor des Instituts für Asien- und Afrikawissenschaften,
seit 1.10.2009 Leiter des Internationalen Geisteswissenschaftlichen Kollegs „Arbeit
und Lebenslauf in globalgeschichtlicher Perspektive (finanziert durch das BMBF).
Bücher (Auswahl):
- Kolonialismus. Fischer Taschenbuch. 2015.
- Hg. zusammen mit Ingeborg Grau & Arno Sonderegger: Afrika 1500-1900:
Geschichte und Gesellschaft. Promedia. 2010.
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