leitartikel Der neue Heimatklang Angesichts der Flüchtlingskrise setzt die Politik auf einen neuen Patriotismus und versucht damit, die Defizite vieler Jahre auszugleichen. Aber so einfach ist das nicht. A von Alexandra Aschbacher Wer seinen Mitgliedern und Wählern keine Heimat mehr bieten kann, dem zu glauben, fällt es schwer, wenn er über den Wert der Heimat redet. uf dem SVP-Parteitag am Samstag im Kurhaus von Meran lag auf jedem Stuhl eine Karte. „Heimat = Verantwortung“ stand in weiß-rotem Schriftzug darauf, die Postkartenansicht – ein Foto von einer beeindruckenden Südtiroler Berglandschaft. Auf der Rückseite blickt einem Parteiobmann Philipp Achammer entgegen, er sagt den Satz: „Heimat und Verantwortung sind der Grund, warum ich Politik mache – für unser Südtirol.“ Gleich darunter steht dann die Frage: Was bedeutet Heimat und Verantwortung für dich? Heimat ist ein schönes Wort. Da steckt Vertrautheit darin, Sicherheit, Geborgenheit, Zuhause. Wer fern der Heimat ist, vermisst oft etwas, manchmal hat er Heimweh. Warum also kann man nicht einfach nach Herzenslust Heimat sagen oder Heimat lieben? Nur wenige andere schöne Wörter sind dermaßen mit Vergangenheit und Geschichte aufgeladen wie dieses. Dass es in Südtirol eine besonders hohe Wertigkeit besitzt, hängt mit der langen und bewegten Geschichte unseres Landes zusammen. Identität und damit Heimat entstehen immer auch von der Geschichte her. Die Südtiroler sind so etwas wie Heimat-Experten. Die politische Verkörperung der Südtiroler Heimat war viele Jahre über die SVP – die Schützen freilich nicht zu vergessen. In den letzten Jahren aber schrumpfte die Heimatfront unterm Edelweiß. Eine Wertedebatte gab es nicht mehr. Alles, was mit Patriotismus zu tun hatte, überließ man Bewegungen und Parteien rechts der politischen Mitte. Heimat war, laut einem Bonmot des Autors Martin Walser „sicher der schönste Name für Zurückgebliebenheit“. Jetzt auf einmal, angesichts der Flüchtlingskrise und der Grenzzaundebatte, unternehmen SVP, aber auch Parteien in Österreich und Deutschland allerhand gespreizte Versuche, einen neuen Patriotismus auszurufen und damit die Defizite der vergangenen Jahre auszugleichen. „Wer Heimat liebt, spaltet sie nicht“ – so zum Beispiel einer der Werbeslogans von Alexander Van der Bellen, dem Grünen-Bundespräsidentenkandidaten. ® © Alle Rechte vorbehalten/Riproduzione riservata – FF-Media GmbH/Srl Oder, auf den Plakaten seines FPÖ-Kollegen Norbert Hofer kann man lesen: „Aufstehen für Österreich – Deine Heimat braucht dich jetzt.“ Noch ist die neue Patriotismus-Politik wenig glaubwürdig. Parteien, die ihre Anhänger nicht mehr zusammenhalten können, tun sich schwer, darüber zu reden und zu erklären, was die Gesellschaft zusammenhält. Wer seinen Mitgliedern und Wählern keine Heimat mehr bieten kann, dem zu glauben, fällt es schwer, wenn er über den Wert der Heimat redet. Die jüngsten Gemeindewahlen in Bozen, Freienfeld, Niederdorf und Schluderns haben das einmal mehr gezeigt. Die Südtiroler Wähler wechseln problemlos ihre parteipolitischen Heimaten. 6,7 Prozent der Bozner Wähler entschieden sich beispielsweise für die neofaschistische Bewegung CasaPound, das sind rund vier Prozent mehr als noch im Vorjahr. Ein Trend, der sich europaweit erkennen lässt: Es erstarken nationalistische und rechtsradikale Parteien, deren Ziel im Schutz der Heimat durch Abwehr „des Fremden“ besteht. Die Flüchtlingskrise berührt die Heimat-Frage unmittelbar. Was bedeutet Heimat in der heutigen Zeit? Und was stiftet Identität in einem Land, das immer bunter ist als rot-weiß? In so einer Umbruchzeit ist es unabdingbar, über Heimat nachzudenken. Da kann Heimat kein eng umgrenzter Begriff mehr sein. Da wird Heimat mehr denn je zur Sehnsucht. Für viele Migranten ist es die Sehnsucht nach einer Welt, die nicht nur südtirolerisch ist. Und weil sie sich davon etwas erhalten wollen, verändern sie dadurch automatisch die Südtiroler Heimat. Das Land wird bunter, wird eine neue Heimat. Die SVP will jetzt also wissen, was für die Südtiroler Heimat bedeutet. Dazu kann jeder ein passendes Foto einschicken und dazuschreiben, warum und wie man Verantwortung für Südtirol übernimmt. Verlost wird eine Brettlmarende mit dem Parteiobmann – „an einem besonderen Ort, der für ihn Heimat bedeutet“. Man kann es auch mit dem guten alten Cicero halten, der seinerzeit schon meinte: „Wo es mir gut geht, dort ist meine Heimat.“ n No. 19 / 2016
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