DIE WELT - Die Onleihe

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MITTWOCH, 11. MAI 2016
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Zippert zappt
THEMEN
POLITIK
Was Reinhold Messer
zu Kontrollen am
Brenner sagt
Seite 8
SPORT
Der FC Bayern holt sich
zwei Wunschspieler für
73 Millionen Euro
Seite 18
WISSEN
Eltern lachen wie ihr
Baby. Nicht umgekehrt
Seite 20
KULTUR
Cannes ignoriert
den deutschen Film
Nr. 109
KOMMENTAR
E
Endlich
realistisch!
JACQUES SCHUSTER
W
STEFAN BONESS/IPON; CONSTANZE REUSCHER
in Schock für viele Bahnreisende: Urplötzlich ist
die Sperrung der ICEStrecke Kassel–Hannover wieder
aufgehoben worden. Technische
Störungen oder außerplanmäßige
Halte werden nun noch unerklärlicher. Die Bahn hat angeblich
das Gleisbett aufgeschüttelt und
bestimmt auch einige Weichen
und Signale geölt und geputzt.
Offiziell heißt es, die Bahn habe
130.000 Tonnen Schotter ausgetauscht. Und zwar wurde der
Kassel–Hannover-Schotter gegen
den von der Strecke zwischen
Köln und Dortmund getauscht,
der war wohl noch etwas besser
in Schuss. Es wurde aber auch
neuer Schotter dazugemischt,
die Schotterminen in der Lausitz
und im Solling mussten Sonderschichten fahren. Wirtschaftsexperten kritisierten, dass der
Schotter auf den Schienen am
Ende mal wieder auf dem Konto
der Bahn fehlen würde. Für die
betroffenen Städte waren die
Schotterwochen eine Belastungsprobe. Mobile Brezelverkäufer
irrten orientierungslos in der
Innenstadt von Kassel umher.
Göttingen war von der Außenwelt abgeschnitten und musste
aus der Luft mit Nahrungsmitteln und Wissenschaft versorgt
werden, und Hannover 96 stieg
aus der Bundesliga ab.
B
Der politische Siegeszug der Putzfrau
Susanne Neumann heißt die Frau, die Sigmar Gabriel bei der „Wertekonferenz“
der SPD die Leviten las. „Warum soll ich eine Partei wählen, die mir das eingebrockt hat?“, fragte Neumann mit Verweis auf prekäre Beschäftigungsverhältnisse. Gabriel wusste keine Antwort, schob es auf die „Schwatten“, die CDU also.
Neumann ließ sich nicht beirren. „Warum bleibt ihr dann bei den Schwatten?“ Ei-
ne logische Nachfrage – der Saal johlte. Auch in der Talkshow „Anne Will“ fiel
Neumann schon einmal durch Schlagfertigkeit auf. Damals traf sie auf SPD-Vize
Hannelore Kraft. Vielleicht verhelfen Menschen wie Susanne Neumann der SPD
zu mehr Klarheit. Jedenfalls könnte bei der Partei mal jemand durchwischen. Das
schärft die Gedanken. Eine Phänomenologie der Putzfrau lesen Sie auf Seite 5
Niedrige Zinsen gefährden
jetzt auch die Betriebsrenten
Finanzaufsicht BaFin warnt: Pensionskassen bekommen Schwierigkeiten. Künftigen Rentnern
drohen noch mehr Einschnitte. Einige Arbeitgeber sind mit der Situation finanziell überfordert
D
ie deutsche Finanzaufsicht BaFin schlägt wegen
der schwierigen Lage
einiger
Pensionskassen
Alarm. Falls die Arbeitgeber im Notfall keine Mittel in ausgelagerte Pensionskassen nachschießen,
müssten sich Rentner auf Kürzungen
einstellen, warnte der für die Versicherungsaufsicht zuständige BaFin-Direktor Frank Grund. „Wenn die Sicherungsmechanismen nicht greifen, kann es
sein, dass auch Leistungskürzungen für
die Versorgungsempfänger vollzogen
werden.“ Die BaFin tue aber alles, um
das zu verhindern.
Die Kassen hätten den Rentnern lebenslang vergleichsweise hohe Ausschüttungen versprochen, die sich im heutigen
Zinsumfeld nur noch schwer stemmen
ließen, sagte Grund. „Möglicherweise
können daher bald einzelne Pensionskassen nicht mehr aus eigener Kraft ihre
Leistungen in voller Höhe erbringen. Mit
ihnen besprechen wir aktuell, wie es weitergehen kann.“ Die BaFin ermuntere die
Träger der Kassen, in den meisten Fällen
die Arbeitgeber, zusätzliche Mittel zur
Verfügung zu stellen. „In manchen Fällen
läuft das gut, in manchen Fällen läuft es
weniger gut.“ Grundsätzlich könnte ein
Arbeitgeber nur dann Geld nachschießen, „wenn es ihn noch gibt und er auch
leisten kann“.
Die Folgen der EZB-Niedrigzinspolitik
für Pensionskassen wurden in der Öffentlichkeit bisher weniger stark diskutiert als die Auswirkungen auf Banken
und Lebensversicherer. Letztere hätten
auf kurze und mittlere Sicht ausreichendes Stehvermögen, um die Belastungen
wegzustecken, sagte BaFin-Präsident Felix Hufeld. Es könne jedoch sein, „dass
nicht alle Unternehmen diesem Druck
auf Dauer standhalten“. Auch in den Bilanzen der Banken mache sich die Geldpolitik „wie ein schleichendes Gift“ bemerkbar.
Auf der einen Seite belasten die niedrigen Zinsen die Erträge der deutschen
Deutsche kapitulieren bei der Altersvorsorge
zur Altersvorsorge auf Spareinlagen,
Renten- oder Lebensversicherungen
oder eine betriebliche Altersversorgung setzen. Tendenziell höher im
Kurs stehen Vorsorgestrategien, die
auf Immobilienerwerb setzen. Demnach plant fast jeder fünfte Berufstätige (18 Prozent), ein Eigenheim zu
kaufen. Jeder sechste (16 Prozent)
will in eine Immobilie zur Vermietung
investieren.
Angesichts anhaltender Niedrigzinsen zweifelt eine Mehrheit der Berufstätigen einer Umfrage zufolge
am Sinn zusätzlicher Rücklagen für
die Altersvorsorge. 55 Prozent der
im Berufsleben stehenden Befragten
seien „zu der Einschätzung gelangt,
dass weitere Anlagen nicht lohnen“,
so der Versicherer Axa. Einer Umfrage zufolge will demnach nur jeweils etwa jeder zehnte Berufstätige
Geldhäuser, wie der für Bankenaufsicht
zuständige Direktor Raimund Röseler
erklärte. Auf der anderen Seite steige für
die Institute das sogenannte Zinsänderungsrisiko, weil sich Kunden die niedrigen Zinsen bei Kreditabschlüssen möglichst lange festschreiben lassen. „Mittlerweile weisen deutlich mehr als 50
Prozent aller Kreditinstitute erhöhte
Zinsänderungsrisiken auf, Tendenz steigend“, sagte Röseler. Das werde bei der
anstehenden Prüfung von 1600 deutschen Instituten eine zentrale Rolle
spielen. Nach dem sogenannten Supervisory Review and Evaluation Process, den
es bisher nur für Großbanken gibt, wird
die BaFin jeder Bank eine individuelle
Mindestkernkapitalquote vorgeben. Bei
den meisten Instituten werde der Aufschlag auf die bisherigen Mindestanforderungen weniger als zwei Prozent betragen, sagte Röseler. Einzelne Institute
müssten jedoch mit „recht spürbaren
Kapitalaufschlägen“ rechnen – und
könnten dann unter Druck geraten. „Es
gibt ein paar Ausreißer, die deutlich
mehr erwarten dürfen – da entstehen
Seite 15
Probleme.“
ie man es dreht und wendet, die Zahl der Soldaten
in der Bundeswehr um
7000 Mann zu erhöhen ist ein nötiger, ein wichtiger, ein zwingender
Schritt. Aus dreierlei Gründen: Er
trägt der allgemeinen Krisenlage
Rechnung – von den Drohgebärden
Russlands gegenüber den osteuropäischen Nato-Partnern bis zum Kampf
gegen den IS in Syrien, im Irak und
demnächst vielleicht auch in Libyen.
Er zeigt, die Bundesregierung meint
es ernst mit ihrem schon mehrfach
wiederholten Versprechen, gemäß ihrem Gewicht mehr Verantwortung zu
tragen. Schließlich signalisiert er den
Amerikanern, dass Deutschland den
Wink aus Washington verstanden
hat, in Zukunft mehr für die Verteidigung zu tun, will es die Vereinigten
Staaten auf Dauer in Europa halten.
Jahrelang traf auf die Bundeswehr
zu, was Margaret Thatcher mit Blick
auf den Verteidigungsetat als sinnwidrig und hirnverbrannt für sich
ausschloss: „Nur weil es in Ihrer Straße zehn Jahre lang keinen Einbruch
gab, kämen Sie doch auch nicht auf
die Idee, Ihre Haustür auszubauen.“
Seit Ende des Kalten Krieges hegten
die jeweiligen Bundesregierungen
samt ihrer Bevölkerung genau diesen
Kinderglauben. Mehr als das: Sie
lachten über die Wirklichkeitsferne
des amerikanischen Politikwissenschaftlers Francis Fukuyama, der
vom Ende der Geschichte sprach,
nahmen seine These aber anders als
die Amerikaner für voll und handelten so, als sei das Goldene Zeitalter
angebrochen, von dem Jesaja in der
Bibel spricht, eine Epoche, in welcher
der Wolf neben dem Lamm weidet
und der Löwe Heu frisst. Jede Regierung der vergangenen zwei Jahrzehnte strich und kürzte, ließ Kasernen
verrotten und verscherbelte Material, das wenigstens zur Abschreckung
notwendig gewesen wäre, von der
Verteidigung zu schweigen.
Mit diesen Folgen, dieser Ruine
Bundeswehr hat es nun Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen zu tun. Anders als bei ihren beiden
Vorgängern hat man den Eindruck,
dass sie die Notlage nicht nur erkannt hat, sondern endlich auch
Maßnahmen ergreift, sie zu lindern;
sie ganz zu beseitigen wird auch ihr
nicht gelingen. Von der Leyen und die
meisten Experten wissen: Es sind
noch viel mehr Anstrengungen und
viel größere Investitionen nötig als
die angekündigten, um die Kampfkraft der Truppe zu erhöhen. 130 Milliarden Euro darf die Bundeswehr bis
2030 ausgeben. Man kann nur hoffen,
dass mit dem ersten Teil des Geldes
nun auch die Einkaufstour beginnt.
Immerhin aber stimmt die Richtung
in einem Ministerium, das Ursula von
der Leyen allmählich im Griff hat.
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Kein Scherz
DAX
Im Plus
Sperma-Allergie gibt es wirklich. Betroffene leiden unter Ausschlag nach dem Sex. Doch es kann auch lebensgefährlich werden
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Dax
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S
ie ist kein Mythos, kein blöder Witz und auch keine Ausrede.
Eine Sperma-Allergie gibt es wirklich. „Leider“, sagt der
Münchner Hautarzt und Allergologe Johannes Ring. „Auch
wenn das erst mal exotisch klingt, Betroffene finden das überhaupt
nicht lustig.“ Ring hat am Universitätsklinikum der TU München zu
den Hintergründen der seltenen Allergie geforscht und Patienten
behandelt. Das waren allein Frauen – doch auch Männer kann es
treffen.
Es juckt. Ausgerechnet beim Sex. Beim Kontakt von Samenflüssigkeit mit der Haut kann es bei einer Sperma-Allergie zu
Schwellungen und Rötungen, Quaddelbildung und Ausschlag am
ganzen Körper kommen. Ist sie stärker ausgeprägt, bleibt es nicht
dabei. Patienten wird übel, sie bekommen Durchfall oder müssen
sich erbrechen.
Im schlimmsten Fall könne die Allergie, wie etwa eine Bienenoder Wespenallergie, lebensgefährlich werden, berichtet Ring.
Denn auch beim Hautkontakt mit Sperma können die Atemwege
zuschwellen – und das Herz-Kreislauf-System reagiert. So kommt
es zu Atemnot bis hin zur Ohnmacht. Im extremen Fall kann ein
tödlicher anaphylaktischer Schock eintreten. „Im Grunde sind das
relativ typische allergische Symptome“, sagt Spezialist Ring. Frauenärzte sollten aber wissen, dass es diese besondere Form der
Allergie gibt.
Bei einer Sperma-Allergie reagieren Betroffene nicht auf das
Sperma selbst, sondern allein auf die Flüssigkeit, die Spermien enthält – das sogenannte Seminalplasma. Das Immunsystem des Körpers verhält sich im Prinzip wie bei Heuschnupfen. Es wertet einen
bestimmten, im Grunde harmlosen Stoff als Krankheitserreger –
und löst eine heftige Abwehrreaktion aus. Sie ist allerdings eine
sehr seltene Reaktion des Immunsystems. Weltweit sind nur rund
100 Fälle dieser Allergie in der Literatur beschrieben. „Daten aus
den USA gehen von rund 20.000 bis 40.000 Betroffenen aus“, sagt
der Allergologe und Androloge Jean-Pierre Allam. Immerhin ließe
sich die Sperma-Allergie gut behandeln, erläutert Allam. „Goldstandard ist Geschlechtsverkehr mit Kondom“, ergänzt er. Patienten
blieben durch diesen Schutz beschwerdefrei. Nur wenn sich Frauen
Kinder wünschten, werde es kompliziert.
Sowohl Ring als auch Allam betonen, dass Frauen mit SpermaAllergie keinesfalls unfruchtbar seien. Bei leichten Symptomen
könnten sie vor dem Sex allergieunterdrückende Medikamente einnehmen. Eine andere Möglichkeit sei eine Hyposensibilisierung.
Doch auch eine künstliche Befruchtung mit gewaschenen Spermien
wäre eine Option. „Das funktioniert bei gesunden Frauen sehr gut“,
sagt Allam. Allerdings übernimmt die Krankenkasse die Kosten der
Behandlung nicht. „Insgesamt ist bei der Sperma-Allergie noch viel
Forschungsarbeit nötig“, bilanziert Forscher Ring. Und auch Androloge Allam findet: „Sperma-Allergie ist noch ein ziemlich ungeHELENA WITTLICH, DPA
nauer Begriff.“
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