III. Diagnose: Popcorn und Cola – Bildung aus Hollywood Deshalb sollten Sie sich nicht allzu viele Gedanken um den Genpool Ihrer Jüngsten machen, wenn sie gerade eine Fünf kassiert hat. An den Erbanlagen können Sie nicht viel ändern. Versuchen Sie, die wahren Gründe für den Misserfolg herauszufinden, und wenn es um Trägheit, Ängste oder Orientierungslosigkeit geht, reden Sie darüber mit Ihrer Tochter und mit den betreffenden Lehrpersonen. Denken Sie über Lösungswege nach. Und dann handeln Sie. Geben Sie klare Signale, vor allem für den Fall, dass die junge Frau nicht mehr schulpflichtig ist und statt zur Schule auch zur Arbeit gehen könnte. 5. Alle Menschen sind gleich ... Stellen Sie sich vor, im Deutschen Bundestag wird ein Gesetz verabschiedet, das jeden Fußballclub dazu verpflichtet, einen LinksfüßlerGleichstellungsbeauftragten zu beschäftigen. Hierdurch soll sichergestellt werden, dass Spieler, die vorzugsweise mit dem linken Fuß schießen, bei der Mannschaftsaufstellung nicht ›benachteiligt‹ werden. Für Lukas Podolski hätte dies zur Folge, dass er plötzlich auf dem rechten Flügel spielen müsste, um für mehr ›Gerechtigkeit‹ auf dem Platz zu sorgen. Keine gute Idee wird jeder sagen, der ein wenig Ahnung von Fußball hat. Denn es gewinnt die Mannschaft, die mindestens ein Tor mehr schießt als der Gegner und nicht die, welche den besten Gleichstellungskoeffizienten hat. Einfältigen Menschen fällt es schwer, zwischen Gleichberechtigung und Gleichmacherei zu unterscheiden. Nichts Neues eigentlich. Das Problem ist, dass einige von ihnen inzwischen Minister geworden sind. Sie reden von gleichen Bildungschancen für alle, aber sie meinen: Abitur für alle. Das ist so sinnvoll wie das Aushändigen einer Goldmedaille an jeden Olympiateilnehmer, am besten gleich bei der Eröffnungsfeier. Die Olympischen Spiele würden damit so eintönig und leistungshemmend, wie es unser Bildungssystem jetzt schon ist. 81 Zu viel Schule, zu dumm fürs Leben Dass jemand konfliktscheu und harmoniebeflissen ist, kommt immer wieder vor und ist nicht allzu besorgniserregend. Seit einigen Jahren aber verstärkt sich der Trend, die Sache auf die Spitze zu treiben: Es wird nicht nur jede Art von Auseinandersetzung als schädlich betrachtet, man bestreitet schlicht die Existenz von Ungleichheit. Das ist nicht nur töricht, sondern auch herablassend gegenüber Menschen und Leistungen von besonderer Qualität. Das Ganze wird bisweilen so grotesk, dass man schallend lachen muss. Das war jedenfalls meine Reaktion, als ich kürzlich ein Interview mit der Soziologin Irmhild Saake las, das gleich sehr vergnüglich anfing15: Frau Saake, Sie sagen, dass unsere Gesellschaft ein Problem mit Ungleichheit hat. Was meinen Sie damit? Das Moderne an unserer Gesellschaft ist, dass wir uns als Menschen alle als gleich empfinden wollen. Dieses große Versprechen der Gleichheit sensibilisiert uns aber nicht nur für Fragen der sozialen Ungleichheit, sondern mittlerweile für Ungleichheiten jeglicher Art. Es ist für meine Studenten etwa so, dass sie es schon als komisch empfinden, dass sich am Ende einer Diskussion ein gutes Argument durchsetzt. Weil sie nicht glauben können, dass nur eins richtig sein kann? Ja, wenn ich es jetzt mal ein wenig übertreiben darf, dann haben sie sozusagen Mitleid mit den ausgeschlossenen Argumenten. Sie fordern Gleichheit auch für Argumente [...]. Das macht eine klare wissenschaftliche Argumentation schwierig. Man kann nicht mehr so recht sagen, dass man eine wirklich unsinnige Behauptung für Quatsch hält. Es ist eher die Idee da, dass irgendetwas Gutes schon auch in dem Quatsch drinstecken wird. 82 III. Diagnose: Popcorn und Cola – Bildung aus Hollywood Selbstverständlich ist es nicht in Ordnung, wenn ein Lehrer bei der Bewertung von Schülerleistungen mit zweierlei Maß misst, wenn also Kinder wegen ihrer Herkunft, ihrer Religion oder Hautfarbe in der Schule benachteiligt werden. Dies kommt bei uns erwiesenermaßen häufiger vor als in vielen anderen Ländern und muss schleunigst geändert werden. Wenn aber die Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen sagt »Wir lassen kein Kind zurück«, was meint sie damit? Auf dem Weg wohin wird niemand zurückgelassen? Auf der neuen sechzehnspurigen Autobahn zum Abitur, zum Master- und Doktortitel? Niemand, auch kein Politiker auf Stimmenfang, sollte so tun, als stünden jedem jungen Menschen stets alle Türen offen. Wer in der Fußball-, Tennis- oder Schachbundesliga mitspielen will, muss sich dafür qualifizieren, er muss besser sein als viele Mitbewerber. Ebenso jeder, der bei einer Bank, einem Automobilbauer oder Fernsehsender anheuern will. Und das ist gut so, denn wer in die falsche Spielklasse oder in ein für ihn unpassendes Metier gerät, wird dort nicht glücklich werden. Manchmal ist es auch eine Frage des Timings – ein zu früh gewählter Zeitpunkt führt schnell zu Überforderung und Enttäuschung. Der gerade beschriebene Vorgang spielt sich täglich millionenfach ab auf unserem Planeten, bei jedem Spielfilm-Casting, bei jeder Parlaments- oder Partnerwahl: Selektion. Wenn es jedoch um Schule geht, ist das ominöse Wort mittlerweile für viele Eltern und Berufspädagogen ein rotes Tuch. Ein Bekannter erzählte mir kürzlich von seinen Erlebnissen bei Elternabenden an der Grundschule, die sein Sprössling besucht. »Sobald das zweite Schuljahr anfing«, sagte er, »war das Gymnasium Thema Nummer eins. Und keiner unter den Müttern und Vätern machte sich Gedanken über das ›Ob‹. Es ging nur noch um die Frage: Welches Gymnasium ist das Beste für mein Kind? Der Film ›Frau Müller muss weg‹ von Sönke Wortmann führt uns das Wunschdenken und die Verlogenheit solcher Eltern vor Augen, indem er das Ganze durch satirische Überspitzung ad absurdum führt. 83
© Copyright 2024 ExpyDoc