5. Alle Menschen sind gleich - Zu viel Schule, zu dumm fürs Leben

III. Diagnose: Popcorn und Cola – Bildung aus Hollywood
Deshalb sollten Sie sich nicht allzu viele Gedanken um den Genpool
Ihrer Jüngsten machen, wenn sie gerade eine Fünf kassiert hat. An den
Erbanlagen können Sie nicht viel ändern. Versuchen Sie, die wahren
Gründe für den Misserfolg herauszufinden, und wenn es um Trägheit,
Ängste oder Orientierungslosigkeit geht, reden Sie darüber mit Ihrer
Tochter und mit den betreffenden Lehrpersonen. Denken Sie über
Lösungswege nach. Und dann handeln Sie. Geben Sie klare Signale, vor
allem für den Fall, dass die junge Frau nicht mehr schulpflichtig ist und
statt zur Schule auch zur Arbeit gehen könnte.
5. Alle Menschen sind gleich ...
Stellen Sie sich vor, im Deutschen Bundestag wird ein Gesetz verabschiedet, das jeden Fußballclub dazu verpflichtet, einen LinksfüßlerGleichstellungsbeauftragten zu beschäftigen. Hierdurch soll sichergestellt
werden, dass Spieler, die vorzugsweise mit dem linken Fuß schießen,
bei der Mannschaftsaufstellung nicht ›benachteiligt‹ werden. Für Lukas
Podolski hätte dies zur Folge, dass er plötzlich auf dem rechten Flügel spielen müsste, um für mehr ›Gerechtigkeit‹ auf dem Platz zu sorgen. Keine
gute Idee wird jeder sagen, der ein wenig Ahnung von Fußball hat. Denn
es gewinnt die Mannschaft, die mindestens ein Tor mehr schießt als der
Gegner und nicht die, welche den besten Gleichstellungskoeffizienten hat.
Einfältigen Menschen fällt es schwer, zwischen Gleichberechtigung
und Gleichmacherei zu unterscheiden. Nichts Neues eigentlich. Das
Problem ist, dass einige von ihnen inzwischen Minister geworden sind.
Sie reden von gleichen Bildungschancen für alle, aber sie meinen: Abitur
für alle. Das ist so sinnvoll wie das Aushändigen einer Goldmedaille an
jeden Olympiateilnehmer, am besten gleich bei der Eröffnungsfeier. Die
Olympischen Spiele würden damit so eintönig und leistungshemmend,
wie es unser Bildungssystem jetzt schon ist.
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Zu viel Schule, zu dumm fürs Leben
Dass jemand konfliktscheu und harmoniebeflissen ist, kommt immer
wieder vor und ist nicht allzu besorgniserregend. Seit einigen Jahren
aber verstärkt sich der Trend, die Sache auf die Spitze zu treiben: Es wird
nicht nur jede Art von Auseinandersetzung als schädlich betrachtet,
man bestreitet schlicht die Existenz von Ungleichheit. Das ist nicht nur
töricht, sondern auch herablassend gegenüber Menschen und Leistungen
von besonderer Qualität. Das Ganze wird bisweilen so grotesk, dass
man schallend lachen muss. Das war jedenfalls meine Reaktion, als ich
kürzlich ein Interview mit der Soziologin Irmhild Saake las, das gleich
sehr vergnüglich anfing15:
Frau Saake, Sie sagen, dass unsere Gesellschaft ein Problem
mit Ungleichheit hat. Was meinen Sie damit?
Das Moderne an unserer Gesellschaft ist, dass wir uns als Menschen
alle als gleich empfinden wollen. Dieses große Versprechen der
Gleichheit sensibilisiert uns aber nicht nur für Fragen der sozialen Ungleichheit, sondern mittlerweile für Ungleichheiten jeglicher
Art. Es ist für meine Studenten etwa so, dass sie es schon als komisch
empfinden, dass sich am Ende einer Diskussion ein gutes Argument
durchsetzt.
Weil sie nicht glauben können, dass nur eins richtig sein
kann?
Ja, wenn ich es jetzt mal ein wenig übertreiben darf, dann haben
sie sozusagen Mitleid mit den ausgeschlossenen Argumenten. Sie
fordern Gleichheit auch für Argumente [...]. Das macht eine klare
wissenschaftliche Argumentation schwierig. Man kann nicht mehr
so recht sagen, dass man eine wirklich unsinnige Behauptung für
Quatsch hält. Es ist eher die Idee da, dass irgendetwas Gutes schon
auch in dem Quatsch drinstecken wird.
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III. Diagnose: Popcorn und Cola – Bildung aus Hollywood
Selbstverständlich ist es nicht in Ordnung, wenn ein Lehrer bei der
Bewertung von Schülerleistungen mit zweierlei Maß misst, wenn also
Kinder wegen ihrer Herkunft, ihrer Religion oder Hautfarbe in der Schule
benachteiligt werden. Dies kommt bei uns erwiesenermaßen häufiger vor
als in vielen anderen Ländern und muss schleunigst geändert werden. Wenn
aber die Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen sagt »Wir lassen kein
Kind zurück«, was meint sie damit? Auf dem Weg wohin wird niemand
zurückgelassen? Auf der neuen sechzehnspurigen Autobahn zum Abitur,
zum Master- und Doktortitel?
Niemand, auch kein Politiker auf Stimmenfang, sollte so tun, als stünden jedem jungen Menschen stets alle Türen offen. Wer in der Fußball-,
Tennis- oder Schachbundesliga mitspielen will, muss sich dafür qualifizieren, er muss besser sein als viele Mitbewerber. Ebenso jeder, der bei einer
Bank, einem Automobilbauer oder Fernsehsender anheuern will. Und das
ist gut so, denn wer in die falsche Spielklasse oder in ein für ihn unpassendes Metier gerät, wird dort nicht glücklich werden. Manchmal ist es auch
eine Frage des Timings – ein zu früh gewählter Zeitpunkt führt schnell zu
Überforderung und Enttäuschung.
Der gerade beschriebene Vorgang spielt sich täglich millionenfach ab auf
unserem Planeten, bei jedem Spielfilm-Casting, bei jeder Parlaments- oder
Partnerwahl: Selektion. Wenn es jedoch um Schule geht, ist das ominöse
Wort mittlerweile für viele Eltern und Berufspädagogen ein rotes Tuch. Ein
Bekannter erzählte mir kürzlich von seinen Erlebnissen bei Elternabenden an
der Grundschule, die sein Sprössling besucht. »Sobald das zweite Schuljahr
anfing«, sagte er, »war das Gymnasium Thema Nummer eins. Und keiner
unter den Müttern und Vätern machte sich Gedanken über das ›Ob‹. Es
ging nur noch um die Frage: Welches Gymnasium ist das Beste für mein
Kind? Der Film ›Frau Müller muss weg‹ von Sönke Wortmann führt uns
das Wunschdenken und die Verlogenheit solcher Eltern vor Augen, indem
er das Ganze durch satirische Überspitzung ad absurdum führt.
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