SWR2 Tandem - Manuskriptdienst Vom Villenviertel in den

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SWR2 Tandem - Manuskriptdienst
Vom Villenviertel in den Problemkiez
Rentner hilft muslimischen Migranten
Autor:
Igal Avidan
Redaktion:
Rudolf Linßen
Regie:
Igal Avidan
Sendung:
Donnerstag, 12.05.16 um 10.05 Uhr in SWR2
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MANUSKRIPT
OT 1: Manfred
„Ich weiß nicht, ob Du schon mal in Schlachtensee warst? Das ist eine Villengegend, da
kannst du manchmal minutenlang durch die Alleen gehen und die Straßen, ohne
Menschen zu treffen. Und Kinder suchst du da auch vergebens, bei einem ganz
normalen Spaziergang. Und hier brodelt es.“
OT 2: Kinder bei Fußball
AUTOR:
Der 75-jährige emeritierte Berliner Chemieprofessor Manfred Brockt langweilte sich.
Jahrzehnte lang hatte er an der Technischen Universität Berlin gelehrt, dann baute er
auf seinem Grundstück in Teplingen im Wendland einen astronomischen
Planetengarten für Schulklassen, die er fünf Jahre betrieb. Der Forschung und Lehre
folgte nun eine gewisse Leere.
OT 3: Manfred
„Aber dann kommt man so manchmal ins Grübeln, unter anderem auch, dass ich im
Leben sehr viel Glück gehabt habe, auch der Geburtsjahrgang 1935 ist ja ein
magischer. Man ist noch zu jung, um vom Krieg direkt betroffen zu sein… Und ich kam
dann in eine Zeit rein… da träumen heute… die jungen Leute davon, dass man sich
einen Studienplatz aussuchen kann, sofort einen Studienplatz kriegt und nach dem
Studium sich Stellen aussuchen kann… und dann eben dadurch in einen Beruf zu
gelangen, wo man sehr viele Freiheiten hat.“
Und da meinte ich - es klingt vielleicht etwas pathetisch – müsste man etwas
zurückgeben. Und dann dachte ich, wo kann man das am besten… also am
schlechtesten dran sind die Migranten.“
Der stämmige, selbstbewusste Rentner suchte nach einer neuen Herausforderung:
AUTOR:
In Schlachtensee begegnet Manfred Ausländern fast nie. Der Anteil der arabischen und
türkischen Migranten im Nobelviertel liegt bei knapp anderthalb Prozent. Im Bezirk
Neukölln hingegen leben die meisten Migranten. Der stämmige, selbstbewusste
Pensionär interessiert sich besonders für den Rollbergkiez in Neukölln, wo 62 Prozent
der 6.000 Einwohner türkisch- und arabisch-stämmige Muslime sind, über 80 Prozent
der Familien von Sozialleistungen leben und den niedrigsten Bildungsstand haben. Hier
fand Manfred auch den höchsten Anteil der Schüler ohne Schulabschluss. Hier kann
Manfred am besten helfen.
OT 4: Manfred
„Ich habe‘s mir auch nicht im Sommer angeguckt, wo doch ein milder Glanz über Elend
und Dreck fällt, sondern richtig im Winter, (bin) im Schneematsch hier durch und mir
überlegt: Kannst du hier leben? Kannst du hier wohnen? Und ich fand das spannend.
Was fandest Du spannend? Naja, es ist eine fremde Welt.“
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AUTOR:
Es ist schon 50 Jahre her, seitdem der Student Manfred Grenzen überschritt. Gleich
nach dem Bau der Berliner Mauer war er eine kurze Zeit als ehrenamtlicher
Menschenschmuggler aktiv:
OT 5: Manfred
„Als 1961 die Grenze geschlossen wurde sind viele Kommilitonen von der FU sind
abgeschnitten worden. Das war in den Semesterferien. Und dann gehörte ich einer
konspirativen Organisation an, die versucht hat, diese Abgeschnittenen rüberzubringen
nach West-Berlin.
Ich hatte einen westdeutschen Ausweis, ich konnte noch die Grenze passieren. Und
man hat dann solche Grenzdokumente von Ausländern, aber auch von Österreichern…
von denen ausgeliehen und die wurden dann umgehängt, ein Passfoto von dem zu
Schleusenden eingeklebt. Und wir hatten einen Künstler in der Gruppe, der konnte
wunderbar Stempel nachmachen, die sahen echter aus als die Originale. Und da ist es
in der Anfangszeit noch gelungen, wirklich viele Leute rüberzubringen.“
AUTOR:
Schließlich erhielt Manfred von der DDR Einreiseverbot bei Androhung einer
dreijährigen Haftstrafe. Erst nach dem Fall der Mauer fand er heraus, dass ein
griechischer Kommilitone, dem er zu einem Bleiberecht in West-Berlin verholfen hatte,
ihn denunziert hatte.
2011 entscheidet sich Manfred für den Umzug ins Ungewisse. Vom Neuköllner
Migrationsbeauftragten Arnold Mengelkoch bekommt er zwei Tipps. Der ehemalige
Lehrer könnte beim Förderverein „Morus 14“, der 130 Schülern kostenlos einen Mentor
zur Seite stellt, am meisten bewirken. Bei der Wohnungsbaugesellschaft „Stadt und
Land“ findet er sofort eine schöne Wohnung. 300 Wohnungen im Kiez stehen zur
Verfügung, der Leerstand beträgt 12 Prozent. Nun wohnt er als Mieter in einem der
großen 1970-er-Jahre-Wohnhäuser schräg gegenüber vom Gemeinschaftshaus des
„Morus 14“, wo er mir beim Mittagessen im Speisesaal von der Vereinsvorsitzenden
Marianne Johannsen vorgestellt wird. Im neuen Kiez spürt Manfred auf einmal
Sehnsucht nach seiner alten Welt:
OT 6: Manfred
„Deutsche Tugenden ist immer so mit so einem Gschmäckle, aber wenn Sie zum
Beispiel… wenn da Termine, also Nachhilfestunden,… Es kommen Leute hierher aus
allen möglichen Gegenden hierher, die eine weite Anfahrt haben. Und dann sitzen sie
da, ihr Schüler ist nicht da, dann rufen sie an: Ach ja, der ist zum Schlittschuhfahren
oder… der hat heute keine Lust oder sonst was, also das.“
AUTOR:
Manfreds erster Schüler ist Mohammed. Der Libanese saß dreieinhalb Jahre im
Gefängnis. Mit 22 Jahren kam er frei auf Bewährung und musste als Auflage
Sozialarbeit leisten.
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OT 7: Manfred
„Vater Drogenhändler, drogenabhängig auch im Knast gewesen, der Bruder im Knast
und… ein Bruder geisteskrank und ein anderer schwer erziehbar in einer Sonderschule
usw. Und da ist die Familie ist das, woraus sie sich nicht lösen können und was ihnen
den Weg versperrt.“
AUTOR:
Der Schulabbrecher Mohammed soll den Hauptschulabschluss nachholen. Diesen Weg
zur Integration versucht Manfred ihm mit allen Mitteln frei zu räumen.
OT 8: Manfred
„Mathematik oder schon Rechnen, das war seine ganz große Schwäche und da bin ich
mal vor einer Klausur zu der Schulleiterin gegangen und habe die… so lange belabert,
bis sie mir tatsächlich die Prüfungsaufgaben gegeben hat. Und dann bin ich freudig mit
denen hierhergekommen, habe meinen Mohammed versucht anzurufen, auch
bekommen, ‚Ja ja, ja ja‘. Dann kam er nicht zur Verabredung, dann kam er wieder nicht
und so und dann kam die Klausur, da hat er ein weißes Blatt abgegeben, eine sechs.
Und hinterher erfuhr ich, er hatte keine Zeit, weil er dem Onkel beim Umzug helfen
musste.“
AUTOR:
Auch das Bezirksamt will Mohammed den Weg zum Schulabschluss ebnen, aber er
taucht ab, was Manfred bis heute noch kränkt.
AUTOR:
Nach einem Jahr wurde sogar Manfreds Idol, der als Kritiker der mangelnden
Integrationspolitik wohl bekannteste Bezirksbürgermeister in Deutschland, Heinz
Buschkowsky, auf ihn aufmerksam. Der SPD-Politiker unterhielt sich eine Stunde lang
mit Manfred auch über dessen Erfahrungen im Rollberg-Kiez. Manche Erkenntnisse
flossen wohl später in sein Sachbuch Neukölln ist überall ein.
Im Januar begleitete ich Manfred zu einer Podiumsdiskussion mit Buschkowsky in der
Urania zum Thema Wie kann Integration gelingen.
OT 9: Buschkowsky-Urania:
„Wie kann Integration gelingen?... Wenn alle es wollen.“
AUTOR: Manfred ist pünktlich und reserviert zwei Plätze in der ersten Reihe. Während
Buschkowsky redet, nickt er immer wieder zustimmend. Am Schluss wartet Manfred
geduldig auf Buschkoswsky.
OT 10: Manfred-Buschkowsky-Urania:
„Manfred: Herr Buschkowsky, darf ich was ganz anderes sagen?
Buschkowsky: Ich würde schon nach Hause gehen. Was halten Sie davon?
Manfred: Ein Wort des Dankes, Herr Buschkowsky darf ich noch sagen. Vor vier Jahren
haben wir uns in Ihrem Amtssitz mal getroffen, vielleicht erinnern sie Sie noch daran?
Buschkowsky: Nee. Ich kann mich nicht an alle Leute erinnern, die ich vor vier Jahren
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getroffen habe.
Manfred: Das können Sie nicht, aber Sie haben sich damals eine Stunde mit mir
unterhalten… Sie wollten den komischen Kauz kennenlernen, der aus dem Villenbezirk
Schlachtensee ins Rollberg-Viertel zieht.
Buschkowsky: Ja, ja, ja, jetzt erinnere ich mich daran.
Manfred: Sie waren so die Triebfeder eigentlich…“
OT 11: Kinder bei Fußball (3960)
AUTOR:
Neukölln ist überall, vor allem im Rollbergkiez. Auch mit dem zehnjährigen Sinan hatte
Manfred nur mäßigen Erfolg. Dabei hat ihn die Familie des in Berlin geborenen
kurdischer Türken unterstützt.
OT 12: Manfred
„Die Eltern sind zwar ungebildet, aber bildungswillig. Und es sind drei ältere
Geschwister, die es auch alle geschafft haben aufs Gymnasium und der eine studiert
sogar Informatik… Aber der Jüngere, der ist ein Nachkömmling, der ist auch nicht
dumm, aber ist völlig unkonzentriert… unordentlich. Und die Lehrerin sagt: ‚Wenn Sie
das bloß schaffen, dass er ein bisschen ordentlicher wird, dann habe Sie schon ganz
viel erreicht‘. Es ist nicht möglich… Und was soll man mit einem machen, der nach 10
Sekunden wieder alles vergessen hat?“
AUTOR:
Manfred gibt mir die Festnetznummer der Familie und Sinans Handynummer. Am
Festnetz klingt Sinan sehr freundlich und ist gesprächsbereit. Er gibt mir seine neue
Handynummer, auf der er am bestens zu erreichen sei. Bei mehreren Versuchen geht
aber niemand ran. Ich spreche auf den Anrufbeantworter der Familie – und warte ab.
Die Verbindung scheitert oft aufgrund einer mentalen Barriere, erläutert Gilles Duhem,
Geschäftsführer des Vereins „Morus 14“. Sein Hauptproblem im Umgang mit den
Familien im Kiez seien die verschiedenen Zeit- und Raumkoordinaten. Um vom
Nachhilfeunterricht zu profitieren, sagt Duhem, müssen die Kinder wissen:
OT 13: Duhem:
„Was ist ein Termin, was bedeutet da sein… was bedeutet kommunizieren… und was
bedeutet, nicht die Telefonnummer dreimal im Monat zu wechseln, wenn man erreichbar
sein möchte.“
AUTOR: Warum hat Sinan immer eine neue Telefonnummer?
OT 14: Duhem:
„Weil die kaufen immer diese Prepaid-Karten, das machen alle so… und man hat kein
Abo, also es kostet weniger… Das ist einfach so eine ziemlich autistische Haltung, die
sehr verbreitet ist. Man möchte die Welt erreichen, aber man kann sich überhaupt nicht
vorstellen, dass die Welt dich erreichen möchte…. Die Familien haben keine
Festnetznummer mehr. Fast alle haben nur noch Handys. Und pro Kind mindestens ein
Handy, wenn nicht ein I-Phone, überall.“
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AUTOR:
So gerät Gilles Duhem bei der Koordinierung der Termine mit 130 Kindern deren Eltern
schnell ins Schwitzen:
OT 15: Duhem:
„Das Deutsch ist viel weniger das Problem als die Telefonnummer… Man kann keinen
Brief schicken, Brief bringt gar nichts, nur Telefon geht, oder vorbeigehen… Ich habe
einen Riesenverteiler, ich habe keine einzige E-Mail-Adresse von einer Familie.
Wenn man aufs Band spricht, das hört keiner, oder wenn das auf dem Mailbox von
Handys ist, das hört sowieso keiner ab, weil das kostet und ich habe kein Guthaben,
also kann ich nicht anrufen. Standardantwort im Rollberg-Viertel: Ich habe kein
Guthaben.“
AUTOR:
Manfred seinerseits kommt mit „seinem Sinan“, wie er sagt, beim besten Willen kaum
voran. Vergeblich versucht er dem Jungen die deutschen Tugenden beizubringen, die
ihm zu einem Schulabschluss verhelfen sollen.
OT 16: Manfred:
„Wenn Du die Ordner von ihm gesehen hättest oder die Schrift. Er hat nichts mehr
selber herausgefunden. Und für… gut geführte Ordner kriegt man auch eine gute
Zensur… Also Pünktlichkeit ist schon etwas, was das Leben sehr erleichtert… und
Zuverlässigkeit… (lacht) und etwas Ordnung, das schadet auch nicht.“
AUTOR:
Manfred fünfjähriges Engagement für Sinan hat das übliche Maß weit überschritten.
Zuerst kam Sinan trotz seiner schlechten Vorstellung aufs Gymnasium - auf Probe, weil
er so nett und freundlich ist.
OT 17: Manfred:
„Aber er ist so unglücklich da und dann hat er mich gebeten, er möchte auf die
Sekundarschule und die Mutter und Schwester bekniet und (sie) hat es schweren
Herzens zugestimmt.
Und dann… die Mutter fuhr in die Türkei (lacht), ich musste dann zu den Schulen, habe
ihn umgemeldet und da war er glücklich… Aber dann der Vater, der hat es durch Zufall
erfahren… Nein, Sinan, guter Junge, macht Gymnasium, wurde alles wieder rückgängig
gemacht und dann habe ich gesagt: ‚Nein, nicht mehr mit mir‘.“
AUTOR:
Trotz seiner frustrierenden Erfahrungen, lobt Manfred die wichtige Arbeit des
Fördervereins Morus 14, der inzwischen auch kostenlose Kurse anbietet - Englisch,
Kunst, Theater, Sport und sogar Modedesign – und eine Tür zu Deutschland öffnet.
Wie viele der 130 Mentoren haben selbst einen Migrationshintergrund? Lediglich fünf.
Wie viele der 130 Schüler sind sogenannte Biodeutsche (stammen also ethnisch von
deutschen Eltern ab)? Ein einziger! Wie viel Geld bekommt der Förderverein vom
Bezirksamt Neukölln, der Stadt Berlin und der Bundesregierung zusammen? Keinen
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einzigen Cent!
Morus 14 konkurriert dabei mit Moschee-Vereinen, die ebenfalls kostenlosen
Nachhilfeunterricht anbieten.
Wenn er das Sagen hätte, würde Manfred:
OT 18: Manfred
„die konservativen türkischen Verbände rausschmeißen aus der Integrationsarbeit, weil
sie das Ganze behindern. Da wird die Religion in den Vordergrund gestellt und die ist
ein Integrationshinderniss… denn nur mit zahlreichen Mitgliedern in ihrem
Moscheeverein können sie ihre Stellung behaupten.“
OT 19: Kinder bei Fußball
AUTOR:
Warum engagieren sich so wenige Migranten ehrenamtlich im Rollberg-Viertel? Eine
Antwort auf diese Frage suchen wir im zentralen Begegnungsort im Kiez, dem „Café
STERN“.
Auf dem Weg dorthin wirkt der 81-jährige Manfred mit seinem türkisfarbenen Pali-Schal
und schwarzem Barett/Baskenmütze wie ein 68-er.
Als wir - natürlich pünktlich - das Café betreten, ist die Betreiberin Yildiz Yilmaz jedoch
nicht da. Die Mitarbeiterin hinter dem Tresen ruft sie an.
OT 20: ATMO-Telefongespräch-Türkisch
- (Türkisch) Tamam, OK, Tschau. Sie hatten normalerweise um 13Uhr einen Termin,
ne?
- 13:30
- Ach so. Sie war hier, aber die fahren heute weg und deswegen ist sie kurz einkaufen
gegangen. Aber sie ist an der Kasse, sie kommt. Also fünf (Minuten)
OT 21: Yilmaz/Manfred:
AUTOR:
Als Yildiz Yilmaz kommt, beteuert Manfred, er habe ihr am Tag zuvor den Termin per EMail bestätigt. Sie kam aber gerade aus der Türkei zurück und hat ihre Mails noch nicht
gelesen. Die 39-Jährige Türkischstämmige, die aus Neukölln stammt, betreibt seit einem
Jahr das Café, wo sie auch Veranstaltungen für die Bewohner organisiert. Manfred bot
seine Hilfe an.
OT 22: Yilmaz:
„Er unterstützt uns immer, wenn wir Fragen haben und auch mit Vordenken. Er denkt an
uns, wenn die Frauen etwas vorbereiten möchten… und das tut uns immer wieder gut.
Wir freuen uns, dass wir ihn haben und wir freuen uns, dass er ein Vorbild für andere ist,
ehrenamtlich zu arbeiten… und sich so viel einzubringen im Kiez, weil der Kiez kennt
das nicht.
Migranten kennen das nicht, Ehrenamtliche. Sie kennen nur zu arbeiten und was dafür
zu bekommen und ehrenamtlich ist nur für die Familie da zu sein… ‚Mein Vater ist
krank, ich pflege meinen Vater oder aufpassen auf meine Geschwister‘.“
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AUTOR:
In letzter Zeit suchte Manfred Kontakt zu den wenigen Flüchtlingen im Kiez. Als Kind ist
auch seine Familie auf der Flucht gewesen.
OT 24: Manfred
„Ich habe durch den Beruf meines Vaters, der wurde viel versetzt… nach Zoppot bei
Danzig, das gehörte damals noch zum großen Deutschen Reich. Und da drückte dann
die Front immer näher und dann sind wir über Frankfurt/Oder und Nauen….
Und da sind wir über viele Stationen dahin geflohen und das war dann… am 22. April
war dann Endstation, da kamen die Russen und haben wir im Keller das Ende des
Dritten Reiches erlebt, für uns.“
AUTOR:
Die Familie bleibt in Potsdam. 10 Jahre später folgte Manfred mit seinem Vater der
Mutter nach West-Deutschland. In Westberlin musste er das Abitur nachmachen, weil
sein Ost-Abitur nicht anerkannt wurde. Erst dann begann Manfreds geordnetes,
bürgerliches Leben, das ihn schließlich nach Neukölln führte.
Schnell mischte sich der rüstige Rentner überall ein: In der Kiez AG Rollberg, wo sich
alle zuständigen Institutionen austauschen, und auch im Mieterbeirat, wo er zwischen
den Vermietern und der städtischen Wohnungsbaugesellschaft STADT UND LAND
sowie zwischen den Mietern selbst vermittelt.
OT 25: Manfred
„Ich habe jetzt zum Beispiel eine Mieterin gehabt, die Analphabetin ist und nur ganz
schwer verständlich ist. Und die hat eine Klage zugestellt bekommen, weil ihr Mann
illegal so eine Parabolantenne angebracht hat und auf Mahnung nicht reagiert hat. Da
kann man schon vermitteln… also die Klage ist zurückgezogen, aber auf die Kosten
bleibt sie sitzen leider.
Es gab mal einen Mieterstreit zwischen zwei türkischen Parteien und da war es sehr gut,
dass wir mit dem Beirat auch einen türkischen Mieter haben. Der konnte einigermaßen
vermitteln, dass sie nicht mehr mit prügeln auf sich, aufeinander losgegangen sind
wenigstens.“
AUTOR:
Manfred selbst wurde nach eigenen Angaben niemals angegriffen. Aber die
Islamisierung seines Viertels besorgt ihn sehr.
OT 26: Manfred
„Salafisten? … denen kam man auch begegnen und… die kleiden sich ja noch so, wie
sich Mohammed gekleidet hat. Aber es passt dazu nicht, dass sie auch mit einem
Handy herumlaufen. Das hat mich ja gewundert….
Und hier die Direktorin aus der Grundschule hier um die Ecke, die berichtete auch, dass
da so eine Familie eingezogen ist. Der Vater, ein ganz radikaler Imam, und die Kinder,
obwohl ganz jung, alle schwarz verschleiert. Und da hat sie erzählt, im Kochunterricht,
wo die Mädchen das Essen zubereiten, natürlich alles halal, da kommt plötzlich der
ältere Bruder, der gar nicht zur Schule gehört, der überhaupt nicht rein darf in die
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Schule,… und das Mädchen lässt vor Schreck das Besteck fallen, denn Mohammed
hatte immer nur mit der Hand gegessen und die gläubigen Muslime essen auch mit der
Hand, also Besteck ist sündig.“
AUTOR:
Am besten kommt Manfred mit seiner türkischen Nachbarin Selda P. zurecht, die auch
seine Post abholt, wenn er verreist ist. Selda wuchs im bürgerlichen West-Berlin auf, wo
sie seit Jahren als Arzthelferin arbeitet:
OT 27: Manfred
„Also hier ist auch eine andere Nachbarin, eine Alevitin, alevitische Familie, und die sind
problemlos, die hatten mich auch mal eingeladen und mit denen ist auch guter Kontakt.
Die haben auch keine Probleme mit Schweinefleisch und mit alkoholischen Getränken.
Das ist sehr positiv… Wenn alle Migranten Aleviten wären, gäbe es überhaupt keine
Probleme.“
AUTOR:
Selda zog In den Rollbergkiez 2004 mit ihrem türkischen Mann, der damals noch kein
Deutsch sprach und arbeitslos war, der niedrigen Mieten wegen. Diesen Umzug erlebte
sie als einen Kulturschock.
OT 28: Selda:
„Für mich war das sehr schwer in Neukölln, muss ich ehrlich sagen… Obwohl ich früher
gesagt hatte, in Neukölln würde ich nie in meinem Leben wohnen. Wie kann man bloß in
Neukölln wohnen,, (hatte ich immer so groß geredet halt zu meiner Tante oder zu
meinen Cousinen)… Das war für mich eine andere Welt, Neukölln… In Charlottenburg
war nicht so viel Kriminalität, wie in Neukölln…. Es war so, dass wir viel unter Deutschen
aufgewachsen sind, auch schulisch war das denn so. Und als ich dann nach Neukölln
kam, war für mich sozusagen wie in Arabistan oder in (der) Türkei.“
AUTOR:
Inzwischen hat sich Selda an ihren neuen Kiez gewöhnt, aber die Wochenenden
verbringt die Familie meistens in Charlottenburg. Ihre zwölfjährige Tochter schickt sie
inzwischen zur evangelischen Schule in Neukölln:
OT 29: Selda:
„Die Schule ist besser, für mich ist es sehr gut, für meine Tochter auch, weil man ist da
nicht so unter Arabern und unter Türken viel zusammen.“
AUTOR:
Einen Tag vor meinem letzten Besuch im Rollbergkiez, erreichte ich nach wiederholten
Versuchen die Mutter von Manfreds Patenjungen Sinan. Sie sorgt wohl dafür, dass er
später zurückruft und verspricht, am kommenden Nachmittag zu Hause zu sein. Aber
was bedeutet das schon?
So mache ich mich auf dem Weg zu Sinan.
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OT 30: Treppen/Eingangstür:
AUTOR:
Als ich die Außentreppen zum großen Neubau erklimme und an der Sprechanlage
klinge, rechne ich schon damit, dass niemand antwortet. (Pause)
Jemand öffnet die Eingangstür. Aber ist das Sinan?
OT 31: Sinan:
„- Hallo
- Hallo
- Sinan
- Igal
- Komm herein“
OT 32: ATMO-Sinan:
AUTOR:
Sinans Vater Mehmet grüßt und zeigt auf die Sitzecke, Sinan solle das Licht anmachen.
Der 16-Jährige zieht mehrmals die Lampe hoch und runter, aber das Licht flackert.
Schließlich hilft mein Hinweis, die Glühbirne fest zu drehen. (Die Sitzbank kippelt, weil
nicht angeschraubt.) Der schlanke Jugendliche mit den großen Augen, den schwarzen
Locken, dem Kinn-Bärtchen und dem warmen Lächeln ist sehr freundlich und zugleich
unsicher und aufgeregt. Sein Vater verschwindet, bald begleitet sein Schnarchen unser
kurzes Gespräch:
OT 33: Sinan
„Er ist hierhergekommen, um hier den Leuten zu helfen und das finde ich wirklich sehr
gut und nett von ihm… Ich denke, ein anderer Mensch würde es nicht machen und
deshalb finde ich Manfred sehr nett und bin sehr dankbar… Man kann ihn als Vorbild
nehmen, weil er hat sehr viel erreicht, er hat sein Abi gemacht, er hat studiert, er war
Professor, er hilft anderen Menschen… Wir waren so direkt wie Freunde… Er hat mir in
allen Fächern geholfen, wo ich Hilfe gebraucht habe. Manfred hat mir gezeigt, dass ich
mehr Selbstvertrauen haben sollte, weil ich war, wenn es um Präsentation oder so ging,
sehr schüchtern, weil ich habe immer wieder Lampenfieber bekommen und mich kaum
getraut zu reden. (verspricht sich) und er hat mir geholfen, das zu überwinden.“
AUTOR:
Das Studieren fällt Sinan schwer, weil seine Umgebung wenig wissbegierig ist und seine
Familie nur schwer über die Runden kommt. Sein Vater ist arbeitsunfähig und seine
Mutter arbeitslos. Seine Vorbilder sind sein Bruder und seine Schwester, die auf dem
Gymnasium ihr Abi gemacht haben, und der Bruder, der (zwar auf einer Sekundarschule
war, aber) jetzt studiert.
Sinan räumt ein, dass er eigentlich auf die Sekundarschule wollte, aber auf Wunsch
seiner Familie aufs Gymnasium gewechselt ist, wo er die Durchschnittsnote 3,1 hat.
OT 34: Sinan
„Bis jetzt läuft’s jetzt nicht so gerade viel besser, aber ich denke es war eine richtige
Entscheidung, weil ich falsche Freunde gefunden hätte und noch schlechtere Noten
gekriegt hätte…. Zur Zeit kriege ich nicht so schlechte Noten, ich komme gerade wieder
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so rein. Ich verbessere mich auf jeden Fall.“
AUTOR: Sinan verlässt seinen Kiez nur selten, um im Stadtzentrum Kleidung zu kaufen.
Er sagt, er möchte so viel wissen, wie Manfred.
OT 35: Sinan
„weil er sehr viel gereist ist und sehr viel mit anderen Kulturen zu tun hatte… Würde ich
so wie Manfred sein, würde ich auch anderen helfen.“
AUTOR:
Wenn er eines Tages so wie Manfred sein werde, will Sinan nicht im Rollbergkiez
bleiben:
OT 36: Sinan
„Es ist so eine schlechte Stimmung… und sehr viel Kriminalität. Ich würde meine Kinder
woanders aufziehen wollen.“
AUTOR:
Manfred hingegen will bleiben. Sehnsucht nach dem Villenviertel Schlachtensee hat er
keine. Der kleine Park gleich um die Ecke reicht ihm aus, auch den schönen Körner
Park erreicht er in nur fünf Minuten zu Fuß, manchmal geht er Radfahren auf dem
Tempelhofer Feld. Was Manfred besorgt ist die wachsende Parallelgesellschaft unter
Migranten im Rollbergkiez. Seine Lösungsvorschläge:
OT 37: Manfred
„Ja, sie brauchen Hilfe, aber sie brauchen von Anfang an auch eine klare Ansage.
Lieber Immigrant, hier bist du in einem freien Land, hier ist Religion Privatsache, hier ist
eine Mitmachgesellschaft, mach mit oder du wirst es schwer haben. Wenn du Kinder
hast, ein Mädchen hast, dann schick sie zum Schwimmunterricht, wenn du nicht selber
schwimmen gehen willst. Denn dieser Staat hat sich verpflichtet für die freie Entfaltung
deiner Kinder zu sorgen. Und wenn du das alles nicht willst, dann geht der nächste Zug
nach Ungarn. So klar und einfach ist das.“
Ja, mich frustriert auch, welche Mentalität da erzeugt wird. Letzten Endes ist das auch
für die Hartz 4-Empfänger nicht förderlich, wenn sie ihr Leben lang davon abhängen und
nicht irgendwie eine Arbeit tun, wo sie das Gefühl haben, hier tun sie was Vernünftiges.“
AUTOR:
Eine Folge der Politik des „Fördern ohne zu Fordern“ beobachtet Manfred im
Rollbergkiez:
OT 38: Manfred
„Ich habe das selbst in diesen fünf Jahren gesehen, wo ich hier wohne, wie das
zugenommen hat und nicht nur Kopftuch, sondern auch islamische Kleidung, also Burka
noch selten, aber die schwarzen Mäntel und Hijab und dass vor den Schulen Frauen
stehen, die die Mädchen auf ihre unzüchtige europäische Kleidung ansprechen und
ihnen Flugblätter in die Hand drücken, wie sie sich zu kleiden haben.“
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AUTOR:
Dem soll man offensiv entgegen treten, betont Manferd. Dann verschwindet er ins
Nebenzimmer und kehrt zurück mit einem selbstgebastelten großen, goldenen Kreuz.
Hat er, der bereits 1965 die Kirche verließ, sein Kreuz mal auf der Straße getragen?
OT 39: Manfred
„Nein, öffentlich getragen nicht, das werde ich auch nicht. Aber ich werde es bei solchen
Diskussionen mal aus der Tasche dann hervorziehen und ich habe’s auch schon einmal
gemacht, wo das Kopftuch verteidigt und hoch gehalten wird als unverzichtbarer
Ausdruck des Glaubens.“
AUTOR:
Die Zuhörer reagierten eher belustigt.
Als Manfred seinen Freunden im Villenviertel Zehlendorf erzählte, dass er in den
Rollbergkiez umzieht, rechnete er mit wenig Verständnis:
OT 40: Manfred
(lacht) „Meine Freunde, als sie von meinem Entschluss hörten, dachten: Naja, das ist
schon so eine Alters Harlequinade. Aber ich habe sie alle in diesen Raum mal
zusammengerufen, an die 40 Leute, und dann etwas berichtet auch: Was ist der
Rollberg, was ist ein Quartier. Und dann haben wir auch eine Rundfahrt gemacht und
sind auch in die Moschee gegangen. Dann waren sie ein bisschen beruhigt, nicht. Aber
es gibt einige, wenn sie mich besuchen, dann muss ich sie immer noch zur U-Bahn
begleiten“.
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