Politischer Hintergrundbericht - Hanns-Seidel

POLITISCHER HINTERGRUNDBERICHT
Projektland: Kirgisistan, Tadschikistan und
Kasachstan (Region Zentralasien)
Datum:
10. Mai 2016
Verwaltungsreformen in Zentralasien und bayerische Erfahrung
Kommunale Verwaltungsreformen haben das Ziel, die Leistungsfähigkeit und Effizienz
von Verwaltungseinheiten durch territoriale Neuzuschnitte zu steigern1. Hierbei zeigen
die zentralasiatischen Partnerländer der Hanns-Seidel-Stiftung (HSS) seit zehn Jahren
großes Engagement.
Da Bayern auf diesem Gebiet über vielfältige Erfahrung verfügt, hat die Hanns-SeidelStiftung (HSS) eine fünfzehnköpfige kirgisische, tadschikische und kasachische
Delegation eingeladen, um sich vor Ort über Gebietsreformen zu informieren.
Vom 24. bis 30. April 2016 hielten sich die Gäste, darunter Schlüsselfunktionsträger
aus den jeweiligen Staatspräsidenten- und Ministerpräsidentenämtern aus Kirgisistan,
Tadschikistan und Kasachstan, in Bayern auf, wie beispielsweise Bakyt Rysbaev,
Minister und Leiter der Agentur für lokale Selbstverwaltung und interethnische
Beziehungen in Kirgisien. Der HSS-Alumnus ist für die weitere Umsetzung der
Verwaltungsreform in seinem Lande zuständig.
In Fachgesprächen mit Vertretern der bayerischen Staatsregierung, der Regierung von
Oberbayern, dem Landratsamt Augsburg und der Marktgemeinde Dinkelscherben
wurden den zentralasiatischen Gästen die Ziele und Ergebnisse der jüngsten
bayerischen Gebietsreform sowie der Funktionalreform als fortdauernder politischer
Reformprozess dargestellt. Die bayerischen Experten betonten, dass es sich bei den
Gebietsreformen in Bayern um tiefe und weitreichende Eingriffe in die gewachsenen
Strukturen auf lokaler und regionaler Ebene gehandelt habe.
Die jüngste Gebietsreform im Freistaat Bayern (1967 bis 1978) ist seit fast 40 Jahren
gültig. Ziel war es, leistungsfähigere Gemeinden und Landkreise zu schaffen, aber
dabei die Bürgernähe zu erhalten. Aus vorher 143 bayerischen Landkreisen wurden 71
neue Landkreise. Die Zahl der bayerischen Gemeinden verringerte sich im Zeitraum
zwischen 1971 und 1978 von 6.962 um etwa zwei Drittel auf 2.359 kreisangehörige
Gemeinden. Man orientierte sich bei der Neugliederung in Bayern weitgehend an der
zentralörtlichen Struktur (Zentrale-Orte-Konzept2) und den sozio-ökonomischen
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Lexikon der Geographie: kommunale Gebietsreform, URL: http://www.spektrum.de/lexikon/geographie/kommunalegebietsreform/4245
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Dieses theoretische Konzept fand Eingang in die Raumplanung mit dem Ziel der flächendeckenden Versorgung der
Bevölkerung mit Waren, Arbeitsplätzen sowie öffentlichen und privaten Dienstleistungen. Dazu werden hierarchisch
Hanns-Seidel-Stiftung_Politischer Hintergrundbericht_Zentralasien_Mai 2016
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Verflechtungen; oftmals waren auch politische Erwägungen bedeutsam. Zur
raumordnungspolitischen Legitimierung der Gebietsreform diente vor allem das
normative Leitbild „gleichwertige Lebensverhältnisse in allen Teilen Bayerns“
herzustellen.
Beim Informationsaustausch zwischen den zentralasiatischen Gästen und den
Vertretern der HSS bestand Einigkeit darüber, dass eine wichtige Komponente für den
Erfolg der bayerischen Gebietsreform der hohe Grad an politischer und teilweise
kritischer Partizipation der bayerischen Bürger (über Parteien, Kreis- und Gemeinderat
oder Bürgerinitiativen) war, aber auch deren gesellschaftliches Engagement in
Vereinen für Heimatpflege, Sport, Musik, Kultur, Umwelt- und Naturschutz oder
Soziales. Der Delegation wurde empfohlen, bei diesen Gebietsreformen die Bürger von
Anfang an einzubeziehen und diese später zu einer der tragenden Säulen in den neuen
Gemeindestrukturen zu machen. In der Öffentlichkeit erführen Maßnahmen für eine
Gebietsreform große Aufmerksamkeit, doch sollte auch die Funktionalreform als
fortdauernder politischer Reformprozess intensiv vorangetrieben werden. Aufgaben
und Zuständigkeiten von Behörden sollten ständig überprüft, angepasst und korrigiert
werden. Behörden könnten aufgelöst, zusammengelegt oder ihr Standort gewechselt
werden (Dezentralisierung). Es könne zu einer Verlagerung von Zuständigkeiten nach
unten (Delegation) oder nach oben (Zentralisierung) kommen. Es sollte immer nach
Möglichkeiten gesucht werden, um Bürokratie abzubauen (Streichung überholter
Vorschriften – Rechtsbereinigung, Abschaffung von unnötigen Genehmigungsverfahren, Vereinheitlichung/Straffung/Beschleunigung von administrativen Prozessen,
Ausweitung des Einsatzes von E-Government).
Die öffentliche und kommunale Verwaltung in Bayern habe sich folgenden Prinzipien
verpflichtet: Rechtssicherheit, Leistungsfähigkeit und Effizienz, Wirtschaftlichkeit,
Bürgernähe und Partizipation sowie Transparenz.
Die zentralasiatischen Gäste stellten die wichtigsten Inhalte ihrer angestrebten
nationalen Gebietsreformen vor und waren an der Beurteilung durch die bayerischen
Experten interessiert.
In Kirgisistan hat die viel diskutierte und teilweise von Protesten begleitete
Verwaltungsgebietsreform (Regierungsverordnung Nr. 198 vom 23. März 2012)
bereits konkret begonnen: In der ersten Etappe (2012-2014) wurden die
Bezirksregierungen und die Kreistage abgeschafft. Jetzt sollen kleinere kirgisische
Gemeinden zu größeren leistungsstärkeren Gemeinden zusammengelegt und kleinere
kirgisische Landkreise zu sogenannten Mega-Landkreisen vereint werden.
In Tadschikistan wurde die gesetzliche Grundlage für eine umfassende Gebietsreform
bereits am 15. März 2006 mit dem Dekret des Staatspräsidenten Nr. 1713 geschaffen.
Bisher konnte durch den Einsatz internationaler Berater lediglich im Rahmen einer
Funktionalreform die Struktur einiger Ministerien verbessert werden. Das steigerte
auch deren Effizienz und Transparenz. Duplizierungen bei Gesetzen wurden analysiert
und bereinigt. Jetzt soll die tadschikische Gebietsreform erfolgen. Es ist geplant,
absteigend zentrale Orte verschiedener Stufen ausgewiesen: Oberzentren, Mittelzentren, Unterzentren sowie Kleinzentren
(URL: http://www.spektrum.de/lexikon/geographie/kommunale-gebietsreform/9211)
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berufsständische Organisationen und Vertreter der Zivilgesellschaft an Verfahren der
Gesetzgebung zu beteiligen.
In Kasachstan stehen seit dem Jahre 2012 vor allem die Landkreise im Blickpunkt von
landesweiten Reformbemühungen (Beispiel: Angestrebte Direktwahl der Landräte).
Die Fachgespräche, die von der zentralasiatischen Delegation mit der Fachhochschule
für öffentliche Verwaltung und Rechtspflege in Bayern (FHVR), der Bayerischen
Verwaltungsschule (BVS) und dem Bayerischen Selbstverwaltungskolleg (BSVK)3
geführt wurden, verdeutlichten, wie wichtig für das Gelingen der zentralasiatischen
Verwaltungsreformen qualifizierte gewählte und gut ausgebildete ernannte Vertreter
in der kommunalen und öffentlichen Verwaltung sind.
Hier setzt die Arbeit der HSS in Zentralasien (Kirgisistan, Tadschikistan und
Kasachstan) seit dem Jahre 2002 an: Die Stiftung fördert in Zusammenarbeit mit den
zuständigen nationalen Verwaltungsakademien die Aus- und Fortbildung von jungen
gewählten und ernannten Führungskräften aus den Bereichen der kommunalen
Selbstverwaltung und der öffentlichen Verwaltung. Absolventen der 12- bis 24monatigen HSS-Stipendiatenprogramme werden auch nach ihrem Wiedereinstieg ins
Berufsleben von der Stiftung unterstützt. Sie sollen Stützen sein bei der Reform der
lokalen Verwaltungsstrukturen, beim Aufbau einer effizienten bürgerorientierten
öffentlichen Verwaltung und bei der Entwicklung einer Rechtsstaatskultur in ihrem
Lande.
Nach mehr als zehn Jahren Projektarbeit zählt die HSS in den drei zentralasiatischen
Projektländern insgesamt 2.028 Absolventen. Mehr als 177 aktive HSS-Stipendiaten
setzen ihr Studium fort.
Max Georg Meier
Der Autor ist Auslandsmitarbeiter der Hanns-Seidel-Stiftung in Bischkek,
Kirgisistan.
IMPRESSUM
Erstellt: 10. Mai 2016
Herausgeber: Hanns-Seidel-Stiftung e.V., Copyright 2016
Lazarettstr. 33, 80636 München
Vorsitzende: Prof. Ursula Männle, Staatsministerin a.D.
Hauptgeschäftsführer: Dr. Peter Witterauf
Verantwortlich: Dr. Susanne Luther,
Leiterin des Instituts für Internationale Zusammenarbeit
Tel. +49 (0)89 1258-0 | Fax -359
E-Mail: [email protected], www.hss.de
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Am Rande sei hier erwähnt, dass das BSVK nach dem Zweiten Weltkrieg von Seiten der Alliierten gefördert worden ist, um
dadurch zur Herstellung eines demokratischen Systems im Nachkriegsdeutschland beizutragen. Im Rahmen des Konzepts
der „Umerziehung“ (re-education) sollten die Deutschen mit demokratischen Verhaltensweisen bekanntgemacht, sie zu
Demokraten erzogen werden. Politischen Mandatsträgern wurde dabei besondere Aufmerksamkeit gewidmet.
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