A M WO C H E N E N D E WWW.SÜDDEUTSCHE.DE HF1 MÜNCHEN, SAMSTAG/SONNTAG, 30. APRIL/1. MAI 2016 72. JAHRGANG / 17. WOCHE / NR. 100 / 3,20 EURO FOTOS: MANFRED DEIX/FIRMENFEIER 1998/© MANFRED DEIX 2016/CHRISTOPH FUCHS;DDP, MAURITIUS, FRANK SCHINSKI/OSTKREUZ, Reicht die Rente? Wer heute in den Ruhestand geht, kann sich noch einigermaßen sicher fühlen. Aber in zehn, 20 oder 30 Jahren sieht die Sache anders aus. Ein Selbstversuch Buch Zwei, Seite 11 Medien, TV-/Radioprogramm Forum & Leserbriefe München · Bayern Rätsel & Schach Traueranzeigen 46-48 14 43 63 22,23 61017 4 190655 803203 LADEHEMMUNG In den Vorstadtgärten geht der Kampf gegen die Schnecken wieder los Ausgerechnet jetzt: Robert Lewandowski sucht seine Form Wissen, Seite 36 Sport, Seite 39 DU UNGLÜCKLICHES ÖSTERREICH Was die Präsidentenwahl über das Land sagt Seiten 4 und 49 Rechtsaußen oder Rechtsdraußen Grün-schwarze Koalition steht Die AfD ist noch in der politischen Pubertät. Der Programmparteitag an diesem Wochenende entscheidet, was aus ihr wird: eine Kümmerer-Partei für nationalbürgerliche Wähler – oder ein völkischer Kampfverband Einigung auf Bündnisvertrag in Baden-Württemberg von heribert prantl Grundsatzprogramme heißen so, weil sie heutzutage grundsätzlich kaum noch einer liest. Programmparteitage sind daher üblicherweise eher langweilige Veranstaltungen. Beim Parteitag der AfD am Wochenende in Stuttgart ist das anders: Es geht dort auch nicht um eine Fortschreibung, sondern um die Neuschreibung eines ersten Programms; und es wird dies keine detaillierte Gebrauchsanweisung sein, nicht ein umfassendes Konzept für alle Bereiche der Politik; ein solches Konzept hat die AfD nicht. Es geht nur um einzelne Programmpunkte, es geht um die Themen, die der Vorstand für Wut-Themen hält: Europa, Flüchtlinge, Islam; und das Ganze wird garniert mit Familienund Bevölkerungspolitik. Die Inszenierung dieser Themen wird den AfD-Parteitag prägen, der deshalb als Richtungsparteitag gilt: Wie weit nach rechts außen geht die AfD noch? Muss sie künftig in Grafiken zu Wahlergebnissen und Wählerumfragen bräunlich gefärbt eingetragen werden? Eine Antwort wird auf dem Stuttgarter Parteitag erwartet. Es gibt Beobachter, die mit einem Putsch gegen die Co-Parteichefin Frauke Petry rechnen – nicht unbedingt schon auf dem Stuttgarter Parteitag, aber in absehbarer Zeit. Sie wäre gegebenenfalls ein Opfer der von ihr selbst gerufenen Geister: Anfang Juli 2015 auf dem Parteitag von Essen hatte sie den AfD-Mitbegründer Bernd Lucke vom Parteivorsitz verdrängt, weil der ihr nicht rechts genug war. Daraufhin verließen 2000 Mitglieder die AfD, unter ihnen Lucke selbst – sowie in Hans Olaf Henkel und Joachim Starbatty weitere Protagonisten des liberalen Flügels der Partei. Diese gründeten sodann eine neue, aber erfolglose Partei unter Postboten leben gefährlich. Allein in Großbritannien greifen Hunde jeden Tag acht Briefträger an. Doch das Management der Royal Mail, der britischen Post, hat noch viele andere Bedrohungen für ihre Angestellten ausgemacht: Schlaglöcher etwa. Schlammige Wege. Oder glitschige Bürgersteige. Bewohner von Straßen, die sich in einem derart gemeingefährlichen Zustand befinden, erhalten manchmal ganz besondere Post. In diesen Schreiben informiert Royal Mail darüber, dass leider keine Briefe mehr zugestellt werden können – aus Sorge um die Gesundheit der Boten. Die Anwohner müssen ihre Post dann bei Royal Mail abholen. Auch Katzen können ein unzumutbares Berufsrisiko darstellen. Bella, eine vier Jahre alte Katze aus Bristol, hat die lästige Angewohnheit, am Briefschlitz hochzuspringen und nach der Post zu greifen, sobald der Bote die Umschläge von außen hereinschiebt. Briefträger fürchten um die Unversehrtheit ihrer Finger – darum droht Royal Mail den Haltern nun mit DIZdigital: Alle Alle Rechte Rechte vorbehalten vorbehalten –- Süddeutsche Süddeutsche Zeitung Zeitung GmbH, GmbH, München München DIZdigital: Jegliche Veröffentlichung Veröffentlichungund undnicht-private nicht-privateNutzung Nutzungexklusiv exklusivüber überwww.sz-content.de www.sz-content.de Jegliche dem Namen Alfa, Allianz für Fortschritt und Aufbau. Die AfD hingegen erzielte bei den drei Landtagswahlen im Frühjahr 2016 zweistellige Erfolge. Die AfD gilt als ein Sammelbecken für rechtskonservative, rechtspopulistische und rechtsradikale Kräfte. Sie besteht derzeit eigentlich aus zwei Parteien: Die eine Partei ist eine sehr konservative, nationalbürgerliche Kümmerer-Partei, in der auch Aufwallung, Zorn und kleinbürgerlicher Aufstand Platz finden. Die andere Partei – sie wird zusehends stärker – ist ein völkischer Kampfverband, explizit fremdenfeindlich, nahe beim französischen Front National. Frauke Petry wird der Partei eins, also einem eher neu definierten Konservativismus zugerechnet; Erfolge in Serie die derzeitigen Vizevorsitzenden Alexander Gauland und Beatrix von Storch zusammen mit dem thüringischen Landeschef Björn Höcke werden zu einer eher völkischen AfD gezählt. Gauland bemäntelt seine Radikalität mit soignierter Gediegenheit; er zeigt sich auch gern mit dem wirtschaftsliberalen Jörg Meuthen, dem Co-Vorsitzenden der AfD und Fraktionschef im Stuttgarter Landtag. Meuthen gilt als das freundlichbürgerliche Gesicht der AfD, ähnlich dem des FPÖ-Präsidentschaftskandidaten Norbert Hofer in Österreich. In Meuthen und Gauland sehen viele die künftige Führungsspitze der AfD, mit der die Partei nach einem Sturz von Petry in den Bundestagswahlkampf 2017 ziehen wird. AfD-Ergebnisse in Prozent 24,3 Europawahl Landtagswahl 15,1 12,2 9,7 7,1 12,6 10,6 6,1 5,5 SZ-Grafik; Quelle: SZ (SZ) Es gibt Kulturen, in denen wäre Jan Böhmermann bei seiner für uns völlig verständigen Erklärung, was Satire wie, wo und warum darf, über die ersten drei Worte nicht hinausgekommen. In Korsika etwa sind schon aus bedeutend geringeren Anlässen Blutfehden entbrannt. So führte die Behauptung, ein Grundstück sei falsch markiert, 1880 in Venzolasca zu einer Vendetta zwischen den Familien der Sanguinetti und der Paoli, die erst 1916 endete und auch das nur, weil von den Sanguinetti keiner und den Paoli nur ein einziger übrig geblieben war. Am anderen Ende der Erregungsskala steht Winston Churchill, der über Schmähungen durch seinen Widersacher Clement Atlee sagte, da spreche eben ein Schaf im Schafspelz. Amerikaner haben im fernöstlichen Kulturkreis schon ein jähes Ende der Geschäftsbeziehungen erleben müssen, wenn sie den Patriarchen eines Großkonzerns begrüßten mit Wendungen wie „Hey ugly, how’s the hammer hangin’?“ Es ist aber eine revisionistische Legende, dass die Japaner 1941 aufgrund ihrer kulturellen Prägung gar nicht anders konnten, als wegen der US-Umgangsformen Bomber nach Pearl Harbor zu schicken. Die kunstvolle Beleidigung zählt im angelsächsischen Sprachraum zu den Bezeugungen ehrlicher, tiefer Zuneigung. Begrüßt man den Freund mit „Na, hätte nicht gedacht, dass du noch fetter werden kannst“, weiß man: Hier reden Männer. Und zwar solche, die sich mögen. In dem wunderbaren Film „Der Marsianer“ erfährt die Crew eines Raumschiffs, dass der Kollege, den sie für tot hielt und auf dem Mars zurückließ, noch lebt. Einer vom Team gibt ihm durch: „Tut uns leid, Mann, dass wir dich auf dem Mars vergessen haben. Aber wir konnten dich einfach nicht leiden.“ Es ist ein Augenblick großer Rührung. Was aber, wenn Männer reden, die sich nicht mögen, und zwar gar nicht? In den USA müssen sie dann schon, um bei den Landessitten zu bleiben, zum ganz großen Kaliber greifen, wollen sie sich verständlich machen. Wahrscheinlich hat der Republikaner John Boehner deshalb den Parteifreund Ted Cruz als „armseligen Kotzbrocken“ bezeichnet sowie als „Fleisch gewordenen Luzifer“. Nun kann man von Luzifer, dem gefallenen Engel, einiges sagen – aber wäre er nur ein armseliger Kotzbrocken gewesen, hätten die himmlischen Heerscharen im ewigen Kampf von Licht und Dunkelheit weniger Stress gehabt. Doch Logik ist nicht die Stärke der republikanischen Partei, sonst hätte sie nicht ständig einen Schwachmaten wie Donald Trump gewählt, wie Udo Lindenberg sagen würde. Der Schwachmat ist ein enger Verwandter aus der Mode gekommener, aber hübscher Begriffe wie „Du Pissnelke“, „Sie Hundsfott“ oder „alte Fregatte“. Die besten Beleidigungen sind nämlich jene, die der Beleidigte gar nicht erst versteht. SCHLEIMIGE FEINDE Europawahl (5/2014) Sachsen (8/2014) Branden- Thüringen Hamburg (9/2014) (2/2015) burg (9/2014) Bremen (5/2015) Baden- Sachsen- RheinlandWürttem- Anhalt Pfalz (3/2016) (3/2016) berg (3/2016) Verbrieftes Ungemach Katzen und Ratten, Schlamm und Schlaglöcher: Britische Postboten leben gefährlich dem Lieferstopp. Eine Risikoprüfung habe ergeben, dass das Ausmaß der Gefahr eine Reaktion erfordere, heißt es sehr gestelzt in dem Schreiben. Fälle wie der von Bella machen derzeit Schlagzeilen in Großbritannien. Schließlich ist Royal Mail eine Art Nationalheiligtum. Bereits 1516 schuf König Henry VII. das Amt des „Master of the Posts“, und von vielen Briefmarken schaut das Staatsoberhaupt, Königin Elizabeth II. Die im Jahr 2013 schnöde privatisierte Royal Mail wiederum setzt in ihrer Werbung, etwa zu Weihnachten, gerne auf Bilder von tapferen Boten, die schlechtem Wetter trotzen und mit ihren Besuchen Freude noch in das hinterletzte Cottage des Königreichs bringen. Hoffentlich gibt es bei diesem Cottage keinen Schlamm und keine Schlaglöcher. Und keine Himbeersträucher. Ein englischer Rentner bekam Besuch von einem Mitarbeiter der Royal Mail und einem Gewerkschaftsvertreter, die den Strauch neben seinem Briefkasten inspizierten. Eine Botin hatte sich beschwert – dabei hat diese Sorte keine Dornen. Der Rentner musste den Strauch trotzdem kappen. Bewohner einer Straße in Süd-London wurden nicht mehr beliefert, weil zu viele Rat- Parteitage sind Selbstfindungsveranstaltungen. Bei Parteien ist es ähnlich wie bei Menschen: Je jünger sie sind, umso sprunghafter und chaotischer ist diese Selbstfindung: Wer bin ich? Wer möchte ich sein? Die AfD ist jung und noch in der politischen Pubertät. Ihre Selbstfindung war schon in den drei Jahren seit der Gründung sehr turbulent: Die Partei, die mit Lucke als bürgerliche Anti-Euro-Partei angetreten war, hat sich unter Petry zur AntiFlüchtlingspartei entwickelt – und ist zuletzt durch scharf-antiislamische Töne aufgefallen. Offenbar will die AfD angesichts der stark zurückgegangenen Flüchtlingszahlen das Feindbild Flüchtlinge durch ein Feindbild Islam ergänzen. Parteichefin Petry verteidigt den Satz „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“ und sucht so das Einvernehmen mit den radikaleren Kräften der Partei. Der Zentralrat der Muslime in Deutschland hat sie um ein Gespräch gebeten: „Warum hassen Sie uns?“ hat sie der Zentralratsvorsitzende Aiman Mazyek gefragt. Vor dem Parteitag wird es zu diesem Gespräch nicht kommen. Nach dem Parteitag werden die Muslime das Gespräch womöglich mit anderen Personen führen müssen. Die christlichen Kirchen sind der Verketzerung der islamischen Religion als grundgesetzfeindliche politische Ideologie scharf entgegentreten. Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki erklärte: „Wer Ja zu Kirchtürmen sagt, der muss auch Ja zu Minaretten sagen.“ Er warf der AfD vor, „eine der großen Weltreligionen in gehässiger Absicht an den Pranger“ zu stellen. Zum Islam bekennen sich in Deutschland fünf Millionen Menschen, überwiegend deutsche Staatsbürger. Die Art und Weise, wie die AfD über Muslime redet, wird Indiz dafür sein, ob sie eine Rechtsaußen- oder eine Rechtsdraußen-Partei ist. ten auf ihrer Straße herumliefen. Das wollte Royal Mail den Boten nicht zumuten. Der börsennotierte Konzern ist um das Wohl seiner Angestellten also sehr besorgt. Gut so. Doch als strahlendes Vorbild für Ausdauer und unbedingtes Pflichtbewusstsein taugt der Postbote in Großbritannien nun nicht mehr: ein weiterer Berufsstand, der die Erwartungen der Briten enttäuscht. Wie zuvor schon die Banker. Die Finanzbranche ist eine Säule der britischen Wirtschaft, und der Banker mit dem Bowler-Hut galt früher als Inbegriff des Gentleman. Nach Finanzkrise und vielen Skandalen ist von dieser Hochachtung nichts mehr übrig. Manche Länder feiern Handwerker als Vorbilder für Arbeitsethik. Auf die Idee käme in Großbritannien niemand; die heimischen Handwerker haben sich einen Ruf für ihre Unzuverlässigkeit hart erarbeitet. Zum Glück gibt es da noch die Queen: Sie ist 90, absolviert aber weiterhin vorbildlich fleißig, zuverlässig und pflichtbewusst ihre Termine. björn finke Stuttgart – In Baden-Württemberg haben sich Grüne und CDU über die wesentlichen Inhalte ihres Koalitionsvertrags geeinigt. Wie aus den Verhandlungsdelegationen verlautete, soll der Vertrag am Montag vorgestellt werden. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und CDU-Verhandlungsführer Thomas Strobl wollen am Wochenende den Zuschnitt der Ministerien und deren Aufteilung besprechen. Bevor Kretschmann am 12. Mai wiedergewählt werden kann, müssen Parteitage von Grünen und CDU dem Vertrag noch zustimmen. Die CDU kann als wesentlichen Erfolg die Schaffung von 1500 zusätzlichen Stellen bei der Polizei für sich verbuchen. Allerdings gibt es in Teilen der Partei immer noch Unmut über die Rolle als Juniorpartner der Grünen im Allgemeinen und über manche Kompromisse bei den Verhandlungen – etwa über die Fortführung der Gemeinschaftsschulen. sz Seite 6 Noch mehr Rückrufe in der Abgasaffäre Berlin – Infolge des Abgas-Skandals müssen in Europa voraussichtlich noch mehr Fahrzeuge in die Werkstätten als bislang bekannt. Mit Suzuki und Renault hätten auch die ersten internationalen Hersteller Rückrufaktionen signalisiert, sagte Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt der Süddeutschen Zeitung. Bislang hatten nur deutsche Hersteller den Rückruf von 630 000 Autos angekündigt. Abgastests hatten teils katastrophale Werte zutage gefördert. sz Wirtschaft MIT STELLENMARKT Dax ▼ Dow ▼ Euro ▲ Xetra 16.30 h 10086 Punkte N.Y. 16.30 h 17752 Punkte 16.30 h 1,1436 US-$ - 2,28% - 0,44% + 0,0085 DAS WETTER ▲ TAGS 19°/ -1° ▼ NACHTS Von Norden, Westen und Südwesten breitet sich Regenschauer nach Nordosten, Thüringen und Bayern aus. In Brandenburg, Sachsen und Ostbayern bleibt es freundlicher. Temperaturen neun bis 19 Grad. Seite 14 Süddeutsche Zeitung GmbH, Hultschiner Straße 8, 81677 München; Telefon 089/2183-0, Telefax -9777; [email protected] Anzeigen: Telefon 089/2183-1010 (Immobilien- und Mietmarkt), 089/2183-1020 (Motormarkt), 089/2183-1030 (Stellenmarkt, weitere Märkte). Abo-Service: Telefon 089/21 83-80 80, www.sz.de/abo A, B, F, GR, I, L, NL, SLO, SK: € 3,90; dkr. 31; £ 3,60; kn 35; SFr. 5,00; czk 115; Ft 1050 Die SZ gibt es als App für Tablet und Smartphone: sz.de/plus
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