Patricks Isle of Skye Trekking

TAG 4: BEINN EDRA → BACA RUADH, 10 KM, 1.150 HM
WWW.PATRICK-IN-SCHOTTLAND.DE
W 6° 16.916'
N 57° 35.674'
7°C
Pures Wildland
Nach einer, so könnte man meinen, durchzechten Nacht wachte ich an diesem Morgen sehr spät auf. Es
war bereits fast acht und dem Sturm der letzten Nacht nach zu urteilen sollte ich doch rund ums Zelt
eine heillos verwüstete Hochebene vorfinden. Weit gefehlt: es war sehr ruhig und nahezu windstill. Viel
zu verwüsten gab es auch nicht. Die weiten, baumleeren Graslandschaften wirkten fast karibisch an
diesem schönen Morgen. Aber aus dem vorigen Tag meine Lehre gezogen, beeilte ich mich mit dem
Frühstück und packte schnell meine Sachen zusammen. Keine Minute zu früh, denn kaum war ich fertig
und das Zelt verstaut, setzte auch schon ein starker Wind ein und mit ihm kam auch die Kälte wieder
zum Vorschein.
Ich machte mich also auf und wanderte durch die Hochebenen, die nun um einiges tiefer unterspült
waren als noch am Vortag. Ich stellte mir vor, dass auch dieser Weg einen Monat später mit leichterem
Gepäck ein Kinderspiel wäre. Aber dafür war ich ja nicht nach Schottland gekommen. Der Weg zum
Gipfel des Beinn Edra führte mich an einem kleinen Wasserfall vorbei, an dem ich flink für frisches
Trinkwasser sorgte. Überhaupt sollte ich von diesem Tag an auf meine Wasserpumpe verzichten können
– die Entkeimungstabletten waren dank des meist recht klaren Wassers völlig ausreichend für die
weitere Tour. Aufgrund des mit Schlamm verstopften Keramikfilters blieben mir aber auch wenige
weitere Optionen.
Wie nahezu meine gesamte Route lang, ob im besiedelten oder menschenleeren Raum, spielten auch
heute die schwimmenden Rasenflächen eine nicht unerhebliche Rolle: das Vorankommen war mühsam,
waren doch meine Schuhe ohnehin schon sehr nass. Es galt wieder viele kleine mit Gräsern und Moos
bewachsene Hügel und Felsen zu überqueren. Ein stetes und bei diesen Umweltbedingungen ziemlich
anstrengendes Auf und Ab. Der Aufstieg zum Gipfel aber verlief ohne Rutschen für mich. Ganz oben
angekommen hatte ich sie wieder. Da war sie: meine phänomenale, leicht nebelgeschwängerte Aussicht
auf den Norden von Skye. Und noch etwas entdeckte ich auf dem Gipfel des Beinn Edra. Nur ein paar
Meter vor der Klippe, die rund 180 m in die Tiefe führte, bis der Abfall etwas flacher wurde, fand sich
eine ungefähr 80 cm hohe Steinpyramide. Eine sogenannte Triangulation Station oder auch ein
Triangulation Pillar. Diese kleine Pyramide, in Schottland kurz Trig Point genannt, dient Zwecken der
Landvermessung. Mit ihrer Hilfe wurde sicherlich auch meine Karte erstellt und anschließend fürs GPS
digitalisiert. Es gibt sie nicht nur in Schottland, sondern in ganz Großbritannien, wie auch in
Nordamerika, Australien, Neuseeland oder in Südafrika. Natürlich musste dieser Trig Point noch für
einen wetterbedingt leicht zerknirschten Selfie herhalten, bevor ich meinen Weg gen Süden fortsetzte.
Es folgten vier weitere An- und Abstiege über die wundervollen Gipfel der Berge Bealach a'
Mhoramhain, Groba nan Each, Flasvein und des Creag A' Lain. Die weglose Landschaft bot ein
sagenhaftes Bild, welches ich in einem deutsch-englischen Mischmasch „Pures Uaildländ“ taufte.
Überhaupt war es inzwischen soweit, dass ich anfing im Englischen zu denken, was von Zeit zu Zeit
recht witzige sprachliche Formen annahm. Aber auch in diesem unberührt wirkenden Hochgebiet stieß
ich immer wieder auf kurze Zaunabschnitte und alte Mauern, die einst das Weideland absteckten und
Schafe daran hinderten über die Klippen zu springen. Jede Erhebung, jeder Gipfel war anders. Mal waren
es schwimmende Grasfelder, mal eine im Nebel stehende Hügellandschaft und mal erhob sich ein mit
zahllosen kleinen, teils mit buntem Hochlandmoos bewachsenen Felsen gespicktes, unwirkliches
Panorama vor mir.
Es erweckte fast den Anschein, man reiste durch eine andere Welt. Was ich sah war genau die Art von
Landstrich, dem man in Erzählungen das Beherbergen zahlreicher und uriger Fabelwesen wie Elfen,
Feen, Zwerge oder Trolle zuschrieb. Aber auch die Art von Kulisse über die in den großen
Kinoverfilmungen die Helden mit ihren Streitkräften rannten, lauthals schrien und am Horizont hinter
dem nächsten Hügel empor kamen.
Die Winde und Regenfälle wurden nun immer härter und wechselten nicht selten in Platzregen über,
der anschließend wieder von einem kurzen sonnigen Abschnitt begleitet wurde. Immer wieder begann
es über mir zu donnern. Es schien fast so, als verbarg sich hinter jedem Gipfel eine neue Jahreszeit. Mal
war es Sommer, mal war es Herbst oder Winter. Die meiste Zeit allerdings dominierten Nebel und
heftige Stürme den Tag. So beschloss ich – inzwischen zur Gänze durchnässt –, mich dem Wetter
geschlagen zu geben und mir einen geeigneten Platz für den Rest des Tages und die Nacht zu suchen.
Genug Zeit hatte ich dafür ja: es war gerade 16 Uhr.
Mehr als eine halbe Stunde verging, bis ich eine weniger nasse Fläche fand, die groß genug war um das
Zelt zu beherbergen. Winde und Böen vereitelten mein Vorhaben ein paar Male und ich war mir nicht
sicher, ob das Zelt die Nacht wohl übersteht. Nun, nach vollbrachter Tat und wie auf’s Stichwort wichen
Wind, Donner und Dauerregen einem leichten Niesel, sodass ich die Aussicht an den Klippen, einen
Kilometer vor dem Gipfel des Baca Ruadh, doch noch genießen und gemütlich mein Abendessen
vorbereiten konnte. Unweit meines Nachtlagers fand sich gar ein kleiner See, der sich zwischen den
vielen Erhebungen des Graslandes gebildet hatte. Ein weiteres Highlight an diesem Abend waren die
frischen und trockenen Socken, auf die ich mich bereits seit mittags freute.
So saß ich bis zur einsetzenden Dämmerung und einer schlagartigen Kälte, die anders war als die
Abende und Nächte zuvor – urplötzlich herrschten gefühlte Minusgrade –, mit geöffnetem
Panoramafenster in meinem Zelt, schlürfte, schmatzte und freute mich über einen gelungenen, tollen
Tag.