Evangelische Hoffnungskirchengemeinde Berlin-Pankow PREDIGT im Gottesdienst am 01.05.2016 in der Hoffnungskirche (Textgrundlage: 1Tim 2,1-4) von Pfarrer Matthias Motter Ich habe für sie gebetet! Liebe Gemeinde, wer so etwas sagt, Ich habe für sie gebetet!, ist vielleicht dankbar – oder verzweifelt. Betet! Diese Aufforderung trägt der heutige Sonntag, der 5. Sonntag nach Ostern, im Namen. Rogate wird er genannt – das ist Lateinisch und heißt übersetzt eben einfach: Betet! In der Schwedischen Kirche heißt er schlicht: Bönsöndagen [Bönsöndan] – Gebetssonntag. Und das Beten gehört für viele von uns zum Leben dazu. Beten gehört zum Gottesdienst. Gebetet wird aber auch zuhause oder unterwegs. Manche Menschen halten sich an feste Regeln, da wird morgens und abends oder vor dem Essen gebetet – und das gibt dem Tag auch eine spirituelle Struktur. Manche beten, wenn ihnen danach ist. So oder so – beten gehört für viele Menschen zum Leben dazu. Aber was ist Beten eigentlich? Der Theologe Fulbert Steffensky hat es so formuliert: Das Gebet ist die Selbstmitteilung des Menschen an den Grund allen Lebens, an Gott. Gebet ist Selbstmitteilung. Und weiter sagt er: Diese Selbstmitteilung hat zwei Grundformen: das Einverständnis mit dem Leben und das Nicht-Einverständnis mit dem, was der Mensch sieht und erfährt. Ich habe für sie gebetet! Das sagt voller Dankbarkeit der, der, der zufrieden, einverstanden ist – viellicht, weil jemand von einer Reise gut zurückgekehrt ist oder weil eine schwierige Situation gut ausgegangen ist. Ich habe für sie gebetet! Das sagt voller Verzweiflung der, dessen Bitten unerfüllt geblieben sind. Die Krankheit wurde nicht besiegt, das Zerbrochene ist nicht wieder heil geworden. Wie Hohn klingen dann vielleicht in den Ohren der Verzweifelten solche Sätze wie der aus dem vorhin gelesenen Evangelium, in dem Jesus in der Überlieferung des JohannesEvangeliums zu den Jüngern in seiner Abschiedsrede auf die Zukunft hin sagt (Joh 16,23): Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr den Vater um etwas bitten werdet in meinem Namen, wird er's euch geben. Unsere Erfahrung lehrt uns manchmal so schmerzhaft, dass es so einfach nicht ist mit dem Beten. Nicht jedes Gebet wird erhört. Und es wäre zu kurz gegriffen, wenn wir glaubten, wir müssten nur richtig beten und dann würde es so geschehen, wie wir es wollten. Das wäre Magie, Zauberei – dann hätten wir Macht über Gott, dann wären wir an Gottes Stelle. Ich halte mich in der Frage des Betens an eine andere Stelle in der Überlieferung unserer Bibel: In der Bergpredigt, in der Überlieferung des Matthäus-Evangeliums im 6. Kapitel, da spricht Jesus (Mt 6,7f): Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht viel plappern wie die Heiden; denn sie meinen, sie werden erhört, wenn sie viele Worte machen. Darum sollt ihr ihnen nicht gleichen. Denn euer Vater weiß, was ihr bedürft, bevor ihr ihn bittet. Gott muss von uns nicht gesagt bekommen, was wir brauchen. Er weiß es. Sein Handeln hängt nicht von unseren Gebetsinhalten ab. Euer Vater weiß, was ihr bedürft, bevor ihr ihn bittet. Warum beten wir aber dann überhaupt noch? Weil es für uns gut ist – und auch gut für andere! Gott braucht unser Gebet nicht, aber wir und andere brauchen unsere Gebete zu Gott. Das sieht auch der Verfasser des 1. Timotheusbriefes so. Er schreibt: Ich ermahne nun vor allen Dingen, dass Flehen, Gebete, Fürbitten, Danksagungen getan werden. Und wenig später schreibt er weiter: Dies ist gut und angenehm vor unserem Retter-Gott, welcher will, dass alle Menschen errettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. Gott will unsere Gebete – so können wir den Verfasser des 1. Timotheusbriefes verstehen. Aber er will sie nicht für sich, sondern für uns, für alle Menschen. Weil Beten – davon ist der Verfasser des 1. Timotheusbriefes überzeugt – ein Weg der Erkenntnis der Wahrheit, ein Weg der Erkenntnis Gottes und unser selbst vor Gott ist. Denn im Gebet können wir ehrlich werden. Wer betet, erkennt an, dass nicht alles in der eigenen Kraft liegt. Wer betet, erkennt, dass wir die Güte Gottes brauchen. Wer betet, stellt sich und die ganze Welt in den Horizont Gottes. Wer betet, schaut über sich selbst hinaus – dankbar oder sorgenvoll, glücklich oder verzweifelt, gerade einverstanden mit dem Leben oder nicht einverstanden. Wer für sich oder für andere bittet, ist nicht einverstanden mit dem, wie es gerade ist – und weiß, dass es anders sein kann. Die Bitte, das fürbittende Gebet nimmt den Status quo, nimmt das, was gerade ist, nicht einfach als unabänderlich hin. Das Gebet ist Ausdruck eines Veränderungswillens. Deshalb fordert der Verfasser des 1. Timotheusbriefs in diesem Abschnitt übrigens auch zum Gebet für die Könige und die Obrigkeit auf. Denn – abgesehen vom schwedischen Königshaus, mit dem natürlich alle Schweden glücklich und zufrieden sind – gibt es ja auch und gerade in diesem Bereich so viel, was anders sein sollte. Im Gebet bringen Menschen ihre Sorge und ihre Wut vor Gott. Wer betet, weiß um die Begrenztheit der eigenen Macht. Wer betet, maßt sich nicht an, alles selbst verändern zu können, die Welt selbst retten zu können. Wer betet, überlässt die Welt und ihre Menschen aber auch nicht sich selbst. So wie das Kreuz zugleich eine vertikale und eine horizontale Richtung weist, so wie Jesus in seiner Antwort auf die Frage nach dem höchsten Gebot die Liebe, die Beziehung zu Gott und die Liebe,die Verantwortung dem Mitmenschen gegenüber zugleich nennt – so führt auch das Beten in diese beiden Richtungen: Es öffnet unseren Blick und unser Herz über diese Welt und unsere Möglichkeiten hin zu Gott und es öffnet unseren Blick und unser Herz für andere in dieser Welt, die wir in unser Gebet aufnehmen. Im Gebet können wir uns zusagen lassen, dass wir die Verantwortung für unser Leben und diese Welt nicht allein tragen müssen. Deshalb brauchen wir das Gebet – unser eigenes und das, das für uns gebetet wird. Und wer es selbst erlebt hat, weiß vielleicht, wie gut es tut, wenn jemand zu einem sagt: Ich habe für dich gebetet. Amen. Es gilt das gesprochene Wort.
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