Diakonie 66_13 - Innere Mission München

Schwerpunktthema: Ehrenamtliches Engagement bei der Inneren Mission (Seite 3 – 7)
Hilfe im Alter: Synergien am Kochelsee (Seite 9)
Evangelischer Beratungsdienst: 50 Jahre Hilfe für Frauen in Not (Seite 13)
Die Zeitung der Inneren Mission München • April 2016
Liebe Leserin,
lieber Leser,
E
hrenamtliches Engagement ist
bei der Inneren Mission und ihren Tochterunternehmen herzlich
willkommen. Ehrenamtliche lassen sich berühren von sozialen
Notwendigkeiten in ihrem Umfeld
und von den Tragödien, die Menschen in den Kriegs- und Krisengebieten erleben.
Ausgabe 73 • www.im-muenchen.de
Karl-Buchrucker-Preis für bestes journalistisches Handwerk
Im Normalen das Besondere gezeigt
Der mit 5.000 Euro dotierte KarlBuchrucker-Preis der Inneren Mission ging in diesem Jahr an die
Münchner Journalistin Ann-Kathrin Eckardt für ihren in der Süddeutschen Zeitung erschienenen
Text „Gute Menschen“ sowie an
Beate Greindl für die Reportage
„Der Kommissar und seine Söhne“, die in der Reihe „Lebenslinien“ des Bayerischen Rundfunks
zu sehen war.
Während Eckardt sehr persönlich über ihre Situation als Flüchtlingshelferin berichtet, porträtiert
Greindl einen Polizisten, der zwei
Halbwaisen adoptiert und zudem
einen eigenen Verein gegründet
hat, der sich um auffällige Jugendliche kümmert.
Journalistische Nahaufnahmen
Martina Kreis
Leiterin der Fachstelle
Volunteering / Ehrenamt
H
underte helfen dort, wo die
Menschen nach ihrer Flucht
ankommen: in den Erstaufnahmeeinrichtungen, zum Beispiel beim
Sortieren und in der Kleiderausgabe. Oder in den Unterkünften,
wenn es darum geht, Deutsch zu
lernen. Oder wenn Besuche bei Behörden, Ämtern oder Ärzten anstehen. Und was ganz wichtig ist: Ehrenamtliche sorgen für Kontakt
und für Begegnung. Ohne sie wären viele Hilfesysteme in den Kommunen gar nicht tragfähig.
E
hrenamtliches Engagement ist
aber kein Selbstläufer, sondern
braucht hauptamtliche Begleitung: Informationen über ein bestimmtes Tätigkeitsfeld, Qualifizierung für spezielle Aufgaben – und
vor allem für die Begleitung bei
emotionalen Herausforderungen.
Das gilt insbesondere dann, wenn
es zu Enttäuschungen oder Problemen kommt.
D
iese Ausgabe des Diakonie Reports leistet einen Beitrag dazu, allen, die ehrenamtlich tätig
sind, den Rücken zu stärken. Alle,
die von ehrenamtlicher Arbeit profitieren, sagen damit ein aufrichtiges Dankeschön. Nicht zuletzt sollen diejenigen, die noch überlegen,
ermutigt werden, sich ehrenamtlich zu engagieren. Dazu lesen Sie
Berichte aus den unterschiedlichsten Bereichen, in denen man sich
sinnvoll ehrenamtlich engagieren
kann.
Eine gewinnbringende Lektüre
wünscht Ihnen
Laudatorin Johanna Haberer
sagte, beide Arbeiten seien „aufmerksame und sorgfältige journalistische Nahaufnahmen“. Beide
Stücke handelten zudem von „ganz
normalen besonderen Menschen,
die ganz Normales, Besonderes
tun“. Beate Greindl zeichne mit
„ihrem sehr sorgfältig gearbeiteten
und mit einer herausragenden Kamera umgesetzten Filmportrait das
Psychogramm eines selbstlosen
Helfers“. Der Beitrag der 49-Jährigen komme ganz ohne religiöses
Pathos aus – und sei dennoch „eine
Predigt“, so Haberer.
Ann-Kathrin Eckardts Dokumentation ihres Selbstversuchs bewertete die Jurorin als eine „trotzige Geschichte im Asyl-Hype unserer Tage, die politisch ziemlich unkorrekt in einer locker-leichten Mischung aus Selbstironie, Selbstkritik und Ernüchterung von der Realität der Flüchtlings-Integration“
berichte. Der Text der 36-Jährigen
gebe den ehrenamtlichen Helferin-
Sie haben für herausragende journalistische Arbeit den Karl-Buchrucker-Preis
bekommen (v.l.n.r.): Ina Krauß (nahm den Preis für Wolfgang Kerler entgegen),
Maria Gerhard, Ann-Kathrin Eckardt und Beate Greindl. Fotos: Oliver Bodmer
nen und Helfern eine Stimme, die
sich über die Willkommenskultur
des vergangenen Herbstes hinaus
langfristig engagieren wollen.
Gleichzeitig benenne sie symbolhaft auch die Limits des Ehrenamts: „Eckardt zeigt in aller Nüchternheit die aktuellen Grenzen der
kulturellen Verständigung auf und
den Zorn, wenn die Betreuten die
Chancen nicht nutzen, die wir für
zukunftsrelevant halten, wenn sie
Kinder zeugen und gebären für
relevanter halten als Deutsch zu
lernen.“
Den Themenpreis erhielt der 29jährige Hörfunkjournalist Wolfgang Kerler für seine auf B5aktuell
ausgestrahlte Reportage „Millionengeschäft Asyl – Wer an den
Flüchtlingen verdient“. Kerler
schildert darin die Anstrengungen
bayerischer Kommunen, mit Hilfe
von Investoren oder in Eigenregie
die Aufnahme und Versorgung
von Flüchtlingen zu gewährleisten
– und in welche Kassen die damit
verbundenen Mittel fließen.
Vielschichtig statt simpel
Mehr als vier Monate habe der
„außerordentlich engagierte Journalist“ für seinen Beitrag recherchiert, lobte Laudator Till Krause
vom SZ-Magazin. Herausgekommen sei keine „simple Gut-gegenBöse-Geschichte“; der Autor schildere vielmehr, „dass alles nicht so
einfach ist, sondern sehr vielschichtig“. So gebe es überforderte Politiker, Privatpersonen, die große Geschäfte witterten, Firmen, die Millionen verdienten – und engagierte
Kommunen, die mit der Flüchtlingshilfe die regionale Konjunktur
Grußwort von Aufsichtsratsvorsitzendem Andreas Bornmüller bei der Preisverleihung
„Man darf die Armen nicht gegeneinander ausspielen“
„In den Medien nimmt die Flüchtlingsfrage derzeit eine zentrale
Stellung ein. Andere Zielgruppen
sozialer und pflegerischer Angebote sind für die Innere Mission aber
genauso wichtig. Wohnungslose
Menschen, psychisch Kranke, Pflegebedürftige, Arbeitslose – um nur
einige zu nennen – liegen uns
nicht weniger am Herzen als die
Flüchtlinge. Das spiegelt sich auch
in den ausgezeichneten Beiträgen
des Karl-Buchrucker-Preises wider.
Allen Versuchen, ein Ranking
unter Zielgruppen sozialer Arbeit
zu etablieren, ist eine klare Absage
zu erteilen. Sozusagen die einen
‚Ärmsten der Armen‘ gegen andere
‚Ärmste der Armen‘ auszuspielen,
wird der jeweiligen Notlage, in der
sich Menschen befinden, nicht gerecht. Soziale Unternehmen können darum nicht einfach wie produzierende Unternehmen auf andere Produkte ausweichen
oder einen
Strategiewechsel
vollziehen.
Die Angebote und
Strategien
sozialer
Unternehmen werden in maßgeblicher
Weise nicht durch die Organe sozialer Unternehmen, sondern durch
die vorfindlichen Notlagen und
den daraus resultierenden jeweiligen Hilfebedarf bestimmt.
Die Einrichtungen der Inneren
Mission München wenden sich darum an Menschen, deren Platz
nicht so sehr in der Mitte der Gesellschaft ist, sondern eher am
Rande. Wir erfüllen damit einen
genuin christlichen Auftrag und
sind da für die Recht- und Mittellosen, für diejenigen Menschen, die
professionelle Hilfe brauchen, um
ihr Leben, das aus irgendeinem
Grund aus den Fugen geraten ist,
wieder in den Griff zu bekommen.
Ein Auftrag, der gleichzeitig unter
dem Diktat steht, das alles auch
noch solide hinzubekommen –
ohne dabei in eine wirtschaftliche
Schieflage zu geraten.“
zum Wohle aller Beteiligten ankurbelten. Krause wörtlich: „Ein meisterhaftes Stück Radiojournalismus,
bei dem der Hörer immer nah dran
an der Geschichte ist.“
Den Förderpreis verlieh die Jury
an die 28-jährige freie Journalistin
Maria Gerhard für ihre Reportage
„Familienglück auf Umwegen“, die
im Münchner Merkur erschienen
ist. Gerhard schildert darin die Geschichte einer Siebenjährigen, die
nach Unterbringung in zehn verschiedenen Pflegefamilien endlich
dauerhaft bei einer Familie unterkommt.
Der frühere Leiter der Deutschen
Journalistenschule, Ulrich Brenner,
sagte in seiner Laudatio, Gerhards
Text sei „keine sozialromantische
Friede-Freude-Eierkuchen-Geschichte, sondern ein Lese- und ein Lernstück“. Die Autorin behandle ein
Thema von gesellschaftlicher Relevanz, beschreibe es in flüssiger und
abwechslungsreicher Sprache und
kombiniere geschickt beobachtete
Szenen mit Informationen. Sein Urteil: „Spannend bis zum Schluss –
bestes journalistisches Handwerk!“
Beide Preise sind mit je 3.000 Euro
dotiert.
Martin Wagner, Hörfunkdirektor des Bayerischen Rundfunks,
sagte in seinem Grußwort, auch
wenn das Wort Diakonie „uncool,
schon gleich gar nicht sexy und
wie ein wenig aus der Zeit gefallen“ klinge, gehe es bei dem Dienst
am Menschen im Rahmen kirchlicher Arbeit um „nicht mehr und
nicht weniger als tätige Nächstenliebe“. Neben der Berichterstattung
über Katastrophen und Krisen suche der BR „ganz bewusst nach
Menschen, die etwas bewegen und
Projekten, die die Gesellschaft positiv verändern“.
Unsinnige Vorwürfe
Der Vorstand der Inneren Mission, Pfarrer Günther Bauer, betonte in seiner Ansprache, alle eingereichten Beiträge seien gut recherchiert und widersprächen deutlich
dem unsinnigen Vorwurf von der
angeblichen Lügenpresse. Und
wörtlich: „Vielmehr müssen sich
diejenigen der Lüge zeihen lassen,
die den Ruf zum demokratischen
Aufbruch ‚Wir sind das Volk‘ für
ihre egoistischen, menschenfeindlichen und rassistischen Aktionen
missbrauchen.“
Insgesamt gingen bei der Inneren Mission dieses Jahr 63 Bewerbungen aus den Bereichen Hörfunk, Fernsehen, Print und Fotografie / Kunst ein. Das Preisgeld in Höhe von 11.000 Euro stifteten auch
in diesem Jahr wieder die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Curacon, die Bruderhilfe – Pax – Familienfürsorge, der Versicherer im
Raum der Kirchen, sowie die Evangelische Bank. Klaus Honigschnabel
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Nr. 73 · 2016
Perspektiven für Geflüchtete und Ausbau der Migrationsberatung gefordert
„Integration muss ein wechselseitiger Prozess sein“
„Nach der Nothilfe im Jahr 2015
ist jetzt eine Integrationsperspektive dran“ – das forderte Vorstand
Günther Bauer bei der Jahrespressekonferenz der Inneren Mission
München. Man stehe nun am Anfang einer Phase, die drei bis fünf
Jahre dauert. Wichtigste Ziele
seien, für Flüchtlinge Deutschunterricht und Schulangebote sowie die berufliche Qualifikation
auszubauen, Wohnraum zu schaffen und einen kulturellen und religiösen Dialog aufzubauen.
Nach dem Königssteiner Schlüssel war München verpflichtet,
2015 rund 17.000 Flüchtlinge aufzunehmen; das entspricht etwa 1,1
Prozent der Einwohner. Viele davon würden dauerhaft bleiben. Es
sei noch schwer, genau zu sagen,
wie viele Flüchtlinge eine Bleibeperspektive haben.
„Mia san mia“ geht nicht
Integration müsse jedoch ein
wechselseitiger Prozess sein. Der
Ansatz „Mia san mia – und Ihr
müsst Euch anpassen“ funktioniere nicht. Bauer wörtlich: „Die Menschen, die zu uns kommen, müssen bereit sein, sich zu integrieren.
Auch die Gesellschaft muss offen
sein und sich ständig verändern.“
Aufgrund von Tradition und
Verfasstheit gebe es aber Punkte,
die nicht verhandelbar sind. „Der
Schutz der Schwachen muss in unserem Rechtsstaat überall ganz
vorne stehen“, betonte Bauer. Das
Gewaltmonopol liege beim Staat.
Not könne niemals Gewalt legitimieren, „nicht in Syrien, nicht in
Köln und auch nicht in München“. Damit bezog er sich auch
auf einen Vorfall in der Bayern-Kaserne, bei dem mehrere nigerianische Frauen einen Mitarbeitenden
der Inneren Mission tätlich angegriffen hatten.
Wichtig für eine gelingende Integration sei zudem der Ausbau
der Migrationsberatung, die für
Geflüchtete mit Aufenthalts- und
Bleiberecht zuständig ist. Allein im
vergangenen Jahr sei bei der Migrationsberatung der Inneren Mission München die Zahl der Beratungen um 300 Prozent gestiegen.
Um mit der Entwicklung mitzuhalten, müsse 2016 die derzeitige Zahl
der Mitarbeitenden von acht auf
16 und im kommenden Jahr noch
einmal auf 32 steigen. Da sei der
Bund gefordert, die nötigen Mittel
bereitzustellen, sagte Bauer.
Als „zu niedrig“ schätzte er die
Prognose des Bundesamtes für Migration ein, der zufolge heuer
500.000 Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Betrachte man die
Situation in Ländern wie Syrien,
Afghanistan, Irak und Eritrea, die
an der Spitze der Flüchtlingszahlen
stehen, „fällt es schwer, zu glauben, dass sich an dem Konfliktpotential und den Fluchtursachen
dort 2016 etwas ändert“.
„Die Fürsorge für Flüchtlinge ist
und bleibt eine gesamteuropäische
Pflicht“, betonte der Vorstand der
Inneren Mission München. Wer
diese verwehrt, verweigere nicht
nur Solidarität, sondern auch Humanität – und würde damit im
Kern die Seele Europas verletzen.
Die Alternative zur Nothilfe für
Flüchtlinge und die Integration
von Geflüchteten wäre ein „Grenzregime“ mit massiven negativen
Folgen – nicht nur für das Leben
von Flüchtlingen und Vertriebenen, sondern auch für die sich abschottenden Gesellschaften.
Sprachvielfalt als Chance
„Wir sind mit voller Kraft dabei,
um die Situation in München zu
bewältigen“, resümierte Andrea
Betz, die bei der Inneren Mission
seit Oktober 2015 die Abteilung
Hilfen für Flüchtlinge, Migration
und Integration leitet. Das sei nur
dank sehr engagierter Mitarbeiten-
der möglich. „Sie machen mit qualifiziertem und engagiertem Einsatz unsere Arbeit bunt.“ 38 Sprachen sprechen die rund 110 Mitarbeitenden. „Das ist eine riesige
Chance, um in den Beratungsgesprächen auf die Flüchtlinge einzugehen.“
Alle Angebote aus einer Hand
Derzeit betreut die Innere Mission in den Erstaufnahmeeinrichtungen der Bayern-Kaserne und
ihren Dependancen, in Gemeinschaftsunterkünften und Notdependancen insgesamt rund 5.500
geflüchtete Menschen, darunter
1.800 Kinder und Jugendliche zwischen null und 18 Jahren. Im Jahr
2016 werde sich mit der Eröffnung
weiterer Unterkünfte diese Zahl
voraussichtlich auf mehr als
10.000 erhöhen.
Gute Erfahrungen bei der
Flüchtlingsbetreuung habe die Innere Mission München mit ihrem
„Alles aus einer Hand“-Konzept
gemacht. Dabei übernimmt die Innere Mission in den Einrichtungen
nicht nur die Asylsozialberatung,
sondern auch die Betriebsführung,
die Ehrenamtskoordination sowie
die Unterstützungsangebote für
Kinder und Jugendliche. „Das sind
die vier Säulen – die ,Must-haves‘ –
für jede gelungene Form der Betriebsführung und Betreuung“,
sagte Betz. Insbesondere die Angebote für Kinder im Bereich Bildung
und Gesundheit sollen – auch mit
Hilfe von Ehrenamtlichen – 2016
ausgebaut werden.
Großes Lob gab es für die rund
600 Ehrenamtlichen, die sich derzeit in der Flüchtlingsarbeit der Inneren Mission München engagieren. „Sie haben uns sehr geholfen,
Herausforderungen in den Unterkünften zu begegnen, Konflikte zu
bewältigen und einen Strauß von
Angeboten bereitzustellen.“
Isabel Hartmann
So feiern andere Religionen (April – Juli 2016)
April
23. – 30. April:
Passah (jüdisch)
Mai
3. Mai:
4. Mai:
5. – 6. Mai:
21. Mai:
21. Mai:
26. Mai:
Lailat al-Miraj (islamisch)
Yom HaShoah (jüdisch)
Hidirellez (islamisch)
Saka Dawa Vesak 2560 (buddhistisch)
Lailat al-Baraat (islamisch)
LagBaOmer (jüdisch)
Juni
6. Juni:
12. – 13. Juni:
Ramadan Beginn (islamisch)
Schawuot (jüdisch)
Juli
1. Juli:
5. – 7. Juli:
6. Juli:
19. Juli:
Lailat al-Qadr (islamisch)
Id al-Fitr, Ramadan Ende (islamisch)
Ratha Yatra (hinduistisch)
Asalha Puja (buddhistisch)
InterKulturelle Akademie und Akademie für Politische
Bildung: Tagung zu EU-Arbeitnehmerfreizügigkeit
Erfolgsgeschichte
Arbeitnehmermobilität?
Bis vor Kurzem galt: Zuwanderung
nach Deutschland ist vor allem Zuwanderung aus der Europäischen
Union, insbesondere aus Polen, Rumänien und Bulgarien. Auch wenn
momentan die Hilfe für die vielen
neu ankommenden Flüchtlinge im
Vordergrund steht, bleibt die Zuwanderung und die Integration von
Menschen aus den ost- und südosteuropäischen Staaten weiterhin ein
Thema: in der sozialen Arbeit, für
die Unternehmen und Arbeitsmarktakteure – und nicht zuletzt
auch für die Herkunftsländer selbst.
Eine vorläufige Bilanz zur Umsetzung der EU-Arbeitnehmerfreizügigkeit zog im November die Tagung „Erfolgsgeschichte Arbeitnehmermobilität – deutsche und
südosteuropäische Perspektiven“
der InterKulturellen Akademie der
Inneren Mission München in Kooperation mit der Akademie für
Politische Bildung Tutzing.
Gewinne und Kosten der Zuwanderung seien dabei ungleich
verteilt, legte Dr. Carola Burkert
vom Institut für Arbeitsmarkt- und
Berufsforschung (IAB) dar. Nach
Bayern ziehe es überproportional
viele Menschen aus Rumänien
und Bulgarien. Untersuchungen
zeigten, dass in Städten wie München die Arbeitslosigkeit der Migranten aus Südosteuropa trotzdem nur recht wenig über dem
Durchschnitt liegt – anders als in
manchen Städten des Ruhrgebiets.
Mobilität als Chance
Bildung ist der Generalschlüssel für eine erfolgreiche Integration.
Foto: Matthias Balk / picture alliance
Dass es dennoch auch in München ein breites Spektrum zwischen
Akademikern und Tagelöhnern
gibt, zeigten die Beiträge der
Münchner Integrationsakteure: Andreea Untaru, Leiterin von Schiller
25 – Migrationsberatung Wohnungsloser, Dr. Magdalena ZiolekSkrzypczak vom Referat für Arbeit
und Wirtschaft der Landeshauptstadt München sowie Sevghin Mayr
vom Infozentrum Migration und
Arbeit berichteten über ihre Erfahrungen bei der Integration von Zuwanderern aus Ost- und Südosteuropa. Trotz aller Herausforderun-
gen bei der Integration in Arbeitsmarkt und Gesellschaft ist Deutschland unter dem Strich der Gewinner der Arbeitnehmermobilität. Die
Bilanz für die Herkunftsländer fällt
hingegen gemischt aus. Dies zeigten die Berichte von Dr. Michal
Moszynski von der Universität Torun (Polen) sowie von Vesela Kovacheva vom Hamburgischen WeltWirtschaftsInstitut.
Demographischer Wandel
Die Abwanderung entlaste einerseits die Arbeitsmärkte in Polen, Rumänien und Bulgarien. Andererseits hätten diese Länder
noch weitaus mehr mit dem demografischen Wandel zu kämpfen als
Deutschland, weil viele junge und
in der Mehrheit auch gut qualifizierte Menschen weggehen. Und in
manchen Bereichen fehlten dann
dort die Fachleute, die von der
deutschen Wirtschaft dringend gesucht werden, zum Beispiel im
Handwerk und im Gesundheitswesen. Auch die sozialen Kosten
seien hoch, wenn Kinder bei den
Großeltern aufwachsen, weil die
Eltern im Ausland arbeiten.
Aus Sicht der bayerischen Wirtschaft wäre es wünschenswert,
Fachkräfte längerfristig zu binden,
sagte Jens Wucherpfennig von der
IHK für München und Oberbayern. Die Anerkennung von im
Ausland erworbenen Qualifikationen, zu der mittlerweile viele Institutionen beraten, erleichtere es
Fachkräften, eine Beschäftigung
entsprechend ihrer Qualifikation
zu finden, resümierte Atanaska
Encheva von der IQ-Fachstelle „Beratung und Qualifizierung“.
Um wirklich in Deutschland anzukommen, brauche es aber mehr
als nur ein ausreichendes Einkommen. Neben hinreichendem
Wohnraum spielen weiche Faktoren eine große Rolle: Gibt es Integrationsangebote für die Familien
der Arbeitnehmer? Gibt es gute
Angebote zum Spracherwerb? Gibt
es funktionierende Netzwerke, um
sich in Deutschland einzuleben?
Sabine Lindau
Nr. 73 · 2016
Seite 3
Eva Jung-Kramer betreut seit 16 Jahren ehrenamtlich Straffällige
„Ich sehe den Menschen und nicht die Straftat“
Eigentlich wollte Eva Jung-Kramer
sich damals, vor 16 Jahren, bei der
Freiwilligenorganisation Tatendrang nur informieren, was sie ehrenamtlich machen könnte, wenn
sie in Rente geht. „Straffälligenhilfe“ war das Ergebnis der Beratung.
Vor drei Jahren ist sie in Rente gegangen, doch mit dem Ehrenamt
hat sie damals gleich angefangen:
„Die haben mich einfach nicht
wieder losgelassen“, erzählt sie
und lacht.
Die Insassen können einen Antrag auf einen ehrenamtlichen Helfer stellen; dafür bekommen sie
Hafterleichterung. „Die Jungs fas-
Und manche schildern auch ihre
Taten. Jung-Krämer versucht, jeden
so anzunehmen, wie er ist: „Ich sehe den Menschen und nicht die
Eine bewusste Entscheidung
Die 65-Jährige ist eine von rund
35 Ehrenamtlichen, die sich derzeit
bei der Evangelischen Straffälligenhilfe um Häftlinge in den südbayerischen Justizvollzugsanstalten (JVA) kümmern: Sie schreiben
ihnen Briefe, besuchen sie regelmäßig im Gefängnis, begleiten sie,
wenn sie Ausgang oder Urlaub haben und stehen ihnen manchmal
auch noch zur Seite, wenn sie aus
dem Gefängnis entlassen werden.
Kurz: Sie wollen ihnen den Weg
zurück in ein Leben außerhalb der
Gefängnismauern erleichtern.
Einmal im Monat fährt Eva
Jung-Kramer in die JVA Niederschönenfeld, in der Nähe von Donauwörth. Dort sitzen Erststraftäter
zwischen 21 und 28 Jahren ein,
unter anderem wegen Diebstahls,
Dealens, Totschlags, versuchten
Mordes. Die Münchnerin hat sich
bewusst für diese Haftanstalt entschieden: „Gerade bei den Jungen
hat man noch Hoffnung und kann
etwas bewirken“, sagt sie.
„Die Jungs wollen Freiheit spüren“: Eva Jung-Kramer hilft Straftätern, geregelte
Wege aus dem Leben hinter Gittern zu finden.
Foto: isa
sen schnell Vertrauen zu mir, weil
sie sehen, dass ich nicht die Justiz
bin und das, was gesprochen wird,
unter uns bleibt“, sagt Eva JungKramer. Sie redet mit ihnen über
das Essen im Knast, über Probleme
mit den Mitinsassen und Wärtern.
Sie hört zu, wenn sich die Familie
abwendet, wenn Beziehungen auseinander gehen oder wenn es um
die Zeit nach dem Gefängnis geht.
Straftat.“ Anfangs hat Eva JungKramer nur ihrer Familie und den
engsten Freunden vom Ehrenamt
erzählt. Weil sie immer wieder gemerkt hat, dass Menschen mit Vorbehalten darauf reagieren: „Warum engagierst Du Dich denn gerade für die? Den Opfern geht es
doch viel schlechter“, hört sie
dann meistens. Ihre Antwort: „Ich
habe mich für diese Seite entschie-
den“, antwortet sie dann. Das Ehrenamt ist für mich befriedigend.“
Eine soziale Ader habe sie schon
immer gehabt, sei immer gut mit
Menschen ausgekommen, egal welchen Hintergrund sie hatten. Ganz
früh haben sie ihre Eltern in den
Kindergarten gegeben – was zu dieser Zeit keine Selbstverständlichkeit
war. Da war sie mit Kindern aus sozial schwachen Familien zusammen. Und hat selber gemerkt: „Es
geht nicht allen so gut wie mir.“
Sie hat in ihrem Leben keine
Tiefschläge erlebt und möchte jetzt
gerne etwas abgeben. Und doch:
„Man kann nicht nur Gutmensch
sein, man muss sich hinterfragen
können“, sagt sie. Und eigene Ansprüche hinten anstellen. Die 115
Kilometer Fahrt von Niederschönenfeld nach München helfe, Abstand zu gewinnen: „Da kreisen
bei mir noch oft die Gedanken.“
Und doch gibt es Fälle, die sie
nicht so einfach loslassen. So wie
bei Marek*: Er ist in Polen geboren
und in Deutschland aufgewachsen, war Dealer und selbst drogenabhängig. Weil er seinen deutschen Pass nicht rechtzeitig beantragt hatte, wusste der 25-Jährige
nicht, ob er abgeschoben wird – in
ein Land, das er gar nicht kannte.
„Die Ungewissheit war grauenvoll“, erinnert sich Jung-Kramer.
„Der Richter war das Zünglein an
der Waage.“ Er hat dann entschieden, dass Marek in Deutschland
bleiben darf.
Auch die ersten Schritte außerhalb der Gefängnismauern macht
sie mit ihren Schützlingen, wenn
Maja Demirovic hilft ehrenamtlich bei der Migrationsberatung Obdachloser „Schiller 25“ mit
Schenken und beschenkt werden
„Im Münchner Großstadtgewimmel halte ich kurz inne und nehme die Menschen wahr. Eine Gruppe junger Männer steht vor einem
blauen Eckhaus, einer nach dem
anderen tritt hinein. Ich sehe genauer hin, ,Schiller 25 – Migrationsberatung Wohnungsloser‘
steht auf einem Schild. Auch ich
gehe durch die Tür und werde von
einer jungen Frau begrüßt: ,Was
kann ich für Sie tun?‘
Umsichtig und wertschätzend
Während des laufenden Parteienverkehrs darf ich Fragen stellen.
Die Antworten höre ich, aber vor
allem sehe ich sie ,live und in Farbe‘. Es gefällt mir, wie wertschätzend und umsichtig alle miteinander umgehen. Die respektvolle, tatkräftige und fröhliche Art der fleißigen Mitarbeitenden gibt den
Ausschlag, gerne mitmachen zu
wollen. ,Ich möchte hier ehrenamtlich arbeiten und mithelfen‘,
sage ich. Die Antwort am Ende des
Gesprächs kommt sehr offen: ,Du
bist willkommen!‘ Das ist auch das
Credo der Einrichtung Schiller 25 –
und wird tagtäglich gelebt.
Auf Worte folgen Taten, wir lernen uns kennen, ich werde in den
Räumlichkeiten herumgeführt und
erfahre mehr über wichtige Basisthemen. Wir sprechen unsere gemeinsamen Werte an. Das überzeugt mich. Gerade das Klare und
Konkrete. Schwuppdiwupp bin ich
bei der informativen Einführung
zum Thema Kälteschutzprogramm
und dessen administrativen Aufgaben – wichtig für mich als zukünftige Helferin hinter dem
Frontoffice. Ab dem Zeitpunkt
bin ich ein Teil des EhrenamtTeams von Schiller 25.
Hier kann ich kurzfristig helfen,
indem ich einen kleinen bürokratischen Akt ausübe: Ich stelle unkompliziert individuelle Berechtigungen zum Übernachten an einem warmen Ort aus – eine Situation, die sich in der Schillerstraße
25 tagtäglich wiederholt. Dadurch
bekommen viele Menschen einen
kurzen Moment Erleichterung. Vor
meiner Tätigkeit hier wusste ich
nicht, dass es in München für alle
finanzierte gesicherte Übernachtungsmöglichkeiten gibt – ohne
,Wenn und Aber‘. Und nun unterstütze ich aktiv Obdachlose.
Papiertechnisch ist alles soweit
klar. Mein Gegenüber reicht mir
sein Wertvollstes: seinen Ausweis.
Und seine Aufmerksamkeit. Ich begrüße ihn, nehme das Dokument
und beginne mit der Anmeldung
für die Notschlafstelle. Alles läuft,
die Erstellung der Übernachtungsscheine klappt sehr schnell, das
Ziel ist erreicht.
Zwischenmenschlich, während
des Vorganges, spüre ich oft einen
schnellen Blick – er erreicht mich
innen wie außen. Nachdem ich
die Dokumente registriert und
überprüft habe, setze ich schwung-
Das Leben kommt an den Tresen:
Hilfesuchender in der Beratungsstelle
Schiller 25.
Foto: Erol Gurian
voll den offiziellen Stempel auf
das Papier und reiche es über den
Tresen.
Andauernde Freude
Der Mensch nimmt das Papier,
schiebt es schnell in seine Tasche
und sieht mich über den Tresen
hinweg nochmal an. Dann dreht
er sich rasch weg, um in die Welt
hinauszugehen. Nochmal ein kurzer geschenkter Blick. Wirklich
überraschend für mich ist das Gefühl der Freude am ehrenamtlichen Dienst. Man spürt diese
Freude vor, während, aber vor allem nach der Arbeit. Noch tiefer
empfinde ich das Staunen, wer alles vor uns steht. Zu den Obdachlosen hatte ich bisher eher eine
,Huschblick-Beziehung‘: Ich sah
sie, sah sie aber auch nicht. Persönlich kannte ich vorher keinen.
Seit meiner Aufgabe bei Schiller 25
sehe ich sie in ihrem ganzen Sein.
Jeden einzelnen besonderen wertvollen Menschen.
Vorurteile? Enge Sichtweise?
Helfersyndrom? Alles Quatsch!
Das echte bunte Leben ruft, legt
seinen Ausweis auf den SchillerEmpfangstresen und will gelebt
werden. Und überrascht immer
wieder.“
Maja Demirovic
sie Ausgang haben. Die Wünsche
sind oft einfach: Kaffee trinken,
Kleidung für die Zeit nach der Haft
kaufen, durch die Stadt bummeln
oder „kulinarisch wunderbar essen
bei McDonalds“. Einer wünschte
sich, mit ihr zu wandern, ein anderer bat um eine Radtour. Da hat
sie die Räder der Familie in ihren
VW-Bus gepackt und ihn zur Tour
rund um einen See abgeholt.
Wege in die Freiheit zeigen
„Die Jungs wollen Freiheit spüren, denn im Gefängnis ist das Leben doch sehr klein geschaltet“,
sagt sie. Beim Ausgang seien sie
ganz andere Menschen: Viele seien
wieder wie Kinder, andere eher
ängstlich: „In den zwei bis drei
Jahren hinter Gittern verändert
sich die Welt sehr – gerade für so
junge Menschen.“
Zwischen 20 bis 30 Straftäter
hat Eva Jung-Kramer bisher betreut, ein bis zwei Jahre lang sieht
sie sie regelmäßig. Mit der Entlassung endet der Kontakt zu den
meisten.
Von manchen erfährt sie, dass
sie wieder hinter Gittern gelandet
sind, mit anderen freut sie sich,
wenn der Weg in die Freiheit geklappt hat. So wie bei Johann*: Er
hat eine Arbeit und eine Freundin
gefunden – und kürzlich eine
WhatsApp-Nachricht geschrieben,
dass er vier Tage Urlaub – seinen
allerersten im Leben – in einem
Vier-Sterne-Hotel verbringt.
Isabel Hartmann
*Namen von der Redaktion geändert
Ehrenamt bei der
Inneren Mission
Mehr als 2.000 Ehrenamtliche haben sich im vergangenen Jahr bei
der Inneren Mission München und
ihren Tochterfirmen engagiert: Sie
haben Flüchtlingen das Ankommen
in München erleichtert, sich für Kinder und Jugendliche eingesetzt,
psychisch kranke Menschen begleitet oder bei der diakonia Kleiderspenden sortiert.
Sie waren für ältere Menschen in
Heimen und ambulanten Einrichtungen der Hilfe im Alter da und
haben beim Evangelischen Hilfswerk Menschen am Rande der Gesellschaft unterstützt. Wir sagen ein
herzliches Dankeschön an alle Helferinnen und Helfer!
Auf den folgenden Seiten wollen
wir Ihnen ein paar der Ehrenamtlichen und die vielfältigen Möglichkeiten eines Ehrenamts bei der Inneren Mission München vorstellen.
Falls Sie Interesse an einem Ehrenamt haben, melden Sie sich gerne
bei Michael Frieß unter Telefon
089/12 69 91-114 oder per E-Mail
[email protected]
Einen Überblick über offene Ehrenamtsstellen finden Sie unter
www.im-muenchen.de/ehrenamt.
Ansprechpartnerin für Ehrenamtliche bei diakonia: Brigitte Knipp,
Tel. 089/12 15 95-45 oder per
E-Mail: [email protected]
Isabel Hartmann
Seite 4
Nr. 73 · 2016
Pfarrerin Martina Kreis leitet die neu geschaffene „Fachstelle Volunteering / Ehrenamt“
Netzwerkerin in Sachen Flüchtlingshilfe
Viele Jahre lang war Martina Kreis
bei „diakonia secondhand“ als Bereichsleiterin für die Sortierung
und Verteilung der Kleiderspenden
zuständig und dort sozusagen das
„Gesicht der Flüchtlingshilfe“ (siehe auch Seite 15). Jetzt hat sie bei
der Inneren Mission eine andere
Aufgabe übernommen: Seit Anfang dieses Jahres leitet die 55-Jährige die neu geschaffene – und
vom Münchner Stadtrat vorerst befristet finanzierte – Fachstelle Volunteering / Ehrenamt in der Abteilung „Hilfen für Flüchtlinge, Migration und Integration“.
Zu ihren Aufgaben gehört es,
die zahlreichen Kontakte mit Freiwilligen zu koordinieren. Während
Kreis sich um die Ehrenamtlichen
in den Gemeinschaftsunterkünften
und kommunalen Flüchtlingseinrichtungen kümmert sowie für
übergeordnete Kontakte in der
Flüchtlingshilfe – beispielsweise zu
Kirchengemeinden im Dekanat –
zuständig ist, bearbeiten ihre Kolleginnen Andrea Yanez und Julia
Helmbrecht die konkreten Anfragen in der Bayern-Kaserne und
den Dependancen sowie auch am
„Lighthouse Welcome Center“.
Zusätzlich gehört zu ihrem neuen Aufgabenbereich die interne
Absprache mit der – ebenfalls bei
der Inneren Mission München angesiedelten – InterKulturellen Akademie. Hier geht es vor allem darum, bedarfsgerechte und zentrale
Unterstützungs- und Schulungsangebote für Ehrenamtliche zu konzipieren und umzusetzen.
Potentiale gezielt einsetzen
Mit ihrer neuen Aufgabe setzt
Kreis das nahtlos fort, was sie in
ihrem vorigen Beruf jahrelang erfolgreich betrieben hat: „Wir müssen uns mit unseren Angeboten
nach außen hin öffnen und verstärkt netzwerken.“ Als zentrale
Ansprechpartnerin ist die Pfarrerin
an der Schnittstelle zu den vielen
Helferkreisen vor Ort tätig; hier
bringt sie Angebot und Nachfrage
ehrenamtlichen Engagements
möglichst passgenau in Einklang.
Gemeinsam mit den Sozialberatern in den Gemeinschaftsunterkünften möchte sie den Bereich der
Patenschaften für einzelne Flüchtlinge oder auch ganze Familien
ausbauen. Und als Theologin
denkt sie auch darüber nach, mit
welchen interreligiösen Angeboten
ihr Arbeitgeber beispielsweise auf
Sterbefälle von Nicht-Christen rea-
Tolle Leute, tolle Erfahrungen: Für Waltraud Schwabl (r.) ist ihr Ehrenamt ein
willkommener Ausgleich zum Alltag.
Foto: Christine Maier
gieren könnte. „Da liegen viele
Aufgaben vor uns, von denen wir
jetzt noch gar nicht wissen, wie die
überhaupt aussehen.“
Einen regelrechten „Adlerblick“
will sie von ihrer übergeordneten
Warte aus einnehmen: Die Übersicht bekommen, Ideen aufnehmen und gezielt einbringen, wo sie
passen. Neulich etwa war Kreis bei
einem Helferkreis in Freiham; viele
andere Besuche und Gespräche
stehen demnächst auf ihrem Terminplan. „Ich bin eine Handlungsreisende in Sachen Flüchtlingshilfe und freue mich darauf,
möglichst viele Leute kennenzulernen und sie mit ihrem Potential
optimal einzusetzen.“
Kontakt zu Spendern halten
Dazu gehört auch, mit möglichen Spendern Kontakt aufzunehmen und die vorhandenen zu
pflegen. „Wenn die Leute wissen,
wofür sie konkret spenden, dann
geben sie auch gerne.“ Mit den
Freiwilligen führt sie erste Gespräche, findet heraus, was sie wollen
– und was sie können – und
schaut dann, dass sie einen idealen Einsatzplatz bekommen. Sie
hilft, wenn es um den Antrag für
Auch heute werde ich außer der Reihe für die Senioren mithelfen zu kochen, es hat sich gestern so ergeben.
Ich habe Glück, dass mir alle
Leute im Stadtteilbüro von Anfang
an so freundlich begegnet sind.
Deshalb fühle ich mich bis heute
dort sehr gut aufgehoben. Allen
anderen Ehrenamtlichen – wir
sind so um die 60 – ergeht es wie
mir: Wir sind mit dem gesamten
Team des Stadtteilbüros Neuperlach wirklich verbunden.
Das Team organisiert das ganze
Jahr über immer wieder tolle Veranstaltungen für uns Ehrenamtliche. Dieses Jahr war ich auf einem
Tagesausflug im Chiemgau dabei
und zur Weihnachtsfeier und zum
Grillfest eingeladen. Außer der Reihe habe ich beim Adventsmarkt
und beim Grillfest Kuchen verkauft. Es macht mir echte Freude.
Herzliches Klima
Waltraud Schwabl hilft ehrenamtlich an der Infotheke
des Stadtteilbüros Neuperlach
Echte Freude
„Zu meinem Ehrenamt bin ich
über meine Nachbarin gekommen. Sie betreut im Stadtteilbüro
ältere Menschen und hat mir vorgeschlagen, auch mal dort anzufragen.
Ich habe mich für ein Ehrenamt
entschieden, weil die Woche für
mich dadurch wieder ein Stück
mehr Struktur gewonnen hat und
weil ich auch sehr gerne wieder
mehr Kontakte zu Menschen in
meiner nahen Umgebung haben
wollte. Und das habe ich im Stadtteilbüro wirklich gefunden, mir
macht es immer viel Spaß, dort
auszuhelfen.
Zuerst war ich in unserer Kleiderausgabe. Das hat mir nicht so
gut gefallen, daher bin ich jetzt an
der Infotheke. In der Regel helfe
ich zweimal im Monat gute zwei
Stunden aus, zurzeit sogar einmal
die Woche: Ich beantworte das Telefon, nehme Kleiderspenden entgegen oder höre den Menschen,
die kommen, einfach nur zu.
Unterschiedlichste Anliegen
Sie haben sehr unterschiedliche
Anliegen: Viele Leute kommen mit
Anträgen, zum Beispiel für Kindergeld oder Hartz IV. Ich vergebe
dann Termine für die Ausfüllhilfe.
Ich wohne gleich um die Ecke
vom Stadtteilbüro, da kann ich
auch mal spontan einspringen.
Ich war früher Hauswirtschafterin von Beruf, bin jetzt aber viel zu
Hause. Die Bürotätigkeiten im
Stadtteilbüro sind ein Ausgleich
für mich. Meinen Mitmenschen
kann ich nur empfehlen, sich irgendein Ehrenamt in München
oder Umgebung zu suchen, wenn
es ihre Zeit irgendwie zulässt: Man
lernt tolle Leute und Mitarbeitende
kennen. Das Klima ist nicht rau,
sondern wirklich sehr herzlich. Wir
sind leider viel nur damit beschäftigt, für Geld in die Arbeit zu laufen, was oft mit viel Stress verbunden ist. Das empfinde ich bei meinem persönlichen Ehrenamt überhaupt nicht.
Jetzt habe ich ab Mai einen
neuen 450-Euro-Job gefunden, wieder im Haushalt. Deshalb schraube ich dann meinen Einsatz ein
klein wenig zurück. Aber ich werde
auf weitere Jahre sicherlich gerne
dabei bleiben.“
Protokoll: Isabel Hartmann
Powerfrau mit Sinn für Vernetzung auf allen Ebenen: Pfarrerin Martina Kreis
ist bei den Migrationsdiensten seit Anfang dieses Jahres für die Betreuung von
Ehrenamtlichen zuständig.
Foto: Erol Gurian
ein erweitertes Führungszeugnis
geht, das man braucht, wenn
man sich für Menschen engagieren will. Nur durch gute Unterstützung und Begleitung lasse sich die
in der Flüchtlingshilfe langfristig
notwendige Qualität der Arbeit sicherstellen.
Gleichzeitig will Martina Kreis
auch den generellen Blick weiten
für das, was nötig ist. Beim Gespräch in Freiham beispielsweise
waren Vertreter der dort ansässigen Firmen dabei und boten ihre
Hilfe an: Stühle, Tische, Material.
Das sei natürlich gut und hilfreich,
sagt die aus der westfälischen Lan-
deskirche stammende Theologin,
mittelfristig wolle sie die Blickrichtung zusätzlich aber auch umdrehen. „Wir brauchen Praktikumsplätze und Stellenangebote für die
Flüchtlinge.“
Damit da auf beiden Seiten kein
Kulturschock entsteht, müsse man
intensive Vorarbeit leisten. Genau
das also, was ihr liegt.
Klaus Honigschnabel
Wer sich in der Flüchtlingshilfe
engagieren will, kann sich direkt
an Martina Kreis wenden:
Tel.: 089/5 20 31 79-07 oder per
E-Mail: [email protected]
Raus aus der Flüchtlingsunterkunft –
rein ins Vergnügen!
Insgesamt drei Vorstellungen gab die Clownsgruppe „Calypso Company“
bei ihrem Besuch in München – und ein Teil der kostenlosen Karten war für
Flüchtlingsfamilien mit Kindern reserviert, die sonst kaum Gelegenheit haben, sich so eine Veranstaltung anzusehen.
Organisiert hatte das Ganze Frank Striegler von der Evangelischen Familienbildungsstätte Elly Heuss-Knapp, die Evangelische StadtAkademie stellte ihre Räume kostenfrei zur Verfügung – und die vier Clowns verzichteten
auf einen Großteil ihrer Gage.
Striegler, der in Dachau seit Jahrzehnten die Kleinkunstbühne „Leierkasten“ managt sowie die jährlichen „Theatertage“, hatte zudem das Busunternehmen Simperl dazu bewogen, die Bewohner aus der Bayern-Kaserne kostenfrei zur Aufführung zu fahren.
Eine weitere – ebenfalls kostenlose – Aufführung fand dann in der Gemeinschaftsunterkunft in der Landsberger Straße (Foto) statt. Da die Künstlergruppe, die bereits mehrfach für den Verein „Clowns ohne Grenzen“ in der
Welt unterwegs war, bei allen ihren Stücken weitgehend auf Sprache verzichtete, gab es auch kaum Verständigungsprobleme: Kinder und Eltern
waren allesamt begeistert.
Serena Widmann, die tatkräftig mitgeholfen hatte bei den Vorbereitungen,
konnte nur Euphorisches berichten: „Die Leute waren so froh, aus der
Unterkunft rauszukommen und endlich einmal auch mit voller Kraft und
ganz unbeschwert lachen zu können!“
Auch im Bus habe noch eine tolle Stimmung geherrscht, alle waren glücklich und unheimlich dankbar, berichtet Widmann. „Die Kinder der Familien aus dem Irak und Afghanistan haben mich noch alle fest gedrückt und
unsere sonst so coolen afrikanischen jungen Männer und jungen Damen
meinten nur, ‚we never forget this funny show‘.“
Ein dickes Dankeschön an alle, die mitgeholfen haben!
Klaus Honigschnabel / Foto: Erol Gurian
Nr. 73 · 2016
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Bayern-Kaserne: Ehrenamtliche haben 2015 mehr als 20.000 Flüchtlinge mit dem
Nötigsten ausgestattet
„Sie sind das Herzstück der
Kleiderkammer“
„Wir geben Kleidung und Menschlichkeit“ – sollte die Kleiderkammer in der Bayern-Kaserne sich einen Slogan suchen, würde wohl
keiner besser passen als dieser einfache Satz. Neben gespendeter
Kleidung, einem Rucksack, einer
Tasche, einem Koffer oder Hygieneartikeln wie Shampoo, Duschgel
und Zahnpflege, gibt es hier ein
Lächeln, aufmunternde Worte und
Gesten. Und manchmal auch eine
kleine Einführung in die deutsche
Gründlichkeit: beim Anstehen zur
Nummernausgabe, beim Checken
der Papiere und bei der gerechten
Verteilung an alle.
es gab auch viele Tatkräftige, die
mehrmals kamen und als fester
Kern geblieben sind.
Die Ehrenamtlichen in der Kleiderkammer haben durch ihre Art,
die Flüchtlinge willkommen zu
heißen, gezeigt, dass Menschlichkeit unendlich viele Gesichter hat.
Sie waren so bunt gemischt wie die
Neuankömmlinge: Ganz unterschiedliche Persönlichkeiten tummelten sich in Halle 28 und haben
die Räumlichkeiten stets mit Wärme und Herzlichkeit erfüllt.
Wir haben viel gelacht, aber
zum Teil sind auch auf beiden Seiten ein paar Tränen geflossen: vor
hen. Sie gehen nun offener auf
neue Leute zu – und haben nette
Begegnungen, die sie sonst nicht
hätten. Sie haben gemerkt, dass
Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft universelle Werte sind, die
nicht vieler Worte bedürfen, sondern die sie mit kleinen Gesten
und einem Lächeln ausdrücken
können.
Alle waren willkommen zu helfen: Firmen, Einzelpersonen, Familien – einfach alle. Sie konnten sehen, dass Menschen zu uns kommen, nicht Lawinen, Wellen oder
Fluten. Es sind Individuen, die eine
Geschichte und ein Schicksal haben, ihren eigenen Geschmack
und eine Persönlichkeit.
Von ganzem Herzen Dank
Vor der Kleiderausgabe steht die Sortierung. Ohne ehrenamtliche Hilfe hätte
die diakonia die Kleiderberge nicht bewältigt.
Foto: Erol Gurian
Von Dienstag bis Samstag geben
wir in der Bayern-Kaserne Kleidung
an die Flüchtlinge aus, die neu in
München angekommen sind. Dabei sind die Ehrenamtlichen das
Herzstück der Kleiderkammer.
2015 war ein Jahr der Extreme –
die Zahlen der Flüchtlinge, der
Pressemitteilungen und der freiwilligen Helfer überschlugen sich. Einige schauten nur einmal vorbei,
um sich selbst ein Bild zu machen
und um mitreden zu können. Aber
Rührung, Dankbarkeit oder Anteilnahme. Jacken, Hosen, Schuhe
und Socken fanden dank der Hilfe
unserer Ehrenamtlichen glückliche
neue Besitzer. Beim Auswählen der
Kleidung signalisierten in die Höhe
gereckte Daumen Zustimmung.
Und ein Zucken der Mundwinkel
verriet: Vielleicht gibt es etwas Passenderes. Viele der regelmäßig Helfenden berichten, wie diese Tätigkeit ihr Leben und die Art beeinflusst, wie sie mit anderen umge-
Und jeder Helfende merkte, dass
es Menschen gibt, mit denen man
von Anfang an sehr gut auskommen und umgehen kann, die einen rühren und einem vor Dankbarkeit um den Hals fallen. Aber
auch, dass es andere gibt, deren
Auffassung vom Leben sich nicht
mit der eigenen deckt und bei denen sich Kommunikation und Verständnis eher schwierig gestalten.
An dieser Stelle möchte ich unbedingt auch die tatkräftigen Helfenden in der Spendensortierung
in der Dachauer Straße und am
Stahlgruberring erwähnen. Sie haben viel Liebe und Sorgfalt in ihre
Arbeit gesteckt und eine Breite an
Emotionen gezeigt – von Ungläubigkeit über Rührung bis hin zu
purer Freude über die Spenden.
Mehr als 20.000 Personen haben wir 2015 in der Kleiderkammer der Bayern-Kaserne mit dem
Nötigsten ausgestattet und so einen Beitrag zur Willkommenskultur geleistet. Das war nur mit Hilfe
der vielen Ehrenamtlichen möglich – ihnen allen sei an dieser
Stelle von Herzen gedankt.“
Vanessa Hadzic
Serena Widmann betreut seit vier Jahren Flüchtlinge in der Bayern-Kaserne
„Wir wissen nicht, wie wir das ohne Sie geschafft hätten“
„Es kam eine afghanische Familie
zu uns, die bereits seit ein paar Jahren in Deutschland lebte. Sie fragte
nach, ob ich ihnen helfen könne,
ihre Cousine zu finden. Nach ihrem
letzten Wissensstand sei sie nun in
der Bayern-Kaserne. Das Problem:
Ihre Cousine habe kein Handy und
sie können sie also nicht erreichen,
um einen Treffpunkt auszumachen.
Aufs Gelände der Bayern-Kaserne
dürften sie ja nicht.
Ich ließ mir den genauen Namen und das Geburtsdatum geben
und bin dann ins Haus 58 gegangen. Mir war klar, dass sie als alleinstehende junge Frau zu 99 Prozent hier zu finden sei. Und tatsächlich, die Security konnte mir
das Zimmer nennen und ich fand
sie dort auch.
Sie sprach kein Englisch und
nur mit Händen und Füßen konn-
te ich ihr erklären, dass sie mit mir
mitgehen solle. Das tat sie – eher
schüchtern, langsam und unwissend, was ich wollte.
Als wir durch das Tor kamen und
ihre Familie dort schon wartete,
brach sie in
meinen Armen zusammen und
fing bitterlich
zu weinen
an. Ich
brachte sie
vorsichtig
auf die Bank
beim „Lighthouse Welcome Center“ und dort
fielen sich ihre Cousine und sie in
die Arme.
Auf meine Frage, ob alles okay
sei, antwortete ihre deutschsprachige Cousine nur: ‚Wir sind so un-
endlich glücklich uns gefunden zu
haben. Wir hätten nicht gewusst,
wie wir das ohne Sie geschafft hätten. Das sind nur Freudentränen.‘
Nachdem ich für die Organisation und Verteilung von Freikartenkontingenten für Veranstaltungen,
Clubs und Events zuständig bin, ist
das Lighthouse immer unser Treffpunkt und für mich auch ein guter
Ort, um interessierte Flüchtlinge
während meiner Schichten für
neue Aktionen zu akquirieren.
Am schönsten ist es, wenn ich
Schicht habe und die jungen Menschen zu mir kommen und sich
immer wieder bedanken für einen
unvergesslichen Abend, zum Beispiel im Theater. Und sie sagen,
,dass sie diesen Abend nie vergessen werden und so glücklich waren
für ein paar Stunden‘. Das macht
mich dann auch sehr glücklich!“
Feldkirchens Bürgermeister Werner van der Weck (links) hat den Asylhelferkreis
beim Neujahrsempfang geehrt (vorne, v.l.n.r.): Michaela Strathmann, Christina Gruber, Friederike Dörner und Silja Bächli.
Foto: Marion Ohnes
Michaela Strathmann leitet mit Friederike Dörner den
Asylhelferkreis in Feldkirchen
„Es ist schön, dass unsere
Arbeit gesehen wird“
„Bei einer Infoveranstaltung der
Gemeinde Feldkirchen zu den
Flüchtlingen im November 2014
wurde gefragt, wer an einem Helferkreis Asyl interessiert wäre. Die
Resonanz in Feldkirchen war groß
und ich wurde schnell mit der Leitung und Koordination des Helferkreises beauftragt. Als dann im
Dezember zwölf Asylbewerber in
das VHS-Gebäude eingezogen
sind, haben sich viele Feldkirchner
bei der Gemeinde erkundigt, wie
sie helfen können – und sind so zu
uns gestoßen.
Jung und Alt gemeinsam
Im September 2015 kamen –
von einem Tag auf den anderen –
rund 90 junge Flüchtlinge nach
Feldkirchen. Die Evangelische Kinder- und Jugendhilfe hat spontan
ihren Saal als Notunterkunft zur
Verfügung gestellt. Mit nur ein
paar Stunden Vorlauf haben wir
zusammen mit den Mitarbeitenden
der Kinder- und Jugendhilfe alles
für die Jugendlichen organisiert:
Bettwäsche, Handtücher, Duschgel,
Fahrdienste aus der Bayern-Kaserne. Und haben in den vergangenen Monaten gemeinsam die Jugendlichen betreut.
Mittlerweile sind 150 Helferinnen und Helfer im Verteiler des
Asylhelferkreises; 30 bis 40 gehören zum festen Kern, der sich alle
zwei Wochen trifft. Bei uns ist alles
dabei, vom zwölfjährigen Schüler
bis zur 80-Jährigen Oma. Wir sind
gut aufgestellt, auch von den Berufen her haben wir eine große
Bandbreite – von der Krankenschwester bis zum Rechtsanwalt,
vom Immobilienmakler bis zum
IT-Fachmann.
Wenn ich eine Anfrage über unseren Verteiler schicke, bekomme
ich immer eine Antwort. Wir haben schon eine Kleiderkammer
aufgebaut und Deutschkurse mit
Unterstützung der Firma Brainlab
in Feldkirchen initiiert. Wir helfen
bei Arzt- und Behördengängen sowie bei der Jobsuche. Wir besor-
gen, was auch immer fehlt. Am
Wochenende organisieren wir Angebote für die Flüchtlinge. Es gibt
nichts, was wir noch nicht gemacht haben.
Am Anfang waren die Not und
das Elend der Flüchtlinge der Beweggrund für viele, zu helfen. Das
Thema war ja überall präsent, vor
allem in den Medien. In letzter
Zeit hat sich meinem Eindruck
nach die Stimmung geändert. Jetzt
machen wir unsere Arbeit, weil es
ohne Ehrenamtliche gar nicht ginge. Wenn wir einen Deutschkurs
für die Flüchtlinge beantragen,
kann das mehrere Monate dauern.
Wenn wir selber anpacken, geht es
schneller.
Wir im Helferkreis sorgen dafür,
dass es uns mit der ehrenamtlichen Arbeit gut geht. Als Leitung
können Friederike Dörner und ich
auch einiges auffangen. Denn es
gibt auch traurige Erlebnisse: In einer Woche sind Familienmitglieder
von drei Jugendlichen gestorben.
Da haben einige von uns auch die
Nacht zum Tag gemacht und die
Jugendlichen unterstützt und begleitet. In solchen Momenten ist es
wichtig, dass man da ist.
Nicht reden, sondern handeln
Es klappt bei uns gut, weil Leute
dabei sind, die nicht lange hadern
und warten, sondern einfach sagen: ‚Ich mache das‘.
Die Jungs sagen immer wieder
,Danke‘, ohne dass sie es müssten.
Es ist schön, dass unsere Arbeit gesehen wird. Mittlerweile sind die
restlichen Jugendlichen in die Sozialpädagogischen Wohngruppen in
Riemerling der Kinder- und Jugendhilfe Feldkirchen gezogen.
Doch wir Helfer können und wollen nicht ganz loslassen. Deshalb
haben wir ein Patenprogramm initiiert. Den Anstoß gab einer der Jugendlichen: ,Kannst Du nicht einfach meine Mama sein‘, hat er gefragt.“ (mehr dazu im nächsten
Diakonie-Report).
Protokoll: Isabel Hartmann
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Nr. 73 · 2016
Wohnangebote. Im Naturkindergarten am Weiherhäusle begrüßten eine engagierte Erzieherin und
fröhlich singende Kinder die Ehrenamtlichen.
Vielfältige Angebote
Der Herzogsägmühler Naturkindergarten kommt bei Kindern und Eltern sehr
gut an.
Foto: Gabriele Graff
Der Betriebsleiter der Gärtnerei
erläuterte die Aufgaben des Fachund Ausbildungsbetriebs und
stellte auf dem Friedhof die naturnahe Bestattung vor.
Die Tiergestützte Therapie mit
Pferden konnten die RundgangTeilnehmer in der SternstundenReithalle miterleben.
Im Haus Obland gab es Informationen zu Langzeittherapiemöglichkeiten sowie zum neuen
Schwerpunkt für Menschen mit
Sucht und psychischen Erkrankungen – und eine Besichtigung des
Neubaus.
Christliches Miteinander
Rundgang für Ehrenamtliche in Herzogsägmühle
Wege der Schöpfung
„Wege der Schöpfung“ – unter diesem Motto lud Personalreferentin
Gabriele Graff die Ehrenamtlichen
von Herzogsägmühle und den
Tochterunternehmen zum zweiten
Ehrenamtlichen-Rundgang ein.
40 freiwillige Helferinnen und
Helfer starteten in diesem Jahr in
der Friedhofskapelle. Und erfuhren
dort von der Personalreferentin,
wofür das Motto des Rundgangs
steht: für das Erleben von Mensch,
Tier und Natur – von Kindheit
über Problembewältigung bis hin
zu Spiritualität und Tod.
So vielfältig wie das Angebot
des Diakoniedorfs Herzogsägmühle waren auch die Stationen, darunter zum Beispiel die Landwirtschaft und suchttherapeutische
Wie macht man christliches
Miteinander und ein am Menschen orientiertes Zusammenarbeiten im Unternehmen Herzogsägmühle erlebbar? Auf diese Frage ging Direktor Wilfried Knorr in
der Martinskirche ein.
Der letzte Stopp: das Herzogsägmühler Café und Wirtshaus „Herzog“. Beim Mittagessen hatten die
Teilnehmenden genügend Zeit, um
sich über die vielen neuen Eindrücke des Vormittags auszutauschen.
Gabriele Graff
Hilfebedürftige zum Arzt begleiten,
mit Behörden, Ämtern und Versicherungen verhandeln oder ambulante Hilfe organisieren – die Aufgaben rechtlicher Betreuer sind vielfältig. Für dieses Ehrenamt sucht der
Betreuungsverein Innere Mission
München (BIMM) Helfer, die eine
gesetzliche Vertretung (rechtliche
Betreuung) übernehmen möchten
und pro Woche zwei Stunden ihrer
Zeit zur Verfügung stellen.
BIMM unterstützt mit seinen Ehrenamtlichen Menschen, die sich aufgrund von Altersverwirrung, psychischer Krankheit oder geistiger Behinderung nicht mehr selbstständig
um ihre rechtlichen Belange kümmern können.
Um die Ehrenamtlichen auf ihr Engagement vorzubereiten, bietet der
Verein ab April eine Schulungsreihe
an. Am 19. April startet diese mit einer generellen Einführung in das
Thema Betreuungsrecht. An drei
weiteren Terminen geht es um die
Bereiche Vermögenssorge und Vertretungsarbeit bei Behörden, Sozialleistungsträgern und Versicherungen (26. April), Gesundheitsfürsorge und Organisation ambulanter
Hilfen (3. Mai) sowie Fragen zu
Wohnungsangelegenheiten (10.
Mai). Alle Schulungen gehen jeweils
von 18 bis 20 Uhr; der anfallende
Unkostenbeitrag beträgt zehn Euro.
Für Interessierte gibt es außerdem
am 8. Juli die Informationsveranstaltung „Rechtliche Betreuung als Ehrenamt“ von 16 bis 18 Uhr. Die
Schulungen von BIMM finden in
Menschen mit ihren Eigenschaften akzeptieren
„Sechsundzwanzig Jahre lang war
ich Pflegekraft im Evangelischen
Alten- und Pflegeheim ‚FriedrichMeinzolt-Haus‘. Als ich 2006 in
Rente gegangen bin, habe ich
nahtlos mit einer ehrenamtlichen
Tätigkeit weitergemacht. Mittlerweile bin ich 70 Jahre alt.
Von Anfang an habe ich immer
einmal in der Woche eine feste Bewohnerin betreut. Seit Oktober
2015 kümmere ich mich im Wohnbereich um Lena Müller*: Ich begleite sie beim Einkaufen, helfe bei
kleinen hauswirtschaftlichen Verrichtungen oder führe einfach mal
ein normales Gespräch. Frau Müller nimmt die wöchentlichen Besuche sehr gerne an und macht sich
auch Sorgen, wenn ich mal nicht
pünktlich zur verabredeten Zeit bei
ihr bin.
Außerdem begleite ich die wöchentlich stattfindende Kegelrunde. Bei schönem Wetter komme ich
auch an anderen Tagen und verbringe mit verschiedenen Bewohnerinnen und Bewohnern Zeit im
Freien. Denn aus eigener Erfahrung weiß ich, dass in der Pflege
und Betreuung nicht immer dann
Zeit da ist, wenn das Wetter pas-
send ist. Das gilt auch fürs Leben:
Die guten und die schlechten Zeiten – die Zeiten zum Weinen und
Lachen – gehören dazu. Man muss
sie nehmen, wie sie kommen.
Schon während meiner hauptamtlichen Beschäftigung habe ich
verschiedenen Bewohnern Extrazeit gewidmet. Ich versuche, jeden
Menschen mit all seinen Eigenschaften zu akzeptieren und auf
die individuellen Eigenheiten und
tagesabhängigen Stimmungen
einzugehen.
Neben dem Ehrenamt im ,Friedrich-Meinzolt-Haus‘ helfe ich
auch beim Gebrauchtwarenverkauf der Heilig-Kreuz-Gemeinde
Dachau mit und unterstütze eine
andere – früher ebenfalls ehrenamtlich tätige – Seniorin, die noch
zu Hause wohnt.
Ich bin viel unterwegs, mache
das aber sehr gerne. Für die Zukunft wünsche ich mir nur Gesundheit. Denn ich möchte mich
noch lange für das ‚FriedrichMeinzolt-Haus‘ und andere Mitmenschen direkt und persönlich
engagieren.“
Protokoll: Christian Zanke
* Name von der Redaktion geändert
Zwölfter Orange Day: Ehrenamtliche von GlaxoSmithKline helfen in Karla 51 und in der Bayern-Kaserne
Kurz gemeldet
Betreuungsverein der
Inneren Mission
München (BIMM)
Hannelore Der: Von der hauptamtlichen zur ehrenamtlichen Mitarbeiterin im „Friedrich-Meinzolt-Haus“
der Seidlstraße 4, 5. Stock, in der
Nähe des Münchner Hauptbahnhofs statt. Weitere Informationen
gibt es bei Elke Baier unter der Telefonnummer 089/12 70 92-71.
InterKulturelle Akademie
München
Sprachliche Hürden, kulturelle Missverständnisse, rechtliche Fragen:
Ehrenamtliche Flüchtlingsarbeit ist
ein Engagement, das viele Menschen bereichert, viele aber auch
vor kleine und große Herausforderungen stellt. Die InterKulturelle
Akademie (IKA) unterstützt die Ehrenamtlichen bei ihrem Einsatz und
bietet auch in diesem Jahr wieder
zahlreiche Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten an.
Eine Einführung „Interkulturelle
Kommunikation“ gibt es am 27.
April (18 – 20 Uhr). Aufbauend findet am 24. Juni (14 – 18 Uhr) sowie
am 25. Juni (10 – 17 Uhr) das Vertiefungsseminar „Grundlagen interkultureller Kompetenz“ statt.
Einfache Redewendungen lernen
Interessierte beim „Mini-Sprachkurs
Dari / Farsi“ am 29. April oder am
11. Mai (jeweils 16 – 17.30 Uhr). Eine Schulung „Grundlagen Asylrecht“ findet am 30. Mai (18 – 20
Uhr) statt. Am 9. Juni (18 – 20 Uhr)
lädt die IKA ehrenamtlich Mitarbeitende zu einem begleiteten Erfahrungsaustausch „Ehrenamtliche zwischen Anteilnahme und Abgrenzung“ ein. Ein „Argumentationstraining“ gegen Stammtischparolen
und Rassismus gibt es am 17. Juni
(14 – 17 Uhr). Das „Herkunftsland
Nigeria“ ist Thema der Veranstal-
tung am 28. Juni (18 – 20 Uhr).
Alle Veranstaltungen sind für Ehrenamtliche, die in der Flüchtlingshilfe
tätig sind, kostenfrei und finden in
der Geschäftsstelle der Inneren Mission (Landshuter Allee 40, 80637
München) statt. Rückfragen und
Anmeldung bitte an Gudrun Blänsdorf unter Telefon 089/12 69 91147 oder per E-Mail an [email protected].
diakonia
diakonia sucht dringend ehrenamtliche Helferinnen und Helfer für die
Ausgabe von Kleiderspenden in der
Kleiderkammer Ost am Stahlgruberring 8.
Dort können sich bedürftige Menschen mit und ohne Migrationshintergrund kostenlos mit dem Nötigsten ausstatten, zum Beispiel Kleidung und Dinge für den täglichen
Bedarf. Mögliche Einsatzzeiten für
Ehrenamtliche sind jeweils am Montag, Mittwoch und Donnerstag von
9.30 Uhr bis 15 Uhr.
Helfende Hände werden an dem
Standort im Gewerbegebiet Moosfeld auch für das Sortieren von gespendeter Kleidung gesucht, mit
der die diakonia Flüchtlinge im
Stadtgebiet versorgt.
Hier ist ein Engagement von Montag bis Freitag zwischen 9.30 und
16 Uhr und samstags von 9 bis 12
Uhr möglich.
Ehrenamtliche können selbst entscheiden, wann und wie lange sie
helfen möchten: Sie melden sich
einfach im Online-Kalender auf
www.diakonia-fluechtlinge.de an –
und kommen vorbei.
Schmutzige Hände,
glückliches Gemüt
An die Farbe, fertig, los – das hieß
es für fünf Mitarbeitende des Arzneimittel- und Healthcare-Unternehmens GlaxoSmithKline (GSK)
beim zwölften Orange Day des
Unternehmens. Ihr Einsatzort: das
Frauenobdach Karla 51. Die Pforte
sowie den Vorraum haben sie dort
geweißelt; der Flur hat vom Erdgeschoss bis zum Keller ebenfalls einen neuen Anstrich bekommen.
„Sie haben richtig was geschafft“, sagt Isabel Schmidhuber,
Leiterin von Karla 51. Auch die Bewohnerinnen von Karla 51 lobten
das große Engagement: „Sie finden
es toll, dass Menschen, die sonst im
Büro arbeiten, etwas für Wohnungslose tun und sich dabei sogar
die Hände schmutzig machen.“
Hilfsbereitschaft und handwerkliches Geschick – das brachten
auch die zwei GSK-Teams für ihren
sozialen Tag in der Bayern-Kaserne
mit.
Die eine Gruppe hat die Kleider
in der Kleiderkammer sortiert und
das Lager umgeräumt; die andere
hat im „Lighthouse Welcome Center“ den alten Boden herausgerissen, einen neuen verlegt und das
Haus gestrichen.
Viele Ehrenamtliche profitieren
von ihrem Engagement, sagt Karlotta Brietzke vom Sozialdienst für
Flüchtlinge: „Einige meinten, so
ein Tag erde einen wieder, wenn
man sieht, wie es Menschen in besonderen Notlagen geht.“
Josephin Schmid
Am zwölften Orange Day haben sich bundesweit 240 GSK-Mitarbeitende in 26
Projekten engagiert – wie hier bei Karla 51.
Foto: Stefan Obermeier
Nr. 73 · 2016
Seite 7
Ran an den Herd (v.l.n.r.): Pascal, Hans, Markus Burchert, Paul und Heinrich
von der Männerkochgruppe im ASZ Haidhausen.
Foto: Zina Boughrara
Im Alten- und Service-Zentrum Haidhausen steht die
Männerkochgruppe für den Mittagstisch an den Töpfen
Kulinarische Experimente
Äpfel und Karotten schnippeln,
Sahne schlagen und Kartoffeln
schälen – das gehört für Hans,
Heinrich und Paul zweimal im
Monat zum festen Programm.
Dann treffen sie sich im Altenund Service-Zentrum Haidhausen
(ASZ) zur Männerkochgruppe –
und servieren ihre kulinarischen
Ergebnisse den Besuchern des ASZ
beim Mittagstisch. „Der Spaß und
das Gesellige stehen dabei im
Vordergrund“, sagt ASZ-Leiter
Markus Burchert, der zusammen
mit KomPassant Pascal die Gruppe
verstärkt.
Ursprünglich richtete sich der
Aufruf zu einer ehrenamtlichen
Kochgruppe an alle Besucherinnen
und Besucher des ASZ Haidhausen. Hans war sofort dabei: Der 72Jährige kommt regelmäßig zum
regulären Mittagstisch am Dienstag. „Wenn ich hier schon immer
gut esse, dann möchte ich mich
auch mal selber einbringen“,
dachte er sich.
Gemeldet haben sich auf den
Aufruf noch zwei Mitstreiter – deshalb ist es jetzt eine Männer-Kochgruppe. „Bei uns geht es viel ruhiger zu als in gemischten Gruppen“, findet Paul. „Es gibt keinen
Streit untereinander.“ Aber dafür
gebe es „immer etwas zum Lachen“, ergänzt Heinrich, der Dritte
– und mit 75 Jahren der Älteste –
im Bunde.
Unterschiedliche Geschmäcker
Geschmäcker sind verschieden,
das gilt auch für die Mitglieder der
Männerkochgruppe: Hans mag
am liebsten Wildgerichte und französische Küche – gerne nur vom
Feinsten. Heinrich bevorzugt
Pfannkuchen, während Paul beim
Essen vor allem die Abwechslung
liebt. Bei der Kochgruppe kommt
in die Töpfe, was Saison und Region gerade so hergeben. Im Winter waren das oft Kartoffel- oder
Nudelgerichte.
Frisch und gesund sollen die
Menüs sein – das ist das Credo der
Hobbyköche. „Wir verfeinern unsere Gerichte mit ganz unterschiedlichen Gemüsesorten“, erklärt Burchert. Zudem hat sich die
Gruppe der „experimentellen Küche“ verschrieben: Es geht nicht
darum, strikt nach Rezept zu kochen, sondern auszuprobieren:
Welche Zutaten passen zueinander? Was kann ich mit saisonalem
Gemüse machen?
Lob für die Gerichte
„Beim ersten Mal war es schon
eine Herausforderung für 15 Leute
zu kochen“, erinnert sich Paul.
„Aber inzwischen haben wir dazu
gelernt.“ Und sie haben eine Arbeitsteilung gefunden: Paul macht
die Hauptspeisen, Hans kümmert
sich um die Nachspeisen, Heinrich
schnippelt Obst und Gemüse und
deckt den Tisch.
Die Gäste beim Mittagstisch der
Männerkochgruppe sind voll des
Lobes für die Gerichte: Weil sie
frisch sind – und abwechslungsreich. „Sie verzeihen uns auch mal
kleine Fehler“, sagt Markus Burchert und lacht. Wenn etwas Salz
an der Sauce fehlt oder die Nudeln
zu lange im Wasser waren.
Daraus lernen die Hobbyköche
– und freuen sich schon auf den
Sommer. Denn dann gibt es frisches Obst und Beeren für die
Nachspeise und viele verschiedene
Gemüsesorten für die Hauptspeise
– die Grundlage für die nächsten
Kochexperimente. Isabel Hartmann
Dr. Stefan Dinges ist ehrenamtlicher Vorsitzender
des Ethikbeirats der Hilfe im Alter
Wertschätzung in der
Altenhilfe
„Ich bin seit Anfang an beim
Ethikbeirat dabei, zusammen mit
Frank Kittelberger habe ich ein
Jahr lang in der Vorbereitungsphase als Trainer und Projektleiter gearbeitet. Seitdem bin ich Mitglied
des Ethikbeirats. So wie die anderen externen Experten arbeite ich
in den Sitzungen ehrenamtlich,
dafür habe ich mich bewusst entschieden.
Viele Mitarbeitende in der Altenhilfe engagieren sich über ihre
Dienstzeit und Aufgaben hinaus,
insbesondere in der Ethikarbeit.
Über das Ehrenamt kann man bei
bestimmten
Themen Signale setzen.
Ein wesentliches Ziel des
Ethikbeirats
ist es, allen
Mitarbeitenden der Hilfe
im Alter eine
andere Aufmerksamkeit zu geben und Unterstützung, damit sie ihre anspruchsvolle Arbeit gut machen können.
Der Pflege und Versorgung alter
Menschen mangelt es an gesellschaftlicher Wertschätzung. Dabei
ist sie nicht nur Thema der Hilfe
im Alter oder der Diakonie, sondern auch der ganzen Gesellschaft.
Drei Abende im Jahr treffen sich
interne und externe Mitglieder des
Ethikbeirats und besprechen aktuelle Fragestellungen und übergreifende Themen. Dazwischen liegen Zeiten der Vorbereitung, Ethikmoderationen vor Ort und Schulungen. Gemeinsam mit Pfarrerin
Dorothea Bergmann, die die ge-
samte Ethikarbeit in der Hilfe im
Alter koordiniert und Ernie Fürst,
die Verantwortliche für Pflegeüberleitung im „Leonhard-HenningerHaus“, bilden wir den Vorstand des
Ethikbeirats. Wir leisten mitunter
auch Übersetzungsarbeit zwischen
den externen Experten und den
Mitarbeitenden aus der Praxis.
Als Medizin- und Gesundheitsethiker an der Uni Wien kann ich
immer wieder Ad-hoc-Expertise in
die Beratungen geben und aktuelle
Trends und Inhalte in den Ethikbeirat einbringen. Gerade weil ich
meine Aufgabe ohne Bezahlung
ausübe, habe ich die Möglichkeit,
klar und unabhängig Position zu
ethischen Fragen zu beziehen, zum
Beispiel der Geschäftsführung oder
anderen Institutionen gegenüber.
Beim Ehrenamt geht es immer
wieder um das Austarieren der
Grenzen: Wie viel kann man ehrenamtlich machen? Wie arbeitet
man mit den hauptamtlichen Mitarbeitenden zusammen? Ich denke, das ist bisher ganz gut gelaufen. Ob Ehrenamt, Experte oder Beratertätigkeit – es braucht Rollenklarheit: Trage ich noch etwas zur
Weiterentwicklung von Teams und
Einrichtungen bei oder streichle ich
nur mein eigenes Ego?
In diesem Jahr geht der Ethikbeirat in die dritte Amtsperiode
und wir können positiv auf die
vergangenen sechs Jahre zurückblicken. Wir sind wirklich ein gutes
Stück in Richtung einer gemeinsamen Ethikkultur in der Hilfe im Alter weitergekommen, dazu hat das
ehrenamtliche Engagement der
externen Experten sicherlich beigetragen.“
Protokoll: isa
Im „Internet-Café für Senioren“ in Ebenhausen helfen sich ältere Menschen
gegenseitig, die Welt des Computers zu verstehen
Ordnung in den Wirrwarr bringen
„Senioren helfen Senioren“ – wie
man diese Idee konkret umsetzen
kann, zeigen die Mitglieder der
„Lokalen Agenda 21 Schäftlarn“
seit gut einem Jahr. „Gerade was
das Internet betrifft, herrscht unter
den Älteren große Unsicherheit“,
sagt beispielsweise Klaus Broemel
(78). Zusammen mit Dieter Rücker
(86) und Alexander Waechter (74)
beschloss er daher, sein Wissen im
Rahmen der „Internet-Seniorengruppe Isartal“ (ISGI) an andere
Interessierte weiterzugeben.
Backofen als Zeichen?
Nach einigen Überlegungen riefen die Drei ein „Internet-Café für
Senioren“ ins Leben, in dem nun
Rentner Hilfestellung rund um den
PC bekommen. Den Raum für die
wöchentlichen Treffs, die seit Oktober vergangenen Jahres stattfinden, stellt das Alten- und Pflegeheim Ebenhausen am GerhartHauptmann-Weg zur Verfügung.
Pro Nachmittag besuchen durchschnittlich drei bis vier Senioren das
Café. „Bei drei Experten haben wir
schon fast einen Betreuungsschlüssel von eins zu eins“, sagt Broemel,
der früher bei BMW in der Organisation gearbeitet hat, amüsiert.
Am Tisch sitzen nun Experte
Rücker und Besucher Richard
Strauß konzentriert vor einem
Laptop: „Für was ist dieses Zeichen?“, fragt der 78-Jährige und
deutet auf ein Symbol unten auf
der Leiste. „Sieht aus wie ein Backofen.“ Rücker, der nach 34 Jahren
bei Siemens fast ein ganzes Jahrzehnt für Patentanwälte die EDV
aufbaute, muss lachen. „Sieht so
aus, aber so weit ist selbst der PC
noch nicht.“
Ihnen gegenüber kämpfen währenddessen Alexander Waechter
und Ruth Karwat mit den Tücken
des Computers. „Der muss einfach
mal aufgeräumt werden“, sagt
Karwat. „Im Moment ist hier ein
großer Wirrwarr.“ Die 80-Jährige
nutzt den PC hauptsächlich, um
E-Mails an ihre Familie und Freunde zu schreiben und Bilder zu speichern. „Eigentlich eine feine Sa-
che“, sagt sie. Ein weiterer treuer
Besucher ist neben Constantinos
Paparoussopoulos (80), der sich
heute mit Windows 10 vertraut
machen möchte, Siegfried Fischer
aus Schäftlarn. Er hat sich einen
Tablet-Computer gekauft. Doch wie
bringt man dieses kleine Ding zum
Laufen? Der 72-Jährige fackelte
nicht lange und machte sich am
folgenden Tag auf den Weg zum
Klosterbräustüberl. „Hier sind immer Leute“, dachte ich mir. „Einer
wird sich schon damit auskennen.“
Sie wissen, wie’s geht: Alexander Wachter (l.) und Klaus Broemel (r.) sind Experten
in Sachen Internet und Computer – und helfen Senioren wie Richard Strauß (m.),
sich im digitalen Dschungel zurechtzufinden.
Foto: Sabine Hermsdorf
Dumm sterben will keiner
Der erste, den er ansprach, war
ein „junger, dynamischer“ Radler.
Doch der musste schon nach 20 Minuten passen. „Also bin ich rüber
zum Gymnasium.“ Fischer bat drei
Mädchen, die gerade draußen saßen, um Hilfe. „Ich habe gesagt,
dass ich aus Papua-Neuguinea
komme und mich damit nicht auskenne.“ Die Drei brachten das Tablet schließlich zum Laufen – „doch
ich selbst hatte jetzt immer noch
nicht viel Ahnung“. Und so wandte
Fischer sich an die Experten vom
Internet-Café: „Schließlich will ich
ja auch lernen, wie man sich beispielsweise legal Musik aus dem
Internet herunterladen kann. Wenn
man da nur einen Fehler macht,
steht sofort der Anwalt vor der Tür.
Und das muss ja nicht sein.“
Jetzt helfen ihm Broemel,
Waechter und Rücker, die Möglichkeiten seines Tablets kennenzulernen. „Außerdem“, wirft Strauß un-
ter dem Gelächter seiner Kollegen
ein, „will ja keiner dumm sterben.“
Sabine Hermsdorf
Das Internet-Café im Untergeschoss
des Evangelischen Alten- und Pflegeheims am Gerhart-HauptmannWeg 10 in Ebenhausen hat jeden
Montag von 14.30 bis 16.30 Uhr
geöffnet. Betreut wird der Treff von
der Internet-Seniorengruppe (ISGI)
der Lokalen Agenda 21 Schäftlarn.
Die Teilnahme ist kostenlos.
Seite 8
Nr. 73 · 2016
Blick auf die Alpen: Service Senioren Wohnen in Sendling macht’s möglich
Rundum-Versorgung
im Rundbau
Nur noch wenige Appartements
sind im obersten Stockwerk des
Evangelischen Pflegezentrums in
Sendling zu mieten: Das Haus liegt
in bester Lage unweit des grünen
Isarhochufers im neuen Stadtteil
München-Südseite. Wer hier einzieht, hat freien Blick in alle Himmelsrichtungen – und kann zudem
alle Dienstleistungen eines modernen Pflegezentrums nutzen.
Die Wohnungen im fünften
Stock des vor drei Jahren eröffneten
Hauses sind unterschiedlich groß
und somit für rüstige Alleinstehende oder Paare geeignet. Ideal ist
das Angebot für Paare, bei denen
eine Person pflegebedürftig ist. Von
den 20 Wohneinheiten sind derzeit
noch sieben zu haben: eine 3-Zimmerwohnung (67 Quadratmeter)
sowie sechs 2-Zimmerwohungen
(40 – 42 Quadratmeter).
Einrichtungsleiter Florian Walter
ist sich sicher, dass das nicht mehr
lange so bleibt: „Die Wohnungen
Horst Wendt hat sich im fünften Stock des Sendlinger Pflegezentrums sein eigenes kleines Reich geschaffen.
Foto: Kurt Bauer
sind attraktiv, vollständig barrierefrei, haben eine Küchenzeile, sind
sehr großzügig geschnitten – und
unser Vollservice umfasst alles, was
ältere Menschen benötigen.“
Der Rundum-Service beinhaltet
alle Mahlzeiten, die täglich in der
hauseigenen Küche frisch zubereitet werden, Wohnungsreinigung
sowie Wäschepflege. Über ein Notrufsystem ist sichergestellt, dass jederzeit sofort Hilfe geholt werden
kann. Und wenn dann Pflegebedarf besteht, ist die fachlich hochwertige Versorgung ebenfalls sichergestellt.
Leben in Gemeinschaft
Zudem können die Bewohner
an den kulturellen Veranstaltungen im Haus teilnehmen: Vernissagen, Musik-Abende, Bilder-Vorträge, Theatervorstellungen, Konzerte, Feste und Gottesdienste in der
hauseigenen Kapelle. Im Haus befinden sich auch ein Friseur-Salon
sowie eine Cafeteria.
Viermal pro Woche – und bei
Bedarf auch täglich – kommt ein
Arzt ins Pflegezentrum. Florian
Walter: „Im Mittelpunkt steht für
uns das Leben in der Gemeinschaft. Und wir wollen, dass sich
unsere Bewohner rundum wohlfühlen und Zeit haben, ihr Leben –
so gut es eben geht – zu genießen.“
Klaus Honigschnabel
Interessenten für eine Wohnung wenden sich bitte an Frank Salziger von
der Pflegeüberleitung (Telefon 089/
32 29 82 - 100) oder per E-Mail an
[email protected].
Schock im Planegger Pflegeheim: Hilfskraft berührt
mehrere Heimbewohnerinnen unsittlich
„Man kann in die Menschen
nicht reinschauen“
Was sich Mitte Januar auf Station
II des Evangelischen Pflegeheims
in Planegg zugetragen hat, ist der
Alptraum eines jeden Heimleiters:
Ein seit sieben Jahren im Haus angestellter Pflegehelfer berührte eine
hochaltrige und schwer demente
Bewohnerin unsittlich. Das Haus
reagierte umgehend: Heimleiter
Ulrich Spies kündigte dem 58-Jährigen fristlos und erteilte zudem
ein sofortiges Hausverbot. Bei der
polizeilichen Vernehmung gestand
der Mann dann noch drei weitere
Übergriffe sexueller Art.
Ulrich Spies ist – wie die gesamte Mitarbeiterschaft in Planegg –
sichtlich schockiert von den Vorgängen: „Der Mann hat jahrelang
seine Arbeit ohne Beanstandungen
gemacht. Aber man kann halt
nicht reinschauen in die Menschen.“ Auch die von der Hilfe im
Alter vor der Einstellung obligatorisch geforderte Vorlage eines Führungszeugnisses sei da leider nicht
hilfreich. „Bestimmte Sachen tauchen gar nicht auf oder werden
wieder gelöscht.“ Und Vergehen,
die noch nicht begangen wurden,
könnten logischerweise hier auch
gar nicht vermerkt sein. Der betreffende Mitarbeiter habe sogar kurz
vorher an einem Supervisionstag
„Wenn das Gewissen zwickt“ teilgenommen, so Heimleiter Spies.
„Da war ein ganzer Tag reserviert
ausschließlich für die eigene Psychohygiene – offenbar leider erfolglos.“
Das Pflegeheim informierte die
gesamte Mitarbeiterschaft sowie
die Angehörigen auf der entsprechenden Station. Zu dem Abend
eingeladen war auch ein Vertreter
der Fachstelle für Pflege- und Behinderteneinrichtungen – Qualitätsentwicklung und Aufsicht, der
früheren Heimaufsicht. Bei einem
eigens angesetzten Fachtag steht
das Thema „Sensibilisierung bei
Missbrauch und Übergriffen“ im
Zentrum; diese Schulung wird
demnächst übergreifend bei allen
anderen Heimen der Hilfe im Alter
angeboten.
Problem professionell gelöst
Vorstand Günther Bauer zeigt
sich ebenfalls entsetzt über den
Vorfall. Gleichzeitig ist er voll des
Lobes über den Umgang mit der
ganzen Angelegenheit: „Wir sind
froh, dass das alles so schnell und
professionell gelöst wurde.“ Das
Planegger Heim habe in der Vergangenheit immer Spitzennoten
bei den Bewertungen erhalten;
dies werde sich auch durch die Verfehlung eines Einzelnen künftig
nicht ändern.
ho
Fachtag für Palliative Care beschäftigt sich mit dem Zeitmangel in der Altenpflege
Drei Fragen an Ulrich Spies, Heimleiter in Planegg
Futter für die Seele
„Alle unsere Warnlampen sind nach
dem Vorfall noch größer geworden“
Die Beschäftigten in der Pflegebranche wissen schon seit Langem: Zeit ist relativ. Ist ein Pflegefall komplizierter, benötigt er natürlich mehr Aufmerksamkeit in
der Grundpflege als ein eher einfacherer Fall. Relativ gesehen klingt
das ganz fair, doch wenn ein
schwerer Pflegefall extrem viel
Aufmerksamkeit in Anspruch
nimmt, so bleiben für die anderen
Fälle oft nur wenige Minuten pro
Tag. Und dann zeigt sich die Qualität eines Hauses: Bleibt jetzt noch
Zeit für Gespräche, für Einfühlungsvermögen, für die sogenannte seelische Pflege?
Problem mit der knappen Zeit
Der Grund für dieses Zeitdilemma liegt im vom Gesetzgeber her
knapp bemessenen Personal, dem
größten Problem in der Pflege
überhaupt. Da bleibt Palliative
Care, die beschützende Pflege in
den letzten Monaten und Wochen,
leicht auf der Strecke. Bei der Hilfe
im Alter, einer Tochtergesellschaft
der Inneren Mission, hat die seelische Pflege aber einen ganz wichtigen Stellenwert. 85 Pflegekräfte
waren im Dezember zum Fachtag
für Palliative Care gekommen, um
sich darüber auszutauschen, wie
sie dem Problem mit der knappen
Zeit entgegenwirken und ein
„Mehr als die Grundpflege“ leisten
können.
„Es ist ganz wichtig, dass man
sieht, dass man nichts falsch
macht“, berichtete beispielsweise
Jadranka Jeleskoviz vom ,Leonhard-Henninger-Haus‘. Sie kennt
das Problem mit der Zeit nur zu
gut, denn sie arbeitet in der Kurzzeitpflege, wo der Druck aufgrund
der kurzen Verweildauer ungleich
höher ist. „Man muss jeden Tag
Prioritäten setzen“, sagt sie. Umso
wichtiger sei es deshalb, zu merken, dass andere das gleiche Problem haben.
Hinweise, Tipps und Austausch
bekamen die Pflegekräfte am
Fachtag aber nicht nur von Kollegenseite. Neben Diskussionsrunden gaben auch externe Experten
unterschiedlichster Fachrichtungen
neue Anregungen. Zum Beispiel
der Vortrag von Palliative CareFachkraft Katharina Theissing, die
die Frage „Was ist Palliative Care
eigentlich“ noch einmal grundlegend klärte. „Es ist wichtig zu wissen, dass man oft nicht weiß, was
das Richtige ist“. Ein Satz, bei dem
viele der Pflegekräfte aufgeatmet
haben dürften. Bestätigt er doch
ihre Erfahrungen im Alltag.
Für Sterbende da sein
Wichtig sei zudem bei der Palliativpflege, die Tatsache anzunehmen, dass Menschen sterben. „Die
Sterbenden brauchen keine Experten, sondern sie brauchen jemanden, der für sie da ist, nach dem
Motto ‚Bleib nahe, aber tue
nichts‘“, so Theissing. Priorität in
dieser Phase habe Nachdenken
und Reflexion, um zu erkennen,
was für die jeweilige Person genau
jetzt am Wichtigsten ist. Doch
auch Nachdenken und Reflexion
benötigen entsprechend Zeit –
und die ist bei Pflegekräften nun
mal knapp. Die Politik mache
hier zu wenig, um die Probleme
nachhaltig zu lösen, beklagte Gerhard Prölß, Geschäftsführer der
Hilfe im Alter. „Da werden zwar
viele Versprechungen gemacht,
doch es verbirgt sich oft nichts dahinter.“
Pflegereform bringt nichts
Vor wenigen Wochen hatte der
Bundestag die Pflegereform 2 auf
den Weg gebracht. Demnach werden die Pflegefälle von 2017 an
nicht mehr in drei Stufen wie bisher, sondern in fünf sogenannte
Pflegegrade eingeteilt. Die Pflegegrade seien zwar gut, betont Prölß,
„aber solange wir die Arbeit mit
dem gleichen knappen Personalstand machen müssen, bringt uns
das überhaupt nichts“. Somit verschlimmere die angebliche Verbesserung das Zeitproblem nur noch
mehr.
Nach einem ausgiebigen Austausch zwischen den Einrichtungen über bewährte Praxismodelle
gab Sepp Raischl, Theologischer
Leiter des Christophorus Hospizvereins, mit seinem Vortrag zur
Frage „Was uns trägt?“ spirituelle
Nahrung für die Seele der Pflegekräfte, die ja ihrerseits so oft andere allein durch ihr Dasein unterstützen.
Lukas Bergmann
Seit genau zehn Jahren leitet Ulrich Spies (Foto) das Evangelische
Pflegeheim in Planegg. Mit ihm
sprach Klaus Honigschnabel.
?
!
Herr Spies, was haben Sie gedacht, als Sie die Nachricht von
dem Übergriff erhielten?
Im ersten Moment habe ich geglaubt, mir zieht es den Boden
unter den Füßen weg. So etwas ist
mir noch nie untergekommen. Ich
war erst mal komplett sprachlos.
Und dann kommt halt ganz
automatisch die Reaktion: Gespräche, Beratungen mit der Mitarbeitervertretung, arbeitsrechtliche
Konsequenzen. Da hat man als
Heimleiter gar keine andere Wahl
bei der Schwere des Vergehens.
Über so eine Sache kann man
nicht hinwegsehen. Niemals.
?
!
Haben Sie alles getan, um solchen Übergriffen vorzubeugen?
Da kann ich mit gutem Gewissen und von ganzem Herzen nur
,Ja‘ sagen. Wir haben hier im
Haus eine Stimmung der Vertrautheit und der Offenheit. Das höre
ich immer wieder von allen Mitarbeitenden und selbstverständlich
auch von den Bewohnern und den
Angehörigen. Wenn mal etwas
klemmt und nicht passt, kann
man das jederzeit sagen. Wir alle
lernen aus Fehlern auch immer.
Pflege ist ein persönlich sehr belastender Beruf; es geht ja immer
um die letzten Dinge, um Tod und
Sterben. Um das auszuhalten, gibt
es ein umfassendes Fortbildungsangebot, bei dem man für sich
und seine Seele etwas Gutes tun
kann. Wir bieten Gesundheitstage
an und andere Dinge zum Ausgleich. Aber wenn jemand dagegen – aus welchen Gründen auch
immer – resistent ist, sind uns letztlich die Hände gebunden.
?
Was ändert sich
nach diesem Vorfall
in Ihrem
Haus?
Man
kann da
natürlich
nicht gleich
zur Tagesordnung übergehen. Hier standen
nach dem Bekanntwerden erst mal
alle unter Schock. Wir haben das
dann auf allen Ebenen intensiv besprochen und unsere Sensoren
nachjustiert. Alle unsere Warnlampen sind jetzt noch größer geworden als sie vor dem Übergriff schon
waren.
Ärgerlich ist halt auch, dass
man Jahr für Jahr gute Pflege
macht, über die kaum berichtet
wird, und nach so einem Fall dann
mehrspaltige Artikel mit entsprechenden Überschriften lesen muss.
Das haben die anderen Mitarbeitenden, die jeden Tag gute Arbeit
leisten, nicht verdient.
!
Nr. 73 · 2016
Seite 9
Die Hilfe im Alter betreibt seit dem 1. April das Rupert Mayer Seniorenheim in Kochel
„Seehof“ schafft Synergien
Die Hilfe im Alter GmbH (HiA)
steht im Zentrum einer ungewöhnlichen ökumenischen Zusammenarbeit im katholisch geprägten
Oberbayern: Das Tochterunternehmen der Inneren Mission hat am
1. April die Trägerschaft des seit
2003 vom Caritas Solidarwerk
(CSW) betriebenen Rupert Mayer
Seniorenheims „Seehof“ übernommen. Eigentümer des Anwesens
bleibt die in München ansässige
katholische Schwesternschaft von
der Heiligen Familie.
Das unmittelbar am Südostufer
des Sees gelegene Haus verfügt
derzeit über 63 Pflegeplätze, wird
aber in den nächsten Jahren auf
74 Plätze erweitert. Die Kosten für
den bereits genehmigten Umbau
in Höhe von rund fünf Millionen
Euro trägt die Eigentümerin. Im
Zuge der Erweiterung entstehen
auch zusätzliche Aufenthaltsräume. Ebenfalls übernommen werden 50 Mitarbeitende, die bisher
beim CSW in Augsburg angestellt
waren.
Schmuckstück am See
Vorstand Günther Bauer ist
sichtlich erfreut über das Schmuckstück, das sich seit wenigen Wochen im Portfolio der Hilfe im Alter befindet: „Der ‚Seehof‘ ist etwas
ganz Besonderes, weil er unser einziges Haus ist, das direkt an einem
See liegt.“ Hervorragend passe
auch zu den anderen Häusern der
Hilfe im Alter, dass der Seehof vom
Medizinischen Dienst der Kassen
bei der jüngsten Überprüfung eine
glatte 1,0 für seine Pflegequalität
erhalten habe: „Qualität kommt
zu Qualität.“
In einem separaten Gebäude leben derzeit rund ein Dutzend Ruhestandsschwestern. Sie werden
wie bisher vom Haupthaus aus mit
Essen versorgt und erhalten im Bedarfsfall auch die notwendigen
Pflegeleistungen.
Bereitet es dem evangelischen
Pfarrer Probleme, dass ein katholischer Priester Namenspatron eines
in evangelischer Trägerschaft stehenden Hauses ist? Bauer schüttelt
den Kopf. „Rupert Mayer, der
Apostel Münchens, war ein guter
Jesuit.“ Aufgrund seiner mutigen
Äußerungen während des 3.
Reichs („Ein Nazi kann kein Christ
sein und ein Christ kann kein Nazi
sein“) wurde er mehrfach inhaftiert; 1987 wurde er für seine aufrechte Haltung vom Papst seliggesprochen. „Eine Namensänderung
wäre da ausgesprochen kleingeistig und entspräche nicht unserer
ökumenischen Offenheit.“
Die Hilfe im Alter ist noch bei
einem weiteren Seniorenprojekt
am Kochelsee beteiligt: In Schlehdorf, nur rund vier Kilometer Luftlinie entfernt, übernimmt der dia-
konische Träger das bislang von
einer privaten Trägerin betriebene
Pflegeheim. Die entsprechenden
Verträge mit dem zuständigen
Zweckverband Seniorenwohn- und
Pflegeheim Schlehdorf wurden Anfang März unterzeichnet.
Die Bibel als Maßstab
Da das 150 Jahre alte Haus an
der Kocheler Straße in unmittelbarer Nachbarschaft des Klosters jedoch so baufällig ist, dass es nicht
mehr saniert werden kann, muss
es demnächst abgerissen werden.
Bis Ende kommenden Jahres soll
auf dem Gelände für 7,6 Millionen
Euro ein Neubau entstehen, den
die HiA nach seiner Fertigstellung
betreiben wird. Auf drei Etagen stehen dann 52 Pflegeplätze im sogenannten „Wohngruppenkonzept“
zur Verfügung; Betriebsbeginn ist
für Januar 2018 geplant.
Entworfen haben den Neubau,
ein lang gestrecktes Satteldachhaus im oberbayerischen Stil, die
Architekten Marcus Kottermaier
und Onni Rebholz aus Murnau.
Hell und luftig soll er werden, mit
vielen Loggien, die Blick zum See
und zu den Bergen hin haben.
Außerdem soll sich das Heim
nach außen öffnen: Geplant ist deshalb eine öffentlich zugängige Cafeteria sowie ein großer Mehrzweckraum, den die Gemeinde für Veran-
staltungen nutzen kann. Bevorzugt
aufgenommen werden sollen Senioren aus den umliegenden Ortschaften Großweil und Schlehdorf.
Beide Häuser werden von derselben Person geleitet: Jörg Kahl, Leiter des Lindenhofs in Grafenaschau, lenkt künftig auch die Geschicke der HiA am Kochelsee. Beide Heime bilden eine organisatorische Einheit: Die Küche in Kochel
versorgt das kleinere Haus in
Schlehdorf, dort wiederum wird die
Bewohnerwäsche für das größere
Haus gewaschen.
Doch die Pläne der Hilfe im Alter für das „Blaue Land“ gehen
weiter: Wenn das Haus in Schlehdorf in Betrieb ist, wird der derzeit
in Grafenaschau befindliche „Lindenhof“ mit 44 Plätzen in beschützender Pflege geschlossen. Bewohner und Mitarbeitende ziehen in
das neue Gebäude, das nur eine
knappe halbe Stunde mit dem
Auto entfernt liegt. Der aus dem
19. Jahrhundert stammende Lindenhof entspricht trotz aufwändiger Sanierungsarbeiten nicht mehr
den neuerdings vorgeschriebenen
Anforderungen. Über die weitere
Verwendung des rund 10.000 Quadratmeter großen Grundstücks mit
Blick auf das „Hörnle“ gibt es derzeit noch keine Entscheidung.
Gerhard Prölß, Geschäftsführer
der Hilfe im Alter, sieht in der damit verbundenen Ausweitung der
Geschäftstätigkeiten eine gute und
sinnvolle Ergänzung des Gesamtangebots: „In Kochel – und später
dann in Schlehdorf – machen wir
qualitativ hochwertige Pflege in einer wunderschönen Umgebung.“
Zudem böten beide Häuser auch
eine Perspektive für die derzeit
noch im Lindenhof beschäftigten
Mitarbeitenden. „Alles zusammengenommen ergibt das hervorragende Synergieeffekte.“
Bei der Stabübergabe Ende März
überreichte Schwester Maria, Generaloberin der Schwestern von
der Hl. Familie, liebevoll ausgesuchte Abschieds- und Willkommensgeschenke. So bekamen
Heimleiter Jörg Kahl und Vorstand
Günther Bauer je einen Bibel-Zollstock: „Sie beginnen Ihren Dienst
mit zwei Baustellen – in Kochel
und in Schlehdorf –, damit können
Sie messen und nachprüfen.“
Lob bei der Hausübergabe
Für die politische Gemeinde
freute sich 1. Bürgermeister Thomas Holz (CSU) auf eine gute Zusammenarbeit mit der Hilfe im Alter. Der Seehof sei für Kochel eine
„bedeutende Einrichtung mit langer Tradition“, der Betreiberwechsel deshalb auch ein entscheidender Tag. Es sei keine Selbstverständlichkeit, so einen reibungslosen Übergang mit einem Festakt zu
feiern; oft würden Pflegeheime vor
dem Wechsel geschlossen, bis sich
ein neuer Betreiber findet.
Die HiA habe aber alle Mitarbeiter übernommen und auch für
die Bewohner verlief der Übergang
reibungslos, lobte Holz. „Ich hab’
mich bei meinen Kollegen in den
Gemeinden erkundigt, in denen
Sie tätig sind, und es ist mir überall nur Positives berichtet worden.“
ho / Foto: Gerwin Miller
Offen und beschützend: Eine Sensortechnik gewährt den Bewohnern des Evangelischen Pflegeheims im Reischlhof mehr persönliche Freiheiten
„Ein Meilenstein in der Altenpflege“
Im Evangelischen Pflegeheim im
Reischlhof, ist innovative Technik
eingezogen: Als eines der ersten
Pflegeheime in München und im
Landkreis verwendet das Haus die
sogenannte passive Transpondertechnik, um zu verhindern, dass
Heimbewohner, die einen richterlichen Unterbringungsbeschluss
haben, ungewollt das Haus verlassen. Mittels eines Transponders am
Fuß der Bewohner kann das Pflegepersonal nun denjenigen Bewohnern Sicherheit geben, die
außerhalb des Hauses aufgrund
ihrer Orientierungsschwäche in
akuter Gefahr wären. Der häufigste Grund für diese Schwäche ist
Demenz.
Gerhard Prölß, Geschäftsführer
der Hilfe im Alter, die das Haus betreibt, sieht in dem neuen System
einen „Meilenstein in der Altenpflege“. Denn bislang mussten Bewohner innerhalb des Hauses umziehen, wenn sich die Notwendig-
keit für eine beschützende Unterbringung zeigte. Per richterlichem
Beschluss kamen sie dann in der
Regel ins Erdgeschoss des Evangelischen Pflegeheims im Reischlhof.
Das ändert sich nun. „Die neue
Technologie hilft uns, auf Krankheitsverläufe individuell zu reagieren, ohne dass unsere Bewohner
ihr gewohntes Umfeld verlassen
oder in spezielle Bereiche umziehen müssen“, sagt Prölß.
Die technologische Zukunft im
Reischlhof hat drei Buchstaben:
DFS, das „Desorientierten Fürsorge-System“, hergestellt von der Firma „Minos“. Das Transpondersystem meldet, wenn jemand das
Haus verlassen möchte, aber zu
denjenigen Bewohnern gehört, die
das zu ihrer eigenen Sicherheit
nicht dürfen. Der Leiter des Pflegeheims, Jan Steinbach, ist ebenfalls
erleichtert über die sinnvolle technische Ausstattung. „Das System
bietet mehr Flexibilität und den-
noch Sicherheit gerade für Bewohner mit beginnender Weglauftendenz.“ Etwa 80.000 Euro hat das
neue System samt Kontrolltechnik
gekostet; Geld das gut angelegt ist.
Seit Mitte März sind die Transponder aktiv und das Evangelische
Pflegeheim im Reischlhof ist „ein
beschützendes und gleichzeitig offenes Haus“, so Steinbach. Denn
bislang war die Türe im Erdgeschoss grundsätzlich verschlossen.
Man musste klingeln, um auf die
beschützende Station zu kommen.
Mithilfe von DFS kann diese Tür
nun offen bleiben und dennoch
sind die zu beschützenden Bewohner sicher. Die blauen Transponder
wiegen neun Gramm und sind etwa
so groß wie eine Armbanduhr. Sie
werden mit einem hautfarbenen
Klettverschluss und einem sichernden Magnetverschluss angebracht.
Etwa die Hälfte der 45 Bewohner
trägt den Transponder derzeit.
Steinbach steht an der Etagentür
der Pflegestation und demonstriert, wie das Ganze funktioniert.
Er nimmt den Transponder in
die Hand und wischt
mit ihm auf Höhe
des Fußgelenks über
den Boden. Nun
versucht der
Heimleiter, die Türe zu öffnen. Es ist nicht
möglich. Sie bleibt für ihn verschlossen, denn eine von elf Antennen hat ihn geortet. Sie sind im
Fußboden unsichtbar verbaut.
Und sollte doch jemand mal unbemerkt durch die Etagentür gelangen, greift die sogenannte
Außensicherung. Die Pflegekräfte
bekommen auf ihre Mobiltelefone
eine Meldung, dass ein Bewohner
mit Unterbringungsbeschluss das
Haus verlässt. Im Ernstfall geht
dann jemand zur Türe und sieht
nach dem Rechten.
Bleibt noch die ein oder andere
Unwägbarkeit: Was passiert etwa,
wenn
der Strom ausfällt? „Dafür haben
wir ein Notstromsystem. Die Transponder selbst sind
wartungsfrei und funktionieren
ohne Batterie“, erläutert Steinbach. Und wenn jemand das Band
des Transponders einfach durchschneidet, wie es in der Erprobungsphase des Systems gelegentlich vorgekommen ist? „Die neuen
Bänder sind so konstruiert, dass
man sie mit einer Schere nicht
mehr durchtrennen kann.“
Hüseyin Ince / Foto: Erol Gurian
Seite 10
Nr. 73 · 2016
Die Tagung „Auf der Flucht“ beleuchtete aktuelle und künftige Fragen zum Thema Asyl
Überleben wollen ist nicht illegal
Monster, immer wieder Monster:
Als Khalil mit seinen Eltern in einer
Münchner Flüchtlingsunterkunft
strandet, sind Monster in der Malwerkstatt sein einziges Motiv. Die
Bilder des sechsjährigen syrischen
Kindes illustrierten die Tagung „Auf
der Flucht“, zu der die Evangelische
Akademie Tutzing und die Innere
Mission Ende November gemeinsam eingeladen hatten.
Der Junge lebt seit 2013 mit seiner Familie in der Gemeinschaftsunterkunft an der Landsberger
Straße, wo er einmal pro Woche
die Malwerkstatt von Irmela Strohhacker besucht. „Khalil hat einen
Bombeneinschlag in seiner Schule
überlebt“, erzählt die pensionierte
Kinderärztin.
Er sah, wie seine Klassenkameraden von der Bombe zerfetzt wurden
– brennende Häuser und sterbende
Kinder füllten fortan seine Gedanken bei Tag und die Träume bei
Nacht. In Tutzing verdeutlichten
Khalils Bilder, worum es geht, wenn
Deutschland, wenn die Europäische
Union über Kontingente und Obergrenzen für Flüchtlinge spricht.
Egoistenkonglomerat Europa
Der Journalist Heribert Prantl
von der Süddeutschen Zeitung bezeichnete die EU in seinem Vortrag, der mehr einer wortgewaltigen Predigt glich, als „Egoistenkonglomerat verschiedener Nationen“, das Zufluchtsuchende illegalisiere. „Es ist aber nicht illegal,
sein Leben retten zu wollen“, so
Prantl. Das Flüchtlingsproblem sei
nicht nur ein Problem des Herbstes
2015, sondern das „Problem des
21. Jahrhunderts“.
Flüchtlinge seien „Botschafter
des weltweiten Hungers, des Leids
und der Not“. Anders als beim biblischen Exodus öffne sich den
Flüchtenden das Meer jedoch
nicht. Europa müsse deshalb legale Zuwanderung ermöglichen und
Fluchtursachen bekämpfen. Wenn
es das nicht tue, werde es „an seinem Geiz und seiner Egomanie ersticken“.
Er warf Ländern wie Polen, das
nur christliche Flüchtlinge aufnehmen will, „Hochverrat an den europäischen Werten“ vor und forderte die gleichen Anstrengungen
wie in der Eurokrise: „Es geht jetzt
nicht um das Überleben einer
Währung, sondern um das Überleben von Menschen“, kritisierte der
Journalist.
Globale Gleichgültigkeit
Die Herzlichkeit, mit der viele
Deutsche die Flüchtlinge an den
Hauptbahnhöfen empfangen hätten, löse zwar das Integrationsproblem nicht. „Sie hilft aber, die Globalisierung der Gleichgültigkeit zu
beenden“, sagte Prantl.
Die Flüchtlingsfrage zu bewältigen gehört zum Tagesgeschäft von
Maria Els, Vizepräsidentin der Regierung von Oberbayern. Bei einer
Flüchtlingszahl „von einer Million
plus x“, von denen wohl 50 Prozent zumindest ein befristetes Bleiberecht bekommen, brauche man
„eine Integrationsoffensive in den
Bereichen Sprache, Wohnraum,
Arbeits- und Ausbildungsplätze,
Kindergärten und Schulen“.
Nach ihren Angaben gibt Oberbayern derzeit täglich anderthalb
bis zwei Millionen Euro für die
Aufnahme der Flüchtlinge aus –
„das muss auch verwaltet werden“, sagte die Beamtin mit Blick
auf die immer noch zu dünne Personaldecke ihrer Behörde. Trotz aller Sachlichkeit musste sie am Ende ihres Vortrags dennoch schlucken: „Bislang haben wir viel geschafft – aber manchmal liegen
die Nerven blank.“
Dass sie das Schicksal der Flüchtlinge persönlich betroffen macht,
merkte man auch Ursula Gräfin
Praschma an, Abteilungspräsiden-
tin des Bundesamts für Migration
und Flüchtlinge (BAMF) in Nürnberg. „Unser Amt steht im Dienst
der Menschen, die zu uns kommen
und uns vertrauen, und im Dienste
der Gesellschaft“, sagte sie. Die Verantwortung, es gut und richtig zu
machen, trage sich nicht leicht.
Die Abteilungsleiterin für Asyl
wies deshalb Kritik an der Bearbeitungsgeschwindigkeit von Asylanträgen zurück. In Deutschland
würden nur 6,6 Prozent aller Asylentscheidungen des BAMF von
Verwaltungsgerichten korrigiert –
„in anderen europäischen Ländern
liegt die Quote bei 25 Prozent“. Zudem verwies Praschma darauf,
dass massiv Personal eingestellt
werde, um mehr Anträge bearbeiten zu können.
Ein Stück zusammenrücken
Praschma bezeichnete den Königsteiner Schlüssel, der die Ankommenden proportional zu Bevölkerungszahl und Steueraufkommen auf die Bundesländer verteilt,
als „wertvolles System“. Er sorge
dafür, dass Flüchtlinge nicht – wie
in Frankreich oder England – nur
an den Rändern der Großstädte
hängenblieben, sondern kleinteilig
über Deutschland verteilt würden.
Dadurch werde Integration erst
möglich.
Gleichzeitig forderte sie, dass angesichts der aktuellen Situation „alle jetzt ein Stück zusammenrücken“
müssten. Wenn Turnhallen von
Flüchtlingen belegt seien, müssten
Kinder lernen, „dass nicht immer
alles im Überfluss da sein kann“.
Der Konfliktforscher Mitra
Moussa Nabo von der Universität
der Bundeswehr München versuchte, die chaotische Gemengelage im Nahen Osten zu erhellen.
Bei all dem Gewirr von Interessen
blieben zwei Erkenntnisse: Liberale
Kräfte im Sinne einer westlichen
Definition haben in den meisten
Vom Monsterbild zu erlösenden Schneeflocken – der syrische Flüchtlingsjunge
Khalil schloss beim Malen Frieden mit seiner Erinnerung.
Foto: Oryk Haist
arabischen Staaten keinerlei Basis
in der Bevölkerung; dort ist die Opposition zu den herrschenden Regimen vorwiegend sunnitisch-dschihadistisch geprägt. Das bedeute
zugleich, dass die Diskussion in
Europa über eine friedliche und
gewaltfreie islamische Religion an
der Wirklichkeit im Nahen Osten
vorbeigeht.
Jürgen Micksch, Ehrenvorsitzender des Fördervereins von Pro Asyl
erinnerte daran, dass es in der gesamten Menschheitsgeschichte
noch nie so viele Flüchtlinge gegeben habe wie derzeit. Und alles
deute darauf hin, „dass es noch
mehr werden“. Flüchtlinge seien
Botschafter der globalen Ungerechtigkeiten: „Nur wenn wir lernen,
die abzuschaffen und zu teilen,
kann sich das ändern.“
Lösungen sind Mangelware
Kabarettist Christian Springer,
der sich selber seit Jahren in der
Syrien-Hilfe engagiert, forderte in
seiner alles andere als lustigen Rede, endlich die Armut in den
Kriegsregionen zu bekämpfen. Dagegen würden von vielen Staaten
Pickup-Fahrzeuge und Waffen geliefert, ohne dass sich jemand aufrege: „Ich versteh die Welt nicht
mehr!“ Angesichts der unüber-
sichtlichen Problemlage musste er
allerdings eingestehen, selber
„auch keine Lösung zu haben“.
Zu Beginn der Tagung hatte
Günther Bauer, Vorstand der Inneren Mission, berichtet, dass die
Planung zur Tagung bereits vor
zwei Jahren begonnen hätte.
Zwischenzeitlich habe die „wirkliche Wirklichkeit die Planungen
überholt und verändert“.
Inneren Frieden gefunden
Diejenigen, die dieser Wirklichkeit entkommen sind, brauchen
oft Jahre, bis sie mit den Erinnerungen umzugehen lernen. Wochenlang malte der sechsjährige
Khalil brennende Häuser – bis er
einmal ein Bild eines ausgebrannten Hauses mit dicken Schneeflocken garnierte.
Auf Strohhackers erfreute Äußerung, dass die Schneeflocken wohl
das restliche Feuer löschen könnten, reagierte der Junge glücklich.
„Seit diesem Bild hatte Khalil über
Wochen kein Bedürfnis mehr, Bilder über die belastete Vergangenheit zu malen“, erinnert sich die
Ärztin, die als Ehrenamtliche die
Maltherapie leitet. Der kleine Junge hat vielleicht endlich seinen inneren Frieden gefunden.
Susanne Schröder / ho
Münchner Wohlfahrtsverbände fordern Abbau der Unterschiede von Arm und Reich
Konstruktive Lösungen statt populistischer Parolen
Um den sozialen Frieden in der
Stadt zu erhalten, müsse mehr
Geld in die Integration fließen, fordern die Münchner Wohlfahrtsverbände. Für ein solidarisches Miteinander müssten zudem alle gesellschaftlichen Gruppen einbezogen werden, forderte Caritas-Geschäftsführer Nobert Huber, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der
freien Wohlfahrtspflege München,
vor der Presse.
Humaner Umgang nötig
Nötig seien ein humaner Umgang mit Flüchtlingen sowie eine
Politik, die die Unterschiede zwischen Arm und Reich abbaue:
„Der Zustrom der Flüchtlinge ist
nicht die Ursache für die Unterschiede, er verschärft nur die Probleme dieser bestehenden Unterschiede“, so Huber. Er forderte die
Bayerische Staatsregierung auf,
konstruktive Lösungen in der
Flüchtlingsfrage zu formulieren
und nicht durch „populistische Parolen Ängste in der Bevölkerung zu
schüren“.
Scharfe Kritik äußerte Karin
Majewski, Geschäftsführerin des
Paritätischen Wohlfahrtsverbands,
an der im Asylpaket II beschlossenen Aussetzung des Familiennachzugs für Flüchtlinge mit subsidiärem Schutz. „Dadurch wird in Kauf
genommen, dass Frauen und Kinder sich in die Hände von Schleppern und auf gefährliche Fluchtwege begeben.“ Dass die geplante
Regelung auch auf unbegleitete
minderjährige Flüchtlinge ausgeweitet werde, stehe dem Kindeswohl entgegen.
Private Unterbringung besser
Majewski forderte zudem eine
Änderung des Bayerischen Landes-
aufnahmegesetzes, das Asylsuchende zwingt, bis zum Abschluss
des Asylverfahrens in staatlichen
Aufnahmeeinrichtungen zu leben.
„Es gibt viele Privatpersonen, die
Flüchtlinge aufnehmen würden, es
aber nicht dürfen. Das finden wir
grundfalsch.“ Private Unterbringung fördere den Spracherwerb
und eine schnellere Integration.
Integration sei eine Schlüsselaufgabe, sagte Aaron Buck, Vertreter der Israelitischen Kultusgemeinde. Die Angebote richteten
sich nicht nur an Menschen mit
Migrationshintergrund, sondern
auch an Menschen mit Behinderung, in schwierigen Lebenslagen
oder eines bestimmten Alters.
Durch den starken Zuzug von
Flüchtlingen und eine „massive
Radikalisierung bis weit in die gesellschaftliche Mitte hinein“ drohe
eine Aufspaltung der Gesellschaft.
Es gelte, mit vereinten Kräften das
Auseinanderdriften von Arm und
Reich wie auch eine aggressive Polarisierung von gesellschaftlichen
Gruppen aufzuhalten: „Wir brauchen eine Infrastruktur für die Integration, die auf dem Grundgesetz und den Wertvorstellungen
Deutschlands basiert.“
Der „Rand“ geht bis zur Mitte
Auf die vielen Angebote der
Wohlfahrtsverbände für Menschen,
die an den Rand der Gesellschaft
gedrängten werden, wies der Vorstand der Inneren Mission München und Vertreter von mehr als 80
diakonischen Rechtsträgern in der
Landeshauptstadt, Günther Bauer,
hin. Den Begriff „Randgruppen“
dürfte es eigentlich gar nicht geben; zudem reiche der Rand „bis in
die Mitte der Gesellschaft“.
Aufgabe der Verbände sei es,
sich um alle Menschen zu küm-
mern, „deren Leben aus den Fugen
geraten ist“. Es gelte, sie mittels
vielfältiger und spezifischer Angebote in die Gesellschaft zu integrieren, so Bauer. Neben Beratungsund Betreuungsangeboten sei die
Sorge um den sozialen Wohnungsbau zentral sowie die Schaffung
von Unterkünften, zum Beispiel
auch für den Kälteschutz. Besonders schwer hätten es nicht anspruchsberechtigte EU-Bürger und
Menschen ohne legalen Aufenthaltstitel. Für sie seien die Lebensmittelausgaben, Kleiderkammern
und mobile ärztliche Angebote besonders wertvoll. Bauer wörtlich:
„Ohne die Angebote der Wohlfahrtsverbände wäre die reiche
Stadt München menschlich deutlich ärmer.“
Die Vertreter der anderen Verbände wiesen auf Themen in der
Altenpflege hin sowie auf Fragen
der Bildungsgerechtigkeit.
ho
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Innere Mission beendet Sozialbetreuung im Ankunftszentrum für Flüchtlinge
„Das ist mit unserem diakonischen
Selbstverständnis nicht vereinbar“
Ende März hat die Innere Mission
die Sozialbetreuung für Flüchtlinge
in der Maria-Probst-Straße im Euro-Industriepark beendet. Nur eine
gute Woche nach der Beauftragung durch die Regierung von
Oberbayern (ROB) hatte die Innere
Mission München am 21. Juli 2015
die Sozialbetreuung im neu eröffneten Ankunftszentrum (AZ) aufgenommen. Bereits zwei Wochen
später war ein Dienst in zwei
Schichten von 7.30 bis 23.30 Uhr
eingerichtet, um täglich zwischen
300 und 800 Flüchtlinge gleich
nach ihrer Ankunft zu betreuen.
Ursache für die Beendigung der
Tätigkeit war eine europaweite
Ausschreibung des Betriebs des
Ankunftszentrums durch die ROB.
Dabei ist der Bereich – in der Ausschreibung als Los bezeichnet – der
Sozialen Betreuung den Bereichen
Catering, Reinigung und Security
gleichgesetzt.
„Die Abgabe eines Angebots für
den Bereich Soziale Betreuung ist
damit für uns obsolet, da diese
dann dem Objektleiter gegenüber
weisungsgebunden ist“, sagte Andrea Betz, Leiterin der Abteilung
Hilfen für Flüchtlinge, Migration
und Integration. Nur dieser sei Ansprechpartner für die Regierung
von Oberbayern als Auftraggeber.
Andrea Betz wörtlich: „Damit
wird der Stellenwert der Sozialbetreuung deutlich abgewertet, sie ist
nur noch Dienstleister eines anderen Dienstleisters. Das ist mit unserem diakonischen Selbstverständnis nicht vereinbar.“ In dieser Konstellation sei es nicht mehr möglich, die Belange der Flüchtlinge
angemessen zu vertreten.
Vorstand Günther Bauer fügte
hinzu: „Während aus der gesellschaftlichen Mitte die Aufwertung
des Sozial- und Erziehungsdienstes
gefordert wird, wird genau diese
Das war einmal: Die Mitarbeitenden der Inneren Mission begrüßten im Ankunftszentrum die Flüchtlinge mit süßen Lebkuchenherzen.
Foto: ho
notwendige Aufwertung konterkariert, indem der Sozialarbeit die
Rolle eines Erfüllungsgehilfen zugewiesen wird. Schon die Ausschreibung sozialer Dienste in Einzellosen für soziale Dienstleister erschwert die Arbeit. Die Unterstellung unter produktorientierte
Dienstleistungen trifft die sozialen
Dienste im Mark.“
Das Team der Inneren Mission
München im Ankunftszentrum bestand aus einer Sozialanthropologin, einem Islamwissenschaftler,
einer Germanistin und weiteren
Hochschulabsolventen. In jeder
Schicht waren drei qualifizierte
Mitarbeitende im Dienst. Sie berieten in 13 Sprachen, darunter Arabisch, Paschto, Dari, Farsi, Urdu,
Hindi, Russisch, Kurdisch und Vietnamesisch.
„Wir beschäftigen unsere hochqualifizierten Kolleginnen und Kollegen weiter“, sagt Sarah Weiss. Die
Juristin hat das Angebot in kürzester Zeit aufgebaut und geleitet.
Der Zuschlag ging dann Mitte
März übrigens an die Siba security
service GmbH mit Stammsitz in
Karlsruhe. Das Bewachungs- und
Werkschutzunternehmen bietet
bundesweit ein breitgefächertes
Spektrum an Sicherheitsdienstleistungen vorwiegend in den Bereichen des personellen Objekt- und
Werkschutzes, beim Brandschutz
oder der Sicherung militärischer
Objekte. Ebenso ist Siba tätig in
der Bewachung von Museen sowie
von Geld- und Werttransporten.
Seit 1. April ist Siba nun auch für
die niedrigschwellige Sozialberatung im Münchner Ankunftszentrum zuständig.
Isabel Hartmann
Fragebogenaktion des BAMF: Innere Mission übt Kritik am Vorgehen der Bundesbehörde
Sinnlos – und rechtlich fragwürdig
Es war ein ungewöhnlicher Besuch, der da Ende Februar in den
Erstaufnahmeeinrichtungen in der
Mc Graw-Kaserne und der St.-VeitStraße auftauchte, um die dort
untergebrachten Asylsuchenden
zu registrieren. Im Auftrag des
Bundesamtes für Migration und
Flüchtlinge (BAMF) nahmen Beamte des Zolls und Bundeswehrsoldaten Fingerabdrücke von den
Bewohnern, verteilten sechsseitige
Fragebögen und gaben die Order
aus, diese müssten innerhalb von
zwei Wochen zum BAMF zurückgeschickt werden.
Elisabeth Ramzews, Leiterin der
Asylsozialarbeit bei der Inneren
Mission, ist entsetzt über das Vorgehen, das sie in ihrer langjährigen Laufbahn zum ersten Mal erlebte. „So etwas ist bisher noch nie
vorgekommen!“ sagt sie. Viele der
Flüchtlinge seien anschließend
völlig verunsichert zur Sozialberatung gekommen, weil sie nicht
wussten, wie und warum sie die
insgesamt 56 Fragen beantworten
sollten. Bei den Fragen geht es um
die jeweilige Fluchtroute, um Aufenthalte in anderen EU-Staaten
und um Familienangehörige. Wer
in einem anderen EU-Land bereits
registriert ist, muss dorthin zurück,
so die Logik des BAMF.
Da es für die Rückführung eine
Frist von zwei Monaten gibt, muss
das Amt – immer auf Anforderung
eines Bundeslandes – schnell handeln. Doch niemand habe den
Menschen gesagt, welche Konsequenzen das Ausfüllen dieses Fragebogens habe, kritisiert Ramzews.
Auch Hubert Heinhold, als
bundesweit bekannter und versierter Asylanwalt im Vorstand von
Pro Asyl, hält die Aktion für rechtswidrig. Die zuständige EU-Verordnung „Dublin III“ sehe in Artikel 5
für diese Befragung „definitiv ein
persönliches Gespräch in vertrauensvoller Umgebung“ vor. Das
BAMF beruft sich hingegen auf eine Ausnahmeregelung, der zufolge
man von dem persönlichen Gespräch absehen könne, wenn der
Flüchtling bereits ausreichend informiert ist. Rechtsanwalt Heinhold
widerspricht hier vehement: „Wenn
das BAMF flächendeckend Fragebögen verteilt, macht es die Ausnahme ja zur Regel; das geht so nicht.“
Die Flüchtlinge wüssten eben gerade nicht, worum es geht, wenn sie
den Fragebogen in die Hand gedrückt bekommen. Noch dazu, wo
es um bedeutsame Inhalte gehe.
Formal und rechtlich sei das Vorgehen der Bundesbehörde mehr als
fragwürdig.
Heinhold hegt zudem den Verdacht, dass das Verfahren aus
Gründen von Geld- und Zeitersparnissen in dieser Form durchgeführt
werde. Und „sinnlos“ sei es außerdem: In der Praxis würden wohl
kaum Asylbewerber in andere EULänder zurückgeführt werden, „da
sie dort entweder registriert sein
oder einen Asylantrag gestellt haben müssten“. Faktisch treffe dies
bei kaum einem Flüchtling zu.
Das BAMF spricht offiziell in
feinstem Bürokratendeutsch von
einem „integrierten Identitätsmanagement“, das zur Unterstützung
der Bundesländer schon seit September 2015 mit mobilen Einsatzteams erfolge. Lisa Ramzews hingegen ist sauer, weil die Behörde
ihre Aufgaben kurzerhand auf die
Sozialarbeiter der Inneren Mission
abwälzt.
Klaus Honigschnabel
Seit Ostern ist die neue Unterkunft in Betrieb.
Foto: Oliver Bodmer
Milbertshofen-Am Hart: Neue Flüchtlingsunterkunft
nach Brandanschlägen eröffnet
„Wir blicken jetzt
positiv nach vorne“
Nach den mehrfachen Versuchen
dreier Jugendlicher, Anfang März
die noch unbewohnte Flüchtlingsunterkunft an der Neuherbergstraße in Brand zu setzen, hat die Innere Mission am Gründonnerstag
die Arbeit in der Einrichtung aufgenommen. Sechs Mitarbeitende
sind für die Asylsozialarbeit zuständig; zudem gibt es zahlreiche
weitere Beschäftigte in der Kinderbetreuung und Betriebsführung.
Dazu kommen weitere neun Mitarbeiter einer Security-Firma, die
für Ruhe und Ordnung innerhalb
der Leichtbauhalle sorgen sollen.
Andrea Betz, bei der Inneren
Mission verantwortlich für die
Flüchtlingsarbeit, sieht nach den
Anschlägen Handlungsbedarf.
Deshalb will die 36-Jährige jetzt
dort mit gezielten Informationen
präsent sein und Flagge zeigen.
Die Mitarbeiterinnen der ebenfalls
in ihrer Abteilung angesiedelten
Fachstelle Ehrenamt werden künftig regelmäßig vor Ort Ansprechpartner für Ehrenamtliche und
Nachbarn sein.
So habe man im direkten Umfeld der neuen Einrichtung 500
Flyer verteilt und werbe für ehrenamtliches Engagement im örtlichen Helferkreis. „Wir müssen
Kurz gemeldet
Intensive Betreuung für
Flüchtlingskinder
Die Landeshauptstadt München investiert massiv in die Betreuung
von Flüchtlingskindern: Der Stadtrat hat allein für das laufende Jahr
zusätzlich knapp sieben Millionen
Euro bewilligt. Damit erhöht sich
das aktuelle Gesamtbudget auf 9,5
Millionen Euro.
Auch die Migrationsdienste der Inneren Mission bekommen für ihre
Unterstützungsangebote in den
Flüchtlingsunterkünften einen Teil
dieser zusätzlichen Mittel. Mehr als
ein Drittel der Bewohner seien Kinder und Jugendliche, berichtet Andrea Betz, die diesen Bereich verantwortet. „Über den Beschluss freuen
wir uns sehr; jetzt können wir mit
unseren Angeboten starten.“
Weil die Flüchtlingskinder so schnell
keinen Platz in einer Kindertages-
den Menschen die Angst nehmen,
dass da etwas Schlimmes auf sie
zukommt.“ Bei einem ersten Treffen im Dezember hatten sich jedenfalls rund 30 Freiwillige gemeldet, die Solidarität zeigen, den
Flüchtlingen einen freundlichen
Empfang gewähren und sie beim
Eingewöhnen in der neuen Heimat
unterstützen wollen.
Sichtlich erleichtert ist die Sozialpädagogin, dass bei den Brandanschlägen niemand zu Schaden
kam. Sollten künftig Störungen
von außen auftreten, werde man –
wie dies auch jeder andere Bürger
tun müsse – „konsequent die Polizei rufen“.
Wichtig sei es nun vor allem,
den Kontakt zu allen beteiligten
Organisationen und Verbänden im
Stadtviertel zu intensivieren und
zu überlegen, wie ähnliche Vorfälle verhindert werden können. Einbezogen in die Gespräche werden
zudem die Mitglieder des Bezirksausschusses, örtliche Vereine, Jugendhilfeträger sowie die Polizei.
Man dürfe die Brandanschläge
nicht verharmlosen, sondern müsse sie durchaus ernst nehmen, sagt
Andrea Betz. „Aber jetzt blicken
wir erst einmal positiv nach vorne.“
Klaus Honigschnabel
stätte bekommen, seien „altersund geschlechtsspezifische Angebote wichtig, damit sie an Bildung
teilhaben können“. Für die Kleinen
gibt es spezielle Sprachförderung,
außerdem gelte es, ganz einfache
Regeln des gesellschaftlichen Zusammenlebens zu lernen.
Wer schon in die Schule gehen kann,
bekommt Hilfe bei den Hausaufgaben sowie zusätzliche Freizeitangebote im Sport- oder Kulturbereich,
um den Alltag zu strukturieren. Die
Voraussetzungen seien dabei sehr
unterschiedlich, weiß Andrea Betz.
Einige Kinder hätten schon in der
Heimat eine Schule besucht, „anderen muss man erst zeigen, was in einen Schulranzen gehört oder wie
man einen Füller hält“.
Aufgrund der Angebote für Kinder
und Jugendliche können die Eltern
auch ungestört an Beratungsgesprächen teilnehmen. Andrea Betz: „Das
ist für alle in der Familie wichtig und
sinnvoll.“
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Nr. 73 · 2016
Beim Boxen können jugendliche Flüchtlinge Selbstbewusstsein und Stärke erfahren
Training gegen den Terror im Kopf
Der erste Gegner ist eine mit Postern und Zeitungsausschnitten beklebte Wand. „Werft einfach Mal
den Tennisball dagegen und fangt
ihn wieder auf. Los geht’s!“, ruft
Box-Trainer Tim Yilmaz. Die neun
Jungen im Alter von 15 bis 18 Jahren stehen noch etwas unsicher
neben ihm, doch nach und nach
nimmt jeder einen gelben Ball aus
einer Kiste und wirft ihn gegen die
Wand – erst zögerlich, dann immer kräftiger. „Sehr schön!“, lobt
Yilmaz.
In eineinhalb Stunden wird er
fast das ganze Pensum eines normalen Anfänger-Trainings geschafft haben, wird er später sagen. Und doch ist heute alles anders. Denn die neun Jungs, die in
den Box-Keller des MTV 1879 in
der Münchner Ludwigsvorstadt gekommen sind, sind unbegleitete
minderjährige Flüchtlinge aus Afghanistan, Irak oder Eritrea und
erst seit wenigen Wochen oder Monaten in Deutschland.
Suche nach Sponsoren
„Irgendwann ist mir die Idee gekommen, ein Box-Training für jugendliche Flüchtlinge zu organisieren“, erzählt Florian Wurzer, der
an diesem Abend vom Rand des
Kellers aus das erste Training beobachtet. Der 35-Jährige hat im
Studium den Verein „Charity
meets Challenge“ gegründet, mit
dem er Spenden für soziale Einrichtungen in Bayern sammelt.
Tim Yilmaz kennt er schon aus
der Schulzeit und konnte ihn
gleich für seine Idee gewinnen. Sie
fanden erste Sponsoren und den
Sportverein MTV als kostenfreien
Trainingsort. Über die Innere Mission haben sie dann den Kontakt
zu den Flüchtlingen bekommen –
die ersten Jugendlichen kommen
nun aus Wohngruppen der Evangelischen Kinder- und Jugendhilfe
Feldkirchen in Riemerling.
„Das Boxen soll den Jungs vor
allem dabei helfen, ihr Selbstbewusstsein zu stärken für den langen Weg, den sie noch vor sich haben“, sagt Wurzer.
„Sie sollen aus dem Training gestärkt hervorgehen, damit sie auch
bei Rückschlägen im echten Leben,
die sie sicherlich erleben werden,
nicht aufgeben.“
Trainer Tim Yilmaz (m.) fand schnell
einen Draht zu den Jugendlichen.
kam“, erzählt Ursula Zenker, zuständig für die Beschulung der
Flüchtlings-Wohngruppen in Riemerling. „Wir haben geschaut, wer
noch viel Selbstbewusstsein gebrauchen kann.“ Alle hätten auf
der Flucht Unterdrückung, Gewalt
und teilweise auch Folter erlebt, erzählt die Diakonin. „Es waren Momente, in denen die Jungs sehr
schwach waren. Beim Boxen sollen sie jetzt neu lernen, ,nein‘ zu
sagen.“
Der Sport hat ihrer Meinung
nach noch weitere positive Auswirkungen: „Die Jungs lernen hier,
sich ganz auf eine Sache zu konzentrieren.“ Das sei zum einen
wichtig für Schule und Ausbildung, ermögliche ihnen aber
auch, in der Zeit an nichts anderes
zu denken. „Die Jugendlichen wachen oft nachts auf und erinnern
sich an ihre schlimmen Fluchterlebnisse. Die sind dann sehr aufgeregt – das ist Terror im Kopf.“
Weiche Bandagen – harte Jungs
gendlichen. „Nein – Gewalt ist unkontrolliert, der Box-Sport ist dagegen sehr reguliert,“ sagt Zenker.
Der Sinn des Trainings sei es ja gerade, die eigenen Aggressionen
steuern zu lernen.
Auch Tim Yilmaz sieht hier keine Gefahr – ganz im Gegenteil.
„Die lernen eine Sportart und
nicht, sich zu schlagen“, erklärt
der Trainer. „Was wir hier machen,
bleibt hier im Raum und wird
nicht auf die Straße getragen. Die
Jugendlichen sollen sich richtig
auspowern – ich selbst mache ja
auch Sport, wenn ich wieder einen
klaren Kopf kriegen will.“ Der Körperkontakt beim Boxen sei etwas
sehr Wichtiges. Anders als zum
Beispiel beim Fußball ist man dem
Gegner viel näher und lernt, eigene Distanzen zu überwinden und
mit der Nähe des anderen umzugehen, sagt Yilmaz.
Direkte Integration
Nachdem das Training mit
Zweierübungen von Schlag und
Ausweichbewegung zuende gegangen ist, ist er erleichtert, dass es
keine Berührungsängste zwischen
den Jugendlichen gab. Die Gruppe
scheint sich gut zu verstehen. „Wir
sind wie Brüder“, bestätigt der 18jährige Abdul aus Ghana und verstaut das Springseil in seinem
Rucksack, das jeder der Jungs behalten darf, um zu Hause in Riemerling damit zu trainieren.
Für den nächsten Termin muss
für die Jungen nun noch Sportkleidung organisiert werden – an diesem Abend waren alle in Jeans
und T-Shirt erschienen. Das Boxtraining ist zunächst für zehn Mal
finanziert. Danach wünscht sich
Initiator Florian Wurzer, dass die
Jugendlichen dem Sport treu bleiben, sich in den Verein integrieren
und dort Anschluss finden.
Für die Vereinsgebühren und
den Aufbau weiterer Gruppen
überlegt er, eine CrowdfundingAktion zu starten. Ursula Zenker
bestätigt, dass es bereits jetzt mehr
Anfragen für das Training gab als
Plätze. Das Boxen ist für sie direkte
Integration: Die Jugendlichen lernen auch über den Sport hinaus
viel. Zum Beispiel neue Wörter
oder Regeln wie Pünktlichkeit. Und
– ganz einfach: „Sie haben jetzt in
der Schule etwas zu erzählen.“
Imke Plesch
Neu lernen, Nein zu sagen
Beim Training merkt man den
Jugendlichen mittlerweile kaum
noch Unsicherheit an. Aus einem
großen Pappkarton angeln sie sich
die gespendeten neuen Boxhandschuhe sowie die Bandagen und
beschriften sie mit ihrem Namen.
Kaum haben sie die Handschuhe
angezogen, beginnen sie herumzualbern und sich mit ihnen zu knuffen – wie ganz normale Jugendliche in ihrem Alter.
„Ich habe Boxen im Fernsehen
gesehen. Es macht mir Spaß“, erzählt Linkshänder Rewas, der vor
einigen Monaten aus dem Irak geflohen ist. Ein Teil seiner Geschwister ist ebenfalls in Deutschland,
die anderen sind noch in der Türkei. Mehr will er über seine Flucht
nicht erzählen.
Aber kann das Boxen nicht
eventuell sogar Gewalt auslösen?
Immerhin „schlagen“ sich die Ju-
Unterdessen hat Yilmaz die Tennisballübung beendet und verraten, worum es ihm dabei ging:
„Rewas, du hast als einziger mit
links geworfen. Dann ist bei dir die
rechte Hand die Führhand und die
linke die Schlaghand. Bei den anderen ist es genau andersherum.“
Die Jungs nicken, immer noch etwas schüchtern.
Ob sie Wörter wie „Führhand“
und „Schlaghand“ verstehen, erscheint nicht ganz klar, aber wenn
Trainer Tim etwas vormacht, machen sie es einfach nach. Immer
wieder flüstern einzelne Jugendliche den anderen in ihren Landessprachen etwas zu.
„Wir haben die Jungs schon
ziemlich genau ausgesucht, als der
Vorschlag mit dem Box-Training
Ausweichen und parieren, Führhand oder Schlaghand: Beim Boxen lernen die
Jugendlichen Regeln – und stärken so ihr Selbstbewusstsein. Fotos: Kurt Bauer
Kurz gemeldet
Fachakademie für
Sozialpädagogik
Gemeinsam mit der Abteilung
Hilfen für Flüchtlinge, Migration
und Integration startete die Fachakademie für Sozialpädagogik im
Januar das Pilotprojekt „Begleitende
Ausbildung für fachfremde Mitarbeitende“. Diese erfüllt die Vorgaben des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und Soziales: Um als
Asylsozialberater angestellt zu werden, braucht es einen Nachweis
über 40 Stunden Praxisarbeit und
40 Stunden Theorie. Insgesamt 14
angehende Mitarbeiter der Sozialberatung – alle mit einem fachfremden Hochschulabschluss – wurden
freigestellt, um an mehreren Tagen
die Basiskompetenzen von professioneller Gesprächsführung und Beratung zu lernen und ihre bereits
geleistete Praxis zu reflektieren.
Zwei weitere Qualifizierungsschulungen für neue Mitarbeitende sind
geplant.
Abteilung Kindertageseinrichtungen
Gut besucht waren das Info-Forum
der Kindertageseinrichtungen und
der Fachakademie für Sozialpädagogik im Januar: An liebevoll dekorierten Ständen konnten sich die
Studierenden und andere Interessenten bei den Mitarbeiterinnen
der 16 Kindertageseinrichtungen
der Inneren Mission über Praktikumsmöglichkeiten informieren.
Beim Informationsabend der Fachakademie war dann der Nachwuchs
dran: Schulleiter und Dozenten
stellten Interessierten die Struktur
und die Inhalte der Kinderpflegeund der Erzieher-Ausbildung vor.
Fachakademie für Sozialpädagogik bietet verkürzte
Erzieherausbildung für (Fach-)Abiturienten an
Modellversuch „OptiPrax“
Mit (Fach-)Abitur in drei Jahren
zur Erzieherin oder zum Erzieher –
das ist ab September 2016 an der
Evangelischen Fachakademie für
Sozialpädagogik der Inneren Mission München dank „OptiPrax“
möglich. Diese Abkürzung steht
für „Erzieherausbildung mit optimierten Praxisphasen". Als einzige
evangelische Ausbildungsstätte beteiligt sich die Fachakademie an
diesem Schulversuch des Bayerischen Kultusministeriums.
Rosemarie Reichelt, Leiterin der
Abteilung Kindertagesbetreuung,
sieht in der verkürzten Ausbildungsvariante zum/zur staatlich
geprüften Erzieher/in zugleich
Chancen und Herausforderungen:
„Wir bewerten es auf der einen Seite positiv, dass sich das Kultusministerium bemüht, durch neue
Ausbildungswege neue Zielgruppen für die Erzieherausbildung zu
gewinnen“, sagt sie. „Andererseits
sehen wir auch, dass sich durch
die verkürzte Ausbildung die Qualität verändern kann.“ Aus diesem
Grund sei es besonders wichtig, am
Modellversuch beteiligt zu sein,
um ihn kritisch in den nächsten
Jahren begleiten zu können.
Theorie verzahnt mit Praxis
Nach eingehender Prüfung hat
sich die Innere Mission München
für die Variante 2 von OptiPrax
entschieden: eine dreijährige Erzieherausbildung speziell für die Zielgruppe der (Fach-)Abiturienten
und Abiturientinnen. Statt der bisher vierjährigen Ausbildung (mit
einjährigem Sozialpädagogischen
Seminar, zwei Jahren theoretischer
Ausbildung sowie einem Jahr Berufspraktikum) sind in der verkürzten Ausbildung Theorie und Praxis
drei Jahre lang eng verzahnt.
Die Studierenden sammeln jede
Woche zwei bis drei Tage in einer
sozialpädagogischen Einrichtung
Praxiserfahrung und erarbeiten
sich in den übrigen zwei bis drei
Tagen an der Fachakademie die
theoretischen Inhalte. Zudem sind
in jedem Studienjahr mehrwöchige Blöcke geplant, in denen nur
Unterricht an der Fachakademie
oder nur Praxiserfahrung in der
Einrichtung vorgesehen sind. „Für
uns ist dies die vielversprechendste
Option, um neue Bewerbergruppen zu gewinnen und gleichzeitig
kompetente Erzieherinnen und Erzieher ohne substanziellen Qualitätsverlust auszubilden“, sagt Michael Roth, Leiter der Fachakademie. Nach den bisherigen Erfahrungen seien Bewerber mit Fachabitur oder Abitur in ihrer persönlichen Reife oft weit entwickelt und
könnten sich differenzierte theoretische Inhalte in relativ kurzer Zeit
erschließen.
Schon viele Bewerbungen
Zudem habe die Fachakademie
die Erfahrung gemacht, dass nicht
wenige (Fach-)Abiturienten im bisherigen vierjährigen Ausbildungssystem ihre Kompetenzen rascher
entwickeln hätten können. „Deshalb gehen wir davon aus, dass gerade engagierte Bewerberinnen und
Bewerber mit (Fach-)Abitur häufiger eine dreijährige Ausbildung
wählen werden und das angestrebte Kompetenzniveau auch erreichen können“, ist Roth überzeugt.
Da die Bewerberinnen und Bewerber für die OptiPrax-Ausbildung in der Regel keine oder nur
wenig praktische Erfahrung mitbringen, müssten die theoretische
und die praktische Ausbildung parallel laufen.
An diesem Punkt sieht Rosemarie Reichelt auch einen entscheidenden Vorteil der Inneren Mission: „Mit unserer Fachakademie,
den eigenen Praxisstellen und der
engen Kooperation mit anderen
diakonischen und evangelischen
Trägern können wir Theorie und
Praxis sehr gut miteinander verbinden.“
Bereits jetzt liegen ausreichend
Bewerbungen vor, sodass im
Herbst ein Kurs mit 20 Studierenden starten kann, weitere Anwärterinnen und Anwärter stehen bereits auf der Warteliste. Damit werden in fast allen Kindertageseinrichtungen der Inneren Mission
mit Beginn des Studienjahrs
2016/17 ein bis zwei OptiPrax-Studierende ihre Ausbildung beginnen.
red
Nr. 73 · 2016
Seite 13
Der Evangelische Beratungsdienst unterstützt seit 50 Jahren obdachlose Frauen mit unterschiedlichsten Angeboten
Kurz gemeldet
Heterogene Zielgruppe – vielfältige Probleme
Evangelisches Hilfswerk
München
Obdachlose Frauen? Die gibt es
doch gar nicht! „Das war lange die
vorherrschende Meinung in der
Bevölkerung“, erzählt Nadja Dobesch-Felix, eine der drei Einrichtungsleiterinnen beim Evangelischen Beratungsdienst für Frauen.
Doch als in den 80er Jahren die
ersten speziellen Anlaufstellen eröffnet wurden, kamen plötzlich
sehr viele Frauen und es war klar:
Es gibt sie doch.
„Unsere Aufgabe ist es, die verdeckte Obdachlosigkeit von Frauen
sichtbar zu machen, ihnen einen
geschützten Raum zu bieten und
sie dann konsequent frauenspezifisch zu beraten“, erklärt DobeschFelix. Heute hilft der Evangelische
Beratungsdienst pro Jahr etwa 900
wohnungslosen oder von Wohnungslosigkeit bedrohten Frauen.
Landeshauptstadt immer mehr
verfeinert. Eine wichtige Wegmarke war 1996 die Eröffnung des
Frauenobdachs „Karla 51“, das
wohnungslose Frauen in akuten
Notsituationen aufnimmt.
Der Beratungsdienst wurde 2014
neu organisiert und in die drei Bereiche Beratungsstelle und Straffälligenhilfe, Unterstütztes Wohnen
sowie Stationäres Wohnen aufgeteilt, in denen heute etwa 45 Sozialpädagoginnen arbeiten.
„Wir schauen immer als Erstes:
In welcher Lebenssituation ist die
Frau und welche Unterstützung
braucht sie?“, erklärt Dobesch-Felix. Die Gruppe obdachloser Frauen ist sehr heterogen, ihre Probleme sind vielfältig: Neben dem Verlust der Wohnung, häufig durch
Trennung vom Partner, haben die
schüttert, wie vereinsamt viele
Frauen sind. Anders als Männer
versuchen Frauen zudem noch
länger, ihre Armut zu verdecken:
Wenn sie ihre Wohnung verlieren,
schlafen viele zunächst noch bei
Freunden oder Bekannten, selten
wirklich auf der Straße. Sie achten
auch mehr auf ihr Erscheinungsbild, schminken sich mit Testprodukten im Kaufhaus und nutzen
statt Plastiktüten einen Rollkoffer
für ihre Habseligkeiten.
Das Haus in der Heßstraße 12
existiert auch heute noch und ist
einer der Pfeiler der Arbeit des Beratungsdienstes: Bei einem kompletten Umbau Anfang der 80erJahre wurden die Mehrbett- in 22
Einzelzimmer mit Bad umgewandelt. Hier bekommen die Frauen
intensive Unterstützung: „Wir be-
lich von einer Sozialarbeiterin besucht werden. Außerdem gibt es
noch Wohngemeinschaften speziell für junge Frauen zwischen 18
und etwa 21 Jahren.
„Einige Frauen durchlaufen
auch mehrere unserer Angebote“,
erzählt Barbara Thoma, zuständig
für die Beratungsstelle und Straffälligenhilfe. So beraten die Pädagoginnen zum Beispiel in den Justizvollzugsanstalten in München
und Aichach inhaftierte Frauen regelmäßig und bereiten sie auf ihre
Entlassung vor. Manche können
dann ins Wohnheim und später in
eine Wohngemeinschaft ziehen.
Haben sie schließlich eine eigene Wohnung gefunden, können sie
sich im Rahmen von Integrationshilfen noch eine Weile begleiten
lassen, beispielsweise bei Behördengängen oder Erkundigungen
im neuen Stadtviertel. „Unser Ziel
ist es, die Frauen nachhaltig zu begleiten“, erklärt Thoma. Niedrigschwellige Unterstützungsmöglichkeiten wie die Integrationshilfen oder ambulante Beratungsangebote tragen dazu bei, dass sie
selbstständig leben können und
nicht nach ein paar Jahren erneut
ihre Wohnung verlieren.
Preiswerter Wohnraum fehlt
Beim Freitagsfrühstück kommen Frauen aus allen Bereichen des Beratungsdienstes zusammen. Hier können sie sich in
geselliger Runde austauschen, Kontakte knüpfen oder einfach nur in Ruhe einen Kaffee trinken.
Fotos: Erol Gurian
Der Beratungsdienst für Frauen
und Mädchen wurde vor 50 Jahren
in München gegründet. Vorläufer
war die vom Pfarrer der Matthäuskirche gegründete „Mitternachtsmission“, in der die Diakonieschwester Annerl Hold seit 1935
Prostituierten half.
„Mitternachtsmission“ als Pate
Die Mitternachtsmission wurde
1947 in die Innere Mission eingegliedert und konnte 1949 einige
Zimmer in der Heßstraße 12 in der
Maxvorstadt beziehen. Damals
lebten Schwester Annerl und eine
weitere Schwester noch gemeinsam mit den 25 betreuten Frauen
in sehr einfachen Verhältnissen
unter einem Dach.
Doch nach einigen Jahren
konnten sie die Arbeit nicht mehr
alleine bewältigen. 1966 wurde
deshalb der Evangelische Beratungsdienst gegründet, der von der
Stadt München und vom Bezirk
Oberbayern mitfinanziert wird.
Zwei Schwestern aus Neuendettelsau leiteten von nun an das Heim
in der Heßstraße mit einer ambulanten Beratungsstelle und freier
Straffälligenhilfe. Die Hilfe für
Prostituierte wurde eine eigene Einrichtung und läuft heute unter den
Namen „Mimikry“ und „Marikas“.
Seit 1966 hat sich das Hilfesystem für Frauen in der bayerischen
meisten Frauen auch körperliche
und sexuelle Gewalt erlebt, sei es
vom Partner oder bereits in der
Kindheit. Viele Frauen sind psychisch oder physisch krank, haben
keine oder nur eine unzureichende
Ausbildung, Schulden oder Probleme mit der Erziehung ihrer Kinder.
„Die Frauen, die zu uns kommen, sind arm in jeder Hinsicht:
Ihnen fehlt es nicht nur an Geld,
sondern auch an persönlichen
Netzwerken, Ausbildung und Gesundheit.“ Sie ist immer wieder er-
Dreimal
feiern!!!
75
Gemeinsam sind sie 75 Jahre alt:
der Evangelische Beratungsdienst
für Frauen, das Frauenobdach Karla 51 und die Lebensplätze für
Frauen, drei Einrichtungen des
Evangelischen Hilfswerks München, die sich speziell den Belangen von (ehemals) obdachlosen
Frauen widmen.
Gefeiert wird das dreifache Jubiläum am 16. Juni mit einem Gottesdienst in St. Markus (Beginn
10.30 Uhr) und einem anschließenden Empfang im Alten Rathaus
(13.30 Uhr). Der Diakonie-Report
stellt die drei Einrichtungen in diesem und dem folgenden Heft vor.
gleiten die Bewohnerinnen im
Schnitt etwa ein Jahr“, erklärt die
Einrichtungsleiterin des Bereiches
Stationäres Wohnen, Monika
Schmidt.
„Sie sollen hier erstmal zur Ruhe kommen, sich zum Beispiel um
ihre Gesundheit kümmern und
vielleicht Kontakt zu ihrem Kind
aufnehmen, wenn das in einer anderen Einrichtung untergebracht
ist.“ Viele müssten auch lernen,
überhaupt ihren Tag selbst zu
strukturieren, Putzdienste ordentlich zu erledigen und Konflikte mit
anderen Bewohnerinnen friedlich
zu lösen. Da die Sozialarbeiterinnen ihr Büro im selben Gebäude
haben, bemerken sie schnell, wenn
jemand Probleme hat und mit ihnen nicht allein fertig wird.
Voraussetzung aller Hilfen ist jedoch, dass die Frauen eine bezahlbare Wohnung finden – und genau daran scheitert es in München
schon seit Längerem: „In der Realität haben unsere Frauen auf dem
freien Wohnungsmarkt keine
Chance und können nur auf eine
Sozialwohnung hoffen“, sagt Dobesch-Felix. Sie sieht neben den
fehlenden preiswerten Wohnungen
noch ein zweites großes Problem
für benachteiligte Frauen. „Die Arbeitswelt wird immer komplizierter, einfache Tätigkeiten fallen
weg. Früher konnten viele Frauen
auch ohne abgeschlossene Ausbildung irgendwo mitarbeiten und
waren integriert.“ Diese Möglichkeiten gebe es kaum noch. Dabei
sei es für das Selbstwertgefühl der
Frauen enorm wichtig, eine Arbeit
zu haben und darüber Anerkennung zu bekommen.
Doch auch wer eine Arbeit hat
und den Mindestlohn bekommt,
kann sich davon oft keine eigene
Wohnung leisten. Gut bezahlte Arbeitsplätze und preiswerte Wohnungen sind deshalb die Hauptforderungen der Einrichtungsleiterinnen des Evangelischen Beratungsdienstes – damit sie auch in Zukunft Frauen helfen können, auf
eigenen Beinen zu stehen.
Imke Plesch
Struktur für jeden Tag
Ein zentraler Punkt in der Beratung ist oft, das Selbstwertgefühl
der Frauen wieder aufzubauen.
„Wir motivieren die Frauen, ihre
eigenen Ressourcen, Ideen und ihre Persönlichkeit zu entwickeln.
Viele müssen erst lernen, dass sie
sie selbst sein dürfen.“
Für Frauen, die ihren Alltag relativ selbständig organisieren können, gibt es außerdem über das
Stadtgebiet verteilt mehrere betreute Wohngemeinschaften, in
denen sie etwa einmal wöchent-
Tatkäftiges Triumfeminat an der Spitze des Beratungsdienstes (v.l.n.r.):
Barbara Thoma, Nadja Dobesch-Felix
und Monika Schmidt.
Mehr als 3.000 Menschen haben
das Kälteschutz-Angebot des Evangelischen Hilfswerks vom 1. November bis 31. März angenommen. Auch 25 Ehrenamtliche
unterstützten in diesem Jahr das
Kälteschutzprojekt.
„Der diesjährige Kälteschutz war
wieder ein voller Erfolg, schon deshalb, weil wir dazu beitragen konnten, dass niemand auf der Straße
erfroren oder zu Schaden gekommen ist“, resümiert Anton Auer,
der den Kälteschutz für das EHW
koordinierte.
Die Aufnahme der Hilfesuchenden
erfolgte über die EHW-Einrichtung
„Schiller 25“. Hier stellten die Mitarbeitenden ihnen Einweisungsscheine aus.
In den 152 Nächten kamen durchschnittlich 330 Hilfesuchende pro
Nacht. Ein Großteil der Menschen
ohne Obdach kommt aus Rumänien (30 Prozent) und Bulgarien
(25 Prozent). Aber auch zehn Prozent Deutsche sind unter den
Klienten, sagt Auer.
Außerdem kommen die Menschen
aus anderen EU-Ländern wie Italien
oder sogenannten Drittstaaten.
Ferner suchen immer mehr Frauen
Schutz vor der Kälte – in den vergangenen Monaten waren es 15
Prozent.
Bis Januar 2016 lag die Gesamtkapazität bei 1.000 Schlafplätzen –
viele der Betten stehen auf dem
Gelände der ehemaligen BayernKaserne. Auch 200 Flüchtlinge, die
sich meist auf der Durchreise befanden, haben im Kälteschutz einen Ort der Zuflucht gefunden.
Mit dem Ende des Kälteschutzes
müssen die meisten Menschen wieder zurück auf die Straße oder in
prekäre Wohnverhältnisse. Andere
gehen zurück in ihre Heimatländer.
Frauenobdach Karla 51
Fasching feiern und Gutes tun –
das steht auf dem Programm des
jährlich stattfindenden „Magnolienballs“. Bereits seit 65 Jahren
richtet der Deutsch-Amerikanische
Frauenclub München das Tanzspektakel der besonderen Art aus.
Das diesjährige Motto: Varieté.
Über die 10.000 Euro Spende für
das Frauenobdach „Karla 51“ des
Evangelischen Hilfswerks freuten
sich Isabel Schmidhuber, Leiterin
des Frauenobdachs, und ihre Stellvertreterin Antje Kamradt ganz besonders. „Das ist wirklich eine
schöne Summe und eine ganz tolle Überraschung zu Beginn des
Jahres“, sagte Schmidhuber. „Das
Geld geht direkt an die Frauen
und Kinder bei uns: So können wir
beispielsweise die Erstklässler mit
Schulsachen ausstatten, gemeinsame Ausflüge organisieren oder mal
ein Geburtstagsfest feiern.“
Mit der Benefizgala unterstützt die
Organisation Deutsch-Amerikanische Jugendprogramme, den Studentenaustausch und caritative
Einrichtungen. Der zweite Scheck
des Abends – ebenfalls 10.000
Euro – ging an den Jugendaustausch im Verband Deutsch-Amerikanischer Clubs (VDAC). Der
Deutsch-Amerikanische Frauenclub
wurde 1948 gegründet und ist
seither ein Ort der Begegnung für
Deutsche und Amerikaner.
Seite 14
Nr. 73 · 2016
Kircheneintrittsstelle unterwegs: Zwischen Bahnhofsmission und Prostituierten-Beratung
Glauben kann man überall
Inwiefern kann eine Beratungsstelle für Prostituierte ein Glaubensort
sein? Ein Zimmer mit Stockbetten,
in denen sich junge Stricher ausruhen können? Ein Team von Sozialpädagoginnen, die in Bordelle gehen und dort mit Prostituierten ins
Gespräch kommen oder auf der
Straße mit Strichern?
„Glaubensorte – Lebensthemen
und Geschichten an ungewöhnlichen Orten“ heißt eine Veranstaltungsreihe der Evangelischen Kircheneintrittsstelle und des Evangelischen Bildungswerks München.
In der Bahnhofsmission, der
Flüchtlingsunterkunft oder im
Krankenhaus machen Pfarrerin
Sabine Bleise-Donderer und Pfarrer
Sebastian Kühnen sich mit den
Teilnehmern auf die Suche nach
Spuren des christlichen Glaubens.
Gelebte Nächstenliebe
Den Auftakt der Reihe macht
ein Besuch in den Beratungsstellen
„Mimikry“ und „Marikas“, die
weibliche und männliche Prostituierte unterstützen. Die beiden Einrichtungen des Evangelischen
Hilfswerks sind im Erdgeschoss eines Hauses in der Dreimühlenstraße untergebracht.
Hier sitzen zwölf Teilnehmer an
einem sonnigen Samstagvormittag
Ende Februar um einen einfachen
Holztisch. Einige arbeiten hauptberuflich im kirchlichen oder diakonischen Bereich, andere engagieren sich privat in ihrer Gemeinde; einige kennen die Einrichtung
bereits flüchtig und wollen nun einen vertieften Einblick in die Arbeit dort bekommen. Andere interessiert einfach „die ganze Bandbreite von Kirche“.
„Sie sind hier mittendrin in unserer Beratungsstelle Marikas“, begrüßt Einrichtungsleiterin Michaela Fröhlich die Gäste. „An diesem
Tisch essen wir mit den jungen
Männern zu Mittag. Die Jungs haben ihn auch selbst hergerichtet
und gestrichen.“ An einer Wandtafel weisen Piktogramme auf die
Regeln bei Marikas hin. Daneben
hängt ein Plakat mit dem Alphabet – jedem Buchstaben ist ein Foto zugeordnet mit einem Gegenstand, der mit dem jeweiligen
Buchstaben beginnt. Durch die offene Tür zum Nachbarraum sieht
man einen Kicker. Die Teilnehmer
lauschen gespannt, als Fröhlich ih-
Impressum
Diakonie Report
Zeitung der Inneren Mission München
re tägliche Arbeit beschreibt. Etwa
1.500 Beratungsgespräche leistet
Mimikry, die Beratungsstelle für
Frauen, im Jahr; bei Marikas sind
es etwa 800.
Zwei Sozialpädagoginnen suchen die Prostituierten, von denen
in München 90 Prozent Migrantinnen sind, wöchentlich in Bordellen
oder am Straßenstrich auf, um
Kondome und Infobroschüren zu
verteilen. Daneben beraten sie sie
bei Fragen etwa zu Gesundheit,
Schwangerschaft, Schulden oder
Arbeitsalternativen.
Durch diese aufsuchende Arbeit
lernen die Frauen Mimikry kennen
und können sich bei Problemen
den Beraterinnen anvertrauen.
Und kommen bei der täglichen
Arbeit auch Glaubensfragen zur
Sprache, will eine Teilnehmerin
wissen. „Wir missionieren nicht“,
erklärt Michaela Fröhlich. In erster
Linie gehe es darum, Beziehungen
und Vertrauen aufzubauen, um so
den Frauen im Alltag beizustehen.
„Fragen zum Glauben beantworten wir gerne, wenn die Frauen das
möchten.“
Wertschätzende Akzeptanz
Einsatzort Straße: Die Mitarbeitenden
von Marikas und Mimikry gehen dorthin, wo die Klienten arbeiten.
Den Auftrag der beiden Beratungsstellen versteht die Sozialpädagogin, die schon seit sechs Jahren hier arbeitet, „als gelebte
Nächstenliebe“. Mit ihrem Team
setzt sie sich ein für Menschen, die
am Rande der Gesellschaft stehen,
die auf Hilfe angewiesen oder benachteiligt sind.
Die Aufmerksamkeit und
gleichzeitig das Interesse in der
Gruppe steigen, als Fröhlich von
der Arbeit mit jungen Strichern bei
Marikas erzählt. Für Männer bis
27 Jahren gibt es in den Räumen
der Beratungsstelle acht Betten, in
denen sie von Mittwoch bis Freitag
von 6.30 bis 14 Uhr schlafen können. „Die Anlaufstelle soll so niedrigschwellig wie möglich sein“, erläutert Fröhlich. Nur dann würde
Jet-Foto Kranert / Deutsche Bahn AG,
Martina Kreis, Sabine Lindau,
Christine Maier, Gerwin Miller, Stefan
Obermeier, Marion Ohnes, Imke
Plesch, Josephin Schmid, Susanne
Schröder, Christian Zanke
Inhaber und Verleger: Innere Mission
München – Diakonie in München
und Oberbayern e.V., Landshuter
Allee 40, 80637 München
Satz: CreAktiv komma München
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Verantwortlicher Redakteur:
Klaus Honigschnabel,
Telefon: 089 / 12 69 91–121
Druck: Druckhaus Kastner, Wolnzach;
gedruckt auf Papier mit 50 Prozent
Recyclinganteil
Redaktion: Isabel Hartmann,
Klaus Honigschnabel
Erscheinungsweise: dreimal jährlich
Mitarbeit:
Matthias Balk / picture alliance,
Kurt Bauer, Lukas Bergmann,
Oliver Bodmer, Zina Boughrara,
Gudrun Blänsdorf, Maja Demirovic,
Gabriele Graff, Erol Gurian,
Vanessa Hadzic, Oryk Haist,
Sabine Hermsdorf, Hüseyin Ince,
sie auch wirklich genutzt. Von 14
bis 17 Uhr sind die Räume für den
Tagesaufenthalt geöffnet, wo die
jungen Männer einen Schutz- und
Ruheraum finden, Gesprächs- und
Beratungsangebote bekommen
oder sich einfach nur ausruhen
können. Fast alle, die die Beratungsstelle aufsuchen, sind Roma
und stammen aus Bulgarien.
„Während die Frauen, mit denen wir es zu tun haben, die Prostitution als eine Form von Erwerbstätigkeit sehen, ist die Armutsprostitution für junge Männer eher eine Überlebensstrategie“, erzählt
Fröhlich. Sie sind in der Regel wohnungslos und haben ein sehr geringes Bildungsniveau. Viele sind
Analphabeten. Bei Marikas bekommen sie nicht nur ein Bett,
sondern auch Essen von der Tafel,
können duschen und ihre Wäsche
waschen. Sehr wichtig ist, sie über
Krankheiten wie HIV und Hygiene
aufzuklären, ihnen den Gebrauch
von Kondomen zu erklären und
vielleicht mit ihnen einen Lebenslauf und eine Bewerbung zu
schreiben, berichtet Fröhlich. Auch
wenn es schwierig sei, konkrete Erfolgserlebnisse zu messen, bekämen sie und ihr Team bei der Arbeit sehr viel zurück: „Die Jungs
sind dankbar für Menschlichkeit
und Hilfe und dafür, dass wir sie so
nehmen, wie sie sind.“
Aktuelle Druckauflage: 9.500 Stück
Der Auflage liegen bei: Jahresbericht
und Zeitung der diakonia, Jahresbericht der Inneren Mission sowie ein
Überweisungsträger.
Spendenkonto:
IBAN DE38 70020270 0036707070
BIC HYVEDEMMXXX
Auf diesen Punkt kommen die
Teilnehmer nach einer kurzen Diskussion in Kleingruppen und einer
Bibelgeschichte schließlich wieder
zu sprechen. Dass die Prostituierten hier akzeptiert und wertgeschätzt und nicht verurteilt würden, sei doch genau die Botschaft
der unbedingten und unablässigen
Liebe Jesu, findet eine Teilnehmerin. Das betont auch Fröhlich:
„Diese Frauen und Männer erleben in der Gesellschaft soviel Stigmatisierung. Wir sehen sie hier in
erster Linie als Menschen und
nicht als Prostituierte oder Stricher.“ Deshalb werden auch alle
mit Handschlag und Namen begrüßt.
Doch nicht nur die Klienten
würden stigmatisiert, auch diejenigen, die hier arbeiten, berichtet die
Einrichtungsleiterin: „In meinem
persönlichen Umfeld gibt es ganz
unterschiedliche Reaktionen, wenn
ich von meiner beruflichen Tätigkeit berichte; oft werde ich gefragt,
warum ich denn solchen Menschen helfe.“ Umso mehr freue sie
sich, im Rahmen der Veranstaltungsreihe einen Einblick in ihre
Arbeit geben zu können und als
Glaubensort wertgeschätzt zu werden.
Imke Plesch
Nächster Termin
24/7: Am Puls der Zeit
Führung in der Bahnhofsmission,
Geschichten über das, was Menschen wirklich brauchen
30. April 2016, 10 – 13 Uhr
Ort: Bahnhofsmission, Hauptbahnhof München, Gleis 11
Anmeldung bei der Evangelischen
Kircheneintrittsstelle unter Telefon
089/51 26 59 60 (bis 23. April
2016).
Garantiert keine Schottenröcke und auch kein Whisky: Zwölf Tonnen Winterkleidung kamen aus Edinburgh nach München – und gingen direkt in die
Flüchtlingshilfe.
Foto: Kurt Bauer
„Edinburgh Direct Aid“ spendet zwölf Tonnen Winterkleidung für Flüchtlinge in München
Warme Decken, Schals und
Röcke aus Schottland
Die Textilsortierer bei der diakonia
haben im Dezember eine außergewöhnliche Spende frei Haus geliefert bekommen: Zwei Lastwagen
brachten rund zwölf Tonnen Kleidung ins Sortierzentrum am Stahlgruberring 8. Alles fein säuberlich
verpackt auf 35 Paletten und passgenau für den Winter.
Absender der ungewöhnlichen
Spende: Die „Edinburgh Direct
Aid“ (EDA) in der schottischen
Hauptstadt – seit 1954 (und damit
älteste) Partnerstadt von München.
Rund 1.800 Kilometer haben die
gespendeten Kleider aus den Highlands zurückgelegt, bevor sie an
Flüchtlinge verteilt wurden. Die
Schottische Regierung hat das
Unternehmen mit einer Zuwendung von 10.000 Pfund unterstützt.
Schon seit mehr als 20 Jahren
sammelt EDA Hilfsgüter speziell
für Flüchtlinge und bringt sie auch
selber vor Ort. Bislang gingen die
Container nach Bosnien, Kroatien
oder Gaza, in den Kosovo oder in
den Libanon. Die Herzlichkeit, mit
der die Münchner Bevölkerung die
Flüchtlinge im September empfangen hatte, beeindruckte die schottische Hilfeorganisation. Über die
Vermittlung einer Privatperson kamen die beiden Hilfeorganisationen dann zusammen und machten aus, was genau gebraucht wird
in der kalten Jahreszeit.
Das Ergebnis der Kleidersammlung, zu der die Schotten ihre sonst
gerne als sehr sparsam apostrophierten Landsleute aufriefen,
brach alle Rekorde: „We were almost overwhelmed by the quantities of goods donated“, berichtete
EDA-Chairman Denis Rutovitz.
Und diakonia-Geschäftsführer
Dieter Sommer ergänzte: „Es ist
wunderbar, wie gut eine Zusammenarbeit in Europa auch
klappen kann, wenn alle Beteiligten guten Willens sind.“
Klaus Honigschnabel
Kooperation mit dem Sozialpsychiatrischen Dienst (SPDi)
diakonia eröffnet Ladengeschäft „M7“ in Ebersberg
Die diakonia Dienstleistungsbetriebe sind in Ebersberg wieder mit einem Ladengeschäft vertreten. Im
„M7“ in der Münchener Straße 7
finden künftig alle Liebhaber von
Secondhand-Ware gebrauchte Textilien, Kleinmöbel, Hausrat und
Gesellschaftsspiele. Zum Schnäppchenpreis – und mit einem sozialen Hintergrund.
Der Secondhand-Laden bietet
derzeit 14 Arbeitsplätze für Menschen, die aufgrund schwieriger
Lebenslagen oder anderer Beeinträchtigungen nur schwer Arbeit
finden. Sie können sich hier beruflich orientieren oder sich qualifizieren lassen. Wie alle anderen Ladengeschäfte der diakonia lebt der
Betrieb von Spenden, ob Kleidung,
Schuhe oder Spielsachen.
Bis vor wenigen Monaten war
diakonia in Ebersberg in der Ignaz-Perner-Straße vertreten. Im
Frühjahr dieses Jahres entstand im
Münchner Osten ein großer Sortierbetrieb, weshalb Disposition
und Fuhrpark zentral gebündelt
wurden. In der Münchener Straße
7 konnte jetzt ein neues Ladengeschäft in zentraler Lage, schräg
gegenüber der Kreisklinik, bezogen
werden.
Zum neuen Konzept gehört
auch, dass diakonia nun enger mit
den örtlichen Sozialpsychiatrischen Diensten (SPDi) zusammenarbeitet. Menschen mit Handicap,
die vom SPDi betreut werden und
die sich für eine neue Tätigkeit
interessieren, können sich direkt
an diakonia wenden. Der Sozialbetrieb unterhält ein kleines Büro im
Gartenhof der Tagesstätte.
Die Kooperation hat bereits
zahlreiche Interessierte in Arbeit
gebracht. Wie beispielsweise in der
Spielzeugsortierung, die in dem
Ladengeschäft ebenfalls eine neue
Heimat gefunden hat.
ho
Nr. 73 · 2016
Seite 15
Nach zwölf intensiven Jahren hat Martina Kreis die diakonia verlassen
Abschied von der Brückenbauerin
Als Martina Kreis Anfang Juli 2004
bei diakonia die Leitung des Secondhand-Ladens „kleidsam“
übernahm, umfasste ihr Team gerade einmal acht Mitarbeiterinnen; bei ihrer Verabschiedung elf
Jahre später war sie Chefin von
rund 200 Beschäftigten.
Wobei die Pfarrerin aus Westfalen eigentlich nie typische ChefAllüren an den Tag legte, sondern
sich eher als Trainerin eines Teams
verstand, bei dem alle Hand in
Hand arbeiten. „Wir haben zusammen etwas Wunderbares auf
die Beine gestellt“, sagte sie ganz
zum Schluss – und viele, die zum
Abschied ins Gebrauchtwarenhaus
gekommen waren, hatten da
feuchte Augen.
Zuvor hatte Geschäftsführer Dieter Sommer ihre Haltung und ihr
engagiertes Wertesystem gelobt,
das die damals arbeitslose Theologin mitbrachte, als sie sich erstmals
bei diakonia vorstellte. Doch die ur-
Persönlich
Seit vergangenem Jahr leitet Monika Schmidt den Stationären
Bereich des Evangelischen Beratungsdienstes für Frauen. Sie ist in
der Einrichtung kein neues Gesicht: Vor rund 23 Jahren kam die
44-Jährige als Praktikantin im
Wohnheim in der Heßstraße zum
ersten Mal in die Einrichtung –
und ist geblieben. „Gerade im stationären Bereich kann man intensiver arbeiten und Prozesse starten, um Frauen umfassend zu
unterstützen, die einen schlechten
Lebensstart bekommen haben“,
sagt sie.
In den vergangenen Jahrzehnten ist der Evangelische Beratungsdienst stetig gewachsen (siehe Seite 13) – und Monika
Schmidt hat sich „immer unter
dem gleichen Dach weiterentwickelt“: Während ihres Studiums
half sie, die Erwachsenen-Wohngemeinschaften mit aufzubauen –
und startete danach als Sozialpädagogin. Mehrere Jahre lang fungierte sie als interne Vertrauensperson, war Mitglied der Mitarbeitervertretung und stellvertretende
Leiterin.
„Die Lage für unsere Klientinnen wird komplizierter“, hat sie in
den vergangenen Jahren beobachtet. „Viele von ihnen haben
nicht nur eines, sondern vielfältige existenzielle Probleme – und
gleichzeitig weniger Rückhalt in
der Familie und im Freundes-
sprüngliche Idee – eine Beschäftigung als Arbeitslosenseelsorgerin –
sei nicht umsetzbar gewesen und so
habe sie bald von der „inneren
Kanzel ins Management des Secondhand-Vertriebs gewechselt“.
Zwischenzeitlich sei daraus ein
mittleres Unternehmen geworden,
das „vorzüglich aufgestellt ist“.
Pfarrer Günther Bauer, Vorstand
der Inneren Mission, attestierte seiner Amtskollegin, gleichzeitig
„Pionier und Pontifex“ gewesen zu
sein: „Die Pioniere bei der Bundeswehr räumen die großen Brocken
auf die Seite und schlagen auch
mal Brücken, wenn es gilt, ein
Hindernis zu überwinden.“
Der von Kreis entwickelte Textilbereich sei das „Aushängeschild“
der diakonia geworden, lobte Bauer. „Und deshalb bin ich auch heilfroh, dass Sie uns an anderer Stelle
bei der Inneren Mission als Mitarbeiterin erhalten bleiben.“ (siehe
Seite 4)
kreis.“ Ein Jahr bleiben die Frauen
im Durchschnitt im Wohnheim.
In dieser Zeit möchte Monika
Schmidt jeder in ihren Möglichkeiten eine Chance und Wertschätzung geben.
Dabei liegt ihr die geschlechterspezifische Arbeit besonders am
Herzen: „Studien zeigen, dass 35
Prozent der Obdachlosen Frauen
sind“, sagt Schmidt. Sie seien nur
nicht so sichtbar. „Dass es Bedarf
an Unterstützung gibt, merken wir
daran, dass neue frauenspezifische Angebote gut angenommen
werden.“ Oft gelte es, erst einmal
die Frauen zu bestärken, etwas für
sich zu tun, ihre Rechte einzufordern und ihren Weg zu finden.
Ihr Wissen vermittelt Monika
Schmidt mittlerweile an nachfolgende Generationen: An der
Hochschule München gibt sie das
Methodenseminar „Berufliches
Handeln mit wohnungslosen und
straffälligen Frauen“. Bei der Inneren Mission engagiert sie sich
bei Communicatio und in der
internen Arbeitsgruppe für Praktikantenanleitende. „Mir ist es
wichtig, dass der Nachwuchs fachlich gut ausgebildet wird“, sagt
sie. „Schließlich sind die Studierenden von heute unsere Mitarbeitenden von morgen.“
Das hat sie selbst mit ihrem
Weg innerhalb des Evangelischen
Beratungsdienstes gezeigt.
Stellvertretende Leiterin der Abteilung Kindertagesbetreuung ist seit
1. September 2015 Margit te Brake. Ihr Ziel ist, „die Abteilung Kindertagesbetreuung in all ihren Facetten kennenzulernen, gemeinsam mit der Abteilungsleitung
weiterzuentwickeln und Entlastung zu schaffen“.
Sie hat das Qualitätsmanagement übernommen, arbeitet sich
in alle Themenfelder ein und ist
aktuell dabei, sich mit den 16 Einrichtungen bekannt zu machen.
„Ich bin mit offenen Armen empfangen worden“, sagt sie. Des
Weiteren leitet die Diakonin den
Kindergarten in Feldmoching.
Die 47-Jährige ist ursprünglich gelernte Bürokauffrau und kommt
Dem stimmte auch Andreas Voget, Chef des FairWertung Dachverbandes in Essen, uneingeschränkt zu. Kreis sei „stets offen,
fröhlich, positiv denkend und den
Menschen zugewandt“ gewesen,
auch wenn in den vergangenen
Monaten die zahlreichen Kleiderspenden für Flüchtlinge alle „bis
an den Anschlag“ gefordert hätten.
Und Roland Pelikan vom Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt
versicherte ihr schlicht und ergreifend: „Du hast hier viel bewegt.“
Beschaulich ist es dabei an den
vielen Wirkstätten der Martina
Kreis nie zugegangen – auch wenn
einer ihrer vielen Wahlsprüche
lautete: „Jetzt machen wir uns mal
ein ruhiges Jahr.“ Bewegt haben
die 55-Jährige in dieser Zeit nicht
nur zahlreiche Themen, sondern
auch Menschen. Getreu eines anderen Wahlspruchs: „Bei der diakonia ist nichts in Stein gemeißelt.“
Klaus Honigschnabel
aus der Nähe von Pappenheim.
„Ich mag Zahlen und die Arbeit
im Büro, brauche aber auch den
Kontakt zu Menschen“, erklärt te
Brake. Deshalb habe sie nach vier
Jahren Arbeitsalltag „nochmal
völlig umgesattelt“ und die Ausbildung zur Diakonin begonnen.
Nach fünfjähriger Ausbildung mit
Schwerpunkt Erziehung in Rummelsberg ist sie seit 1999 eingesegnete Diakonin. „Unser Beruf ist eine Lebensform – diese Entscheidung habe ich nie bereut“, betont
Margit te Brake.
Von 1997 bis 2004 war te Brake
Geschäftsführerin des Vereins
Freundesring Nürnberg und Sulzbürg. Die Rummelsberger Dienste
für junge Menschen übernahmen
2005 die Trägerschaft für die beiden Kitas und die zwei MutterKind-Häuser des Vereins. Margit te
Brake wurde Fachbereichsleiterin
für die Kindertagesstätten und die
Häuser Mutter und Kind. Neben
der Arbeit schloss sie 2008 die
Weiterbildung Management sozialer Organisationen sowie das
Studium der Diakoniewissenschaft
ab.
Im Januar 2010 wechselte sie
als Abteilungsleitung in den Bereich Fundraising und Spendenwesen. Aus privaten Gründen zog
Margit te Brake dann im Dezember des Jahres nach Oberbayern
und übernahm die Leitung des
Rummelsberger Altenhilfeverbundes in Starnberg. „Das war eine
ganz spannende Zeit“, erzählt sie.
„Mir sind die alten Menschen ge-
Drei Goldene
Kronenkreuze verliehen
Christine Maier, Leiterin des Stadtteilbüros Neuperlach, hat im Dezember das Goldene Kronenkreuz
erhalten. Bei der Verleihung im
festlichen Rahmen hob Gordon
Bürk, Geschäftsführer des Evangelischen Hilfswerks München, ihr erfolgreiches Wirken für die Innere
Mission München und für das
Evangelische Hilfswerk hervor: Die
zahlreichen Kurse und Angebote
im Stadtteilbüro seien über viele
Jahre hinweg durch den unermüdlichen Einsatz von Christine Maier
entstanden.
Das Goldene Kronenkreuz gab es
auch für Nadja Dobesch-Felix, Leiterin des Bereichs Unterstütztes
Wohnen des Evangelischen Beratungsdienstes für Frauen. In seiner
Rede betonte Gordon Bürk, welchen maßgeblichen Beitrag sie zur
guten Entwicklung des gesamten
Evangelischen Beratungsdienstes
erbrachte hatte. Aus der Arbeit des
Evangelischen Beratungsdienstes
nauso ans Herz gewachsen wie
Mütter und Kinder.“ Langfristig
fände sie es „einen reizvollen Gedanken“, die Bereiche Altenhilfe
und Kindertagesbetreuung näher
zusammenzubringen.
Der promovierte evangelische
Pfarrer Michael Frieß ist seit Anfang Dezember als Assistent von
Vorstand Günther Bauer für besondere Projekte und Aufgaben
auf Geschäftsführungsebene zuständig. Zugleich leitet er in diesem Rahmen die Abteilung Sozialpsychiatrie und Gesundheit.
Wäre der 41-Jährige ein katholischer Mönch, dann hätte er zumindest das benediktinische Ordensideal der stabilitas loci, demzufolge man gelobt, beständig an
einem Ort zu leben, zu hundert
Prozent erfüllt: Frieß hielt sich
zeitlebens in der Gemeinde Gröbenzell, westlich von München,
auf. Lediglich die erste Woche auf
Erden verbrachte er im Krankenhaus der benachbarten Kreisstadt
Fürstenfeldbruck. „Ich bin mit
Leib und Seele hängengeblieben
in meiner Stadt.“
15 Monate Zivildienst geleistet
hat er bei den ortsansässigen Maltesern – und auch dort ist er gerne
hängengeblieben. Mittlerweile ist
er ehrenamtlicher Geschäftsführer
der Wache, übernimmt verbandspolitische Funktionen auf Diözesanebene und kann es nach 21
Jahren einfach nicht lassen, selbst
Rettungsdienst zu fahren. „Ich
brauch‘ die praktische Arbeit am
Patienten; nur am Schreibtisch
geht nicht“, sagt er.
Frieß will „Menschen direkt
helfen“ – etwa wenn es darum
geht, verletzte Flüchtlinge ins
Krankenhaus oder Patienten in einer akuten psychischen Krise in
die Psychiatrie zu bringen – für
den Theologen ist das auch eine
wichtige persönliche Erfahrung.
„Das überschneidet sich auf ideale
Weise mit meinen neuen Aufgaben bei der Inneren Mission.“
Theologie studiert hat er in
München, nach dem ersten Examen war er zweieinhalb Jahre Assistent von Professor Friedrich Wil-
seien zudem weitere wichtige
Dienste wie das Frauenobdach
Karla 51 oder die Lebensplätze
hervorgegangen. Diese trügen somit von ihrer Entstehung her auch
die Handschrift von Nadja Dobesch-Felix.
Der Gesamtleiter der Evangelischen Kinder- und Jugendhilfe
Feldkirchen, Achim Weiss, wurde
für seine langjährige engagierte
Mitarbeit ebenfalls mit dem Goldenen Kronenkreuz geehrt. Im
Rahmen der Verleihung des KarlBuchrucker-Preises überreichte
Vorstand Günther Bauer die höchste Auszeichnung, die die Diakonie
in Deutschland vergeben kann.
Bauer würdigte den 60-Jährigen
für seinen anhaltend hohen Einsatz
im Bereich der Jugendhilfe, „der
über das hinausgeht, was man als
Arbeitgeber von einem Mitarbeiter
eigentlich erwarten kann“. Der Sozialpädagoge leitet seit 24 Jahren
die „Komplex-Einrichtung“ in Feldkirchen; dort sind derzeit in zahlreichen Dienststellen rund 270
Mitarbeitende beschäftigt.
helm Graf. Für seine Promotion
zog sich Frieß zwei Jahre in häusliche Klausur zurück – eine Spanne, die er rückblickend als eine
„ganz tolle befreite Zeit“ empfindet. Thematisch wählte er mutig
ein heikles Thema: „Komm süßer
Tod – Europa auf dem Weg zur Euthanasie?“
Der Untertitel klingt freilich
deutlich wissenschaftlicher: „Zur
theologischen Akzeptanz von aktiver Sterbehilfe und assistiertem
Suizid“. Ein Diskurs, für den Frieß
als liberaler Theologe auf Fachtagungen und Veranstaltungen ein
viel gefragter Gast ist.
Weitere berufliche Stationen
führten ihn zum Vikariat nach
Pfaffenhofen/Ilm, auf seine erste
Pfarrstelle nach Hilpoltstein und
schließlich nach Landsberg/Lech,
von wo aus er nach nur anderthalb Jahren zur Inneren Mission
wechselte. An seinem neuen Tätigkeitsfeld interessiert ihn vor allem, diakonische Projekte handfest umzusetzen. „Ich will jetzt das
hauptamtlich machen, was ich
von den Maltesern her aus langer
ehrenamtlicher Tätigkeit bereits
kenne.“
Projekte gibt es dazu genug: Ein
Flyer für die innerbetriebliche Sozialarbeit muss gemacht werden,
im Bereich der Epilepsie soll eine
neue Wohngemeinschaft am
Nockherberg entstehen und der
im Aufbau befindliche psychologische Krisendienst in Oberbayern
ist ein „Riesenprojekt“, das viel
Organisationstalent fordert.
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Nr. 73 · 2016
Interkulturelle Akademie: Veranstaltung „Sterben, Tod
und Trauer“ findet viel Resonanz
Zeichen der Nähe
Freie Plätze bei der Ferienerholung: StreetdanceWorkshop, Stadtranderholung oder Sommerfreizeit
Langeweile war gestern
Hohe Mauern bezwingen, mal Bühnenluft schnuppern oder Tipis bauen und den Wald erforschen? Eine
Menge Abenteuer gibt es auch in
diesem Jahr bei der Ferienerholung
der Inneren Mission zu erleben.
In den Pfingstferien finden zwei
Workshops für Kinder zwischen
sechs und zwölf Jahren im Internationalen Jugendzentrum Haidhausen (IJZ) in der Einsteinstraße 90
statt. Auf die Bühne geht es im
Theater-Workshop (17. – 20.5.). In
der zweiten Woche können Mädchen und Jungen beim Streetdance-Workshop (23. – 25. + 27.5.)
neue Moves kennenlernen und
sich zur Musik ausprobieren.
Wieder im Programm ist in den
Sommerferien der beliebte und bewegungsintensive Workshop Parkour (1. – 5.8.). Auch im Herbst
wird im IJZ ein Workshop zu den
Themen Bewegung, Spaß und
Spiel stattfinden (2. – 6.11.).
Spiel und Spaß
In den Sommerferien stehen bei
den Freizeiten für Schulkinder von
sechs bis zwölf Jahren eine Woche
lang Spiel und Spaß im Vordergrund. Beim Natur-Stadt-Erlebnis
(27.8. – 2.9.) im Jugendhaus St.
Anna bei Freising erkundet die
Gruppe gemeinsam im Norden
von München die Gegend, Natur
und Stadt. Wanderungen, Lagerfeuer, Geschichten und Kreativsein
gehören zum Programm des Natur-Phantasie-Erlebnisses (3. – 9.9.)
im Jugendhaus Ensdorf in Kraiburg am Inn.
Bei der Stadtranderholung auf
dem Gelände des Waldheims Grä-
felfing des Evangelischen Handwerkervereins können Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren ihr
eigenes Waldhaus bauen, spielen,
basteln und Sport oder Musik machen. Geschlafen wird zu Hause.
In den Pfingstferien gibt es zwei
und in den Sommerferien insgesamt sechs Campwochen, die auch
kombiniert werden können.
Familien mit einem geringen
Einkommen bekommen – dank Zuschüssen der Stadt München – bei
den Angeboten eine Ermäßigung.
Die Anmeldung läuft vorzugsweise über das Formular auf der
Homepage. Telefonisch sind die
Mitarbeitenden der Ferienerholung
unter der Nummer 089/41 07 99
12 oder per E-Mail [email protected] zu erreichen.
isa
www.ferienerholung-muenchen.de
Betreuer gesucht
Für die Stadtranderholung suchen
die Veranstalter noch Betreuerinnen
und Betreuer, die – im Idealfall –
pädagogische Erfahrung besitzen
sollten. Möglich sind ein- bis sechswöchige Einsätze oder Praktika. Die
Betreuer erhalten eine qualifizierte
Schulung, Anleitung und Begleitung in der Kinderbetreuung. Für
den Einsatz gibt es – je nach Dauer
und Qualifikation – den Jugendgruppenleiterschein mit zugehöriger Ausbildung (JuLeiCa), eine Aufwandsentschädigung und gegebenenfalls eine Praktikumsbescheinigung.
Nähere Informationen unter Telefon
089 / 41 07 99 12 oder der E-Mail
[email protected].
T E R M I N E
25 Jahre Heilpädagogische Tagesstätten Feldkirchen; 27. April, ab
13 Uhr, Hohenlindner Straße 8
12.00 Uhr Tombola, Dachauer Straße 192. Jede Hose nur fünf Euro;
Kinder zahlen die Hälfte.
Benefizkonzert der koreanischen
Gemeinde zugunsten unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge;
7. Mai, ab 19 Uhr, St. Markus,
Gabelsberger Straße 6
10 Jahre Evangelisches Pflegezentrum Eichenau; 8. Juli,
11 – 17 Uhr, Bahnhofstraße 117
20 Jahre diakonia – fünf Jahre
Kaufhaus secondhand;
7. – 10. Juni nachmittags, 11. Juni ab
30 Jahre Pflegeheim „Lindenhof“
in Grafenaschau; 22. Juli, ab 14.30
Uhr, Aschauer Straße 28
Weitere Veranstaltungen finden Sie
unter www.im-muenchen.de
Respekt gegenüber den Toten
Die islamische Religionspädagogin Laily Moradi ermutigte, bei
den Sterbenden oder ihren Familien nachzufragen, welche Begleitung und welche Rituale sie sich
wünschen. Denn für Muslime sei
es religiöse Pflicht, sich auf den
Tod vorzubereiten.
Laily Moradi, die mit dem islamischen Bestattungsunternehmer
Salih Güler zusammenarbeitet,
ging auch auf die islamischen Bestattungsriten und die Praxis auf
den Münchner Friedhöfen ein. Die
Totenwaschung, die im Islam sehr
wichtig ist, sei nicht nur eine
Pflichtaufgabe für Muslime, sondern auch eine wertvolle Bereicherung: Sie ermöglicht es, dem Toten
gegenüber Respekt zu erweisen, ist
aber auch ein Moment des Nachdenkens über das, was im eigenen
Leben wichtig ist.
Muslimische Gräberfelder finden sich in München auf dem
Westfriedhof, auf dem Neuen Südfriedhof sowie – bereits seit 1955 –
auf dem Waldfriedhof. Alle Gräber
sind nach Mekka ausgerichtet,
muslimische Gräber sollen zudem
schlicht sein. Individuell sind die
Gräber trotzdem: Sie spiegeln die
unterschiedlichen Herkunftsländer
und Persönlichkeiten. Blumenschmuck nach deutscher Tradition
findet sich dort inzwischen durchaus. „Auch die Gräber haben sich
integriert“, sagte Laily Moradi.
Einblicke in ganz andere Vorstellungen vom Tod gab die interkulturelle Trainerin und Beraterin
Ngân Nguyen-Meyer. „In Vietnam
sind Buddhismus und Geisterglaube eng miteinander verwoben“, erzählte sie. „Die Seele lebt nach
dem Tod weiter und beeinflusst das
Leben der Lebenden.“ Die Präsenz
der Geister sei für viele Vietnamesen stark spürbar und auch mit
Ängsten belegt. Die Verstorbenen
werden für die Zeit nach dem Tod
sogar mit Papiergeld, Lebensmitteln und anderen Dingen des täglichen Lebens versorgt.
„Die Verantwortlichen in den
Alten- und Pflegeheimen sollten
sich Zeit nehmen, um die unterschiedlichen Todesvorstellungen
ihrer Mitarbeitenden kennenzulernen“, empfahl Ngân Nguyen-Meyer, die auch 22 junge Vietnamesen
bei ihrer Ankunft betreut hat, die
seit 2013 in den Heimen der Hilfe
im Alter arbeiten.
Im Programm der InterKulturellen Akademie soll der Tod nicht
das letzte Wort haben: Nach den
Veranstaltungen zu „Lebensstationen in den Religionen“ sind weitere Veranstaltungen zu Lebensthemen geplant.
Gudrun Blänsdorf
Das Gesicht der
Obdachlosigkeit
Ausdrucksstarke, schonungslose
und ehrlich Porträts: Die Wanderausstellung „Die Unsichtbaren“
der Deutschen Bahn Stiftung gibt
Obdachlosigkeit ein Gesicht. Vom
12. bis zum 23. Mai gastiert sie in
der Halle des Münchner Hauptbahnhofs. Oberbürgermeister Dieter Reiter spricht zur Eröffnung am
12. Mai um 10 Uhr ein Grußwort.
Insgesamt 25 Schwarz-WeißPorträts auf großformatigen Tafeln
zeigen obdachlose Menschen – die
zwar allgegenwärtig sind, aber
trotzdem in der Gesellschaft kaum
beachtet werden. Kurze Zitate geben Einblick in das Schicksal der
Unsichtbaren. Das Projekt ist eine
Kooperation der Berliner Morgenpost mit der dortigen Bahnhofsmission: Cheffotograf Reto Klar
und Redakteurin Uta Keseling begleiteten drei Wochen lang den
Alltag in der Bahnhofsmission.
Der daraus entstandene Bildband „Unsichtbar – Vom Leben
auf der Straße“ mit insgesamt 52
Bildern, Zitaten und einer Reportage ist auch im Handel erhältlich –
der Reinerlös kommt den deutschen Bahnhofsmissionen zugute.
js / Foto: Kranert / Deutsche Bahn AG
Und jetzt das Letzte…
Frau Merkel mag
die Raute. Wir in Bayern
zeigen lieber harte
Kante...
Aufsichtsratsvorsitzender Andreas Bornmüller, falsch zitiert von ho. Foto: Oliver Bodmer
Schäfchen zählen – und dabei garantiert nicht einschlafen: Bei der Ferienerholung geht es raus in die Natur.
Foto: Archiv
Wie leben Menschen aus unterschiedlichen Kulturen und Religionen in München die verschiedenen
Stationen des Lebens? Um diese
Frage drehte sich eine Veranstaltungsreihe der InterKulturellen
Akademie der Inneren Mission
München. Um die letzte Lebensstation – Sterben, Tod und Trauer –
ging es beim Begegnungsabend im
März, der viele Besucher anzog.
Die Öffnung für unterschiedliche Kulturen und Religionen ist
auch für die Alten- und Pflegeheime ein aktuelles Thema – das zeigte die Einführung von Pfarrerin
Dorothea Bergmann, Leiterin der
Fachstelle „Spiritualität – Palliativ
Care – Ethik – Seelsorge (SPES)“.
Ihr Anliegen ist es, in den Heimen
der Hilfe im Alter die letzte Lebensphase würdevoll zu begleiten. Unabhängig von Religion oder Konfession sei es wichtig, Zeichen der
Nähe zu zeigen, Gespräche sowie
Vertrautes wie Gebete und Rituale
anzubieten, und Sterbesegen und
Abschiedsworte zu ermöglichen.