Recht der Ordnungswidrigkeiten OWi-Recht als Teil

Prof. Dr. Detlev Sternberg-Lieben
WS 2009/2010
Strafrechtliche Unternehmenshaftung
Übersicht zum Ordnungswidrigkeitenrecht
Recht der Ordnungswidrigkeiten
OWi-Recht als Teil des ÖR 1
Verhältnis zum Strafrecht 2
- Abgrenzung Straftat / OWi (formal: § 1 OWiG: "Geldbuße") 3
- Wesensunterschied
-qualitativ (aliud) 4: Verwaltungsungehorsam statt
Rechtsgüterschutz 5 6
-quantitativ (plus-minus) 7: idR geringerer Unrechts- u.
Schuldgehalt 8
(1. Einschub: Ausgrenzung von Bagatell-Kriminalität aus
dem Strafrecht 9)
1
Relevant für die Privatisierung (Art. 33 IV GG!) von Polizeiaufgaben, etwa bei der Geschwindigkeitsüberwachung, und die Verwertbarkeit (Beweisverwertungsverbot?) hierbei
gewonnener Erkenntnisse: BayObLG BayVBl 1997 = NZV 1997, 276; s.a. AG Tiergarten
NStZ-RR 1996, 277, KG DAR 1996, 504; Göhler § 46 Rn. 10d, KK OWIG-Lampe § 35 Rn.
6, § 46 Rn. 18.
2
Vgl. Mitsch § 3.
3
Konsequenz: zB. keine Verhängung von StGB-Sanktionen / Vorrang spezieller Verfahrensregelungen des OWiG (zB § 47) vor denen der StPO (zB §§ 152 II, 170); keine
rechtswidrige Tat iSv § 11 I Nr. 5 StGB (also keine Strafvereitelung möglich; bei entsprechender Fehlvorstellung des Täters → Abgrenzung untauglicher Versuch / Wahndelikt: Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 26 Rn. 39; Schönke/Schröder-Eser § 22 Rn. 82 ff. / auch kein §
323a StGB (Ersatz: § 122 OWiG)
4
James Goldschmidt; Eric Wolf; hierzu näher: KK OWIG-Bohnert, Einl., Rn. 55 ff.
5
Zum Rechtsgutsbegriff und seiner begrenzten Leistungsfähigkeit zur Bestimmung des legitimerweise zu Pönalisierenden: Roxin, AT I, § 2 Rn. 11 ff.; NK-Hassemer 255 ff. vor § 1;
Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung im Strafrecht, S. 368 ff.
6
Weiteres "aliud": OWi ohne "sozialethischen Tadel" (?); hierzu krit. KK OWIG-Bohnert,
Einl., Rn. 99 ff.
7
Ganz hM (zB BVerfGE 8, 197, 207; 22, 49, 79; 27, 18 u. 33).
8
Vgl. § 24a OWiG → § 316 StGB → § 315c StGB.
9
Entweder durch strafrechtsinternes Errichten einer Grenzlinie: § 3 I StGB-DDR sowie § 42
öStGB (Text jeweils bei Mitsch) oder durch restriktive TB-Auslegung (zB Bagatellschaden
1
(2. Einschub: Mischtatbestände10)
OWi-Recht und Grundgesetz
- Gesetzgebungskompetenz des Bundes 11
- materiell: Spielraum des Gesetzgebers 12 13
→ Verhältnismäßigkeit des Eingriffs
14
/ Schutzpflichten 15
Abgrenzung zu:
- Zivilrecht 16
- Disziplinarrecht (inkl. Standesrecht) 17
- Ordnungs- und Zwangsmitteln18
- Bußgeldrecht 19 der EU 20
kein Unfall iSv § 142 StGB, s. Schönke/Schröder-Cramer-Sternberg-Lieben § 142 Rn. 8 ff.)
oder durch "prozessuale Entkriminalisierung“ (§§ 153, 153 a StPO; hierzu krit. Naucke,
Grünwald-FS, S. 403 ff.).
10
Zugleich Beleg für bloß qualitativen Unterschied: OWi bildet sozusagen den Kern eines
durch zusätzliche Merkmale aufgestuften Straftatbestandes (zB § 61 I Nr. 1 KrWAbfG / § 326
StGB; § 378 AO / § 370 AO; § 97 AMG / § 96 AMG). Von diesen sog. unechten Mischtatbeständen sind die unter dem Aspekt von Art. 103 II GG sowie des Schuldstrafrecht bedenklichen "echten" Mischtatbestände zu unterscheiden, also § 6 WiStG 1949 (Text bei Mitsch § 4
Rn. 3), § 3 WiStG 1954 (Text bei Mitsch § 4 Rn. 4).- Lit.: Göhler, 33 ff. vor § 1; KK OWIGRogall, 11 ff, vor § 1.
11
Hierzu Mitsch § 1 Rn. 6 ff.: § 74 I Nr. 1, 2. Alt sowie 5. Alt. GG.
12
Z.B. Ausschreibungsbetrug: urspr. OWi (§ 38 I, IV GWB a.F.); heute: § 298 StGB; oder
Kartellverstoß = OWi (§ 81 II GWB) / unlauterer Wettbewerb als Straftat (§ 4 UWG).
13
Hierzu Mitsch § 3 Rn. 13 ff.; KK OWIG-Bohnert, Einl., Rn. 82 ff.
14
Übermaßverbot.
15
Untermaßverbot; s. BVerfG NJW 1995, 2343: Fehlende Null-Promille-Grenze im Straßenverkehr kein evidenter Verstoß gegen Schutzpflicht aus Art. 2 II GG. S.a. Jakobs, Strafrecht
AT, 3/9.
16
Etwa Schadensersatz, Vertragsstrafe; insoweit aber Rechtsverhältnis gleichgeordneter
Rechtssubjekte.
17
Vgl. Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 4 Rn. 28; Roxin, AT I, § 2 Rn. 53.
18
Z.B. §§ 51 I, 70 StPO, 177, 178 GVG; hierzu: Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 4 Rn. 18;
Roxin, AT I, § 2 Rn. 57.
19
Insb. Geldbußen bei wettbewerbsrechtlichen Verstößen auf Grundlage von Art. 83 II lit. a
EGV; hinzukommen dann noch weitere sog. verwaltungsrechtliche Sanktionen (zB Subventionskürzung bzw. -sperrung, Kautionsverfall), die als punitive Sanktionen ebenfalls dem Strafrecht i.w.S. zuzurechnen sind.
20
Hierzu: KK OWIG-Bohnert Einl. Rn. 249 ff.; Mitsch § 1 Rn. 9 f. sowie: Hecker, Europäisches Strafrecht, § 4 Rn. 78 ff.; Satzger, Internationales und europäisches Strafrecht, § 7 Rn. 4
ff.
2
Geschichte des OWi-Rechts 21
[- StGB 1871 {Trichotomie 22}: Strafverfügung 23/ Strafbescheid 24
{heute: Art. 92 GG} bei Übertretung]
- Wirtschaftsnebenstrafrecht: Weimar 25 + NS-Ordnungsstrafrecht
- § 6 Wirtschaftsstrafgesetz 1949 26
- OWiG 1952 27
- OWiG 1968 28
- EGStGB 1974 29
Struktur des OWiG 30
- Allgemeiner Teil (§§ 1 - 34) 31
- Verfahrensrecht (§§ 35 - 110):
-Erkenntnisverfahren
-Vollstreckungsverfahren
- Besonderer Teil (§§ 111 - 131 + NebenOWi-Recht 32)
Vorgaben des Art. 103 II GG 33
Gebot der lex scripta:
→ Gesetz iSv § 1
21
Mitsch § 4, Bohnert Jura 1984, 18, Göhler, Einl., Rn. 115a, KK OWIG-Bohnert, Einl., Rn.
4 ff, 50 f. (ideengeschichtlich).
22
Dreiteilung der strafrechtlichen Delikte in Verbrechen, Vergehen und Übertretungen.
23
Durch Polizeibehörden (!).
24
Durch Verwaltungsbehörde (!) bei Verstößen gegen Abgabenvorschriften; ebenso wie
bei Strafverfügung rechtsprechungsähnliche Tätigkeit, die allerdings durch Antrag auf gerichtliche Entscheidung angreifbar war.
25
Neben dieser vorstrafgerichtlichen Ahndung von StGB-Übertretungen ("analog" Strafbefehlsverfahren) gab es noch einige wenige Fälle, in denen eine selbständige Sanktionenfestsetzung durch Verwaltungsbehörden erfolgte (z.B. Steuerrecht - bis 1967, vgl. insoweit
BVerfGE 22, 49 -, Versicherungsrecht), s. KK OWIG-Bohnert, Einl., Rn. 19.
26
Erster OWi-TB (= Misch-TB); vgl. KK OWIG-Bohnert, Einl., Rn. 33 ff.
27
Rahmengesetz (ohne BT) mit förmlicher Abgrenzung der OWi zur Straftat; vgl. KK OWIG-Bohnert, Einl., Rn. 36 ff.- Parallel hierzu: Zurückdrängen der Übertretungstatbestände.
28
Neuregelung des Verfahrens; zugleich: Umstellung der Verkehrsübertretungen in OWiTB’e bzw. Vergehen; vgl. KK OWIG-Bohnert, Einl., Rn. 42 f.
29
Insb. Anpassung an den AT des StGB 1975.
30
Materielles Recht und Verfahrensrecht in einer Kodifikation! - Lit.: Mitsch § 2.
31
IdR (!) weitgehend dem StGB-AT entsprechend (vgl. aber § 14 OWiG).
32
OWi-TB’e idR am Ende von Spezialvorschriften, die den jeweiligen Lebensbereich erfassen (z.B. § 49 StVO, § 53 WaffG, § 32 BtmG).
33
Hierzu Mitsch, § 5 Rn 6 ff.; KK OWIG-Rogall, § 3.
3
− Formelles 34 sowie materielles 35 Gesetz
→ Blankettgesetz 36
→ Ausfüllung durch
− innerstaatliche Gesetze im materiellen Sinne
→ statische 37 / dynamische 38 Verweisungen
(ggf. Rückverweisungsklausel 39)
− Vorschriften der EU
− Verwaltungsakte 40
→ wirksamer 41 und verbindlicher 42 {rechtmäßiger?? 43} VA
Gebot der lex certa 44
- hinreichende Bestimmtheit 45
- auch für Rechtsfolgen (→ ggf. Bußgeldkataloge 46)
Gebot des lex stricta (Analogieverbot) 47:
34
Bundes- oder Landesgesetze.
Also auch Rechtsverordnung (StVO!) und Satzung, sofern ihrerseits auf formellem Gesetz
(zB § 24 StVG) beruhend.
36
Wechselseitige Ergänzung von Sanktions- und Ausfüllungsnorm→ erst Zusammenschau
beider Normen ergibt die Vollvorschrift; hierzu Mitsch, § 5 Rn. 3 f.; KK OWIG-Rogall, § 3
Rn. 16 sowie 15 ff. vor § 1.
37
Auf Norm zum Zeitpunkt der Erlasses der Blankettnorm.
38
Auf Norm in der jeweils geltenden Fassung (also deren künftige Änderungen miterfasst).
39
Sofern vom Blankettgesetz im formellen Sinne vorgesehen (zB § 24 I StVG; Rückverweisung in § 49 StVO).
40
Z.B: Versammlungsauflösung nach § 29 I Nr. 2 VersG oder Verkehrszeichen als Allgemeinverfügung.
41
Also keine OWi, sofern Verwaltungsakt nichtig (vgl. BayObLG, DAR 1984, 121) oder
nicht bekanntgegeben (vgl. für Verkehrszeichen BayObLG VRS 67, 239).
42
Verwaltungsakt nicht mehr anfechtbar.
43
Problem: Verwaltungsakt zwar wirksam (da zB sofort vollziehbar), aber materiell rechtswidrig; Lösung BVerfGE 87, 399 = NJW 1993, 581: Unterscheidung zwischen Vollzugsebene (Wirksamkeit entscheidend) und Sanktionierungsebene (materielle Rechtmäßigkeit entscheiden), sofern Gesetzgeber nicht ausdrücklich den Verwaltungsungehorsam sanktioniert
hat; Parallelproblem im StGB bei § 123 (s. Schönke/Schröder-Lenckner/Sternberg-Lieben §
123 Rn. 20, Rengier, BT II, § 20 Rn. 24), § 113 (s. Rengier, BT II, § 53 Rn. 20, Weber, JuS
1997, 1080; and. NK-Paeffgen, § 113 Rn. 45 ff.) sowie bei §§ 324 ff. (s. Schönke/SchröderHeine, 21 vor § 324, Rengier, BT II, § 47 Rn. 17).
44
Hierzu KK OWIG-Rogall, § 3 Rn 26 ff. (s.a. Roxin AT I, § 5 Rn 67 ff.); BVerfGE 26, 42
(zum Vorläufer von § 118 OWiG).
45
Bejaht etwa für "Nässe" von BGHStE 27, 318, hinreichenden Sicherheitsabstand von OLG
Zweibrücken NStZ 1994, 71 und für § 1 II StVO von BVerfG DAR 1968, 329.
46
Hierzu KK OWIG-Steindorf, § 17 Rn. 100 ff., Mitsch, § 15 Rn. 13 f.
47
Hierzu KK OWIG-Rogall, § 3 Rn 51 ff. (s.a. Roxin AT I, § 5 Rn 26 ff.).
35
4
Wortlautgrenze (aus Sicht des Normadressaten) 48
Gebot des lex praevia:
→ § 4 OwiG 49
Geltungsbereich des OWiG 50
(1)
Sachlicher Geltungsbereich
Allgemeine Teil → BT des OWi−Rechts (auch des
Landesrechts, s. § 2)
Besondere Teil des OWi−Rechts → idR in Spezialvorschriften
des Bundes− und Landesrechts
51
(2) Persönlicher Geltungsbereich:
Reichweite bestimmt durch:
− Tatbestandsfassung des BT (Täterqualität) + ggf. § 9
− § 14 OWiG
− keine Beschränkung auf deutsche Staatsangehörige
− kein besonderes "JugendOWiRecht" (s. a. § 12 I) 52
48
Beispiel für Verstoß: BayObLG NStZ 2005, 173 zu § 58 I BAföG: Falsche Angaben "auf
Verlangen" nicht gleich falsche Angaben im Antrag von sich aus (aA Bohnert, ebd. 175); ferner BGHStE 32, 18: Entfernen der Kfz-Beleuchtung nicht gleich "Veränderung" iSv §§ 19,
60, 69a StVZO; vgl. ferner die kontroversen Entscheidungen OLG Köln wistra 1993, 116 und
OLG Düsseldorf, NJW 1992, 2105 (Bauleiter als "Bauherr"?).
49
Problematisch bei Änderung eines Tatbestandes: Kontinuität im Unrechtstyp (s. BGH [GS]
26, 172; genauer: Schutzgut und Unrechtstyp); gegeben, wenn bei TB-Erweiterung der neue
(zB "Vögel") bereits im alten TB (zB "Greifvogel") enthalten war bzw. umgekehrt der spezifizierte neue TB (zB "Greifvogel)" im alten (zB "Vogel) mitenthalten war (und der Täter im
Beispiel jeweils einen Greifvogel eingeführt hat – anders aber, sofern sanktionsbegründende
Merkmale ausgetauscht werden (zB § aF „Greifvögel“ / § nF „Hamster“; hierzu KK OWIGRogall, § 4 Rn. 26). - Ferner zweifelhaft: Austausch einer das Blankett ausfüllenden Vorschrift bei unverändertem Blankett: "Zusammenlesen" (= relevante Änderung) oder Unterscheidung danach, ob Austausch den Schutzzweck/die Angriffsrichtung des Blankett-TB unberührt lässt (zB: zwischenzeitliche Umstellung der Straßenverkehrsregel "rechts vor links"
ändert nichts an der StVO-Sanktionierung der Mißachtung einer Vorfahrtsregel - § 49 I Nr. 8
StVO - als solcher); str.: hierzu: KK OWIG-Rogall, § 4 Rn. 11, Schönke/Schröder-Eser, § 2
Rn. 26 f.
50
Hierzu Mitsch, § 5 Rn. 12 ff.
51
Grund: Sachzusammenhang
52
Aber Heranziehung des JGG über § 46 OWiG (zB nichtöffentliche Hauptverhandlung [§ 48
I JGG] als Ausnahme zu dem - sonst im OWi-Verfahren gem. § 46 OWiG anwendbaren § 169
S. 1 GVG).
5
(3) Zeitlicher Geltungsbereich:
− Rückwirkungsverbot (s. o. → § 4) 53
−Tatzeit: § 6
(4) Räumlicher Geltungsbereich
− International: → Territorialitätsprinzip: § 5 54
− Tatort: § 7 (Handlungs− oder Erfolgsort) 55
− keine Parallele zu §§ 5−7 StGB
Hiervon zu trennen: Etwaige Rechtshilfeabkommen zur
Vollstreckung ausländischer OWi−Entscheidungen 56 57
- Interlokaler räumlicher Geltungsbereich 58
→ Landesgrenzen
→ Tatortrecht
Aufbau einer OWi-Prüfung 59:
(1)
Tatbestand (aus OWi-BT); u.a.:
53
S. insb. § 4 II OWiG (relevant für Dauerdelikte, zB Parken).- Zu § 4 III OWiG: Mildestes
Gesetz = Rückwirkungsgebot mit Meistbegünstigungsklausel (konkrete Vergleichsbildung
unter Prüfung des gesamten Rechtszustandes; nach hM Grundsatz der strikt alternativen Betrachtung [auch in Bezug auf Nebenfolgen] und nicht Mischanwendung je nach milderer
Sanktionsdrohung, AT-Regelung, Nebenfolge: vgl. BGHStE 37, 322, Lackner/Kühl § 2 Rn.
3; krit. hinsichtlich Nebenfolgen Schönke/Schröder-Eser, § 2 Rn. 34, KK OWIG-Rogall § 4
Rn. 29); ggf. auch Sanktionslosigkeit als milderes Gesetz (vgl. BGH NStZ 1992, 535); OWi
auch bei höherem Bußgeldrahmen mangels sozialethischem Tadel stets milder als Strafvorschrift. § 4 III OWiG bestimmt für sog. Zeitgesetze (hierzu KK OWIG-Rogall, § 4 Rn. 34
ff.) das Tatzeitprinzip, um ein schleichendes Aushöhlen der Norm gegen Ende ihrer Geltungsdauer zu verhindern (bei Nichtzeitgesetzen wäre ja gem. § 4 III der Zeitpunkt der letzten
Entscheidung maßgeblich, also auch zB eine erst während des Rechtsbeschwerdeverfahrens in
Kraft getretene Änderung maßgeblich).
54
Ausnahme: Ausdrückliche gesetzliche Regelung (zB § 25 VI PassG) oder aus zwingenden
Sachgründen (zB Art. 4 I RobbenG, der sich Tiere südlich des 60. Breitengrades bezieht).
55
Z.B. BGH VRS 71, 455 (inländische Aufforderung zu ausschließlich im Ausland verübten
Verstoß gegen LKW-Ruhezeiten; ebenso im umgekehrten Fall).
56
Z.B. Schengener Übereinkommen über Geldbußenvollstreckung; s.a. KK OWIG-Bohnert,
Einl., Rn. 181 ff.
57
Sofern eine nach deutschem Recht verfolgbare OWi bereits im Ausland (bzw. als EUGeldbuße) geahndet wurde: I.d.R. Absehen von Verfolgung nach § 47 OWiG (Opportunitätsprinzip); zumindest Anrechnung entsprechend § 51 III StGB: KK OWIG-Rogall § 5 Rn. 39.
58
Vgl. KK OWIG-Rogall, § 5 Rn. 41 (Anlehnung an das - bedeutungslose - interlokale Strafrecht; hierzu Schönke/Schröder-Eser 47 ff. vor § 3).
59
Prüfung grundsätzlich entsprechend zu derjenigen eines Straftatbestands; s. Mitsch, § 6.
6
- Genehmigung 60: negatives Tatbestandsmerkmal 61 bei präventivem
Verbot mit Erlaubnisvorbehalt 62 63
- Fehlvorstellung (§ 11 I) über die Rechtswidrigkeit eines blankettausfüllenden Verwaltungsaktes 64
- Vorsatzinhalt bei Blankettgesetz 65
- Vorsatzinhalt bei normativen Tatbestandsmerkmalen 66
- Schuldtheorie (nicht 67: Vorsatztheorie ): § 11 II 68
- Fahrlässigkeit (§§ 10, 17 II) 69 70 71
60
Hierzu Mitsch § 9 Rn. 21 ff., KK OWIG-Rengier, § 11 Rn. 37 ff.; KK OWIG-Rengier, Rn.
15 ff. vor § 15.
61
Einstufung relevant für: (1) Irrtumsfragen ((§ 11 I oder § 11 II); (2) Behandlung erschlichener Genehmigungen (sofern Rechtfertigungsgrund: Korrektur der Verwaltungsakzessorietät durch Prinzip des Rechtsmissbrauchs möglich; sofern Tatbestandsmerkmal → keine Korrektur bei [noch] wirksamer Genehmigung möglich: Art. 103 II GG (so auch auch BGH NJW
2005, 2095 zu § 92 I Nr. 1, 6 AuslG.); hierzu allgemein: Schönke/Schröder-Lenckner, Rn. 63
a-c vor § 32.
62
Ein grundsätzlich sozialadäquates, nicht verbotswürdiges Verhalten wird vorsichtshalber
behördlicher Kontrolle unterzogen (zB Baugenehmigung; oder: § 34 AWG); vgl. OLG Jena
NStZ-RR 1997, 316, BayObLG, NStZ-RR 1997, 185, NJW 1997, 1320.
63
Der Vorsatz muss sich auch auf das Genehmigungserfordernis erstrecken (KK OWIGRengier, § 11 Rn. 41a), da das Unrecht durch die Missachtung des Genehmigungserfordernisses begründet wird.
64
Genügt die Kenntnis der Wirksamkeit/Vollziehbarkeit (s. KK OWIG-Rengier, § 11 Rn.
18)? Oder muss der Täter mit der Vorstellung handeln, der Verwaltungsakt sei rechtmäßig
(vgl. KK OWIG-Rogall, § 111 Rn. 58)?
65
Zusammenlesen von Blankett- und Ausfüllungsnorm; also Vorsatzausschluss bei Unkenntnis von Tatsachen, die die Merkmale der Ausfüllungsnorm ausfüllen, während die Kenntnis
von ihrer Existenz vorsatzirrelevant ist (hierzu: KK OWIG-Rengier, § 11 Rn. 24 ff., Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben, § 15 Rn. 99 ff.); ergänzend zum Steuerstrafrecht = Tatbestandsirrtum bei § 370 AO: BGHStE 5, 90 ff., OLG Köln, StraFo 2004, 282 = JuS 2004, 1015
(s.a. Tiedemann, Wirtschaftstrafrecht, 2004, Rn. 228: § 370 AO als StrafTB mit normativen
Merkmalen).
66
Kenntnis der Tatsachen + Parallelbewertung im Laienbewusstsein. Hierzu: KK OWIGRengier, § 11 Rn. 13 ff.; s.a. Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben, § 15 Rn. 43a.
67
Vgl. Schönke/Schröder-Sternberg-Lieben, § 15 Rn. 104.
68
Hierzu: Mitsch, § 10 Rn. 14 ff.
69
Hierzu: Mitsch, § 8 Rn. 14 ff.
70
Grund für weite Verbreitung im OWi-Recht: Erleichterung der Rechtsanwendung (Verdachtssanktion?) / geringere Bedeutung der fehlerhaften, normfeindlichen Einstellung des
Handelnden im OWi-Bereich.
71
I.d.R. keine Abstufung des Sanktionsrahmens, aber: § 17 II!
7
- Versuch (§ 13) 72 73
- Beteiligung 74 75 76 an einer OWi (Einheitstäterschaft), § 14 77
- restriktiver/extensiver Täterbegriff 78
- differenzierendes Beteiligungssystem 79/Einheitstäterschaft
- Beteiligung 80 81 an der OWi 82: entsprechend den Beteiligungsformen
im Strafrecht (str.) 83
72
Die erforderliche (§ 13 II OWi) Anordnung der Ahndbarkeit ist häufig nicht gegeben
(Grund: Geringere Notwendigkeit des Vorfeldschutzes / Unverhältnismäßigkeit des Aufwands für Ermittlung des Tatentschlusses / auch formell vollendete OWi häufig materiell nur
Versuchs- oder Vorbereitungscharakter (zB § 117 OWiG) / auch bei Übertretungen war Versuch straflos.
73
Hierzu: Mitsch, § 12.
74
Unabhängig von den näheren (und umstrittenen) Voraussetzungen verlangt "Beteiligung"
jedenfalls eine Mitverursachung der Tatbestandsverwirklichung (idR bis zur Vollendung der
OWi, bei entsprechender Normstruktur - zB Dauer-OWi des Haltens im Halteverbot - auch
bis zur Beendigung; hierzu Mitsch, § 13 RN. 37).
75
Die einzelnen Beiträge müssen zusammen den Tatbestand einer OWi-Norm vollständig
erfüllen; ist deren Versuch ahndbar, so kann auch die Beteiligung hieran ein ordnungswidriges Verhalten darstellen (§ 14 II OWiG), nicht aber eine versuchte Beteiligung, bei der es an
einem unmittelbaren Ansetzen durch den "Haupttäter" fehlt: Mitsch, § 13 RN 35.- Zur - nicht
erfassten - notwendigen Beteiligung (Mitwirken einer Person nach OWi-TB unverzichtbar
dafür, dass anderer überhaupt den TB verwirklichen kann, zB: T begeht OWi nach § 115 I Nr.
1 OWiG dadurch, dass er einem Strafgefangenen Alkohol zuspielt: Keine Beteiligung des
Gefangenen hieran durch bloße Inempfangnahme [anders bei "Anstiftung"], so dass keine
Ahndung nach §§ 115 I Nr. 1, 14 I Nr. 1 OWiG möglich ist): Mitsch, § 13 RN 41 f., KK OWIG-Rengier, § 14 RN 52 f., KK OWIG-Rogall, § 115 RN 7.
76
Beachte auch § 14 III (entspricht sachlich der strafrechtlichen Rechtslage) sowie § 14 IV
(für Mischtatbestände; hierzu: Mitsch, § 13 RN 49 ff.).
77
Hierzu Roxin, AT II § 25 Rn. 2 f., 7; im Strafrecht → Österreich; in Deutschland: OWiG (§
14); Grund: Erleichterung der Rechtsanwendung; Differenzierung in der Rechtsfolge erst
gem. § 17 III 1 OWiG. Im deutschen Strafrecht: Fahrlässigkeitsbestrafung sowie bestimmte
Tatbestände des BT, die materielle Teilnahme zur Täterschaft aufstufen (zB § 129 StGB Unterstützer der Vereinigung, drittnütziger Versicherungsmissbrauch iSv § 265 StGB).
78
Hierzu Roxin, AT II, § 25 Rn. 4 f.
79
Täterschaft/Anstiftung/Beihilfe → s. Roxin, AT II, § 25 Rn. 6.
80
Unproblematisch als Täterschaft (ohne Anwendung von § 14 OWiG!) zu behandeln: mittelbare Täterschaft sowie Nebentäterschaft: Mitsch, § 13 RN 23 + 27.
81
Für besondere persönliche Merkmale (§ 9 OWiG; zB "Bauherr") beachte § 14 I 2 OWiG:
Es genügt, wenn sie bei einem der Beteiligten vorliegen, unabhängig von der - ggf. untergeordneten - Bedeutung seines Tatbeitrags (zB Anstiftung" eines Nicht-Sonderpflichtigen (zB
Ehefrau) durch einen Sonderpflichtigen (zB Ehemann als "Bauherr"): Bohnert, OWiG, § 14
RN 40 → Täterschaft ohne Täterqualität (KK OWIG-Rengier, § 14 RN 40; s.a RN 44 sowie
Mitsch § 13 RN 48: anstiftender „Intraneus“ [= Sonderpflichtiger] als mittelbarer Täter durch
8
(2) Rechtswidrigkeit; u.a. 84:
- Genehmigung als repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt 85
- dienstliche Anordnung 86
(3) Vorwerfbarkeit (§§ 12 / 11 II / 15 III) 87
Nutzung eines qualifikationslos-dolosen Werkzeugs [der „Extraneus“ würde dann hierzu unproblematisch unter § 14 fallende - „Beihilfe“ leisten).- Zur Rechtslage im Strafrecht (zB
Anstiftung eines Nicht-Amtsrägers
durch zuständigen Amtsträger zu einer Aussageerpressung (§ 343 StGB): Roxin II § 25 RN 281 (mit Annahme mittelbarer Täterschaft infolge Pflichtenstellung; str.).
82
Hierzu KK OWIG-Rengier, § 14 RN 5 ff., einerseits, Mitsch, § 13 RN 52 ff. andererseits.
83
Also: Keine Beteiligung iSv § 14 OWiG bei:
(1) vorsätzlicher Mitwirkung an fahrlässiger "Haupttat" (BGHStE 31, 309; hierzu Geppert JK
§ 14 Nr. 1) → "Ausweg" der mittelbaren Täterschaft versperrt bei eigenhändigen Delikten
(Täter kann nur derjenige sein, der die Tathandlung persönlich vornimmt, zB § 24a StVG, §§
122, 126 OWiG: KK OWIG-Rengier, RN 22 vor § 8) und bei Sonderdelikten (sie setzen tatbestandlich eine bestimmte Tätereigenschaft - zB Bauherr, Betriebsinhaber [§ 130 I OWiG],
Vorstandsmitglied [§ 405 I Nr. 1 AktG] etc., vgl. KK OWIG-Rengier, RN 18 ff. vor § 8,
Mitsch, § 7 RN 20) voraus,
(2) fahrlässiger Mitwirkung an vorsätzlicher "Haupttat" → "Ausweg" der Nebentäterschaft
versperrt bei eigenhändigen Delikten und Sonderdelikten,
(3) fahrlässigem Verhalten aller Beteiligten.
Aufbau: Zuerst (Neben- bzw. mittelbare) Täterschaft der "Fernerstehenden" untersuchen; sofern nach allg. (strafrechts [!]-)dogmatischen Überlegungen zu verneinen: (materielle, indirekte) Prüfung von Anstiftung und Beihilfe, da diese nach hM die Grenzlinie ahndungswürdiger
Beteiligung iSv § 14 I 1 OWiG bilden.
84
Keine Bedeutung von Einwilligung (keine Dispositionsbefugnis) sowie von Notwehr/Nothilfe, § 15 OWiG (da im OWi Schutz von Rechtsgütern der Allgemeinheit → Vorrang staatlicher Rechtsbewahrung; s.a. Schönke/Schröder-Perron, § 32 Rn.8); zum "Kampf
um die Parklücke (Notwehrfähigkeit des Parkvorrechts aus § 12 V StVO?): KK OWIGRengier, § 15 Rn. 3, 29, 35 (Gebotenheit) sowie Krey I, Rn. 358 ff., Schönke/SchröderPerron, § 32 Rn. 9. Bedeutsamer hingegen der rechtfertigende Notstand (§ 16) →Mitsch 9
Rn. 14 ff.; zum verschuldeten Notstand ([a] Konsequenz für Abwägung?, [2] Zurückgehen
auf Vorverschulden → actio illicita in causa [hierzu: Schönke/Schröder-Lenckner, Rn. 23 vor
§ 32] bei reinen Erfolgsdelikten?): KK OWIG-Rengier, § 16 Rn. 50 ff.; ferner: Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 34 Rn. 42, BayObLG NJW 1978, 2046.
85
Ausnahmsweises Zulassen eines grundsätzlich sozialwidrigen Verhaltens (zB Feuermachen
im Wald; oder § 22a KWG). Irrtum des Täters: § 11 II OWiG (es sei denn: Erlaubnistatbestandsirrtum [zB: Genehmigung für Lagerfeuer erteilt] → KK OWIG-Rengier, § 11 Rn. 103
f.)
86
Als eigenständige Rechtfertigung eines von öffentlich-rechtlichen Eingriffsvoraussetzungen
nicht gedeckten Verhaltens → bei Soldaten und Vollzugsbeamten (hierzu: Mitsch, § 9 Rn 29
ff.).
87
Entsprechend zur strafrechtlichen Schuld; im Einzelnen: Mitsch, § 10.- Problem: Analoge
Anwendung von § 35 StGB (da OWiG nur rechtfertigenden Notstand enthält) → Mitsch, § 10
Rn. 22.
9
(4) sonstige Voraussetzungen der Ahndbarkeit 88
(zB betriebliche Zuwiderhandlung iSv § 130; aber auch Rücktritt:
§ 13 III, IV)
Handeln für89 einen anderen (§ 9 OWiG)90 91:
- TB-Ergänzung92 →bei Sonderdelikten) durch Merkmalsüberwälzung"93 (als Zusatzhaftung94)
- besonderes persönliches95 Merkmal
→ transportiert96 auf: § 9 I (gesetzliche Vertreter97 98) , § 9 II (gewillkürte Vertreter99)
88
Hierzu: Mitsch, § 6 Rn 10 f.
"als vertretungsberechtiges Organ (usw)" bzw. "auf Grund dieses Auftrags": Handeln auch
im Interesse des Vertretenen erforderlich (aA die Funktionstheorie): KK OWIG-Rogall, § 9
Rn. 60 f., 82 [vgl. StGB-Problem: § 266 StGB durch geschäftsführenden Alleingesellschafter
einer Ein-Mann-GmbH (s. Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 266 Rn. 21): ausgelöst
durch interessentheoriebedingte Verneinung von §§ 283 iVm 14 StGB (s. Schönke/SchröderLenckner/Perron, § 14 Rn. 26)].
90
Hierzu: Mitsch, § 7 Rn. 21 ff.
91
Dogmatische Erklärung: Pflichten (hM)- oder Garantentheorie (hierzu näher: KK OWIGRogall, § 9 Rn. 14 ff.).
92
Strafrechtliche Parallele: § 14 StGB.
93
Eine sozialinadäquate Delegation (zB auf Lehrling) iSv § 9 II OWiG ist unwirksam (s. KK
OWIG-Rogall, § 9 Rn. 84 (aA aber Schönke/Schröder-Lenckner-Perron, § 14 Rn. 36).
94
Vgl. § 9 I bzw. II OWiG: "auch auf ... anzuwenden"; also ggf. OWi-Verantwortlichkeit des
Vertretenen (nur relevant für Konstellation von § 9 II OWiG: insoweit ist dann bei fahrlässigem Verhalten des Vertretenen die objektive Zurechnung genau zu prüfen — Stichwort "Regressverbot" [hierzu Schönke/Schröder-Lenckner, 26. Aufl., vor § 13 Rn. 101 e, Schönke/Schröder-Cramer/Sternberg-Lieben, 26. Aufl., § 15 Rn. 171]).
95
Also täter- und nicht tatbezogen: Eigenschaft, die einer Person auch unabhängig von einer
Tatbestandsverwirklichung zukommt (zB "Straßenanlieger" oder "Amtsträger"; Gegenbeispiel: Anbieten von Gelegenheiten zu sexuellen Handlungen "in grob anstößiger Weise" [§
119 I Nr. 2 OWiG]).- Merke für das Strafrecht: Insb. relevant für die Anwendung von § 28 I,
II StGB bei Mord/Totschlag sowie den Amtsdelikten (näher: Kühl, AT, § 20 Rn. 148 ff.).
96
Auch bei faktischem Organ (vgl. KK OWIG-Rogall, § 9 Rn. 46 ff.) und sonstigem unwirksamen Bestellungsakt (§ 9 III OWiG!), nicht aber bei "Usurpation" (s. KK OWIG-Rogall, § 9
Rn. 17).
97
Beispiele: Nr. 1 => §§ 78 I AktG, 24 I GenG, 26 II BGB sowie JP'n des öffentlichen
Rechts; Nr. 2 => §§ 125 I, 161 I, 125 I HGB; Nr. 3 => §§ 1626, 1629 BGB; ferner Insolvenzverwalter, Testamentsvollstrecker.
98
Bei mehrgliedrigem Organ (zB mehrere GmbH-Geschäftsführer) ist zu unterscheiden: Bei
aktivem Tun des Organs ist der Verstoß gegen die interne Aufgabenverteilung unerheblich.
Bei Unterlassen wirkt hingegen die Aufgabenverteilung zunächst entlastend (Vertrauensgrundsatz); ist dieses Vertrauen aber normativ erschüttert, so ist auch ein unzuständiges Organ
89
10
Aufsichtspflichtverletzung in Betrieben und Unternehmen (§
130 OWiG)100 101
als lückenschließender102 Auffangtatbestand103
- tauglicher Täterkreis104 105
- Tathandlung: Unterlassen von Aufsichtsmaßnahmen106
- Vorsatz bzw. Fahrlässigkeit107 108
verantwortlich (Gesamtverantwortlichkeit aller Organe; OWi-Haftung dann entweder aus dem
im Außenverhältnis verwirklichten Tatbestand oder zumindest aus § 130 OWiG): KK OWIGRogall, § 9 Rn. 45 bzw. 62 ff.; s.a. Schönke/Schröder-Lenckner/Perron, § 14 Rn. 19, Schönke/Schröder-Cramer/Sternberg-Lieben, § 15 Rn. 223 (S. 319 f.).
99
Betrieb: iwS (auch Rechtsanwalts- oder Arztpraxen). Der Beauftragte braucht kein Betriebsangehöriger zu sein (zB. Drittunternehmer, Steuerberater: KK OWIG-Rogall, § 9 Rn.
81); für Nr. 2 ist ein "ausdrücklicher" (nicht unbedingt schriftlicher) Auftrag erforderlich.
100
Hierzu: Mitsch, § 13 Rn. 58 ff.; für Einzelfragen: KK OWIG-Rogall, § 130 RN 1 ff.
101
Wichtige Konsequenz einer Bejahung von § 130 OWiG → Durchgriffsmöglichkeit auf
Unternehmen nach § 30 OWiG.
102
Häufig kein konkret zurechenbares individuelles Fehlverhalten nachweisbar.
103
Schutzzweck: Vorverlagerung des Rechtsgüterschutzes gegenüber betriebsbezogenen Zuwiderhandlungen (KK OWIG-Rogall, § 130 Rn. 14).
104
Zurechnung der Betriebsinhaberschaft auf den konkret Unterlassenden gemäß § 9 OWiG.
105
§ 130 verlangt nicht die Ermittlung des konkret rechtswidrig agierenden Betriebsangehörigen (KK OWIG-Rogall, § 130 Rn. 94).
106
Hierzu KK OWIG-Rogall, § 130 Rn. 40: Leitungs-, Koordinations-, Organisations- und
Kontrollpflichten. Insoweit kann man mit Rogall ebd. folgenden Pflichtenkanon unterscheiden:
(1) sorgfältige Auswahl der Mitarbeiter,
(2) sachgerecht organisierte Aufgabenverteilung,
(3) hinreichende Instruktion der Mitarbeiter über ihre Aufgaben und Pflichten,
(4) ausreichende Überwachung und Kontrolle der Mitarbeiter (im Rahmen des Zumutbaren:
KK OWIG-Rogall, ebd. RN 49),
(5) Einschreiten gegen Verstöße;
zur Geeignetheit von Aufsichtsmaßnahmen: KK OWIG-Rogall, § 130 Rn. 42 ff., zur gesteigerten Aufsichtspflicht ebd. Rn. 64 f., zum Organisationsmangel als solchem: KK OWIGRogall, § 130 Rn. 53 f., 68. Die von § 130 OWiG ebenfalls geforderte Oberaufsicht (bei Delegation der Aufsicht an Ebene unterhalb zB eines AG-Vorstandes) verlangt hinreichende
Sorgfalt bezüglich Bestellung, Auswahl und Kontrolle der konkret zuständigen Aufsichtspersonen (KK OWIG-Rogall, § 130 Rn. 69), s. § 130 I 2 OWiG; liegt insoweit kein Fehlverhalten der "Spitze" vor, so löst eine Zuwiderhandlung auf der niederen Ebene keine OWiVerantwortlichkeit der Betriebsinhaber (iSv 9 OWiG) nach § 130 OWiG und damit auch keine Möglichkeit einer Geldbuße nach § 30 OWiG aus.
107
Jeweils bezogen auf die Vernachlässigung der Aufsichtspflicht.- Ggf. aber sogar unmittelbare (strafrechtliche) Verantwortlichkeit für die von Betriebsangehörigen Dritten beigebrachten Schädigungen.
108
Nach KK OWIG-Rogall § 130 Rn. 103 (der § 130 als konkretes Gefährdungsdelikt begreift: § 130 Rn. 17) ist zusätzlich Vorsatz oder Fahrlässigkeit hinsichtlich der Gefahr einer
Zuwiderhandlung erforderlich; anders die hM, die von einem abstrakten Gefährdungsdelikt
11
- Objektive Bedingung der Ahndung: Zuwiderhandlung109 gegen be
triebsbezogene110 mit Strafe oder Geldbuße bedroht Pflichten +
Kausalität iwS 111 112
Geldbuße gegen juristische Personen und Personenvereinigungen (§ 30 OWiG)113
Zweck: "Rosinentheorie"114 + Abschöpfung115 + Prävention116
keine Verbands"strafe"117 → "Akzessorietät"118 der Buße!119
Voraussetzung:
ausgeht (vgl. KK OWIG-Rogall § 130 Rn. 15); allg. zur problematischen Rechtsnatur von
Delikten mit objektiver Strafbarkeitsbedingung: Roxin, AT I, § 23 Rn. 2, 7 ff.).
109
Durch einen Betriebsangehörigen (Subordinationsverhältnis): KK OWIG-Rogall, § 130
Rn. 92.
110
Also betriebsbezogenes Handeln (nach MM ist Verstoß gegen Sonderdelikte ["Pflichten,
die den Inhaber als solchen treffen"] erforderlich; deshalb ist die Beurteilung sog. Allgemeindelikte, die auch von Nichtbetriebsangehörigen verwirklicht werden können (zB § 222,
185 StGB), strittig: KK OWIG-Rogall, § 130 Rn. 77 ff.
111
S. § 130 I 1 OWiG: " oder wesentlich erschwert" → Rückführung der Wahrscheinlichkeit
eines Normverstoßes um 25 % (s. KK OWIG-Rogall, § 130 Rn. 102); also der Sache nach
vergleichbar mit der im Strafrecht überwiegend abgelehnten "Risikoerhöhungslehre" (Fahrlässigkeit/Unterlassen/Beihilfe; vgl. Kühl, AT, § 17 Rn. 152 ff./§ 18 Rn. 38 ff./§ 20 Rn. 219).
112
Ferner Schutzzweckzusammenhang erforderlich: Die Zuwiderhandlung muss sich als Realisierung der betriebstypischen Gefahr darstellen, die vom Betriebsinhaber hätte bekämpft
werden sollen (KK OWIG-Rogall, § 130 Rn. 102: Bei Einstellung eines ungeeigneten Mitarbeiters → Zuwiderhandlung muss iZm der Ungeeignetheit stehen, also zB [+] bei Verletzung
Dritter infolge Inverkehrbringens von Lebensmitteln, die durch tuberkulosekranken Eingestellten kontaminiert wurden, [-] bei Tötung eines Dritten durch ein von eben diesem Angestellten verursachten Verkehrsunfall bei betrieblicher Tätigkeit.- Vgl. auch die strafrechtliche
Parallele bei § 231 StGB: Rengier, BT II, § 18 Rn. 7.
113
Zu dieser Verbandsgeldbuße: Mitsch, § 16; KK OWIG-Rogall, § 30 Rn. 1-18; zu ihrer
Entstehungsgeschichte (iE als Kompromiss im Rahmen der Diskussion um eine Unternehmensstrafbarkeit): KK OWIG-Rogall, § 30 Rn. 22 ff.
114
Es soll verhindert werden, dass die juristische Trennung zwischen unmittelbar Handelndem und wirtschaftlich betroffener Unternehmenseinheit eine Besserstellung bei der Bußgeldbemessung zur Folge hat.
115
S. §§ 30 III, 17 IV OWiG; ferner auch § 29a II OWiG.
116
Dem Funktionsträger drohen ggf. zivilrechtliche Konsequenzen.
117
Die Sanktion trifft den Verband (zB GmbH), die Sanktionsvoraussetzungen müssen hingegen von natürlicher Person (zB GmbH-Geschäftsführer) vollzogen werden.
118
Als Kumulation der Sanktionen.
119
Zum Zusammenspiel von §§ 9, 130, 30 OWiG: KK OWIG-Rogall, § 130 Rn. 6: Verstoß
gegen Aufsichtspflicht als betriebsbezogene OWi iSv § 30 bei weitgehender Übereinstimmung des Normadressatenkreises von §§ 130 (iVm 9) sowie 30 OWiG; ferner: Többens,
NStZ 1999, 1 ff.
12
- taugliches Sanktionssubjekt120
- Anlasstat121 durch eine der in § 30 I Nr. 1-5 bezeichneten Personen122
- Verletzung betriebsbezogener123 124 Pflicht bzw. (erstrebte) Bereicherung125
Verfahren: idR einheitliches Verfahren126; Ausnahme: § 30 IV127
Zur Diskussion einer Unternehmensstrafbarkeit128 de lege ferenda129 vgl. 1. Skizze Produkthaftung (allgemein), Fn. 3
120
JP (auch des öffentlichen Rechts), nicht rechtsfähige Vereine, Personenhandelsgesellschaften.- Auch eine sog. fehlerhafte Gesellschaft fällt unter § 30 OWiG (KK OWIG-Rogall, § 30
Rn. 42), Vorgesellschaften nur dann, wenn sie nicht als Gesellschaft bürgerlichen Rechts anzusehen sind (KK OWIG-Rogall, § 30 Rn. 41).- Ändert sich die Rechtsform des Verbandes
nach der Bezugstat, so bleibt § 30 OWiG bei wirtschaftlicher Identität anwendbar (KK OWIG-Rogall, § 30 Rn. 43 ff.).
121
Rechtswidrige und vorwerfbare Straftat oder OWi (s.a. § 30 II OWiG).
122
Erforderlich ist ein Handeln "als Vorstand" (usw): nicht nur funktionaler Zusammenhang
(als Repräsentant des "Systems"), sondern auch Handeln im Interesse der JP: KK OWIG-Rogall, § 30 Rn. 91 ff.- Bei mehrköpfigen Organen ist ein Verstoß gegen die interne Geschäftsverteilung unerheblich (KK OWIG-Rogall, § 30 Rn. 96).
123
Pflicht aus Sonderdelikt (zB § 130 OWiG), aber auch Jedermanns-Pflichten (vgl. § 30 II:
"Pflichten die die JP als solche treffen"), sofern in entsprechende Stellung (zB Verkehrssicherungspflicht) eingerückt: KK OWIG-Rogall, § 30 Rn. 73, 76.
124
Wird eine betriebsbezogene Pflicht durch einen Mitarbeiter verletzt, der selbst nicht
Normadressat der Vorschrift ist (zB keine Zurechnung der "Anlieger"-Eigenschaft über § 9
OWiG), so hindert dies eine Sanktionierung aus § 130 OWiG nicht (KK OWIG-Rogall, § 130
Rn. 76), vgl. die § 130 I 1 OWiG-Formulierung: "solche Zuwiderhandlung" (und nicht: "mit
Geldbuße bedrohte Handlung").
125
Ersatzansprüche Dritter gegen die JP (usw) schließen eine Bereicherung nicht aus: KK
OWIG-Rogall, § 30 Rn. 83.
126
Also zusammen mit dem Straf- oder OWi-Verfahren, das gegen das Organ geführt wird.
127
Selbständiges Verfahren nur bei Opportunitätseinstellungen (zB § 153 StPO, 47 OWiG)
möglich (s. KK OWIG-Rogall, § 30 Rn. 147 ff.).
128
Problem: Fehlende Handlungs- und Schuldfähigkeiten sowie Strafempfänglichkeit einer JP
einerseits, ungenügende Unrechtserfassung durch Sanktionierung der für die JP handelnden
natürlichen Personen (so überhaupt ermittelbar →organisierte Unverantwortlichkeit") sowie
Bemessung der Sanktion an individuellem Verschulden (sowie ggf. Einkommensverhältnissen) andererseits.
129
Zur Verantwortlichkeit von Personenverbänden im Ausland: KK OWIG-Rogall, § 30 Rn.
233 ff.; zum Europäischen Gemeinschaftsrecht: KK OWIG-Rogall, § 30 Rn. 248 f.
13
Bußgeldverfahren 130
131
grundlegende Regelungen für gesamtes Verfahren: §§ 35-52
(insb. § 46 I → Verweis auf StPO 132/GVG/JGG 133; s. aber § 46
III 134, IV !; ferner: Opportunitätsprinzip 135 136 137 (§ 47 I 138 139
140; s.a. § 47 II)
130
Hierzu Mitsch, Teil IV (= §§ 21 ff.)
Die Struktur eines Bußgeldverfahren entspricht nur überwiegend derjenigen eines Strafverfahrens (s. Mitsch, § 22): Vorverfahren, Zwischenverfahren, gerichtliches Hauptverfahren,
Rechtsmittelverfahren, Vollstreckungsverfahren.
Ein wesentlicher Unterschied besteht in der inquisitorischen Struktur (Behörde als Kläger und
Richter [sowie als Vertreter der Allgemeinheit → idR Verletzter] in einer Person) des OWiErmittlungsverfahrens: Die Verwaltungsbehörde steht nach § 35 II OWiG die Befugnis zur
Ahndung der OWi zu.
132
Hierzu zählen auch die (ungeschriebenen) Regelungen über Beweisverbote: KK OWIGLampe § 46 RN 18; dort auch w. Nachw. zur Geschwindigkeitsmessung durch unzuständige
Stellen.
133
Es gelten also: Amtsermittlungsgrundsatz, Unschuldsvermutung (so darf zB die Verwaltungsbehörde einen Bußgeldbescheid nur erlassen, wenn sie von der Schuld des Betroffenen
überzeugt ist: KK OWIG-Kurz, § 65 Rn. 11, KK OWIG-Wache, Rn. 66 vor § 53) und der
Grundsatz „in dubio pro reo“ (KK OWIG-Kurz, § 65 Rn. 11), Akkusationsprinzip (Bußgeldbescheid + Einspruch als Prozessvoraussetzung), Anspruch auf rechtliches Gehör (vgl. § 55
OWiG), ne bis in idem (eingeschränkt: §§ 56 IV, 84 I, II OWiG, vgl. Extra-Seite), Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (eingeschränkt durch § 77a OWiG)/Öffentlichkeit/Mündlichkeit (jeweils nur bezogen auf die Hauptverhandlung!).
134
Ausschluss freiheitsentziehender Maßnahmen sowie bestimmter Eingriffe in Art. 10 GG.
Weitere, schwerwiegende Grundrechtseingriffe (zB Überwachung der Telekommunikation, §
100 a StPO) brauchen von § 46 III OWiG nicht ausdrücklich ausgeschlossen zu werden, da
diese ohnehin nur bei Verdacht erheblicher Straftaten zulässig sind (s. Mitsch, § 27 RN 7).
Stammt das relevante Beweismaterial aus einer zulässigen strafprozessualen Ermittlungshandlung, so soll es auch im Bußgeldverfahren verwertet werden dürfen (Bohnert, OWiG, § 46 RN
93, Mitsch, § 27 RN 9); zw. im Hinblick auf § 46 IV OWiG.
135
Grund (vgl. Mitsch, § 23 Rn. 4): Geringere Ahndungsbedürftigkeit von OWi-Verstößen
(idR!) / Massenhaftigkeit der Verstöße steht gleichmäßiger Sanktionierung von vornherein
entgegen: Erschütterung des Rechtsbewusstseins, sofern Einhaltung des Legalitätsprinzips zur
Ausnahme mutiert.
136
Sein Anwendungsbereich (s. Mitsch § 23 RN 6 ff.) umfasst sowohl das Absehen von
Verfolgung als auch die Sanktionierung (nur) mit einer Verwarnung sowie die Einstellung des
Verfahrens durch Verwaltungsbehörde (§ 47 I 2 OWiG; nicht aber durch die Polizei, sofern
bloßes Ermittlungsorgan), Staatsanwaltschaft (§ 47 I 2 OWiG, sobald StA Verfolgungsbehörde → § 69 IV 1 OWiG) oder Gericht (§ 47 II); möglich ist auch eine §§ 154, 154a StPO entsprechende Teileinstellung.- Auch eine pflichtwidrige (zu dieser Leerformel: Bohnert, OWiG, § 47 RN 5, KK OWIG-Bohnert, § 47 RN 105) Einstellung - hierzu zählt auch die
Nichtausübung des Ermessens - ist wirksam (Bohnert, OWiG, § 47 RN 6; zur fehlenden Anfechtbarkeit der Einstellungsentscheidung: KK OWIG-Bohnert, § 47 RN 118 ff.). Bei
pflichtwidriger Einstellung (also aus sachfremden Gründen - zB aus persönlicher oder parteipolitischer Rücksichtnahme - oder ohne Ermessensausübung) ist eine Strafbarkeit des Richters aus § 339 StGB nicht ausgeschlossen (vgl. BGHStE 44, 258: „Rechtsbeugung“ {als ele131
14
I. Zuständigkeit:
(1) Grds. Verwaltungsbehörde 141 (konkret → § 36)
(2) Strafrechtsbezug: StA (§ 40); s.a. §§ 41-45
II. Verfahren durch Verwaltungsbehörde (§§ 53-66)
(1) Vorverfahren (§§ 53-64)
(11) geringfügige OWi: Verwarnungsgeld (§§ 56-58) 142 143;
Folge → § 56 IV
(22) sonst: Bußgeldbescheid (= Verwaltungsakt 144) 145: §§ 65, 66
(a) kein Einspruch → Rechtskraft (Folge: § 84 I)
mentarer Verstoß gegen die Rechtspflege} bei Einstellung aus Gesichtspunkten parteipolitischer, persönlicher oder außerdienstlicher Art oder zur bewussten Missachtung eines Obergerichts oder zwecks Arbeitsvermeidung nach Rückverweisung nach § 79 VI OWiG); i.Ü. unterliegt auch ein Amtsträger der Verwaltung bei der Bußgeldentscheidung § 339 StGB
(BGHStE 14, 147, 148; LK-Spendel, § 339 Rn. 20, Schönke/Schröder-Heine, § 339 Rn. 3).
137
Im OWi-Recht gilt also nur das (durch § 339 StGB abgesicherte) "negative" Legalitätsprinzip: Keine Verfolgung bei Verfahrenshindernis / keine Ahndung bei Fehlen materiellrechtlicher OWi-Voraussetzungen (Mitsch § 23 Rn. 4, 17).
138
Hierzu Mitsch, § 23.
139
Gilt auch in Bezug auf eine Ahndung mit Geldbuße (KK OWIG-Bohnert, § 47 Rn. 2).
140
Einstellungsbefugnis der Polizei nur dann, wenn sie selbst Verwaltungsbehörde iSv § 35
OWiG (und nicht nur Ermittlungsorgan) ist (Hauptfall: § 26 I StVG); allerdings steht der Polizei (anders als im Strafverfahren: § 163 I StPO) ein Ermittlungsermessen zu (s. Mitsch, § 24
Rn. 8).
141
Hierzu Mitsch, § 26 Rn. 2 ff.
142
Hierzu: Mitsch, § 25.
143
Verhängung von Verwarnungsgeld als Kompromiss zwischen völligem Ahndungsverzicht
und Kollaps der Verfolgungspraxis. Es muss sich um eine geringfügige OWi handeln, bei der
Geldbuße von nicht mehr als 35 EUR angemessen ist; keine Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse iSv § 17 III 2 OWiG (Vereinfachungseffekt des § 56!); dann aber ggf.
keine Ahndung durch Verwarnungsgeld: § 56 als Ermessensentscheidung (§ 47 OWiG).
Wirksamkeit ab Zahlung des Verwarnungsgelds (§ 56 II 1 OWiG); danach keine Anfechtung
dieser Sanktion durch Behörde (§ 56 IV OWiG), aber auch idR nicht durch Betroffenen möglich, da diese Sanktionierung sein Einverständnis (Zahlung!) voraussetzt → venire contra factum proprium (KK OWIG- Wache, § 56 RN 28).
144
Sozusagen als Angebot an den Betroffenen, durch Akzeptieren der festgesetzten Geldbuße
das Verfahren zum Abschluss zu bringen (KK OWIG-Kurz, § 65 RN 8; krit. Bohnert, OWiG,
§ 65 RN 5: einseitige staatliche Sanktion).
145
Hierzu Mitsch, § 28 Rn. 4 ff.
15
(b) Einspruch 146 binnen 2 Wochen (§ 67) → Zwischenverfahren (§ 69) 147
(≈ Widerspruchsverfahren)
sofern keine Rücknahme:
StA als Verfolgungsbehörde (§ 69 IV)
III. Gerichtliches Verfahren 148 (Amtsgericht), §§ 68 ff. (≈ Strafbefehlsverfahren
149
→ Bußgeldbescheid ≠ Untersuchungsgegenstand )
(Verbot 150 der reformatio in peius: § 71 iVm § 411 IV StPO)
(1) einfache Fälle → Beschluss (§ 72)
(2) sonst: Urteil nach Verhandlung (§§ 71, 73 ff.)
(Beweisaufnahme: § 244 III,IV,V StPO → § 77!
151
)
Rechtsmittel 152:
146
Rechtsbehelf eigener Art mit Suspensiv- aber ohne Devolutiveffekt; hierzu Mitsch, § 29
Rn. 1-7.
147
Hierzu Mitsch, § 29 Rn. 8 ff.- Ggf. nimmt die Behörde den Bußgeldbescheid zurück und
ersetzt ihn durch einen neuen mit schärferer Sanktion (hiergegen dann erneut Einspruchsmöglichkeit).
148
Hierzu Mitsch, § 30.
149
Tatvorwurf wird also originär verhandelt; dem Bußgeldbescheid kommt insoweit nur die
Funktion einer anklageähnlichen Verfahrensvoraussetzung zu (KK OWIG-Kurz, § 65 RN 9,
Mitsch, § 29 RN 1).
150
Nur eingeschränktes Verbot (§ 71 I OWiG iVm § 411 IV StPO; beachte aber § 71 III 2
OWiG), da der Bußgeldbescheid (als "Angebot zur Erledigung der OWi-Angelegenheit")
durch Einspruch gegenstandslos wurde und die Tat völlig neu verhandelt wird (s. Mitsch, § 29
RN 1) → Amtsgericht also keine Rechtsmittelinstanz.
151
Die Beschränkung der Aufklärungspflicht erlaubt dem Richter insb. bei Bagatellen, nicht
jede Erkenntnisquelle bis auf den letzten Rest ausschöpfen zu müssen; auch kann der Richter
sich mit dem Grad der Aufklärung begnügen, der für eine sachgerechte Ermessensausübung
für eine § 47 OWiG-Entscheidung erforderlich ist. Eine Verurteilung setzt aber seine zweifelsfreie Überzeugung von der Schuld des Betroffenen voraus.
Anders als im Strafverfahren kann das Gericht die Ablehnung eines Beweisantrags auch auf
eine vorweggenommene Beweiswürdigung (ggf. auch darauf, das Gegenteil des Behaupteten
sei bereits erwiesen) - hierzu mit Rspr.-Beispielen KK OWIG-Senge, § 77 RN 16 f. sowie
(erleichtert) auf eine drohende Verfahrensverzögerung stützen.
152
Hierzu Mitsch, § 31.
16
Rechtsbeschwerde 153 (§§ 79 154, 80) [≈ Revision]
Entscheidung des OLG durch Beschluss, ggf. durch Urteil (§ 79
V)
→ Rechtskraftwirkung: §§ 84 II, 85
ne bis in idem im OWi-Recht 155 156
(→ Recht
der Ordnungswidrigkeiten von Art. 103 III GG 157 nicht erfasst
)
158
(a) Eingeschränkte Rechtskraft einer Verwarnung mit
Verwarnungsgeld
153
Devolutiveffekt (Sache vor Gericht höherer Instanz) und Suspensiveffekt (Hemmung des
Eintritts der Rechtskraft; Verbot der reformatio in peius (§ 79 III 1 OWiG iVm § 358 II
StPO).
154
Beachte die einschränkenden Voraussetzungen, insb. von § 79 I Nr. 1 u. 3; in diesen Fällen
verlangt die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde ihre gesonderte Zulassung nach § 80, die nur
bei Urteilen (nicht bei Beschlüssen , § 72 OWiG) eröffnet ist, und auch nur unter den Einschränkungen von § 80 I Nr. 1 u. 2 OWiG
155
Hierzu: Mitsch, § 24 RN 16 ff.; die Rechtskraft einer verfahrensabschließenden Sachentscheidung steht sowohl der Fortsetzung des alten (= abgeschlossenen) als auch der Einleitung
eines neuen Verfahrens entgegen.
156
Zum abgestuften Strafklageverbrauch im Strafverfahren (vgl. Beulke, Strafverfahrensrecht, RN 335 337, 338, 529):
(1) voller Strafklageverbrauch bei Urteil
(2) §§ 153 a I 4, 153a II, 373a StPO (kein Strafklageverbrauch bei Verbrechen)
(3) §§ 153 II, 174 II, 211 StPO, 45 III 4, 47 III JGG (kein Strafklageverbrauch bei neuen Tatsachen oder Beweismitteln, bei § 153 II StPO nur bezüglich Verbrechen: BGHSt 48, 331 =
NJW 2004, 375).
157
Das Doppelverfolgungsverbot bezieht sich - wie im Strafverfahren - auf die Tat im prozessualen Sinne (vgl. OLG Frankfurt, NJW 1992, 2777) → insoweit besteht ein Verfahrenshindernis.
Unter Tat im prozessualen Sinne (hierzu: Beulke aaO, RN 512 ff.) ist das gesamte Verhalten
des Beschuldigten/Betroffenen zu verstehen, soweit es mit dem durch die Verfolgungsorgane
(durch Anklage, Eröffnungsbeschluss, Urteil bzw. im Bußgeldbescheid) bezeichneten geschichtlichen Vorkommnis nach der Auffassung des Lebens einen einheitlichen Vorgang bildet (also nicht [nur] die von den Verfolgungsbehörden aufgeführte Betätigungen; auch nicht
etwa die aufgeführten Gesetzesverstöße!). Die Handlungen müssen also zeitlich, räumlich und
innerlich (Berücksichtigung der Angriffsrichtung?; str.) so miteinander verknüpft sein, dass
sich ihre getrennte Würdigung und Ahndung als unnatürliche Aufspaltung eines einheitlichen
Lebensvorganges darstellen würde.
158
BVerfGE 43, 105; Sachs-Degenhart, GG, Art. 103 RN 84; aA Jarass/Pieroth, GG, Art. 103
RN 59; aber:
→ (eingeschränktes) Verbot mehrfacher Ahndung folgt insoweit aus dem Rechtsstaatsprinzip
(KK OWIG-Bohnert, Einl., RN 135).
17
→§
56 IV (keine uneingeschränkte 159 Verfolgung als OWi 160
mehr)
(b Eingeschränkte OWi-Rechtskraft 161 bei Opportunitätseinstellung
gem. § 47
→ Rechtsgedanke von § 211 StPO 162
(c) Uneingeschränkte "OWi-Rechtskraft" 163 164 bei Bußgeldbescheid
sowie Gerichtsentscheidung über die Tat als OWi 165oder
Straftat:
→ § 84 I
159
OWi-Verfolgung möglich, sofern neue (d.h. unbekannte [hierauf beschränkend: Bohnert,
OWiG, § 56 RN 30] bzw. bewusst oder versehentlich bei Verwarnung nicht berücksichtigt)
tatsächliche oder rechtliche Gesichtspunkte auftreten (Grund: Verwarnung wird in einem vereinfachten Verfahren nach nur summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage erteilt): OLG
Düsseldorf, NJW 1991, 242, Mitsch, § 24 RN 25, KK OWIG-Wache, § 56 RN 37 (Grenze:
berechtigter Vertrauensschutz).
160
Verfolgung als Straftat möglich (Bohnert, OWiG, § 56 RN 31 unter Bezug auf § 84 I
OWiG); das Verwarnungsgeld ist dann bei einer strafgerichtlichen Verurteilung zu berücksichtigen (KK OWIG-Bohnert, Einl., RN 134, KK OWIG-Wache, § 56 RN 39).
161
Grund: Staat muss sich an seine Erklärungen gegenüber Bürger grundsätzlich festhalten
lassen (Vertrauensschutz des Betroffenen): KK OWIG-Bohnert, § 47 RN 28; deshalb Bindungswirkung erst bei Zustellung des Bußgeldbescheids (KK OWIG-Bohnert, § 47 RN 27).
162
Also Wiederaufgreifen möglich bei neuen Tatsachen oder Beweismitteln, die nicht zu einer Änderung der rechtlichen Beurteilung zu führen brauchen; eine Änderung der Rechtsauffassung genügt aber nicht (KK OWIG-Bohnert, § 47 RN 35); Entsprechendes gilt für eine
Verfahrenseinstellung gem. §§ 46 I OWiG, 153 II (KK OWIG-Wache, § 84 Rn. 16; str.: s.o.
Fn. 2), während einer Verfahrenseinstellung nach §§ 46 I OWiG, 170 II StPO keinerlei
Sperrwirkung zukommen soll (vgl. LR-Graalmann-Scheerer 25., § 170 Rn. 49 f.).
163
Erfasst wird die Tat im prozessualen Sinne (s. BayObLG, NStZ 2002, 155 [verschiedene
Taten bei mehreren Verkehrsverstößen während einer Fahrt], Mitsch, § 24 RN 23, KK OWIG-Wache, § 84 RN 1).
164
Bei Dauerordnungswidrigkeiten (zB Nichteinhalten der TÜV-Frist) bildet die Rechtskraft
des Bußgeldbescheids eine die Einheit des Dauerdelikts unterbrechende - und damit zu einer
neuen Tat führende - Zäsur: OLG Dresden, NStZ-RR 1997, 314; KK OWIG-Bohnert, § 19
RN 47; zu § 130 OWiG: KK OWIG-Rogall, § 130 RN 113, 71 m. Nachw. der RSpr (einheitliche Tat nur bei Unterlassen allgemeingültiger Aufsichtsmaßnahmen, nicht bei Absehen von
Einzelanordnungen, zB OLG Frankfurt, NJW 1992, 2777) → eine rechtskräftige Bußgeldentscheidung auf Grund § 130 OWiG hindert iÜ idR eine spätere OWi-Verfolgung wegen Beteiligung an der im Betrieb begangene OWi, während nach einer gerichtlichen Verurteilung eine
Beteiligung an der im Betrieb verübten Straftat nur unter den Voraussetzungen von § 85 III
OWiG verfolgt werden kann (KK OWIG-Rogall, § 130 RN 113).
165
Entsprechendes gilt, wenn das Gericht gem. § 69 V 2 OWiG verfährt (KK OWIG-Bohnert,
§ 69 RN 124).
18
(d) Strafklageverbrauch [!]:
[-] bei Bußgeldbescheid (§§ 84 I, 86 I 1) 166
[+] bei Gerichtsentscheidung 167 über OWi:
→§ 84 II 168
aber Wiederaufnahme 169 zuungunsten des Betroffenen möglich
→ § 85 III (beachte S. 2! 170 171) 172 (≈ §§ 153a I 4 sowie 373a StPO!)
166
Bußgeldbescheid enthält keine strafrechtliche Beurteilung, auch keine indirekte materiellrechtliche, die Verwirklichung eines Straftatbestandes verneinende Feststellung - hierzu am
Beispiel eines Prozessurteils infolge Verjährung eines Fahrlässigkeitsdelikts, das eine Verfolgung wegen dieser Tat als Vorsatzdelikt (implizit durch Annahme einer fahrlässigen Tat ja
verneint!) sperrt: Mitsch, § 24 RN 29, sowie in: MüKoStGB § 78 RN 7 -, da Verwaltungsbehörde für Strafverfolgung nicht zuständig.
167
Also bei Urteil (§ 46 I OWiG iVm § 260 StPO) oder Beschluss (§ 72 OWiG) des Amtsgerichts bzw. Beschluss des OLG nach Rechtsbeschwerde (§ 79 III 1 OWiG, § 121 I Nr. 1a
GVG).- Einer Verfahrenseinstellung aus rein prozessrechtlichen Gründen (§§ 206a, 260 III
StPO) steht hingegen nach Fortfall des Prozesshindernisses einer weiteren Verfolgung nicht
entgegen (Mitsch, § 24 RN 21).
168
Ratio: Infolge seiner umfassenden Kognitionspflicht hatte das mit der OWi befasste Gericht auch die strafrechtliche Relevanz der Tat zu prüfen (vgl. § 81 I, 21 I OWiG) → ein Urteil über die Tat als bloße OWi beinhaltet dann ein Negativattest fehlender strafrechtlicher
Deliktsqualität: Mitsch, § 24 RN 24.
169
Zusätzlich kommt zugunsten des Betroffenen eine entsprechende Anwendung des besonderen Wiederaufnahmegrundes des § 79 I BVerfGG (← strafrechtliche Verurteilung auf
Grund verfassungswidriger Norm) in Betracht: Mitsch, § 32 RN 6.
170
Weiterreichende Rechtskraftdurchbrechung als bei § 362 StPO, der zulasten des Verurteilten keine § 359 Nr. 5 StPO (Berücksichtigung von „Nova“ zugunsten des Verurteilten) entsprechende Regelung beinhaltet.
171
Nur sofern neue Tatsachen (= dem erkennenden Gericht bei Urteilsberatung nicht bekannt:
Meyer-Goßner, StPO, § 359 RN 30) oder neue Beweismittel (= deren sich das erkennende
Gericht nicht bedient hat [also unbekannt oder unbenutzt]: Meyer-Goßner, ebd., RN 32 ff.)
eine Verurteilung wegen eines Verbrechens ermöglichen (Grund: Auch gerichtliches Bußgeldverfahren idR nur "Miniaturstrafverfahren": KK OWIG-Wache, § 85 RN 29).
172
Wird ein Angeklagter im Strafverfahren zusätzlich auch wegen Begehung einer OWi, die
eine weitere Tat im verfahrensrechtlichen Sinne bildet, verurteilt (vgl. §§ 40, 42 OWiG), so
greift § 85 III 2 OWiG - der an die vereinfachte Sachaufklärung im gerichtlichen Bußgeldverfahren anknüpft - nicht ein, so dass es bei den Wiederaufnahmegründen der StPO bleibt (Göhler, OWiG, § 85 RN 20, KK OWIG-Steindorf, § 85 RN 30); für die Bußgeldentscheidung
bleibt es insoweit bei Anwendung der Vorschriften, die für ein isoliertes Bußgeldverfahren
gelten (KK OWIG-Steindorf, § 85 RN 31).
19