Hinreichende Tatbezeichnung im Bußgeldbescheid

OLG Bamberg, Beschluss v. 18.11.2015 – 3 Ss OWi 1218/15
Titel:
Hinreichende Tatbezeichnung im Bußgeldbescheid bei unerlaubter Alkoholabgabe an
Jugendliche
Normenketten:
JuSchG § 9 I Nrn. 2, 3, 28 I Nr. 10
StPO §§ 206a, 264, 409 I 1
OWiG § 66 I Nr. 3
§§ 46 I OWiG
JuSchG § 9 I Nrn. 2, 3, 28 I Nr. 10
StPO §§ 206a, 264, 409 I 1
OWiG § 66 I Nr. 3
Leitsätze:
1. Der Umfang der im Bußgeldbescheid gebotenen Tatschilderung wird maßgeblich von der
Gestaltung des Einzelfalls und der Art der verletzten Vorschrift bestimmt (u. a. Anschluss an BGHSt
23, 336/338 ff.; OLG Bamberg, Beschluss vom 12.08.2008 - 3 Ss OWi 896/08 = DAR 2009, 155 =
OLGSt OWiG § 66 Nr. 11). (amtlicher Leitsatz)
2. Seiner aus § 66 Abs. 1 Nr. 3 OWiG resultierenden Abgrenzungsfunktion als wirksame
Verfahrensgrundlage wird ein wegen unerlaubter Abgabe alkoholischer Getränke im Sinne von § 9
Abs. 1 Nrn. 1 und 2 JuSchG in der Öffentlichkeit an Kinder oder Jugendliche ergangener
Bußgeldbescheid nicht gerecht, wenn ihm lediglich generalisierend zu entnehmen ist, dass nicht
näher bezeichnete Kinder und Jugendliche an einem bestimmten Tag ihnen vom Betroffenen
überlassene Alkoholika konsumiert haben. (amtlicher Leitsatz)
Schlagworte:
Hinreichende Tatbezeichnung, Bußgeldbescheid, Alkoholabgabe an Jugendliche, Abgrenzungsfunktion
Gründe
Oberlandesgericht Bamberg
3 Ss OWi 1218/15
Beschluss
vom 18.11.2015
Titel:
Normenkette:
Leitsätze:
Zum Sachverhalt:
1
Die Stadt Q. erließ am 26.02.2015 einen Bußgeldbescheid gegen den Betr. mit folgendem Inhalt: „Sie
werden beschuldigt, folgende Ordnungswidrigkeit begangen zu haben: Am Samstag, 22.11.2014 haben in
Q., in der Wohnung am D.-Wall 94 mehrere Jugendliche und Kinder im Alter zwischen 13 und 17 Jahren
eine Feier veranstaltet. Sie wiesen alle einen unterschiedlichen Alkoholisierungsgrad auf. Das Bier und die
Flasche Wodka haben Sie von Ihnen erhalten, obwohl die Abgabe von Alkohol (Branntwein und
branntweinhaltige Getränke) an unter 18-jährigen nicht zulässig ist. Hierdurch handelten Sie ordnungswidrig
nach §§ 9 Abs. 1 i. V. m. § 28 Abs. 1 Nr. 10 Jugendschutzgesetz (JuSchG)“. Auf seinen Einspruch
verurteilte das AG den Betr. am 23.07.2015 wegen vorsätzlicher Abgabe alkoholischer Getränke zu einer
Geldbuße von 300 €. Die hiergegen eingelegte, mit der Verletzung materiellen Rechts begründete
Rechtsbeschwerde des Betr. führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Einstellung des
Verfahrens durch das OLG.
Aus den Gründen:
2
I. Die nach § 79 I Nr. 1 OWiG statthafte und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Es
besteht ein Verfahrenshindernis, weil der Bußgeldbescheid vom 26.02.2015 unwirksam ist.
3
1. Ein Bußgeldbescheid muss nach § 66 I Nr. 3 OWiG - ebenso wie der Strafbefehl (§ 409 I 1 StPO),
welchem er nachgebildet ist - unter anderem die Tat, die dem Betr. zur Last gelegt wird, sowie Zeit und Ort
ihrer Begehung bezeichnen. Neben der sog. Informationsfunktion ist es Aufgabe eines Bußgeldbescheids,
den Tatvorwurf in persönlicher, sachlicher und rechtlicher Hinsicht von anderen denkbaren Tatvorwürfen
abzugrenzen (sog. Abgrenzungsfunktion). Erfüllt ein Bußgeldbescheid diese Aufgabe nicht, fehlt es an einer
Prozessvoraussetzung (BGHSt 23, 336/338 ff.; OLG Bamberg, Beschl. v. 12.08.2008 - 3 Ss OWi 896/08 =
DAR 2009, 155 = OLGSt OWiG § 66 Nr. 11 m. w. N.). Das Verfahren ist in einem solchen Fall einzustellen
(§§ 46 I OWiG, 206a StPO).
4
2. Seine Abgrenzungsfunktion erfüllt der Bußgeldbescheid in sachlicher Hinsicht nur dann, wenn nach
seinem Inhalt kein Zweifel über die Identität der Tat entstehen kann, wenn also zweifelsfrei feststeht,
welcher Lebensvorgang erfasst und geahndet werden soll (BGH und OLG Bamberg a. a. O.; vgl. zuletzt u.
a. auch OLG Stuttgart, Beschl. v. 26.02.2014 - 2 Ss 616/13 = VerkMitt 2014, Nr. 28 = wistra 2014, 285 =
VRS 126, 106 [2014] = OLGSt OWiG § 29a Nr. 11; ferner KK/Kurz OWiG 4. Aufl. § 66 Rn. 10, jeweils m. w.
N.). Durch welche tatsächlichen Angaben der Tatvorgang hinreichend abgegrenzt wird, lässt sich nicht
allgemein sagen, dies ist Sache des Einzelfalls. Die Frage, ob ein Bußgeldbescheid seiner
Abgrenzungsfunktion gerecht wird, ist im Gegensatz zur Informationsfunktion allein aus dem
Bußgeldbescheid ohne Hilfe anderer Erkenntnisquellen, wie etwa des Akteninhalts zu beantworten (BGH a.
a. O.; KK/Kurz a. a. O.).
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3. Nach diesem Maßstab ist der Bußgeldbescheid vom 26.02.2015 unwirksam.
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a) Bußgeldbewehrt nach § 9 I JuSchG ist nicht der Konsum von Alkohol durch Kinder oder Jugendliche,
sondern u. a. die Abgabe von Branntwein oder branntweinhaltigen Getränken in der Öffentlichkeit an Kinder
oder Jugendliche (§ 9 I Nr. 1 JuSchG) bzw. die Abgabe anderer alkoholischer Getränke in der Öffentlichkeit
an Kinder oder Jugendliche unter 16 Jahren (§ 9 I Nr. 2 JuSchG).
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b) Der Bußgeldbescheid vom 26.02.2015 konkretisiert in sachlicher Hinsicht das dem Betr. zur Last gelegte
Verhalten nicht. Aus ihm geht weder hervor, an welche konkreten Kinder oder Jugendliche der Betr. Alkohol
abgegeben haben soll, noch grenzt er in zeitlicher Hinsicht ab, wann dies der Fall gewesen sein soll. Aus
der Information, dass Jugendliche und Kinder am 22.11.2014 in der Wohnung am D.-Wall 94 in Q. eine
Feier veranstalteten, folgt dies gerade nicht, da die Möglichkeit besteht, dass diese ihre Feier aus einem
mehr oder weniger längere Zeit vor der Feier erworbenen Alkoholvorrat bestritten. Auch ist die konkrete,
dem Betr. vorgeworfene Tat gerade nicht durch bestimmte Tatumstände so genau individualisiert, dass
unabhängig von den fehlenden vorgenannten Informationen kein Zweifel über deren Identität aufkommen
kann. Der Vorwurf, Kinder und Jugendliche hätten Bier und Wodka vom Betr. erhalten, ist inhaltlich so
unkonkret und allgemein gehalten, dass eine Verwechslungsgefahr zwischen dem dem Betr. vorgeworfenen
Sachverhalt und anderen, möglicherweise ähnlich gelagerten Sachverhalten besteht.
8
II. Aufgrund des aufgezeigten sachlich-rechtlichen Mangels ist das angefochtene Urteil mit den zugrunde
liegenden Feststellungen aufzuheben (§ 79 IIII 1 OWiG, § 353 StPO) und das Verfahren nach §§ 46 I
OWiG, § 206a StPO wegen des Vorliegens eines Verfahrenshindernisses einzustellen. […]