Ewigkeitssonntag, Psalm 126, Predigt von Pfarrerin Ulrike Stürmlinger

Predigt zu Psalm126
19./20.11.2011 Stra/Ni/Wa
Ewigkeitssonntag mit Totengedenken
Liebe Gemeinde.
Ich möchte den Predigttext heute mit Ihnen und Euch
gemeinsam lesen.
Das geht ganz leicht, weil ich für diesen Gottesdienst den
Wochenpsalm für den Ewigkeitssonntag ausgesucht habe.
Schlagen Sie doch mal auf eg 754.
Sie finden dort den Psalm 126.
Ich möchte ihn
mit Ihnen und euch zusammen lesen,
weil ich die Hoffnung habe,
dass er noch ein bisschen leichter zu unserem eigenen Gebet
und Wort wird.
So dass wir uns mit allem,
was wir heute mit uns tragen,
dort in ihn hinein, in ihn eintragen können.
Lassen Sie den Psalm nach dem Lesen nur gerne
aufgeschlagen, wenn Sie mögen.
Denn es ist so ein hin und her in ihm
zwischen gestern und heute und morgen,
zwischen Zuspruch und Erfahrung,
Lachen und Weinen,
Trauer und Freude …
Vielleicht fällt es leichter,
bei dem einen oder anderen Satz zu verweilen
wenn Sie ihn vor Augen haben.
LESEN
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Viele von Ihnen und euch haben im letzten Jahr an einem
Grab gestanden.
Einen Menschen hergeben müssen,
der Ihnen lieb war,
der euch nahe stand.
Die Mutter. Die Partnerin.
Den Vater. Den Partner.
Auch das Kind.
Die Freundin. Den Freund.
Gefangen zu sein durch den Tod,
und durch erzwungenen Abschied …
viele von euch wissen ganz genau, wie sich das anfühlt.
Der Tod kann uns tatsächlich zu Gefangenen machen.
Weil Trauer so weh tut. Wirklich körperlich.
Die Seele leer fegt.
Den Verstand raubt, uns zu Getriebenen macht.
Dem Tag die Farbe nimmt ihn zur Last werden lässt,
die Freude verbannt.
Der Verlust eines nahen Menschen kann heimatlos machen,
in Einsamkeit stürzen.
Bringt tiefe Lebensfragen an die Oberfläche.
Ich glaube sicher, wir haben die Erlaubnis,
den Psalm ganz für uns zu lesen und zu sprechen:
Wenn der Herr die Gefangenen des Todes erlösen wird.
Wenn der Herr die Gefangenen der Trauer erlösen wird.
Darin steckt Trost und Hoffnung
allein … durch die Erinnerung:
Da ist jemand, der wird erlösen.
Das ist so wichtig heute zu hören.
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Für alle, die immer wieder in den Bannkreis des Todes
geraten, und genau spüren:
Da kommen wir nicht von alleine raus.
Das können wir nicht selber.
Der Tod hat tausend Arme und Fesseln,
die den Alltag, einen selbst im Griff halten.
Das können wir nicht von uns aus nicht einfach ändern.
Wir sind ihm ein Stück ausgeliefert.
Das merken nicht nur die Betroffenen,
auch, die mit ihnen umgehen und leben, merken es.
Und bitten – vielleicht wie im Psalm:
Herr, bringe zurück unsere Gefangen.
Herr, bringe sie zurück ins Leben.
Genau darum, wollen wir in diesem Gottesdienst bitten:
Herr, bringe alle, die noch im Tod gefangen sind, zurück ins
Leben.
Die mit Tränen säen,
gehen hin und weinen
und streuen ihren Samen.
Vielleicht gilt das auch für die Tränen,
die ganz still geweint werden und die nicht nach außen treten.
Ich vermute aber, sie müssen wirklich fließen, die Tränen.
Fließen, die Tränen, damit der Schmerz sich nicht festsetzt.
Und die Trauer nicht erstarrt.
Tränen, die fließen, sind er Weg, im Schmerz lebendig zu
bleiben.
In Verbindung zu bleiben mit einer Lebensquelle,
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die tief in uns verborgen ist.
Der Psalm hat keine Angst davor,
die Tränen könnten nicht mehr aufhören.
Er geht davon aus:
Irgendwann werden sie aufhören.
Und nicht nur das, aus ihnen wird etwas anderes wachsen.
Die mit Tränen säen,
werden mit Freuden ernten.
Sie gehen hin und weinen
und streuen ihren Samen.
Ich liebe den Psalm für diese Sätze.
Wir haben es oft so schwer, mit Trauer umzugehen,
sie zuzulassen, ihr die Zeit und den Raum zu geben,
die sie braucht. Die sie einfach braucht.
Der Psalm geht ganz entspannt mit Trauer um.
Es ist nicht nötig, sie zu begrenzen,
ihr etwas entgegen zu halten, sie einzudämmen.
Wir brauchen nicht so schnell wie möglich,
wieder „normal“ zu werden, wieder zu funktionieren.
Was der Tod uns zumutet, ist nicht normal.
Zumal nicht, wenn er vor der Zeit kommt.
Wenn er einen Menschen viel zu früh aus dem Leben reißt,
wenn er durch Krankheit erzwungen wird,
wenn er Beziehungen abbricht.
Wenn er Worte unmöglich macht,
die noch nötig gewesen wären.
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Trauer soll fließen, so lange der Schmerz da ist.
Unsere Tränen sind
Samen.
Natürlich enthalten sie Trauer, Schmerz,
Zumutung, Erschütterung und erlebte Ohnmacht.
Aber ja nicht nur das.
Sie enthalten auch Mut, sich dem Schmerz zu stellen.
Und Kraft auszuhalten.
Unsere Tränen enthalten auch Vertrauen
in den Fluss des Lebens, in Gott …
in Gott, der unsere Tränen sammelt
und verwandelt… aus ihnen anderes wachsen lässt.
Wenn der Herr die Gefangenen Zions erlösen wird,
so werden wir sein,
wie die Träumenden.
Dann wird unser Mund voll Lachens
und unsere Zunge voll Rühmens sein.
Dann wird man sagen unter den Heiden:
Der Herr hat Großes an ihnen getan.
Der Herr hat Großes an uns getan,
des sind wir fröhlich.
Die Menschen des ersten Bundes verbanden mit diesen
Worten die Rückkehr aus der babylonischen Gefangenschaft
nach Israel.
Rettung und Heimkehr nach Jahrzehnten des Exils in der
Fremde.
Israel erlebte die Fürsorge Gottes
in der Gabe, in der Rückgabe des gelobten Landes.
Im Recht auf Heimat.
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Wir hören den Psalm nicht als Menschen des ersten Bundes,
wir hören ihn als Christen.
Als Menschen, die Gottes Zuwendung
in Jesus Christus finden.
Nicht die Gabe eines Landes,
ER Jesus Christus steht für das Heimatrecht,
das wir brauchen, um sein zu können.
Jesus Christus – die Mensch gewordene Liebe.
Wenn ich Menschen begleite
auf den Weg in den Tod
oder auf dem Weg des Abschieds…
Dann ist es immer etwas Großes,
Besonderes,
wenn in aller Trauer,
in allem Schmerz
plötzlich Liebe aufscheint …
… Liebe …
Oft dauert es ein bisschen,
bis sie da ist.
Manchmal scheinen wir uns schützen zu müssen.
Trauen uns nicht, die Liebe anzuschauen,
die uns verband.
Lassen uns ablenken von hundert Dingen,
die uns beschäftigen.
Und irgendwann kommt der Moment,
wo wir wesentlich werden.
Und dann kann sie sich zeigen die Liebe.
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Nicht immer leuchtend und über alles erhaben,
oft zaghaft, manchmal durchzogen,
von Enttäuschung und Schmerz.
Manchmal in der Erinnerung einer Geste,
eines Wunsches,
einer Einsicht,
manchmal in einem Seufzen.
Manchmal in einem Satz:
Er war immer für uns da.
Sie hat alles für uns getan.
Wenn sich solche Liebe zeigt,
nimmt das den Schmerz nicht weg
sie nimmt auch die Trauer nicht.
Und doch erscheint in ihnen ein Glanz.
Sie werden umhüllt von Staunen und Dank.
Und in der Regel,
wird es dann stiller, leiser, nachdenklicher
zwischen den Trauernden, Suchenden, Sprechenden.
Heilige Momente.
Klar, der Schmerz ist noch da aber es ist auch etwas größeres im Raum das den Schmerz … aufgehoben sein lässt.
Ich bin oft ergriffen,
wo ich teilhaben darf an solcher Liebe,
an dem Reichtum, den Menschen sich schenken können.
Wenn sie einander stärken und Heimat geben
Freude aneinander haben
das Leben bewältigen
die Wunde unserer Heimatlosigkeit bedecken
oder sich gegenseitig das Leben zum Traum machen.
Manchen gelingt das schon zu Lebzeiten auf wunderbare
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Weise.
Bei anderen braucht es den Abschied,
den Weg des Sterbens,
damit die Liebe endlich fließen kann,
und zu ihrer Kraft und Bedeutung findet.
Ich denke an eine alte Mutter in unserer Gemeinde.
Sie war hart geworden durch den Krieg,
lies keine Nähe zu,
stand immer etwas außerhalb der Familie,
wie als ob sie nicht so richtig dazu gehörte,
tat auch den Kindern nicht immer gut.
Aber im Sterben, da war plötzlich Verbundenheit da.
Die Kinder, spürten es,
wie sie, die sich sonst jeder Berührung verweigerte,
wie sie plötzlich Gefallen hatte
wenn die Kinder ihre Hände streichelten.
Sie reagierte obwohl sie schon weit weg war.
Und am Ende wartete sie
auf das ihrer Kinder, das die meiste Versöhnung brauchte.
Der Herr hat Großes an ihnen getan.
Wir gehen nicht ins Nichts.
Wir gehen in die Wirklichkeit Gottes hinein.
Er kommt uns entgegen.
Er empfängt uns im Tod,
und löst die Fesseln, die uns binden,
die uns gefangen halten.
Die Trauer in dieser Familie
wäre stumm und sprachlos geblieben.
So aber wurde eine Liebe sichtbar,
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die im Leben keinen Raum hatte
und jetzt alles verwandelte.
Nicht hart und abweisend,
war sie nun in der Mitte ihrer Familie,
Sondern schon ein wenig befreit,
im Gehen vereint und liebend.
Wenn der Herr die Gefangenen des Todes erlösen wird,
werden wir sein wie die Träumenden.
Und die Kinder verstanden den Traum der Mutter,
den sie vielleicht in sich getragen hat,
aber nicht leben konnte.
Den Traum leben zu wollen,
lieben zu können,
dazu zu gehören,
verbunden zu sein.
Und die Kinder staunten
und alles, was vorher stockte und hakte,
war verschwunden in diesem Moment.
Sie ließen die Mutter gehen
mit Tränen in den Augen
und einem Lächeln.
Das ist das Große, das Gott an uns tut,
das, was uns fröhlich macht …
Gott schenkt uns eine solche Liebe
die in den letzten Tagen
ein ganzes Leben versöhnt.
So ist es für die, die gehen.
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Und so ist es für die, die bleiben,
die weiter leben sollen (und manchmal müssen).
Diese große Liebe befreit die Lebenden,
den Verstorbenen im Herzen zu bewahren und zu ehren
und sich zugleich dem Leben neu zuzuwenden.
Es ist geschenkte Liebe, die uns löst
von der Dunkelheit die im Abschied war,
und uns hilft, nach neuen Träume zu suchen.
Nicht nur überleben – neu leben.
Nicht nur irgendwie – mit Dank
Lachen neu möglich …
Der Herr hat Großes an uns getan,
des sind wir fröhlich.
Was brauchen wir, um wieder fröhlich zu werden,
welche Träume, welches Lachen
soll uns neu ins Leben bringen?
Sind Sie schon mal auf die Idee gekommen,
Gott einfach darum zu bitten?
Ich bin sicher, er wird es uns geben.
Amen.