Fernando Torres: Der Deutschen-Schreck Wie einst im EM-Finale? Atlético Madrids lebende Vereinslegende heute gegen den FC Bayern ▶ Seite 19 AUSGABE BERLIN | NR. 11004 | 17. WOCHE | 38. JAHRGANG MITTWOCH, 27. APRIL 2016 | WWW.TAZ.DE € 2,10 AUSLAND | € 1,60 DEUTSCHLAND ANZEIGE Sie lügen wie gedruckt. Wir drucken,wie sie lügen. GE GR ÜN DE GEG RÜN DET 1947 rtw ha ollen irts de n de innerh chaft m Pro alb debarm fit r EU t: -Z on UA sc Lan gs · MIT TWO Unbe CH, Tü 10. FEB hellig rk RUA -Au t Zu ei: Se R 2016 fklä rung am R 20 16 · NR . 26 · 1,5 0 EU Vo rtei RO · PV ls e Re na ST A1 vis hm ve 100 rsc ion e 2· Un hie en Int ern 4 e Altern atives Reise ■ Seite2: HauptstadtDschungel. gelegt. ist Im is Berlin.Mallorca nichtganz Tourismus leidetunter alles Mit geht Kunzes beimaltenes weder den Bus Millionen ■ Seite4:fair, quer noch durchdie ■ Seite6: Neulandgerechtzu. Hauptstadt Mittwoch,10. 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Denkt sich verboten und erlaubt sich die einzige absolut umweltfreundliche Tüte der Welt: Die tageszeitung wird ermöglicht durch 15.781 GenossInnen, die in die Pressevielfalt investieren. Infos unter [email protected] oder 030 | 25 90 22 13 Aboservice: 030 | 25 90 25 90 fax 030 | 25 90 26 80 [email protected] Anzeigen: 030 | 25 90 22 38 | 90 fax 030 | 251 06 94 [email protected] Kleinanzeigen: 030 | 25 90 22 22 tazShop: 030 | 25 90 21 38 Redaktion: 030 | 259 02-0 fax 030 | 251 51 30, [email protected] taz.die tageszeitung Postfach 610229, 10923 Berlin taz im Internet: www.taz.de twitter.com/tazgezwitscher facebook.com/taz.kommune 30617 4 190254 801600 Foto [Montage]: imago TAZ MUSS SEI N Bei Junkies hilft nur Härte Meine Tüte gehört mir! In der Zone ging’s ohne Von Ruanda lernen! Die Kunststoffplage müssen wir schon selbst beenden. Denn Ideonella sakaiensism verdaut leider zu langsam. Sonst wäre es perfekt, um uns vom Plastikmüll zu befreien. Das im März im Fachblatt Science beschriebene Bakterium ist das einzig bekannte, das sich von Kunststoff ernährt, genau genommen von PET. Wenn das Plastikfressen unter Einzellern Schule machte, die würden unsere Zivilisation glatt kompostieren. Aber darauf warten reicht nicht bei 100 Milliarden Plastiktüten jährlich in der EU, bei einer Tonne Plastikmüll pro Sekunde in den Weltmeeren und verseuchten Nahrungsketten. Wir Konsumjunkies werden uns von ein paar Cent für Plastiktüten kaum beeindrucken lassen: also einfach verbieten. Oder richtig teuer machen. Fünf Euro pro Stück, für die Renaturierung der Meere. Minimum fünf Cent will der Handel verlangen und verkauft das als Umweltschutz: Glückwunsch zum GreenwashingCoup. Die Tüten sind Symbol und Symptom eines Zeitalters des Überflusses. Zeit, uns davon zu befreien. INGO ARZT Die Plastetüte ist ein Kulturgut. Mit ihr können Einkäufe bequem und sauber transportiert werden, und danach wird sie mehrfach benutzt: etwa als Schutzhülle für müffelnde Sportschuhe oder nasse Badesachen. Im Unterschied zu anderen Ländern gibt es in Deutschland kein Müllproblem durch Plastetüten; sie werden ganz überwiegend wiederverwertet oder verbrannt. Ein Verbot ist daher unnötig. Auch bei uns gibt es Müll in der Landschaft: Einwegkaffeebecher und illegal entsorgte Haus- und Gewerbeabfälle. Das gilt es einzudämmen. Bleibt die Ressourcenverschwendung. Ja, für die Tüten wird Erdöl verwendet – aber verschwindend wenig. Wer als Verbraucher Ressourcen sparen will, sollte nicht zuerst auf Tüten verzichten, sondern maßvoll konsumieren: Es müssen nicht immer die neuesten Klamotten oder das modernste Smartphone sein, auch muss niemand zu jeder Jahreszeit mit vollen Händen frisches Obst und Gemüse eintüten. In Papier oder Kunststoff. RICHARD ROTHER Das ist ein Bekenntnis: Ich bin eine gebeutelte Ostfrau. Wenn ich früher in der DDR einkaufen ging, dann immer nur mit Stoffbeuteln. Manche waren einfarbig, andere hatten Aufdrucke: „Veterinärhygienein spektion Pankow“, „BSG Empor Brandenburger Tor“, so was. Niemals aber zog ich mit Plastetüte los. Wir sagten Plaste und nicht Plastik. Den Stoffbeutel hatte ich immer dabei – für Überraschungskäufe. Apfelsinen, Bananen, Sie wissen schon. Es ist nicht so, dass wir im Osten keine Plastetüten kannten. Wir hatten auch welche. Die waren aus dem Westen, schön bunt, mit einer Peter-Stuyvesant-Reklame oder einer für Mustang-Jeans. In diese Tüten packten wir Bücher, Hefter und Poster aus dem Intershop. Aber never ever so was Schnödes wie Brot, Butter, Milch. Es könnten ja Löcher in den Luxusartikel kommen. Was soll ich sagen? Ich habe überlebt. Ich bin nicht verhungert und nicht verdurstet. Auch nicht traumatisiert. Ein Leben ohne Plastetüte ist möglich. SIMONE SCHMOLLACK Globaler Vorreiter beim Kampf gegen die Plastiktüte ist Ruanda. Damit das kleine Land im Herzen Afrikas nicht zumüllt, verhängte die Regierung 2008 ein Totalverbot – und wenn in Ruanda etwas verboten ist, dann richtig. Beim Anflug auf Kigali warnen Lautsprecherdurchsagen, dass Plastiktüten bei der Einreise konfisziert werden; und bei der Anfahrt über Land ist bewundernswert, mit welcher Geschicklichkeit Ruandas Grenzbeamte beim Blick ins Gepäck sofort das winzigste Stück Plastik entdecken und einkassieren. Kein Ruander kommt auf die Idee, das Verbot zu missachten. Erstens gibt es überhaupt keine Plastiktüten mehr, sondern nur noch Papierbeutel. Und zweitens steht auf Verwendung von Plastiktüten eine Geldstrafe von 100.000 ruandischen Franc (rund 120 Euro), ein halbes durchschnittliches Monatsgehalt, bei Wiederholungstätern das Doppelte. Ruandas saubere Straßen werden in ganz Afrika bewundert. Die ästhetische Wirkung des Verbots ist wichtiger als die ökologische. DOMINIC JOHNSON 02 TAZ.DI E TAGESZEITU NG Kunststofftüten PORTRAIT Schwerpunkt M IT TWOCH, 27. APRI L 2016 Praktisch, reißfest, umsonst: Doch Einweg-Tragetaschen landen bald darauf im Müll. Jetzt sollen die Kunden lernen, auf die Tüte zu verzichten Gegen Plaste ganz elastisch MÜLLVERMEIDUNG Nach langem Streit verpflichten sich Teile des Einzelhandels dazu, Plastiktüten künftig nicht mehr kostenlos abzugeben. Doch wer nicht mitmacht, muss keine Sanktionen fürchten. Das sorgt für Kritik AUS BERLIN MALTE KREUTZFELDT Tüte auf dem Weg zum Pazifik Foto: dpa Großer Pazifikmüllfleck J edes kleine Stück Kunststoff, das in den letzten 50 Jahren hergestellt wurde und ins Meer gelangte, ist dort immer noch irgendwo“, sagt der Chemiker Tony Andrady vom US-Forschungsinstitut Triangle. Der ins Wasser gelangte Plastikmüll wird durch die Wellenbewegungen und das UV-Licht in immer kleinere Teile zerstückelt. Diese giftigen und zum Teil krebserregenden Partikel gelangen dann über Plankton und Fische in die Nahrungskette und damit zu den Menschen zurück. Die vollständige Zersetzung von Plastik kann ein sehr langwieriger Prozess sein. Ein Großteil der ins Wasser gelangten Kunststofftüten, -flaschen, CDHüllen, Spielzeuge, Eimer, Feuerzeuge etc. sammelt sich in riesigen Strudeln auf den Weltmeeren unter der Wasseroberfläche. Fünf besonders große solcher Strudel gibt es, von denen die im Nord- und Südpazifik die größten sind. Der größte im Nordpazifik ist unter dem Namen Great Pacific Garbage Patch („Großer Pazifikmüllfleck“) bekannt. Hierbei handelt es sich überwiegend um zerkleinerten Müll, der nur selten mit bloßem Auge zu erkennen ist. Gerechnet wird mit vier Partikeln pro Kubikmeter, weshalb die Ausmaße auch nicht per Satellit ermittelt werden können, abgesehen davon, dass die Plastikteile eben meist auch nicht an der Oberfläche schwimmen. Trotzdem gibt es immer wieder Segler, die auf gigantische Flächen von treibendem Plastikmüll stoßen, der dann aber sozusagen nur die Spitze des Eisbergs ist. In ihrer Freizeit segelnde oder rudernde Wissenschaftler haben sich besonders dieses Plastikmüllphänomens angenommen. Es wurde 1988 erstmals prophezeit und dann 1997 erstmals nachgewiesen. Doch die Wissenschaftler können sich nicht über die Größe dieser Plastiksuppe im Ozean einigen, ebenso variieren die Schätzungen der Menge stark, die jährlich an Plastikmüll in die Meere gelangt. Das UNUmweltprogramm etwa vermutete Ende 2014, dass jährlich rund 6,4 Millionen Tonnen Plastikabfälle in die Ozeane gelangen. Manchen Studien schätzten die größten Müllteppiche schon auf kontinentale Ausmaße und es ist ein schwacher Trost, dass sich darunter wohl kaum Plastikmüll aus Deutschland befindet. Wie vermüllt die Meere inzwischen sind, wurde auch bei der Suche nach dem 2014 verschollenen malaysischen Flugzeug MH 370 deutlich. Immer wieder wurden große Müllstücke jeder Art gefunden. SVEN HANSEN Es herrschte große Einigkeit am Dienstagmorgen im Bundesumweltministerium. „Plastiktüten sind oft über flüssig“, sagte Ministerin Barbara Hendricks (SPD). „Der Verbrauch kann und muss weiter gesenkt werden.“ Josef Sanktjohanser, Chef des Handelsverbands Deutschlands, sekundierte: „Es geht um den Schutz der Umwelt und den sparsamen Umgang mit Ressourcen.“ Darum sollten Plastiktüten möglichst nicht mehr kostenlos abgegeben werden. Ebenso einig waren sich die Beteiligten aber auch, dass sie das effektivste Mittel zum Er- reichen dieses Ziels nicht nutzen wollen: eine verpflichtende Abgabe auf Plastiktüten solle es in Deutschland, anders als etwa in Irland, nicht geben. Stattdessen setzt Hendricks auf eine freiwillige Vereinbarung mit dem Handelsverband. In diesem Dokument, das am Dienstag feierlich unterzeichnet wurde, verpflichten sich die teilnehmenden Unternehmen, Plastiktüten ab Juli nicht mehr kostenlos abzugeben. Ein Mindestpreis wird nicht vorgegeben; die Einnahmen bleiben, sofern sie nicht freiwillig gespendet werden, beim Unternehmen. Doch selbst mit dieser recht zahmen Verpflichtung hat sich der Handel schwergetan. „Das hat bei uns zu heftigen Debatten geführt“, sagte Handelsverbandschef Sanktjohanser. Gerade im hochwertigen Textilhandel sei mit Protesten gerechnet worden, wenn KundInnen für Tüten zur Kasse gebeten werden. Diese Befürchtung war aber offenbar unbegründet. „Die Reaktionen sind durchweg positiv“, berichtete etwa Mark Rauschen, Geschäftsführer des großen Osnabrücker Modehauses L+T. Dort kosten Plastiktüten seit Kurzem 20 Cent; begleitet wurde die Umstellung durch eine breite Informationskampagne in den Schaufenstern. „Die Zahl der Tüten ist um 75 Prozent zurückgegangen“, sagte Rauschen. Doch während einige Schwergewichte der Modebranche – darunter H&M, C&A, KiK und Adler – die Vereinbarung bereits unterzeichnet haben, fehlen andere große Ketten – etwa New Yorker, Zara und Sportscheck. Auch Peek & Cloppenburg ist bisher nicht dabei. Derzeit verstehe man „die kostenlose Zugabe einer Plastiktüte in den Verkaufshäusern als Serviceleistung dem Kunden gegenüber“, teilte das Düsseldorfer „Die Reaktionen sind durchweg positiv“ MARK RAUSCHEN, MODEMARKT L+T Die Umweltministerin warnt: Übermäßiger Tütenkonsum kann leicht zu Kopflosigkeit und Orientierungsproblemen führen Foto: Bertrand Desprez/VU/laif Unternehmen dazu mit. Eine Veränderung werde „ergebnisoffen“ geprüft. Insgesamt wird bisher weniger als die Hälfte der Tüten von der Vereinbarung erfasst. Befürchten müssen solche Verweigerer allerdings nichts. Sanktjohanser kündigte lediglich an, der Verband werde „weiter Überzeugungsarbeit leisten“. Und auch Hendricks hielt sich mit Drohungen zurück. In zwei Jahren soll die Vereinbarung erstmals überprüft werden – wie und durch wen ist noch offen. Wird das Ziel verfehlt, dass bis dahin mindestens 80 Prozent der Tüten Geld kosten, sei eine gesetzliche Regelung möglich, sagte Hendricks. „Aber ich gehe davon aus, dass das nicht nötig sein wird.“ Ein Grund für die Zurückhaltung ist, dass das Problem in Deutschland vergleichsweise gering ist. Plastiktüten werden hier zum Großteil recycelt oder verbrannt. Zudem sind die Deutschen mit durchschnittlich 71 Einweg-Plastiktüten pro Jahr (ohne dünne Tüten für Obst und Gemüse) ohnehin schon recht sparsam: Der EUSchnitt liegt derzeit bei 198 Tüten; bis zum Jahr 2025 soll er auf 40 Tüten sinken. Besonders gering ist der Verbrauch mit 16 Tüten pro Kopf und Jahr in Irland. Dort hat die Regierung eine Pflicht-Abgabe von 22 Cent eingeführt. Das hatten Umweltverbände auch für Deutschland gefordert. Doch Hendricks sei vor den Handelskonzernen eingeknickt, kritisierte Jürgen Resch, Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe. Der Naturschutzbund bemängelte zudem, dass sich die Vereinbarung auf Plastiktüten beschränkt. Denn auch Papiertüten, auf die der Textilhandel jetzt vermehrt setze, machen ökologische Problem. Der große Tüten-Typen-Test VERPACKUNG Tüte ist nicht gleich Tüte: Welche Tragetasche die Umwelt besonders versaut und mit welchem Typ Sie sauber bleiben BERLIN taz | Nach dem Einkau- Die Bio-Plastiktüte Die Papiertüte fen kommt das Tragen. Dabei helfen Tüten: Sie sind praktisch, doch nicht immer umweltfreundlich. Eine Übersicht der Tüten-Typen inklusive ÖkoBilanz. Die Bio-Variante gilt als die umweltfreundliche Schwester der normalen Plastiktüte. Bio kann dabei sowohl bedeuten, dass Tüte aus biobasierten die Kunststoffen hergestellt wurde, als auch, dass sie kompostierbar ist. Für eine bessere Öko-Bilanz der Tüten gibt es laut einer Studie des Umweltbundesamts aus dem Jahr 2009 allerdings keine wissenschaftlichen Beweise. Zwar verbrauchen die Biokunststoffe auf den ersten Blick weniger klimaschädliches Kohlendioxid. Für den Anbau von Mais oder Zuckerrohr wird aber ebenfalls Erdöl benötigt, zum Beispiel für Diesel und Düngemittel. Auch bei der Entsorgung gibt es Probleme: Die Kompostierung der Tüten dauert für die herkömmlichen Kompostieranlagen deutlich zu lange und die Tüte wird daher genauso wie die PE-Tüte aussortiert und meistens verbrannt. Auch Papiertüten sind nicht grundsätzlich umweltfreundlicher als Kunststoffbeutel. Zwar sind sie aus nachwachsendem Rohstoffen hergestellt und verrotten dadurch sehr viel schneller. Papiertüten bestehen aber aus besonders langen Zellstofffasern, die mit Chemikalien behandelt werden müssen. Außerdem sind die Tütenwände dicker, die Tüten sind schwerer und verbrauchen so insgesamt mehr Emissionen beim Transport. Erst wenn die Tüten mindestens drei- bis viermal verwendet werden, schneiden sie mit einer besseren Öko-Bilanz ab. Nach dreimaligem Einsatz ist die Papiertüte aber oft schon am Ende ihrer Kräfte – das Material ist eben nicht wasserabweisend und auch nicht so reißfest wie Plastik. Die normale Plastiktüte Lange war sie die Nummer eins unter den Tüten; die allermeisten in Deutschland gebräuchlichen sind von diesem Typ. Doch ihre Beliebtheitswerte sinken. Daran ist vor allem die miserable ÖkoBilanz schuld: Die Tüten aus dem Kunststoff Poly ethen werden aus Rohöl hergestellt. Neben dem Verbrauch fossiler Rohstoffe belastet die Entsorgung der Plastikfetzen die Umwelt – bis zu 450 Jahren kann es dauern, bis der Kunststoff in der Natur rückstandslos abgebaut wird. Ein bisschen viel, nur um damit ein- oder zweimal die Einkäufe vom Supermarkt nach Hause zu tragen. Die recycelte Plastiktüte Durch den Recyclinganteil von mindestens 70 Prozent redu- zieren sich die KohlendioxidEmissionen um 45 Prozent. Das macht die recycelte Plastiktüte ökologischer als alle anderen Einwegtüten. Ihr Anteil an der Tütenproduktion ist allerdings verschwindend gering: In Deutschland landen die meisten Tüten nicht im gelben Sack und können daher auch nicht recycelt werden. Die europäische Recyclingquote für Plastiktüten wird auf lediglich 6,6 Prozent geschätzt. Die Mehrwegtüte aus Stoff Die ökologische Transportvariante ist aus Baumwolle oder Jute. Letztere haben es in Studentenkreisen schon zum HipsterAccessoire gebracht. Mehrwegbeutel aus Stoff müssen nach Angaben der Deutschen Umwelthilfe allerdings mindestens 25-mal wiederverwendet werden, um tatsächlich umweltfreundlicher als Plastiktüten zu sein. Grund: Die Produktion von Baumwolle belastet die Böden und verbraucht sehr viel Wasser und Energie. Mehrwegtüte aus Plastik Überraschender Gewinner im ökologischen Tüten-Rennen sind Mehrwegtaschen aus Kunststoff, wie man sie etwa vom Einkauf bei einem nicht unbekannten schwedischen Möbelverkäufer kennt. Diese Tüten haben schon nach nur dreimaligem Wiederverwenden eine deutlich besser Öko-Bilanz als Plastiktüten, da sie größtenteils aus recycelten Kunststoff wie zum Beispiel PET-Flaschen hergestellt werden. Eine handliche Variante sind Mehrwegtaschen aus Polyester, die ohne Inhalt nur ganze 31 Gramm wiegen – beinahe weniger als die Einweg-Plastiktüte. Es gibt sie also, die ökologische und praktische Transportmöglichkeit. LINA SCHWARZ Schwerpunkt Griechenland M IT TWOCH, 27. APRI L 2016 TAZ.DI E TAGESZEITU NG 03 Der Schriftsteller Petros Markaris über die Lage in seinem Land und die Ursachen für die Spirale nach unten VON PETROS MARKARIS Der Victoria-Platz in Athen, einer der wenigen Orte im Zentrum der Stadt mit einem Spielplatz für kleine Kinder, wird jeden Morgen von Flüchtlingen besetzt. Die Polizei kommt und treibt sie weg. Am Abend wiederholt sich dasselbe Spiel. In der Zwischenzeit ist das Klagelied von Betreibern der Cafés, Restaurants und Imbissbuden zu hören. Zu Zeiten des normalen Alltags waren die Lokale voll. Jetzt kommen fast kein Gäste mehr. Am anderen Ende des Zentrums in Richtung SyntagmaPlatz, im Hotel Hilton, verhandeln die sogenannten Institutionen mit den Ministern der griechischen Regierung. Bis zum zweiten Memorandum waren die Vertreter der Geldgeber zu dritt, man nannte sie die „Troika“. Nun ist noch ein Vertreter dazugekommen, so mutierten sie zum „Quartett“. Die „Troika“ war ein neutrales Wort. Das „Quartett“ hat einen musikalischen Nachklang. Griechische Beamte sind privilegiert Doch ob Troika oder Quartett – der Druck auf alle griechischen Regierungen für Reformen bleibt derselbe, auch auf die heutige Koalition aus Syriza und Anel. Ich kenne kein anderes Land, in dem es eine solche Kluft zwischen öffentlichem Dienst und Privatsektor gibt. Griechische Beamte sind privilegiert, und ausnahmslos alle Regierungen versuchen, ihre Klientel im Staatsapparat vor den Reformen in Schutz zu nehmen. Die heutige Regierung macht das nicht anders, weil sie im Staatsapparat ebenso verstrickt ist wie ihre Vorgängerregierungen. Das System von Syriza im öffentlichen Dienst besteht aus ehemaligen Pasok-Bonzen, die nach dem Fall der Pasok-Regierung in die Syriza emigriert sind. Die Vertreter der Geldgeber und die griechischen Regierungen einigen sich seit Jahren auf dieselbe Kompromisslösung: weniger Reformen, dafür mehr Sparmaßnahmen. Wenn die Griechen das Wort „Sparmaßnahmen“ nur hören, dann wissen sie schon: Es kommen neue Steuern. Der Mittelstand des Landes ist längst ruiniert Diese Wellen von Steuern haben den griechischen Mittelstand ruiniert. Die griechische Wirtschaft wurde immer von kleinen und mittleren Unternehmen und dem Tourismus getragen. Wenn diese kleinen und mittleren Unternehmen und mit ihnen die Arbeitnehmer im Privatsektor aber konsequent ruiniert werden – woher soll dann das Wachstum kommen, das sowohl die griechischen Regierungen als auch die „Institutionen“ beschwören? Die Europäische Union ist am Ruin des griechischen Mittelstands mitschuldig, weil sie die Umsetzung der Reformen mit zu wenig Druck eingefordert und stattdessen die von den griechischen Regierungen bevorzugten hohen Steuersätze akzeptiert hat. Die noch überlebenden griechischen Unternehmen verlegen ihren Sitz nach Bulgarien oder Zypern, wo niedrigere Steuersätze gelten. Es ist ein Trauerspiel. Ausnahmslos alle griechischen Regierungen verstecken sich hin- Griechische Hafenarbeiter protestieren in Piräus gegen den Verkauf des Hafens an das chinesische Staatsunternehmen Cosco Foto: Alkis Konstantinidis/reuters Die Politik der Untätigkeit ESSAY Die Koalition aus Syriza und Anel macht nur das Notwendigste. Auch die Flüchtlinge überlässt sie ihrem Schicksal. Noch hilft die griechische Bevölkerung den gestrandeten Menschen – aber das könnte sich ändern ter der EU und schieben ihr die Schuld für das Elend der Griechen in die Schuhe. Die EU ihrerseits versteckt sich hinter den Griechen und behauptet, sie seien an den härteren Sparmaßnahmen schuld, weil sie die Reformen nicht umsetzen wollen oder können. Seien wir ehrlich: Diese Regierung ist weder rechts noch links. Sie ist eine Regierung den Untätigkeit. Sie macht nur das Notwendigste, und auch das verdirbt sie durch die unterschiedlichen Statements ihrer Mitglieder. Ein Beispiel: Vor Kurzem verkaufte die Regierung die Mehrheit der Anteile des Hafens von Piräus an das chinesische Staatsunternehmen Cosco. Premierminister Alexis Tsipras drückte dem Vertreter der chinesischen Firma die Hand und sagte vor laufender Kamera, dies sei nur der Anfang; es würden noch mehr Investitionen fließen. Am nächsten Tag wendete sich der Transportminister gegen den Verkauf der Anteile: das sei Ausverkauf griechischen Staatseigentums. Wieder einen Tag später stimmte ihm der Minister für Seehandel zu. Weder verlangte der Premier den Rücktritt seiner beiden Minister, noch traten sie freiwillig zurück. Was blieb? Ihre unterschiedlichen Statements. Ähnlich reagieren die Regierungsmitglieder auf die Flüchtlinge. Der Innenminister besucht das Lager in Idomeni, liefert seinen unverschämten Kommentar: Das hier sei wie Dachau – und verlässt den Ort. Ein zweiter Minister kommt, Ich lebe in einem desaströsen Land. Wenn ich die Griechen anschaue, dann sehe ich Menschen, die Mut und Hoffnung verloren haben sein Kommentar lautet: Idomeni sei das Juwel griechischer Gastfreundschaft. Auch er verlässt danach den Ort. Nur der Vizeaußenminister hat eine brillante Idee. Welcher Flüchtling 250.000 Euro in Griechenland investieren möchte, bekomme sofort die griechische Staatsbürgerschaft. Ganz Griechenland lacht, aber er beharrt auf seinem Vorschlag. Diese Regierung macht nur das Notwendigste. Viel lieber ist ihr, Statements zur Lage im Land abzugeben. Sie ist stolz auf ihre Politik der offenen Grenzen. Gut, dafür bin ich auch. Nur muss man für die Flüchtlinge auch etwas tun, wenn sie kommen. Man kann sie ihrem Schicksal nicht einfach überlassen – weder in Idomeni noch auf den Inseln noch in Piräus. Die einzige Ausnahme ist die Stadt Athen mit ihrem Bürgermeister Jorgos Kaminis. Die Stadt kämpft seit Monaten mit allen Mitteln dafür, den Flüchtlingen zu helfen. Sie hat die ersten Unterkünfte für sie geschaffen, sie bringt Familien mit Kindern in freien Wohnungen unter, versorgt sie mit Essen. Ohne die Stadt Athen wäre die Lage noch desaströser. Abgesehen davon kümmern sich nur einige NGOs um die Flüchtlinge – einige, nicht alle. Es gibt auch welche, die Profit aus den Flüchtlingen schlagen wollen, und andere, die die Flüchtlinge zu aussichtslosen Aktionen bewegen. So versuchten vor einiger Zeit Flüchtlinge, den Zaun an der Grenze zu Mazedonien niederzureißen. Es war die Idee radikaler Mitglie- der einiger NGOs. Die mazedonische Polizei reagierte mit Tränengas. Es gab rund 300 Verwundete. Die griechische Polizei schaute zu, weil sie keine Genehmigung zum Eingreifen hatte. Die europäischen Staaten geben kein besseres Bild ab. Sie haben alle Grenzen von Mazedonien bis Österreich geschlossen und Griechenland damit zum Sammelbecken für Flüchtlinge gemacht. In Zeiten des real existierenden Sozialismus gab es neben dem „sozialistischen Traum“ auch den Begriff der „internationalen Solidarität“, der zu jedem Anlass wiederholt wurde. Was haben die ehemals sozialistischen Länder von dieser internationalen Solidarität mitbekommen? Von Ungarn über Polen und Tschechien bis hin zu Slowenien schaue ich mich um und sehe nur Mauern und Länder, die sich verschanzen oder die wie Polen nur christliche Flüchtlinge aufnehmen wollen. Deutschland ist die einzige Ausnahme. Keiner kann den Griechen nachsagen, dass sie sich den Flüchtlingen gegenüber schlecht benehmen. Sie haben ihnen vom ersten Tag an geholfen – mit ihren spärlichen Mitteln, selbst von der Krise hart getroffen. Viele haben sogar Familien mit Kindern aufgenommen, damit sie nicht im Regen übernachten müssen. Diese Hilfsbereitschaft ist zugleich das beste Argument für die griechische Regierung, ihre eigene Untätigkeit zu rechtfertigen. Ich habe trotzdem Angst. Besonders auf den Inseln könnte die Stimmung kippen, je näher der Sommer rückt. Denn die Inselbewohner leben vom Tourismus. Sie arbeiten vier Monate und leben dann das ganze Jahr von diesen Einnahmen. Wie aber werden sie reagieren, wenn die Touristen den Inseln fernbleiben, auf denen Flüchtlinge gestrandet sind? Werden sie die Flüchtlinge dafür verantwortlich machen, dass sie ihre Einkommen einbüßen? Und wie lässt sich eine Lösung finden zwischen zwei prekären Gruppen, die doch beide im Recht sind? Ich lebe in einem desaströsen Land – sowohl was die finanzielle Lage als auch was die Situation mit den Flüchtlingen betrifft. Wenn ich die Griechen anschaue, dann sehe ich Menschen, die Mut und Hoffnung verloren haben. Aus ihren Gesichtern lese ich nur noch Hilflosigkeit. Petros Markaris ■■79, schreibt Theaterstücke, Fernsehserien und seit den 90er Jahren international erfolgreiche Kriminalromane um den Kommissar Kostas Charitos. Er hat Dramatiker wie Brecht und Goethe ins Griechische übertragen und Preise wie den Raymond Chandler Award oder den Premi Pepe Carvalho gewonnen. Petros Markaris lebt in Athen. Foto: Mosimann/Diogenes
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