51-16 Urteil Schadensersatzumfang nach Verkehrsunfall

Presse
Landgericht Hannover
27.04.2016
LANDGERICHT HANNOVER:
Reparaturkosten auch bei falschem Sachverständigengutachten zu ersetzen (10 S 11/15)
Mit am 18. März 2016 verkündetem Urteil hat die 10. Zivilkammer des Landgerichts
Hannover als Berufungskammer unter Vorsitz des Präsidenten des Landgerichts Dr. Ralph
Guise-Rübe entschieden, dass der unverschuldet Geschädigte eines Verkehrsunfalles auch
dann Anspruch auf vollständige Erstattung der Reparaturkosten hat, wenn sich im
Nachhinein herausstellt, dass der vom Kfz-Sachverständigen vorgerichtlich festgestellte
Reparaturumfang objektiv nicht notwendig war.
Dem Rechtsstreit lag im Wesentlichen folgender Sachverhalt zugrunde:
Das Fahrzeug des Geschädigten wurde auf einem Supermarktparkplatz durch eine von
einem Windstoß aufgerissene Tür des daneben parkenden Fahrzeuges im Bereich der
beiden Türen durch Lackkratzer beschädigt. Die grundsätzliche Einstandspflicht des
Unfallgegners für die Reparaturkosten stand außer Streit. Der Geschädigte beauftragte
daraufhin vorgerichtlich einen von der Industrie- und Handelskammer Hannover öffentlich
bestellten und vereidigten Sachverständigen für Kraftfahrzeugschäden und -bewertung mit
der Begutachtung der erforderlichen Reparaturmaßnahmen. Der Sachverständige kam zu
dem Ergebnis, dass die ausschließliche Neulackierung der zerkratzten Flächen aufgrund des
Fahrzeugfarbtons „wheatbeige/metallic“ ohne die Beilackierung angrenzender Bauteile zu
sichtbaren Farbtonstufen führe und hielt die komplette Neulackierung der Fahrzeugseite für
erforderlich. Der Geschädigte beauftragte demgemäß die komplette Neulackierung und
forderte den Haftpflichtversicherer des Schädigers zum Ausgleich der Reparaturkosten auf.
Diese zahlte jedoch nur in Höhe der Neulackierungskosten der unmittelbar zerkratzten
Stellen. Die auf Zahlung des noch offenen Betrages in Höhe von rund 1.000 Euro gerichtete
Klage wies das Amtsgericht Hannover ab, nachdem ein gerichtlich eingeholtes Sachverständigengutachten zu dem Ergebnis gekommen war, die umfangreiche Beilackierung sei
objektiv nicht erforderlich gewesen.
Nr. 51/16
/ Dr. Stephan Loheit
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Die Berufung führte zur Abänderung des erstinstanzlichen Urteils. Die 10. Zivilkammer
verurteilte den Haftpflichtversicherer des Schädigers zur Zahlung des noch offenen
Differenzbetrages, denn der Kläger habe gemäß § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG i.V.m. §§ 823 Abs.
1, 249 BGB, §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1 StVG einen Anspruch auf Ausgleich der gesamten
Reparaturkosten. Bewertungsfehler des vom Geschädigten beauftragten Sachverständigen
seien nicht diesem, sondern dem Schädiger und dem mit diesem verbundenen
Haftpflichtversicherer zuzurechnen.
Im Einzelnen:
Grundsätzlich könne der Geschädigte nach § 249 Abs. 2 BGB vom Schädiger als
erforderlichen Herstellungsaufwand nur die Kosten erstattet verlangen, die vom Standpunkt
eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten zur
Behebung des Schadens zweckmäßig und angemessen erscheinen. Er sei daher nach dem
Wirtschaftlichkeitsgebot gehalten, im Rahmen des ihm Zumutbaren den wirtschaftlicheren
Weg der Schadensbehebung zu wählen, sofern er die Höhe der für die Schadensbeseitigung
aufzuwendenden Kosten beeinflussen kann.
In diesem Zusammenhang sei jedoch auch auf die spezielle Situation des Geschädigten
Rücksicht zu nehmen - insbesondere auf seine individuellen Erkenntnis- und
Einflussmöglichkeiten sowie auf die möglicherweise gerade für ihn bestehenden
Schwierigkeiten der Bestimmung des objektiv erforderlichen Herstellungsaufwandes. Denn
den Kenntnis- und Einflussmöglichkeiten des Geschädigten seien bei der
Schadensregulierung regelmäßig Grenzen gesetzt. Gerade deshalb bediene er sich eines
Sachverständigen bzw. einer Reparaturfachwerkstatt.
Kommt es daher beim Sachverständigen oder in der Reparaturfachwerkstatt und damit bei
Fachleuten zu Mehraufwendungen bei der Schadensbeseitigung habe hierfür grundsätzlich
der Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherer einzustehen. Denn es würde dem Sinn und
Zweck des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB widersprechen, wenn der Geschädigte mit den
Mehraufwendungen belastet bliebe, deren Entstehung seinem Einfluss entzogen sind und
die ihren Grund ausschließlich darin haben, dass die Schadensbeseitigung in einer fremden,
vom Geschädigten nicht mehr kontrollierbaren Einflusssphäre stattfinden muss.
Das Verbleiben dieses Risikos beim Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherer sei auch
nicht unbillig, denn insofern müsse berücksichtigt werden, dass der Geschädigte die
Schadensbeseitigung letztlich für den Schädiger durchführen lässt. Hätte der Geschädigte,
wie es § 249 Abs. 1 BGB vorsieht, die Schadensbeseitigung dem Schädiger überlassen,
hätte dieser sich ebenfalls mit dem Verhalten des Sachverständigen bzw. der Werkstatt
auseinandersetzen müssen.
Dem Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherer entstehe dadurch auch kein Nachteil. Die
durch den Geschädigten erfolgte Beauftragung des Sachverständigen bzw. der Werkstatt
entfalte Schutzwirkung, sodass der Sachverständige bzw. die Werkstatt dem Schädiger bzw.
dessen Haftpflichtversicherer bei fehlerhaftem Gutachten bzw. bei fehlerhafter Reparatur
unmittelbar auf Schadenersatz hafte.
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Insoweit komme dem Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherer die gleiche Rechtstellung
zu, als wenn sie die Begutachtung bzw. Reparatur gemäß § 249 Abs. 1 BGB selbst in
Auftrag gegeben hätten.
Der Geschädigte hafte danach ausschließlich dann selbst für Mehrkosten, wenn ihm ein
eigenes Mitverschulden nach § 254 Abs. 2 Satz 1, 2. Alt. BGB angelastet werden muss was dann in Betracht kommt, wenn ihn ein Auswahlverschulden träfe, er die falsche
Begutachtung bzw. Reparatur durch eine Fehlinformation des Sachverständigen bzw. der
Werkstatt (mit-)verursacht hätte oder er hätte erkennen können, dass der durch den
Sachverständigen festgestellte Reparaturaufwand keine verlässliche Grundlage darstellte.
Da solche Ausnahmen nach Auffassung der Kammer nicht ersichtlich waren, sprach sie dem
geschädigten Kläger weiteren Schadensersatz in Höhe der - mit der Berufung
weiterverfolgten - Reparaturkosten zu.
Nachdem die Revision nicht zugelassen worden ist, ist das Urteil rechtskräftig.
(Az.: 10 S 11/15)
(Stichwort: „Reparaturkostenumfang“)
Dr. Stephan Loheit
Richter am Landgericht
Medienmanager
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Das Landgericht Hannover - allgemeine Informationen (Februar 2016):


Bedienstete insgesamt:
davon Richterinnen und Richter:

Landgerichtsbezirk:
o Amtsgerichte Burgwedel, Hameln, Neustadt a. Rbge., Springe, Wennigsen

Strafrecht:
o 11 große Strafkammern
 1 Schwurgericht, zugleich auch allgemeine Strafkammer
 8 allgemeine Strafkammern
 3 Jugend- und Jugendschutzkammern
o 7 Strafvollstreckungskammern
o 7 kleine Strafkammern, davon 1 zugleich als kleine Jugendkammer
o 3 Kammern für Bußgeldsachen, davon 2 als Jugendkammern

Zivilrecht:
o 23 Zivilkammern (erste und zweite Instanz)
o 7 Kammern für Handelssachen

Zahlen und durchschnittliche Verfahrensdauer am Landgericht:
o Strafsachen:
2013
Neueingänge insgesamt :
1.597
davon 1. Instanz:
185
davon Schwurgericht:
25
davon 2. Instanz:
857
davon Beschwerden:
555
216
89
Erledigungen (ohne Beschwerden):
1. Instanz:
davon Schwurgericht:
Erledigungsdauer (Monate):
davon Schwurgericht:
2. Instanz:
Erledigungsdauer (Monate):
o Zivilsachen:
Neueingänge insgesamt :
davon 1. Instanz:
davon 2. Instanz:
davon Beschwerden:
Erledigungen (ohne Beschwerden):
1. Instanz:
Erledigungsdauer (Monate):
2. Instanz:
Erledigungsdauer (Monate):
2014
1.662
191
21
812
659
2015
1.701
169
20
823
709
2013
181
20
7,3
3,5
803
5,7
2014
186
24
9,4
4,2
812
5,9
2015
158
13
7,4
3,4
832
5,7
2013
8.557
6.122
1.089
1.346
2014
8.011
5.585
1.211
1.215
2015
8.689
6.441
1.122
1.126
2013
6.548
11,3
1.164
5,3
2014
5.871
10,6
1.131
5,1
2015
5.817
10,6
1.177
5,3
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unter
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„Aktuelles
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