brand eins 05/2016

www.brandeins.de brand eins 18. Jahrgang Heft 05 Mai 2016 8,50 Euro C 50777
Was uns
heute verbindet
Schwerpunkt Wir
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EDITORIAL
Jetzt können wir
Foto: Heji Shin
• Seit die Ich-AG 2002 zum Unwort des Jahres erklärt wurde, hat sie für einiges herhalten
müssen. Längst steht sie nicht mehr nur für die kleinste betriebliche Einheit, sondern für die
Fehlentwicklung einer ganzen Gesellschaft: Jeder denke nur noch an sich, immer weniger
engagierten sich in Vereinen, Parteien oder der Gewerkschaft, Jobs seien nur noch Durchgangsstationen, und der beste Freund sei das Smartphone. So durfte man sich gruseln – bis
die Flüchtlinge kamen und es eine Welle der Hilfsbereitschaft gab. Seitdem ist klar, dass sich
zwar etwas verändert hat. Aber was?
Wer mit den ehemaligen Mitarbeitern der Hoechst AG spricht, bekommt eine Ahnung
davon, wie es war und heute nicht mehr ist: Hoechst war, schreibt unser Autor Andreas
Molitor, „Identität. Fürsorge. Sicherheit. Geborgenheit. Familie. Heimat. Eine Art grundgütiger Leviathan.“ Das war ein Erfolgsrezept in der Industriegesellschaft, doch das Wohlgefühl
hatte seinen Preis: Es war erkauft durch Anpassung. Die Betriebsfamilie war auch ein Synonym
für Gruppenzwang (S. 74, 40).
Dass damit heute kaum noch ein Geschäft zu machen ist, hat sich nicht nur in den hippen
Software-Buden herumgesprochen. Aber was kommt, wenn das alte Wir-Gefühl geht? Verunsicherung, diagnostiziert der Göttinger Soziologe Berthold Vogel: Zwar eröffnen sich neue
Freiräume – aber die machen auch Angst. Identität und Zugehörigkeit, früher Teil des Arbeitsvertrages, muss man sich heute selber suchen (S. 94).
An Hilfsangeboten fehlt es nicht. Allen voran bieten Facebook und all die anderen sozialen
Netzwerke immer neue Möglichkeiten, dazuzugehören. Aber auch wer einfach nur Deos oder
Spülmittel verkauft, packt gern ein bisschen Identitätsgefühl mit ein. Und bei den Einkaufsclubs, die exklusive Ware im exklusiven Zirkel versprechen, ist es ganz klar Teil des Geschäftsmodells. Der wahre Wert ist: Wir sind drin (S. 52, 82, 88).
Das spricht für das Bedürfnis, eine Lösung ist es eher nicht. Die Suche nach der eigenen
Identität, nach der Gruppe, der man sich zugehörig fühlen, zu der man gehören möchte, ist
ohne Voreinstellung ein anstrengender Prozess. Die jungen Israelis zum Beispiel, die Mareike
Enghusen dazu befragte, sind Weltbürger, meist ohne religiöse Bindung – was hält sie dennoch
in Israel? Wie organisieren sich die freiwilligen Flüchtlingshelfer, und was verbindet sie? Und
warum fällt es Freiberuflern so schwer, ihre Interessen zu vertreten (S. 132, 100, 70)?
Sie alle müssen neu anfangen, sich eigene Organisationsformen ausdenken, ein Wir suchen,
das zusammenführt und dennoch nicht einengt. Wie lebendig das Zusammenleben werden
kann, wenn es auf Freiwilligkeit und nicht auf Zwang beruht, zeigt eine Erfindung namens
Lulu in Paris: Der kleine Pavillon verkauft Nachbarschaftshilfe, Zugehörigkeit inklusive (S. 118).
Von solchen Modellen können wir gar nicht genug haben. Modelle, die zeigen, dass ein
Wir auch ohne Druck funktionieren kann. Erst wenn das bewiesen ist, können auch Ideen wie
das bedingungslose Grundeinkommen eine Zukunft haben. Erst dann können wir die Möglichkeiten wirklich nutzen, die sich mit der Digitalisierung eröffnen (S. 124, 110).
Und dann wird sich auch zeigen, dass die Individualisierung nur die andere Seite der
Medaille ist: Ein starkes Wir braucht starke Ichs. –
Gabriele Fischer, Chefredakteurin, [email protected]
Redaktion brand eins, Speersort 1, 20095 Hamburg
brandeins.de, facebook.com / brand.eins, twitter.com / brandeins
BRAND EINS 05/16
3
INHALT
62
Die Unruheständler:
Siemens-Belegschaftsaktionäre
Foto: Sigrid Reinichs
Inhalt
108
Kennt Europas Engagierte:
Leona Lynen Foto: Kai Müller
8 Mikroökonomie:
Eine Altenpflegerin in Japan
10 Die Welt in Zahlen
12 Markenkolumne: Willkommen,
ihr Vollpfosten! – der Duden
14 Ökonomie der Elemente: Selen
16 Wirtschaftsgeschichte:
Die Mutter aller Briefkästen
Was Wirtschaft treibt
20 Durchsichtige Geschäfte
Alle reden über Blockchain. Zu
Recht? Antworten von Don und
Alex Tapscott im Gespräch mit
Steffan Heuer und Thomas Ramge
28 Rambazamba digital
Eine milliardenschweren Branche
und Aufstieg und Fall des Berliner
Start-ups Food Express
analysiert Patricia Döhle
4
a Schwerpunkt Wir
38 Prolog
40 Das neue Wir
Die alte Gesellschaft baute auf
Gleichmacherei und Masse. Die
neuen Gemeinschaften brauchen
selbstbewusste Ichs Wolf Lotter
52 Angst vorm blauen Daumen?
Wie Facebook zum Betriebssystem
für unser Miteinander werden
konnte, erklärt Christoph Koch
60 Wie sagt man’s seiner Community?
Der Social-Media-Almanach
von Katja Berlin
62 Wer seine Firma liebt
… , der grillt den Chef. Ein Besuch
bei den Siemens-Belegschaftsaktionären von Jens Bergmann
BRAND EINS 05/16
INHALT
70 Freie Kräfte
Wer vertritt eigentlich die Rechte
von Freiberuflern? Bestenfalls
sie selbst Von Christian Sywottek
100 Lasst uns mal ran!
Zivilgesellschaft und Flüchtlingskrise.
Eine Analyse am Beispiel
Rostocks von Dirk Böttcher
74 Verfall einer Legende
Die Geschichte des Traditionsunternehmens Hoechst und seiner
Heimat erzählt Andreas Molitor
108 „ Dann machen wir es eben selbst “
Über das Wesen von Bürgerinitiativen in Europa berichtet die
Stadtforscherin Leona Lynen
Mischa Täubner
82 Gemeinsinn aus dem Supermarkt
Eine Konsumkritik des Kulturwissenschaftlers Wolfgang Ullrich
110 Die Weltverbesserer
Warum Hightech-Unternehmer
und Humanisten gemeinsame
Sache machen sollten,
erklärt Stephan A. Jansen
118 Adieu Tristesse
Ein Hochschuldozent sorgt
für mehr Miteinander in Paris.
Eine Reportage
von Karin Finkenzeller
124 Das Orakel von Finnland
Das Grundeinkommen wurde
lange diskutiert, nun folgt
im hohen Norden die Probe
aufs Exempel
Von Matthias Hannemann
132
132 In der Welt zu Hause
… , in Israel daheim. Vier Porträts
von Mareike Enghusen
Viel mehr als ein Staat: Israel
Foto: Michael Kohls
88 Club of Home
Schnäppchenjagd nur für Mitglieder:
Bekenntnisse einer Shopperin
Von Dorit Kowitz
94 Ein Hoch auf die Langeweile
Was die Gesellschaft im Innersten
zusammenhält, erklärt der Soziologe
Berthold Vogel Peter Laudenbach
99 Aufbau-Arbeiter
Drei Bürger und ihr Beitrag für
die Gemeinschaft
Von Johannes Böhme
a
Den Schwerpunkt gibt es als Hörversion
unter b1.de/audioversion
BRAND EINS 05/16
138 Auf der Suche nach Europa
Wer kümmert sich in der EU eigentlich ums Wir-Gefühl?, fragt sich
Alexander Krex
144
Fremdelt mit seiner Rolle:
der Bürgermeister Renato Accorinti
Foto: Diambra Mariani
150 Kolumne:
Ich zieh’ nicht in den Wald
Ein Plädoyer fürs falsche Leben
im richtigen. Oder umgekehrt
Von Mercedes Lauenstein
157 Prototyp: Der schöne Schleim
Beschichtung aus Muschel-Sekret:
Den Prototyp stellt vor
Frank Dahlmann
159 Leserbriefe
160 Leserservice und Impressum
162 Letzte Seite: Wer hat’s gesagt?
Das brandeins-Gewinnspiel
Was Menschen
bewegt
144 Der Anti-Pate
Revoluzzer wird Bürgermeister:
Die Geschichte eines Querdenkers
aus Sizilien erzählt
Emilia Smechowski
88
Drin sein ist
nicht alles: Einkaufsclubs
Illustration: Ika Künzel
5