DIE WELT - Die Onleihe

**
MITTWOCH, 27. APRIL 2016
KUNDENSERVICE 0 8 0 0 / 9 3 5 8 5 3 7
**
D 2,50 EURO B
Zippert zappt
KOMMENTAR
W
THEMEN
WIRTSCHAFT
ThyssenKrupp geht leer
aus im Rennen um
U-Boot-Auftrag
Kommentar Seite 3, Seite 9
SPORT
In 100 Tagen beginnen
die Olympischen Spiele
Seite 19
WISSEN
Das Geheimnis dunkler
Männerstimmen
Seite 20
FEUILLETON
Nicht nur bei Rechten
beliebt: Eine Hymne
auf die Farbe Blau
Mainstream,
was denn sonst?
PAUL NEHF
D
untersucht. Erstmals stellt sich 2016 eine
gewisse Sättigung im Umgang mit den
digitalen Medien ein. Die digitale Durchdringung des Alltags ist total; nahezu 100
Prozent der Jugendlichen sind ständig
online und möchten das auch nicht missen. Gleichzeitig schwindet die bedingungslose Faszination für das Netz.
Erstmals äußern junge Leute Wünsche
nach Entschleunigung – eine Art „antidigitale Sozialromantik des Früher-war-alles-besser“, wie Calmbach formulierte.
Auf Snapchat, Instagram und WhatsApp
will zwar kaum jemand mehr verzichten.
Aber viele Jugendliche empfinden bisweilen auch die Nachteile ständiger Verfügbarkeit.
Dauerhafte Analogromantik ist aber
trotzdem für die meisten keine Option,
denn ohne Smartphone geht es heute
nicht mehr. „Sozial verarmt ist nicht der,
der permanent am Smartphone hängt,
sondern der, der ohne auskommen
muss“, sagte Calmbach. „Messenger und
soziale Netzwerke haben eine zentrale
Funktion bei der Pflege und Aufrechterhaltung von Freundschaften.“
ie deutsche Jugend ist angepasst, tolerant und digital. So
sagt es zumindest die aktuelle Studie des Sinus-Instituts. Überrascht das? Nicht wirklich. All die
Kommentare, in denen Erstaunen
über die „zahmen“ Jugendlichen mitschwingt, können nur von denjenigen
stammen, die selbst nicht mehr (ganz
so) jung sind. Denn diese Entwicklung war zwangsläufig und absehbar.
Stellen Sie sich vor, Sie wachsen in
einem Land auf, das irgendwie immer
gut dasteht. Wenn die ganze Welt in
Finanzkrisen versinkt, brummt seine
Wirtschaft. Wenn sich andere Nationen in einen sinnlosen (Irak-)Krieg
verrennen, macht dieses Land nicht
mit. Sogar den weltbesten Fußball
spielt man mittlerweile. Und erzählt
man Menschen aus anderen Ländern,
woher man kommt, zucken deren
Mundwinkel nach oben. Den ganzen
Stolz auf die Heimat, der einem
selbst – ganz Mainstream – ganz
fremd ist, verspürt das Gegenüber für
einen einfach mit: „Ihr seid so pünktlich/fleißig/erfolgreich.“ Und auch
wenn man bescheiden bremst,
kommt man nicht umhin zu denken:
„Ja, da ist schon etwas dran.“
Nun, wollen Sie in diesem Land eine „provokante Subkultur“ bilden?
Wo doch alles so gut läuft? Das mag
nicht unbedingt richtig sein, aber es
ist die Stimmung, in der junge Menschen heute aufwachsen. Und wer
doch so verwegen sein will, muss sich
fragen: Aus welcher Ecke heraus
könnte man denn politisch provokant
sein? Rechts sein ist nicht nur ein Tabu, sondern auch echt uncool. Und
schon über zaghaft linken Haltungen
schwingt stets die DDR-Keule,
„schau, was daraus geworden ist“. Insofern ist die Rolle von Honecker und
Co. für die politische Bildung der Jugend nicht zu unterschätzen.
Was folgt daraus? Anpassung. Das
Gegenteil sieht man derzeit bei den
„Nuit debout“-Veranstaltungen in
Frankreich. Eine Jugend, die enttäuscht ist von einem erfolglosen
Staat, kommt zusammen, um ohne
Rücksicht auf Konventionen über eine neue Gesellschaft nachzudenken.
Mainstreaming hängt übrigens
auch eng mit der Digitalisierung zusammen. Nichts hat die Welt junger
Menschen seit den letzten beiden Sinus-Studien vor vier bzw. acht Jahren
so sehr verändert wie Smartphones
und soziale Netzwerke. Sie wiederum
schaffen weltweite Uniformität. Weil
sie die Welt klein machen und Trends
jeden sofort erreichen, gerade sehr
junge Menschen. Auch deshalb fühlen
sich deutsche Jugendliche wohl dabei, so sein zu wollen wie alle. Es ist
nicht mehr so einfach, aufzubegehren. Gegen die Mehrheit auf dem
Pausenhof – ja. Aber gegen die ganze
Welt? Warum sollte man das tun?
Siehe Kommentar
[email protected]
Das Beste an
Donald Trump
GETTY IMAGES (2)
issenschaftler des
Senckenberg-Forschungsinstituts
haben auf der westindischen
Insel Hispaniola acht neue
Saumfingerechsen entdeckt.
Auf den ersten Blick eine erfreuliche Nachricht. Andererseits gibt es dafür auch Gründe,
die Nachfrage nach Saumfingerechsen ist nicht hoch. Selten
hat man in seinem Bekanntenkreis den Seufzer gehört:
„Ach, wenn es doch bloß mehr
Saumfingerechsenarten gäbe,
das wäre schön!“ Eine Studie
ergab, dass Jugendliche sich vor
allem Sicherheit und Geborgenheit wünschen, mehr Saumfingerechsen wurden dagegen von
keinem jungen Menschen eingefordert. Sicher, die Senckenbergforscher haben es gut gemeint, und wahrscheinlich
konnten sie ihre Entdeckung
nicht unterschlagen, nur weil
das die deutsche Bevölkerung
nicht interessiert. Die Insel
Hispaniola besteht aus Haiti
und der Dominikanischen Republik, die für All-inclusiveUrlaube bekannt ist. Dass die
Pauschaltouristen aber neben
unzähligen Drinks und vier
Mahlzeiten auch noch acht
Saumfingerechsen wollen, muss
man bezweifeln.
Nr. 98
Manchem gilt sie als treibende Kraft hinter dem Ehrgeiz Donald Trumps, der
nächste Präsident der Vereinigten Staaten zu werden. Melania Trump (46), ehemaliges Dessousmodel und dritte Ehefrau des amerikanischen Immobilientycoons,
tritt dabei so ganz anders als ihr sendungsbewusster Gatte auf: still, stilvoll und
sympathisch. Die gebürtige Slowenin und Tochter eines Autohändlers spricht neben der Muttersprache und Englisch auch Französisch, Kroatisch und Deutsch –
und ist wohl im Fall einer erfolgreichen Bewerbung Donald Trumps um das Amt im
Seite 7
Weißen Haus das kleinste Übel.
Deutsche Teenager verlieren
Lust an der Rebellion
Neue Studie belegt: Nie waren Jugendliche so angepasst wie heute. Sie sehnen sich nach Geborgenheit
und Halt, mehr Toleranz für eine multiethnische Gesellschaft – aber auch nach Entschleunigung
S
trebsam, pragmatisch und
angepasst: Noch nie seit der
Nachkriegszeit ist die Jugend
in Deutschland so wenig rebellisch wie heute gewesen.
Das ist ein Hauptergebnis der neuen Sinus-Jugendstudie, die am Dienstag in
Berlin vorgestellt wurde.
VON SABINE MENKENS
Für Jugendliche ist der Begriff „Mainstream“ längst kein Schimpfwort mehr.
Im Gegenteil: „Mainstream ist ein
Schlüsselbegriff im Selbstverständnis bei
der Selbstbeschreibung“, heißt es in der
Studie „Wie ticken Jugendliche 2016?“.
Eine zunehmende Zahl von Jugendlichen
möchte demnach am liebsten „so sein
wie alle“. In einer zunehmend als kompliziert empfundenen Welt suchen 14- bis
17-Jährige offensichtlich den Schulterschluss mit Freunden und Familie. „Ein
mehrheitlich gemeinsamer Wertekanon
vor allem aus sozialen Werten deutet auf
eine gewachsene Sehnsucht nach Aufgehoben- und Akzeptiertsein, Geborgenheit, Halt sowie Orientierung in den zu-
nehmend unübersichtlichen Verhältnissen einer globalisierten Welt hin“,
schreiben die Forscher.
Dem entspreche auch die „generelle
Anpassungsbereitschaft und selbstverständliche Akzeptanz von Leistungsnormen und Sekundärtugenden“ bei den Jugendlichen – eine Art „Neo-Konventionalismus“. Jugendtypische Werte wie der
Wunsch nach Selbstentfaltung bleiben
zwar stark – die auf Abgrenzung und Provokation zielenden großen Jugend-Subkulturen gehören demnach aber weitgehend der Vergangenheit an. Allerdings
sei der Mainstream heutzutage auch
deutlich breiter geworden – zumal auch
die Erwachsenen popkulturell sozialisiert seien, sagte Autor Marc Calmbach
bei der Präsentation. „Früher hat Mutti
die Flippers gehört und der Sohn Nirvana. Heute einigen sich beide auf Beyoncé
und die Beatsteaks. Ein bisschen mehr
Reibung wäre da eigentlich wünschenswert.“
Offenbar herrscht aber weitgehende
Einigkeit darüber, in der besten aller
Welten zu leben: „Eine Mehrheit ist sich
einig, dass gerade in der heutigen Zeit ein
gemeinsamer Wertekanon von Freiheit,
Aufklärung, Toleranz und sozialen Werten gelten muss, weil nur er das gute Leben, das man in diesem Land hat, garantieren kann“, heißt es.
Insgesamt steigt laut Studie die Akzeptanz für Vielfalt und religiöse Toleranz – auch bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Junge Muslime sind
zwar noch stärker im Glauben verankert
als ihre christlichen Altersgenossen, distanzieren sich aber demonstrativ von Islamismus. Wichtiger als Religionen sind
den Jugendlichen gemeinsame Werte. Allerdings haben die Forscher bei Teilen
der Jugend durchaus noch starke Vorbehalte gegen soziale Randgruppen oder
Zuwanderer ausgemacht.
Für die Studie hat das Heidelberger Sinus-Institut 72 Jugendliche zwischen 14
und 17 Jahren in zweistündigen Einzelinterviews nach ihren Wert- und Zukunftsvorstellungen befragt. Die Ergebnisse
der qualitativen Studie seien zwar nicht
im statistischen, wohl aber im psychologischen Sinne repräsentativ, heißt es.
Das Sinus-Institut hatte bereits 2008
und 2012 die jugendlichen Lebenswelten
Seite 21
Im Minus
Alter Flieger, noch mal startklar
Seite 15
Das Rätsel um den ersten menschlichen Gleitflug des Utopisten Otto Lilienthal vor 125 Jahren wird im Windkanal entschlüsselt
Dax
Schluss
Euro
EZB-Kurs
Punkte
US-$
10.259,59
–0,34% ↘
Dow Jones
17.40 Uhr
1,1287
17.958,07
+0,20% ↗
–0,11% ↘
Punkte
ANZEIGE
Rush Hour –
Die U-Bahn von São Paulo
Heute um 20.05 Uhr
Wir twittern
Diskutieren
live aus dem
Sie mit uns
Newsroom:
auf Facebook:
twitter.com/welt
facebook.com/welt
„Die Welt“ digital
Lesen Sie „Die Welt“ digital auf allen Kanälen
– mit der „Welt“-App auf dem Smartphone
oder Tablet. Attraktive Angebote finden
Sie auf welt.de/digital oder auch mit den
neuesten Tablets auf welt.de/bundle
E
r war überzeugter Fortschrittsutopist. Sah das Fliegen als
Kunst und als Aufklärung, als Sieg der Naturwissenschaften
über die Religion, als Überwindung von Grenzen und Klassenschranken. Auch wenn einer seiner Flugversuche tödlich endete, hat
es nach ihm nicht lange gedauert, und aus den fliegenden Kisten der
Anfänger wurden im Ersten Weltkrieg veritable Luftkriegsflotten.
Der Nachbau eines solchen Apparates des Flugpioniers Otto Lilienthal ist jetzt bereit für den Test im Windkanal. Nach einem halben Jahr der Rekonstruktion stehen in Anklam (Mecklenburg-Vorpommern) die Arbeiten an dem Fluggerät vor dem Abschluss. Zuletzt
wurde der nahezu originalgetreue Nachbau des lilienthalschen Normalsegelapparates mit einem extra gefertigten Spezialstoff bespannt,
der die gleichen Eigenschaften wie das einst von Lilienthal benutzte
Textil hat.
Mit den Tests im Windkanal des 6,70 Meter breiten Flugapparates
im niederländischen Marknesse wollen das Deutsche Zentrum für
Luft- und Raumfahrt in Göttingen und das Otto-Lilienthal-Museum
in Anklam 125 Jahre nach dem Erstflug die Flugeigenschaften erfassen und an den in Anklam geborenen Luftfahrtpionier erinnern. Auch
wollen sie erfahren, welches theoretische Wissen über Stabilität und
Steuerung Lilienthal hatte.
Dabei soll der Nachweis
erfolgen, dass er ein Flugzeug baute, das um alle
drei Achsen stabil ist.
Ferner soll das Flügelprofil
genau untersucht werden:
Wie vergleichbar ist es mit
den heutigen? Nicht zuletzt sollen die Ursachen
Otto Lilienthal beim Flug vom Fliegerberg für Lilienthals Absturz im
in Berlin, den er eigens aufschütten ließ
August 1896 bei Stölln am
DLR
DAX
Gollenberg geklärt werden. Das Gerät, mit dem er havarierte, der
jetzt nachgebaute Normalsegelapparat, war das erste in Serie gebaute
Flugzeug der Welt und wurde mindestens neunmal weltweit verkauft.
In einem solchen Fluggerät ist Lilienthal tödlich verunglückt.
Lilienthal veröffentlichte 1889 sein Buch „Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst“. Eine theoretische Abhandlung über die Flugeigenschaften seiner Gleiter blieb er der Nachwelt allerdings schuldig. Mit dem Windkanalexperiment wollen die Forscher die Daten
nun nachliefern. Lilienthal gilt als „erster Flieger der Menschheit“.
Ihm gelangen 1891 als erstem Menschen Gleitflüge mit einem selbst
gebauten Flugzeug. Seine Arbeiten waren Grundlage für den ersten
Motorflug der Brüder Wright in den USA, für das spätere Wirken von
anderen Luftfahrtpionieren wie Hugo Junkers. Möglich wurde dies
auch durch das wissenschaftliche Publizieren Lilienthals und die
teilweise sensationellen Fotografien seiner Versuche, die im In- und
Ausland für Aufsehen sorgten.
DIE WELT, Axel-Springer-Straße 65, 10888 Berlin, Redaktion: Brieffach 2410
Täglich weltweit in über 130 Ländern verbreitet. Pflichtblatt an allen deutschen Wertpapierbörsen. Telefon: 030 / 2 59 10 Fax 030 / 259 17 16 06 E-Mail: [email protected] Anzeigen: 030 / 58 58 90
Fax 030 / 58 58 91 E-Mail [email protected] Kundenservice: DIE WELT, Brieffach 2440, 10867 Berlin Telefon: 0800 / 9 35 85 37 Fax: 0800 / 9 35 87 37 E-Mail [email protected]
A 3,20 & / B 3,20 & / CH 5,00 CHF / CZ 95 CZK / CY 3,40 & / DK 25 DKR / E 3,20 & / I.C. 3,20 & / F 3,20 & / GB 3,00 GBP /
GR 3,40 & / I 3,20 & / IRL 3,20 & / L 3,20 & / MLT 3,20 & / NL 3,20 & / P 3,20 & (Cont.) / PL 15 PLN / SK 3,20 €
+
ISSN 0173-8437
98-17
ZKZ 7109