Tschechiens Start-ups auch für deutsche Industrie interessant Auslandshandelskammer startet Wettbewerb für innovative Ideen / Agile Gründerszene hat zu wenig Risikokapital / Von Gerit Schulze Prag (GTAI) - Deutsche Industrieunternehmen wollen verstärkt das Potenzial innovativer Start-ups aus Tschechien nutzen. Die Auslandshandelskammer in Prag hat im April 2016 einen Wettbewerb gestartet, um konkrete Lösungen für anstehende Aufgaben bei Energieerzeugern, Fahrzeugherstellern oder Softwarebetrieben entwickeln zu lassen. Die Gründerszene in Tschechien ist sehr lebendig und bringt jedes Jahr vielversprechende Geschäftsideen hervor. Problem ist jedoch die Versorgung mit Risikokapital. Einen Umsatzzuwachs von 1.500% schafft nicht jede Firma. Dem tschechischen Start-up Skypicker ist das 2015 gelungen. Das Unternehmen aus Brno hat eine Flugsuchmaschine entwickelt und im Vorjahr weltweit 1,7 Mio. Tickets verkauft. Innerhalb von zwölf Monaten ist die Belegschaft von 30 auf 330 angewachsen. Skypicker ist mit einer innovativen Geschäftsidee und hohem Wachstum ein Paradebeispiel für die Start-upSzene in Tschechien. Genüsslich erzählt Firmengründer Oliver Dlouhy, wie Airlines und Reiseveranstalter an der Realisierbarkeit einer solchen Datenbank zweifelten. "Unser Vorteil war, dass wir keinerlei Erfahrungen hatten und mit neuem Blick von außen das Projekt anpackten", sagte der junge Unternehmer Mitte April 2016 beim Start des Innovationswettbewerbs "Connect Visions to Solutions" der Deutsch-Tschechischen Industrie- und Handelskammer (AHK Tschechien) in Prag. Das Projekt der AHK Tschechien bringt Schlüsselunternehmen aus der Industrie mit tschechischen Start-ups zusammen. Die jungen Firmen sollen Lösungen für Problemstellungen in traditionellen Produktionsbetrieben entwickeln (http://www.connect-visions-to-solutions.com). "Mit dem Wettbewerb wollen wir innovative Synergien zwischen beiden Welten schaffen", so AHK-Präsident Axel Limberg. Die beteiligten deutschen Unternehmen haben zum Teil konkrete Aufgaben gestellt. SAP hofft auf neue Software-Dienste für seine Cloud-Plattform Hana, mit denen die Digitalisierung der Unternehmen vorangebracht wird. Kfz-Teilehersteller Brose wünscht sich für seine tschechische Fabrik in Koprivnice eine Smartphone-App, um die Produktionsmitarbeiter zu vernetzen. Die Kunden änderten ihre Abrufe heutzutage so schnell, dass die Produktionsplanung kurzfristig reagieren müsse, erläutert Timo Eichhorn, Leiter Technische Funktionen bei Brose CZ. "Mit der App sollen die Mitarbeiter schneller und einfacher über Schichtwechsel informiert werden." Auch die deutsche Energiewirtschaft ist mit RWE, Eon und EnBW (über die Prager Tochtergesellschaft PRE) am Wettbewerb der AHK vertreten. Alle drei Unternehmen stehen vor der Aufgabe, die Dezentralisierung der Branche zu bewältigen und mehr individuelle Lösungen für die Energieverbraucher zu entwickeln. RWE erhofft sich, die Produktionsprozesse in Unternehmen zu optimieren und so Energie, Material und damit Kosten einzusparen. Eon setzt einen Schwerpunkt auf unternehmerische Sozialverantwortung. Über Technologien wie Smartphone-Apps soll das caritative Engagement des Konzerns an die Kundengruppen vermittelt werden. Lösung für effizientere Energienutzung gefragt EnBW hat bereits einen Fonds für Risikokapital mit 100 Mio. Euro Volumen aufgelegt. Davon sollen künftig auch tschechische Start-ups profitieren. Laut Karsten Krämer, Innovationsmanager bei PRE, werden Projekte gesucht, mit denen Unternehmen und Haushalte ihre Energieunabhängigkeit erhöhen. Möglich seien Dachsolaranlagen, 1 www.gtai.de Tschechiens Start-ups auch für deutsche Industrie interessant kleine Kraft-Wärme-Kopplungen oder Speichertechnologien sowie Lösungen, mit denen Prozesse wie Installation, Reparatur oder Ablesen von Zählerständen einfacher ablaufen, erläutert Krämer. Skoda Auto ist ebenfalls Partner für das AHK-Projekt "Connect Visions to Solutions". "Wir sind an schrägen Ideen für moderne Mobilität interessiert, die uns die Augen für neue Lösungen öffnen", erklärt Christian Cahn von Seelen, Leiter der Unternehmensstrategie beim größten Fahrzeughersteller des Landes. Der Manager denkt zum Beispiel an eine App, die bei einem schwindenden Tankvolumen mit nahegelegenen Zapfstationen den günstigsten Benzinpreis aushandelt. Die Start-up-Gemeinschaft ist lebendig. Gerade in Universitätsstädten wie Prag, Brno oder Plzen tummelt sich eine rege Gründerszene. Viele Institutionen und Unternehmen loben Preise für neue Geschäftsideen aus. Beim Vodafone-Wettbewerb "Napad roku" (Idee des Jahres) haben über 1.000 Jungunternehmer ihre Vorschläge eingereicht. Preisträger des Vodafone-Wettbewerbs „Idee des Jahres“ 2015 Unternehmen Geschäftsidee Webseite Flydeo Flugdrohnen http://flydeo.com LumiTrix Projektoren für Videomapping http://www.lumitrix.eu Skinners Innovative Socken http://www.skinners.cz Vcelka.cz Persönliche Lesetrainer http://www.vcelka.cz ChemPlay Didaktisches Chemie-Brettspiel http://www.chemplay.eu Monitora Auswertung von Medieninhalten http://monitora.cz Geofun Reise-App http://www.geofun.cz Clubstreamer Übertragung von Live-Musik http://clubstreamer.eu Dozamo Onlinekonfigurator für Möbelproduktion nach Maß http://www.dozamo.cz Appendino Onlinesuchmaschine für Modeshops http:// www.appendino.com MIIA Handy-App für einfacheren Wi-Fi-Zugang http://www.miia.cz Babysitting.today Onlineportal für Kinderbetreuung www.babysitting.today Quelle: Vodafone Napad roku (http://www.napadroku.cz) Beim Portal Startupmap.cz sind derzeit knapp 1.000 Start-ups registriert. Davon haben rund 650 ihren Sitz in Prag und 165 in Brno. Die auf Tschechiens Internetwirtschaft spezialisierte Webseite Lupa.cz hat über 450 Start-upUnternehmen in ihrem Katalog. Nach Angaben von CzechInvest gibt es in Tschechien 13 Business-Inkubatoren, wo Firmen in der Startphase günstig Büro-, Labor- und Produktionsflächen anmieten sowie Beratung bekommen können. Als heimliche Startup-Hauptstadt gilt Brno. Mit seinen rund 80.000 Studenten bietet der Messestandort ein großes Reservoir für Innovationen. Ein Problem für junge Gründer ist die Anschubfinanzierung. Nach Einschätzung des Wirtschaftsministeriums gehört Tschechien bei Risikokapital zu den Schlusslichtern in Europa. Kleine innovative Firmen hätten häufig Probleme, eine Finanzierung für ihre Geschäftsentwicklung zu bekommen, weil der Staat zu wenig Unterstützung leiste. 2 www.gtai.de Tschechiens Start-ups auch für deutsche Industrie interessant Wirtschaftsministerium plant neuen Innovationsfonds Das Wirtschaftsministerium will deshalb bis 2017 einen neuen Fonds mit 50 Mio. Euro Risikokapital auflegen. Weitere 32 Mio. Euro sollen private Investoren beisteuern. Das Geld können Forscher und Entwickler als Startkapital für die Kommerzialisierung ihrer Ideen bekommen. Der Nationale Innovationsfonds (NIF) zielt dabei auf die frühe Seed Finance Phase, die für Neugründungen als besonders schwierig gilt. Da noch kein marktreifes Produkt vorliegt, scheuen private Kapitalgeber oft eine Unterstützung. Durch die Kofinanzierung aus dem Fonds will der Staat das Risiko minimieren. Nach Angaben der European Private Equity & Venture Capital Association (EVCA) wurden in Tschechien 2014 außerbörslich rund 300 Mio. Euro Beteiligungskapital (Private Equity) investiert. Das entsprach einem Anteil von 0,2% des BIP, womit das Land etwa im europäischen Mittelfeld rangierte. Der Durchschnitt lag bei 0,3%. Privates Risikokapital hat die Potenziale in Tschechien entdeckt. Über den Fonds StartupYard (http:// startupyard.com) etwa wurden bereits rund 30 Firmen finanziert. Credo Ventures (http:// www.credoventures.com) wird von einem Dutzend erfolgreicher Unternehmer getragen und hat gerade ein Programm über 40 Mio. Euro aufgelegt (Credo Stage 2). Bekannte Beteiligungsgesellschaften sind außerdem Rockaway, J&T Ventures, Y Soft Ventures oder Springtide Ventures. Auch große westliche Geldgeber wie Intel Capital sind zwischen Prag und Brno unterwegs. Seit Mitte April 2016 hilft GISTin Up! kleinen Unternehmen beim Sprung auf die Märkte. Es kooperiert mit dem kalifornischen Gründerzentrum US Market Access Centre. Auch über Crowdfunding-Plattformen finanzieren sich tschechische Unternehmen erfolgreich. Die Gesellschaft CZ.NIC, die einen WiFi-Router mit besonderen Sicherheitsfunktionen entwickelt hat, konnte bis Ende März 2016 über 1 Mio. US$ Kapital über Indiegogo.com einsammeln. (S.Z.) Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck – auch teilweise – nur mit vorheriger ausdrücklicher Genehmigung. 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