Ausgabe 4 | 26.04.2016 | Seite 1 Virtual Reality Nach jahrzehntelangem Hype um Virtual Reality (VR) und Augmented Reality (AR) hat die Technologie jetzt einen Punkt erreicht, an dem rentable Produkte auf dem Markt sind, die dem Konsumenten erlauben, in das Medium einzutauchen. Für Marketers bedeutet das, dass sich ihnen ein neues Medium eröffnet, um Geschichten zu erzählen und das Publikum so intensiv einzubinden, wie das bisher noch nicht möglich war. Bevor wir tiefer in die Vorzüge von VR einsteigen, sollten erst einmal die Unterschiede zwischen VR und AR geklärt werden, da diese beiden Begriffe häufig vermischt werden. VR entführt einen User komplett in eine virtuelle Welt oder ein Erlebnis. Üblicherweise geschieht dies über ein sogenanntes head-mounted Display (HMD), das meist mit Kopfhörer, Controller und anderen Peripheriegeräten verbunden ist und das den User durch die Anwendung navigiert. Während VR den Anwender komplett einfängt, projiziert AR virtuelle Objekte oder andere digitale Informationen über die reale Welt. Dies geschieht über Hardware wie etwa Smartphones, Tablets oder auch HMDs. Google Glass ist ein prominentes Beispiel für ein HMD, das AR als unterstützende Technik einsetzt, um die User Experience zu verbessern. Auch den Begriff der Mixed Reality (MR) gilt es zu klären, der speziell für das Zusammenführen von virtuellen und physischen Objekten in Echtzeit steht, wie es etwa bei Microsoft’s HoloLens umgesetzt wird. Unter den rund Dutzend VR- und ARHardwaresystemen, die bereits auf dem Markt oder in Entwicklung sind, werden einige hochklassige Produkte der wichtigsten Player in der Tabelle vorgestellt und beschrieben. Nachdem die Grundbegriffe nun geklärt sind, werfen wir einen Blick auf die zehn wichtigsten Anwendungsmöglichkeiten von VR für Marken: Ausgabe 4 | 26.04.2016 | Seite 2 Virtual Reality 1. Erlebbarkeit: Wie können Sie als Hotel, Kreuzfahrt- oder Reiseanbieter einen potenziellen Kunden davon überzeugen, dass Sie für ihn aussergewöhnliche Angebote haben, wenn er diese nie zuvor gesehen hat? Ein Katalog oder eine Website sind schon eine gute Möglichkeit. Aber ihn einfach an die Destination zu entführen und dort durch die Unterkunft spazieren zu lassen, den Ausblick zu geniessen und ein echtes Erlebnis zu haben – das sind konkrete Erfahrungen, die ein echtes Gefühl dafür vermitteln, was man vor Ort zu erwarten hat. Deshalb kann wohl kein anderes Medium die Angebote auch so gut verkaufen. Marriott Hotels haben hierfür einen Teleporter entwickelt, basierend auf einer Kabine, die das VR-Erlebnis der Oculus Rift mit einem sensorischen 4D-Erlebnis kombiniert (z.B. Hitze, Wind, Regen und Gerüche). Diese speziellen Teleporters wurden mit grossem Erfolg im New York Rathaus zur Verfügung gestellt und entführten frisch verheiratete Pärchen in einen virtuellen Honeymoon. 2. Produkterfahrung: Wie überzeugen Sie jemanden davon, dass Ihr Produkt besser ist als die Vorgängermodelle oder die der Konkurrenz? Bei einem Auto ist die Testfahrt das überzeugendste Verkaufstool. Es ist aber nicht immer leicht, die Interessenten in den Verkaufsraum zu bekommen und noch schwieriger ist es, gerade das richtige Modell in der gewünschten Konfiguration parat zu haben. Mit VR ist es aber möglich, das Auto exakt nach den individuellen Bedürfnissen zu konfigurieren und damit eine Testfahrt zu unternehmen – von wo auch immer und wann auch immer. Lexus hat zum Launch des neuen Lexus NX einen VR-Auto-Konfigurator und -Simulator entwickelt. Damit konnten die User in eine virtuelle Welt „hineinfahren“, in der sie einen NX komplett nach ihren eigenen Spezifikationen konfigurieren und damit dann auf eine Testfahrt der besonderen Art gehen konnten. Ausgabe 4 | 26.04.2016 | Seite 3 Virtual Reality 3. Schulung und Information: Für Marken, denen die Herstellung ihrer Produkte sehr wichtig ist, eröffnet VR neue Möglichkeiten, die Produktionsprozesse auf kreative Weise darzustellen. Indem man die Konsumenten darüber informiert, wird auch das Handwerk sehr aufmerksamkeitsstark demonstriert. Schliesslich interessieren sich die Konsumenten zunehmend für die Entstehung und die Geschichten hinter den Produkten, die sie kaufen. Die Patrón Spirits Company hat schon früh die virtuelle Realität für sich genutzt und setzt sie gezielt zur Vermarktung ihres Tequila ein. Konsumenten können das “Art of Patrón Virtual Reality Experience” in 360-Grad erleben: auf Patrón Events weltweit, in Schulungsseminaren, bei ausgewählten Händlern oder auf der hierfür eingerichteten Website. 4. Vertriebsmöglichkeiten: Stellen Sie sich vor, Sie können den besten Platz in einem Stadion oder Theater so oft verkaufen wie Sie wollen? VR macht diese verlockende Vorstellung möglich. Über live gestreamte Inhalte eines Spiels oder einer Vorstellung können Menschen rund um die ganze Welt das Event hautnah miterleben – selbst dann, wenn sie Tausende von Kilometern davon entfernt sind. Vor allem der Sport empfiehlt sich für neue Kamera-Technologien, da ihn besonders das intensive Live-Erlebnis ausmacht. Die NHL hat während der Live-Übertragung des All-Star Game GoPros eingesetzt. Auch ESPN bei den Winter X-Games, wo der Sender darüber hinaus Aufnahmen mit einer Drohne testete. Im Februar 2015 veröffentlichte Samsung Einzelheiten zur Partnerschaft mit der NBA und wie über die Gear VR für die Basketballspiele ein echtes Courtside-Feeling vermittelt werden soll. Ausgabe 4 | 26.04.2016 | Seite 4 Virtual Reality 5. Produkterweiterung: VR eröffnet Marken neue Möglichkeiten der Erweiterung der Produktrange, indem sie ihre eigenen VR-Erlebnisse entwickeln oder bereits bestehende Produkte oder Angebote für sich branden. Dior, eine Marke, die eher für Modedesign und Haute Couture steht, hat das „massgeschneiderte“ VR-Headset „Dior Eyes” gelauncht, das weltweit den Kunden in ausgewählten Verkaufsstellen Einblicke in den Backstagebereich von Dior gewährt – und das in 360-Grad Audio und Video. 6. Einkaufserlebnis: Der Handel steht vor der Herausforderung, auf Trends wie das ShowRooming reagieren zu müssen. Das bedeutet, dass die Konsumenten die Produkte im stationären Handel prüfen, ihre Einkäufe aber dann sonst wo – häufig im Onlinehandel – tätigen. Also warum ihnen nicht einen Schritt entgegenkommen und den Kunden die komplette Angebotswelt über VR entdecken lassen? Überraschen Sie sie und bieten Sie ihnen Anregungen für einen Kauf. Ted Baker hat für den Relaunch seines Flagship Stores in der Regent Street eine VR-Anwendung für die Google Cardboard entwickeln lassen. Die Besucher des Geschäftes in der Regent Street konnten damit an einer eindrucksvollen VR-Schatzsuche teilnehmen. Ausgabe 4 | 26.04.2016 | Seite 5 Virtual Reality 7. Eventerlebnisse: Marken treten bei Events häufig als Sponsoren auf. Viele Unternehmen suchen aber inzwischen neue Möglichkeiten, um ihre Marken bei der Veranstaltung noch stärker einzubinden als dies über gebrandete T-Shirts, Bälle oder Plakate möglich ist. Über VRAngebote kann das Publikum viel stärker involviert und für eine Marke aktiviert werden und es kann eine wirkungsvolle Verlängerung zum physischen Veranstaltungsort erfolgen. Red Bull hat für die 2015 Air Race World Championships eine Anwendung entwickelt, die den Nutzern von Oculus Rift Headsets ermöglichte, direkt auf dem Pilotensitz Platz zu nehmen und das Gefühl von rasanten Flugbewegungen selbst zu erleben. Hierfür gab es weltweit bei den wichtigsten Races einen eigenen Marketingstand. 8. Recruitment: Die Anwerbung talentierten Personals ist heute eine grosse Herausforderung. Um aussichtsreiche Kandidaten für ein Unternehmen zu gewinnen und zu testen, ob sie letztendlich auch wirklich geeignet sind, ist es sinnvoll, ihnen ein Gefühl dafür zu vermitteln, was sie im neuen Job erwarten wird. Die US Air Force wollte einen Eindruck geben, wie es sich anfühlt, in einem Jet zu fliegen. Allerdings ist es nicht möglich, jedem Interessenten einen solchen Flug zu ermöglichen. Daher wurde das Air Force Performance Lab entwickelt, eine VR-Anwendung für das Recruitment, das den Flug mit einem F-35 Jet quer durch einen Kurs mit Hindernissen simuliert. Obwohl es ein spielerisches Erlebnis ist, kam es über den Einsatz realer Gaspedale und Steuerhebel und eines auf die Bewegungen reagierenden Stuhls einem Live-Erlebnis sehr nahe. Ergänzt wurde das Lab mit weiteren digitalen Anwendungen, einschliesslich einer Kinect-basierten Klimmzug-Challenge, einem Wissenstest auf einem 42-Inch-Touchscreen und einem iPad-basierten Karrierebereich. All dies ist inzwischen Bestandteil des Anwerbeprogramms der Air Force (häufig auf Luftshows). Ausgabe 4 | 26.04.2016 | Seite 6 Virtual Reality 9. Marktforschung: Die Erweiterung um einen neuen physischen Ort, ob es sich nun um ein zusätzliches Geschäft, ein Kino oder ein Shopping-Center handelt, ist immer eine grössere Investition. Dabei kann es wettbewerbsentscheidend sein zu verstehen, wie die Verbraucher den geplanten Laufweg, die Farbgebung oder Produktrange aufnehmen werden. Untersuchungen und Befragungen liefern hierfür nur begrenzt Informationen – selbst, wenn sie mit 3D-Visualisierungen ausgestattet sind. Ganz anders ein vollständiges VR-Erlebnis, das viel umfassendere und exaktere Insights liefern kann. Tesco hat einen virtuellen Laden geschaffen, in dem die Leute herumspazieren und wichtige Erkenntnisse liefern können, wie die Regale schneller ausverkauft, die LadenStruktur neu organisiert und die Marketing- und Werbeaktionen verbessert werden können. 10. Beziehungsmanagement: Eine signifikante Einsatzmöglichkeit der Technologie mit viel Potenzial besteht in der Auslieferung von VR-Inhalten an Apps. Das ist zunächst besonders für VR-Brillen relevant, die mit Smartphones arbeiten, könnte aber auch für alle anderen VRAngebote interessant werden. Nach der Devise: „VR as a service“. So könnten regelmässige Updates für VR-User mit attraktiven Inhalten ausgeliefert werden – eine gute zusätzliche Gelegenheit für Marken, mit ihren Kunden zu kommunizieren. Das könnte auch das Verhältnis zwischen Geräten (Viewers) und Inhalten ändern, so dass die Menschen lieber für den Inhalt als für das Gerät zahlen. Die letzte Aktion von Samsung, wo es bei Vorbestellung eines Galaxy S7 noch eine Gear VR kostenlos mit dazu gab, könnte der Marktdurchsetzung von VR den letzten nötigen Anstoss geben – genauso den verschiedenen gebrandeten VRServices. Ausgabe 37 | 12.04.2016 | Seite 7 Virtual Reality Fazit Das auf Gaming spezialisierte Marktforschungsinstitut SuperData Research geht davon aus, dass bis Ende 2016 weltweit 38.9 Millionen VRAnwendungen installiert sein werden. Gleichzeitig prognostiziert das Institut, dass die mobilen VR-Headsets wie etwa von Google und Samsung mit einem Marktanteil von 78 Prozent in diesem Jahr den grössten Teil abbekommen werden. Schätzungen der Deutschen Bank, IHS und BI Intelligence gehen davon aus, dass der weltweite Markt für VR-Hardware bis 2020 einen Umsatz von rund drei Milliarden USDollar erreichen wird. VR ist derzeit noch in einem Entwicklungsstadium, aber es gewinnt an Durchsetzungskraft und das nicht nur bei technischen Unternehmern, Investoren und Early Adopters, sondern beispielsweise auch bei den Filmstudios. Die Möglichkeiten, Erlebnisse zu schaffen, die die Menschen extrem gefangen nehmen und in neue Welten eintauchen lassen, sie gleichzeitig an verschiedene Orte versetzen können, eröffnen zahlreiche neue Optionen. Die Technologie hat das Potenzial, nicht nur unsere Nutzung des Internets radikal zu verändern, sondern auch unsere gesamte Welt. Somit mischt die VR-Technologie den Markt auf, wie wir es zuletzt beim Entstehen des Internets erlebt haben. Quellenangaben (auch zu den verwendeten Bildern): eMarketer.com, Econsultancy.com, Fortune.com, theverge.com, usatoday.com, redbullairrace.com, engadget.com, mashable.com Mindshare AG | Manessestrasse 85 | 8045 Zürich Tel +41 44 355 15 15 | Fax +41 44 355 15 55 www.mindshare.ch | [email protected]
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