Coldplay tun es. Paul McCartney auch: Virtual Reality

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virtual reality
Brille auf und
eintauchen!
Coldplay tun es. Paul McCartney auch: Virtual Reality. Während Coldplay in Zusammenarbeit
mit NextVR eines ihrer Konzert aufzeichneten, filmte Paul McCartney Jaunt eine Doku zu seinem
kommenden Album „Pure McCartney“. Zuschauer können sich in seinem Heimstudio umsehen
und mehr über die Entstehung der bekanntesten Songs des Beatle erfahren – vom Großmeister persönlich, der dank VR-Technologie zum Anfassen realistisch aussieht. Doch das ist bei weitem
noch nicht alles, was mit dem neuen Format möglich ist.
| Eine VR-Brille teilt den Bildschirm senkrecht, die beiden Linsen setzen die zwei Teile wieder zusammen und erzeugen so einen 3D-Effekt | Foto: Fotolia.com / Gino Santa Maria
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Virtual Reality kombiniert 360-Grad und 3D.
Kameras filmen rundherum, die Bilder werden anschließend zusammengefügt („stitching“, wie es im Fachjargon heißt). Die Journalistin und VR-Expertin Juliana Koranteng
nennt es das „visuelle Pendant zu SurroundSound“. VR-Entwickler Dave Ranyard, der
jahrelang für Sony arbeitete und dort die Implementierung von VR-Technologie vorantrieb, ergänzt: „Ein 360-Grad-Video vermittelt
den Eindruck, tatsächlich vor Ort zu sein. Es
ist jedoch nicht sonderlich interaktiv. Und ohne
jegliche Form der Interaktion fühlt man sich
schnell wie der Gast auf einer Party, mit dem
sich niemand unterhalten will. Man hat keinen Einfluss auf das, was um einen herum passiert.“ Der „Sweetspot“, wie Ranyard es
nennt, sei demnach das Verschmelzen von 360Grad-Videos und interaktiven Elementen.
„Richtig interessant wird es, wenn man VR mit
Augmented Reality [veränderter Realität,
Anm. d. Red.], kombiniert“, meint auch Koranteng. „Ein Tanz auf dem Mars? Oder unter
Wasser, während man von einem Wal umschwommen wird?“ Alles ist denkbar. Wirklich alles.
Je direkter die Interaktion, desto mehr fühlt
man sich von der VR-Welt vereinnahmt.
„Wenn Sie eine Schublade öffnen oder einen
Ball aufheben und werfen können, ist das etwas ganz anderes, als einfach nur Knöpfe zu
drücken“, so Ranyard, der unter anderem
das VR-Spiel „London Heist“ mitentwickelte.
Neben einer VR-Brille erhalten Spieler zwei
Controller, die im Spiel zu virtuellen Händen
werden. „Es gibt es eine Szene, in der man vor
einem Schreibtisch steht. Etwa die Hälfte aller
Leute, die die Demo gespielt haben, wollten anschließend die Controller auf den Schreibtisch
legen. Der Schreibtisch existiert jedoch nicht.
Und das nach einer fünfminütigen Demo.“ Er
verweist auf vTime, ein soziales Netzwerk, bei
dem man sich mit den virtuellen Avataren seiner Freunde an ein Flussufer setzen kann
oder auf den Mond, um sich zu unterhalten
oder gemeinsam einen Film anzusehen. Einen
2D-Film in einer virtuellen 3D-Welt.
Das waren Beispiele aus dem Games-Bereich.
Auch sonst handelt es sich bei den meisten Fallbeispielen noch um im Vorfeld aufgezeichnetes Material, so Koranteng. „Wenn Ihnen beim
nächsten Vergnügungsparkbesuch angeboten
wird, ins Weltall zu reisen, dann sehen Sie einen Film vom Weltall. Sie sehen nicht den LiveFeed einer 360-Grad-Kamera auf dem Mond.“
Doch gerade bei Live-Übertragungen entfaltet
Virtual Reality das volle Potenzial. Mehrere Unternehmen starten in diesem Bereich Vorstöße,
eines davon ist NextVR aus Kalifornien. Im Jahr
2009 gegründet, entwickelte NextVR anfangs
stereoskopische Komprimierungs-Technolo-
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| Abhängen am Abgrund mit vTime | Screenshot: https://www.youtube.com/watch?v=DTor5fbv9-c
gie für 3D-Fernseher. Diese Erfahrung kam gerade recht, als Virtual Reality in den Jahren 2012
und 2013 an Fahrt aufnahm. Denn gerade,
wenn man VR live streamen möchte, muss eine
enorme Menge an Daten komprimiert werden.
„Ohne Interaktion fühlt man
sich als Gast auf einer Party,
mit dem keiner spricht“
Brad Allen, der Executive Chairman von
NextVR, sieht sein Unternehmen vor allem
beim Zusammenfügen der Aufnahmen, dem
sogenannten „stitching“, anderen voraus.
Wenn man sich ein Video auf dem Handy ansieht, fällt es nicht wirklich auf, aber auf grö-
ßeren Bildschirmen wird schnell offensichtlich, wo die Einzelaufnahmen zusammengefügt wurden, wenn schlampig ,gestitcht’
wurde. Das Ergebnis ist eine verzerrte Welt,
was das Erlebnis natürlich enorm schmälert.
Dass NextVR dieses Problem nicht hat, liegt
laut Allen an der „Art und Weise wie wir Daten komprimieren und mit Hilfe unserer Software die Welt einfangen, die von der Kamera
erfasst wird.“ Die dafür benötigte Technologie wurde von NextVR entwickelt. Um die
unverzerrten Aufnahmen zu genießen, benötigt man deshalb die App mit dem firmeneigenen Player. „Wir verwenden High-End
Red-Digital-Kameras, die mit 6K aufzeichnen“, so Allen. Auch mit GoPros ließen sich
tolle Aufnahmen erzielen, jedoch erwarteten
die Partner von NextVR höchste Qualität. Mit
Partner sind die Lieferanten der Inhalte gemeint. Einer davon ist Live Nation.
Der Entertainment-Gigant veranstaltet 25 000
Live-Events im Jahr. Das sind eine Menge In-
| Experten in der Virtual Reality: Die Journalistin Juliana Koranteng und der VR-Entwickler Dave Ranyard | Fotos: zvg
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halte, die potenziell live gestreamt werden
können. Ziel sei es, so Allen, jeden Tag LiveInhalte auf dem Live-Nation-Kanal der
NextVR-App bereitzustellen. „Als Fan können Sie zwischen verschiedenen Kamerapositionen hin und her wechseln. Vielleicht sind
Sie ein Schlagzeuger und möchten deshalb
neben dem Drummer auf der Bühne stehen
und ihm zusehen. Eine weitere Kamera
könnte in der ersten Reihe angebracht sein, an
der Seite des Lead-Sängers, backstage oder
im Zentrum der Zuschauer. Es wird die Musikindustrie verändern“, ist sich Allen sicher.
„Verändern“: ein gutes Stichwort. Wie bereits
erwähnt, lassen sich Virtual
Reality und Augmented Reality kombinieren. Allen: „Bei
unserem Coldplay-Konzert
befand sich hinter uns nur ein
schwarzer Vorhang. 180Grad-Sicht reichte also völlig,
es gab keinen Grund, Qualität
und Bandbreite zu verschwenden, um einen schwarzen Vorhang zu filmen.“ Das
heißt jedoch nicht, dass ein
uninteressanter Hintergrund
nicht ebenfalls genutzt werden kann. „Wenn Sie auf einem Konzert sind, ist ihr Blick
| Der kostengünstige Einstieg in VR: das Google Cardboard | Foto: Google
zu 98 Prozent auf die Band gerichtet. Die übrigen zwei Prozent sehen Sie sich wahrscheinlich um. Stellen Sie sich
nur vor, was man mit dem virtuellen Raum hinter Ihnen alles anstellen kann“, schwärmt
er. „Möchten Sie die Musik
der Band herunterladen? Merchandise kaufen? Fakten und
Zahlen zur Band lesen oder
sich über den Rest des Tourverlaufs informieren: all diese
Dinge können in einen virtuellen Raum integriert werden.
Die Interaktivität verstärkt
das Gefühl, tatsächlich auf ei| Die Samsung Gear VR ist nur mit Samsung-Smartphones kompatibel | Foto: Samsung
nem Event zu sein.“
Es sei nicht einfach nur LiveStreaming 2.0, sondern ein
neues Medium. „Es gibt Radio, TV und das eigentliche
Live-Erlebnis, bei dem man
selbst vor Ort ist. Letztere Erfahrung wird niemals ersetzt
werden können, weil man die
Energie der Leute spürt, wenn
sie ausflippen. Wenn man es
jedoch, aus welchem Grund
auch immer, nicht auf ein
Konzert schafft, gelangt man
dank VR dennoch dorthin,
virtuell. Wenn man auf ein
rechteckiges Gerät live streamt, ob es nun ein
Smartphone, Tablet, Laptop
| Die Oculus Rift gibt es bislang nur direkt vom Hersteller – Kostenpunkt: 699 Euro |
oder Fernseher ist, geht vieles
Foto: Oculus
verloren. Es ist einfach nicht dasselbe. Ganz
und gar nicht. Stellen Sie sich jedoch vor, Sie
haben ihre Kopfhörer auf und stehen auf der
virtuellen Bühne“, fährt Allen fort. Ebenfalls
für „enorm wichtig“ hält er die „soziale Komponente“: Konzerte mit Freunden zu erleben,
die in einem anderen Teil der Welt leben. Eine
wirkliche Einschätzung lässt sich wohl nur
abgeben, wenn man es selbst einmal ausprobiert hat.
Zugegeben, das schwere Gerät auf der Stirn
kann irritierend wirken. Doch VR befindet
sich gerade noch im Anfangsstadium. Im
Technologiebereich sehen Geräte anfangs
meistens klobig und unschön aus. Mit zunehmender Ausgereiftheit werden sie ergonomischer und, im Falle von Brillen, modischer.
Der Preis reduziert sich in der Regel ebenfalls.
Wenn VR-Brillen erst den Style-Faktor einer
Ray Ban erreichen und auch so erschwinglich
sind, dann wird die Technologie für deutlich
mehr Menschen interessant.
Bislang gibt es die NextVR-App für Samsungs Gear VR, einer Vorrichtung, in die man
„Vielleicht möchten Sie
neben dem Drummer auf der
Bühne stehen“
ein Smartphone einsetzen kann, das als Bildschirm fungiert. Die Brille teilt den Bildschirm senkrecht. Zwei Linsen, eine für das
linke, eine für das rechte Auge, setzen die
zwei Teile wieder zu einem Bild zusammen
und erzeugen so einen 3D-Effekt. Die Brille
ist jedoch nur mit den Smartphones des Unternehmens kompatibel. Demnächst gibt es
die NextVR-App auch für Googles Cardboard, aktuell einer der kostengünstigsten Möglichkeiten, um sein Handy in eine VR-Brille
zu verwandeln: aus Pappe, zum Falten. Diese
Lösung hat jedoch ihre Schwächen, wenn es
darum geht, Kopfbewegungen mitzuverfolgen, was essenziell ist, um einen makellosen
virtuellen Raum zu simulieren. Die Objekte
müssen schließlich an Ort und Stelle verweilen, wenn man sich bewegt und mit der Papplösung von Google war das bislang eine recht
holprige Angelegenheit. Aus diesem Grund
arbeitet NextVR seit vergangenem Jahr mit
Qualcomm zusammen, dem Hersteller des
Snapdragon-Chips, der sich in „80 bis 85 Prozent aller Android-Smartphones“ befinde,
wie Allen erklärt. Der neueste Snapdragon-