musikmarkt 06|16 thema des monats 16_20_vr_Z 31.05.16 17:26 Seite 16 virtual reality Brille auf und eintauchen! Coldplay tun es. Paul McCartney auch: Virtual Reality. Während Coldplay in Zusammenarbeit mit NextVR eines ihrer Konzert aufzeichneten, filmte Paul McCartney Jaunt eine Doku zu seinem kommenden Album „Pure McCartney“. Zuschauer können sich in seinem Heimstudio umsehen und mehr über die Entstehung der bekanntesten Songs des Beatle erfahren – vom Großmeister persönlich, der dank VR-Technologie zum Anfassen realistisch aussieht. Doch das ist bei weitem noch nicht alles, was mit dem neuen Format möglich ist. | Eine VR-Brille teilt den Bildschirm senkrecht, die beiden Linsen setzen die zwei Teile wieder zusammen und erzeugen so einen 3D-Effekt | Foto: Fotolia.com / Gino Santa Maria 16 Virtual Reality kombiniert 360-Grad und 3D. Kameras filmen rundherum, die Bilder werden anschließend zusammengefügt („stitching“, wie es im Fachjargon heißt). Die Journalistin und VR-Expertin Juliana Koranteng nennt es das „visuelle Pendant zu SurroundSound“. VR-Entwickler Dave Ranyard, der jahrelang für Sony arbeitete und dort die Implementierung von VR-Technologie vorantrieb, ergänzt: „Ein 360-Grad-Video vermittelt den Eindruck, tatsächlich vor Ort zu sein. Es ist jedoch nicht sonderlich interaktiv. Und ohne jegliche Form der Interaktion fühlt man sich schnell wie der Gast auf einer Party, mit dem sich niemand unterhalten will. Man hat keinen Einfluss auf das, was um einen herum passiert.“ Der „Sweetspot“, wie Ranyard es nennt, sei demnach das Verschmelzen von 360Grad-Videos und interaktiven Elementen. „Richtig interessant wird es, wenn man VR mit Augmented Reality [veränderter Realität, Anm. d. Red.], kombiniert“, meint auch Koranteng. „Ein Tanz auf dem Mars? Oder unter Wasser, während man von einem Wal umschwommen wird?“ Alles ist denkbar. Wirklich alles. Je direkter die Interaktion, desto mehr fühlt man sich von der VR-Welt vereinnahmt. „Wenn Sie eine Schublade öffnen oder einen Ball aufheben und werfen können, ist das etwas ganz anderes, als einfach nur Knöpfe zu drücken“, so Ranyard, der unter anderem das VR-Spiel „London Heist“ mitentwickelte. Neben einer VR-Brille erhalten Spieler zwei Controller, die im Spiel zu virtuellen Händen werden. „Es gibt es eine Szene, in der man vor einem Schreibtisch steht. Etwa die Hälfte aller Leute, die die Demo gespielt haben, wollten anschließend die Controller auf den Schreibtisch legen. Der Schreibtisch existiert jedoch nicht. Und das nach einer fünfminütigen Demo.“ Er verweist auf vTime, ein soziales Netzwerk, bei dem man sich mit den virtuellen Avataren seiner Freunde an ein Flussufer setzen kann oder auf den Mond, um sich zu unterhalten oder gemeinsam einen Film anzusehen. Einen 2D-Film in einer virtuellen 3D-Welt. Das waren Beispiele aus dem Games-Bereich. Auch sonst handelt es sich bei den meisten Fallbeispielen noch um im Vorfeld aufgezeichnetes Material, so Koranteng. „Wenn Ihnen beim nächsten Vergnügungsparkbesuch angeboten wird, ins Weltall zu reisen, dann sehen Sie einen Film vom Weltall. Sie sehen nicht den LiveFeed einer 360-Grad-Kamera auf dem Mond.“ Doch gerade bei Live-Übertragungen entfaltet Virtual Reality das volle Potenzial. Mehrere Unternehmen starten in diesem Bereich Vorstöße, eines davon ist NextVR aus Kalifornien. Im Jahr 2009 gegründet, entwickelte NextVR anfangs stereoskopische Komprimierungs-Technolo- thema des monats virtual reality musikmarkt 06|16 16_20_vr_Z 31.05.16 17:26 Seite 17 | Abhängen am Abgrund mit vTime | Screenshot: https://www.youtube.com/watch?v=DTor5fbv9-c gie für 3D-Fernseher. Diese Erfahrung kam gerade recht, als Virtual Reality in den Jahren 2012 und 2013 an Fahrt aufnahm. Denn gerade, wenn man VR live streamen möchte, muss eine enorme Menge an Daten komprimiert werden. „Ohne Interaktion fühlt man sich als Gast auf einer Party, mit dem keiner spricht“ Brad Allen, der Executive Chairman von NextVR, sieht sein Unternehmen vor allem beim Zusammenfügen der Aufnahmen, dem sogenannten „stitching“, anderen voraus. Wenn man sich ein Video auf dem Handy ansieht, fällt es nicht wirklich auf, aber auf grö- ßeren Bildschirmen wird schnell offensichtlich, wo die Einzelaufnahmen zusammengefügt wurden, wenn schlampig ,gestitcht’ wurde. Das Ergebnis ist eine verzerrte Welt, was das Erlebnis natürlich enorm schmälert. Dass NextVR dieses Problem nicht hat, liegt laut Allen an der „Art und Weise wie wir Daten komprimieren und mit Hilfe unserer Software die Welt einfangen, die von der Kamera erfasst wird.“ Die dafür benötigte Technologie wurde von NextVR entwickelt. Um die unverzerrten Aufnahmen zu genießen, benötigt man deshalb die App mit dem firmeneigenen Player. „Wir verwenden High-End Red-Digital-Kameras, die mit 6K aufzeichnen“, so Allen. Auch mit GoPros ließen sich tolle Aufnahmen erzielen, jedoch erwarteten die Partner von NextVR höchste Qualität. Mit Partner sind die Lieferanten der Inhalte gemeint. Einer davon ist Live Nation. Der Entertainment-Gigant veranstaltet 25 000 Live-Events im Jahr. Das sind eine Menge In- | Experten in der Virtual Reality: Die Journalistin Juliana Koranteng und der VR-Entwickler Dave Ranyard | Fotos: zvg 17 musikmarkt 06|16 thema des monats 16_20_vr_Z 31.05.16 17:26 Seite 18 18 virtual reality halte, die potenziell live gestreamt werden können. Ziel sei es, so Allen, jeden Tag LiveInhalte auf dem Live-Nation-Kanal der NextVR-App bereitzustellen. „Als Fan können Sie zwischen verschiedenen Kamerapositionen hin und her wechseln. Vielleicht sind Sie ein Schlagzeuger und möchten deshalb neben dem Drummer auf der Bühne stehen und ihm zusehen. Eine weitere Kamera könnte in der ersten Reihe angebracht sein, an der Seite des Lead-Sängers, backstage oder im Zentrum der Zuschauer. Es wird die Musikindustrie verändern“, ist sich Allen sicher. „Verändern“: ein gutes Stichwort. Wie bereits erwähnt, lassen sich Virtual Reality und Augmented Reality kombinieren. Allen: „Bei unserem Coldplay-Konzert befand sich hinter uns nur ein schwarzer Vorhang. 180Grad-Sicht reichte also völlig, es gab keinen Grund, Qualität und Bandbreite zu verschwenden, um einen schwarzen Vorhang zu filmen.“ Das heißt jedoch nicht, dass ein uninteressanter Hintergrund nicht ebenfalls genutzt werden kann. „Wenn Sie auf einem Konzert sind, ist ihr Blick | Der kostengünstige Einstieg in VR: das Google Cardboard | Foto: Google zu 98 Prozent auf die Band gerichtet. Die übrigen zwei Prozent sehen Sie sich wahrscheinlich um. Stellen Sie sich nur vor, was man mit dem virtuellen Raum hinter Ihnen alles anstellen kann“, schwärmt er. „Möchten Sie die Musik der Band herunterladen? Merchandise kaufen? Fakten und Zahlen zur Band lesen oder sich über den Rest des Tourverlaufs informieren: all diese Dinge können in einen virtuellen Raum integriert werden. Die Interaktivität verstärkt das Gefühl, tatsächlich auf ei| Die Samsung Gear VR ist nur mit Samsung-Smartphones kompatibel | Foto: Samsung nem Event zu sein.“ Es sei nicht einfach nur LiveStreaming 2.0, sondern ein neues Medium. „Es gibt Radio, TV und das eigentliche Live-Erlebnis, bei dem man selbst vor Ort ist. Letztere Erfahrung wird niemals ersetzt werden können, weil man die Energie der Leute spürt, wenn sie ausflippen. Wenn man es jedoch, aus welchem Grund auch immer, nicht auf ein Konzert schafft, gelangt man dank VR dennoch dorthin, virtuell. Wenn man auf ein rechteckiges Gerät live streamt, ob es nun ein Smartphone, Tablet, Laptop | Die Oculus Rift gibt es bislang nur direkt vom Hersteller – Kostenpunkt: 699 Euro | oder Fernseher ist, geht vieles Foto: Oculus verloren. Es ist einfach nicht dasselbe. Ganz und gar nicht. Stellen Sie sich jedoch vor, Sie haben ihre Kopfhörer auf und stehen auf der virtuellen Bühne“, fährt Allen fort. Ebenfalls für „enorm wichtig“ hält er die „soziale Komponente“: Konzerte mit Freunden zu erleben, die in einem anderen Teil der Welt leben. Eine wirkliche Einschätzung lässt sich wohl nur abgeben, wenn man es selbst einmal ausprobiert hat. Zugegeben, das schwere Gerät auf der Stirn kann irritierend wirken. Doch VR befindet sich gerade noch im Anfangsstadium. Im Technologiebereich sehen Geräte anfangs meistens klobig und unschön aus. Mit zunehmender Ausgereiftheit werden sie ergonomischer und, im Falle von Brillen, modischer. Der Preis reduziert sich in der Regel ebenfalls. Wenn VR-Brillen erst den Style-Faktor einer Ray Ban erreichen und auch so erschwinglich sind, dann wird die Technologie für deutlich mehr Menschen interessant. Bislang gibt es die NextVR-App für Samsungs Gear VR, einer Vorrichtung, in die man „Vielleicht möchten Sie neben dem Drummer auf der Bühne stehen“ ein Smartphone einsetzen kann, das als Bildschirm fungiert. Die Brille teilt den Bildschirm senkrecht. Zwei Linsen, eine für das linke, eine für das rechte Auge, setzen die zwei Teile wieder zu einem Bild zusammen und erzeugen so einen 3D-Effekt. Die Brille ist jedoch nur mit den Smartphones des Unternehmens kompatibel. Demnächst gibt es die NextVR-App auch für Googles Cardboard, aktuell einer der kostengünstigsten Möglichkeiten, um sein Handy in eine VR-Brille zu verwandeln: aus Pappe, zum Falten. Diese Lösung hat jedoch ihre Schwächen, wenn es darum geht, Kopfbewegungen mitzuverfolgen, was essenziell ist, um einen makellosen virtuellen Raum zu simulieren. Die Objekte müssen schließlich an Ort und Stelle verweilen, wenn man sich bewegt und mit der Papplösung von Google war das bislang eine recht holprige Angelegenheit. Aus diesem Grund arbeitet NextVR seit vergangenem Jahr mit Qualcomm zusammen, dem Hersteller des Snapdragon-Chips, der sich in „80 bis 85 Prozent aller Android-Smartphones“ befinde, wie Allen erklärt. Der neueste Snapdragon-
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