PDF-Download - Katholische Kirche beim hr

Andreas Meyer, Ockenheim
hr4 Übrigens am Montag, 25. April 2016
Mutige Schnitte
Die Obstbäume in meinem Garten sehen gerade ganz schön mager aus. Statt frischem Grün: vor allem gestutzte Äste. Erst allmählich treiben sie wieder aus. Am
Ende des Winters habe ich sie geschnitten. Dieses Jahr habe ich mir die Hilfe eines erfahrenen Gärtners geholt. Denn in den letzten Jahren hat mir wohl der Mut
gefehlt, ordentlich zuzulangen. Aber wenn die Bäume nicht richtig geschnitten
werden, verwildern sie. Es gibt dann zwar viele Äste und Blätter am Baum. Aber
die Kraft des Baumes geht in die Äste und Blätter und der Baum trägt nur wenige
Früchte. Jetzt sehen die Bäume ziemlich mager aus, und ich bin gespannt, ob
dann im Sommer und Herbst wirklich mehr Früchte dran sind.
Wenn ich so die gestutzten Bäume anschaue, dann denke ich an verschiedene
Bereiche in meinem Leben. Da würde eine solche Schnittkur auch mal ganz gut
tun. Als erstes fällt mir mein Schreibtisch auf. Da liegt viel Zeug herum, das ich einfach abgelegt habe. Da müsste ich mal ordentlich aufräumen. Was wichtig ist, gehört in die entsprechenden Ordner geräumt. Und sicherlich wandert vieles in den
Papierkorb. Ich weiß: das Ergebnis würde mir gut tun: ein ordentlicher Schreibtisch.
In meinem Adressbuch finde ich viele Namen: Menschen, zu denen ich Kontakt
habe, und solche, zu denen keine Verbindung mehr besteht. Die will ich herausnehmen. Das ist ehrlicher so. So schaffe ich spürbar Raum für die Begegnungen,
die mir wirklich etwas bedeuten.
Auch eine Menge von Büchern steht bei mir herum. Es fällt mir unheimlich schwer,
mich von ihnen zu trennen. Ich habe noch welche im Regal stehen, die ich am Beginn meines Studiums vor vierzig Jahren gekauft habe. Damals habe ich darin gelesen und mit ihnen gearbeitet. Aber seither stehen sie nur rum und sammeln
Staub. Wie ist das, wenn ich mich von ihnen trenne?
Und dann gibt es da in meinem Kalender auch Termine, die mich, ehrlich gesagt,
eher belasten als dass sie mir nützen. Diese Arbeitsgruppe zum Beispiel, bei der
ich nicht mehr so recht mitarbeiten will. Die alltäglichen Begegnungen mit den Patienten in unserer Klinik sind da viel wichtiger.
Manchmal braucht es mutige Schnitte, damit der Platz frei wird fürs Wesentliche
und Raum für etwas Neues. Das ist in meinem Garten so. Und im restlichen Leben
auch.
Zum Nachhören als Podacst
http://www.hr-online.de/website/radio/hr4/index.jsp?rubrik=29232