Arbeitkann der Psyche helfen

Hausarzt Medizin
Psyche
Arbeit kann
der Psyche helfen
Nach einer Depression kann eine zeitnahe ­Wiederaufnahme
der Berufstätigkeit durchaus sinnvoll sein und sogar in gewisser Weise antidepressiv wirken. Was ist dabei zu beachten?
komplexer sind und kognitive Störungen
bei Depression nicht selten eher sekundär
zu arbeitsplatzbezogenen Problemen mit
nachlassender Produktivität und Überforderung führen [3].
Arbeit ist andererseits sehr oft einer der wesentlichsten identitätsstiftenden Faktoren im Leben berufstätiger Menschen. Dem
Erhalt der Arbeitsfähigkeit im gewohnten
Umfeld kommt in der Behandlung und Vorbeugung affektiver Erkrankungen daher eine zentrale Bedeutung zu.
Arbeit als Antidepressivum
Illustration: jesadaphorn - Fotolia
Depressionen zählen in den industrialisierten Ländern zu den häufigsten ErkranEine nicht überfordernde Tätigkeit am Arkungen überhaupt, sind nicht selten rezibeitsplatz kann als „Prophylaktikum“ oder
divierend und oftmals von
„Antidepressivum“ angeselanger Dauer [1]. Neben den
hen werden [4]. E
­ ine zeitEine nicht über­
auch sehr häufigen Angstnahe stufenweise Wiefordernde Tätigkeit am
störungen und Suchterdereingliederung mit
Arbeitsplatz kann wie
krankungen führen sie in
einer Belastung, die den
ein Antidepressivum
der Arbeitswelt mit zu den
Möglichkeiten des Be­wirken.
meisten Arbeitsunfähigtroffenen entspricht, ist
keitstagen [2].
­essenziell. Dies setzt vorHäufig werden belastenaus, dass eine stufenweide Faktoren am Arbeitsplatz von den Bese ­Wiedereingliederung im Detail geplant
troffenen als erste bzw. einzige Ursache eiund abgestimmt wird. Zentral ist in diesem
ner depressiven Störung angesehen, obwohl
Zusammenhang der therapeutische Aspekt
die Ursachen affektiver Störungen sehr viel
der stufenweisen Wiedereingliederung, also
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Weitere
­Informationen
European
Depression
­Association
www.europeandepression-day.de
Deutsche Depressionshilfe
www.deutschedepressionshilfe.de
Deutsches Bündnis
­gegen Depression e. V.
www.buendnisdepression.de
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die damit verbundene Möglichkeit, die je­
▪▪ ihre hohe Leistungsbereitschaft und
weils aktuelle Belastungs- und Leistungs­ihren Ehrgeiz,
fähigkeit schrittweise wieder einschätzen
▪▪ eine ausgeprägte Identifikation mit ihrer
zu ­lernen und in diesem Prozess Versagens­
Aufgabe und ihrem Arbeitgeber sowie
ängste und Ängste vor Überforderung so­
▪▪ ein übermäßig hohes Maß an Gewissen­
wie einen Rückfall abbauen zu können, in­
haftigkeit und Genauigkeit bei der Arbeit.
dem man Schritt für Schritt seine Aufgaben
In diesem Fall muss es auch darum gehen,
und Verantwortung wieder übernehmen
den Umgang mit den eigenen Ressourcen
kann [5].
zu verstehen und zu erarbeiten, was der Be­
Eine frühzeitige Rückkehr sollte, wenn
troffene selbst tun kann, um mehr auf sich
möglich, schon während einer ambulan­
zu achten und welche Schritte sinnvoll sein
ten Behandlung stattfinden.
könnten, um den Umgang
Gleichzeitig wäre es wün­
mit Arbeitsbelastungen zu
Eine Rückkehr an den
schenswert, wenn im Rah­
verändern.
Arbeitsplatz sollte
men einer Psychotherapie
Beide Seiten der Medaille
schon während der
­ambulanten Behandarbeitsplatzbezogene, mit– die betriebliche und die
lung stattfinden.
verursachende Aspekte ei­
individuelle – sind inte­
ner depressiven Episode,
grativer Bestandteil eines
aber auch die positive Rolerfolgreichen Wiederein­
le für die Lebensgestaltung
gliederungsprozesses, da­
und Sinnerfüllung betrachtet und vermehrt
mit die Arbeit eine bewältigbare und sinn­
in den therapeutischen Prozess miteinbezo­
stiftende Tätigkeit sein kann.
gen werden, um zukünftig eine bessere Zu­
sammenarbeit zwischen dem medizinischUnterstützung erforderlich
therapeutischen und betrieblichen System
zu ermöglichen.
Ein entsprechende Vorgehensweise erfor­
dert eine hohe Flexibilität der Arbeitgeber,
eine große Aufmerksamkeitsleistung sei­
Überforderung vermeiden
tens der Betroffenen und der Angehörigen
sowie der Vorgesetzten und Kollegen als
Eine frühzeitige und gut geplante stufen­
auch die Bereitschaft zu einer sehr zeitna­
weise Wiedereingliederung hilft allerdings
hen Dia­gnostik und Einleitung einer The­
wenig, wenn die alltäglichen Arbeitsbelas­
rapie durch die gegebenenfalls hinzugezo­
tungen zu hoch und überfordernd sind.
genen Ärzte. Ein derartiges Vorgehen kann
Folgende zentrale psychische Belastungsnur gelingen, wenn der tatsächliche Vorteil
faktoren am Arbeitsplatz werden von den
des Prozesses für die Betroffenen und Be­
Beschäftigten selbst genannt: verschiedene
triebe durch Öffentlichkeitsarbeit (unter­
Arbeiten gleichzeitig betreuen, starker Ter­
stützt durch gesetzliche Grundlagen) zu ei­
min- und Leistungsdruck, ständig wieder­
ner weiten Verbreitung dieses modellhaften
kehrende Arbeitsvorgänge, bei der Arbeit
Vorgehens führen.
gestört, unterbrochen werden, sehr schnell
Informationen wie die der European De­
arbeiten müssen [6]. Negativ wirken sich
pression Association (www.european-­
überdies auch eine geringe Wertschätzung,
depression-day.de) und der Bundesanstalt
Konflikte mit Vorgesetzten und/oder Kolle­
für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin kön­
gen sowie Arbeitsplatzunsicherheit aus [7].
nen dies unterstützen.
Eine entscheidende Bedeutung kommt
hierbei auch der Frage zu, wie die Betreffen­
Literatur unter www.medizinundmedien.eu
Interessenkonflikte: keine
den mit derartigen Stressoren umgehen, um
gegebenenfalls ihr Verhalten verändern zu
können. Nicht selten überlasten sich Men­
schen durch
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Förderliche Faktoren
für die Rückkehr an den Arbeitsplatz
Auf Seiten der Arbeitnehmer
▪▪ Motivation der zurückkehrenden Mitarbeiter und ihr Selbstvertrauen – wohlwissend, dass das Selbstvertrauen immer
auch vom „Fremdvertrauen“ abhängig ist,
also von dem, was andere einem zutrauen.
▪▪ Konstruktiver Umgang mit der Erkrankung
▪▪ Der Austausch mit Menschen, die ähnliche Erfahrungen gesammelt haben (Bekannte, Freunde, Selbsthilfegruppe), ist
in der Regel sehr hilfreich bei der Bewältigung unterschiedlicher Phasen der Erkrankung und Wiedereingliederung.
▪▪ Frühzeitige Rückkehr an den Arbeitsplatz
in Abstimmung mit den behandelnden
Ärzten und den betrieblichen Return-toWork-Experten (RTW), denn je länger eine
Arbeitsunfähigkeit dauert, desto schwieriger wird es.
▪▪ Erwerbsorientierte Unterstützung der
Behandler, so dass die Arbeit trotz the-
rapeutischer Behandlung weitergeführt
werden kann.
▪▪ Offener Dialog mit den betrieblichen
RTW-Experten über gesundheitsgefährdende Arbeitsbedingungen, die unter
Umständen mit zur Arbeitsunfähigkeit
beigetragen haben, um gegebenenfalls die
Arbeit oder Arbeitsabläufe verändern zu
können.
▪▪ Flexible Gestaltung der Arbeitsanforderungen, insbesondere während der stufenweisen Wiedereingliederung: Flexiblere Arbeitszeiten, Vermeiden eines frühen
Arbeitsbeginns oder ein Tag „Home­office“.
Auch Teilzeittätigkeiten bieten sich hier
an.
▪▪ Kurse und Fortbildung zum Zeit- und
Stressmanagement
▪▪ Stressreduzierung durch gegenseitige
kollegiale Unterstützung
Prof. Dr. med.
Detlef E. Dietrich
Burghof-Klinik,
Rinteln
Detlef.Dietrich@
burghof-klinik.de
Koautor:
Ralf Stegmann
Dipl. Sozialwissenschaftler,
­Bundesanstalt für
Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin
stegmann.ralf@
baua.bund.de
Illustration: jesadaphorn - Fotolia
Auf Seiten des Betriebes
▪▪ Systemisch orientiertes Gesundheitsund Eingliederungsmanagement
▪▪ Offener und antistigmatisierender Umgang mit dem Thema „Psychische Gesundheit im Betrieb“ sowie die Förderung
einer guten Kommunikationskultur und
eine Politik der offenen Tür
▪▪ Sensibilisierende betriebliche Kampagnen für die Beschäftigten, um psychische
Beeinträchtigungen, Krisen und Erkrankungen frühzeitig erkennen zu können
▪▪ Regelmäßige Gespräche zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern mit beidseitigem Feedback, um potenzielle Unter-
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oder Überforderungen zu erkennen und
zu thematisieren und frühe Zeichen des
Stresses zu erkennen
▪▪ Förderung eines ausgeprägten Teamgeists durch gezielte Unterstützung von
Teambildungsprozessen
▪▪ Schulung von Führungskräften und insbesondere von direkten Vorgesetzten
▪▪ Professionelle Begleitung der zurückkehrenden Mitarbeiter und Koordination­der
Rückkehr durch einen RTW-Coach
▪▪ Soziale Unterstützung der zurückkehrenden Mitarbeiter durch direkte Vorgesetzte und Kollegen
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