PDF-Download - Katholische Kirche beim hr

Dr. Paul Lang, Amöneburg
Zuspruch am Morgen (hr 2)
Freitag, 22. April 2016
Ich grolle nicht…
„Ich grolle nicht, und wenn das Herz auch bricht“, so beginnt ein Lied von Robert
Schumann. Ich weiß nicht, wann ich es zum ersten Mal gehört habe – ich glaube,
das war kurz vor dem Abitur. Im Musikstudium habe ich es später erarbeitet. Es
fasziniert mich bis heute.
„Ewig verlornes Lieb! Ich grolle nicht!“ In den letzten Wochen ist mir der Text dieses
Liedes – er stammt von Heinrich Heine – oft durch den Kopf gegangen. Schuld daran
ist das „Jahr der Barmherzigkeit“; Papst Franziskus hat es ausgerufen.
Was ist Barmherzigkeit? In vielen Sitzungen, Arbeitsgruppen machen wir uns
Gedanken darüber: Wer braucht Zuwendung, wo ist Hilfe nötig, wie ist man
barmherzig? Längst gibt es Arbeitshilfen und Predigtreihen. In der Schulseelsorge
haben wir Plakatentwürfe gemacht, unsere Gemeindereferentin gestaltet eine Vitrine
zu Werken der Barmherzigkeit in der Kirche. Viele anregende Ideen gibt es da. „Ich
höre dir zu“, „ich rede gut über dich!“
Hängen bleibe ich aber immer wieder bei Heines Gedicht. „Nicht grollen!“ Verzeihen
oder jemanden zumindest verstehen, nachsichtig mit ihm sein, auch wenn es schwer
fällt. Irgendetwas sagt mir: Das ist wirklich barmherzig – nicht zu grollen! Verständnis
aufbringen, einen liebenden Blick für andere haben.
Heine entwickelt diesen Blick in der ersten der beiden Strophen: „Wie du auch
strahlst in Diamantenpracht, es fällt kein Strahl in deines Herzens Nacht!“ Der
Gegensatz zwischen der inneren Düsterheit, die Heine „Herzens Nacht“ nennt, und
dem, was ich nach außen zeige, die Diamentenpracht: Ja, ich glaube, das ist wirklich
heilsam, wenn jemand das bemerkt und darauf aufmerksam macht: Wie sieht es in
mir aus – nicht: Welchen Eindruck verbreite ich nach außen.
Heine bestätigt das in der zweiten Strophe des so kurzen Textes: „Das weiß ich
längst: Ich sah dich ja im Traume, ich sah die Nacht in deines Herzens Raume“. Tief
in die Welt der Psychologie und Religion greift der Gedanke des Traumes: Was dem
Bewusstsein verborgen bleibt, das ist im Traum präsent: Das Dunkel, das in einem
anderen Menschen vielleicht herrscht, das bleibt dem Auge des Traumes, der
Intuition nicht verborgen. Schließlich bemüht Heine das biblische Bild der „Schlange,
die am Herzen frisst: Ich sah, mein Lieb, wie sehr du elend bist!“
Schumanns Musik geht eine geniale Verbindung mit Heines Text ein: Die innere
Anspannung, die Leistung, die der heilsame Blick erfordert, wird durch Lautstärke
und Tempo, hämmernde Klavierbegleitung, einen enormen Melodiebogen
unüberhörbar.
Ich ahne, warum mich Schumanns Lied in diesen Wochen so beschäftigt. So sehr
mich seine Leidenschaft fasziniert, der melancholische Grundton bewegt, mir das
„nicht grollen“ gefällt, so sehr widerspricht ihm in mir etwas.
Die Textzeile: Und wenn das Herz auch bricht…“ der möchte ich nicht folgen – ein
Herz, das verständnisvoll ist, wird nicht brechen.
Und die Klage um „Ewig verlornes Lieb….“ Ihr stelle ich meine Zuversicht entgegen:
Der barmherzige Blick der Liebe lässt nicht verloren gehen, schon gar nicht auf ewig
– er rettet, davon bin ich fest überzeugt.