Rede Peter Driessen, Hauptgeschäftsführer der IHK für München und Oberbayern anlässlich „5. Tutzinger Rede: Die Zukunft der Integration“ am Montag, 18. April 2016, 19:00 Uhr, Evangelische Akademie Tutzing, Schloßstraße 2, 82327 Tutzing Es gilt das gesprochene Wort Rede anlässlich „5. Tutzinger Rede: Die Zukunft der Integration“ am 18. April 2016 Meine sehr geehrten Damen und Herren, herzlichen Dank für die Einladung zur renommierten „Tutzinger Rede“. Migrations- und Fluchtbewegungen sind so alt wie die Menschheit. Wenn Menschen durch Kriege, Armut oder Naturkatastrophen, aktuelles Stichwort ist der Klimawandel, existenziell bedroht sind, wenn sie politisch oder sozial, wegen ihrer Rasse oder ihrer Religion verfolgt werden, wenn sie an anderen Orten bessere Lebensbedingungen vermuten – dann machen sie sich auf den Weg. In eine Zukunft ohne Verfolgung, ohne Bedrohung, ohne Krieg und ohne Armut. Nur wenige verlassen ihre Heimat freiwillig. Flucht ist eine Reaktion auf etwas, was man nicht ändern kann und daher für einen Menschen in der Regel die Ultima Ratio. Weltweit sind nach Angaben des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen derzeit rund 60 Millionen Menschen auf der Flucht. Sehr viele von ihnen überqueren nur die Grenzen zu ihren Nachbarländern. Dort hoffen sie, dass sich die Bedingungen zu Hause so schnell wie möglich verbessern und sie bald heimkehren können. Sie warten jedoch oft jahrelang in provisorischen Lagern mit – wie sich derzeit abzeichnet – immer schlechterer Versorgung, weil die Geberländer ihre Zuwendungen einschränken. Seite 2 von 15 Rede anlässlich „5. Tutzinger Rede: Die Zukunft der Integration“ am 18. April 2016 Das Thema „Flüchtlinge“ entwickelte sich im vergangenen Jahr zum beherrschenden politischen Thema in Europa. Gipfel um Gipfel, Debatten im Bundes- und Landtag, Sondersendungen im Fernsehen, seitenlange Berichte in den Zeitungen. Der Zustrom von mehr als einer Million Menschen im vergangenen Jahr nach Deutschland hat unser Land verändert, manche Bürger verängstigt, zumindest aber verunsichert. Viele fragen sich, warum die Flüchtlinge den riskanten, oft lebensgefährlichen Weg über das Mittelmeer wählen, um zu uns zu kommen. Letztlich zeigt dies, wie groß die Verzweiflung sein muss: auf einem Weg zu fliehen, der wie das Verbleiben im Heimatland das Leben kosten kann. Auch hier gilt: Viele von ihnen würden sicherlich gern so schnell wie möglich wieder nach Hause gehen, aber die Bedingungen in ihren Heimatländern lassen es eben nicht zu. Sie sind – aus der Perspektive der Flüchtlinge gesprochen – gezwungen zu bleiben. Ich benutze an dieser Stelle bewusst das Verb „gezwungen“. Denn wir unterstellen den Flüchtlingen sehr häufig rein wirtschaftliche Motive für ihre Zuwanderung. Auch wenn das für viele gelten mag, erstens ist es nichts Unrechtes, besser leben zu wollen, und zweitens, die Mehrheit von ihnen flieht vor allem, weil sie in ihren Ländern an Leib und Leben bedroht sind, weil Krieg und Terror sie vertreiben. Das ist auch keine neue Zeiterscheinung, denn vor Jahrzehnten sind Menschen wegen bitterer Armut aus Bayern „ausgewandert“. Ist der Unterschied zwischen „AusSeite 3 von 15 Rede anlässlich „5. Tutzinger Rede: Die Zukunft der Integration“ am 18. April 2016 wanderung“ und „Flucht“ nur die Planmäßigkeit des Handelns? Die Motivation zur Migration spiegelt sich auch im verwaltungsmäßigen Umgang damit. Trotz der oft ähnlichen Ausgangslage haben nicht alle Flüchtlinge, die zu uns kommen, eine Bleibeperspektive. In Bayern erhielten im vergangenen Jahr rund 50 % einen Aufenthalt, mehr als ein Drittel der Asylbewerber bekam eine Ablehnung, bei rund einem Fünftel wurde der Fall – wie es in der Behördensprache heißt – anderweitig erledigt. Uns muss es nun vor allem um die Menschen gehen, die zunächst mehrere Jahre, vielleicht auch – je nachdem wie sich die Dinge für sie entwickeln – für immer hier bleiben. Der Herbst letzten Jahres hat gezeigt, dass Tausende bei uns den Menschen und nicht die Rechtsfragen in den Mittelpunkt gestellt haben. Wie in Bayern Flüchtlinge aufgenommen und versorgt wurden, hat weltweit ein positives Zeichen gesetzt. Zahlreiche Helferkreise kümmern sich aufopferungsvoll um die neuen Mitbürger. Bleiben wir aber realistisch: Unsere Gesellschaft und auch die Wirtschaft ist durch die riesige Menge der Flüchtlinge vor eine große Herausforderung gestellt: menschlich, gesellschaftlich, wirtschaftlich. Das sollten wir nicht verschweigen oder schön reden. Die Flüchtlinge kennen unsere Kultur und Seite 4 von 15 Rede anlässlich „5. Tutzinger Rede: Die Zukunft der Integration“ am 18. April 2016 Gesellschaft kaum. Wir kennen ihre umgekehrt ebenfalls kaum. Sie und wir sind Lernende, wir müssen uns kennenlernen. Wir sind alle miteinander herausgefordert. Um die Herausforderung zu bestehen, möchte ich zunächst einmal auf die ganz menschliche Ebene gehen. Viele von Ihnen kennen sicherlich die Maslowsche Bedürfnispyramide. Welche Bedürfnisse will der Mensch letztendlich erfüllt haben? Abraham Maslow unterscheidet diese fünf: physiologische, sicherheitsbezogene, soziale und individuelle Bedürfnisse sowie die Selbstverwirklichung. Sobald die Flüchtlinge sich sicher fühlen, werden auch sie sich wieder auf diese Bedürfnisse besinnen. Sie wollen nicht nur essen, trinken und wohnen. Sie wollen Nachbarn und Freunde, sie wollen vor allem auch in den Alltag, einen ganz gewöhnlichen Alltag integriert sein. Und in diesem Wunsch liegt die Chance für uns alle. Als IHKs sind wir überzeugt, dass Ausbildung und Arbeit der beste Weg zur Integration ist. Eine berufliche Tätigkeit ermöglicht den Flüchtlingen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Die Wirtschaft spielt also eine zentrale Rolle, sie ist einer der wichtigsten und vor allem auch einer der wirksamsten Integrationshebel. Dabei zeigt die Wirtschaft per se eine große Offenheit und Hilfsbereitschaft. Wir sprechen als IHK mit vielen UnternehSeite 5 von 15 Rede anlässlich „5. Tutzinger Rede: Die Zukunft der Integration“ am 18. April 2016 mern. Die meisten bieten ganz selbstverständlich an, Flüchtlinge als Praktikanten, Azubis, als Hilfs- oder Fachkräfte aufzunehmen. Sie tun das auch aus einer humanitären Verpflichtung heraus und geben damit dem Leitbild des ehrbaren Kaufmanns einen praktischen Ausdruck. Es ist aber nicht nur Altruismus sondern wirtschaftliche Vernunft: Stichwort demografischer Wandel. Schon jetzt fehlen uns Fachkräfte und Azubis. In Bayern konnten im letzten Ausbildungsjahr 11.000 Ausbildungsplätze nicht besetzt werden. Darüber hinaus fehlen im Freistaat über alle Branchen hinweg aktuell 139.000 Fachkräfte. Flüchtlinge können mit Sicherheit nicht alle diese fehlenden Azubis und Fachkräfte ersetzen, vor allem nicht sofort. Aber wir sollten ihren Beitrag auch nicht unterschätzen. Derzeit sammeln wir erste Erfahrungen. Ein Unternehmer sagte uns, wenn er jetzt Flüchtlinge als Azubis einstelle, dann lerne er diese Zielgruppe bereits kennen und ist später gut vorbereitet. Er wisse dann, wie er Menschen aus anderen Kulturen betrieblich gut integriere. Derzeit bildet er zwei junge Syrer aus und macht beste Erfahrungen: Die Ausbildung der beiden ist in dem Unternehmen mittlerweile zu einem gemeinsamen Projekt der ganzen Belegschaft geworden, viele Mitarbeiter helfen engagiert mit. Diese Offenheit und der Pragmatismus der Wirtschaft sind gut. Dennoch müssen wir uns auch einigen Knackpunkten Seite 6 von 15 Rede anlässlich „5. Tutzinger Rede: Die Zukunft der Integration“ am 18. April 2016 stellen. Wir sind eine Leistungsgesellschaft mit einem ausgefeilten Bildungssystem, mit hohen Kompetenzansprüchen und -notwendigkeiten, mit Zeugnissen, Urkunden und Zertifikaten. Zu uns kommen nun Menschen aus Ländern, denen dieses System fremd ist. Ihre Fachkenntnisse und Abschlüsse passen zu den Bedürfnissen ihrer eigenen, aber meist nicht zu denen unserer Wirtschaft. Manche von ihnen haben auch überhaupt keinen Schulbildung, sind Analphabeten. Leider gibt es wenig belastbare Zahlen zu den Bildungsabschlüssen von Flüchtlingen. Eine Annäherung ermöglicht das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Es hat freiwillige Selbstauskünfte von Flüchtlingen zur ihrem Bildungsstand analysiert: Demnach hatten unter den im Jahr 2015 befragten Flüchtlingen 13 % eine Hochschule besucht, 17,5 % ein Gymnasium, 30 % eine Haupt- und Realschule, 24 % eine Grundschule und 8 % keine Schule. Die Bilanz unserer eigenen Bildungsabschlüsse fällt zwar einerseits besser aus. Andererseits haben im Jahr 2014 3,6 % unserer deutschen Bevölkerung keinen allgemeinen Schulabschluss und 25,8 % keinen beruflichen Bildungsabschluss. Ein wichtiger Faktor ist zudem die deutsche Sprache. Wer flieht, macht vorbereitend eben keinen Sprachkurs. Sprache ist aber für die gesellschaftliche und berufliche Integration, für ein selbstbestimmtes und freies Leben in einem anderen Land eine wichtige Voraussetzung. Das ist vielleicht die größte Hürde, die es zu überwinden gilt. Wobei wir beobachSeite 7 von 15 Rede anlässlich „5. Tutzinger Rede: Die Zukunft der Integration“ am 18. April 2016 ten, dass der Wunsch der Flüchtlinge, Deutsch zu lernen sehr groß ist. Viele, die noch nicht zu offiziellen Sprachkursen, zugelassen sind, behelfen sich mit webbasierten Deutsch-Lern-Apps, besuchen die Angebote der ehrenamtlichen Helferkreise. Dennoch, mangelnde Qualifikation wie unzureichende Deutschkenntnisse sind unterm Strich aber Handicaps bei der Integration. Doch wir müssen zugleich bedenken: Selbst wenn Abschlüsse den deutschen nicht vergleichbar sind oder ganz fehlen, bringen die Schutzsuchenden ja Talente, Fähigkeiten und Know-how mit. Schon allein eine Flucht zu organisieren und durchstehen spricht für Mut, einen starken Willen und Zähigkeit, also für nicht zu unterschätzende Soft Skills. Und es gibt noch weitere Aspekte. So erweist sich die Erhebung des Alters der Flüchtlinge für unsere immer älter werdende Gesellschaft als äußerst interessant: 2014 waren 55 % der Geflohenen unter 25 Jahren. Und nicht zuletzt das Stichwort Motivation. Spricht man mit Unternehmern wird diese immer zuerst zurückgespielt. Die Flüchtlinge, egal ob in Ausbildung oder Arbeit, sind äußerst motiviert und engagiert, wollen vorankommen, wollen Geld verdienen, auch um die zurückgelassene Familie zu unterstützen oder sie müssen noch ihre Schlepper bezahlen. Soweit die Bestandsaufnahme. Wie bringen wir Wirtschaft und Flüchtlinge nun praktisch zusammen und wie erreichen Seite 8 von 15 Rede anlässlich „5. Tutzinger Rede: Die Zukunft der Integration“ am 18. April 2016 wir eine Win-Win-Situation? Der Bayerische Industrie- und Handelskammertag e.V. (BIHK) hat für dieses Jahr acht Millionen Euro in die Hand genommen und ein ganzheitliches und nachhaltiges Maßnahmenpaket für die Integration von Flüchtlingen in Ausbildung und Arbeit entwickelt. Die Umsetzung erfolgt im Rahmen der Initiative „Integration durch Ausbildung und Arbeit“ der Bayerischen Staatsregierung, die wir im Oktober 2015 unterzeichnet haben. Auch die IHK für München und Oberbayern als regionale IHK entwickelt viele Maßnahmen, die bei der beruflichen Integration helfen. Bereits im Herbst 2014 haben wir gegenüber der Politik unsere 3+2 Forderung formuliert. Was steckt dahinter? Während der Ausbildung und in den beiden ersten Berufsjahren nach der Ausbildung sollen Flüchtlinge nicht abgeschoben werden. Sie ist nun fester Bestandsteil des Asylpakets II. Beim Koaltionsgipfel in der vergangenen Woche wurde dies nochmals bekräftigt. Darauf sind wir stolz. Ich darf Ihnen aber noch weitere Maßnahmen vorstellen: In unserem, gemeinsam mit der Agentur für Arbeit finanzierten IHK-Sommercamp für Mittelschüler der achten Jahrgangsklasse haben wir im Sommer letzten Jahres bereits acht Flüchtlinge aufgenommen. Alle Informationen zum Arbeits- und Aufenthaltsrecht haben wir in einem Leitfaden schriftlich zusammengestellt. Sie finden ihn stets aktualisiert auf unserer Website. Seite 9 von 15 Rede anlässlich „5. Tutzinger Rede: Die Zukunft der Integration“ am 18. April 2016 Unsere Bildungsberater machen eine Erstberatung zur Aus- und Weiterbildung von Flüchtlingen. Die Bildungsberater sind in unserem Haus eine Institution: Sie gehen direkt in die Betriebe und beraten vor Ort. Einer unserer Mitarbeiter der IHK-Akademie berät zu Deutsch-Kursen für Flüchtlinge. Die IHK-Akademie hat zudem spezielle Seminare für Personaler und Ausbilder entwickelt. Dort erhalten diese Basisinformationen ebenfalls zum Arbeits- und Aufenthaltsrecht, aber auch zu Möglichkeiten der betrieblichen Integration und weitere Kontaktadressen. Wir vernetzen uns mit allen wichtigen Akteuren auf dem Arbeitsmarkt: mit der Arbeitsagentur und anderen Initiativen. Sich auszutauschen und zu vernetzen macht uns bei dieser großen Aufgabe erfolgreicher. Wir unterstützen das neue vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag e. V. (DIHK) und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel ins Leben gerufene bundesweite NETZWERK „Unternehmen integrieren Flüchtlinge“. Derzeit gründen wir ein oberbayerisches RegionalNETZWERK. Auftaktveranstaltung ist am 10. Mai 2016. Nehmen Sie gerne teil. Unser Arbeitskreis „Frauen in der Wirtschaft“ wirbt unter den oberbayerischen Unternehmerinnen um mindestens 500 Praktikumsplätze für Flüchtlinge. Und nicht zuletzt haben unsere IHK-Azubis ein eigenes Flüchtlingsprojekt ins Leben gerufen. Sie haben junge Seite 10 von 15 Rede anlässlich „5. Tutzinger Rede: Die Zukunft der Integration“ am 18. April 2016 Flüchtlinge eingeladen und erklären ihnen am kommenden Donnerstag, wie Ausbildung in Deutschland funktioniert. Eine Reihe Projekte – unter anderem die Schlüsselprojekte aus dem Integrationspakt – sind derzeit noch in der Entwicklung. Auch diese darf ich Ihnen nennen. Sie runden die bisherigen Maßnahmen mehr als nur ab und sollen flächendeckend in Bayern umgesetzt werden: Wir sprachen bereits das Thema Qualifikation an. Derzeit entwickeln wir einen speziellen Kompetenzcheck für Flüchtlinge. Er wird spätestens im vierten Quartal dieses Jahres fertig sein. Wir wollen ihn in den Gemeinschaftsunterkünften einsetzen. Wir dokumentieren damit die Qualifikationen und Talente der Flüchtlinge und ermöglichen ihnen einen ersten Qualifikationsnachweis im Sinne des deutschen Bildungssystems. Es ist ein erster wichtiger Baustein eines Bildungspasses, der die Flüchtlinge dann weiterbegleitet. Denn aus dieser Kompetenzerhebung lassen sich auch weitere berufliche Integrationsmaßnahmen ableiten. Der Kompetenzcheck ergänzt IHK-FOSA, das IHK-Anerkennungssystem für IHKBerufe sowie Prototyping Transfer, das eine Qualifikationsanalyse auf Basis von Praxis und Tests ermöglicht. Wir werden pünktlich zum Ausbildungsbeginn 2016 besondere Sprachkurse finanzieren, die den FlüchtlingsSeite 11 von 15 Rede anlässlich „5. Tutzinger Rede: Die Zukunft der Integration“ am 18. April 2016 Auszubildenden die Möglichkeit geben, das spezielle BerufsDeutsch, das sie für ihre Ausbildungen brauchen, ausbildungsbegleitend zu lernen. Dass hier Bedarf besteht, wird uns auch von den Unternehmen widergespiegelt. Dabei arbeiten wir daran, dass wir solche berufsbezogenen Deutschkurse auch für andere arbeitende Flüchtlinge ermöglichen können. Wir werden den Unternehmen Integrationsberater und -koordinatoren zur Verfügung stellen. Die Ausschreibung läuft gerade an. Diese werden die betriebliche Integration stabilisieren, sowohl die Unternehmen als auch die Flüchtlinge durch die Arbeitswelt begleiten, bei Behördengängen und vielem mehr unterstützen. Diese Integrationsberater werden auch der Brückenkopf zu all den ehrenamtlichen Initiativen sein. Wir werden außerdem die IHK-Teilqualifikationen für über 25-jährige Flüchtlinge öffnen. Den Betrieben wollen wir helfen, die Ausbildungs- und Personalverantwortlichen im Sinne eines Diversity Managements zu qualifizieren. Und nicht zuletzt werden wir die Bildungseinrichtungen dabei unterstützen, sich für die Herausforderungen der Flüchtlingsproblematik mit Blick auf Kapazitäten, Ressourcen und Ausstattung oder neue Formen der Aus- und Weiterbildung aufzustellen. Seite 12 von 15 Rede anlässlich „5. Tutzinger Rede: Die Zukunft der Integration“ am 18. April 2016 Nun zweifeln bestimmte Kreise gern an der Integrationsfähigkeit oder -bereitschaft von Flüchtlingen. So heißt es immer wieder, zu viele seien nach zwei Jahren in der BerufsinBerufsintegrationsklasse nicht ausbildungsreif oder zu viele brechen Ausbildungen ab. Wir sollten uns auf keinen Fall zu vorschnellen Urteilen hinreißen lassen, sondern das Verhalten hinterfragen. Ist es nicht auch eine sehr große Anforderung, nach zwei Jahren in einem neuen Land schon ausbildungsreif zu sein? Dabei stehen wir auch vor einer wichtigen Kommunikationsaufgabe: Wir müssen den Flüchtlingen unser duales System erklären. Wir müssen sie davon überzeugen, dass es langfristig sinnvoll ist, statt eines mehr oder weniger gut bezahlten „Jobs“ einen qualifizierten Beruf zu erlernen. Und vielleicht können wir – ohne die duale Berufsausbildung auszuhöhlen – an der ein oder anderen Stelle aber auch flexibler werden: Zum Beispiel eine längere Berufsschulpflicht einführen, mehr verkürzte Ausbildungen oder mehr Teilzeitausbildungen ermöglichen. Auch wir müssen Geduld haben, eine für unsere Gesellschaft nicht gerade leichte Übung. Aber Integration wird eben nicht von heute auf morgen gelingen. Wir sollten auch nicht erwarten, oder gar gesetzlich fordern, dass die Flüchtlinge zu „besseren Deutschen“ werden. Wir sollten die Andersartigkeit auch zu unserem Vorteil nutzen, so wie wir das Seite 13 von 15 Rede anlässlich „5. Tutzinger Rede: Die Zukunft der Integration“ am 18. April 2016 nach der Einwanderungswelle in den 60er Jahren mit den „Gastarbeitern“ gemacht haben. Wie sähen unsere Gastronomie und unser Speiseplan ohne sie aus? Wir werden unsere Strukturen immer wieder anpassen müssen. Wir werden vielleicht auch damit konfrontiert sein, dass einige Flüchtlinge tatsächlich nicht integrationsfähig oder willig sind. Ja, auch das wird es geben. Dennoch sollten wir uns in keinem Fall entmutigen lassen. Ich möchte zum Abschluss Christian Stückl zitieren, den Intendanten des Münchner Volkstheaters. Er hat auf einer großen Pro-Flüchtlings-Demonstration im letzten Sommer in München davon erzählt, wie er während eines Theaterworkshops auf dem Land auch Flüchtlinge kennenlernte. Sie wollten gern in seinem Projekt mitarbeiten. Das konnte Stückl dann auch ermöglichen. Er erzählte sinngemäß: „Zunächst waren es einfach Flüchtlinge, am Ende des Projekts hatten sie alle einen individuellen Namen: Shirin, Fatma, Aydin, Mohammad, Ashraf, Nader ...“ Ich finde, das ist eine sehr hoffnungsfrohe Geschichte. Was mit einem Zustrom vieler unbekannter Flüchtlinge begann, können wir über die berufliche Integration in neue Perspektiven verwandeln: Wir gewinnen neue Kollegen und Mitarbeiter, lernen dabei neue Kulturen, neue Ideen und Arbeitsweisen kennen, lernen voneinander, indem wir uns Seite 14 von 15 Rede anlässlich „5. Tutzinger Rede: Die Zukunft der Integration“ am 18. April 2016 aufeinander zu bewegen. Auch das ist wichtig: Wir sollten nicht so arrogant sein und meinen, die Flüchtlinge lernen nur von uns – auch wir lernen viel von ihnen, wir sollten ihnen auf Augenhöhe begegnen. Und eine Alternative haben wir sowieso nicht. Danke für Ihre Aufmerksamkeit! 11.04.2016 III lü I:\ABTPOOL\A_1\Flüchtlinge\2016\Rede_PD_5._Tutzinger Rede_Integration_180416.Doc\19.04.2016 16:42:00\ Seite 15 von 15
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