Die unerträgliche Überheblichkeit der Mainstream

Die unerträgliche Überheblichkeit der Mainstream-Ökonomen (mit Link zu
Replik)
Norbert Haering - norberthaering.de
Auf der Konferenz „Ökonomie neu denken“ in Frankfurt haben sich Vertreter des Mainstream
dazu gratuliert, wie toll und offen dieser Mainstream ist. Der Nachwuchsbeauftragte des
Ökonomenverbands VfS, Rüdiger Bachmann, verstieg sich zur Behauptung, die
vielgeschmähten DSGE-Modelle seien aus der Makroökonomie nicht mehr wegzudenken. Das
stimmt, leider, obwohl jeder Laie direkt sehen kann, wie grotesk untauglich sie sind, wenn man
die dahinter liegenden Annahmen beschreibt.
Rüdiger Bachmann wies die im Raum stehende Kritik, der ökonomische Mainstream habe in
Sachen Finanzkrise versagt, einerseits mit der Ausflucht zurück, man könne den Zeitpunkt für
den Ausbruch einer Krise nicht (genau) voraussagen, weil sie sofort da wäre, sobald
hinreichend viele Leute von der Prognose überzeugt wären. Das ist deshalb eine billige
Ausflucht, weil es gar nicht um das Vorhersagen des Zeitpunkts geht, sondern die Kritik sich
darauf bezieht, dass der Mainstream in seinen Modellen nichts hatte, was es erlaubt hätte, die
sich auftürmenden Zutaten für eine Krise zu diagnostizieren und die Krise zu verhindern. Aus
dem gleichen Grund war auch sein Vorwurf an die frühen Warner abseits des Mainstreams
ebenso falsch wie unfair, das seien Kassandren, die immer den Weltuntergang voraussagten
und damit irgendwann Recht hätten. Es gab, wie zum Beispiel Dirk Besemer in einem Aufsatz
dargelegt hat, eine ganze Reihe von Nicht-Mainstream-Ökonomen, die mit einer im Nachhinein
allgemein als korrekt akzeptierten Argumentation vor der Krise warnten. Hätte man auf sie
gehört, hätte man die Krise verhindern können.
Und der Wirtschaftsweisen Isabel Schnabel fällt auch im Jahr 2016 noch keine bessere Antwort
auf die seit Jahren anhaltenden und immer breiter werdenden weltweiten Proteste der
Studenten gegen die einseitige Lehre ein, als der herablassende Spruch: „Lernt erst mal wie
Ökonomik funktioniert und kritisiert hinterher“, so als ob alles, was nicht der extrem engen
Definition von Ökonomik genügt, die der deutsche Mainstream den Studenten vorsetzt, das
Recht verwirkt hätte, als Wirtschaftswissenschaft zu gelten.
Aber ich hatte versprochen zu erklären, was DSGE-Modelle sind, die Rüdiger Bachmann immer
noch und auch künftig für das A und O der Makroökonomik hält. Das sind gesamtwirtschaftliche
Modelle, also stark vereinfachte mathematische Abbildungen der Volkswirtschaft. Sowohl die
Europäische Zentralbank (EZB), als auch die EU-Kommission und der Internationale
Währungsfonds (IWF) verwenden diese Modelle um ihre wirtschaftspolitischen Empfehlungen
abzuleiten. Da diese drei Institutionen als Troika über große Teile Südeuropas regieren, kann
man dort das Ergebnis bestaunen. Die Maßnahmen bestehen grob gesprochen aus staatlichen
Ausgabenkürzungen, Abbau von Arbeitnehmerrechten, Reduktion der sozialen Sicherung,
Entlassung von Staatsangestellten, Lohnkürzungen und Deregulierung.
Wie hängt das mit DSGE zusammen?
DSGE-Modelle haben einige Zutaten, die auf wundersame Weise zwangsläufig zu solchen
Politikempfehlungen führen, die der verbesserten Kapitalverwertung zu Lasten der
Arbeitnehmer dienen.
Die Bevölkerung setzt sich aus Klonen mit identischen Fähigkeiten und Präferenzen
zusammen, die hyperrational ihren Konsum über das gesamte Leben maximieren.
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Die unerträgliche Überheblichkeit der Mainstream-Ökonomen (mit Link zu
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Norbert Haering - norberthaering.de
Arbeitslosigkeit gibt es nicht.
So etwas Ähnliches wie Arbeitslosigkeit liegt darin, dass die Klone zum Beispiel nur 70 Prozent
ihrer möglichen Arbeitszeit zur Verfügung stellen und den Rest als Freizeit konsumieren. In
Griechenland, wo die tatsächliche Arbeitslosenquote bei einem Viertel der Erwerbsbevölkerung
liegt, wäre es nochmal deutlich weniger. Als einzige Ursache im Modell kommt in Frage, dass
es sich für die Arbeitnehmer nicht hinreichend lohnt, mehr Arbeit anzubieten. Will man also
etwas gegen die Arbeitslosigkeit tun, muss man – im DSGE-Modell - die Bereitschaft erhöhen,
Arbeit anzubieten. Das tut man, indem man die Alternativen verschlechtert, also zum Beispiel
weniger Sozialhilfe oder Arbeitslosengeld bezahlt. Gleichzeitig kann man auf der anderen Seite
dafür sorgen, dass Arbeitgeber mehr Leute einstellen. Das tun sie in ihrer perfekten Voraussicht
nicht, wenn sie Arbeitnehmer nicht wieder rauswerfen können. Also muss man erst einmal
Entlassungen ermöglichen. Außerdem muss man die Steuern und Staatsausgaben senken,
weil die Individuen in ihrer perfekten Voraussicht Staatsausgaben sofort in künftige Steuern
übersetzen und ihr Arbeitsangebot und ihren Konsum entsprechend reduzieren, weil ihr
erwartetes Netto-Lebenseinkommen sinkt. Deshalb müssen unter anderem Staatsbedienstete
entlassen werden. Das ist kein Problem, weil – im Modell – jeder der will, sofort Arbeit findet.
Nachfrageeffekte spielen wegen der schon erwähnten perfekten Voraussicht keine Rolle.
Es herrscht zwar keine perfekte Konkurrenz in dem Modell, aber etwas Ähnliches. Auf jede
Produktionseinheit wird aufgrund eines einheitlichen Grades an Monopolmacht ein einheitlicher
Aufschlag verlangt. Weil der bei allen Gütern gleich ist, spielt es keine Rolle, was produziert
wird. Eine zusätzliche Stelle für einen Friseur oder Taxifahrer ist genauso wertvoll, wie eine
zusätzliche oder weggefallene Stelle für einen Arbeiter in der Automobilindustrie (wo die Löhne
und die Wertschöpfung in der Realität zwei oder drei Mal so hoch sind). Deshalb der Eifer der
DSGE-Anwender bei der Deregulierung des Dienstleistungssektors.
All diese wirtschaftspolitischen Maßnahmen sind im Rahmen des DSGE-Modells schlüssig. Das
Modell hat aber absolut gar nicht mit dem zu tun, was in der wirtschaftlichen Realität vorgeht.
Die Schlussfolgerungen aus dem Modell auf die Realität zu übertragen, ist intellektuell über alle
Maßen unredlich und - mit Verlaub - ein Verbrechen an den betroffenen Menschen.
Rüdiger Bachmann dagegen vertritt die Ansicht, DSGE-Modelle seien wirtschaftspolitisch relativ
neutral. Ob er das selber glaubt, bezweifle ich.
P.S. 22.2.2016: Rüdiger Bachman hat hier auf meine Kritik geantwortet. Appetithäppchen: Er
nennt mich einen "Internet-Troll".
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