www.frei04-publizistik.de, # 13/2015 Wolfgang Bachmann Draußen (27) Offene Luft Hamburg leistet sich für Millionen Euro einen neuen Konzertsaal, München diskutiert über seine Musiksäle mit Nuancen der Nachhallzeit. Doch mit ersten Frühlingsdüften in der Nase denken wir an Musik und Tanz an der frischen Luft! Es kann schon laut werden: Die Rockband U2 war mal auf Tournee und brauchte für ein einziges Konzert so viel Strom wie eine mittlere Kleinstadt. Und was man dann alles erlebt … Open air – Luftverschmutzung ist längst ein Politikum. Aber Lärm belästigt Menschen weit mehr als Feinstaub. (Bild: Wolfgang Bachmann) Gut, Woodstock ist eine Legende. Wir kennen dieses Wahnsinnskonzert leider bloß aus dem Kino. Es war der Beginn. Nun durften auch in der Alten Welt und anderswo Beatbands, wie man in den 1960er Jahren sagte, unter freiem Himmel spielen. Zunächst gelang das nur amateurhaft, auf Bauer Harms nasser Wiese die richtige Atmo herzustellen. Vor allem gab es Probleme mit dem Sound, auch mit den Toiletten und dem Abfall. Das mit Verstärkern und Boxen wird inzwischen professionell beherrscht, der Rest ist nach wie vor ungelöst. 1/2 Bevor ein Konzert beginnt, beschäftigen sich alle mit ihren Handys. Jeder ist erreichbar als sei er der Notarzt. So findet man sich rasch und sitzt nicht neben den falschen Freunden. Als erstes fotografieren sich die jungen Leute gegenseitig und zeigen sich die Bilder, was immer zu großer Erheiterung führt. Wenn es dunkel wird, wirkt die Szene wie eine Bittprozession, weil überall Handys wie kleine Andachtslichter glimmen. Von der Bühne dudelt zunächst Pausenmusik, irgendetwas, das mit den folgenden Bands nicht konkurriert, also Janis Joplin oder Joe Cocker. Heute kommt eine Coverband und beginnt mit einem ausführlichen Soundcheck. Das kann einige Zeit dauern, gehört aber wie das Warmlaufen beim Fußball mit zur Choreografie und kann deshalb nicht schon am Nachmittag erledigt werden. Jetzt legen sie los. Erst noch verhalten, Smoke on the Water erkennen alle sofort. Applaus. Beim nächsten Titel stellt sich der erste Tänzer vor die Bühne. Er sieht immer aus wie eine Kreuzung aus Jethro Tull und Tony Hofreiter, trägt Sandalen, hat eine Leinentasche umgehängt und bewegt sich flügelschlagend und hüpfend, als wollte er Signale geben. Damit ist das Eis gebrochen. Jetzt wagen sich junge Frauen neben das Rumpelstilzchen. Sie zeigen unterschiedliche Temperamente. Es könnte Skigymnastik sein, Feldenkrais oder Eurythmie, auf jeden Fall erkennt man die jahrelange Routine der Bewegungen, unterbrochen von ein paar im Fernsehen abgeschauten Schnörkeln. Einige haben ihren Freund mit vor die Bühne geschoben. Männern ist das meistens peinlich, sie riskieren nur unauffällige Lastwechsel in den Knien. Wir beobachten alles aus sicherer Entfernung, niemand wird uns vor die Bühne zerren. Denn wir wissen: Beim Tanzen verrät der Mensch mehr über sich als ihm lieb ist. Weitere Kolumnen von Wolfgang Bachmann > hier Wolfgang Bachmann Draußen (27) Offene Luft <http://frei04-publizistik.de> 2/2
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