Übung 3

Tutorium BGB
27. 10. 2015
Fall 27. 10. 2015
K sucht ein Auto mit maximal 20 000 km Laufleistung. Am 1. 7. 2005 kauft K von V,
einem Privatmann, einen zwei Jahre alten Gebrauchtwagen der Marke M für 9000
Euro. Im Kaufvertrag steht: "Laufleistung: 20 000 km"; das stimmt auch mit dem
Kilometerzähler überein. Vor dem Kauf hatte V das Fahrzeug inklusive der
Kilometeranzeige in einer Fachwerkstatt überprüfen lassen. Die Werkstatt hatte
keine Mängel festgestellt, so dass V von der Richtigkeit der Kilometeranzeige
ausging.
Am 3. 7. erfährt K, dass die Kilometeranzeige durch X, den Eigentümer vor V,
manipuliert worden war. Auf Grund der höheren Laufleistung von tatsächlich 40
000 km beträgt der Marktwert des Autos nur 6500 Euro. K ärgert sich und
beschließt, gegen den Verkäufer V vorzugehen. Weitere Schritte unternimmt er
aber noch nicht. Am 4. 7. fährt K ‐ wie regelmäßig ‐ mit leicht überhöhter
Geschwindigkeit in die Einfahrt seines Grundstücks. Diesmal fährt er dabei gegen
einen Zaunpfahl; infolge des Unfalls ist das Auto 500 Euro weniger wert. Bei einer
angepassten Geschwindigkeit wäre der Unfall nicht passiert.
Forts. Fall
K hat jetzt die Freude am Auto verloren und erklärt am 5. 7. gegenüber V den
Rücktritt mit den Worten: "Es reicht! Der Kaufvertrag ist erledigt, zahlen Sie mir den
vollständigen Kaufpreis zurück." Am 6. 7. wird V geschäftsunfähig; ein Vormund ist
noch nicht bestellt.
Welche Ansprüche hat K? K möchte insbesondere wissen, ob der Rücktritt für ihn
wirtschaftlich am günstigsten war oder ob es besser gewesen wäre, eine andere
Erklärung abzugeben. Zudem fragt sich K, ob V eine Aufrechnungserklärung
abgeben muss oder ob die Ansprüche von K und V sofort saldiert werden.
V verweist darauf, dass er die Manipulation der Kilometeranzeige nicht kennen
konnte und darauf, dass jedenfalls die 500 Euro Minderwert auf Grund des Unfalls
berücksichtigt werden müssen. Außerdem sei von Bedeutung, dass K zum
Zeitpunkt des Unfalls schon von der falschen Kilometeranzeige gewusst habe. Auf
die gezogenen Nutzungen ist nicht einzugehen.
• Bearbeitungshinweis: Gehen Sie davon aus, dass Sie sich im Jahr 2005 befinden.
Literatur:
• Henne/Zeller, JuS 2006, 891 ff.
• Forst, ZGS 2011, 107‐111 (Über Zweck, Tatbestand und Rechtsfolgen
des § 346 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BGB)
• Wiese/Hauser JuS 2011 301‐305 (Empfangene Leistungen i.S. des §
346 BGB und Gefahrübergang)
• Sittard/Blattner ZGS 2006 339‐341 (Auswirkungen des
Eigentumsvorbehalts auf das Rückgewährschuldverhältnis)
• Stodolkowitz, ZGS 2009, 496‐501 (Gefahrtragung während der
Nacherfüllung im Kaufrecht)
A. Anspruch des K gegen V auf Nacherfüllung aus KV gem.
§§ 433, 434 Abs. 1 S. 1, 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 BGB
I. Kaufvertrag gem. § 433 BGB (+)
II. Mangel gem. § 434 Abs. 1 S. 1 BGB (+)
III. bei Gefahrübergang gem. § 446 S. 1 BGB (+)
IV. keine Ausschlussgründe (Kenntnis gem. § 442 Abs. 1 BGB
oder vertraglicher Haftungsausschluss)
V. kein Untergang gem. § 275 Abs. 1 BGB (‐)
B. Anspruch des K gegen V auf Rückzahlung gem. §§ 433, 434
Abs. 1 S. 1, 437 Nr. 2 1. Var., 326 Abs. 5, 323 Abs. 1, 346 ff. BGB
I. Grundvoraussetzungen (s.o.)
II. Unmöglichkeit der Nacherfüllung nach § 326 Abs. 5 BGB (+)
III. Voraussetzungen des § 323 Abs. 1 BGB (+)
IV. kein Ausschluss gem. § 323 Abs. 6 BGB (+),
 genau lesen wer die Umstand zum Rücktritt (Mangel) zu vertreten
hat
V. Rücktrittserklärung gem. § 349 BGB (+)
Forts. Rückzahlungsanspruch
VI. Rückgewährschuldverhältnis
1. Rückgewähr des Wagens gem. § 346 Abs. 1 BGB
2. Wertersatz für die Beschädigung gem. § 346 Abs. 2 Nr. 3 BGB
3. kein Ausschluss gem. § 346 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 BGB
a) Verschlechterung beim Käufer (+)
b) Wahrung der diligentia quam in suis (+)
c) teleologische Reduktion des Ausschlusses ab Kenntnis
keine Privilegierung (entweder den Anwendungsbereich ablehnen ODER den
Begriff Sorgfalt in eigenen Angelegenheit so interpretieren, dass für jede
Fahrlässigkeit einzutreten ist; arg. ex.: Wertung § 357 Abs. 3 S. 3BGB)
4. Ergebnis: Herausgabe des PKW und 500 Euro Wertersatz, 9000 Euro Rückzahlung
es KANN aufgerechnet werden, wird aber nicht ipso iure saldiert (h.M.)
C. Anspruch des K gegen V auf Rückzahlung gem. §§ 433, 434
Abs. 1 S. 1, 437 Nr. 2, 441 Abs. 1 2. Var., 4 BGB
I. Grundvoraussetzungen (s.o.)
II. Rücktrittsvoraussetzungen (+), s.o.
III. Minderung des Kaufpreises gem. § 441 Abs. 4 BGB
1. Verkehrswert ohne Mangel = 9000 Euro
2. Verkehrswert mit Mangel = 6500 Euro
3. Kürzung um 2500 Euro (bei Kauf zum Marktwert ohne Mangel nie
problematisch)
V. Kaufpreiszahlung gem. § 441 Abs. 4 BGB (+)
Überzahlung i.H.v. 2500 Euro
da er bei der Minderung den Wagen behält, entsteht wirtschaftlich jetzt
ein Plus von 2000 Euro, da 500 Euro in die Reparatur fließen würden
D. Anspruch des K gegen V auf Schadensersatz gem. §§ 433,
434 Abs. 1 S. 1, 437 Nr. 3, 311a Abs. 2 S. 1 BGB
I. Grundvoraussetzungen (+), s.o.
II. Anfängliche Unmöglichkeit der Mangelbeseitigung (+), da
Kilometerstand nicht beseitigt werden kann
III. kein Ausschluss gem. § 311a Abs. 2 S. 2 BGB (‐), da der Verkäufer
den Mangel und damit auch die Unmöglichkeit der Beseitigung des
Mangels nicht kennen konnte (Gutachten lag ja vor)
Saldierung?
Frage zur automatischen Saldierung: Problematisch ist, dass der
Aufrechnungsberechtigte hier geschäftsunfähig geworden ist (§ 105 Abs. 1 BGB)
Es kommt darauf an, ob saldiert wird!
Pro Saldierung:
• „hat der Schuldner Wertersatz zu leisten“ (nicht anspruchstypisch formuliert)
• Parallele zum Kondiktionsrecht und der Saldotheorie
Contra Saldierung:
• Funktioniert bei einigen Verträgen nicht (z.B. Tausch)
• Aufrechnungsverbote werden umgangen
• § 348 BGB geht von Zug‐um‐Zug aus
Aktuelles Problem des Kaufrechts:
Was passiert, wenn die mangelhafte Kaufsache bereits irgendwie eingebaut wurde?
(z. B. BGH 17.10.2012 ‐ VIII ZR 226/11 = NJW 2013, 220)
Bsp.: Der Verkäufer liefert mangelhafte Parkettstäbe, die der Käufer
vom Fußbodenverleger mit dem Boden verbinden lässt. Danach fällt
der Mangel auf.
• 1. Problem: Der Käufer muss nach § 439 Abs. 4 BGB die mangelhafte
Sache herausgeben. (Ausbaukosten?)
• 2. Problem: Der Käufer hat evtl. ein Interesse daran, dass die Kosten
des Einbaus der nachgelieferten Sache vom Verkäufer getragen
werden. (Einbaukosten)
Forts. Einbau der Kaufsache
Die ersten Einbaukosten wären auch bei fehlerfreier Leistung angefallen, diese Kosten sind das
Verwendungsrisiko des Käufers.
Die Rückgabepflicht nach § 439 Abs. 4 BGB müsste eigentlich dazu führen, dass die Kosten vom
Käufer zu tragen sind (so auch der BGH NJW 2009, 1660 [es sei denn es liegt ein Verschulden des
Verkäufers vor], anders bereits die Literatur).
 ABER: Der Käufer würde durch diese Interpretation davon abgehalten, seine Rechte geltend zu
machen.
 EuGH v. 16.6.2011: BEIDE Kosten sind vom Verkäufer zu tragen!
Aufgrund der Entscheidung des EuGH muss wegen des Vorrangs des Europarechts (vgl.
Normpyramide BGB I) eine Lösunggefunden werden.
• Die VerbrKaufRL sieht in Art. 3 Abs. 3 UAbs. 3 vor, dass die Nacherfüllung „ohne erhebliche
Unannehmlichkeiten für den Verbraucher zu erfolgen habe“.
 Es soll eine richtlinienkonforme Auslegung des § 439 Abs. 2 BGB möglich sein, vgl. Looschelders JA
2011, 629 ff.
 Richtig: richtlinienkonforme Rechtsfortbildung, da der Wortlaut überschritten wird.
Auch außerhalb Verbrauchsgüterkauf (B2B)?
Die Ein‐ und Ausbaukosten sind nur beim Verbrauchsgüterkauf im
Rahmen der Nacherfüllungskosten vom Verkäufer zu tragen, da dies
aufgrund der europarechtskonformen Rechtsfortbildung geboten ist
(nach h.M. europarechtskonforme Auslegung).
Die Rechtsfortbildung muss (und darf) nicht weiter gehen als nötig,
daher darf über den Wortlaut hinaus nicht ausgeweitet werden.
So auch nun der BGH (allerdings unter der Flagge
europarechtskonforme Auslegung, die nicht geboten sei).
In Klausuren ansprechen, ob auch hier dieselbe Auslegung erfolgt wie
im B2C‐Fall.