Basisdokument Word mit Beschreibung

Die Erzählmuschel: Fabulieren im Erzählkreis (=21_US)
Werner Senn
1
Textmuster
3
Stufe
Erzählen (fiktional)
1.‒3. Klasse
2
4
Ziele
Ziel dieser ersten Musteraufgabe ist, über das gemeinsame mündliche Erzählen ins Fabulieren zu kommen,
also die Fabulierlust zu wecken. Zudem bieten sie den
SuS die Gelegenheit, ihr Schreiben als soziale Handlung
zu erfahren, indem sie gemeinsam im Erzählkreis fabulieren und die entstandenen Geschichten den andern
vorlesen. Es geht dabei erst in zweiter Linie darum,
vollständige und zusammenhängende Geschichten zu
erfinden und aufzuscheiben.
–
–
–
Die SuS begegnen dem Genre Erzählen in Form
von literaler Geselligkeit in einer Erzählrunde. Die
Klasse wird zum Ort von literalen sozialen Aktivitäten, wo Texte und Geschichten (vor-)gelesen und
geschrieben werden, wo über die Texte gesprochen wird.
Die SuS erfinden gemeinsam in einem Erzählspiel
Geschichten und schreiben sie dann auf.
Die SuS lesen einander ihre Geschichten oder
Texte in der Vorleserunde vor.
Diese Musteraufgabe mit dem Fokus Fabulieren ist die
erste Aufgabe einer Serie und sorgt für die Einbettung
in einen sozialen Kontext. Die zweite Aufgabe schliesst
an das Fabulieren an und setzt den Schwerpunkt auf
das Feedback geben in Vorleserunden. Die dritte Aufgabe konzentriert sich dann auf das Vergleichen von
zwei Textversionen, um herauszufinden, wie man Entwürfe mithilfe von Fragen anreichern kann.
Das Bindeglied der drei Aufgaben ist das Instrument
der Fragen, die in allen drei Schreibaufgaben als Unterstützungsmittel eingesetzt werden:
1) Fragen, um den Ideenfindungsprozess anzureichern,
2) Fragen, um gezielt Feedback zu geben
3) Fragen, um Entwürfe mit weiteren Ideen anzureichern.
Adressaten: die Klasse als Ort
der literalen Praxis
Die Klasse ist der Ort einer literalen sozialen Praxis (vgl.
z. B. Dehn 2013). Die Texte, die in der Klasse entstehen, können von allen gelesen werden oder werden
immer wieder vorgelesen. Die SuS sind also immer
gleichzeitig Autor/-innen und Adressaten/-innen. Besonders auf der Unterstufe ist es wichtig, dass alle
Texte und Geschichten gesammelt, vorgelesen und
entsprechend mit einem Feedback gewürdigt werden.
Es ist deshalb wichtig, dass immer wieder, z. B. einmal
pro Woche, gemeinsame Erzählrunden in der Klasse
stattfinden, aus denen Texte entstehen können, die
dann wieder in Vorleserunden vorgelesen werden.
Dazu braucht es auch klassenspezifische Rituale, z. B.
Vorleserunden, die speziell gestaltet werden (z. B.
Kreis, spezielles Licht), einen Ort, an dem die Geschichten aufbewahrt werden (z. B. ein geschmücktes Klassengeschichten-Buch in der Klassenbibliothek), einen
Ort, wo sich einzelne SuS zurückziehen können, um zu
schreiben oder zu lesen (z. B. eine bequem eingerichtete Leseecke, eine Schreibecke, in der die SuS beispielsweise hinter einer Pflanze oder einer Bücherwand abgeschirmt scheiben können).
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Aufgabe
Die Schreibaufgabe besteht darin, gemeinsam in einer
Gruppe in einem Erzählspiel eine Geschichte zu erfinden und sie anschliessend aufzuschreiben. Sie geht
also vom mündlichen Erzählen aus, das so die Basis
fürs schriftliche Erzählen bildet. Die entstandenen
Geschichte werden gesammelt und in einer Vorleserunde vorgelesen. Damit schliesst sich der Erzählkreislauf. Die Aufgabe fokussiert Erzähllust, die Freude am
Fabulieren, welche die Voraussetzung ist für jegliches
Erzählen.
Dabei kann unterschiedlich vorgegangen werden (vgl.
Anhang A: Aufgabenstellung):
–
–
–
6
Die Gruppe schreibt die gemeinsame Geschichte
auf.
Die SuS arbeiten zu zweit weiter. Sie erzählen
zuerst die Geschichte nochmals mündlich nach
und schreiben sie dann in kooperativer Form auf,
indem sie abwechselnd schreiben.
Die SuS schreiben alleine die gemeinsam erfundene Geschichte für sich auf. Sie können die Geschichte dabei auch verändern oder eine Fortsetzung oder gar eine neue Geschichte schreiben.
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Die ersten beiden Erzählrunden finden gemeinsam in
der Klasse statt. Die erste Runde dient den SuS dazu,
das Muster einer typischen Geschichte aufzubauen.
Eine prototypische Geschichte beginnt mit einer Einleitung, in der die Figuren und die Ausgangssituation
dargestellt werden. Dann beginnt die eigentliche
Handlung, in der die Figuren etwas erleben. Sie müssen beispielsweise ein Problem lösen und dabei
Schwierigkeiten überwinden. Den Schluss der Geschichte bildet die Auflösung. Die meisten SuS kennen
diesen Aufbau aus Geschichten, die ihnen erzählt wurden. Deshalb übernehmen sie dieses Muster auch oft,
wie der typische Geschichtenanfang „Es war einmal
(eine Prinzessin) …“ in vielen Schülertexten zeigt. Aus
diesem Grund ist es sinnvoll, wenn auch die Lehrperson in der ersten Runde eine Geschichte selbst erzählt.
Erzählspiel
6.1 Regeln
Das Erzählspiel hat zum Ziel, assoziativ und kooperativ
Geschichten zu erzählen. Es basiert auf einer einfachen
Regel:
–
–
–
–
Durchführung
In der zweiten Runde lernen die SuS die Regeln des
Erzählspiels kennen und wie die Erzählmuschel eingesetzt wird. Dies geschieht dadurch, dass die Lehrperson den Anfang einer Geschicht erzählt und dann die
Klasse weitererzählen lässt. Das Spiel kann in der Klasse wiederholt werden, bis alle genau wissen, wie es
funktioniert.
Die Gruppe sitzt in einem Erzählkreis. Eine Erzählmuschel wird herumgereicht. Wer sie erhält, darf
einen Beitrag zur Geschichte leisten.
Der Beitrag besteht normalerweise aus einer Erzählidee, wie die Geschichte weitergehen kann,
etwa aus einem oder zwei Sätzen.
Wer seine Idee eingebracht hat, gibt die Muschel
weiter.
Die Muschel muss nicht in einer strikten Reihenfolge herumgereicht werden.
7.1 Erzählrunden in der Klasse:
Farbige Kärtchen in einem Korn oder einer Schachtel
(vgl. Anhang B) bieten Erzählimpulse an. Die Lehrperson erzählt der Klasse im Erzählkreis:
Gemeinsam in Ko-Konstruktion entsteht so eine Geschichte. Es handelt sich dabei um ein assoziatives
Erzählen. Anstelle einer Muschel kann auch ein anderer Gegenstand verwendet werden, z. B. ein runder
Erzählstein, ein Erzählschlüssel etc.
„Ich habe am Strand Muscheln gefunden hat. Diese
Muscheln sind etwas ganz Besonderes. Sie sind vom
Meer von einem Ort zum nächsten getragen worden.
Sie sind sehr alt und haben viel gesehen und erlebt.
Die Muscheln haben all ihre Erlebnisse gesammelt. Sie
haben mir einzelne Geschichten kurz erzählt. Ich habe
die Stichwörter auf farbige Kärtchen geschrieben. Sie
liegen in diesem Körbchen. Wenn ihr eine Impulskarte
zieht, wisst ihr, welche Geschichte die Muschel erzählen möchte. Wenn man dann eine Erzählmuschel ans
Ohr hält, hört man das Meer rauschen. Dann wird man
von der Muschel in die Geschichte getragen.“
Das Spiel ist zu Ende, wenn alle SuS mindestens einen
Beitrag (in Gruppen mindestens zwei Beiträge) zur
Geschichte geleistet haben oder wenn die Geschichte
zu einem Abschluss kommt.
6.2 Unterstützung durch Leitfragen
Wenn die Erzählung stockt und eine Kind mit der Muschel in der Hand nicht weiss, wie es weiterfahren soll,
kann die Klasse (oder Gruppe) Fragen stellen, die zu
einer weiteren Erzählidee führen können (vgl. Anhang
C: Leitfragen). Sie sind entsprechend den wesentlichen
Aspekten einer Geschichte nach Figur, Handlung und
Ort gegliedert. Diese Musterfragen können als Gedächtnisstütze an der Wand hängen. Durch die Fragen
erhält das Erzählspiel eine dialogische Komponente,
die für das Erzählen sehr förderlich ist.
Die Lehrperson beginnt darauf die erste Erzählrunde.
Sie zieht eine Impulskarte. Dann hält sie sich die Muschel ans Ohr, hört hinein und erzählt mithilfe der
Karte eine Geschichte mit dem typischen Aufbau (im
Sinne von Modellieren, Erzählmuster anbieten).
In der zweiten Erzählrunde geht sie genau gleich vor,
nur dass sie nur den Anfang der Geschichte erzählt. Sie
zieht eine Impulskarte (z. B. Tausend Katzen):
2
In den Erprobungsklassen waren die Muscheln für viele
Kinder eine Hilfe für das spontane Fabulieren. Viele
Kinder holen während des Schreibens die Muschel und
horchen nochmals, um sich an die Geschichte zu erinnern. Für andere Kinder war sie allerdings keine Unterstützung. Für Erheiterung hat ein Junge gesorgt, der
meinte: „Ich höre schon etwas, aber ich versteh es
einfach nicht!“ Wenn die Muschel die stimulierende
Wirkung verfehlt, kann sie (der ein anderer Gegenstand) einfach als Zeichen genutzt werden, wer beim
Fabulieren an der Reihe ist. Als Unterstützung können
dann vor allem die Fragen eingesetzt werden.
Dies ist die Geschichte der tausend Katzen:
Es war einmal ein riesiges Haus am Waldrand, in dem
tausend Katzen wohnten. Da war die langhaarige,
elegante Perserkatze mit ihrem weichen braunroten
Fell; der schwarze Kater, der in der Nacht völlig unsichtbar war, ausser wenn er die gelben Augen öffnete;
und natürlich die beiden Katzenkinder, die flinke Tausendsassa und der kleine Wirbelwind. Sie spielten den
ganzen Tag, tollten ungestüm von einem Zimmer ins
nächste, bis sie vom Herumspielen müde auf einem
Ofen sich zusammenrollten und einschliefen. Die Katzen verliessen das Haus nie, da es so gross war.
7.2 Geschichtenbogen
Im 3. Schuljahr kann differenzierend auch ein Geschichtenbogen eingesetzt werden (vgl. Anhang D:
Geschichtenbogen). Anhand der Beispielgeschichte mit
den Bildern vom Tiger kann zu Beginn einer gemeinsamen Erzählrunde der typische Aufbau einer Geschichte besprochen werden. Die angebotenen Sätze
werden dazu auf einzelne Zettel geschrieben. Zudem
wird an der Tafel oder auf einem Packpapier ein Bogen
mit einem Höhepunkt eingezeichnet. Auf diesem Bogen werden die Bilder der Geschichte verteilt. Die
Lehrperson erzählt dann mithilfe dieser Bilder die Geschichte.
Eines Nachts erwachte Tausendsassa. Der Mond schien
durch ein Fenster ins Haus. Die kleine Katze weckte
Wirbelwind. „Du, schau mal, der Mond dort draussen.
Er sieht durch das Fenster in unser Haus hinein.“ Leise
schlichen sie zum Fenster und spähten hinaus. Sie
sahen sich an. „Was meinst du, Wirbelwind, wollen wir
mal hinaus in den Wald?“ „Du getraust dich ja sowieso
nicht!“ antwortete Wirbelwind.
Tausendsassa zuckte zusammen, nahm dann all ihren
Mut zusammen. „Komm, wir springen gemeinsam. Ich
zähl auf drei. ‒ Eins, zwei, drei!“ Gemeinsam sprangen
sie hinaus.
Dann legt sie die angebotenen Sätze und ebenfalls die
Kärtchen mit den Musterfragen ungeordnet neben den
Bogen. Als Spielform (wie ein Rätsel) können nun die
Satzteile und die Fragen den entsprechenden Bildern
auf dem Geschichtenbogen zugeordnet werden. „Ich
lese euch einen Satzteil vor. Zu welchem Bild auf dem
Geschichtenbogen gehört er?“ Nach der Zuordnung
stellt die Lehrperson dann jeweils die Nachfrage: „Woran erkennt ihr dies?“
Was meint ihr, wie geht die Geschichte weiter?
Die Lehrperson reicht die Muschel an eine S weiter mit
der Bitte, die Geschichte weiterzuerzählen. Die S hält
die Muschel ans Ohr und horcht in die Muschel hinein.
Dann erzählt sie die Geschichte weiter und reicht anschliessend ihrerseits die Muschel weiter usw.
Stockt der Erzählfluss, stellt die Lehrperson eine Frage
(auch im Sinne von Modellieren, siehe oben). Sie bietet
so ein Muster an, wie und zu welchen Aspekten (Figur,
Ort, Handlung) Fragen gestellt werden können (vgl.
Anhang C: Musterfragen): „Also ich stelle nun eine
Frage zu den Figuren mit der Leitfrage Wer? Wem
begegnen die beiden, wenn sie aus dem Fenster springen?“ Die Fragen ermöglichen, dass Figuren, Orte oder
die Handlung differenzierter dargestellt werden (vgl.
Abb. 1: Die Geschichte von Marigona)
Anstelle des Geschichtenbogens kann auch mit der
Geschichtenstruktur aus Hoppla 3 (Kapitel 5, Arbeitsheft S. 8/9) gearbeitet werden.
7.3 Geschichten aufschreiben
Nach diesen Fabulierrunden können die SuS dann die
Geschichte aufschreiben. Sie können dabei auch von
der Klassengeschichte abweichen und sogar eine eigene Geschichte schreiben, wenn sie eigene Ideen haben.
Die Klasse erzählt sich die Geschichte weiter, bis alle
mindestens einen Beitrag an die Klassengeschichte
geleistet haben. Gerade im ersten oder zweiten Schuljahr ist es lohnenswert, wenn die Lehrperson die Geschichte am Ende zusammenfasst und evtl. schriftlich
festhält. Dann kann die schriftliche oder zeichnerische
Verarbeitung der Geschichte zu einem späteren Zeitpunkt stattfinden.
3
die Geschichten auch mündlich vorgetragen und aufgenommen.
Die Geschichten aus den Schreibgruppen werden in
Vorleserunden (siehe unten: Vorleserunden) der Klasse
präsentiert.
Differenzierung
Da die SuS gerade auf dieser Stufe noch sehr unterschiedlich viel Zeit brauchen, um ihre Geschichten zu
erzählen und verfassen, sollte hier keine zeitliche Limite gesetzt werden. Die natürliche Zeitlimite wird meist
die Ermüdung der SuS sein, da Schreiben sehr anstrengend ist. Sie sollten deshalb selbst wählen können, in
welcher Vorleserunde sie ihre Texte vorlesen.
Abb. 1: Differenzierte Figurenbeschreibung in der Geschichte
von Marigona (2. Klasse)
Wenn der Ablauf des Erzählspiels den SuS klar ist,
können die Erzählrunden auch in Gruppen (z. B. 4‒6
SuS) stattfinden.
Wenn einzelne SuS zu stark von den andern abgelenkt
werden, können sie einen abgeschirmten Schreibplatz
einnehmen (siehe oben: Schreibecke).
7.4 Erzählrunde in der Schreibgruppe
Die Erzählrunde in Gruppen kann gleich anschliessend
oder auch zu einem späteren Zeitpunkt stattfinden
(vgl. Anhang A). Dazu ziehen die Vierer-Gruppen je ein
Kärtchen aus dem Korb und lesen es vor. Dann beginnen sie ihr Erzählspiel und erfinden mit der Erzählmuschel ihre Geschichte zum gezogenen Begriff.
In einer Einschulungsklasse wurden die Geschichten,
die im Erzählkreis entstanden sind, anschliessend von
den SuS gezeichnet und es entstanden Geschichtenhefte. Mithilfe dieser Hefte haben die SuS sich gegenseitig ihre Geschichten erzählt. Diese Erzählungen
wurden aufgenommen.
Zu jeder Geschichte können auch Zeichnungen angefertigt werden. Dabei ist es eine gute Form der Differenzierung, wenn gerade Schreibanfänger/-innen selber wählen können, ob sie zuerst zeichnen und dann
schreiben oder umgekehrt, zuerst mit Schreiben beginnen. Oft wird es auch so sein, dass die Zeichnungen
den schriftlichen Text ergänzen. Gerade im ersten
Schuljahr können so bereits kleine Bücher entstehen,
auf der einen Seite eine Zeichnung, auf der andern der
Text (vgl. Abb. 2: Das Geschichtenbuch von Jivika). Die
Lehrperson (oder ein Kind, das schon flüssig schreiben
kann) kann für Kinder, die noch nicht schreiben, die
Geschichte zum Bild aufschreiben oder tippen, indem
das Kind seine Geschichte diktiert.
Die Lehrperson beobachtet die Erzählgruppen. Stellt
sie fest, dass in einer Gruppe längere Stockungen auftreten, kann sie sich in die Gruppe setzen und vorübergehend die Rolle der Fragestellerin übernehmen,
um den Erzählfluss durch entsprechende Fragen wieder in Gang zu bringen. Sobald die SuS wieder selbstständig weitererzählen oder nach dem Muster der
Lehrperson eigene Fragen stellen, kann sie sich wieder
zurückziehen.
Ist eine Geschichte aus Sicht der SuS fertig oder genügend weit erzählt, können sie mit Schreiben einer der
oben dargestellten Varianten beginnen. SuS, die noch
nicht selbstständig Geschichten schreiben können,
haben die Möglichkeit, zu zweit zu arbeiten und ihre
Geschichte der Lehrperson zu diktieren, die dann die
Geschichte aufschreibt. In einzelnen Klassen wurden
4
Abb. 2: Die plötzliche Wendung in der Geschichte vom verlorenen Zirkuselefanten (von Jivika)
In der 3. Klasse kann der Geschichtenbogen als zusätzliche Differenzierung klassenweise oder in einzelnen
Gruppen eingesetzt werden: Er kann den Anspruch
steigern, indem das Erzählen der Geschichte nach der
Struktur des Bogens geschieht. Dadurch sollen Geschichten entstehen, die einen klaren Anfang, eine
Steigerung mit einem Höhepunkt und ein Ende haben.
Das Einüben des Geschichtenbogens braucht jedoch
Zeit. Viele SuS können die Geschichtenstruktur noch
nicht gleich umsetzen.
Dabei sollen die SuS jedoch möglichst selbst entscheiden können, wann sie ihre Geschichte vorlesen, indem
mehrere (kurze) Vorleserunden angesetzt werden. Pro
Vorleserunde hat sich bewährt, nicht zu viele Geschichten vorzulesen (je nach Länge der Texte: 3‒5).
Das Vorlesen vor der Klasse soll dabei in einem spezifischen Ritual stattfinden (z. B. im Kreis, Kerzenlicht, mit
einem Eröffnungsritual). SuS lesen ihre Texte selbst
vor. Sie sollen sich genügend Zeit nehmen, das Vorlesen zu üben. Vor allem schwächere Leserinnen und
Leser brauchen dazu viel Zeit. Vorlesen kann auch gut
zu zweit trainiert werden. In Ausnahmefällen kann
auch die Lehrperson das Vorlesen einzelner Texte
übernehmen, damit diese gut zur Geltung kommen.
Schwierigkeitsgrad
Die Schreibaufgabe ist im Übergang von mündlichem
Erzählen und schriftlichem Aufschreiben der Geschichte angesiedelt. Dadurch kann auch der Schwierigkeitsgrad bzw. der Anspruch an die Geschichten erhöht
oder reduziert werden, je nachdem, wie stark die Geschichten mündlich vorbereitet werden.
7.6 Geschichtenbuch
Im Sinne einer literalen Praxis (siehe oben) können die
Geschichten in einem gemeinsamen Klassengeschichtenbuch gesammelt werden (vgl. Abb.3: Geschichtenbuch der Klasse 1a). In einer ersten Klasse kann die
Lehrperson die Geschichte, die im Erzählkreis entstanden ist, aufschreiben. Das Buch soll an einem prominenten Ort (z. B. in der Klassenbibliothek) in der Klasse
stehen, wo die SuS es in der Pause oder in einer freien
Lesezeit alleine oder zu zweit hervorholen können und
lesen. Das Buch kann leicht selbst hergestellt werden,
indem beispielsweise ein Ringheftordner verziert wird
‒ dann können die einzelnen Geschichten laufend
ergänzt werden ‒ oder etwas aufwendiger die Geschichten abschliessend gebunden oder geheftet und
eventuell an die Eltern verteilt werden.
Ebenfalls beeinflusst der Grad an Eigenständigkeit
beim Erfinden der Geschichte die Schwierigkeit der
Aufgabe, also ob bereits erzählte, gemeinsam erfundene Geschichten aufgeschrieben oder ob auf der
Basis der erzählten Geschichten neue eigene erfunden
werden.
Zudem können auch kooperative Formen die Schwierigkeit der Aufgabe herabsenken. In den einzelnen
Schreibphasen können die SuS auch zu zweit schreiben.
7.7 Literatur
Dehn, Mechthild (2013): Zeit für die Schrift ‒ Lesen
und Schreiben im Anfangsunterricht. Berlin. Cornelsen Scriptor.
7.5 Vorleserunden
Sobald einzelne Texte vorliegen, können sie in einer
Vorleserunde der gesamten Klasse vorgelesen werden.
5
Abb. 3: Geschichtenbuch der Klasse 1a, Schulhaus Gutschick
8
Anhang
Anhang A: Auftrag
1
4
2
3
Arbeitet in eurer Schreibgruppe. Führt das Erzählspiel durch.
1. Zieht eine Erzählkarte.
2. Setzt euch in einen Erzählkreis. Lest die gezogene Karte vor und legt sie in die Mitte.
3. Erfindet mit der Erzählmuschel eine gemeinsame Geschichte, indem ihr die Erzählmuschel laufend weitergebt. Die
Erzählkarte gibt euch einen Impuls für eure Geschichte.
–
–
–
–
Nimm die Erzählmuschel und horch in sie hinein. Du kannst mit dem Erzählen einer Geschichte beginnen.
Am besten erzählst du den ersten Gedanken, der dir in den Sinn kommt.
Nach ein bis zwei Sätzen reichst du die Muschel an jemand anders weiter.
Wer die Erzählmuschel erhält, darf einen Beitrag zur Geschichte leisten.
Die Muschel muss nicht in einer strikten Reihenfolge herumgereicht werden.
Wähl eine der folgenden Varianten aus:
Variante 1
4. Schreibt die Geschichte gemeinsam auf.
Variante 2
4. Arbeitet zu zweit: Erzählt euch nochmals die Geschichte.
5. Schreibt die Geschichte gemeinsam auf. Jemand erzählt, das andere Kind schreibt auf. Wechselt nach jedem Satz ab.
Variante 3
4. Arbeitet alleine weiter. Jeder/Jede schreibt die Geschichte auf. Ihr könnt sie auch während dem Schreiben
verändern, wenn euch neue Ideen kommen. Ihr könnt auch eine völlig neue Geschichte schreiben.
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Anhang B: Erzählkarten
Ein knallroter Luftballon
Ein verlorener Stern
Tausend Katzen
Eine superintelligente Brillenschlange
Das flackernde Kerzenlicht
Der abgebrochene Schreibstift
Die schnellste Schnecke der Welt
Eine braune Bananenschale
Das rostige Velo
Ein ganz kleiner Goldring
Ein Tiger, der nicht gern allein ist
Der vereiste Berg
Erste Sonnenstrahlen
Der riesige Bärenhunger
Der verlorene Zirkuselefant
Ein einsamer Waldrand
Die vergessene Prinzessin
Der Hai mit den spitzen Zähnen
Die Hexe mit der Zaubernadel
Der Lift in den Keller
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Anhang C: Leitfragen
Einzelne Fragen auswählen und vergrössern. Auf einzelne Karten ausdrucken. Es ist hilfreich, Fragen zu den Figuren, zur
Handlung und zum Ort auf unterschiedlich farbigen Karten kopiert sind.
Wer? (Welche Figuren kommen in der Geschichte vor?)
o
Wie sieht die Figur genau aus?
o
Welche Schuhe trägt sie? Welche Kleider? Warum?
o
Was denkt die Figur?
o
Wie fühlt sie sich? Warum?
o
Wem begegnet sie? Welche anderen Figuren kennt sie?
o
Wie sehen die weiteren Figuren aus?
Was? (Welche Handlungen geschehen in der Geschichte? Was passiert?)
o
Was beginnt die Geschichte?
o
Was will die Hauptfigur? Welche Pläne hat sie?
o
Was geschieht dann? Was erlebt sie genau?
o
Plötzlich geschieht etwas völlig Unerwartetes, was?
o
Schwierigkeiten tauchen auf. Welche?
o
Wie überwinden sie die Schwierigkeiten?
o
Wie endet die Geschichte?
Wo? (An welchen Orten geschieht die Geschichte?)
o
Wo befindet sich die Figur?
o
Wie sieht es dort aus?
o
Wie sieht das Haus (das Gebäude, der Berg, etc.) genau aus?
o
Möchte die Figur lieber an einem andern Ort sein?
o
Wohin geht die Figur?
9
Anhang D: Geschichtenbogen
Teil
Fragen
Sprachliche Muster
1. Einleitung
Wie beginnt die
Geschichte?
Der kleine Tiger lebt mit seinen Freunden im Wald.
Wer?
Wo?
Wann?
2. Erlebnis
Was geschieht
dann?
Normalerweise spielen sie den ganzen Tag
miteinander.
An einem Morgen ganz früh, als alle noch schlafen,
steht der kleine Tiger allein auf.
Er will ganz allein in die Berge gehen.
Er hat nämlich gehört, dass dort ein riesiges
Ungeheuer wohnt.
Der kleine Tiger schleicht sich leise davon.
3. Schwierigkeit
Welche Schwierigkeiten
tauchen auf?
In den Bergen entdeckt er eine grosse Höhle.
Soll er hineingehen?
Plötzlich tauchen zwei riesige feurige Augen in der
Höhle auf.
Der kleine Tiger erschrickt und hat grosse Angst.
Das muss das Ungeheuer sein!
4. Lösung
Wie werden die
Schwierigkeiten
überwunden?
10
Da erscheint ein kleiner Drache. Er ist nicht viel
grösser als der kleine Tiger.
Er will mit dem Tiger spielen.
5. Schluss
Wie endet die
Geschichte?
Nachdem sie gespielt haben, machen sie ein Feuer.
Der kleine Drache kann dies gut.
Sie sind nun gute Freunde.
(Zeichnungen von M. Lahrache)
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